Hugo von Hofmannsthal
Das Salzburger große Welttheater
Hugo von Hofmannsthal

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Musik. Heilige Männer und Frauen: Propheten und Sibyllen, hereintretend, blicken erwartungsvoll stufenauf gegen den Palast des Meisters.

Engel tritt herein, Welt hinter ihm. Ihr folgen Tod und Vorwitz. Tod ist schwarz gekleidet, mit Mantel, weißem Hut und Degen, Vorwitz trägt scheckige Lakaienkleidung, einen Fächer im Gürtel und eine Laute umgehängt.

Welt
Wohin führst du mich?

Engel weist ihr einen Platz an
Hier warte. Deine Leut hinter dir. Du bist berufen.

Welt
Wer sind dort die?

Engel
Auch berufen; achte, wie ich sie grüße.
Tritt hin, neigt sich
Gegrüßet seid mir, heilige Propheten, weissagende Frauen; eurer Worte jegliches glänzt durch die Zeiten. Der Herr ist mit euch.

Welt
Ich kenn euch wohl. Meine Berge haben euch getragen, die Hände zum Himmel zu recken, meine Höhlen waren der rechte Ort, wo ihr die Schatten der Gewesenen beschwören konntet; ihr möget mich auch zuvor grüßen.

Propheten zusammen
Du großes Wunderwerk der sieben Tage, Welt, sei uns gegrüßt.

Welt zu den Sibyllen, die in Schweigen verharren
Seid ihr Weiber so stolz! Mit eurem A O U habt ihr viel Geister gerufen und viel Ruhm ergattert. Wem aber das Volle gegeben ist, der schreit nicht A noch U und dem ist die Zunge zu schwer für Sprüch, aber wenn er wollte, möcht er leicht mehr sagen, als ihr vermocht habt. Was führt uns hier an dieser Statt zusammen?

Propheten
Der Wille, der alles vermag, was er will. Wir sind beschieden und harren.

Fanfaren

Welt
Das tönt nach einem großen Herren! Kommt jetzt der Meister gegangen? Sieht sich um.

Engel
Schweig und harre.

Widersacher tritt vorsichtig heran, er ist schwarz gekleidet als ein Gelehrter.

Welt
Ist der Schleicher auch da – das ist eine sonderliche Zusammenkunft!

Engel
Wo du bist, da ist ihm Zutritt gegeben, so wie dem, der hinter dir steht. Ruhig jetzt.

Fanfaren abermals, Propheten und Sibyllen wenden sich ehrfurchtsvoll gegen den Palast.

Welt
Von wo kommt er? Ich sehe ringsum nichts.

Engel
Schau nach oben, und wenn du siehst, dann fall in die Knie.

Fanfaren zum dritten Mal. Es dunkelt und wird gleich wieder hell. Der Meister steht da im Sternenmantel. Propheten und Sibyllen fallen in die Knie, die ausgebreiteten Hände nach hinten genommen. Welt fällt auch in die Knie, ebenso der Engel und hinter ihm Tod und Vorwitz. Widersacher drückt sich rechts in die Vorhänge.

Meister richtet seinen Blick auf die Welt, nicht mit Strenge.

Welt auf den Knien
Meister, was befiehlst du mir, deiner Magd?

Meister
Ein Fest und Schauspiel will ich mir bereiten. Dazu die Bühne heiß ich dich aufschlagen. Heb dich und gehs an!

Welt auf ihren Füßen
Du bist aller vier Elemente Schöpfer, aller Berge Türmer, aller Meere Dämmer, was kann ich schaffen, das dir könnte Veränderung bereiten, Überraschung oder Ergetzen? Oder dennoch? Ja? Stürz ich Berg über Meer, Meer über Berg – reiß ich die ewigen Ströme aus ihrem Bett und schmeiß sie in Katarakten nieder ans Feste? Willst du alle Elemente glühend? Ich bin zu lange ein zahmes Weib gewesen, laß mich wieder los von der Kette, und ich will ein Schauspiel geben, darüber der Mond erschrecken soll!

