Hugo von Hofmannsthal
Aufsätze
Hugo von Hofmannsthal

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Sebastian Melmoth

Dieser Name war die Maske, mit der Oscar Wilde sein vom Zuchthaus zerstörtes und von den Anzeichen des nahen Todes starrendes Gesicht bedeckte, um noch einige Jahre im Dunkel dahinzuleben. Es war das Schicksal dieses Menschen, drei Namen nacheinander zu führen: Oscar Wilde, C 3 3, Sebastian Melmoth. Der Klang des ersten nichts als Glanz, Hochmut, Verführung. Der zweite fürchterlich, eines jener Zeichen, welche die Gesellschaft mit glühendem Eisen in eine nackte menschliche Schulter einbrennt. Der dritte der Name eines Gespenstes, einer halbvergessenen Balzacschen Gestalt. Drei Masken nacheinander: eine mit wundervoller Stirn, üppigen Lippen, feuchten, herrlichen, frechen Augen: eine Bakchosmaske; die zweite eine Maske von Eisen mit Augenlöchern, aus denen die Verzweiflung sieht; die dritte ein dürftiger Domino aus der Maskenleihanstalt, geborgt, um ein langsames Sterben darin vor den Blicken der Menschen zu bergen. Oscar Wilde glänzte, entzückte, verletzte, verführte, verriet und wurde verraten, stach ins Herz und wurde ins Herz gestochen. Oscar Wilde schrieb die Betrachtung über den Verfall des Lügens, schrieb »Der Fächer der Lady Windermere«, schrieb »Salome«. C 3 3 litt. C 3 3 schrieb die »Ballade des Kerkers von Reading« und jenen Brief aus dem Kerker von Reading, genannt »De Profundis«. Sebastian Melmoth schrieb nichts mehr, schleppte sich in den Straßen von Paris herum, starb und wurde eingegraben.

Und nun ist Sebastian Melmoth, hinter dessen armem Sarg fünf Menschen gingen, so überaus berühmt. Nun ist alles, was er lebte, beging und litt, in aller Leute Mund. Nun wissen sie alle, daß er in einer Art von Kaninchenstall saß und mit feinen, blutenden Fingern alte Schiffstaue zu Werg aufdrehen mußte. In aller Munde ist dies von dem fürchterlichen Bad, in das er steigen mußte, dem schmutzigen Wasser, in das die Sträflinge der Reihe nach steigen mußten, und Oscar Wilde als der letzte, weil er der letzte in der Reihe war. »Oscar Wilde«, sagte mit unbewegten Lippen einer hinter ihm, als sie im Gefängnishof auf und nieder geführt wurden, »Oscar Wilde, ich verstehe, daß Sie mehr leiden müssen als wir anderen alle.« Auch diese Worte, die irgend ein Sträfling, mit unbewegten Lippen und doch hörbar, in seinem Rücken flüsterte, sind heute sehr berühmt. Sie sind ein Detail einer Legende, die wundervoll ist, wie immer etwas Wundervolles entsteht, wenn das Leben sich die Mühe nimmt, ein Schicksal dichterisch zu behandeln.

Aber man sagt: »Welch eine Wandlung!« Man sagt: »Oscar Wilde, der frühere, und Oscar Wilde, der andere.« Man spricht von einem Ästheten, aus dem ein neuer Mensch geworden ist, ein Gläubiger, gar ein Christ. Man hat sich angewöhnt; von gewissen Romantikern gewisse Dinge zu sagen, und man wiederholt sie zu gerne. Man sollte sie nicht wiederholen. Erstens darum, weil sie wahrscheinlich schon das erstemal nicht ganz richtig waren, und zweitens darum, weil die Zeiten sich verändern und es gar keinen Sinn hat, so zu tun, als ob die Dinge wiederkämen, während in Wirklichkeit immer neue, unendlich differenzierte, unendlich merkwürdige Dinge heraufsteigen. Es hat gar keinen Sinn so zu sprechen, als ob Oscar Wildes Schicksal und Oscar Wildes Wesen zweierlei gewesen wären und als ob das Schicksal ihn so angefallen hätte wie ein bissiger Köter ein ahnungsloses Bauernkind, das einen Korb mit Eiern auf dem Kopf trägt. Man sollte nicht immer das Abgegriffenste sagen und denken.

