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»Wenn ich Ihnen vom Kriege zu erzählen hatte,« fuhr Rohr nach einer Pause fort, »so könnte ich Ihnen manches brave und tapfere Stück, manchen tollen, glücklichen Streich berichten. Wir waren in jenen Tagen nicht sparsam mit unserem Blut, im Gegentheil, wir gaben es jauchzend hin, wo wir an den Feind kamen. Und daß das nicht grade selten passirte, können Sie aus dem Namen des alten N. schließen, in dessen Armeekorps unsere Truppen eine Brigade bildeten. Und Sie müßten es auch ohne ein weiteres Wort von dem »wilden Heiden« erwarten, den Sie ja bisher hinreichend kennen gelernt haben. All seine Aufregung, all seine Leidenschaften, all seine Wuth und seine Vaterangst – denn es war beides – um den ungehorsamen, verlornen Sohn, – alles konzentrirte sich jetzt in einem übermenschlichen Haß gegen den Feind.

»Aber Sie müssen nicht einen Augenblick denken, daß ihn dieser Haß blendete und ihn zu tollkühnen Wagnissen fortgerissen hätte. Ja, er brach einmal hervor, der alte Reiteroffizier, er warf sich trotz all unseres Bittens und Mahnens zuweilen an die Spitze einiger Schwadronen, fuhr, den Säbel in der Faust, die kurze Pfeife im Munde, über den Feind herein wie ein Gewittersturm, und niemals sah ich, daß eine solche rasende Attake mißlang. Aber für gewöhnlich beherrschte er sich mit riesiger Kraft und lenkte seinen Theil des Gefechts mit einer unvergleichlichen Ruhe und Geistesgegenwart. Freilich seine eigene Weise hatte er und man kannte und nutzte sie. Eine Position festzuhalten oder zu nehmen, war niemand geeigneter als er, – und wo es das Aeußerste galt, ward er stets gewählt. Wie ein Bullenbeißer hielt er fest, wie ein Donnerkeil drang er ein. Und wo er, nicht geschlagen, aber auf Befehl mit der Armee zurück mußte, da war er's, der die Nachhut kommandirte und bis auf den letzten Moment dem Feind die Zähne wies. Nachlässig hing er selbst dann auf seinem Pferde, ritt so ruhig durch den oftmaligen Regen von Kugeln, als sei er auf einem Inspektionsritt durch seine Feldmarken, scherzte oder plauderte harmlos mit seiner Umgebung, den nächsten Soldaten, reichte auch wohl einmal einem Mann, dem er die Ermüdung ansah, eine Hand voll Tabak oder ließ ihm durch den Diener einen Tropfen in die Feldflasche geben. Aber seine Truppen beteten ihn auch an bis auf den letzten Tambour. Und wenn nicht einmal für eine Ungeschicklichkeit, für ein Versehen einem armen Teufel ein Donnerwort an den Kopf fuhr, hatte man in solcher Lage oft tagelang keine Gelegenheit, die Eigenthümlichkeit des wilden Heiden kennen zu lernen. Je wilder es um ihn herzuging, desto humaner – wenn ich so sagen darf – war er selbst.

»So waren wir über die ersten Schlachten und Gefechte, durch den Waffenstillstand, durch die wiedereröffneten Feindseligkeiten gekommen und jetzt in den letzten September- und ersten Oktobertagen, wie alle andern Korps, endlich der Entscheidung immer näher gedrungen. Bei der Nähe der verschiedenen Armeen und den vielen Gefechten passirte es öfters, daß einzelne kleine Truppentheile sich von ihren Korps abgedrängt sahen und sich bis zur günstigen Gelegenheit dem nächsten Freunde anschlossen. Und so waren in der letzten Nacht zu unserm Bivouak auch zwei schwache Schwadronen eines Dragonerregiments gelangt, die man denn herzlich willkommen hieß, aber nicht Zeit fand, weiter zu beachten und kennen zu lernen.

