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Zweites Kapitel

Unsere Kitty war mit langen Schritten in die Schloßgasse gelaufen, wo ihre aller-allerbeste Freundin, Änne Täuber, wohnte. An einem Hause, das eine große Toreinfahrt hatte, blieb sie stehn und pfiff einige Töne. Vorübergehende lächelten, und einige Schüler mit bunten Mützen auf dem Kopf ahmten den Pfiff nach. Kitty stampfte darob wütend mit dem Fuß auf, warf den »dummen Jungens«, wie sie diese im Geiste nannte, Blicke voller Verachtung zu und pfiff noch einmal.

Im ersten Stock wurde ein Fenster geöffnet, und ein hellblonder Mädchenkopf ward sichtbar.

»Änne, hast du Watte in den Ohren?« rief das Schloßfräulein, wie Kitty in der Schule öfters genannt wurde, ungnädig hinauf. »Sollst mit zu mir!«

»Ja, sofort, Kitty!«

Gleich darauf trat Änne aus dem Torbogen auf die Straße. Sie war ein herziges Geschöpfchen, zierlich, immer lachend, sorglos. An Kitty, zu der sie aufsah, hing sie mit Begeisterung.

Kitty war ja so riesig klug, ein so ganz von modernem Geist erfülltes Mädchen; so sagte Ännes Mutter immer. Änne kam sich furchtbar wenig begabt vor ihrer Kitty gegenüber.

»Komm!« befahl das Schloßfräulein und zog Ännes Arm durch den ihren, »nun holen wir Friedel und machen uns einen fidelen Nachmittag!«

»Was sagte denn dein Papa zu, zu – der Zensur?« fragte Änne ängstlich.

»Er war entzückt! Weißt du, ich las ihm nämlich mein Zeugnis einfach vor! Ich sag' dir, das ist eine brillante Erfindung meinerseits! Nichts weiß er vom Betragen! Ich hasse die Richter übrigens! Mir eine 4 zu geben!«

Änne stimmte bei.

Frieda war die Tochter des Postdirektors, der seine Wohnung im Postgebäude hatte. Der Posthof war für die drei miteinander befreundeten Mädchen ein Platz, wo sie sich herrlich vergnügten. Sie kletterten voll Übermut in die gelben Postkutschen, die nach den benachbarten Dörfern fuhren. Kitty erwischte sogar einmal das Posthorn des »Schwagers«, setzte es an die Lippen und brachte einige markerschütternde Töne hervor. –

Augenblicklich war der Hof leer. In dem nicht benutzten Grasgarten nebenan blühten die Herbstblumen.

Auch hier ließ Kitty ihren Pfiff ertönen. Die beiden standen dicht unter dem Fenster, das zu Friedels Stübchen gehörte.

Da fiel mit einemmal ein Regen von Rosenblättern über sie herab. Ein Gelächter ertönte, und im Fenster erschien ein brauner Lockenkopf.

Die Untenstehenden schüttelten sich lachend die Blätter ab.

Gleich darauf kam es die Treppe herabgehopst, zugleich blies jemand auf einer Mundharmonika. Es war Friedel Radow, das einzige Kind des Direktors. Das Herbstjackett auf der Schulter, den Hut um Arm hängend, so kam Friedel zum Vorschein. Sie nickte einen »Guten Tag«, ließ aber die Mundharmonika nicht von den Lippen und blies, ohne sich irre machen zu lassen, tapfer darauf los.

»Gib sie mir mal!« rief Kitty. Aber Friedel riß aus, blies immer dabei, Kitty rannte hinterher. So ging es quer durch den Hof. Änne stand lächelnd beiseite und guckte zu. So übermütig wie die beiden konnte sie nie sein, wenn sie auch allezeit ein heiteres, zufriedenes Menschenkind war. Aber daheim gab es noch vier Geschwister, gab es einen leidenden Vater. Da war nicht immer alles so sorgenfrei, wie bei Friedel und Kitty.

Kitty konnte es nicht vertragen, wenn man ihr den Willen nicht tat. So riß sie endlich Friedel die Harmonika vom Munde weg und blies nun selbst. Daß sie es nicht so gut konnte wie Friedel, ärgerte sie. Sie war so von ihren großen Talenten eingenommen, daß sie überall als Erste glänzen wollte.

»Da!« rief sie und warf Friedel das Instrument zu; diese fing es auf und steckte es in die Tasche.

