Ödön von Horváth
Hin und her
Ödön von Horváth

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Zweiter Teil

1. Szene

Auf dem linken Ufer.>

Nun hat der Hahn bereits dreimal gekräht, aber Szamek und Mrschitzka sitzen noch immer vor der amtlichen Baracke und haben noch immer Rum. Sie sind bereits ziemlich angeheitert und singen stumpfsinnig vor sich hin.

Szamek und Mrschitzka

Als der Adam aus dem Paradies
mit der Eva damals mußte scheiden
und ihm Gott der Plagen viel verhieß,
war der Adam wenig zu beneiden.
Lieber Gott, so tät er sagen,
ich will alles gern ertragen,
bloß nicht den Durscht!

Gott erbarmt sich seiner Not
und gab ihm aus Gnade zwei Geschenke:
er erfand für ihn den Tod
und die alkoholischen Getränke.
Und der Mensch zu seiner Labe
macht Gebrauch von dieser Gabe –
er hat halt Durscht!

Mrschitzka spricht: Prost Szamek! Du bist halt ein Genie!

Szamek Was ist ein Genie? Ein genialer Mensch. Und was ist ein Mensch? Ein Nichts. Also was ist ein Genie? Ein Garnichts!

Mrschitzka Das ist mir zu hoch! Aber wie du da zuvor diesen Rauschgiftschmuggler entlarvt hast, das war schon ganz großer kriminalistischer Fall! Eine Klasse für sich, eine kriminalistische Sonderklasse für sich. Nur versteh ich nicht, warum du keine Leibesvisitation –

Szamek  unterbricht ihn: Weil ich davor einen Respekt hab! Nämlich da hat mir erst unlängst so ein Subjekt anläßlich einer Leibesvisitation, die ich an ihm vorgenommen hab, mein Portemonnaie aus der Tasche gestohlen –

Mrschitzka  fällt ihm ins Wort: Was schadet das ab heut?! Ab heut! Wo wir morgen Bankkontos haben werden! Zwanzigtausend! Das ist ein Wort, das zerfließt einem im Maul wie Butter –

Szamek Also die Hauptsach ist, daß wir ihn ergriffen haben, diesen Schmugglitschinski! Eingesperrt da drinnen! Er deutet auf die Baracke. Singt.

Willst du dein vertrocknetes Gehirn
Für den Dienst am Vaterland erleuchten,
Darfst du nicht vergessen es zu schmieren
Und genügend täglich zu befeuchten.
Ohne diese Geistesfackel
Bleibst du stets ein lahmer Lackel,
Das macht der Durscht!

Wenn die Sorge grimmig an dir frißt,
Wird der Spiritus dich hold erfrischen,
Und wenn du nicht ganz zufrieden bist,
Denk dir bloß, wir hätten »Prohibition«!
Wenn man dort im Branntweinladen
Nichts bekäm als Limonaden,
Das wär ein Durscht!

Mrschitzka Sollst leben, Thomas! Ich erheb mein Glas auf das Gedeihen einer kriminalistischen Leuchte! Er trinkt. Meiner Seel, war das eine Lust, wie der da immer zerknirschter geworden ist und alles eingestanden hat.

Szamek Also eingestanden, dran kann ich mich nicht erinnern. Mir ist nur bekannt, daß er hartgesotten geleugnet hat.

Mrschitzka Aber ist er denn nicht zusammengebrochen unter der Last der Indizien?

Szamek Nein. Er ist nur zusammengebrochen, weil du ihm das Bein gestellt hast, nachdem du ihm eine hineingehaut hast.

Mrschitzka So? Hab ich das? – Das weiß ich ja jetzt gar nicht mehr. Schrecklich. Neuerdings kommt mir das häufig vor – zum Beispiel erst vorige Woche, da hab ich einem eine hineingehaut, ganz ohne Grund, und hab das erst bemerkt, wie er mir eine zurückgehaut hat. Ein eigenartiger Zustand.

Szamek Sogenannte Abstinenz-Erscheinungen.

Mrschitzka Was? Abstinenz-Erscheinungen? Lächerlich!

Szamek Apropos Abstinenz: wo nur die Eva so lang bleibt, diese Bestie!

Mrschitzka Wo? Kann ich mir schon vorstellen.

Szamek Ich auch. Er schlägt auf den Tisch; leise. Das wird noch ein furchtbares Ende nehmen, ein Ende mit einer Axt.

Mrschitzka Mir scheint, du bist angeheitert und siehst schwarz.

Szamek Schwarz ist noch viel zu weiß.

Mrschitzka Hättest halt das Fräulein Tochter nicht dem Schicksal überlassen sollen.

Szamek Dem Schicksal?

Mrschitzka Hast doch gesagt!

Stille.

Szamek Ja, jetzt erinner ich mich – Hm. Also wenn das Schicksal eine Hand im Spiel hat, dann kommt die Bestie vor morgen früh nimmer heim – Er schläft plötzlich ein vor lauter Rum.

Mrschitzka  betrachtet ihn: Ist der jetzt schon wieder eingeschlafen? Na, höchste Zeit, daß er pensioniert wird, diese Leuchte der Kriminalistik – Er gähnt und streckt sich. Die Hauptsache ist, daß wir ihn ergriffen haben, diesen Schmugglitschinski! Eingesperrt da drinnen. Er deutet schwach auf die Baracke und schläft ein.

2. Szene

Jetzt tauchen Schmugglitschinski, noch immer als Krankenschwester verkleidet, und Frau Leda auf. Sie bemerken mit Zufriedenheit, daß Szamek und Mrschitzka eingeschlafen sind und gehen an ihnen vorbei über die Brücke.

Hier kann eventuell untermalende Bühnenmusik einsetzen. Schmugglitschinski und Frau Leda gehen im folgenden über die Brücke.

Schmugglitschinski atmet befreit auf, kaum daß er die Brücke betreten hat, und entledigt sich seiner Krankenschwesterhaube. Mit überaus tiefer Stimme: Endlich! Ich halts in dieser Hauben kaum mehr aus vor lauter Hitz! Er wischt sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Glatze. Nur gut, daß wir jetzt schon diese Malefizrekognosziererei hinter uns haben – Er starrt plötzlich Frau Leda an, die steif stehen bleibt, nichts Gutes ahnend. Was ist?

