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Buchschmuck

Herbst

Der Berg war noch ganz in Nebel gehüllt. Dicht zu, und man sah nicht die Hand vor den Augen. Vor einem, hinter einem, rings Nebel. Natürlich war auch das Dorf nicht zu sehen. Es lag wie ein Geheimnis versteckt, eingehüllt in den Nebel, ganz vergraben in ihm. Nur seine Glocke klang aus dem Grauen. Sie läutete den »Herbst« ein. Die Wingerte waren von diesem Augenblick an »wieder offen«; es durfte »gelesen« werden.

Schon eine Stunde vorher war man vor den Häusern und in den Höfen mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen. Die letzte Hand nun an Bütten und Fässer, noch einmal geschwenkt alles, geleert, die Bütten gestülpt. Was man im Weinberge brauchte, wurde aufgeladen, das andere wurde an die Wand oder ins Kelterhaus gestellt.

Und bald scharrten die Pferde im Hofe. Noch die große Bütte hinauf auf den Wagen, die Kette angespannt; – dann fertig!

Der Knecht zündete seine Pfeife an. »Fertig!« rief er, »'s kann losgehe!«

Und er schwang die Peitsche und ließ sein bestes Knallen hören. Dann rief's in die Küche, wo Leser und Leserinnen versammelt waren: »Der Hannadam is fertig«, und alle traten heraus. Alle fein stolz, in blauen Leinenschürzen, frischgewaschen oder funkelnagelneu. Die Mädchen hatten das wollene Tuch um den Kopf, den Eimer im Arm oder den Zuber, und die froren, – und 's froren fast alle – hatten die Hände unter die Jacke oder unter die Schürze gesteckt.

Dann noch einmal der Ruf: »'s kann losgehe!« und der Wagen fuhr voraus, die Herbstleute gingen ihm nach. Ihnen voraus sprangen die Buben der Herrschaft. Sie hatten kleine grüne Butten auf dem Rücken, Kalkpfeifen im Munde. Sie rauchten wohl kalt; aber es lag ihnen doch im Sinne: wenn der Vater nit in den Wingert kommt, wirds Pfeifchen auch einmal gestopft!

Aber zunächst – 's war »Herbst!« Hurra!

Es ging nur langsam voran. Dann zog der Hannadam seinen Gäulen eins über, daß sie mit einem Sprunge anzogen. Er fuhr nun ein gutes Stück voraus. Er ging neben dem Wagen her, die lange Leine fest in den Händen. Mit festen Zügen paffte er aus seinem Nasenwärmer. Aber der Nebel war so schwer heute. Er drückte auf die Brust und benahm den Atem. Es schmeckte nicht.

Einige Male sah er sich nach den Lesern und den Leserinnen um. Er konnte niemand sehen. Er hörte sie nur.

Der Nebel war zu dicht.

Sprachen sie nicht viel heute, spaßten, lachten sie nicht? Er hörte sie nur gedämpft, ganz dünn. Murmelnd, wie hinter einer Wand. Und er ging allein neben seinem Wagen her. Ganz abgeschnitten. Es machte ihm Unbehagen.

Dann und wann kam mal einer gelaufen und warf einen Zuber oder einen Eimer auf den Wagen. Er hatte ihn galant einem Mädchen abgenommen.

Und immer weiter ging's in den Nebel. Jetzt den Berg hinauf. Die Gäule schnauften. Dem Hannadam war die Pfeife ausgegangen. Der Nebel drückte zu sehr, es schmeckte nicht. Und er mußte so schnaufen heut. Es war ihm so bedrückt und beklommen, als ob er einen Zentner auf der Brust trüge. So schwer war ihm, – er wußte gar nicht.

Der vermaledeite Nebel!

Hinter ihm klang noch die Glocke, die Herbstglocke. Aber sie machte gar nicht froh heute. Es war so düster rings, so schwer. So feuchtkalt war's, daß man schauderte.

Der Hannadam reckte sich ein paarmal. Aber es half nicht. Er sank wieder zusammen. Es war ihm, als müsse er gebückt gehen, als gehe er da leichter. Dumpf war ihm und stumpf. Und er keuchte.

Er lauschte von neuem, ob er nichts von denen da hinten hören könne.

Er hörte nichts. Nur den Stock des Buttenträgers hörte er von Zeit zu Zeit, wie er auf den Boden aufstieß, hart und dumpf. Und das Murmeln vernahm er jetzt wieder, als ob da hinten eine Leiche ginge.

Und er lauschte weiter.

Es fiel ihm auf einmal ein, was er diese Nacht geträumt hatte. Er hatte von seiner Mutter geträumt, die sich aufgehängt hatte. Er hatte sie wieder hängen sehen.