Nun wanderten die drei Arm in Arm die Schloßgasse wieder hinauf, über den Markt und hüpften die steinerne Freitreppe empor.

Edith, die am Treppengeländer stand und mit einer Bauersfrau verhandelte, zeigte auf die offene Türe, die in den Garten führte. Da draußen konnten sie sich breit machen, nur nicht im Hause.

Minna war im Gemüsegarten und holte Kohlrabi. Neben sich hatte sie einen Korb voll Bohnen stehn. Durch die kleine Hecke von Stachelbeeren guckte sie nach den dreien. Ihr Kittchen war die Größte und Schönste! Überhaupt die liebe Jugend! Minna kauerte neben dem Bohnenkorb und rief sich ihre eigne Jugend zurück! An die dreißig Jahre ist's her, daß sie solch ein lustiger Vogel war, dem stets die Sonne schien und der Himmel voller Geigen hing.

Zu essen hatte es außer Kartoffeln nicht viel gegeben, Arbeit desto mehr. Aber wie schön die Zeit gewesen, das sah man erst ein, wenn sie in weite Ferne gerückt war! Damals hatte man noch »Vater« und »Mutter« sagen können! Wie reich war man gewesen, ohne es recht zu wissen! Jetzt deckte schlichter Rasen die geliebten Eltern! Die Geschwister waren zum Teil in die weite Welt gegangen oder gestorben. So stand man allein! Und deshalb suchte man sein Glück in der Arbeit, und deshalb liebte man sein Kittchen, weil das Kind keine Mutter mehr hatte! Und deshalb – oh, du wonnige, schöne, goldene Jugendzeit!

Minna fuhr sich mit dem Zipfel ihrer blauen Schürze über die Augen.

Und drüben lachten die drei laut auf, Kitty saß im Apfelbaum und warf die rotbackigen Apfel herab.

Eigentlich sollten diese noch hängen, dachte sich Mine, denn sie waren noch nicht reif, aber laß nur die Kitty tun, was sie Lust hat! Jugend muß austoben!

Änne und Friedel bissen mit ihren weißen, gesunden Zähnen in die Apfel, und Kitty verzehrte einen auf dem Baum.

Inzwischen trug Edith das, was sie der Bauersfrau abgekauft hatte, in die Vorratskammer, ging in die Küche, kochte den Kaffee für ihren Vater und trug das Brettchen, auf das sie alles zierlich gestellt hatte, in die Wohnstube.

»Sag, Väterchen,« begann Edith, Papa die gefüllte Tasse hinschiebend, »was sagst du dazu, daß Kitty in der Schule so vorlaut ist?«

»Wer sagt denn das?« fuhr der Justizrat auf, der über seinen kleinen Abgott nun einmal keinen Tadel hören konnte.

»Es steht doch in ihrem Zeugnis unter der 4, die sie im Betragen hat!«

Papa Wagemann sann nach, dann lachte er so unbändig los, daß Edith an sich selber irre wurde. Hatte sie denn nicht recht gelesen?

Vergnügt schlug er mit der Hand auf den Tisch und rief: »Edith, unser Kittchen ist ein Tausendsasa! Ein findiger Kopf, sag' ich dir! Weißt du, was sie gemacht hat? Mir höchst gefällig das Zeugnis vorgelesen! Ich denke natürlich nicht, daß sie eine Note übergeht! – Na, schadet nichts, Edith! Besser, Kitty läßt nicht auf sich herumtrampeln im Leben! Nein, das Mädel! der Diplomat!«

»Du solltest aber vielleicht doch mal zu Fräulein Richter gehn, dich zu erkundigen …«

»Ich? Zu der gelehrten Dame? Nein, mein Schatz, die würde mir ein schönes Sündenregister über mein Kind aufziehen! Laß nur! Aber aufs Eis führen muß ich unser Puttchen doch einmal! Ihr verdutztes Gesicht macht mir einen Heidenspaß!«

Papa Wagemann ergriff seine Akten, klopfte seine Tochter väterlich auf die Schulter und ging hinauf ins Amt.

