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Dritter Akt

Der große Raum in Cristinas ländlichem Wirtshaus. Im Hintergrunde eine Tür und ein Fenster, beide ins Freie. Rechts rückwärts die Türe zu Cristinas Zimmer. Rechts vorne die Küchentür. Zwischen beiden Türen der Ofen, mit einer Ofenbank herum. Rings um den Ofen oben ein Viereck von Stangen, woran Mäntel, Kleider und Hüte des Kapitäns hängen. Links vorne die Tür zu einem Gastzimmer, das der Kapitän bewohnt. Links, ganz vome an der linken Wand, läuft eine Bank, an dieser steht ein mäßig großer Eßtisch. Hut und Mantel des Kapitäns hängen an der Wand. Pasca deckt den Tisch für eine Person, eilig. Sie legt kein Tischtuch auf, sondern nur Eßzeugfür einen Gast. Wie sie sich bückt, um aus einem Schrank das Salzfaß, Messer und Gabel zu nehmen, kommt Pedro von rechts aus der Küche gelaufen und umschlingt sie von rückwärts. Er hat nackte Arme und Beine, ein leinenes Hausgewand, worin er sehr wenig europäisch aussieht; das Haar in einen Schopf zusammengebunden, einen blauen hinaufgebundenen Schurz, aus dem Flaumfedern fliegen. Einen halbgerupften Vogel hält er in der Hand.

 

Pasca

schüttelt ihn ärgerlich ab Das habe ich mir verbeten und einmal für allemal.

Pedro

Eine Wenigkeit von zudringlicher Liebe verdient nicht die kalte Hand und die häßliche Stimme.

Pasca

Jawohl! Und noch dazu,

Mit gedämpfter Stimme

wo die Cristina in ihrem Zimmer ist.

Pedro läuft hin, sieht durchs Schlüsselloch, gibt zu erkennen, daß Cristina nicht in ihrem Zimmer ist.

Und in dem Aufzug da? Das soll einem christgläubigen Mannsbild gleichsehen, das? Einen Besen hol!

Pedro

holt einen Besen aus der Küche, kehrt eifrig die Flaumfedern auf, maulend, wie ein Kind Auch Europäer machen so, hab' ich schon einmal gehört.

Pasca

Ah, du willst mir Lektionen erteilen? Du bist dazumal also der, der die feinen Unterschiede heraus hat? Da tätest du mir aber leid, du. Du bist einer, der hier zu Lande nicht einmal noch läuten hört, geschweige denn schlagen. Dafür wirst du heute Nachmittag nicht mit mir ausgehen, wirst dich aber trotzdem in ehrbare Tracht werfen und wirst strafweise allein zum Grabe meines seligen Mannes hinauswandern und für das Seelenheil des braven Mannes ein Vaterunser und drei Ave Maria beten. Das ist alles, was wir zwei vorläufig miteinander zu sprechen haben.

Will in die Küche.

Pedro

Der Herr Pfarrer hat gesagt, ich bin ein sehr guter, sehr schöner Nachvertreter für den achtenswerten Verstorbenen.

Pasca

Da haben wir eine schöne, gehaltvolle Rede in einer recht gemeinen Auffassung abgespiegelt. Ganz anders hat der Herr Pfarrer gesprochen, mein lieber Pedro. An seinen Früchten sollst du ihn erkennen, das Wort hat er mir zur Richtschnur gegeben –

Seufzt.

Pedro

Meine Früchte?

Sieht hilflos umher.

Pasca

Will sagen: Dein Betragen, dein Eifer in allem Guten, deine Treue, deine Stetigkeit.

Pedro Oh! Was hast du mir vorzuwerfen, in alle diese Stücke? Zwei Monate sind nichts? Sechzig und vier Tage sind nichts? Meine Früchte? Ich verstehe ganz gut. Es sind sehr schöne Früchte auf mir gewachsen: immer zur Stelle, immer keine anderen Gedanken als auf dich, an deine Augen aufgehängt wie ein gehöriger Hund, immer steh ich auf deiner Ferse, immer lach' ich auf dich, bei Tag und Nacht – mein Kapitän kann sagen. Mein Kapitän hat vielmals bemerkt. Hat im Anfang vielmals dafür meine Ohren geschlagen.

Pasca

streicht leicht über seinen Kopf Und ich hab's vielleicht nicht bemerkt? Ich hab' dir's vielleicht nicht merken lassen, daß ich's bemerke.

Pedro

Sechzig und vier Tage in dieses Haus! Mit dir unter ein und dasselbe Dach. Vielmals lange vergebliche Erwartung.

Pasca

Vergeblich? Das Wort will ich nicht hören. Es gibt eine Sorte von Ungeduld, von der zwischen uns nicht die Sprache ist.

Pedro

Vielmals viele Vorschriften in dieses Land.

Ringt die Hände.

Pasca

Das ist ein Gefühl, auf das es vielleicht dort, wo du her bist, ankommen mag. Bei uns kommt es auf eine Gesinnung an –

Pedro

Ich habe eine Gesinnung!

Pasca

Auf einen christlichen Anstand kommt es an.

Pedro

Ich habe einen sehr großen Anstand.

Pasca

tritt zurück Ist es die Möglichkeit? Kann so etwas den Bräutigam einer honetten Witwe vorstellen? Heilige Mutter der Schmerzen! Ja, wenn ich mit ihm auf einer von seinen wüsten Inseln wäre.

Pedro

erfaßt den Gedanken vollkommen Dann wäre vielmals leicht, oh!

Pasca

Den Schlaf einer Nacht kann's mich kosten, wenn mir das Bild aufsteigt, wie er irgendwo bei der Verwandtschaft zum erstenmal in ein Zimmer hereintritt.

Pedro

Warum hab' ich meinen Fuß auf dieses Europa getreten?

Pasca

Da nimm du dir ein Beispiel an deinem Herrn Kapitän. Das ist ein würdiges Betragen. Wirft er auch nur einen Blick zu viel nach dem Fräulein? Er geht auf die Jagd, er nimmt seine Mahlzeiten, er wohnt hier wie jeder andere Gast, dann und wann spricht er vom Abreisen und bleibt weiter hier. Man merkt die Achtung, die Sympathie, aber nichts darüber.

Pedro

Mein Kapitän hat soviel Geduld wie eine sehr alte Schlange. So viel Geduld ist nicht mehr gesund.

Pasca

Sehr schön ist eine solche Geduld.

Pedro

Aber mein Kapitän hat einen Brief bekommen, der wird sein wie ein kleines Feuer, wenn man es anzündet für eine alte Schlange hinten.

Pasca

ihm näher, nicht ohne Unruhe Was soll das für ein Brief sein? Sollte der mein Fräulein angehen?