Den Traum hatte er nicht gern. Er wollte an was anderes denken. Aber immer wieder sah er das verzerrte Gesicht seiner Mutter. Er fluchte vor sich hin.

Die Seppe hatte ihm heut nicht mal den »Guten Morgen« gewünscht. Sie war wieder juvivallerallera! Er hatte sie noch mit keinem Auge gesehen heut. Sie hätt' doch schon einmal zu ihm kommen können. Sie wußt' doch, daß er bei den Gäulen bleiben mußt'. Bei dem Nebel!

So ging er in Sinnen und Selbstquälerei.

Die Herbstglocke war nun verstummt. Sie waren in den Weinbergen angelangt. Die lagen noch ganz still. Es ging nun steiler den Berg hinauf. Kräftig schlugen die Hufe der Pferde, die Räder knirschten.

»Hurra!« schrieen die Buben der Herrschaft.

Irgendwo gab's Antwort – aus den Wingerten her. Der Hannadam war erstaunt, daß schon Leser vor ihnen in den »Herbst« gefahren waren. Er hieb den Pferden eins hin.

Hinten gab's ein Lachen.

Der Hannadam zuckte zusammen: – die Seppe!

»Hannadam!« rief einer, »die Seppe will dir den ›Gute Morge‹ sagen.«

»Recht!« brummte er zurück, »es wär auch Zeit!«

Die Seppe lachte kreischend.

»Will dir en Kuß gebe!« rief einer, der Stimme nach der Buttenträger.

»Recht!« rief der Hannadam fast freudig.

»Ja, Hannadam, das is vorbei. Den hab ich mir gebe lasse heut Morgen. Gelt Sepp?«

Das hatte der Küferschorsch gerufen.

Die Seppe kicherte.

Der Hannadam knirschte. Er hieb mit seiner Peitsche durch den Nebel. Sagen konnt er jetzt nichts. Er suchte nach einem Wort – aber er fand keins. Er blieb still. Er hieb noch einmal durch den Nebel, so flach und fest, als ginge der Hieb auf den Küferschorsch.

Er hätt' ihm so gern eine hingehauen. Er dachte beständig daran. Es fraß sich immer fester in ihn. Er mußte sich's beständig vorstellen wie das zuginge. So – plumps! Das that ihm wohl. Plumps – noch eine – und plumps, patsch, patsch! Er atmete auf. Das war gut gewesen. Er reckte sich. Hoch die Brust heraus. Ganz frei war ihm. Weit riß er die Augen auf, als müßte er durch den Nebel durchgucken. Den dicken, verdammt dicken Nebel! Er schnaufte.

»Verlossen, verlossen, verlo–o–ssen bin i« – stimmte einer an.

»Und der Hans schleicht umher« – ein anderer.

Und die Seppe kicherte.

»Ich thät mir's nit gefalle lasse, Hannadam!« rief der Buttenträger.

Im Hannadam kochte es von neuem auf. Und die Seppe – das verflixte – – Na wart! Kein Wörtchen redete sie. Immer nur ihr Gekicher. Hätt' sie ihm nit ein Wort sagen können! Hätt' sie ihm nit ein gut Wort geben können! Oder das: hätt' sie sich nit so einen Spaß verbitten sollen! Verbitten! Sakra! 's war ja nur ein Spaß, ganz sicher, nur ein Spaß …

Dem Hannadam glühten die Wangen. Wenn's aber keiner war! Sie hätt' doch dem Kerl eine hinhauen müssen! Mitten ins Gesicht! Einem, der sie küssen wollt. Himmelsakra –!

Aber sie lachte dazu. Sie lachte dazu!

Eine furchtbare Wut auf die Seppe packte ihn. Die schlimmsten Wörter suchte er für sie. Und fluchte. Und verwünschte sie! Als er sich nicht mehr helfen konnte, hieb er den Gäulen eins über, daß sie bäumten.

»Schlag die Gäul nit so, Hannadam! Mein Kuß hab ich doch!« rief der Küferschorsch.

Da riß der Hannadam an der Leine. Die Pferde standen.

Und nun stand der Hannadam mitten unter den Lesern und Leserinnen grad vor dem Küferschorsch.

»Kerl!« sagte er, »Kerl, noch einmal, noch ein Wort, eins, eins – ich schlag dich tot, tot, tot!«

Immer heißer war er geworden, immer lauter. Der Mund war voller Speichel, daß er zischte, und zuletzt schlug ihm vor wilder Aufregung die Stimme über.