Frau Leda  mit schwacher Stimme: Ich kann mich nicht rühren.

Schmugglitschinski Bist wieder weg? Hast wieder geschnupft?

Frau Leda Nein. Gespritzt.

Schmugglitschinski Nicht beherrschen kann sie sich! Immer wieder dieses blöde Rauschgift. Höchste Zeit, daß du eine Entziehungskur durchmachst! Wie uns da jetzt dieser Coup gelingt, kommst in eine Anstalt, das prophezeih ich dir, so wahr ich Schmugglitschinski heiß! Er schlägt Frau Leda plötzlich auf die Hand, eine Spritze fällt zu Boden, klirrt und zerbricht. Er schüttelt sie und brüllt sie an. Schon wieder, Irrsinnige, schon wieder?!

Frau Leda  windet sich unter seinem Griff: Aber du weißt doch, daß ich süchtig bin! Ich kann nicht so nüchtern schmuggeln.

Schmugglitschinski Los! Zu! Er pufft sie über die Brücke.

Frau Leda Au!

Schmugglitschinski Sei mir nicht bös, aber meine Brutalität ist deine einzige Rettung, Liebling.

Frau Leda Au, au! Solcherart gehen die beiden über die Brücke – an Havlicek vorbei, den sie nicht bemerken, da er sich bei ihrem Kommen versteckt hatte, und der für das Publikum auch erst jetzt sichtbar wird.

3. Szene

Havlicek taucht auf der Brücke auf und sieht interessiert den beiden nach.

Stimme der Frau Hanusch von der Stelle aus, wo Havlicek sich verborgen hielt: Kann man jetzt kommen?

Havlicek Ohne Gefahr!

Stimme der Frau Hanusch Ist die Luft rein?

Havlicek Wir sind unter uns!

Frau Hanusch  erhebt sich und kommt: Gott, waren das aufregende Szenerien. Ich hab direkt Bauchweh vor lauter Empörung, daß diese Krankenschwester die arme Kranke so barsch behandelt –

Havlicek  fällt ihr ins Wort: Vielleicht ghört sich das so, damit sie gesund wird.

Frau Hanusch Dann soll sie lieber krank bleiben, aber ich kann halt niemand leiden sehen, wenn ich auch oft herzlos wirk durch meine drastische Manier.

Havlicek Sie und herzlos? Wo Sie mir da etwas zum Essen bringen mitten in der Nacht? Kalten Braten und passierten Roquefort? Das zeigt von keinem alltäglichen Herzen, Frau Hanusch!

Frau Hanusch Wissen Sie, ich war ja schon längst im Bett, aber ich hab keinen Schlaf gefunden, immer hab ich denken müssen: da geht jetzt ein Mann hin und her und niemand laßt ihn rein – und plötzlich hats mich durchzuckt, ich raus aus dem Bett und daher – Aber Sie haben ja alles stehen lassen! Habens denn keinen Hunger?

Havlicek Hunger schon, aber keinen Appetit.

Frau Hanusch Armer Mensch!

Havlicek Und derweil ist passierter Roquefort meine Leibspeise – mein Leibkäse gewissermaßen.

Frau Hanusch Das freut mich, daß ich es erraten hab.

Havlicek Tut mir gut, Frau Hanusch. Wissens, es schaut nämlich einfacher aus, als wie es ist, wenn man so weg muß aus einem Land, in dem man sich so eingelebt hat, auch wenn es vom Zuständigkeitsstandpunkt nicht die direkte Heimat war – aber es hängen doch soviel Sachen an einem, an denen man hängt. Zum Beispiel, wie ich noch die Drogerie gehabt hab, da hättens mal meine Auslag sehen sollen, es war das zwar keine große Auslag, mehr ein größeres Fenster, aber was ich da alles hineinarrangiert hab! Rechts medizinisch, links homöopathisch, vorn kosmetisch und hinten die Diskretion – Red ich Ihnen nicht zuviel?

Frau Hanusch Nein.

Havlicek Hm. Ja und der Apotheker nebenan, der hat mich dann zugrundegerichtet. Plötzlich über Nacht hat der sich auch eine Drogerieabteilung angegliedert und dann ist meine Kundschaft dorthin.

Frau Hanusch Warum?

Havlicek Er war halt beliebter als ich. Das sind eben oft so dunkle Strömungen in der Menschenseele – da steht man dann und wundert sich. Genau wie im Krieg. Waren Sie im Krieg?

Frau Hanusch Ich? Nein.

Havlicek Aber in Ihrem Alter –

Frau Hanusch unterbricht ihn: Aber ich bin doch eine Frau!

Havlicek Großer Gott, das hab ich jetzt ganz vergessen! Meiner Seel, man wird halt schon blöd und blind, wenn man immer so hin und her und immer allein – Nur eine Frau könnt mich retten. Ohne Witz.

Frau Hanusch Ja. Ein Mann ist schon etwas Notwendiges, wenn er auch nur repräsentiert. Mein Seliger war ein stattlicher Herr. Hundertsiebzehn Kilo hat er gewogen und der ist mir weggestorben. Wieviel wiegen denn Sie?

Havlicek Weniger, bedeutend.

Frau Hanusch Das merk ich. Wann sinds denn geboren?

Havlicek Warum?

Frau Hanusch Es interessiert mich.

Havlicek Am vierzehnten Juli. Das ist ein großer Tag in Frankreich – Wissens, da tanzen die Leut auf den Boulevards.

Frau Hanusch Also nach den Sternen täten wir gut zueinanderpassen.

Havlicek Wer?

Frau Hanusch Wir zwei.

Duett

Frau Hanusch

Sehns die vielen Sternlein stehen über uns?
All diese Sternlein weben
an Ihrem und an meinem Leben
alle diese Sternlein drehen sich
um unser kleines Leben über uns.

Havlicek

Wenn die vielen Sternlein eben über uns
gar nichts täten als bloß weben
an Ihrem und an meinem Leben
wenn sie nur für uns so wandern,
was blieb dann für die andern neben uns?
Sehns ich glaub nicht, daß das geht,
daß sichs ganze All bloß um uns beide dreht.

Frau Hanusch

Jeder Mensch hat seinen Planeten.