»Da wir die Avantgarde hatten, gelangten wir am Morgen zuerst an die Höhen und Defileen, wo wir den Feind erwarteten und fanden. Wir waren bald im hitzigen Gefecht, das sich Stunde auf Stunde hinzog. Um elf Uhr erhielten wir Befehl, abzubrechen, den Feind so lange zu beschäftigen wie möglich und uns, so gut mir könnten, der rechts abmarschirenden Armee nachzuziehen. Man schickte uns zu dem Zweck noch ein paar frische Bataillone und eine halbe Batterie.

»Wir saßen in einer ernsten Klemme. Die Hälfte unserer Bataillone stack mit ihren letzten schwachen Resten im Walde vor uns, und sie jetzt zurücknehmen, hieß sie fast rettungslos dem mächtiger und mächtiger andringenden Feind opfern. Zwei andere schlugen sich bei ein paar Gehöften links, bei uns hatten wir auch noch zwei als letzte Reserve, aber sie waren auch schon durch die ersten Stunden gelichtet, und genügten, bei der Ankunft der frischen Truppen in den Wald geworfen, kaum das Gefecht auch nur nothdürftig aufrecht zu halten. Außerdem hielten neben uns die halbe Batterie und die mit unserer Kavallerie vereinigten zwei fremden Schwadronen, ein armselig Häuflein.

»Als ich von einer Sendung zu jenen Gehöften zurück kam, prallten unsere Leute bald truppweise und bald einzeln vor dem übermächtigen Feind aus dem Holz, während zu gleicher Zeit aus dem Wege, der auf der scharf zulaufenden Waldecke etwa hundert Schritt lang durch das Gebüsch führte, eine dichte feindliche Kolonne im Sturmmarsch vorging. Da kam der Alte selbst in Carriere auf mich zu: »Rasch, Rohr, rasch! Lassen Sie die Leute dort sammeln und mit dem Bajonett in den Wald zurückgehen. Er muß gehalten werden! – Fort! – Kartätschen auf die Tete dort, Herr Lieutenant!« war seine nächste Weisung, die ich noch hörte.

»Unsere Leute am Walde hatten sich unter ihren paar übrigen braven Offizieren bereits gesammelt und gingen tapfer wieder hinein: ein frisches Bataillon folgte: ich selbst kehrte zum General zurück, der bis auf ein paar Ordonnanzen ganz allein vor der Kavallerie hielt, die Hand am Säbel. Grade als ich zurückkam, hörte ich seine Ordre an den Major: »Attakiren! – drauf, drauf, meine Jungen! Helft euren Kameraden im Wald aus der Patsche!« Und dahin gingen sie mit lustigem Hurrah und geschwungenem Säbel. Der Feind zerstob vor dem Einbruch, im wilden Durcheinander ging's durch den Waldweg; aber drüben empfing sie ein so furchtbares Feuer, daß fast alle Offiziere fielen und die Schwadronen aufgelöst zurückjagten. Das ganze Feld war einen Augenblick voll einzelner Reiter und kleiner Trupps. Wir waren beim Angriff zu den letzten beide Bataillonen geritten. Jetzt ließ der Alte sie Quarré formiren.