Meister
Was du da herbietest, wäre mir nicht mehr, als ein zweijährig Kind spielen sehen mit Strohhalmen. Ein ganz anderes auserlesenes Werkstück will ich betrachten, ein lebendes, geheimes freies Wirken. Zu solchem Schauspiel rüste du mir die Bühne.

Welt sieht sich um
Von welchem Geheimnis redet der Meister da?

Vorwitz
Chymie! Chymie! Das ist seine Sache! Er will Gold machen aus niedrigen Erden!

Widersacher
Er wiederholt sich nie. In solcher Weise hab ich ihn von Geschaffenem nie reden hören.

Engel tritt auf ihn zu, als ihn zum Schweigen zu verhalten.

Meister winkt dem Engel, den Widersacher in Ruhe zu lassen, dann zur Welt, gütig
Von dem Menschen rede ich, deinem Gast.

Welt
Die Menschen? an den Käfern willst du dich ergetzen? Wie Ameisen laufen sie hin und her, vorwärts und rückwärts, bauen Städte, gründen Reiche, zerstörens wieder, lassen keinen Stein auf dem anderen. In einem Schwarm Wespen ist mehr Vernunft als in denen.

Meister
In dem, worin du sie nicht fassest, ist ihr Großes: denn wisse, nach meinem Ebenbilde habe ich sie geschaffen. Du aber bist da, damit du der Menschen Füße tragest. Das ist das Herrlichste, das wird von dir gesagt werden.

Widersacher
Was will er Sonderbares? auf was geht das hinaus? Ich muß mich bereit halten. Meine Bücher zum Nachschlagen, meine Kompendien! – Setzt seine Brille auf. Der Avicenna fehlt, der Lukrez ist nicht da – schlampig mir eingepackt, der junge Grasteufel, mein Bibliothekar.

Welt
Ho, Herr! Der Mensch ist mein Werkstück, wenn auch das ansehnlichste nicht. Was an ihm taugt, habe ich ihm mitgegeben. Wäre er wohlberaten und bliebe in seinen Schranken, hielte er sein irrwitziges Denken im Zaum, begehrte nichts, als meine Herrlichkeiten zu genießen, und sänke, wo ihm der Atem ausgeht, in mich wieder hin, da geschähe ihm wohl, dem Tausendfuß, dem vermaledeiten, der an lotrechten Mauern klettern will.

Engel
Zähm den ungesalbten Mund, scheckig Wesen! Heidenweib! Hat der Herr dich nicht einmal schon ersäuft, und als du am letzten warst, einen neuen Weltstand über dich aufgehen lassen! Hüte dich!

Einer der Propheten
Prunkest du mit deinen Kräften, Welt, weil du noch immer fest auf den Fügen stehst! Es kommt schon der Tag, wo auch du in die Knie brichst; und der jetzt hinter dir steht springt dir in deinen Nacken als dein Reiter, und unter dem fährst du dahin in die Finsternis.

Welt stöhnt auf, verbirgt ihr Gesicht.

Vorwitz versteckt sich.

Widersacher einen Schritt nähertretend, nimmt sein Barett ab
Ich sehe, es wird hier ein Hofgericht gehalten, und dabei geht es streng her über ein armes Weib, das eine schwere Zunge hat. Ich meine, mit Erlaubnis, daß ihr ein Anwalt gebührt. Ich wäre bereit, obwohl mir der Handel unbekannt ist – wenn mir wollte gestattet werden, als Prokurator dieser Frau zur Seite zu treten – ich müßte aber zuvor ein Gespräch mit ihr haben, damit sie mich einweiht in ihre Sach. Ich bin Doktor der Logik, aber auch in rechtlichen Sachen sehr erfahren -

Meister ohne ihn zu achten, gütig wie zuvor
Genug. Der Menschen Tun und Treiben ist mir zum Schauspiel würdig. Dazu hab ich mir diese Gäste geladen. Jetzt bau uns die Bühne her und laß das Spiel anheben.