Havlicek

Dann hab ich, scheints einen Kometen:
der kommt nur ab und zu daran
und stört den andern ihre Bahn.

Frau Hanusch gleichzeitig:

Das ist hochinteressant!
Was ist der alles imstand!

Havlicek

Dann ist er plötzlich wieder verschwunden,
kümmert sich nicht um seinen Kunden,
wo ist er denn, mein spezieller Komet,
daß es mir so miserabel geht.

Frau Hanusch

Herr Havlicek, gehns lästerns nicht
und glaubens an Ihr Himmelslicht.
Wenns nur die Sterne recht beschwören –
Zärtlich und anzüglich
tuns Ihnen gar noch einen Schatz bescheren.

Havlicek  ohne zu verstehen:

Ists weiter nichts? Das tu ich gern.
Nur glaub ich nicht mehr recht an meinen Stern.

Beide  zusammen:

Venus, Mars und Jupiter, Merkurius,
Pluto und Saturn und Uranus,
bringts uns bittschön kein Verdruß,
tuts doch an unserm armen Leben
mit Vernunft und Ordnung weben
über uns! Und vergeßts nicht, unserem Leben
auch ein bisserl Glück zu geben über uns!

Frau Hanusch fällt ihm plötzlich um den Hals und küßt ihn.

Havlicek  etwas betroffen: Was war das jetzt?

Frau Hanusch Ein Stern!

Havlicek In unserem Alter? Er lächelt verlegen.

Frau Hanusch Man ist so alt, als wie man sich fühlt und ich fühl mich noch! – Schad, daß ich jetzt weg muß, aber ich muß auf meine Reputation achten, auch wenn ich morgen Konkurs ansag.

Havlicek Auf Wiedersehen. Und ich danke für Speise und Trank.

Frau Hanusch Geh, du hast ja nichts gegessen! Sie will das Essen wieder mitnehmen.

Havlicek Halt! Laß es da! Jetzt hab ich Appetit!

Frau Hanusch  gibt ihm rasch einen Kuß: Schmecken soll es dir. Schmecken, du braver Mann – Rasch ab nach rechts. Havlicek ißt und trällert vor sich hin.

4. Szene

Frau Hanusch geht nun über die Brücke und erreicht das rechte Ufer. Erstaunt sieht sie sich um, da niemand zu sehen ist. Dann horcht sie, nähert sich vorsichtig dem Raubritterturm und sieht durch das Schlüsselloch hinein.

Frau Hanusch  erhebt sich wieder: Gott, es ist doch das Schönste, zwei so junge Menschen in der Umarmung –

Sie singt.

Wenn heutzutag ein nettes junges Paar
brennheiß verliebt ist und mit Haut und Haar,
so ist die Frage bald geklärt
wie man beisamm ist möglichst ungestört.
Heut sind die jungen Leut halt gscheit!
Gmöcht hätten wir ja auch –
nur leider war es damals noch nicht Brauch.

Wenn eine Dame, die sich ordentlich pflegt,
nicht grad das Gsicht hat, was man eben trägt,
so nimmts ein' Farbtopf aus dem Schrein
und malt sich in ihr Gsicht ein neues nein.
Heut sind die Frauen so viel gscheit!
Gmöcht hätten wir ja auch –
nur leider war es damals noch nicht Brauch.

Wenn über diesen oder jenen Fragen
die Volksvertreter sich die Köpf einschlagen,
so schickt mans heim, sperrt d'Buden zu
und hat vom ganzen Parlament sei Ruh.
Heut sind halt die Minister gscheit!
Gmöcht hättens früher ja auch –
nur leider war es damals noch nicht Brauch.

Heut hat mir träumt von einem fernen Land,
wo Politik ist gänzlich unbekannt,
dort ist man friedlich und human,
sogar die Frau vertragt sich mit ihrm Mann,
dort kennt man weder Neid noch Streit –
so möchtens Sie halt auch?
Nur leider ist es bei uns noch nicht Brauch.

Ab in Gedanken versunken.

5. Szene

Konstantin  erscheint in der Tür des Raubritterturmes; er ist etwas derangiert und sieht sich um: Es war doch wer da –

Eva  taucht hinter ihm auf, gleichfalls etwas derangiert: So komm doch! Wer soll denn schon?

Konstantin Still! Er lauscht. Jetzt hör ich nichts, aber es ist wer vorbei. Du weißt, ich hör immer her auf die Grenz, in jeder Situation – und ich hab ein scharfes Gehör.

Eva Ja, dir entgeht nichts.

Konstantin Hoffentlich warens nicht unsere Rauschgiftschmuggler. Du, jetzt hab ich direkt Gewissensbiss wegen der zwanzigtausend.

Eva Was ist ein Mensch neben einer Million?

Konstantin Nichts.

Eva Komm –

Konstantin folgt ihr wieder in seinen Raubritterturm.

6. Szene

Frau Leda und Schmugglitschinski erscheinen wieder.

Frau Leda leise: Niemand da? Kein Grenzorgan? Fein!

Schmugglitschinski streift wieder seine Haube ab und wischt sich den Schweiß von der Glatze: Umso besser!

Frau Leda Wisch dir lieber nicht die Glatze, sondern gib das verabredete Zeichen!

Schmugglitschinski etwas perplex: Also werd mir nur nicht zu aktiv! Er winkt mit einer Taschenlaterne.

7. Szene

Auf dieses verabredete Zeichen hin kommen vorsichtig drei Schmuggler.

Schmugglitschinski  zu den drei Schmugglern: Letzter Appell: Hat ein jeder sein Milligramm bei sich?

8. Szene

Die drei Schmuggler kommen zu keiner Antwort mehr, da nun Konstantin wieder aus seinem Raubritterturm tritt und die fünf Leute erblickt.

Evas Stimme  aus dem Raubritterturm: Konstantin! Es ist doch nichts!

Konstantin beiseite: Die Kranke und die Heilige? Zu dieser Stund, wo ein jeder anständige Mensch im Bett liegt? Komisch! Laut. Ihren Grenzschein bitte! Schmugglitschinski schlägt ihn k. o. Konstantin bricht lautlos zusammen.

Evas Stimme Konstantin! Wo bleibst denn schon wieder so lange?

