Hugo von Hofmannsthal
Die Frau ohne Schatten
Hugo von Hofmannsthal

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Erster Aufzug

Auf einem flachen Dach über den kaiserlichen Gärten.
Seitlich der Eingang in Gemächer matt erleuchtet

Amme (kauernd im Dunkel)
Licht überm See –
ein fließender Glanz –
schnell wie ein Vogel! –
Die Wipfel der Nacht
von oben erhellt –
eine Feuerhand
will fassen nach mir –
bist du es, Herr?
Siehe, ich wache
bei deinem Kinde,
nächtlich in Sorge und Pein!

Bote (tritt aus der Finsternis hervor, geharnischt, von blauem Licht umflossen)
Nicht der Gebieter,
Keikobad nicht,
aber sein Bote!
Ihrer elf
haben dich heimgesucht,
ein neuer mit jedem schwindenden Mond.
Der zwölfte Mond ist hinab:
der zwölfte Bote steht vor dir.

Amme (beklommen)
Dich hab' ich nie gesehn.

Bote (streng)
Genug: ich kam
und frage dich:
wirft sie einen Schatten?
Dann wehe dir!
Weh uns allen!

Amme (triumphierend, aber gedämpft)
Keinen! Bei den gewalt'gen Namen!
Keinen! Keinen!
Durch ihren Leib
wandelt das Licht,
als wäre sie gläsern.

Bote (finster)
Einsamkeit um dich,
das Kind zu schützen.
Vom schwarzen Wasser
die Insel umflossen,
Mondberge sieben
gelagert um den See –
und du ließest, du Hündin,
das Kleinod dir stehlen!

Amme
Von der Mutter her
war ihr ein Trieb
übermächtig
zu Menschen hin!
Wehe, daß der Vater
dem Kinde die Kraft gab,
sich zu verwandeln!
Konnt' ich einem Vogel
nach in die Luft?
Sollt' ich die Gazelle
mit Händen halten?

Bote
Laß mich sie sehn!

Amme (leise)
Sie ist nicht allein:
Er ist bei ihr.
Die Nacht war nicht
in zwölf Monden,
daß er ihrer nicht hätte begehrt!
Er ist ein Jäger
und ein Verliebter,
sonst ist er nichts!
Im ersten Dämmer
schleicht er von ihr,
wenn Sterne einfallen,
ist er wieder da!
Seine Nächte sind ihr Tag,
seine Tage sind ihre Nacht. –

Bote (sehr bestimmt)
Zwölf lange Monde
war sie sein!
Jetzt hat er sie noch
drei kurze Tage!
Sind die vorbei: –
sie kehrt zurück
in Vaters Arm.

Amme (mit gedämpftem Jubel)
Und ich mit ihr!
O gesegneter Tag!
Doch er?

Bote
Er wird zu Stein!

Amme
Er wird zu Stein!
Daran erkenn' ich Keikobad
und neige mich!

Bote (verschwindend)
Wahre sie du!
Drei Tage! Gedenk!

Kaiser (tritt in die Tür des Gemaches)
Amme! Wachst du?

Amme
Wache und liege
der Hündin gleich
auf deiner Schwelle!

Kaiser (tritt hervor, schön, jung, im Jagdharnisch.
    Es dämmert schwach)

Bleib und wache,
bis sie dich ruft!
Die Herrin schläft.
Ich geh' zur Jagd.
Heute streif' ich
bis an die Mondberge
und schicke meine Hunde
über das schwarze Wasser,
wo ich meine Herrin fand,
und sie hatte den Leib
einer weißen Gazelle
und warf keinen Schatten
und entzündete mir das Herz.
Wollte Gott, daß ich heute
meinen roten Falken wiederfände,
der mir damals
meine Liebste fing!
Denn als sie mir floh
und war wie der Wind
und höhnte meiner –
und zusammenbrechen
wollte mein Roß –,
da flog er
der weißen Gazelle
zwischen die Lichter –
und schlug mit den Schwingen
ihre süßen Augen!
Da stürzte sie hin
und ich auf sie
mit gezücktem Speer –
da riß sich's in Ängsten
aus dem Tierleib,
und in meinen Armen
rankte ein Weib! –
O daß ich ihn wiederfände!
Wie wollt' ich ihn ehren! –
Den roten Falken!
Denn ich habe mich versündigt gegen ihn
in der Trunkenheit der ersten Stunde:
denn als sie mein Weib geworden war,
da stieg Zorn in mir auf
gegen den Falken,
daß er es gewagt hatte,
auf ihrer Stirn zu sitzen
und zu schlagen
ihre süßen Lichter!
Und in der Wut
warf ich den Dolch
gegen den Vogel
und streifte ihn,
und sein Blut tropfte nieder. –