Einen Augenblick standen alle still und betroffen, mit großen Augen und offenem Munde. Der Buttenträger nahm den Hannadam am Arm.

»Sei kein Narr, Hannadam! – Jü!« Da zogen die Gäule an, und der Hannadam sprang nach und führte die Leine.

Und nun brach ein vielstimmiges Gelächter aus, und zu oberst quietschte die Stimme der Seppe, daß dem Hannadam ekelte vor ihr.

Er fuhr ruhig weiter, bog mit seinem Fuhrwerk in den Feldweg nach der Seite ein, und gleich hielt er am Wingert seines Herrn.

Buchschmuck

Der Nebel war dünner geworden. Man konnte jetzt wenigstens auf zwanzig Schritte sehen. Der Hannadam hatte die Pferde abgespannt, den Wagen gehemmt und das Geschirr vom Wagen herabgereicht. Die Leserinnen hatten die Oberröcke abgethan, die Hals- und Kopftücher bequemer gebunden – die Leser hatten die Pfeife angezündet und sich einen Schlag ausgesucht. Alle waren jetzt an ihrem Platz. Nur der Hannadam hantierte noch am Wagen. Er sah noch einmal hinab, über die Leute hin. Der Küferschorsch hatte mit der Seppe dieselbe Zeile genommen. Der Lump!

Das Blut stieg ihm zu Kopf. Aber er blieb still. Es war jetzt eine Mattigkeit in ihm, es war ihm zu hart widergegangen vorhin.

Die Pfeife hing ihm schlaff im Munde und kalt.

»Is noch was mitzubringe?« fragte er.

»Nix!« rief's.

Fast niemand sah auf. Alle standen noch unter dem Eindruck von vorhin, wie der Hannadam vor dem Küferschorsch gestanden hatte, so fürchterlich und wild.

Der Küferschorsch blinzte unter seinem Hut herauf zum Hannadam. Der schwang sich auf seinen Rappen. In großem Bogen ritt er um den Wagen herum. Stolz! Und hielt sich stramm. Er war bei den blauen Husaren gewesen, Sakrament! Er! Und so ein armseliger Kerl wie der Küferschorsch! Donner!

Von oben sah er über die Lesenden. Noch sah niemand auf. Der Küferschorsch hob nur den Kopf. Der Hannadam sah's gleich.

Wie garstig ihm der rote Schnurrbart über den Mund hing! Es war fast nichts zu sehen unter seinem Hut als dieser Schnurrbart. Wie er jetzt den Kopf höher hob, blitzten seine Augen heraus, kleine, funkelnde Augen, die stachen. Zwei häßliche, falsche Lichter.

Ein gehässiger Blick zuckte auf den Hannadam.

Er hätte ihn zermalmen mögen. Er hatte sich noch vor keinem gefürchtet. Er war der Küferschorsch, er! und wer mit ihm anfing, gute Nacht dem!

Aber nun war er der Blamierte. Wie ein Schulbub hatte er vor dem Hannadam gestanden. Vor dem …! Hätt er ihm doch gleich eins hingeschmissen, so mit aller Wucht, daß er zusammengefallen wäre. Hingetorkelt, nur so getorkelt. Aber er wollt's ihm schon eintränken! Umsonst sollt er ihn nicht blamiert haben! Der! Er fand kein Wort für ihn.

Und vor der Seppe! Die würd er ihm doch abspannen! Dem Leimsieder, dem! Dem Jammerlappen! Pah, den hieb er zu Brei! wenn er nur vorhin gewollt hätte! Ja, wenn er nur gewollt hätte!

Eine ohnmächtige Wut schüttelte den Küferschorsch, eine feige Wut voller Scham.

Er duckte sich tiefer. Er war so schon ein kleiner Kerl. Nun war er ganz hinter dem Rebstock versteckt.

Er griff nach einer Scholle.

Wenn er ihm jetzt eine hinwürfe! Wie er da oben ritt: Husar gewesen! Wenn er ihn gut träfe, so ganz plötzlich, hinterm Stock heraus.

Aber wenn er ihn nicht träfe?! Dann wär er wieder der Blamierte. Zum zweitenmal.

Und er ließ die Scholle wieder los.

Der Hannadam war jetzt im Bogen herum geritten und hatte das Handpferd, den Fuchs, mitgeführt, als wär er in der Schwadron.

»Windhund!« zischte der Küferschorsch.

Aber der Hannadam lächelte. Er hatte es ja nicht gehört. Er lächelte nur in seinem Stolz. Aber die stechenden Schweinsäuglein da unten unterliefen rot. Der Küferschorsch deutete das Lächeln anders.