Edith blieb noch eine Weile in tiefen Gedanken sitzen. Heute fiel es wie Schleier von ihren Augen. Ob sie selbst einmal zur Vorsteherin ging? War das, was Kitty getan hatte, nicht eigentlich ein kleiner Betrug? Mit kleinen Dingen fing es an, und in ihrem Liebling konnten sich da schwere Charakterfehler ausbilden! Zu Tante Melitta wollte sie heute abend noch gehn. Wenn man sie im Hause entbehren konnte, wollte sie hinüberhuschen zu der Freundin, die Ediths Ideal von einem weiblichen Wesen verkörperte. Beim Gedanken an Melitta ward es ruhiger in dem feinen, aufgerüttelten Gewissen des jungen Mädchens. –

Minna mußte für die jungen Mädchen im Garten den Kaffeetisch decken; Edith holte den Napfkuchen, den sie für die drei gebacken hatte, und erregte damit, als sie den Garten betrat, ein wahres Indianergeschrei.

Kitty warf beinahe bald Edith, bald den Kaffeetisch um, Friedel spielte Ball mit einem Apfel, den sie hoch in die Luft warf, und Änne, die vergnügt zusah, hatte den Tragkorb voll Bohnen auf dem Rücken.

Edith mußte sich mit an den Tisch setzen; Änne besonders war im stillen eine große Verehrerin Ediths. Mama nannte ja Kitty ein äußerst begabtes Mädchen, aber Edith war ihr lieber. Sie fand die Ältere von Wagemanns so echt weiblich, so pflichtgetreu, so herzensgut. Man erzählte sich in der Stadt viel von den Wohltaten, die Edith ausübte. Das junge Mädchen glaubte das sicher ganz im stillen zu tun, aber es ward doch hie und da bekannt und wob so etwas wie einen Heiligenschein um den schönen Kopf des mutterlosen Mädchens. –

Wenn die drei gar zu laut wurden, zeigte Edith lächelnd nach den Fenstern des Amtsgerichts. Da wurde es eine Minute stiller.

»Ihr könntet euch mal nützlich machen und Bohnen schnitzen, Kinder!« sagte Edith, »die will ich einkochen und ein Teil davon trocknen. Wollt ihr?«

Kitty hatte beide Backen voll Kuchen und war keiner Antwort fähig. Änne nickte strahlend. Friedel seufzte, stumm, tief auf.

Minna brachte auf Ediths Ruf Schüsseln und Messer, räumte den Tisch ab, ließ aber auf allgemeines Verlangen den Kuchen stehn.

»Doch ein Trost!« sagte Friedel und holte ihre Mundharmonika. Sie blies einige Lieder, mußte dann aber auf Kittys Befehl auch ihr »Schlachtmesser« zur Hand nehmen.

Minna, die Fenster reinigte, war entzückt von den vieren, die so fleißig Bohnen putzten und schnitzten.

Änne wußte, daß Edith so schöne, selbsterfundene Märchen und Geschichtchen erzählte. So bat sie darum. Die andern stimmten in diese Bitte ein.

»Da sitzt ihr wenigstens still!« sagte Edith, sann ein Weilchen nach und begann dann zu erzählen. Gern flocht sie eine Moral in ihre kleinen Geschichten, keine aufdringliche, sondern eine, die sich von selbst ergab. So erzählte sie heute von einem kleinen Mädchen, das in einem Krämerladen sich Zuckerzeug gekauft hatte. Das Geld dazu hatte sie aus Mutters Geldbörse genommen. Zuerst hatte sie sich kein Gewissen gemacht, im Gegenteil, die Schokoladenplätzchen hatten ihr sehr gut geschmeckt. Aber am Abend hatte die Mutter, die streng Buch über ihre Ausgaben führte, die fehlenden zwanzig Pfennig entdeckt. Sofort wurde das Dienstmädchen beschuldigt, das Geld genommen zu haben. Klein-Ida hatte mit Herzklopfen geschwiegen und mit hochrotem Köpfchen mit angehört, wie das Mädchen des Diebstahls angeklagt wurde. Oh, wie kam da schon die tiefe Reue über ihre böse Tat!

Aber Idchen schwieg, und schlief die Nacht vor Angst fast nicht! Und am andren Tage in der Religionstunde nahm der Herr Lehrer das Gebot durch: Du sollst nicht stehlen!

»Oh, wie waren da die strengen Worte des Lehrers wie lauter spitze Pfeile in des Kindes Herz geflogen! Es hatte gemeint, das sage der Herr Lehrer nur alles für Idchen! Und da war die Kleine nach Hause gewankt! Aber sie wagte noch immer nichts zu gestehn! Da sagte Mama, daß Anna, das Dienstmädchen, gekündigt habe, sie ließe sich nicht nachsagen, daß sie gestohlen! Nun aber war es vorbei mit Idchens Beherrschung. Sie war weinend zur Mutter gelaufen und hatte gestanden, daß sie die zwanzig Pfennig genommen habe, um sich Süßigkeiten zu kaufen. Als Idchen die Mutter darüber weinen sah, weinte das Kind nur noch mehr. Es mußte Anna alles gestehn und sie um Verzeihung bitten. Auch die Mutter verzieh ihrem reuigen Kind. Das hat sein Lebtag nicht wieder gestohlen.« –

Andächtig hatten die drei Ediths Erzählung gelauscht.