9. Szene

Eva erscheint, erblickt auf dem Boden ihren bewußtlosen Bräutigam und dann die Krankenschwester ohne Haube – sie schreit gellend auf.

Schmugglitschinski hält ihr den Mund zu; zu seinen Leuten: Rasch! Knebel! Strick! Rascher! So! Und jetzt auch diesen Burschen da.

Die Schmuggler knebeln und fesseln Konstantin und Eva und begeben sich dann unter Anführung Schmugglitschinskis auf die Brücke.

Alle Schmugglerszenen sind musikalisch untermalt gedacht.

10. Szene

Schmugglitschinski hält plötzlich auf der Brücke und gibt den Anderen ebenfalls ein Zeichen zu halten; mit unterdrückter Stimme: Was seh ich? Moment! Da steht ja einer auf der Brücke! Ich wittere Verrat –

Frau Leda Um Gottes Willen!

Schmugglitschinski Wer kann das sein? Vielleicht ein Agent – ein Vorposten – vorsichtig! Er setzt seine Haube wieder auf.

Frau Leda Nur Mut, wir sind zu fünft!

Schmugglitschinski deutet auf die drei Schmuggler: Die zählen nicht mit!

Die Schmuggler Oho!

Schmugglitschinski Das sind nur Kulis!

Die Schmuggler Oho!

Schmugglitschinski Jetzt aber kein Oho mehr.

Die Schmuggler Oho!

Schmugglitschinski  zu Frau Leda: Wie oft hab ich dir schon gesagt, verkehr nicht mit dem Personal! Jetzt sind sie frech. Zu den Schmugglern. Wartet da! Wir zwei erledigen das schon, und zwar mit List – Zu Frau Leda. Komm!

11. Szene

Die beiden nähern sich nun Havlicek, der sie, an das Brückengeländer gelehnt, betrachtet.

Schmugglitschinski sehr leise: Fang an, Leda!

Frau Leda  zu Havlicek: Guten Tag, der Herr.

Havlicek Gute Nacht.

Frau Leda Ich wär Ihnen sehr verbunden, wenn wir über die Grenze könnten – ich und die Krankenschwester –

Havlicek Oh bitte, bitte!

Frau Leda Aber wir haben leider keinen Grenzschein.

Havlicek Keinen Grenzschein? Auweh, dann ist es faul! Also ohne Papier geht das nicht.

Frau Leda Ganz sicher nicht?

Havlicek Liebe Frau, ich muß es doch wissen –

Frau Leda Naturnotwendig, Sie als Grenzorgan – Sie wendet sich zu Schmugglitschinski und flüstert unter Seitenblicken auf Havlicek mit ihm.

Havlicek »Grenzorgan«? Ich?

Schmugglitschinski  mit tiefer Stimme zu Leda: Richtig! Mit verstellter Stimme zu Havlicek. Bitte strengen Sie sich doch nur nicht so an, als könnten Sie nicht bis drei zählen! Mit tiefer Stimme. Wir wissen – Mit verstellter Stimme – wen wir vor uns haben – Mit tiefer Stimme – und wir wissen – Mit verstellter Stimme – daß eine derartige Erkenntnis – Mit tiefer Stimme – Geld kostet.

Havlicek zuckt bei jeder »tiefen Stimme« zusammen.

Mit verstellter Stimme. Kurz und gut – Er reißt die Haube herunter, mit tiefer Stimme – ich bin Schmugglitschinski!

Havlicek Großer Gott, ein Mann! Ein richtiger Mann!

Frau Leda Und ob!

Schmugglitschinski  zu Leda: Also das geht dich nichts mehr an! Zu Havlicek. Herr! Hier haben Sie fünfzig Gulden und verschwinden Sie, ja?

Havlicek Fünfzig Gulden?

Schmugglitschinski Fünfundfünfzig! Aber verschwinden, verschwinden! Avanti! Avanti!

Havlicek Irgendwohin, Sie eigensinniges Subjekt! Brüllt ihn an. Aber ich kann doch nicht verschwinden, ich bin doch schon verschwunden!

Schmugglitschinski wechselt einen überraschten Blick mit Leda: Ein Narr! Zu Havlicek. So nehmen Sie doch Vernunft an!

Havlicek Was hab ich davon? Ich bin sehr arm –

Schmugglitschinski Und da weisen Sie fünfundfünfzig Gulden zurück?

Havlicek Was hab ich davon auf einer Brück? Gesetz ist Gesetz! Und wenn das Gesetz für mich gilt, dann gilt es auch für Sie! Oh, Sie täuschen sich in mir, daß irgendeiner sich außerhalb des Gesetzes stellen kann, nur weil er Geld hat!

Schmugglitschinski Dann bleibt uns allerdings nur dies – Er packt Havlicek.

Havlicek Hilfe! Hilfe!

Schmugglitschinski hält ihm den Mund zu und wirft ihn über die Brücke ins Wasser; dann zu Leda: Vorwärts los!

Er geht mit ihr weiter über die Brücke, die dreht sich aber rascher, so daß Szamek und Mrschitzka ins Bild kommen.

12. Szene

Mrschitzka  wacht auf: Hat da nicht wer nach Hilfe gerufen? Er ergreift sein Gewehr, bleibt aber sitzen.

Szamek Es war mir auch so – Er schläft wieder ein.

Mrschitzka Die Stimme kam von drüben, also gehts uns erklärlicherweise nichts an, wenn einer umgebracht wird –

Er schläft auch wieder ein.

13. Szene

Die Beiden betreten nun das linke Ufer. Szamek und Mrschitzka sitzen vor der amtlichen Baracke und schlafen nun vor lauter Rausch – aber Schmugglitschinski und Frau Leda bemerken es nicht vor lauter Vorsicht und Routine.

Schmugglitschinski sehr leise: Fang an, Leda.

Frau Leda  nähert sich den Schlafenden: Guten Tag, die Herren.

Szamek und Mrschitzka erwachen: Wer da? Was los?

Frau Leda sieht Schmugglitschinski perplex an.

Mrschitzka Ich wünsche nicht gestört zu werden –

Szamek verschlafen: Wo bin ich?

Frau Leda perplex: An der Grenze.

Szamek Aha, aha. Er reibt sich den Schlaf aus den Augen. Und Sie wollen über die Grenze?