Pedro

Sehr gut ist der Brief. Ich bin brüllend dankbar dem Herrn Florindo für die Freundlichkeit.

Pasca

läßt fallen, was sie gerade in der Hand hält Wem?

Pedro

Ich weiß, du hast mich nicht gern, den Namen in den Mund zu nehmen, des Herrn Florindo. Der Name wird nicht mehr über meine Zunge springen. Ich schwöre meinen Schutzpatron!

Pasca

Mit der Kreatur, der venezianischen, steht ein honetter Mann, wofür ich deinen Herrn Kapitän bisher gehalten habe, in Korrespondenz? Das gibt mir ja einen Stich ins Herz.

Pedro

Wie steht? Wieso sagst du steht mit ihm? Mein Kapitän ist hier, Herr Florindo ist in Venedig. Ein Brief ist gekommen. Der Brief macht oben: Mein lieber Kapitän, und macht unten: Ihr großer Freund Florindo. In der Mitte macht er sehr gute Worte und Segenssprüche, sichergewiß.

Pasca

ringt die Hände Ein unerbetenes Lebenszeichen von der Kreatur ohne Ehr' und Gewissen. Mir läuft's heiß und kalt übern Rücken.

Pedro

Mach' du nicht Zeichen und Verwünschungen. Der Herr Pfarrer sind ein sehr guter Mann für Segenssprüche, und der Herr Florindo sind ein sehr guter Mann für Segenssprüche. Jeder in anderer Sorte.

Pasca

So lästerliche dumme Reden will ich nicht einmal hören.

Vollendet eilig das Tischdecken.

Pedro

unerschütterlich Ich sage: der Herr Pfarrer kann sein Nummer eins gut für Segenssprüche auf zwei Leute, wenn sie schon sind bekannt aufeinander. Aber Herr Florindo ist Nummer eins gut für Aufeinanderführen, bevor sie sind bekannt zu einander. Kann der Herr Pfarrer einen Traum machen, der richtig anbedeutet die zukünftige Heirat?

Triumphierend

Der Herr Florindo hat mir in Venedig gemacht für mich und meinen Kapitän. Der Herr Florindo ist sehr jung. Ich sage: was wird er für ein großer Zueinanderbringer sein, wenn er einmal so alt ist wie der Herr Pfarrer.

Pasca

Da hab' ich Wachs in den Ohren.

Eilig ab in die Küche.

Man sieht den Kapitän, eine Mütze auf dem Kopf, mit Jagdtasche und Flinte, draußen kommen. Pedro sieht ihn, springt eilig hin, den Hut an seinen Platz zu legen. Kapitän tritt ein. Pedro nimmt ihm die Büchse und Jagdtasche ab. Kapitän setzt sich auf die Ofenbank, zieht einen Brief aus der Tasche. Pedro zieht ihm die Stiefel aus, läuft ins Zimmer links, kommt dann gleich wieder mit Schuhen. Kapitän geht in Strümpfen zum Tisch links vome, fängt an, den Brief zu lesen, indem er ihn ziemlich weit von sich weghält. Pedro kommt mit Schuhen, Kapitän setzt sich, läßt sich die Schuhe anziehen. Pedro an der Küchentür, wirft einen verstohlenen Blick auf den Kapitän, verschwindet wieder.

Kapitän

Zieh dich an!

Pedro geht.

Häng' die Büchse auf. Daß der Lauf mir anders geputzt wird als das letztemal!

Pedro hängt die Büchse auf, geht dann ab, sieht von der Schwelle des Zimmers links verstohlen auf den Kapitän. Kapitän liest sich den Brief, den er so ziemlich auswendig weiß, abermals vor.

Mein lieber Kapitän! Unerwartet bietet sich mir die Gelegenheit, Sie wieder zu sehen, und wäre es auch nur für kurz. Die Gräfin, mit der ich reise, besucht Verwandte auf ihren Gütern im Gebirge, und unser Weg führt uns über Capodiponte. Wie sehr freue ich mich, Ihnen die Hand zu schütteln und das einzig gute und schöne Mädchen wiederzusehen, dessen Herz dauernd zu besitzen ich so ganz und gar nicht würdig gewesen wäre. Auch die Gräfin wünscht sich sehr, Ihre und Cristinas Bekanntschaft zu machen. Sie werden beide in ihr eine reizende und in ihrer Art unvergleichliche Frau kennen lernen, wenngleich sie sich an Schönheit und Güte nicht mit Cristina messen kann.

Nochmals in unbeholfener Weise überfliegend.

Auch die Gräfin ... Ihre und Cristinas Bekanntschaft zu machen.

Läßt den Brief sinken.

Sie werden beide –

Faßt heftig den Brief, liest.

Sie werden beide –

Läßt den Brief sinken, steht hastig auf, das Blut steigt ihm zu Kopfe.

Auf einem Fetzen Papier sind das Mädchen und ich ein Paar. In dem Kopfe des jungen Burschen sind das Mädchen und ich ein Paar. In dem Kopfe des alten Pfarrers sind das Mädchen und ich das richtige Paar. O Welt! Heute! Heute vor Nacht bring' ich es vor! – wofern sie mir ungesucht und ungebeten ohne Zeugen begegnet, sei es hier in diesem Zimmer, sei es anderswo.

Man sieht Cristina draußen kommen, gleich darauf öffnet sie die Türe. Kapitän sieht sie, erschrickt heftig.

Sie kommt herein! Jetzt! Jetzt ist nicht die Stunde. Es verschlägt mir den Atem. Das ist ein Zeichen, daß es heute nicht sein soll.

Geht links ab.

Cristina

herinnen, ruft Pedro!

Pasca

in der Küchentüre Was willst du von ihm?

Cristina

Ich hätte ihn gern hinübergeschickt – mit einer Schale von unserer Suppe zum Onkel.

Pasca

Will er wieder nichts essen?

Cristina

Die unsrige ißt er schon. Ist der Pedro nicht da?

Pasca

Drinn' mit seinem Herrn.

Cristina

So geh du mir hinüber mit der Suppe.

Pasca

Wär' not, ich ging wegen was anderm auch zum Herrn Pfarrer.

Mit einer Kopfbewegung gegen des Kapitäns Zimmer.

Der Mensch ist in einem Zustand, es ist nicht mehr zum Ertragen, wie er's treibt.

Cristina

Ach Gott, die Männer!

Pasca

Wenn ich ihn länger hinhalt', so verliert er den Verstand, meiner Seel'.

Cristina

Da verliert er nicht viel. Probier's halt!

Pasca

immer in der Türe Ich probier's auch.

Sieht sie forschend an.

Ich probier's auch!

Cristina

Geh nur mit der Suppe.

Bemerkt den Blick.

Was probierst?