Amme (lauernd)
Herr, wenn du anstellst
ein solches Jagen –
leicht bleibst du dann fern über Nacht?

Kaiser
Kann sein, drei Tage
komm' ich nicht heim!
Hüte du mir die Herrin
und sag ihr: wenn ich jage –
es ist um sie
und aber um sie!
Und was ich erjage,
mit Falke und Hund,
und was mir fällt
von Pfeil und Speer:
es ist anstatt ihrer!
Denn meiner Seele
und meinen Augen
und meinen Händen
und meinem Herzen
ist sie die Beute
aller Beuten
ohn' Ende!

(schnell ab)

Morgendämmerung stärker, man hört Vogelstimmen

Amme (zu einigen Dienern, die sich allmählich um den
    Kaiser versammelt hatten)

Fort mit euch!
Ich höre die Herrin!
ihr Blick darf euch nicht sehn!

(die Diener auf und hinab, lautlos)

Kaiserin (tritt aus dem Gemach)
Ist mein Liebster dahin,
was weckst du mich früh?
Laß mich noch liegen!
Vielleicht träum' ich
mich zurück
in eines Vogels leichten Leib
oder einer jungen,
weißen Gazelle!
O daß ich mich nimmer verwandeln kann!
O daß ich den Talisman verlieren mußte
in der Trunkenheit der ersten Stunde!
Und wäre so gern
das flüchtige Wild,
das seine Falken
schlagen – sieh! –
Da droben, sieh! –
Da hat sich einer
von seinen Falken –
sieh – verflogen!
Oh, sieh doch hin,
der rote Falke,
der einst mich
mit seinen Schwingen –
ja, er ist's!
O Tag der Freude
für meinen Liebsten
und für mich!
Unser Falke,
unser Freund!
Sei mir gegrüßt,
schöner Vogel,
kühner Jäger!
Er hat uns vergeben,
er kehrt uns zurück.
Oh, sieh hin,
er bäumt auf!
Dort auf dem Zweige –
wie er mich ansieht –
von seinem Fittich
tropft ja Blut,
aus seinen Augen
rinnen ja Tränen!
Falke! Falke!
Warum weinst du?

Stimme des Falken (klagend)
Wie soll ich denn nicht weinen?
Wie soll ich denn nicht weinen?
Die Frau wirft keinen Schatten,
der Kaiser muß versteinen!

Kaiserin
Dem Talisman,
den ich verlor
in der Trunkenheit der ersten Stunde,
ihm war ein Fluch
eingegraben –
gelesen einst,
vergessen, ach!
Nun kam es wieder: –

Stimme des Falken
Die Frau wirft keinen Schatten,
der Kaiser muß versteinen!
Wie soll ich da nicht weinen?

Amme (dumpf wiederholend)
Die Frau wirft keinen Schatten!

Kaiserin
Der Kaiser muß versteinen!
    (ausbrechend)
Amme, um alles,
wo find' ich den Schatten?

Amme (dumpf)
Er hat sich vermessen,
daß er dich mache
zu seinesgleichen –
eine Frist ward gesetzt,
daß er es vollbringe.
Deines Herzens Knoten
hat er dir nicht gelöst,
ein Ungebornes
trägst du nicht im Schoß,
Schatten wirfst du keinen.
Des zahlt er den Preis!