Oscar Wildes Wesen und Oscar Wildes Schicksal sind ganz und gar dasselbe. Er ging auf seine Katastrophe zu, mit solchen Schritten wie Ödipus, der Sehend-Blinde. Der Ästhet war tragisch. Der Geck war tragisch. Er reckte die Hände in die Luft, um den Blitz auf sich herabzuziehen. Man sagt: »Er war ein Ästhet, und dann kamen unglückselige Verwicklungen über ihn, ein Netz von unglückseligen Verwicklungen.« Man sollte nicht mit Worten alles zudecken. Ein Ästhet! Damit ist gar nichts gesagt. Walter Pater war ein Ästhet, ein Mensch, der vom Genießen und Nachschaffen der Schönheit lebte, und er war dem Leben gegenüber voll Scheu und Zurückhaltung, voll Zucht. Ein Ästhet ist naturgemäß durch und durch voll Zucht. Oscar Wilde aber war voll Unzucht, voll tragischer Unzucht. Sein Ästhetismus war etwas wie ein Krampf. Die Edelsteine, in denen er vorgab mit Lust zu wühlen, waren wie gebrochene Augen, die erstarrt waren, weil sie den Anblick des Lebens nicht ertragen hatten. Er fühlte unaufhörlich die Drohung des Lebens auf sich. Das tragische Grauen umlagerte ihn fortwährend. Unablässig forderte er das Leben heraus. Er insultierte die Wirklichkeit. Und er fühlte, wie das Leben sich duckte, ihn aus dem Dunkel anzuspringen.

Man sagt: »Wilde sprach geistvolle Paradoxa, an seinen Lippen hingen die Herzoginnen, seine Finger zerpflückten eine Orchidee, und seine Fußspitzen wühlten in Polstern aus alter chinesischer Seide, dann aber kam das Unglück über ihn und er wurde in das Bad gestoßen, aus dem vorher zehn Sträflinge gestiegen waren.« Aber man muß das Leben nicht so banalisieren, man muß nicht alles auf das Niveau eines Unglücksfalles herunterzerren. Die wundervoll geschliffenen Worte, die bis zum Schwindelnden mondänen und bis zur Gequältheit zynischen Sätze, die von diesen schönen, geschwungenen, verführerischen und frechen Lippen fielen, waren im Tiefsten gar nicht für das Ohr der schönen Herzoginnen gesprochen, sondern für das Ohr einer Unsichtbaren, die ihn mit Grausen lockte, wie eine Sphinx, an die er unaufhörlich dachte, während er sie unablässig verleugnete, und deren Namen »Wirklichkeit« er nur im Munde führte, um ihn zu verspotten und zu demütigen. Und seine Glieder, die Orchideen zerpflückten und sich in Polstern aus uralter Seide dehnten, waren im tiefsten voll fataler Sehnsucht nach dem gräßlichen Bad, vor dem sie doch, als es sie dann wirklich bespritzte, sich zusammenkrampften vor Ekel.

Darum muß es erschütternd gewesen sein, Oscar Wilde in einem Augenblick seines Lebens zu sehen. Ich meine in dem Augenblick, als er, über den niemand Gewalt hatte als sein Geschick, entgegen dem Flehen seiner Freunde und fast zum Grausen seiner Feinde zurückkehrte und den Queensberry verklagte. Denn damals muß die Maske des Bakchos mit den schön geschweiften, üppigen Lippen in nie zu vergessender Weise umgewandelt gewesen sein in die Maske des sehend-blinden Ödipus oder des rasenden Ajax. Damals muß er um die schöne Stirn die Binde des tragischen Geschickes getragen haben, sichtbar wie wenige.

Man muß das Leben nicht schaler machen als es ist, und die Augen nicht wegwenden, um diese Binde nicht zu sehen, wo einmal eine Stirn mit ihr umwunden ist.

Man muß das Leben nicht banalisieren, indem man das Wesen und das Schicksal auseinanderzerrt und sein Unglück abseits stellt von seinem Glück. Man darf nicht alles sondern. Es ist alles überall. Es ist Tragisches in den oberflächlichen Dingen und Albernes in den tragischen. Es ist etwas würgend Unheimliches in dem, was man Vergnügen nennt. Es ist Dichterisches in den Kleidern der Kokotten und Spießbürgerliches in den Emotionen der Lyriker. Es ist alles im Menschen drin. Er ist voll der Gifte, die gegeneinander wüten. Es gibt auf gewissen Inseln Wilde, die ihre Pfeile in den Leib ihrer toten Verwandten stecken, um sie unfehlbar tödlich zu vergiften. Dies ist eine geniale Art, einen tiefen Gedanken metaphorisch auszudrücken und dem Tiefsinn der Natur ohne viel Umschweife zu huldigen. Denn wirklich, die langsam tötenden Gifte und die Elixiere der sanft schwelenden Seligkeiten, alles liegt in unserem lebendigen Leib beisammen. Man kann kein Ding ausschließen und keines für so niedrig nehmen, daß es nicht eine sehr große Macht sei. Es gibt, vom Standpunkte des Lebens betrachtet, kein Ding, das »dazu gehört«. Es ist überall alles. Alles ist im Reigen.

Wundervolles Wort des Dschellaledin Rumi, tiefer als alles: »Wer die Gewalt des Reigens kennt, fürchtet nicht den Tod. Denn er weiß, daß Liebe tötet.«


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