Fleißig waren sie dabei gewesen.

Da legte Friedel heimlich ihr Messer hin, holte die Mundharmonika wieder hervor und überraschte die andern mit ihrem Vortrag.

Kitty hatte ihr möglichstes getan!

»Küchenarbeit! Ah!« sagte sie, legte das Messer weg und reckte die Arme in die Luft. »Ein Glück, Edith, daß du solch ein begeisterter Hausgeist bist! Ich eignete mich nicht dazu! Ich will mal Besseres leisten in der Welt!«

»Kitty!« sagte Edith ernst.

»Na, was ist denn dabei?« rief Kitty, »ich bin nun mal dafür, daß man die häusliche Beschäftigung denen überläßt, die sich dafür begeistern! Ich gehöre nicht zu denen! Ich will mal irgend was ganz Besonderes werden! Studieren oder eine Kunstakademie besuchen! Es steht ja uns Frauen das alles jetzt offen! Vielleicht studiere ich mal Jura, wie unser Väterchen!«

Änne und Friedel blickten voll Hochachtung zu Kitty hin. Ja, das wurde sicher mal eine Berühmtheit! Da mußten sie alle sich verkriechen!

Edith war ganz still. Sie hatte von allem, was Kunst heißt, eine so hohe Meinung, daß ihr schien, man dürfe gar nicht von den geheimen Vorgängen reden, die eine echte Künstlerseele bewegen. Das mußte etwas so Hohes, Heiliges, und zugleich auch Göttliches sein, unantastbar.

Und nun sprach ihre Kitty davon, als verstehe es sich ganz von selber, daß jener Gottesfunken in ihr lebe, der den Menschen zum Künstler stempelt.

Nun, Kittchen war klug, sehr geweckt. Edith traute ihr zu, daß sie einmal recht gut eine Studentin abgeben könnte, die mit Eifer und Ehrgeiz ihren Studien oblag. –

Vorläufig war aber Kitty noch ein Übermut. Das bewies sie eben wieder, als sie aufsprang und sich auf den Rand des großen steinernen Brunnentrogs setzte, der mit Wasser bis obenhin gefüllt war. Jedem, der sich nahte, spritzte sie Wasser ins Gesicht. Sie beherrschte auch im Spiel gern ihre Kameradinnen.

Edith sah es nicht ungern, als Änne und Friedel heimgeholt wurden. Erstere sollte mit der Mutter Wäsche legen, Friedel hatte Klavierstunde, die sie in ihrem leichten Sinn total vergessen hatte.

Zuerst zog Kitty ein langes Gesicht, daß sie nun allein war. Dann pflanzte sie sich träge in dem großen Korbstuhl Papas auf, der am Tische stand.

Ruhigen Gemüts sah sie zu, wie Edith Bohnen schnitzte.

Diese hatte Herzklopfen, als sie sagte: »Komm, Kittchen, nie müßig sein! Es tut nicht gut! Der Mensch kann sich zur Arbeit erziehen ebenso wie zum Müßiggang!«

»Dann erziehe ich mich zu letzterem, glaube mir! Ich finde, die Arbeit ist bloß für die Dummen da!«

Kitty lachte vergnügt und verschränkte die Hände über ihrem Kopf.

Edith blickte entsetzt auf: »Um Gottes willen, Kitty, woher hast du solche schreckliche Ansichten? Lernst du das von deinen Freundinnen in der Töchterschule? Dann werde ich Papa bitten, daß er dich dort fortnimmt!«

»Das lehre ich mich selber!« sagte Kitty trotzig, »und über meine Freundinnen sage ja nichts! Und in der Schule bleib' ich! Da mische dich nicht hinein! Ich langweile mich nie, auch wenn ich den ganzen Tag die Hände in den Schoß lege! Kluge Menschen kennen keine Langweile!«