Pasca

Na das eben, um was er mich bittet.

Cristina sieht sie groß an.

Was sagst du denn: probier's und schaust mich dann so an?

Cristina

So hab' ich's nicht gemeint!

Pasca

Wie denn?

Cristina

Probier's und laß ihn den Verstand verlieren.

Pasca

gekränkt Eine sehr christliche Rede.

Cristina

Ärgere dich nicht. Mach's, wie du's willst! Unser Herrgott hat ja allerlei Kostgänger. Der Onkel ist ja auch ein Mannsbild. Mag sein, je weniger sie gleichsehen, desto mehr ist sonst an ihnen. Geh' mir hinüber mit der Suppe, Pasca!

Pasca

in der Türe Kann ich fort vom Herd? Der Braten muß umgewendet werden. Zugegossen muß werden, in einer Minute kommt der Kapitän zu Tisch. Er soll ja einen Brief bekommen haben, der Kapitän! Weißt du was davon?

Cristina

So, vielleicht wegen dem Fischwasser?

Pasca

Ja, vielleicht wegen dem Fischwasser. Ich ruf die Barbara.

Cristina

Laß. Sie hat Arbeit. Ich seh' dir auf deinen Braten. Kommt der Kapitän, so richt' ich ihm an. Auftragen kann der Pedro allein, geh nur indessen.

Geht in die Küche.

Kapitän

kommt von links heraus, setzt sich an den Tisch, munter Bin zur Stelle, Frau Pasca, und rechtschaffen hungrig.

Cristina

aus der Küche Gleich!

Kapitän

Wie? Sie sind auch da?

Cristina

kommt mit der Suppe Wie Sie sehen.

Stellt ihm die Suppe auf den Tisch.

Kapitän

steht auf Das geht nicht an, daß Sie mich bedienen, das darf nicht sein!

Cristina

Ich habe Pasca fortschicken müssen, die Barbara hat was zu tun, und Ihr Diener ist nicht zur Hand. Also ist es in der Ordnung, daß ich Sie bediene.

Kapitän

Sehr beklommen, sich mit ihr allein zu sehen, ruft laut Pedro! Komm sofort heraus!

Pedro

öffnet ein wenig die Türe links Sofort! Sogleich! Eine Wenigkeit von Sekunden!

Schließt die Türe wieder.

Cristina ist indessen gegangen.

Kapitän

Heute! Jetzt!

Ißt ein paar Löffel Suppe, kann nicht weiter, nestelt an seinem Halskragen.

Cristina

kommt wieder, geht bis an den Tisch Einem andern als Ihnen möchte ich nicht sein Essen auftragen, das sag' ich ganz frei, von meinem Onkel abgesehen natürlich. Sie sind mehr als ein Gast in meinem Wirtshaus. Sie sind ein Freund von uns. Darum lassen Sie sich nur ruhig von mir bedienen.

Nimmt die Suppe auf.

Was einem vom Herzen kommt, dabei vergibt man sich nichts.

Trägt ab und geht.

Kapitän

Jetzt. Da war es. Jetzt hätte ich sprechen müssen. Daß es solche Bursche gibt, die immerfort einen Anfang finden, jeden Tag, jede Stunde, wenn sie nur wollen –

Cristina kommt mit dem neuen Gang.

Das war noch nie, daß Sie mir mein Essen aufgetragen haben. – Und es kann leicht sein, daß es ein zweites Mal nicht mehr kommen wird.

Legt mit einer gewissen Feierlichkeit Messer und Gabel aus der Hand.

Cristina

Warum denn? Verschlägt's Ihnen den Appetit?

Kapitän

Schier. Es kann leicht sein, daß ich jetzt bald von hier fort muß.

Cristina

So auf einmal? Will man Ihnen das Fischwasser jetzt doch abgeben? So sind die Leute. Da ziehen sie einen herum, zwei Monate lang, dann geben sie klein bei.

Kapitän

Es ist um kein Fischwasser. Fort aus der Gegend, ganz und für immer, meine ich.

Cristina

O mein Gott, tun Sie mir das nicht, Kapitän, wo der Onkel sich jetzt so gewöhnt hat, die Stunde am Nachmittag mit Ihnen zu spielen, abends Ihre Gesellschaft zu haben. Ich hab' keinen Menschen, mit dem er so gern redet. Bleiben Sie mir im Ort, Kapitän, oder in der Nachbarschaft, in Gottes Namen.

Kapitän

Wissen Sie, was er zu mir redet, wenn Sie nicht dabei sind?

Er sieht sie an.

Cristina

Essen Sie doch – allerlei, denk' ich.

Kapitän

schiebt seinen Teller weg Er redet, daß er sterben wird und daß ihm lieb wäre, wenn ich Sie nicht allein ließe. –

Cristina

Mich?

Kapitän

Ja, wenn er nicht mehr da ist.

Cristina

wird rot, dann mit einiger Härte Was versteht ein Heiliger von der Welt! Nicht so viel, als untern Fingernagel geht, mit allem Respekt gesagt. Es ist zum Lachen, wie auch gute Menschen manchmal etwas Überflüssiges daherreden. Wüßte ich nicht, daß Sie ein vernünftiger Mann sind, der eine Sache zu nehmen weiß, so wären wir jetzt so weit, daß ich mich kein freies, unbefangenes Wort mehr an Sie zu richten getraute. Wenn mancher nur manches ungesagt ließe, in Gottes Namen.

Geht ab in die Küche

Kapitän

die Hand am Kinn Heut' nicht!

Halblaut.

Pedro!

Pedro kommt, er hat nur Zeit gefunden, über das Leinengewand seinen langen Rock zu ziehen. Die Beine sind noch nackt und die Erscheinung keineswegs europäisch.

Du bleibst! Bedien' mich. Soll das Fräulein Schüsseln schleppen?

Pedro wartet ihm auf.

Cristina

kommt wieder Sie essen ja rein garnichts! Ist das Ihr großer Hunger? Gehen Sie mir.

Bleibt stehen, schüttelt den Kopf.

Kapitän steht halb auf, hat die Hand auf dem Tisch, sein Gesicht arbeitet Cristina!

Cristina

Was ist Ihnen denn?

Kapitän

schwer Es war nicht nur der Onkel – ich selber, Cristina, Gott ist mein Zeuge. Zuerst nicht. Allmählich – ich kann nicht sagen, wie – ich, Cristina! Ich! –

Cristina

Bleiben Sie doch sitzen. Es ist mir nicht unbekannt geblieben, in Gottes Namen. Meinen Sie, ein Frauenzimmer ist blind für so was?

Kapitän

gepreßt Cristina!

Pedro verschwindet.