Frau Leda  sieht Schmugglitschinski abermals perplex an: Ja. Ich und die Krankenschwester dort.

Mrschitzka gähnt: Wer ist krank?

Frau Leda Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund. Wir wollen – und wir müssen nämlich auf schnellstem Wege zu einem schwerkranken Verwandten, und ich habe mir diese überaus aufopfernde und verständnisvolle Krankenschwester gleich mitgebracht.

Mrschitzka Ein stramme Schwester ist das! Füß wie ein Vieh!

Frau Leda Es dreht sich um eine überraschend ausgebrochene schwere innere Krankheit –

Szamek  unterbricht sie: Also gehens nur schon zu, was interessiert mich denn Ihre Verwandtschaft, mit ihren inneren Erkrankungen! Mich interessiert nur Ihr Grenzschein, gnädige Frau!

Frau Leda Ja, das ist eben das Ding.

Mrschitzka Was für ein Ding?

Frau Leda Wir haben leider keine Papiere.

Szamek Aha! Verstehe! Also ohne Papiere geht das nicht! Da könnt Ihre ganze Verwandtschaft aussterben, ohne Grenzschein wird da niemand vorbeihereingelassen! Punkt!

Frau Leda Aber das ist doch herzlos!

Szamek Ich bin auch herzlos!

Mrschitzka  der sich Schmugglitschinski genähert und ihn von allen Seiten aufmerksam betrachtet hat: Du Thomas! Schau dir mal da die Schwester an! Genauer!

Frau Leda aufgeregt: Warum?

Mrschitzka Weil sie knusperig ist, meine Gnädigste! Schad, daß ich jetzt nicht im frühen Mittelalter leb, damals waren so knusperige Schwestern, wie ich höre – zugänglicher – Er klopft Schmugglitschinski auf den Hintern.

Schmugglitschinski lächelt verschämt.

Stramm! Sehr stramm!

Frau Leda Belästigen Sie bitte die Schwester nicht, Herr Inspektor.

Mrschitzka Ich bin kein Inspektor. Und wieder klopft er Schmugglitschinski auf den Hintern.

Frau Leda Die Schwester kann sich ja nicht wehren –

Mrschitzka Umso besser!

Frau Leda Ach, das ist roh! Bedenken Sie doch bitte, daß die Schwester eine strenge Ordensregel –

Mrschitzka  unterbricht sie: Regel hin, Regel her! So rabiat wird das schon nicht gehandhabt werden, was Maus? Er zwickt Schmugglitschinski in die Backe.

Schmugglitschinski lächelt wieder verschämt.

Na, sag doch schon was!

Frau Leda Aber sie darf ja nichts reden, das ist doch eben ihr Gelübde! Höchstens hie und da ein Wort!

Mrschitzka Was hör ich? Nur ein –

Schmugglitschinski  mit verstellter Stimme: Wort.

Mrschitzka Und sonst!

Schmugglitschinski Nichts.

Mrschitzka Geh das ist doch blöd!

Schmugglitschinski Nein.

Mrschitzka Sondern?

Schmugglitschinski Gescheit!

Mrschitzka Also auf alle Fälle ist es anstrengend. Immer nur ein Wort – Kruzifix, bei der Figur! Aber satt dürfts Euch doch hoffentlich essen?

Schmugglitschinski Sehr.

Mrschitzka Schweinernes?

Schmugglitschinski Nein.

Mrschitzka Kälbernes?

Schmugglitschinski Nein.

Mrschitzka Geflügeliges?

Schmugglitschinski Nein.

Mrschitzka Mir scheint also, überhaupt kein Fleisch?

Schmugglitschinski Erraten.

Mrschitzka Aha! Vegetaranisch?

Schmugglitschinski Ja.

Mrschitzka Zum Beispiel?

Schmugglitschinski Spargeln.

Mrschitzka Gut so! Und?

Schmugglitschinski Trüffeln!

Mrschitzka Also das ist schon extravagant! Nichts reden, aber Trüffeln essen – und wie stehts denn mit dem Getränk?

Schmugglitschinski Wasser.

Mrschitzka Und?

Schmugglitschinski Rum.

Mrschitzka Und Bier, Wein, Schnaps, Likör, Most?

Schmugglitschinski Alles.

Mrschitzka Gut so. Und was trinkt denn mein herziges Schwesterlein am liebsten?

Schmugglitschinski Viel.

Mrschitzka Sehr sympathisch, anormal sympathisch! Und trinkt Ihr schon des morgens?

Schmugglitschinski nickt: Ja. Und –

Mrschitzka Mittags?

Schmugglitschinski nickt: Ja. Und –

Mrschitzka Abends?

Schmugglitschinksi Bis –

Mrschitzka – in –

Schmugglitschinksi – die –

Mrschitzka – tiefe –

Schmugglitschinksi – Nacht.

Mrschitzka begeistert: Das ist ein Gelübde, das ist ein Orden, das sind Regeln.

Schmugglitschinksi berührt Mrschitzka schüchtern: Gewehr –

Mrschitzka Was?

Schmugglitschinksi lächelt verlegen: Bajonett –

Mrschitzka perplex: Was für ein Bajonett?

Frau Leda Ach, die brave Schwester bittet Sie nur um Ihr Gewehr – sie möcht es gern mal in die Hand nehmen aus einem regen Interesse.

Mrschitzka Für mein Gewehr?

Schmugglitschinksi Bitte –

Mrschitzka Militant, sehr militant. Indem er Schmugglitschinski sein Gewehr überreicht. Da wird geladen, da wird gedruckt und dann gehts vorn los!

Schmugglitschinksi übernimmt das Gewehr; mit seiner tiefen Stimme: Danke! Er schlägt Mrschitzka k. o.

Mrschitzka bricht lautlos zusammen.

Schmugglitschinski reißt sich rasch wieder die Haube herunter. Herrgott, die Hitz! Er hebt das Gewehr auf Szamek. Hände hoch!

Szamek reagiert nicht, denn er ist inzwischen längst wieder eingeschlafen.

Frau Leda Pst! Der schläft ja schon wieder!

Schmugglitschinksi Auch gut – Er legt das Gewehr weg. So erregen wir noch weniger Aufsehen! Er winkt mit seinem Taschentuch nach der Brücke zu.