Jetzt schnalzte der Hannadam mit der Zunge und gab seinem Rappen einen kräftigen Schenkeldruck. Da schlug er einen Trab an, und der Fuchs trabte mit. Der Hannadam wiegte sich im Sattel, auf und nieder – und so lange man sehen konnte – der Nebel war nun in dichten Schwaden vom Hang ins Thal hinunter gezogen – so weit man sehen konnte, sahen ihm die Leute vom Weinberg nach, wie stolz er dahinritt.

»Ein stolzer Kerl, der Hannadam, Himmelsapper!« sagte der Buttenträger.

»Faxerei!« knurrte der Küferschorsch.

»Du mußt ruhig sein, du!« sagte der Buttenträger.

Dies »du!« hatte so scharf und verächtlich geklungen, daß es den Küferschorsch kalt überlief. Dann stieg ihm die Glut zu Kopfe. Er blinzte zur Seppe hinüber. Die lächelte …

Buchschmuck

Als der Hannadam eine Weile fort war, gab's wieder ein paar Späße. Einer erzählte was, einer foppte den anderen. Necken und Lachen, laut und offen von den Mädchen, wenn sie dachten, daß sie's dürften, verstohlen und schämig, wenn's zweifelhaft war.

Der Küferschorsch blieb anfangs still. Er wagte sich noch nicht heraus. Er fühlte noch zu stark seine Niederlage, und er fürchtete, keinen Anklang bei den anderen zu finden. Nur der Seppe war er still gefällig, schnitt ihr so viel Trauben in den Zuber, daß sie halb so viel zu thun hatte als die anderen. Und kam der Buttenträger, stand sie immer schon eine Weile bereit, ihren Zuber in die Butte zu leeren. Der Küferschorsch aber schnitt noch eilig darauf zu, daß auch sein Eimer voll wurde.

Die Buben der Herrschaft suchten nun morsche Pfähle, Strohbänder und dürres Laub zusammen zündeten ein Feuer an. Herbstfeuer – da und dort in den Wingerten brannten schon welche. Der Buttenträger band ihnen in der freien Zeit, die er hatte, wenn er seine Butte in die große Traubenbütte geleert hatte, Strohbüschel an Pfähle und zündete sie an. Mit diesen Fackeln liefen die Buben durch den Weinberg und sangen und schrieen Hurra! Die Herbstlust hatte sich eingestellt. Es wurde gesungen und gejauchzt und geschossen mit kleinen Pistolen und großen, alten, gefährlichen Karabinern, als sollte der Kaiser einziehen.

Ein fröhlich Leben – die ganze Freudigkeit der Leute befreit. Losgebunden alle, ausgelassen. Die Männer wie die Buben. Scherze und Lieder, Jauchzer und spaßige Zurufe. Von Weinberg zu Weinberg. Über den ganzen Hang hin. Und hell, langgezogen die sentimentalen Liebeslieder der Mädchen.

Der Küferschorsch hatte den Moment vorsichtig abgepaßt, wo er mitthun konnte. Ein Scherzwort erst nur – und mählich wurd's mehr.

Er war sicher jetzt – in der allgemeinen Lustigkeit war die Sache von vorhin schon vergessen worden. Man dachte eben nicht daran. Man hatte Besseres zu thun.

Er erzählte eine freche Geschichte. Man lachte.

»O du!« sagte die Seppe.

»Na, Schätzche –« kicherte der Küferschorsch.

»Oho! Küferschorsch!« rief einer, »Wart, wenn der Hannadam wieder kommt!«

Der Küferschorsch lauschte gespannt, um den Ton recht zu verstehen. Er war zufrieden, und er setzte ein: »Man muß doch en Spaß verstehe!«

»Meiner Seel«, sagte die Seppe.

»Der Hannadam hätt' nit gleich so aus dem Häusche zu komme brauche«, sagte ein Mädchen.

Da wußte der Küferschorsch, daß er gewonnen Spiel hatte.

»Wann er wieder kommt, soll er einmal tüchtig aufgezoge werde«, sagte er. »Wart nur, ich will's schon mache.«

»Aber gieb acht, 's wird dich ein Buckel voll koste«, warnte einer.

Das stachelte den Küferschorsch. »Ein Buckel voll, mich?« und er richtete sich auf. Er machte eine Faust und drohte. »Mich, Herrgott, da müßt' ich der Küferschorsch nit sein! Mich!« und er guckte aufgeschwollen nach allen Seiten.

»Na, 's ist zu probiere!«

Es war alles wieder gut. Der Fall war vergessen. Der Küferschorsch schäkerte mit der Seppe. Es that ihr wohl. Sie wehrte ihm zwar – aber das war nicht ernst gemeint. Sie lockte ihn so halb dabei.