Kaiserin
Weh, mein Vater!
Schwer liegt deine Hand
auf deinem Kind.
Doch stärker als andre
noch bin ich!
– – – – – – – –
Amme, um alles,
du weißt die Wege,
du kennst die Künste,
nichts ist dir verborgen
und nichts zu schwer.
Schaff mir den Schatten!
Hilf deinem Kind!
    (Sie fällt vor ihr nieder)

Amme (streng)
Ein Spruch ist getan
und ein Vertrag!
es sind angerufen
gewaltige Namen,
und es ist an dir,
daß du dich fügest!
    (unter der Gewalt ihres Blickes, stockend)
Den Schatten zu schaffen
– – – – – – – –
wüßt' ich vielleicht,
– – – – – – – –
doch daß er dir haftet,
müßtest du selber
ihn dir holen.
Und weißt du auch wo?

Kaiserin
Sei es wo immer,
zeig mir den Weg,
und geh ihn mit mir!

Amme (leise und schauerlich)
Bei den Menschen!
Graust's dich nicht?
Menschendunst
ist uns
Todesluft.
Dies Haus, getürmt
den Sternen entgegen,
emporgetrieben spielende Wasser
buhlend um Reinheit
der himmlischen Reiche!
Uns riecht ihre Reinheit
nach rostigem Eisen
und gestocktem Blut
und nach alten Leichen!
Und nun von hier
noch tiefer hinab!
Dich ihnen vermischen,
hausen mit ihnen,
handeln mit ihnen,
Rede um Rede,
Atem um Atem,
erspähn ihr Belieben,
ihrer Bosheit dich schmiegen,
ihrer Dummheit dich bücken,
ihnen dienen!
Graust's dich nicht?

Kaiserin (sehr bestimmt und groß)
Ich will den Schatten!
    (mit großem Schwung)
Ein Tag bricht an!
Führ mich zu ihnen:
ich will!

fahles Morgenlicht

Amme
Ein Tag bricht an,
ein Menschentag.
Witterst du ihn?
Schaudert's dich schon?
Das ist ihre Sonne:
der werfen sie Schatten!
Ein Verräter Wind
schleicht sich heran,
an ihren Häusern
haucht er hin,
an ihren Haaren
reißt er sie auf!

allmählich Morgenrot

– – – – – – – –
    (voll Hohn und Geringschätzung)
Der Tag ist da,
der Menschentag –
ein wildes Getümmel,
gierig – sinnlos,
ein ewiges Trachten
ohne Freude!
    (wild und haßerfüllt)
Tausend Gesichter,
keine Mienen –
Augen, die schauen,
ohne zu blicken –
Kielkröpfe, die gaffen,
Lurche und Spinnen –
uns sind sie zu schauen
so lustig wie sie!
– – – – – – – –
Sie zu fassen
verstünde ich schon –
mich einzunisten –
ihnen Streiche zu spielen
im eigenen Haus –
ist mein Element!
Diebesseelen sind ihre Seelen –
so verkauf' ich
einen dem andern!
Eine Gaunerin bin ich
unter Gaunern,
Muhme nennen sie mich
und Mutter gar!
Ziehsöhne hab' ich
und Ziehtöchter viel,
hocken wie Ungeziefer auf mir!
Warte, du sollst was sehn!

Kaiserin (ohne auf die Amme zu achten)
Weh, was faßt mich
gräßlich an!
Zu welchem Geschick
reißt's mich hinab?

Amme (dicht an ihr)
Zitterst du?
Reut dich dein Wünschen?
Heißest uns bleiben?
Lässest den Schatten dahin?

Kaiserin
Mich schaudert freilich,
aber ein Mut
ist in mir,
der heißt mich tun,
wovor mich schaudert!
Und kein Geschäfte
außer diesem,
das wert mir schiene
besorgt zu werden!
Hinab mit uns!

Das Morgenrot flammt voll auf

Amme
Hinab denn mit uns!
Die Geleiterin hast du
dir gut gewählt,
Töchterchen, liebes,
warte nur, warte!
Um ihre Dächer
versteh' ich zu flattern,
durch den Rauchfang
weiß ich den Weg,
und ihrer Herzen
verschlungene Pfade,
Krümmen und Schlüfte,
die kenne ich gut.