»Aber du verbummelst so viele Stunden des Tags, Kittchen! Sieh mal, wenn du mir durchaus nicht bei dieser Arbeit helfen willst, so hole wenigstens die Socken, die du Papa zum Geburtstag strickst! In zwei Wochen sollen sie fertig sein, und du hast noch keine halbe Socke gestrickt! Geh, Kittchen! Du verläßt dich zu sehr auf die Hilfe andrer! Bist du nicht fertig, so setzt sich Minna die halbe Nacht hin und holt das nach, was du versäumt hast! Das darf nicht wieder sein! Minna arbeitet von früh bis abends, die braucht ihre Nachtruhe! Und ich stricke sie dir diesmal auch nicht!«

»Du bist aber unangenehm!« sagte Kitty, »die Minna strickt mir sie schon! Die tut alles, was ich will!«

»So, und du tust dann, als ob du die Socken selbst gestrickt hättest! Fühlst du nicht, Kitty, daß du Papa da belügst?«

Es flackerte einen Augenblick in Kittys Augen auf, die verheimlichte 4 im Betragen fiel ihr ein.

»Das ist mir egal!« sagte sie aber gleich darauf seelenruhig, »weil ich weiß, daß es Papa ebenfalls egal ist, wer die Socken gestrickt hat!«

»Geh und hole sie! Du hast noch eine Stunde Zeit bis zum Abendbrot, Kittchen! Sieh, wie gemütlich ist es, wenn wir zwei Schwestern hier so allein und friedlich beisammen sitzen und fleißig sind!«

»Da seh' ich nichts Verlockendes dabei!« war die Antwort.

Kitty sah auf, und was sie da sah, erschreckte sie, beschäftigte sie und wurzelte in ihrer Seele ein. Nach langer Zeit noch erinnerte sie sich dieser Minute.

Edith blickte sie an, lange, still. Und langsam war in die großen, wunderschönen Augen Ediths eine Feuchtigkeit gekommen, die nur das bitterste Weh austreiben konnte. Kein Vorwurf traf Kitty, kein Wort sagte Edith, aber der schmerzliche, stumme und doch so beredte Ausdruck in Ediths Gesicht sagte mehr als Worte.

So wunderschön wie nie hatte Edith ausgesehen, Kitty sah das alles. So edel, so ganz wie die liebe, selige Mama!

Es war still zwischen den beiden. In Kitty sah es sehr ungemütlich aus. Sie fühlte, daß sie herzlos gegen ihre Schwester gewesen war. Ob sie die Socke holte?

Langsam erhob sie sich und ging still davon.

Edith wischte ein paar heiße Tränen fort. Ach, Kitty ahnte ja die große Liebe gar nicht, die Edith für sie fühlte! –

Kitty ging in ihr Stübchen. Daß hier aufgeräumt war, fiel ihr nicht auf. Sie war es so gewöhnt, daß sie andre das tun ließ, was sie selber nicht tun wollte.

Sie suchte in dem Nähkorb auf dem Tisch den Strumpf. Edith schien heimlich ein Stück daran gestrickt zu haben. Kitty setzte sich in ihre Sofaecke und strickte. Dabei dachte sie nach: es war rührend gut, daß Edith ihr heimlich geholfen hatte! Aber – andrerseits konnte sie das auch, denn sie hatte ja weiter nichts zu tun! War das bißchen Kocherei gemacht, so blieb ihr viel freie Zeit! Und zu Höherem war Edith eben nicht geboren! –

Eigentlich war es Unsinn, an dem grauen Ungetüm zu stricken! Minna war ja so gut, hinter diese wollte Kitty sich stecken! Die strickte schon die Socken fertig! Man brauchte doch Edith nichts davon zu sagen!

Vergnügt warf Kitty ihr Strickzeug hin und holte sich ihre Puppen. Es war doch viel netter, ein paar neue Kleidchen für diese zu nähen!

So puppelte Kitty seelenruhig, bis Minna sie zu Tische rief.

»Du!« sagte Kitty und steckte Minna den Strickstrumpf zu, »nicht wahr, meine gute Minna, den machst du fertig? Und den andren auch? Aber niemand was sagen! Ich mag's nicht machen!«

»Aber natürlich, mein Engelchen! Da setz' ich mich alle Abend noch ein Stündchen in meine Kammer und strick'! Was tät' ich denn nicht für dich?«

»Das wußte ich doch!« sagte Kitty zufrieden.

Minna steckte den Strumpf in ihre Tasche und verbarg ihn dann in ihrer Kammer, die zu ebener Erde nach dem Garten hinaus lag. –


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