14. Szene

Aber auf der Brücke erscheint Konstantin mit seinem Dienstrevolver in der Hand, hinter ihm tauchen Eva und Havlicek auf, mit sehr viel Stricken.

Konstantin Hände hoch!

Schmugglitschinksi Goddam!

Frau Leda Oh Kind!

Konstantin Hände hoch! Hoch oder –!!

Frau Leda und Schmugglitschinski folgen.

Denkt nur ja nicht, daß ihr mich überrumpeln könnt! So lange geht das nicht! Zu Eva und Havlicek. Halt sie. Ich halt sie derweil mit meinem Dienstrevolver in Schach!

Havlicek Auch knebeln?

Konstantin Binden genügt!

Eva und Havlicek führen nun Konstantins Befehl aus.

Mrschitzka  kommt allmählich wieder zu sich: – hab ich das jetzt geträumt, daß mich da eine Nonne niedergestreckt hat? Natürlich hab ich diesen Unsinn geträumt, denn ich träum immer Unsinn und mich streckt keiner nieder – mich nicht! Es war ein Traum – Erblickt Eva, Havlicek, Konstantin und so weiter und ist maßlos überrascht. Was seh ich? Mir scheint, ich träum noch immer. Meiner Seel, da steht ja dieser Ausgewiesene – Jessus Maria, die Nonn hat eine Glatzen! Maria Josef – gib acht, Mrschitzka! Gib acht, Mrschitzka! Gib acht – Er nähert sich ängstlich Szamek und rüttelt ihn. Thomas! Wach auf!

Szamek  erwacht: Warum soll ich aufwachen?

Mrschitzka Weil ich Angst hab, Thomas. Mir scheint, ich bin krank – trelirium demens.

Szamek Wundern täts mich nicht. Geh, sei so gut und laß mich schlafen!

Mrschitzka Aber schau doch nur mal dorthin, bittschön, ob dort nämlich was ist oder ob das jetzt nur eine persönliche Fata morgana von mir ist –

Szamek Ich schau nicht hin. Ich hab selber Angst!

Mrschitzka Feigling!

Szamek Also feig bin ich nicht! Jetzt schau ich hin! Er schaut hin und erstarrt.

Mrschitzka bange: Siehst auch etwas?

Szamek Und ob ich was seh – Er schlägt auf den Tisch. Was seh ich? Der Konstantin! Da herübern!? Na, das ist aber eine grandiose Grenzverletzung!

Konstantin Ruhe, Szamek! Zu Eva. Fertig?

Eva Sogleich!

Szamek beiseite: »Ruhe, Szamek«? Befehlen auch noch? Maßt sich da Amtshandlungen an auf unserem Hoheitsgebiet – Er schreit. Da geh her und folg ihm nicht! Wie kommst denn da dazu, wildfremde Nonnen zu fesseln? Meiner Seel was da passiert, also das gibt Krieg!

Konstantin ruhig: Bitte nur nicht aufregen, lieber Vater Szamek! Scharf. Herr Szamek! Wenn ich jetzt hier die Grenz nicht verletzt hätt, wären Sie jetzt vielleicht bereits über einer anderen Grenz – Darf ich vorstellen, Herr Schmugglitschinski, der berüchtigte Rauschgiftschmuggler und seine überaus raffinierte routiniert[*e?] Compagnonin!

Szamek Sie Anfänger Sie! Den echten Schmugglitschinski, den haben ich und mein Freund ja schon längst hopp, schon vor vielen Stunden – Er deutet auf die Baracke – da sitzt er drinnen eingekastelt!

Konstantin perplex: Wo?

Szamek  zu Mrschitzka: Wie selbstsicher der aufgetreten ist, unser Schmugglitschinski, was?! Sogar für den Ministerpräsidenten hat er sich ausgegeben!

Havlicek Ministerpräsident? Großer Gott!

Szamek Aber wir haben ihn demaskiert!

Mrschitzka Nicht zu knapp! Ich habe ihm gleich eine hineingehaut! Gleich!

Konstantin Aber Herr Szamek! Sie haben ja Ihren eigenen Ministerpräsidenten eingesperrt, Ihren eigenen echten! Und dieser Herr hat seinem eigenen echten eine hineingehaut – Die beiden Chefs wollten doch heut Nacht in aller Heimlichkeit auf der Brücke konferieren!

Havlicek Stimmt!

Mrschitzka Was wissen denn Sie schon, Sie Ausgewiesener?

Havlicek Weil ich mitkonferiert hab!

Eva Aber so laß ihn doch schon frei, um Gottes Christi willen!

Havlicek Ich tät ihn gleich wiedererkennen.

Konstantin Lassen Sie Ihren Gefangenen sofort frei, denn eventuell entsteht ja noch eine Katastrophe für die ganze zivilisierte Welt! Könntens denn das verantworten, Herr Szamek?

Szamek  sehr unsicher: Warum nicht? Zu Mrschitzka. Aber laß ihn mal raus, damit er sich beruhigt, dieser junge Grenzverletzer –

Mrschitzka Der möcht ja doch nur unsere zwanzigtausend! Aber daraus wird nichts, eher bring ich mich um!

15. Szene

Die Nacht ist schon durchsichtiger geworden und jetzt dämmert der Morgen.

Mrschitzka  öffnet die Barackentür: Raus!

Y erscheint, er ist gebrochen und weint bitterlich.

Havlicek Das ist er!

Y Na, der Kerl kann sich freuen, der mich da in dieses Loch –

Mrschitzka Das ist kein Loch, das ist eine amtliche Barack, bitt ich mir aus!

Y  unter argem Geschluchze: Ein Loch ist es, ein schamloses Loch! Penetrant! Wenn ich euch nur alle sehen könnt, aber ich hab ja keine Brille – Er stürzt plötzlich auf Schmugglitschinski zu und brüllt ihn an. Was bin ich? Ein Rauschgiftschmuggler?

Schmugglitschinksi Ja.

Frau Leda Er lügt! Zu Schmugglitschinski. So gibs doch schon zu! Was nützt leugnen in unserer Lage?!

Konstantin Sehr vernünftig!

Schmugglitschinksi  zu Leda: Schad, daß wir nicht in die gleiche Zell kommen, da tätst was erleben!