»Da sprengen ein paar Dragoner, ein Offizier unter ihnen, dicht bei uns vorbei. »Sammeln, Sammeln!« schreit der General dem folgenden Trompeter zu, und: »Sammeln, Sammeln!« ruft der Offizier nach. Wir fuhren beide auf, der General und ich, – es war Eugens Stimme. Und kaum vernommen jagt der Alte dem schon wieder Fernen nach, ich nah an seiner Seite. Wir kommen heran, er ruft den sich sammelnden Reitern zu: »Formirt! formirt!« Es ist wieder die Stimme: jetzt erkennen wir ihn auch – er sieht uns an – er winkt mit der Klinge – und wendet sich, um mit dem Häuflein zur erneuerten Attake vorzugehen. Und da schreit der Alte, der sich leichenbleich, kerzengrade im Bügel hält, mit einer Stimme, daß es wie der schärfste Trompetenklang durch den unermeßlichen Lärm fährt: »Junge, Junge, Satansjunge! Halt! – Trompeter, bei deinem Kopf, Retraite! – Junge – Eugen – mein Kind!« Und dabei geht es im Galopp vorwärts gegen den Wald, aus dem die Unsern sich grade jetzt langsam herausziehen, aus dem die Kugeln schon in unsere Reihen schlagen und hie und da einen Mann vom Pferde werfen. – Da seh' ich den Alten ein Pistol herausreißen, sich aufrichten, schießen, zugleich Eugens Pferd morsch zusammenstürzen. Doch im Nu ist dieser selbst wieder auf, schwingt sich in den Sattel eines andern, dessen Reiter eben gefallen, und dahin geht's. Das alles hatte keine zwei Minuten gedauert.

»Da hielt der Alte grade an der Waldecke sein Pferd so hart an, daß es rückwärts beinah zusammenbrach, und sagte finster und starr: »Nehmen Sie, was sich dort gesammelt, und machen Sie ihn los und dann zurück, oder schießen Sie ihm in meinem Namen eine Kugel vor den eigensinnigen Kopf. Macht rasch, ich will euch aufnehmen.« Und so ging er in Galopp zu den beiden feststehenden Bataillonen zurück, und ich mit dem Rest der Kavallerie, die eben herbeikam, jenem nach.

»Ich brachte ihn heraus, er hatte so aufgeräumt, daß wir in der That ein wenig Ruhe hatten. Er reichte mir jubelnd die Hand und schloß mich in die Arme, dann folgte er meiner Ordre und es ging gegen den Wald zurück, – da traf ihn eine Kugel aus einem noch festen Quarré, an dem wir vorbei mußten. Es schien nicht gefährlich, er fühlte sich wohl schwach, aber konnte sich doch noch mit Unterstützung eines Mannes auf dem Pferde halten. Wir waren ja auch in fünf Minuten durch's Holz, am nächsten, vorgeschobenen Bataillon. Dort fiel er vom Sattel, beinah vor die Füße des Vaters. Ein wilder Schrei, ein Fluch, wie ich ihn nie furchtbarer gehört – ein Faustschlag auf den Kopf seines Pferdes, daß es kerzengrade aufstieg – und er sprang aus den Bügeln, bückte sich und nahm den Sohn von der Erde wie ein Kind in die Höhe, an die Brust und sah ihm in die Augen mit einem Ausdruck von solcher Verzweiflung, daß mir und den Leuten umher unwillkürlich die Thränen in die Augen traten. »Wo ist die Canaille, der Chirurg?« sprach er; es war sein erstes und letztes Wort. Die schnelle Untersuchung des Herbeieilenden gab als Resultat: keine Rettung. Es war ein Blutgefäß zerrissen, der schnelle Ritt hatte es noch verschlimmert.

»Von dem nun beginnenden Rückzug kein Wort. Der Sterbende war im ersten Bataillon, der Alte bald zu Fuß an seiner Seite, bald wieder auf dem Pferd bei den hintersten Zügen, – hier ruhig, kaltblütig, ermunternd, antreibend, einen raschen Angriff befehlend wie in seinen klarsten Stunden, dort todtenstill und starr. Nur wenn Eugen einmal aus seiner Betäubung erwachte, ihn erkannte, ein Wort flüsterte – beugte er sich zu ihm nieder, hörte, strich ihm leise über die feuchte Stirn, richtete sich dann wieder auf, nahm des Sohnes Hand in die seine und legte die andere zärtlich darauf. Und dabei ging es im raschen stetigen Schritte unaufhaltsam vorwärts. Sie sind bewegt, meine Herren, – uns, die wir das mitansahen, brach beinah das Herz, und es schämte sich niemand seiner feuchten Augen.