Cristina

Sie müssen Ruhe halten, Kapitän. Sie haben andere Dinge druntergekriegt. Was ist das weiter für einen Mann wie Sie? Es vergeht, Kapitän. Es vergeht wie nichts. Ein Mann wie Sie ist nicht gewöhnt, so still zu sitzen auf einem Fleck. Unterm Dasitzen ist es so gekommen, unterm Dasitzen wird's vergehn. Deshalb braucht der Onkel nicht seine einzige Gesellschaft zu entbehren.

Kapitän

Es ist nicht unterm Dasitzen gekommen. Wie ich das erste Mal Sie gesehen habe, Cristina!

Cristina

In dem Gasthof dort? O weh! Der war verhext!

Kapitän

Nicht in dem Gasthof, die Nacht vorher.

Cristina

Ach nein, nein, nein! Da haben Sie sich noch nicht viel gedacht.

Kapitän

dunkelrot Soll das an mir gestraft werden, daß ich eine schwere Zunge habe?

Cristina

Nein, an mir, wie es scheint.

Kapitän

Soll alles denen gehören, die mundfertig sind – verdamm mich Gott!

Cristina

Nein, nein, denen schon gar nicht! Seien Sie gut. Was liegt auch daran, ob damals oder später. Es ist halt so gekommen. Da waren Umstände, da waren Begegnungen, da kamen Ihnen Gedanken. Da fingen Sie an, sich Möglichkeiten vorzustellen.

Tritt zutraulich nahe dem Tisch.

Aber Sie sollen heiraten. Sie verdienen eine brave Frau.. Es gibt brave Frauen und Mädchen genug auf der Welt. Ich bin Ihre Freundin. Ich will Ihnen suchen helfen. –

Kapitän

nestelt an seinem Halskragen, nicht laut, gepreßt Es ist gut! Da sind wir gesessen, abends. Zehn-, zwanzigmal, was weiß ich, zu drei'n mit dem Onkel. Und Sie haben mich mein Garn spinnen machen, und wenn's dann kam, daß ich mich aus einer Gefahr herauszog und ein Mensch oder ein Fieber oder ein böser Sturm oder ein Korallenriff mich nicht konnte unterkriegen, da sah ich, daß Sie sich freuten. Ich sah etwas, ohne Sie anzusehen. Was brauch' ich Ihr Gesicht – konnte ich nicht an Ihrem Atem hören, daß Sie sich freuten?

Er sieht sie auch jetzt nicht an. Er hat sein scharfes Matrosenmesser neben sich liegen und fängt an, ohne es zu wissen, an der Bankecke zwischen seinen Knien zu schnitzeln.

Warum freuten Sie sich denn da? Was wurde denn weiter gerettet – ein Mann? Kein Mann für Sie, zumindest.

Sieht sie zornig an.

Was ist die Kreatur Sie angegangen? Sind Sie ein solches Frauenzimmer? Ist das alles, was Ihr Lachen wert ist?

Cristina

So sollen Sie nicht zu mir sprechen. Solche Blicke und eine solche Redeweise stehen Ihnen gar nicht. Diese ganzen zehn Wochen haben Sie mir kein Gesicht gezeigt, das ich so schnell über bekommen könnte wie dieses da.

Dreht sich rasch, gegen die Küche.

Kapitän

auf Gehört und begriffen! Pedro!

Pedro kommt, versteht, sucht Cristina mit dem Blick.

Wir sind am längsten hier gesessen. Pack' zusammen! Schaff ein Fuhrwerk!

Pedro sucht mit dem Blick Cristina.

Kapitän

zwischen den Zähnen, schlägt dabei mit dem Messer in den Tisch

Auf, auf, du Bootsmann, und auf, du Jung!
Kathrinchen hat von uns genung.

Er bricht ab. Seine Lippen und sein Kinn zucken.

Pedro

ist an Cristinas Tür gelaufen, hat durchs Schlüsselloch gesehen, sieht, sie ist nicht drinnen, was ihn beruhigt. Läuft zu seinem Herrn, streichelt ihn, leise Sie wird wiederkommen. Die Frauen gehen hinaus, aber sie kommen wieder herein. Ich weiß!

Cristina tritt ein, macht sich am Schrank zu tun. Pedro verzieht sich leise.

Kapitän

nickt trüb, ohne sie anzusehen Es ist etwas widerfahren

Seufzt.

Es hat sich etwas ereignet.

Cristina

hebt abwehrend die Hände Ja, ja, aber das ist vorbei und begraben. Ja, ja, aber das bereden wir nicht.

Kapitän

Sie können eben keinem Mann mehr trauen.

Cristina

Ich bilde mir nicht ein, die Mannsbilder zu kennen, weil ich einen kennen gelernt habe. So vermessen bin ich nicht. Ihnen täte ich vertrauen, wahrhaftig und ja.

Einen Augenblick liegt ihre Hand auf seiner Schulter, sogleich ist sie aber wieder weg.

Kapitän

dreht sich leise gegen sie, ergreift sanft ihre Hand, die sie

ihm gleich entzieht So ist es die Ehe, wovor Sie sich fürchten?

Cristina

tut einen Schritt zurück Gut ist die Ehe. In ihr ist alles geheiligt. Das ist kein leeres Wort. Das ist Wahrheit. Es führen's viele im Munde, aber wer's einmal begriffen hat, der versteht's.

Kapitän

Gut ist die Ehe? Also bin ich's, wovor Sie sich fürchten?

Cristina

Sie sind brav und gut. Fürchte ich mich vor Ihnen? Es sieht nicht darnach aus.

Kapitän

So nicht. – Aber Sie hätten einen Abscheu, wenn es dazu käme?

Cristina

geht langsam von ihm Aber dazu kommt's eben nicht, mein' ich halt.

Bleibt stehen, ohne sich umzuwenden.

Kapitän

gepreßt Nein. Schon nicht!

Cristina geht langsam weg.

Kapitän ihr schwerfällig nach.

Cristina! Das ist's, was ich sagen wollte: es lebt auf der Welt kein Mensch, vor dem sie sich schämen müßten.

Cristina

dreht sich jäh um Das hätten Sie mögen ungesagt sein lassen. Schämen? Ich? Vor wem? Vor den Leuten? Die Leute sind dort, und ich bin hier – es tut mit leid, Kapitän, daß Sie das Wort in den Mund genommen haben.

Geht in ihr Zimmer.

Kapitän stumpf vor sich hin, nimmt mechanisch das Messer, schnitzelt gewaltsam.

Pedro

kommt leise herein, sieht das verstörte Gesicht, setzt sich nahe dem Kapitän auf den Boden, wiegt sich traurig, seufzt Vielmals schwer der europäische Anfang. Sechzig und vier Tage und immer noch wie der erste Tag. In jedem anderen Lande war es schneller. Auf den Inseln war es oft sehr schnell. Oh! Bei achtenswerten Häuptlingsfrauen kann es sehr schnell sein, sichergewiß! Aber hier in Europa ist es mit vielen Vorschriften.