Sie tauchen hinab in den Abgrund der Menschenwelt,
das Orchester nimmt ihren Erdenflug auf.
Der Zwischenvorhang schließt sich rasch.

Verwandlung

Im Hause des Färbers. Ein kahler Raum, Werkstatt und Wohnung in einem. Hinten links das Bett, hinten rechts die einzige Ein- und Ausgangstür. Vorne die Feuerstätte, alles orientalisch-dürftig. Gefärbte Tücher an Stangen zum Trocknen aufgehängt da und dort; Tröge, Eimer Zuber, an Ketten hängende Kessel, große Schöpflöffel, Rührstangen, Stampfmörser, Handmühlen; Büschel getrockneter Blumen und Kräuter aufgehängt, anderes dergleichen an den Mauern aufgeschichtet, Farbmassen in Pfützen auf dem Lehmboden; dunkelblaue, dunkelgelbe Flecke da und dort.

Beim Aufgehen des Vorhanges liegt der Einäugige auf dem Einarmigen, würgt ihn. Der Junge, Verwachsene sucht den Einäugigen wegzureißen. Die Färbersfrau kommt von rückwärts herzu, sucht nach einem Zuber, die Streitenden mit Wasser zu beschütten.

Einäugiger (schlägt auf den unter ihm Liegenden)
Dieb! Da nimm!
Unersättlicher Nehmer!

Einarmiger (unten, röchelnd)
Reiß ihn nach hinten!
Hund den! Mörder!

Buckliger
Zu Hilfe, Bruder!
Sie würgen einander!

Frau (beschüttet sie)
Schamlose ihr!
Eines Hundes Geschick über euch!

Die drei Brüder, auf das Tun der Frau, auf und
auseinander; fauchen, an der Erde hockend, gegen die Frau.

Einäugiger
Willst du uns schmähen, Hergelaufene!
Du Tochter von Bettlern, wer bist denn du?
Unser waren dreizehn Kinder,
aber für jeden Armen, der kam,
standen die Schüsseln und dampften von Fett!

Buckliger
Was hebst du die Hand gegen uns, du Schöne,
bist doch unserm Bruder mit Lust zu Willen!

Einarmiger
Laß sie, Bruder, was ist ein Weib!

Barak, der Färber tritt eben in die Tür.

Frau
Aus dem Haus mir mit diesen!
Du, schaff sie mir fort!
Oder es ist meines Bleibens nicht länger bei dir!

Barak (gelassen)
Hinaus mit euch!
Ist Zeug zum Schwemmen
zehn Körbe voll,
was lungert ihr hier?

Die drei Brüder gehen ab.
Barak schichtet gefärbte Tierhäute übereinander zu einem
mächtigen Haufen.

Frau
Sie aus dem Hause,
und das für immer,
oder ich.
Daran will ich erkennen,
was ich dir wert bin.

Barak (weiter schaffend)
Hier steht die Schüssel,
aus der sie sich stillen.
Wo sollten sie herbergen,
wenn nicht in Vaters Haus?

Frau schweigt böse
Barak wie vorher ohne aufzusehen

Kinder waren sie einmal,
hatten blanke Augen, gerade Arme,
einen glatten Rücken.
Aufwachsen hab' ich sie sehn
in Vaters Haus.

Frau (ihn höhnend)
Für dreizehn Kinder
standen die Schüsseln
dampfend vor Fett –
kam noch ein Bettler,
Platz war für jeden!
    (Sie hält sich die Ohren zu.)

Barak (holt ein Tau, den Pack zu schnüren; hält inne,
    sieht sie an)

Speise für dreizehn,
wenn es not tut,
schaff' ich auch
mit diesen zwei Händen!
    (hat sich aufgerichtet, steht dicht bei ihr)
Gib du mir Kinder, daß sie mir hocken
um die Schüsseln zu Abend,
es soll mir keines hungrig aufstehn.
Und ich will preisen ihre Begierde
und danksagen im Herzen,
daß ich bestellt ward,
damit ich sie stille.
    (Er tritt näher rührt sie leise an.)
Wann gibst du mir
die Kinder dazu?

Die Frau hat sich abgekehrt; wie er sie anrührt, schüttelt sie's.