»Wann der Hannadam wieder da ist, wirst du's fein bleibe lasse«, spottete einer.

»Ich! Du wirst dich vergucke! Wir zwei – nit Seppe – wir zwei! Und du giebst mir doch auch ein Kuß –«

Inzwischen war eine Magd mit dem Frühstück gekommen. Man setzte sich ans Feuer. Es gab Wurst und Schinken und Käse. Und Kaffee gab's und Schnaps.

Alle hieben tüchtig ein. 's gab kein Mittagessen heut, um vier Uhr wieder was Tüchtiges, dazwischen nichts. Man aß Trauben und nahm dann und wann einmal einen Schluck Schnaps. Da brauchte man kein Mittagessen. Um so besser schmeckte das Vesperbrot.

Der Schnaps regte immer mehr an. Man wurde ungebundener.

»Wann der Hannadam kommt, Seppe, mußt du mir ein Kuß gebe«, schlug der Küferschorsch vor.

»Aber ein saftige, daß es schmatzt.«

»Ei gewiß«, sagte die Seppe. »Aber Narrheite – wann's ein bös End nimmt!«

»Höchstens ein Buckel voll für den Küferschorsch!«

»Da muß der aber auch dabei sein!« sagte er.

Unterm Mittag kam der Hannadam.

Mit einem Hallo wurde er begrüßt.

Es war nun ganz ruhig in ihm. Er hatte den Vorfall vom Morgen nun von einer ganz anderen Seite betrachtet. Als er heimgeritten war, hatte er darüber nachgedacht. Lächerlich! Er hatte sich über sich selbst geärgert. Man mußte doch einen Spaß verstehen! Daß er so dumm hitzig geworden war! Er schämte sich fast.

Und deshalb einen Haß – nein! Er hatte doch die ganze Zeit gut gestanden mit dem Küferschorsch. Und wenn der mal einen Spaß hat machen wollen –!

Auch der Seppe wollte er nicht weiter bös sein. Was hatte sie denn Gescheiteres thun können als mitmachen! Es war ja dumm! Nein, es sollte alles vorbei sein, alles vergessen.

So gesinnt kam er in den Wingert. Und er schwenkte seinen Hut und stimmte fröhlich in das Hallo ein.

Der Buttenträger trat zu ihm. »'s ist Herbst, Hannadam. Da muß man halt lustig sein und mitmache und auch ein Spaß verstehe. Aber jetzt hätt' ich gern ein bißche Feuer nötig. Ich hab schon mein ganz Schachtel Streichhölzer für die Bube verstriche.«

Der Buttenträger zündete seine Pfeife an.

Der Hannadam überblickte die Lesenden. Der Küferschorsch und die Seppe in derselben Zeile. Am selben Stocke fast.

Es war doch nicht ganz vorbei in ihm. Es wachte wieder auf. Langsam kroch's hervor. Erst das Mißtrauen gegen die Seppe. Dann schlugs auf – – der Haß! Der Haß gegen den Küferschorsch!

Der Buttenträger nahm ihn am Arm und zog ihn auf die Seite. Er that ein paar kräftige Züge, schwer und lappend, als wollt' er weit ausholen zu was recht Schwerem und Ernstem. Dann flüsterte er dem Hannadam ins Ohr:

»Kalt Blut, immer kalt Blut. Das Mädche, das man kriege soll, das kriegt man doch. Und kriegt man's nit, hat man's halt nit kriege solle. Man findet dann anderswo sein Kreuz. Nur kalt Blut – 's kommt alles auf eins heraus.«

Der Hannadam nickte. Dann suchte er sich einen Platz. Er nahm die Zeile hinter dem Küferschorsch, daß er die Seppe immer sehen konnte.

Bald ging das Necken wieder an.

»Du hättst noch gar kein Kuß kriegt von der Seppe, noch zu Lebtag nit«, hetzte ein Mädchen. »Sie wüßt gar nit, was du auf einmal wolltst.«

Der Hannadam blieb noch still.

»Wann das aber so ist – o geh, das wär doch gar zu arm«, setzte ein anderes fort.

»Er wird aber doch schon einen kriegt haben, die Seppe wird's nur nit sage wolle.«

»Halt die Mäuler!« verwies der Buttenträger. »Wann sich zwei küssen wolle, küssen sie sich, das geht kein was an. Halt die Mäuler!«

Einen Augenblick war's wirklich still, denn der Buttenträger hatte ernst geredet.

In dem Hannadam aber gärte es. Er biß sich auf die Lippen, daß sie schmerzten. Und die Hand hielt die Schere so fest, als wollte sie sie zerdrücken.