Grinst schmerzlich leise, entmutigend.

Aber es ist sehr haltbar. Nirgends ist es so haltbar.

Hört, daß Cristina eintritt, dreht sich um, sieht sie, und um nicht zu stören, kriecht er in sitzender Stellung zur Türe hinaus, die er von außen lautlos schließt.

Cristina geht leise auf den Kapitän zu.

Kapitän legt das Messer hin, erschrickt.

Cristina

bleibt nahe vor ihm stehen Ich will nicht im Zorn von Ihnen gehen. Was haben Sie denn auch weiter gesagt? Es ist schon vergessen. In Gottes Namen. Wollen Sie mich nicht ansehen?

Kapitän

ohne sie anzusehen, halb gegen die Wand gekehrt, laut Der Mann ist dazwischen.

Cristina

Da könnte eins ja sagen oder da könnte eins auch schweigen, da wären Sie dann der Mann dazu: aus dem Schweigen sich ein Ja zu machen. Der wären Sie schon. Aber ich will den Mund auftun, Kapitän – Kapitän, der Mann ist nicht zwischen Ihnen und mir.

Kapitän

halb für sich Sie haben ihn noch lieb, trotz allem.

Cristina

Da, ich geb Ihnen meine Hand. Fühlen Sie, ob sie zittert.

Er nimmt die Hand nicht.

Kapitän! Vor der Begegnung dort, da war nicht viel Gescheites an mir. Auch aus Ihnen hätte ich mir nichts gemacht vor dem. Jetzt weiß ich, was ein Mann ist und auch was eine Frau ist, in Gottes Namen. Es widerfährt einem halt allerlei, wenn eins auf Reisen geht. Mich soll keiner klagen hören.

Kapitän

Gut!

Atmet hörbar.

Wenn nun aber der Mann auf andere Weise im Wege wäre –

Cristina

Was gibt's noch, in Gottes Namen?

Kapitän

errötet Soll ich darum für nichts geachtet werden, weil mir die Redensarten nicht zufließen?

Cristina

Nein, darum sollen Sie nicht für nichts geachtet werden, in Gottes Namen.

Kapitän

Wenn des Mannes Angedenken oder des Mannes Essen, Schlafen, Gehen und Stehen im Wege wäre, so will ich hingehen und den Mann aufsuchen, und der Mann wird nicht mehr essen, nicht mehr schlafen, nicht mehr gehen, nicht mehr stehen. Dies gesagt: nicht als ob ich einen Haß hegte gegen den Mann – ich hege einen Haß gegen das, was in meinem Wege ist.

Cristina

Dies ist ein christlicher Vorsatz. Aber, Kapitän, der Mann ist nicht im Wege.

Kapitän

Nun denn, ver –

Nicht laut

Um der Begegnung willen! Um eines jähen Trunkes willen! Um eines muntern Liedchens willen und einer Kammertür, an der kein Riegel war –

Cristina

mit etwas gesenktem Kopfe Der Mann und des Mannes Angedenken ist nicht im Wege.

Kapitän

Um dies nicht – um jenes nicht – um des Burschen willen nicht – um der Leute willen nicht – wo denn? Wo faß ich's denn? Wo krieg ich's denn unter die Finger?

Pedro kommt leise herein ängstlich, ungeduldig.

Cristina zuckt die Achseln.

Kapitän

sieht sie an und ist nicht imstande, in ihrem Gesicht zu lesen Es ist gut!

Zu Pedro.

Fort mit dem Zeug da.

Reißt Mantel und Kleider von der Stange, wirft sie Pedro zu.

Das Quartier ist vergeben! Rühr dich. Soll ich dir Beine machen? Mit mir ist man hier fertig. Gezählt, gewogen, zu leicht befunden.

Immer weiter aufpackend.

Wer hat dich auch geheißen mir vor elf Jahren das verfluchte Messer dort zuschmeißen? Wer hat dich geheißen, mich für dieses europäische Abenteuer dort und für Mamsell ihre zwei Monate dauernde schandbare Belästigung konservieren, wo sechs ehrliche Malaien fleißig daran waren, mich den Haifischen zum Aufheben zu geben? Der Teufel hat dich das geheißen! Für den Dienst soll ich dir noch heute deine freundliche, ölige Fratze zuschanden hauen, das ist, was ich soll.

Cristina

Kannst du ihn nicht aufhören machen, Pedro? Kannst du nicht dein europäisches Ansehen brauchen und deinen Herrn bedeuten, daß wir hier auf festem Lande sind.

Pedro

wendet sich nun auf einmal gegen Cristina als gegen die Urheberin all dieses Unheiles. Er hebt die zwei Finger jeder Hand gegen sie, wie man es tut, um den bösen Blick abzuwehren; er bläst gegen sie, er führt förmliche Tänze auf, um ihre Worte unschädlich zu machen Du machst alles Unglück! Du bist ein Gespenst, welches sich freut, zu essen das Herz von meinem guten Kapitän. Du hast ihn hochachtungsvoll genötigt abzumagern. Du bist ein böser Geist.

Kapitän

indem er weiteres Kleiderzeug zum Einpacken zurechtwirft und von der Stange herabreißt Da hab' ich gemeint, hier meinen Stand zu finden und meine Knochen in geweihter Erde begraben zu lassen, und, verdamm mich Gott, mir Kinder zu machen. Die sollen aufwachsen im Land ihrer Väter und es gut haben und fischen, die kleinen Burschen in ihres Vaters Fischwasser, wo kein Flurwächter ihnen die Knochen im Leibe zerschlägt!

Pedro widerwillig dem Kapitän helfend, gleich wieder auf Cristina los Du hast auf ihn gemacht diese Traurigkeit; du hast geblasen auf meinen Kapitän seine Augen, du hast genommen die Körpergestalt von einen weißen Mädchen und hast innen das Herz von einen bösen Feind.

Kapitän

ist indessen mit starken Schritten in sein Zimmer gegangen, zieht von dort heraus einen mächtigen Lederkoffer hinter sich her, singt dazu mit gebrochener Stimme

Sie mag nicht den Gestank von Teer,
sie nimmt sich einen Schneider her!

Cristina

tritt nach hinten, kehrt ihr Gesicht gegens Fenster

Wenn du tanzen willst und er singen, so muß ich auf dem Seil gehen lernen, dann können wir miteinander zur Kirchweih aufziehen.

Kapitän

eifrig einpackend, von Pedro unwillig bedient Ein richtiges Matrosenlied paßt auf alle Vorkommenheiten, verdamm mich Gott!