Welt
Wie denn, ich weiß noch nichts!

Engel auf einen Wink des Meisters zur Welt
Rufe du ungeborener Seelen jetzt einen Haufen hier herauf und bekleide sie mit Leibern, dann wird ihrer jedem Er ein Geschick zuteilen.

Widersacher
Erlaub der Herr die eine Frage: wie kann ein Schauspiel den ergetzen, der es vorbestimmt, Eingang und Ausgang, bis aufs I-Tüpfel? Einen Schritt näher Da steht, der gesagt hat: Unsere Werke in uns wirkst du allein! Da steht er, einer von deinen Propheten. Er soll mir Zeugnis geben! Will der Herr sich selber vorspielen mit Puppen, die an Drähten hängen in seinen Händen?

Meister
Wahl ist ihnen gegeben zwischen Gut und Böse, das ist ihre Kreaturschaft, in die ich sie gestellt habe. Tust du, als wissest du das nicht? Es ist dein Weideplatz von Anbeginn! Einbläser von Evas Apfel her, blas ein, welchen du willst. Ich hab ihre Ohren nicht verklebt. Damit sie sich entscheide, dazu hab ich der höchsten Freiheit einen Funken in die Kreatur gelegt.

Welt flüstert leise mit Vorwitz, der ihr etwas vorzustellen scheint.

Meister steigt auf die obere Bühne, sein Gefolge hinter ihm, dort bleibt er stehen.

Engel tritt aus dem Palast, einen Arm voll Rollen tragend; reicht sie dem Meister dar.

Vorwitz
Kleider her! Kleider machen Leute, das ists, was der gnädige Herr hat sagen wollen!

Welt
Das schaff ich her mit einem Wink. Dergleichen halt ich immer bereit, Kammern und Speicher voll. Der den König spielt, wird seine Kron von mir empfangen und der Bauer seinen Spaten. Da sind geistliche Kutten und Hofkleider, Hirtenstäb und Schwerter, vergoldete Harnisch und Bettlers Fetzen, zehnmal geflickt.

Es werden, währenddem sie spricht, von Dienern Körbe hereingebracht, die Kronen und Harnische, Mitren und Bischofsstäbe, Frauenkleider und Hauben, Masken und Fächer enthalten.

Soll ich sie einkleiden, wie sie dastehen, kunterbunt?

Meister von der oberen Bühne, eine Rolle in der Hand
Sein Geschick teil ich einem jeden zu. Das findet er geschrieben in der Rolle, die ich ihm reichen werde. Wie es der Rolle gemäß ist, so dann kleide du ihn an.

Welt auf Vorwitz' Flüstern
Da werden etliche die kurzen Rollen haben, Herr, die werden nicht weggehen wollen von der Bühne! Es wird hart gehen, sie zum Abtreten zu bringen, soweit kenn ich die Menschen!

Meister
Gut erinnert, so heiß ich den, der hinter dir steht -

Vorwitz
He Tod, Herr Kämmerer, man redet Euer Gnaden an!

Meister
Den heiß ich Bühnenmeister sein. Wen du abrufst, der wird mir für gut von der Bühne treten und nicht wieder hinauf, dafür sorgst du mir.

Tod neigt sich, beugt seine Knie.

Vorwitz leise zur Welt
Eine schlechte Rolle spielt uns keiner, auch wenn sie lang ist!

Welt tritt einen Schritt auf den Meister zu, der sich wendet
Meister!

Meister wendet sich noch einmal zur Welt
Was beschwert dich? Ist nicht alles gesagt?

Welt
Herr, nein! Es sind meine Kinder dennoch, das Wort wirst du mir wohl verstatten – und so kenne ich sie auch gut. Es hält sich jeder für das Mittelstück aller Sachen, eine schlechte Rolle wissentlich annehmen, das werde ich ihnen nicht aufzwingen. Eine undankbare Rolle wird mir jeder vor die Füße schmeißen und mich eine böse Stiefmutter, eine Schinderin und was noch für Namen nennen!