Frau Leda Ich erleb nichts mehr.

Szamek  zu Frau Leda: Ist das wahr?

Frau Leda Ja.

Stille.

Szamek brüllt: Aber also dann hinein mit euch in das Loch! Hinein! Er sperrt Frau Leda und Schmugglitschinski in die amtliche Baracke.

16. Szene

Y hat sich inzwischen an dem Tische niedergelassen und weint noch immer über die Tischplatte gebeugt.

Mrschitzka  fällt vor ihm in die Knie: Herr Exzellenz! Ich hab eine Familie mit drei minderjährige Töchter und vier außereheliche Enkelkinder – Gnade!

Konstantin Warum Gnade?

Mrschitzka  zu Konstantin: Weil ich sonst meine Pensionsansprüch verlier! Zu Y. Gnade! Gnade!

Konstantin Aber Ihr braucht doch keine Gnade! Pflichtlich wart Ihr doch vorschriftlich! Pflichtlich hätt Euer Präsident einen vorschriftlichen Paß haben sollen, da er aber keinen pflichtlich-vorschriftlichen, sondern nur einen unvorschriftlich-unpflichtigen gehabt hat, habt Ihr ihn doch vorschriftlich-pflichtlich verhaften und pflichtig-vorschriftlich einkasteln müssen! Also braucht Ihr vorschriftlich keinerlei Gnade, denn pflichtlich seid Ihr im Recht!

Havlicek Vorschriftlich-pflichtlich!

Mrschitzka beiseite: Ein ganz ein logisches Gehirn –

Szamek  beiseite: Mir scheint, er hat recht. Laut. Natürlich hat er recht! Er erhebt sich. Sehr vorschriftlich, sehr pflichtlich! Ich brauch keine Gnad, ich such mir schon mein Recht, und wenn ich Unrecht tun müßt – Beiseite. Jetzt gönn ich ihm erst meine zwanzigtausend, ersticken soll er daran!

Eva Hoch Konstantin, der Retter!

Y  wimmernd: Und wer rettet mich? Er steht auf. Nur das Dementi! Ich dementier, ich dementier! Stark schluchzend. Aber diese Nacht soll mir ein Fingerzeig gewesen sein: jetzt sperr ich aber meine ganze Opposition ein! Er rennt heftig weinend gegen die Brücke.

Havlicek Halt! Nach der anderen Richtung!

Y Im Ernst?

Havlicek Also mit die Richtungen kenn ich mich jetzt schon aus.

Y ab in der richtigen Richtung.

17. Szene

Jetzt geht die Sonne auf.

Eva Papa! Jetzt gibst aber doch dann dein Einverständnis zu unserer langersehnten Verbindung?

Szamek Jetzt ja. Zu Konstantin. Mein Sohn, du hast mich doppelt gerettet, mein Leben und meine Pensionsberechtigung, ich seh das ein, weil ich keinen falschen Charakter hab, wie die Leut dort drüben! Also behalt sie dir, die Eva, und da habts meinen Segen! Bist ja ein reicher Mann. Zwanzigtausend – enorm!

Konstantin Moment! Die Wahrheit und die Gerechtigkeit gebieten mir feierlich zu sagen, daß diese enorme Summe nicht mir gebühren kann, sondern – Er deutet auf Havlicek – jenem Herrn dort, denn ich hätte dich ja nie retten können, wenn er mich nicht gerettet hätt – und also ist Herr Havlicek eigentlich unser aller Retter.

Szamek  sprachlos: Eigentlich?

Havlicek Eigentlich hab ich nur ein Wimmern gehört, wie ich da auf dieser Brück grad etwas entschlummert war und zuerst hab ich gedacht: das ist nur eine Gehörstäuschung aber dann hab ich halt doch nachgeschaut, weil mir mein Gefühl keine Ruhe gelassen hat. Und dann hab ich halt die beiden entfesselt.

Szamek  noch immer sprachlos: Wieso entfesselt?

Konstantin Kurz und gut, Papa! Ich danke dir für deinen väterlichen Segen, aber die zwanzigtausend gehören Herrn Havlicek!

Eva Das ist gut von dir –

Szamek Na servus! Jetzt bricht eine Welt in mir zusammen.

Eva Und eine neue entsteht – Sie küßt Konstantin.

Mrschitzka  zu Havlicek: Gratuliere, Herr Multimillionär!

Havlicek Was hab ich davon? Auf einer Brück!

18. Szene

Frau Hanusch  kommt rasch von der Brücke, überrascht: Ja, wie kommen denn Sie daher hinüber, Herr Konstantin?

Konstantin Später!

Frau Hanusch Ich such Ihnen schon überall – eine amtliche Depesch!

Konstantin Danke! Er erbricht und überfliegt sie. Was? Er liest es laut. »Durch eine außertourliche und außerinstanzliche ministerielle Verfügung ist dem heimatlosen Ferdinand Havlicek sofort die Grenze zu öffnen –«

Havlicek »Heimatlos« – das bin ich!

Konstantin Da steht es schwarz auf weiß.

Alle  zu Havlicek: Wir gratulieren!

Havlicek Mir scheint, ich schlaf –

Frau Hanusch Nein, das tust du nicht –

Konstantin Wieso per du?

Frau Hanusch Später! Sie küßt Havlicek.

Eva Was seh ich?

Frau Hanusch Darf ich vorstellen: der neue Postwirt! Nur schad daß ich heut Konkurs anmeld!

Havlicek Trotzdem!

Mrschitzka Was hör ich?! Noch ein Paar, ist das eine Freud! Rum her!

Konstantin Und Sie werden auch keinen Konkurs anmelden, Frau Hanusch, denn der neue Postwirt besitzt ab heut ein Vermögen von zwanzigtausend!

Frau Hanusch Jetzt fall ich um: Ferdinand!

Havlicek Halt! Still! Drohend. Jetzt werd ich aber auch gleich edel werden! Gerecht und wahr! – Also hört her, ihr! Ich hab zwar den Konstantin gerettet, aber wer hat denn hier mit dem Revolver gesiegt – er oder ich? Na also! Ich war doch nur eine Voraussetzung zu seinem Glück! Darum: halb und halb! Zehn für das Glück und zehn für die Voraussetzung!