Er lacht rauh auf, und es geht in ein Schluchzen über.

Cristina

bleibt an ihrer Stelle Das Handwerk, auf das Sie sich jetzt geworfen haben, bei dem will ich Sie nicht sehen! Mit deutlichen Worten gesagt: ich will Sie nicht weinen sehen, Herr!

Stampft zornig auf.

Kapitän packt mit finsterer Entschlossenheit weiter.

Pedro

entspringt ihm, urwaldhaft feindselig auf Cristina los Du hast gemacht seine Augen zu rinnen wie ein alter Brunnen! Du bist der wiedergekommene Geist von einem Malaien, den wir haben hochachtend den Hals abgeschnitten mit dieses Messer dort. Es wäre vielleicht gut, dieses Messer noch einmal in deinen Hals zu geben.

Kapitän

auf den Knien beim Koffer, reißt ihn nach vorn Da sollst du Hand anlegen; das ist es, was du sollst. Heute vor Abend wollen wir das Fräulein von unserem Anblick befreit haben.

Cristina

hinten am Fenster, dem Weinen nahe Ich will, daß Sie fröhlich von hier fortgehen und mich vergessen.

Mit dem Versuch, kalt zu scheinen.

Was ist da auch weiter? Es geht ja alles so natürlich zu auf der Welt. Da kommt eines, und da geht eines. Da laufen zwei zusammen und laufen wieder auseinander, kommt wieder ein neues dazu und so fort. Die Wahrheit zu sagen, ich möchte nicht wo sitzen, wo man viel davon zu sehen kriegt. Ich bin froh, daß ich hier mutterseelenallein in meinem Winkel sitzen werde. Sehr froh bin ich, sehr froh, und dabei soll es bleiben.

Sie bricht in Tränen aus; das Gesicht gegen das Fenster gekehrt.

Kapitän

packend, vor sich Ich habe sie lieb, ich hätte lieber mögen mein Leben für sie hingeben als diesem Haus mit lebendigem Leib den Rücken kehren. Aber das soll für nichts gut sein. Das soll ganz weggeworfen werden, das soll es, und ich soll mich wieder dahin packen, von wo ich gekommen bin.

Pedro

hinspähend, hinhorchend Sie weint sehr viel. Sie schluchzt. Oh! Das ist gut!

Kapitän

vor sich, ohne umzukehren Ich möchte das Kind nicht weinen sehen!

Sein Gesicht zuckt.

Pedro

halb aufgerichtet Vielmals gut ist das! Jetzt wird der böse malaiische Mann aus ihr herausgehen.

Verzieht sich nach der Seite.

Cristina hat sich umgewandt, sieht nach dem Kapitän, ihr Gesicht ist mit Tränen überströmt.

Kapitän

ohne sie zu sehen, vor sich Sie wird sich versperren in ihr Zimmer, und da werde ich meinen letzten Abschied von ihr nehmen. »Höre mich an, Mädchen«, werde ich sprechen, »mach die Tür auf und komm heraus.« Und sie wird keine Antwort geben darinnen in der Kammer. »Soll ich auch dein Gesicht nicht mehr sehen?« werde ich sprechen – »sollen Bretter und Balken das letzte Gesicht sein, das ich von dir sehe! Verdamm mich Gott!«

Cristina

allmählich vorkommend, endlich neben ihm Nein! Nein! Nein! Nein! So soll es nicht geschehen. Ich will deine Frau werden. Aber laß mich dich nie mehr weinen sehen.

Kapitän

auf dem Boden, wie betäubt, in sonderbarer Haltung, die Hände an die Brust gezogen Jetzt sprichst du so zu mir? Wie ist denn das geschehen?

Cristina

Das hast du auf eine recht geschickte und manierliche Weise zuwege gebracht und obendrein noch dem Schneider was zu verdienen gegeben.

Kapitän

O nein – o nein – wie ist denn das geschehen?

Cristina

Ich war verstockt, das war ich schon, in Gottes Namen. Ich hab' halt gemeint, es gibt kein Zeichen, das nicht lügen kann bei einem Mann, und damit aus und Amen. Aber wie du so dagestanden bist, mitten im Zimmer, grade nur ein bißchen hilfloser als ein vierjähriges Kind, das hat mir schon kleinweise das Herz umgedreht. Oder meinst du, war es vielleicht der Pedro, der das Stück Arbeit besorgt hat?

Kapitän

an der gleichen Stelle, hilflos Was soll – was darf ich denn jetzt tun?

Cristina

Jetzt darfst und sollst du mich hinübergehen lassen zum Onkel, denn der muß der erste sein, der weiß, daß wir zwei einig geworden sind miteinander. Nein, ist's dir recht, daß ich so tu?

Kapitän

Du fragst mich –

Cristina

Ich frage dich, denn du bist es hinfort, der mir soll zu befehlen haben,

Kapitän

Ich?

Cristina

Wenn es dir recht ist, so laß mich gehen, ich bin bald wieder bei dir.

Kapitän

Du sollst alles tun, wie es dir gut scheint. So sollst du es tun.

Cristina will gehen.

Kapitän an der Tür, macht einen unbeholfenen schüchternen Versuch, sie zu umarmen.

Cristina wehrt ihn sanft ab und ist schon draußen.

Kapitän

kehrt an der Türe um. Sieht sein Messer liegen, hebt es auf, sucht die Scheide, steckt das Messer ein, lacht und weint vor maßloser Freude, weiß nicht recht, wo er mit sich hin soll. Ruft Pedro! Pedro! während er die Klinke zu seinem Zimmer rechts vorne in der Hand hat, und geht da hinein.

Die Bühne bleibt für ganz kurze Zeit leer. Es dämmert allmählich. Von links durch die Küche kommt der Pferdeknecht herein, hinter ihm Florindo, reisemäßig gekleidet, mit Hut und Mantel.

Knecht

Frau! Frau! Ist die Frau nicht da?

Florindo

Wohin führst du mich denn da? Schaff mir den Wirt, ich hab keine Zeit.

Knecht

Hören Sie nicht, wie ich rufe: Frau?

Florindo

Den Wirt sollst du mir rufen, Pferde brauch ich. Ein Schreibzeug will ich. Einen Boten schaff mir her, der mir den Brief nach Capodiponte trägt.

Knecht

Die Pferde kriegt der Herr, die führt schon der lahme Josef aus dem Stall heraus. Schreibzeug ist allweil eins hier herum, und rufen tu ich ohne Sie, das hört der Herr wohl. Frau!

Florindo

findet das Schreibzeug, setzt sich an den Tisch, legt Hut und Mantel ab, schreibt. Unterm Schreiben Ist der Wirt eine Frau?

Knecht

Der Wirt ist keine Frau. Aber die Frau ist der Wirt.