»Als wir Abends endlich dem Gros des Korps nahe kamen, von den Unsern aufgenommen wurden und unsere Feuer anzünden konnten, war er bereits todt. Der Alte ließ die Leiche an sein kleines Feuer bringen und bat uns, ihn allein zu lassen. Da sah ich ihn die Nacht bald sitzen, bald stehen und gehen; einmal saß er auf seinem Strohbunde und hatte den Körper auf seine Knie gezogen, und sein Gesicht war über das des Sohns gebeugt. Geweint hat er nicht, denn als ich mit einer Meldung ihn stören mußte, war sein Auge so klar, seine Stimme so ruhig, sein Befehl so scharf und bestimmt wie je. Am Morgen rief er mich heran. »Nehmen Sie ein paar Leute und lassen Sie hier ein Grab machen,« sprach er und deutete auf den Baum, bei dem sein Feuer brannte. »Ich möchte meinen Knaben doch zur Ruh haben, bevor wir aufbrechen.« – Es geschah nach seinem Willen; und als sie die Erde aufgehäuft hatten, wandte er sich langsam um und murmelte, so daß nur wir Nächsten es hörten: »wozu hast du mich nun leben lassen, du Herrgott im Himmel?« – Das war alles, und er versah seine Obliegenheiten wie immer, ohne das geringste Merkmal von Trauer oder Schwäche. Nur seine stolze Figur war von dem Tage an merklich gebeugt, und ich habe ihn nie wieder ganz aufrecht gesehen. Nach dem Frieden nahm er sogleich seinen Abschied und kehrte nach Reuschwitz zurück. Da ward das Geschwätz von den mißwollenden Verwandten verbreitet, daß er den Sohn erschossen. Wir wußten das besser und alle, die ihn kannten. Ich bin fertig.« – –

»Sie haben uns kein Wort mehr von sich selbst und der Tochter des alten Herrn gesagt,« bemerkte nach einem langen Schweigen einer von uns. – Er lächelte trüb. »Sei es drum,« sagte er endlich, »ich kann Ihnen auch davon noch berichten, obgleich Sie ja nur von dem Alten und seinem Sohn hören wollten.« – »Entschuldigen Sie die Frage, Herr Steuerrath,« sprach Natter lebhaft. »Wir erkennen gewiß alle an, daß sie indiskret ist. Allein Sie haben uns bisher ein so gutes Vertrauen gezeigt, und haben vor allen Dingen uns einen Einblick in einen so reizenden, seltenen Charakter thun lassen, daß es wahrhaftig nur Theilnahme und keine Neugierde ist, wenn wir Sie um ein Weiteres bitten.« Der alte Herr neigte mit einem neuen Lächeln den Kopf. »Ich glaube das, meine Herren,« sprach er dann. »Sie verdient auch eine solche Theilnahme; war sie doch ein Geschöpf, wie Gott es nur aus seiner reichsten Liebe werden läßt, so hold, so rein, so frisch, so lieblich.

»Sie können sich denken,« fing er also nochmals an, »daß der Verkehr mit der Braut für mich während der Kriegszeit so gut wie abgeschnitten war. Von ihr erfuhr ich, Gott sei Dank, ziemlich oft, da niemand sie hinderte, fleißig an den Vater und so auch an mich zu schreiben. Desto seltener aber konnte ich den Alten einmal dazu bringen, eine Antwort abgehen zu lassen: allein durfte ich niemals schreiben. Er war hierin von der festesten Bestimmtheit und voll einer, wahrhaft scheu zu nennenden Schonung für seine Schwester. Ueberdies war er durch die Sorgen um seinen Sohn und seine Truppen stets zu sehr abgezogen, um auf meine Wünsche und Gefühle Rücksicht zu nehmen; und als Eugen nun gar todt war, dachte er in der ersten Zeit an nichts anderes als an den Dienst. Nur einmal sprach er zu mir. Es war während der Ruhewochen im Anfang December, als er mir eines Tags mein Hauptmannspatent gab. »Na, da haben Sie denn die Frau, Rohr,« sagte er ziemlich launig, aber gleich wieder ernst fuhr er fort: »wollte der Herrgott, ich hätt' euch erst so weit. Denn das gibt einen Sturm, und ich bin mürbe. Nun, nach dem Frieden, wenn wir dann noch leben.«