Barak (arglos, behaglich)
Ei du, 's ist dein Mann, der vor dir steht –
soll dich der nicht anrühren dürfen?

Frau (ohne ihn anzusehen)
Mein Mann steht vor mir! Ei ja, mein Mann,
ich weiß, ei ja, ich weiß, was das heißt!
Bin bezahlt und gekauft, es zu wissen,
und gehalten im Haus
und gehegt und gefüttert,
damit ich es weiß,
und will es von heut ab nicht wissen,
verschwöre das Wort und das Ding!

Barak
Heia! Die guten Gevatterinnen,
haben sie nicht die schönen Sprüche
gesprochen über deinen Leib,
und ich hab' siebenmal gegessen
von dem, was sie gesegnet hatten,
und wenn du seltsam bist
und anders als sonst –
ich preise die Seltsamkeit
und neige mich
zur Erde
vor der Verwandlung!
O Glück über mir
und Erwartung
und Freude im Herzen!
    (Er kniet nieder zur Arbeit.)

Frau
Triefäugige Weiber, die Sprüche murmeln,
haben nichts zu schaffen
mit meinem Leib,
und was du gegessen hast vor Nacht,
hat keine Gewalt über meine Seele.
    (leise)
Dritthalb Jahr
bin ich dein Weib –
und du hast keine Frucht
gewonnen aus mir
und mich nicht gemacht
zu einer Mutter.
Gelüsten danach
hab' ich abtun müssen
von meiner Seele:
Nun ist es an dir,
abzutun Gelüste,
die dir lieb sind.

Barak (mit ungezwungener Feierlichkeit und Frömmigkeit des Herzens)
Aus einem jungen Mund
gehen harte Worte
und trotzige Reden,
aber sie sind gesegnet
mit dem Segen der Widerruflichkeit.
Ich zürne dir nicht
und bin freudigen Herzens,
und ich harre
und erwarte
die Gepriesenen,
die da kommen.

Barak hat den gewaltigen Pack zusammengeschnürt, hebt ihn
auf den Herd und lädt ihn von da, indem er sich bückt und das
Ende des Strickes vornüberzieht, auf seinen Rücken, beladen
richtet er sich auf.

Frau (finster vor sich)
Es kommen keine
in dieses Haus,
viel eher werden welche hinausgehn
und schütteln den Staub von ihren Sohlen.
    (fast tonlos)
Also geschehe es,
lieber heute als morgen.

Barak (nickt ihr gutmütig zu, ohne auf ihre letzten Worte zu hören;
    indem er unter der gewaltigen Last schwer gehend, den Weg
    zur Tür nimmt, für sich)

Trag' ich die Ware mir selber zu Markt,
spar' ich den Esel, der sie mir schleppt!
    (er geht.)

Die Frau, allein, hat sich auf ein Bündel oder einen Sack gesetzt,
der vorne liegt.

Ein Heranschweben, ein Dämmern, ein Aufblitzen in der Luft.
Die Amme, in einem Gewand aus schwarzen und weißen Flicken,
die Kaiserin, wie eine Magd gekleidet, stehen da, ohne daß sie zur
Tür hereingekommen wären.

Frau (ist jäh auf den Füßen)
Was wollt ihr hier?
Wo kommt ihr her?

Amme (nähert sich demütig, ihr den Fuß zu küssen)
Ach! Schönheit ohnegleichen!
Ein blitzendes Feuer!
Oh! Oh! Meine Tochter, vor wem stehen wir?
Wer ist diese Fürstin, wo bleibt ihr Gefolge?
Wie kommt sie allein in diese Spelunke?
    (Sie hebt sich furchtsam aus der fußfälligen Lage.)
Verstattest du die Frage, meine Herrin?

Amme
War dieser einer von deinen Bedienten
oder von deinen Botengängern,
der Große mit einem Pack auf dem Rücken,
solch ein Vierschrötiger, nicht mehr Junger,
mit gespaltenem Maul und niedriger Stirne?