Frau Hanusch Aber Havlicek!

Havlicek Still! Ich bin Fachmann in puncto Gerechtigkeit – ich weiß, was das wert ist: Gerechtigkeit –

Szamek Halb und halb?

Frau Hanusch Er ist ein braver Mann.

Szamek Zehntausend ist auch kein Hund. Meiner Seel, jetzt freuts mich erst wieder, diese Heiraterei!

19. Szene

Und nun erscheint der Privatpädagoge mit seiner Frau. Er trägt die Angel und sie die ominöse Blechbüchse mit den Regenwürmern.

Privatpädagoge gut gelaunt: Guten Morgen, guten Morgen! So früh schon auf?

Eva lächelt: Wir hatten alle Nachtdienst, alle miteinander.

Privatpädagoge Und wir gehen jetzt angeln. Meine brave Frau hat mir herrliche Würmer gebracht. Ab mit ihr auf die Brücke.

Mrschitzka  ruft ihnen nach: Petri Heil!

20. Szene

Frau Hanusch Jessus, da hab ich ja noch eine dringende Depesch an dich persönlich –

Havlicek An mich?

Frau Hanusch Ja. Eine schöne.

Havlicek Woher weißt denn das? Erbrichst du meine Post?

Frau Hanusch Aber geh, ich bin doch die Posthilfsstelle und bei mir lauft alles ein!

Havlicek Dann kennst du also auch das Morse-Alphabet? Respekt! Er erbricht die Depesche und liest sie. Na das ist aber rührend! Rührend!

Mrschitzka Vorlesen! Laut! Wir wollen auch gerührt werden!

Havlicek Vom Chef dort drüben, das heißt: vom ehemaligen Chef – Er liest. »Mein lieber Herr Havlicek stop es ist mir ein Bedürfnis, bevor ich demissioniere, Ihnen zu helfen stop es drängt mich noch im Besitze der Macht eine menschliche Tat zu begehen stop über alle Gesetze hinweg stop Sie sind also erlöst von Ihrer penetranten Brücke und ich hoffe, daß es Ihnen gut gehen wird, während ich mich in meine Einsamkeit zurückziehe, um an meinen Memoiren zu arbeiten stop fieberhaft zu arbeiten stop Tag und Nacht stop mit drei Sekretärinnen stop leben Sie wohl stop Ihr« – Er wischt sich einige Tränen aus den Augen. Und was die Depesche kostet, großer Gott – Er zählt. Siebenundachtzig Wörter! Und dringend, also dreifach!

Mrschitzka Bezahlt die Allgemeinheit.

21. Szene

Der Privatpädagoge und seine Frau erscheinen nun strahlend auf der Brücke mit einem gefangenen Riesenfisch.

Privatpädagoge Da! Ein Riesenhecht!

Alle Wir gratulieren!

Privatpädagoge Der Tag beginnt gut und die Nacht war doch so düster. Heut angel ich nimmer! Das ist ein Hecht!

Havlicek Abrakadabra!

Privatpädagoge begeistert: Abrakadabra! Und ihr seid alle eingeladen zu diesem Fang!

Mrschitzka Das wird ein Verlobungsschmaus!

Frau Verlobung?

Szamek  deutet auf Konstantin und Eva: Dort! Das junge Paar!

Privatpädagoge und Frau Wir gratulieren.

Frau Hanusch Na und wir? In vier Wochen heiß ich Frau Havlicek!

Alle Wir gratulieren!

Havlicek Danke!

Eva Und in vier Wochen heiß ich – Zu Konstantin – wie du. Und in sieben Monat – Sie küßt ihn.

Szamek Was?! Schon in sieben Monat?

Mrschitzka Ich gratuliere.

Szamek Na servus!

Frau Hanusch Aber Herr Szamek! Ende gut, alles gut!

Szamek Ich hab ja immer schon gewußt, daß die Leut dort drüben einen falschen Charakter haben!

Privatpädagoge Das junge und das noch jüngere Paar – sie leben hoch!

Alle Hoch! Hoch! Hoch!

22. Szene

Finale

Havlicek

Daß ich das noch durft erleben,
Daß es solche reine Freuden gibt!
Plötzlich ist die Grenz gefallen,
Ich darf mit den andern allen
In der alten, niegekannten Heimat leben,
Die man ohne Grenzen liebt!

Szamek

Ohne Grenzen, ohne Grenzen
Gäb es keinen Staat und keine Ordnung in der Welt.
Wir tun von den Grenzen leben,
Also muß es Grenzen geben.
Nein, das wär ein ganz ein arges Gfrett!
Wenn man keine Grenzen, keine Grenzen hätt!

Alle

Ja, das ist wahr,
das ist ganz klar,
So könnts nicht gehn!
Ohne Grenzen, ohne Grenzen
War das Leben gar nicht schön.

Konstantin

Und wenn ein jeder das tät, was er möcht,
Und das unterließ, was er nicht möcht,
Wenn ein jeder so wär, wie er ist,
Na servus! Das wär ein feiner Mist.
Na gute Nacht, das wär ein Erwachen!
Da hätten wir alle nichts zu lachen!

Alle

Ja, das ist wahr,
Das ist ganz klar
So könnts nicht gehn!
Ohne Grenzen, ohne Grenzen
Wär das Leben gar nicht schön.

Frau Hanusch

Die Jugend, die ist allweil keck,
Und räumert gern alle Grenzen weg.
Wir reiferen, gesetzteren Leut,
Wir denken an die Ewigkeit!

Havlicek, Privatpädagoge und seine Frau

Wir denken an die Ewigkeit!

Privatpädagoge

Vor allen Dingen leiden wir
An einem schrecklichen Gewirr
Von Wünschen, Begierden, Gedanken,
Von Trieben, gesunden und kranken,
Gescheiten und dummen,
Geraden und krummen,
Wies heutzutag der Fall ist,
Wo kaum noch wer normal ist.

Havlicek

In Anbetracht solcher Innenleben
Muß es eben Grenzen geben

Alle

Ja, das ist wahr!
Es liegt ganz klar.
Grenzen wird es immer geben,
Denn von den Grenzen tun wir leben.
So ziehen wir die Konsequenz:
Es lebe hoch die schöne Grenz!


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