Aber er konnte nichts thun. Nichts thun, nichts sagen. Das Leben war ihm verleidet. Das ganze Leben. Daß er heut der Spielball sein mußte! Allen zum Gespött! Es nagte an ihm. Er fluchte vor sich hin. Und wegen der Seppe! Und daß die auch noch ihre Freude daran hatte!

Er schaffte wild weiter. Es lag etwas Furchtbares in ihm. Etwas Grausames. Aber es lag fest und versteckt, und es quälte ihn so sehr, weil es nicht heraus konnte. Weil er gar nicht wußte, was es war. Als ob ihm der Kopf zugenagelt wäre, war ihm.

Er hätte brüllen mögen wie ein Stier. Sterben hätt er mögen. Verzucken, Stück um Stück.

Es that ihm einen Augenblick wohl, sich einen wachsenden Schmerz vorzustellen. Dann genügte ihm das nicht mehr. Er wünschte, daß ihn ein Blitz träfe – ein Zuck, und er schlüge hin, von allem befreit. Von diesem ganzen lumpigen Leben!

Oder nein – nein! – er hätte über sie herfallen mögen, über sie alle – über sie alle miteinander.

Und über den Küferschorsch! Der hatte noch kein Wort geredet. Kein Wort, nein – aber er war an allem schuld. Er war der Anstifter. Er hatte ihn lächerlich gemacht! Er! Und wer konnt's wissen – am End war das mit der Seppe – das mit der Seppe – –

Der Hannadam zog tief den Atem ein. Er mocht's nicht denken. Aber es wurde dennoch laut in ihm. Am End war das mit der Seppe nicht Spaß – war Ernst! Und war schon alles fertig. Und er war der Gefoppte, der Blamierte. Der Betrogene und Ausgelachte! Aber dann – dann Gnade dem Küferschorsch! Dann!! – –

Der Buttenträger kam mit dem Schnaps. Der Hannadam trank. Der Buttenträger ging in die nächste Zeile und reichte die Buttel dem Küferschorsch.

»Erst die Seppe«, sagte der.

Die Seppe trank. Dann trank der Küferschorsch. Der Hannadam guckte ihm zu. Wie gierig er die Lippen an den Flaschenrand that, gerade an die Stelle, wo die Seppe getrunken hatte.

»Wart Kerl, es soll dir sauer werde!« brauste es in dem Hannadam auf.

Der Küferschorsch sah ihn an.

»Ah!« schmatzte er und strich sich über den Bauch. Dann wischte er sich ein paarmal zärtlich den Mund ab. Es hatte ihn schon die ganze Zeit gekitzelt, dem Hannadam eine Stichelrede zu sagen. Jetzt paßte es.

»Schmeckt doch grad wie der Kuß von der Seppe.« Er grinste und guckte triumphierend rundum.

»Lügemaul!« knirschte der Hannadam.

Jetzt schwoll dem Küferschorsch der Kamm.

»Na du – du hast doch zu Lebtag noch kein kriegt!«

» Du mußt's ja wisse!«

»Von dir thät sich die Seppe doch nit küsse lasse!«

»Du Lackel!«

»Ja, du Lackel!«

Die beiden standen drohend einander gegenüber.

»Sag's noch einmal!«

»Noch einmal? Wann du's hör'n willst: du Lackel!«

Der Küferschorsch holte zum Schlag aus. Aber der Buttenträger sprang dazwischen. Auch die Seppe war herangesprungen und hatte den erhobenen Arm gefaßt.

»Ihr Narr'n!« schrie sie.

Der Hannadam hatte sich jetzt schon wieder gebückt und schnitt Trauben. Der Buttenträger stand noch zwischen ihm und dem Küferschorsch.

»Macht kein Dummheite«, sagte er begütigend. »So darf man ein Spaß nit ausarte lasse. – Jetzt aber wollen wir vespern.«

Droben am Wagen stand schon die Magd mit dem Essenkorb. Wieder wurden Strohbänder abgeschnitten, morsche Pfähle wurden zusammengebrochen und angezündet. Man setzte sich ans Feuer.

Als alle aßen, sagte der Buttenträger: »So, jetzt wird einmal getrunke, und dann wollen wir wieder lustig sein!«

Er öffnete den Weinkrug und schenkte ein. Das Schoppenglas ging im Kreise herum.

»Wein ist doch ganz was anders als Schnaps«, lobte einer. Der Buttenträger wußte es nun so einzurichten, daß der Küferschorsch ganz zu Anfang trank, später der Hannadam und ganz zuletzt die Seppe.