Frau
Du Zwinkernde, die ich nie gesehn
und weiß nicht, wo du hereingeschlüpft bist –
dich durchschaue ich so weit: Du weißt ganz wohl,
daß dieser der Färber und mein Mann ist,
und daß ich hier im Hause wohne.

Amme (springt auf die Füße, wie in maßlosem Erstaunen)
O meine Tochter, starre und staune!
Die wäre das Weib des Färbers Barak?
Heran, meine Tochter, es wird dir verstattet:
betrachte dir diese Wimpern und Wangen,
betrachte dir diesen Leib in der Schlankheit
des ganz jungen Palmbaums und schreie:
Wehe!

Kaiserin
Ich will den Schatten küssen, den sie wirft!

Amme
Wehe! Und das soll ihm Kinder gebären!
Und das soll einsam hier verkümmern!
O des blinden Geschicks und der Tücke des Zufalls!

Frau (geht ängstlich vor ihr zurück)
Weh, daß du gekommen bist, meiner zu höhnen!
Was redest du da und was starrst du auf mich
und willst mich zu einer Närrin machen
vor Gott und den Menschen.
    (sie weint)

Amme (mit gespieltem Erstaunen, indem sie die Kaiserin fortzieht)
Wehe, mein Kind, und fort mit uns!
Diese weist uns von sich und will nicht unsere Dienste.
Sie kennt das Geheimnis und will unser spotten, fort mit uns!

Frau (steht jäh auf)
Welches Geheimnis,
du Unsagbare du!
Bei meiner Seele und deiner,
welches Geheimnis?

Amme (neigt sich tief)
Das Geheimnis des Kaufs
und das Geheimnis des Preises,
um den du dir alles erkaufst.

Frau
Bei meiner Seele und dem Jüngsten Tag,
ich weiß von keinem Kauf, ich weiß von keinem Preis!

Amme
O meine Herrin, soll ich dir glauben,
daß du deinen Schatten,
dies schwarze Nichts
hinter dir auf der Erde,
daß dir dies Ding ohne Namen nicht feil ist –
auch nicht um unvergänglichen Reiz
und um Macht ohne Schranken
über die Männer?

Frau (dreht sich nach ihrem Schatten um)
Der gekrümmte Schatten
eines Weibes, wie ich bin!
Wer gäbe dafür
auch nur den schmählichsten Preis?

Amme
Alles, du Benedeite, alles
zahlen begierige Käufer, du Herrin,
wenn eine Unnennbare deinesgleichen
abtut ihren Schatten und gibt ihn dahin!
Ei! Die Sklavinnen und die Sklaven,
so viele ihrer du verlangest,
und die Brokate und Seidengewänder,
in denen du stündlich wechselnd prangest,
und die Maultiere und die Häuser
und die Springbrunnen und die Gärten
und deiner Liebenden nächtlich Gedränge
und dauernde Jugendherrlichkeit
für ungemessene Zeit –
dies alles ist dein,
du Herrscherin,
gibst du den Schatten dahin!

Sie greift in die aufblitzende Luft und reicht der Frau ein köstliches
Haarband aus Perlen und Edelsteinen.

Frau
Dies in mein Haar?
Du Liebe, du! –
Doch ich armes Weib,
ich hab keinen Spiegel!
Dort überm Trog
mach' ich mein Haar!

Amme
Verstattest du,
ich schmücke dich!

Sie legt ihr die Hand auf die Augen; sogleich ist sie selbst
samt der Frau verschwunden. An Stelle des Färbergemaches steht
ein herrlicher Pavillon da, in dessen Inneres wir blicken: es ist das
Wohngemach einer Fürstin. Der Boden scheint mit einem Teppich
in den schönsten Farben bedeckt, doch sind es Sklavinnen in bunten
Gewändern. Sie heben sich nun von der Erde, lauschen kniend nach
rückwärts, rufen mit süßen, wie ein Glockenspiel
ineinanderklingenden Stimmen:

Dienerinnen
Ach, Herrin, süße Herrin! Aah!