Florindo

unterm Schreiben Eine Frau ist der Wirt? Ist's eine Witwe?

Knecht

lacht Wie wird denn die Frau eine Witwe sein?

Florindo

Nein?

Steht auf.

Da muß sie doch einen Mann haben, der sich um den Pferdestall bekümmert.

Knecht

Keinen Mann hat sie nicht, weil sie dazumal eine Jungfer ist, der Herr wird schon entschuldigen.

Florindo

Ist dir ein fremder Kapitän Tomaso bekannt in Capodiponte?

Knecht

lacht Kein fremder Kapitän ist mir nicht bekannt, aber unser Herr Kapitän ist mir wohl bekannt in Capodiponte, und auch anderswo ist er mir bekannt.

Florindo

Schaff mir einen Menschen, der den Brief da nach Capodiponte in des Kapitäns eigene Hände trägt. Eine Dame wartet unten im Wagen auf mich. Es wird finster, ich kann nicht, wie ich wollte, über Capodiponte fahren.

Knecht

Weil's finster wird, kann der Herr nicht über Capodiponte fahren? Das muß ich dem Josef erzählen.

Geht ab, lacht sehr.

Florindo schreibt.

Kapitän kommt links heraus, bemerkt nicht gleich, daß jemand da ist, geht in die Mitte.

Florindo

sieht auf, springt auf Kapitän!

Umarmt ihn.

So findet man sich wieder.

Kapitän

Das ist – verdamm mich Gott. Das wäre nun also der Herr Florindo aus Venedig.

Florindo

So bin ich denn in Capodiponte, ohne es zu wissen! Hier schreibe ich Ihnen, nehme Abschied von Ihnen: für lange – vielleicht fürs Leben –

Kapitän schweigt. Der Blick seiner runden Augen ist fest auf Florindo gerichtet und der Ausdruck ganz undurchdringlich.

Florindo

Mein Weg geht nach Tirol, vielleicht nach Wien, nach Dresden, Gott weiß wohin. Da unten an der Brücke wird uns das Sattelpferd am Reisewagen schulterlahm – Henriette – ich meine die Gräfin – ich habe Ihnen geschrieben, wie sehr sie sich wünschte, im Vorüberfahren Ihre Bekanntschaft zu machen, und nun, weil es finster wird, weil eine Fledermaus an den Wagenschlag flattert, was weiß ich – vorwärts, frische Pferde und vorwärts, und wenn der König von Frankreich hier säße und auf uns wartete. Ich muß sofort zu ihr zurück. Sie ist allein im Wagen. Ich darf sie niemals lange allein lassen. Ich bin ihr Eigentum. Es ist ein unerträglicher, entzückender Zustand, Kapitän! Welche unendliche Verschiedenheit in den Frauen! Und das auszukosten sind uns fünfzehn, wenn's hoch kommt zwanzig Jahre gegeben. Ein Augenblick! Mein guter Kapitän!

Faßt freundschaftlich seine beiden Hände.

Werd ich Sie noch einmal im Leben sehen? Weiß Gott, es gibt nichts, was uns Männer so miteinander verbindet und so voneinander trennt wie die Frauen.

Hat ein Lachen in der Stimme, stutzt dann einen Augenblick.

Kapitän, wir sind in Capodiponte, Kapitän, wie ich Sie da sehe – In wessen Haus bin ich, Kapitän?

Kapitän

Wem das Haus da gehört – das wissen Sie nicht? Das ist ist meiner – das ist Cristina ihr Haus.

Florindo

Das ist Cristinas Haus? Kapitän, Sie sind sehr glücklich! Kapitän, sie ist Ihre Frau?

Kapitän

von Freude überwältigt Sie wird meine Frau werden, Herr. Herr, das wird sie. So verrückt ist sie. So wenig hat sie ihre fünf Sinne beisammen! Ja, so ist dem, Herr! Wenn Sie darnach fragen, Herr!

Florindo

Sie wird – und da werden Sie immer leben. Mit Cristina! Immerfort! Beneidenswert! Hier ist der Tisch, wo Sie mittags mit ihr sitzen. Oder sie bringt selbst die Suppe aus der Küche, ja? und abends – Sie gehen auf die Jagd –

Kapitän

hebt etwas auf Da ist eine Unordnung, Sie müssen das entschuldigen, Herr!

Florindo

Ja, ich habe Wildenten streichen sehen, und wenn es dann dämmert, wenn es zwischen den Binsen nicht mehr schußlicht ist, dann kommen Sie heim, und dann steht Cristina da am Fenster und sieht hinaus und wartet auf Sie. – Namenlos. Ihnen sind nie über der Geschichte von Philemon und Baucis die Tränen in den Hals gestiegen. Ich weiß, Kapitän, denn Sie haben sie nicht gelesen. Aber Sie werden sie leben, beneidenswerter Kapitän.

Kapitän

Heute, Herr, wenn Sie darnach fragen, Herr – vor einer Stunde, Herr –

Es wird ihm schwer, er schluckt,

Herr, das ist keine Sache, die ich mit meinem Mundwerk nach der Ordnung zu erzählen verstünde.

Florindo

mit Überlegenheit Erzählen Sie mir nichts, Kapitän, ich bitte Sie. Auch gute Freunde müssen ihre Geheimnisse vor einander haben.

Ohne ihn anzusehen.

Alles, was erlebt zu werden der Mühe wert ist, ist unerzählbar. Damals, als ich hinunterfuhr nach Venedig, Kapitän – es geht jede Stunde des Tages von irgend einem Platz weg eine Barke nach Mestre – Kapitän, es war der schwerere Teil, nicht in eine dieser Barken zu springen, es war das Unmöglichste, nicht in eine dieser Barken zu springen – Sie haben natürlich recht, Kapitän. Man muß immerhin manchmal das Unmögliche tun. – Ich bin sehr zufrieden, hier mit Ihnen zu sitzen, Kapitän.

Kapitän brummt mit blitzenden Augen etwas Unverständliches.

Florindo

drückt seine Hände halb abgewendet Danken Sie mir nicht, Kapitän!

Pedro sieht zur Küchentür herein. Sehr befriedigt, seinen Herrn mit Florindo zusammen zu sehen.

Florindo

zum Kapitän Ein anderer würde fragen: hat sie mir vergeben? Hat sie mich vergessen? Aber es wäre nichts als bübische Eitelkeit in dieser Frage. Wir sind Mann gegen Mann: wir wissen, was das Leben lebenswert macht.

Pedro nähert sich Florindo mit Anstand.

Florindo

Pedro! Mein großer europäischer Freund!