Dann wurde gesungen. Und die Buben jauchzten und schrieen Hurra! Und von überall her kam frohe Antwort. Und Schüsse rings und lodernde Feuer. Das Leben, das den ganzen Tag nicht ausgesetzt hatte, war nun am lautesten. Überall war Vesperstunde.

Der Wingertschütz ging jetzt vorbei. Er bekam eingeschenkt, und auch einen »Reiter« nahm er an. Und dann erzählte er eine Schnurre. Es kam ein bißchen knollig, aber zum Schluß riefen ihm die Mädchen wie die Männer Bravo! Und der Schütz ging zufrieden weiter. Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal um, nahm die Pfeife aus dem Munde und lachte meckernd.

»Prost, Melcher!« rief ihm einer nach.

»Prost!« rief er zurück.

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In dem Hannadam brannten giftige Flammen. Zehrend, immer wieder unterdrückt. Und immer wieder schwälten sie auf. Aus allen Poren gerade zu. Und sie hatten Besitz vom ganzen Menschen.

Aber auch im Küferschorsch bohrte der Wurm. Recht niederdrücken möcht er den Hannadam, recht blamieren. Triumphieren wollt er über ihn – mit der Seppe. Grad mit der Seppe, daß er allen zum Hohn wäre, zum Spott und Gelächter.

Ausgestochen!

In dem Küferschorsch kicherten sieben Teufel, wenn er sich das vorstellte. Wenn er sich den Triumph leisten könnte – ihn ausstechen! Ordentlich froh ward ihm und warm. Er sann nach.

Die Sonne war nun schon weiter nach Westen gerückt. Wolken zogen auf. Dort drüben am Niederwald hing ein grauer Streifen. Wind hatte sich erhoben. Feuchter Herbstwind, der scharf über den Hang strich. Und die dürren Blätter raschelten. Und ein paar flogen im Winde.

Rasch kam nun der Abend.

Eine fahle Beleuchtung lag auf der Erde. Ein Grau, das die gelben Blätter noch gelber, die paar übrigen grünen bleich erscheinen ließ.

In ein paar Wingerten war schon Feierabend gemacht. Die Leser zogen heim. Sie sangen – hell-quietschend die Weiber, fest und feurig die Männer. Die Weinfreude sang in ihnen. Wieder mal Trauben in der Bütt! Trauben! – Wein! Rheinisch Blut – Lebenslust!

Am Rhein, am Rhein, da wachsen Reben,
Und an den Reben edler Wein!
Am Rhein, am Rhein, da will ich leben,
Und nur am Rhein begraben sein!

variierten sie das Lied.

»Nit bald Feierabend?« rief's vom Wege.

»Bald, nur noch ein bißche!«

Der Buttenträger ging wieder mit der Schnapsbuttel um.

»Prost, Seppche!« sagte der Küferschorsch und winkte ihr mit der Flasche zu.

»Prost!« sagte die Seppe.

»Trink erst!« sagte der Küferschorsch und hielt die Flasche hin.

»Macht kein Narrheite!« sagte der Buttenträger und ging mit den Buben an den Wagen, um ihnen neue Strohfackeln für den Heimweg zu binden.

Die Seppe nahm die Flasche. Sie grinste. Ihre Zähne blinkten.

»Seppe!« schrie der Hannadam. Weit riß er die Augen auf.

Die Seppe schlug ein Gelächter an.

»Warum nit?« – Und sie trank.

»Seppe!!«

»Ah – gutche!« schmatzte der Küferschorsch. Er hatte nach ihr getrunken.

Den Hannadam hob's in die Höhe. Er verlor den Boden unter den Füßen. Er meinte in der Luft zu schweben. Er meinte in der Luft zu hängen, nichts über sich, nichts unter sich. Er griff um sich. Ein dürres Blatt flog ihm ins Gesicht. Er hielt's in der Hand und betrachtete es abwesend.

Er starrte wie irr. Er war wie gebannt. Nichts bewegte sich in ihm. Seine Muskeln waren starr. Seine Augen, seine Augen brannten, flammten, wuchsen, als wollten sie aus ihren Höhlen springen.

»Narr!« sagte die Seppe.

»Guck nit so!« sagte der Küferschorsch. »Verheirat' seid Ihr ja doch nit!«

»'s is zum Lache, rein zum Lache!« höhnte die Seppe.

In dem Küferschorsch sank etwas zusammen.

Die Seppe wurde lustig.

»Kein Spaß gönnt der ei'm.«

»Ja! – So einer! – Und wann sie mir ein Kuß gäb?«

»Dann!« schrie der Hannadam.

»Na, dann?« fragte die Seppe schnippig.