Durch eine kleine Tür rückwärts, links, tritt die Frau,
geführt von der Amme, in das Gemach. Sie ist fast nackt, in einen
Mantel gehüllt, gleichsam aus dem Bade kommend, sie trägt das
Perlenband ins Haar gewunden. Sie geht mit der Amme durch die
knienden Sklavinnen quer durch, an einen großen, ovalen
Metallspiegel, der rechts vorne steht Dort setzt sie sich und sieht
sich mit Staunen.

Stimme der Kaiserin
Willst du um dies Spiegelbild
nicht den hohlen Schatten geben?

Stimme des Jünglings (gleichsam antwortend)
Gäb ich um dies Spiegelbild
doch die Seele und mein Leben!

Frau
O Welt in der Welt! O Traum im Wachen!

Wie die Frau den Mund auftut, verbleicht alles und beginnt zu
entschwinden.

Dienerinnen
Weh! Zu früh!
Herrin! Ach Herrin!

Das Färberhaus steht wieder da, die Amme wie früher, die
Kaiserin seitlich; die Färberin in ihrem ärmlichen Gewand – der
Schmuck ist verschwunden – klammert sich taumelnd an die Amme.
Die Amme und die Kaiserin wechseln einen Blick.

Frau (sehr aufgeregt)
Und hätt' ich gleich
den Willen dazu –
wie tät' ich ihn ab
und gäb' ihn dahin –
den an der Erde,
ihn, meinen Schatten?
Nein, sag doch schnell!
Nein, schnell doch, schnell,
du Kluge, du Gute!
Jetzt sag es, schnell!

Die Amme sieht sich um, winkt die Kaiserin heran,
gleichsam als Zeugin.

Die Frau kann ihre Ungeduld kaum bemeistern.

Amme
Hat es dich blutige Tränen gekostet,
daß du dem Breitspurigen keine Kinder geboren hast?
Und lechzt dein Herz darnach bei Tag und Nacht,
daß viele kleine Färber durch dich eingehen
sollen in diese Welt?
Soll dein Leib eine Heerstraße werden
und deine Schlankheit ein zerstampfter Weg?
Und sollen deine Brüste welken
und ihre Herrlichkeit schnell dahin sein?

Frau (leise)
Meine Seele ist satt worden der Mutterschaft,
eh' sie davon verkostet hat.
Ich lebe hier im Haus,
und der Mann kommt mir nicht nah!
So ist es gesprochen
und geschworen
in meinem Innern.

Amme
Abzutun
Mutterschaft
auf ewige Zeiten
von deinem Leibe!
Dahinzugeben
mit der Gebärde
der Verachtung
die Lästigen,
die da nicht geboren sind!
So ist es gesprochen
und so geschworen!
Du Seltene du!
Du erhobene Fackel!
O du Herrscherin, o du Gepriesene unter den Frauen,
nun sollst du es sehn und es erleben:
angerufen werden
gewaltige Namen
und ein Bund geschlossen
und gesetzt ein Bann!
Tage drei
dienen wir dir
hier im Haus,
diese und ich,
dies ist gesetzt!
Sind die vorbei,
dem Dienst zum Lohn
von Mund zu Mund,
von Hand zu Hand
mit wissender Hand
und willigem Mund
gibst du den Schatten
uns dahin
und gehest ein
in der Freuden Beginn!
Und die Sklavinnen und die Sklaven
und die Springbrunnen und die Gärten
und Gewölbe voll Tonnen Goldes –

Frau (unterbricht sie jäh)
Still und verschwiegen:
ich höre meinen Mann, der wiederkommt!
    (finster)
Nun wird er verlangen nach seinem Nachtmahl,
das nicht bereit ist,
und nach seinem Lager,
    (fast tonlos)
das ich ihm nicht gewähren will.

Amme (hastig)
Du bist nicht allein:
Dienerinnen hast du,
diese und mich.
Morgen zu Mittag
stehn wir dir in Dienst:
als arme Muhmen
mußt du uns grüßen,
nach Mitternacht nur,
indessen du ruhest,
entlässest du uns
für kurze Frist,
das braucht niemand zu wissen!
jetzt schnell, was nottut!

Ein Windstoß durchfährt plötzlich den Raum, den die allmählich
einsetzende Dämmerung in Halbdunkel getaucht hat.