Meister
Wer heißt sie im voraus wissen, was eine schlechte Rolle ist und was eine gute?

Welt
Das weiß wohl jeder, der hineinsieht, wenn er Geschriebenes lesen kann! Viel befehlen und anschaffen, herrisch und gut leben, das große Wort führen, andere seine Macht fühlen lassen: das ist eine gute Rolle. Stöß und Püffe hinnehmen, harte Worte hinunterschlucken, sich ducken, den Mund halten, wenn andere reden: das ist eine schlechte Rolle so halten es die Menschen von Adams Zeiten her.

Meister
So halten sie es töricht, und darum sollst du Meisterin sein und sie weisen.

Welt
Wie denn, wenn ich selber besser nicht weiß?

Meister
Es ist ein Spiel, sticht dir das Wort nicht den Star? Bedeut sie!

Der erste Engel tritt vor und spricht zur Welt von der oberen Bühne aus
Bist so schwer von Begriffen? Anschaffen und gehorchen, sich aufrecken und sich ducken, prassen und entbehren, das alles geschieht von denen, die im Spiel stehen: Gleichnisweise aber geschieht es und nicht für wirklich, und gut oder schlecht wird nicht die Rolle heißen, sondern das Spiel dann, wenn die Dinge an ihr Ende kommen sind; und nicht um seiner Rolle willen, er mag den Bettelstab in Händen gehabt haben oder Königs Schwert und Zepter, sondern um dessentwillen, was er aus ihr gemacht hat, werden einer oder etliche an des Meisters Tisch gerufen werden – aber einen Stümper sieht sein Meister ungnädig an, und es gibt kein Ausbessern nachher, wo einer auf der Bühne vertan hat. Das alles weise ihnen in Eile noch ein, sofern sie dir lieb sind.

Wendet sich, dem Meister nachzugehen, der Vorhang an der Palasttür wird von Engeln zur Seite gehoben.

Vorwitz läuft ihm nach
Es ist uns weder der Name von dem Stück gesagt worden noch der Vorgang – nicht einmal so im gröbsten wie bei einem Stegreifspiel!

Meister hinauf in den Palast, Gefolge hinter ihm. Zweiter Engel mit den Rollen folgt hinein. Fanfaren.

Der erste Engel tritt wieder vor
Den Namen des Schauspiels sag ich euch an: ›Tuet Recht! Gott über euch!‹

Stimmen von oben
Tuet Recht! Gott über euch!

Engel
Habt ihrs vernommen?

Vorwitz
Zweimal sogar. Wir sind aber davon nicht klüger als zuvor. Von dem Gang der Handlung hast du uns kein Wort gesagt, mit Erlaubnis, nicht einmal einen Fingerzeig, an den ein sinniger Mensch sich halten könnte!

Engel vortretend, ein Buch in der Hand, das ihm von einem andern gereicht worden
Das ich da in Händen halte, das Buch, das ihr alle kennt, darin ist Kern und Sinn eures Spieles gefaßt in einen Spruch. Da steht geschrieben: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, und aber deinen Gott, den sollst du lieben über alles. – Somit ist gewiesen, was das Spiel enthalten soll, und es ist das gleiche, als der Titel in sich begreift: Tuet Recht! Gott über euch! Stille.

Vorwitz
Das, wie er den Titel und den Inhalt da zusammengemischt hat, das ist gar nicht dumm, das hätte ganz gut als Prolog gepaßt, da hätte er aber warten sollen, bis die Schauspieler angezogen, die Lichter angezündet und alles fix und fertig gewesen wäre – jetzt sind wir noch nicht so weit. Jetzt kommen erst die Schauspieler ganz langsam anmarschiert! Und das Rollenausteilen wird auch nicht ohne Sekkaturen abgehen -


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