Sie lachte. Jetzt machte ihr der Gedanke Spaß, den Hannadam so hitzig zu sehen. Sie freute sich, wenn die zwei mal aneinander kämen! Sie hatte sie beide in der Hand. Beide stritten um sie. Und der Hannadam war ganz wild. Beide begehrten sie. Sie!

»Thu's – thu's!« keuchte der Hannadam.

Sie lachte grell, daß es weit schallte.

»Na, na, na!« mahnte der Buttenträger vom Wagen aus.

Die anderen standen grinsend umher. Jetzt war's ernst. Man war gespannt, wie's ausginge.

»Wann ich's thu? – Na, wann

Die Seppe lachte noch lustiger, übermütiger. Sie warf sich in die Brust. Ihre Wangen brannten. Der Übermutsteufel, der Eitelkeitsteufel hatte sie gepackt. Ihre Blicke waren Schlangen, schillernde, zischelnde Schlangen. Sie stemmte die Arme in die Hüften. Sie war nicht schön. Aber sie war ein gesundes, festes, strotzendes Bauernmädchen. Und jetzt verlangenerweckend.

»Da, Schorsch!« – Sie küßte ihn.

Der Hannadam schrie auf. Der Küferschorsch that einen Luftsprung. Er klatschte in die Hände.

»Gewonne! Gewonne!!«

Da war der Hannadam aus seiner Starre erlöst, als wenn etwas in ihm gerissen wäre. Bewegung kam in ihn. Sein Blut sang. Wie Schellen klang's ihm in den Ohren.

Ein Zuck jetzt – ein Ruck! –

Er kannte sich nicht mehr.

Er riß einen Pfahl aus – er schwang ihn hoch überm Kopf – und nun – wie ein Blitz so rasch, mit aller Wucht – ein Schlag auf den Küferschorsch. Lautlos brach der zusammen.

Er lag vor dem Hannadam und vor der Seppe, ein Klumpen. Die anderen waren herbeigesprungen.

»Jesses!« schrie die Seppe. »Ich hatt' ja nix mit ihm!«

Und sie fiel den Hannadam an.

Der Buttenträger war herbeigesprungen. Der Küferschorsch wurde aufgehoben und längs hingelegt. Zum Hannadam sagte keiner ein Wort. Alle schwiegen im Gefühl eigener Mitschuld.

Da war's dem Hannadam wie ein Erwachen.

Er warf den Pfahl hin und starrte regungslos auf den Toten.

Etwas Seltsames geschah in dem Augenblick. Der Himmel war ein Blutmeer. Als ob der Niederwald weit dahinten in Flammen stünd. Ein rotes, rotes Blutmeer, der ganze Westen.

Und sein Widerschein fiel auf das Rebengelände. Alles war rot gefärbt. Die Nußbäume waren rot und die Gesichter der Menschen. Nur das gelbe, dürre Laub war totfahl. Und das Gesicht vom Küferschorsch, das rote Haar, der rote Schnurrbart.

Alle waren starr bei dem seltsamen Schauspiel.

»Das Weltgericht!« sagte ein Mädchen.

Da war's auch schon wieder vorbei. Der feine Nebel, der im Abendrot geleuchtet hatte, sank zur Erde. Es regnete fein und sacht.

Der Hannadam spuckte aus. Sein Gesicht verzerrte sich. Er sah die Seppe an. Seine Lippen zuckten voll Verachtung. Er spuckte vor ihr aus.

Es läutete Feierabend im Dorf.

Der Küferschorsch war tot.

Die Männer machten aus Pfählen eine Tragbahre.

Dem Hannadam war durch den Sinn gegangen, davonzurennen.

Mit der Seppe war er fertig. Mit dem Leben.

Aufhängen!

Nein – nicht – – und er blieb. Er wollte bleiben.

Unbeweglich stand er.

»Ich hab's gethan, ich, ich!« schrie er.

Das Letzte in ihm war befreit. Wie einem Menschen Auge in Auge, stand er seiner Schuld gegenüber. Er zuckte nicht.

Die Mädchen weinten und jammerten.

Der Küferschorsch lag auf der Bahre, auf Reben und dürrem Laub. Die Männer trugen ihn fort.

Der Hannadam ging hinterher. Schlaff hingen ihm die Arme herab. Er schritt bedächtig. Immer grad hinter der Leiche.

Es war ganz ruhig in ihm. Ganz klar und still und ergeben.

Der Nebel war herabgerieselt. Der Mond ging auf – im wachsenden Licht. Langsam kamen die Sterne.

Und schweigend ging's mit dem Erschlagenen dem Dorfe zu, das im Frieden lag.

Buchschmuck


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