Pedro

Ich bin sehr glücklich, mich abermals die Hände zu schütteln mit einen Herrn, der so gut versteht die Heirat in europäischer Weise. Ich bin im Begriffe in den Ehestand hineinzutreten mit Hilfe der betreffenden Witwenfrau, und wir werden immer gedenken auf unseren Anstifter mit zudringlicher Dankbarkeit.

Verneigt sich und tritt ab.

Kapitän

Zu Florindo Was ich fragen wollte, Herr: Wie konnten Sie es wissen, Herr – daß ich hier – daß mein – daß ich auf Cristinas – ich hatte meinen Mund nicht aufgetan, Herr.

Florindo

Kapitän, Sie sind eine Seele von einem Menschen. Sie werden glücklich sein mit ihr, wahrhaft glücklich. Lassen Sie mich Ihnen die Wahrheit sagen: es ist nicht um Ihretwillen, daß ich hierher gekommen bin, es ist um Cristinas willen. Unser Weg hätte uns so eigentlich nicht über Capodiponte geführt. Wie Sie da vor mir sitzen, Kapitän – Sie haben mehr Ähnlichkeit mit einem kleinen Kind als irgend jemand, der mir noch untergekommen ist, obwohl Sie ein starker, mutiger Mann sind und gelegentlich einmal sechs Malaien über Bord befördert haben. Aber eben dieser Umstand gibt mir eine ganz einfältlige Sicherheit, daß Cristina an dieser Brust geborgen ist wie sonst an keinem Fleck der Erde.

Steht auf, umarmt den Kapitän, der gleichfalls aufgestanden ist.

Ich muß fort, Kapitän. Sagen Sie ihr nicht, daß ich da war. Es ist der Erwähnung nicht wert. Oder auch. Wie Sie wollen, Kapitän – wie Sie wollen.

Will gehen.

Cristina

tritt von links aus der Küche, sagt über die Schulter nach rückwärts hin Pasca, mit wem spricht er denn da? Wer ist denn der?

Kapitän

Cristina! Besuch! Aber Besuch, der sich schon wieder verzieht. O he, o he! Don Florindo, da mögen Sie selbst Ihren Abschiedsgruß anbringen, ehe Sie weiterreisen. Hier zur Stelle.

Cristina steht im Halbdunkel an der Mauer.

Kapitän

führt Florindo zurück Das ist jemand, der sich rühmen darf, gute Bekanntschaft vermittelt zu haben. Da ist jemand, den wir nicht so bald wiedersehen werden. Denn er ist so in Anspruch genommen. Das ist er, verdamm mich Gott, der kostbare Bursche. Immer sehr in Anspruch genommen. Es wartet auf der Brücke ein Reisewagen auf ihn und Gesellschaft darinnen.

Florindo tritt näher, verneigt sich.

Kapitän

Das ist ein Tag, den streich ich rot im Kalender an, wo mir das Mundwerk flinker geht als einem solchen Herrn da. Ein solcher Tag kommt nicht wieder.

Cristina

schnell In Gottes Namen! Reisen Sie nur immer glücklich, Herr. Sie sind einer, scheint mir, der immer auf Reisen sein muß. Anders kann ich Sie mir gar nicht denken.

Florindo

Sie haben recht, schöne Cristina!

Cristina

Der meinige hier soll mir das Reisen gründlich verlernen. Bei ihm ist der Matros' nur der Engerling, in dem der Bauer dann steckt, und der soll sich nur ans Licht fressen, dann bleibt von dem andern nichts mehr übrig.

Florindo

an der Tür zum Kapitän, der ihn begleitet Wie schön sie ist, Kapitän! Wie schön sie ist! Gott befohlen, Kapitän!

Er zögert.

Kapitän

Gott befohlen und viel Glück auf die Reise, Herr.

Schiebt ihn gelassen zur Tür hinaus.

Florindo geht.

Cristina

Da hast du einen Gast, der alleweil kann nur ein Sprüchel, wie der Ministrant das et cum spiritu tuo.

Kapitän

tritt zu ihr Was zitterst du so wie Espenlaub? Ist es des Menschen Anblick? Zitterst du um seinetwillen?

Cristina

Laß. Was tut der Mann mir Böses? Der hat mir nichts weggenommen. Ach keinem auf der Welt hat der was weggenommen. Nie hat dem nichts gehört! Wie gut, daß ich ihn gesehen habe. Das hat so sein müssen in Gottes Namen, dafür will ich dankbar sein bis an mein seliges Ende. Das war gut von dir, daß du mich hast ihn und dich nebeneinander sehen lassen, damit hast du mir Gutes getan. Liebster, das will ich dir danken.

Sie schlingt ihre Arme um seinen Hals.

Kapitän

fast erschrocken vor Glück Wie benennst du mich? Sag das noch einmal!

Cristina

Das brauch ich jetzt nicht noch einmal zu sagen – denn ich werde dich noch viele, unzählige Male so benennen, in Gottes Namen.

Kapitän

fühlt, wie sie zittert, und läßt sie aus seinen Armen sanft auf einen Stuhl nieder Du sollst dich setzen.

Cristina

Laß. Dort kommt der Onkel, sich die alte Geschichte ansehen. Denn du mußt wissen, mein guter Kapitän, es gibt keine zweite so alte Geschichte in Capodiponte als die, daß wir zwei ein Paar werden. Du bist einer von denen, die man von weitem kommen sieht. Und ich habe dich in Gottes Namen heute kommen sehen. Da bist du noch ganz ruhig hinter deinem Suppenteller gesessen.

Kapitän

Der Onkel ist am Fenster. Wollen wir nicht hingehen und um seinen Segen bitten?

Der Pfarrer steht am Fenster, sieht durch die Fensterscheiben.

Cristina

Laß. Stell dich vor mich hin, daß du mich ihm verdeckst. Es könnte sein, daß ich lache, denn mir ist sehr vergnügt zu Mut. Da möchte er dann glauben ich bin leichtfertig. Und es könnte sein, daß ich ein bißchen weinen werde, und das wäre nur vor Rührung über ihn. Wahrhaftig, nur über ihn, den alten Mann. Aber Gott weiß, wie er's weitschweifig auslegen täte.

Sie legt ihr weinendes Gesicht auf seine breiten Hände, die auf der Stuhllehne ruhen.

Sag mir nur schnell – da hab ich doch mein Leben in Einsamkeit beschließen wollen. Ganz fest war das in mir, verdamm mich Gott. Sag mir nur schnell, was ist an euch, daß wir euch doch wieder brauchen?

Kapitän

Daß wir euch brauchen, das ist an uns, in Gottes Namen.

Er küßt ihre Stirne.

Pedro mit Pasca in der Türe links, zeigt hin, flüstert Du wirst noch sagen etwas gegen den Herrn Florindo?

Pasca faltet die Hände.

 

Vorhang


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