Amme (befehlend)
Fischlein fünf aus Fischers Zuber,
wandert ins Öl,
und Pfanne empfang' sie!
Feuer, rühr dich!
Hierher, du Bette des Färbers Barak!
Und fort mit den Gästen, von wo sie kamen!

Die Amme hat befehlend in die Hände geschlagen, lautlos.
– Die Fischlein fliegen blinkend durch die Luft herein und
landen in der Pfanne, das Feuer unteren Herd flammt auf,
die Hälfte des ehelichen Lagers hat sich abgetrennt,
und es ist ganz im Vordergrund eine schmälere
Lagerstatt für einen einzelnen erschienen, indessen hinten
das Lager der Frau durch einen Vorhang verhängt
erscheint – und indes dies alles geschah, sind die Amme
selbst und die Kaiserin lautlos durch die Luft
verschwunden. Der Feuerschein flackert durch den
dämmernden Raum. Die Frau steht allein und starr vor
Staunen. Plötzlich ertönen aus der Luft, als wären es
die Fischlein in der Pfanne, ängstlich fünf Kinderstimmen.

Kinderstimmen
Mutter, Mutter, laß uns nach Hause!
Die Tür ist verriegelt, wir finden nicht ein,
wir sind im Dunkel und in der Furcht!
Mutter, o weh!

Frau (in höchster Angst über das Unbegreifliche, ratlos um sich blickend)
Was winselt so gräßlich
aus diesem Feuer?

Kinderstimmen (dringender)
Wir sind im Dunkel und in der Furcht!
Mutter, Mutter, laß uns ein!
Oder ruf den lieben Vater,
daß er uns die Tür auftu'!

Frau (in großer Angst)
O fänd' ich Wasser,
dies Feuer zu schweigen!

Die Flamme unteren Herd wird zusehends schwächer.

Kinderstimmen (verhauchend)
Mutter, o weh! Dein hartes Herz!

Die Frau sinkt vorne auf ein Bündel, wischt sich den Angstschweiß
von der Stirne.

Barak (erscheint in der Tür mit einem vollgepackten Korb beladen;
    für sich, behaglich)

Trag' ich die Ware mir selber zu Markt,
spar' ich den Esel, der sie mir schleppt.

Die Frau hebt sich mühsam, geht nach hinten an ihr Lager,
hebt den Vorhang und sagt nichts.

Barak (kommt nach vorne)
Ein gepriesener Duft
von Fischen und Öl.
Was kommst du nicht essen?

Frau (von rückwärts)
Hier ist dein Essen.
Ich geh' zur Ruh'.
Hier ist jetzt dein Lager.

Barak (wird's gewahr, gemäßigt unwillig)
Mein Bette hier? Wer hat das getan?

Frau (von ihrer Stelle)
Von morgen ab schlafen zwei Muhmen hier,
denen richt' ich das Lager zu meinen Füßen
als meinen Mägden. So ist es gesprochen,
und so geschieht es.
    (Sie zieht den Vorhang vor.)

Barak (indem er resigniert ein Stück Brot aus dem Gewand zieht,
    und, dieses essend, sich auf die Erde setzt)

Sie haben mir gesagt,
daß ihre Rede seltsam sein wird
und ihr Tun befremdlich
die erste Zeit.
Aber ich trage es hart,
und das Essen will mir nicht schmecken.

Stimmen der Wächter
Ihr Gatten in den Häusern dieser Stadt,
liebet einander mehr als euer Leben
und wisset: nicht um eures Lebens willen
ist euch die Saat des Lebens anvertraut,
sondern allein um eurer Liebe willen!

Barak (indem er sich umwendet)
Hörst du die Wächter, Kind, und ihren Ruf?

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Stimmen der Wächter
Ihr Gatten, die ihr liebend euch in Armen liegt,
ihr seid die Brücke, überm Abgrund ausgespannt,
auf der die Toten wiederum ins Leben gehn!
Geheiligt sei eurer Liebe Werk!

Barak (horcht abermals, nach rückwärts gewendet, vergeblich;
    er seufzt tief auf und streckt sich zum Schlaf hin)

Sei's denn!


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