»Sie können sich selbst sagen, wie mir bei dem allem zu Muth war. Ich liebte Stephanien so sehr, daß ich – – feig ward; ich wagte nicht bestimmter aufzutreten, Oeffentlichkeit unseres Bundes zu verlangen. Wie der General einmal war, konnte mich der geringste Trotz die Braut kosten. Und ich konnte sie nicht verlieren. Was mich noch mehr quälte, waren Stephaniens eigene Verhältnisse. Seit sie die Werbung des von der Tante Bevorzugten endlich entschieden abgelehnt, war Kälte zwischen den Verwandten und ihr eingetreten, die sie nicht wenig betrübte und niederdrückte. Die Stimmung des Grafen wie der Gräfin war überdies gegen den General wieder ungünstig geworden, seit sie von Eugens gezwungener Flucht zur Armee vernommen. Und wie es so oft seltsam zugeht in den Menschenherzen – des wackern Jungen Tod, der unendliche Schmerz des Vaters versöhnte nicht diese bittere Stimmung, im Gegentheil ward sie dadurch geschärft, als ob man auch hieran dem General eine Schuld beimessen könne. Stephanie schrieb auf das betrübteste darüber. Das arme Kind war in der traurigsten Stellung zwischen den Verwandten, die sie fast wie Eltern ehrte und liebte, und dem Vater, für den sie schwärmte. Und dazu der Tod des geliebten Bruders und das niederdrückende Gefühl, daß er mit einem Treubruch aus dem Leben gegangen. Denn Karoline wähnte sich von ihm vergessen, treulos verlassen, und verging vor Gram nicht sowohl um den Todten als den Treulosen. Und ich durfte nicht einmal diese Sorge vom Herzen meiner theilnehmenden Stephanie nehmen!

»Endlich, nach dem Frieden, als der General um seinen Abschied eingekommen war und nun in die Heimat aufbrach, forderte er mich auf, ihn zu begleiten. »Sind ein braver Kerl, Rohr,« sagte er, einmal wieder in seiner alten frischen Weise. »Haben tapfer ausgehalten ohne Lamentiren. Nun solls aber auch recta zur Braut gehen, und der Alte selbst will sie herausholen.« Und so gingen wir ab und blieben in Reuschwitz nur so lange, wie es der Körper bedurfte, um sich zu erholen. Denn der Alte war nicht mehr der Riese von sonst, sondern litt auch von den Strapazen. Darauf fuhren wir nach Böhmen.

»Ich vergesse den Morgen nie, an dem wir auf dem Schlosse anlangten, denn wir ruhten diesmal die Nächte und brauchten längere Zeit zur Reise als vordem. Es war ein wundervoller Maitag, und da wir in die Halle traten, schlug die Schloßuhr über uns grade elf. Von meiner Stimmung sage ich nichts. Der General aber war tief ernst, fast finster, und hatte seit unserm Aufbruch am Morgen kein Wort geredet.

»Die Familie hatte im Speisezimmer beim Frühstück unsere Ankunft nicht gehört. Sie fuhren nun bei unserm Eintritt auf wie vor Gespenstern. Stephanie flog dann auf den Vater zu und warf sich nach einem Blick auf mich in seine Arme, an seine Brust. Aber die beiden andern standen noch starr und kalt auf ihren Plätzen, und selbst als sie sich näherten, war der Willkommen noch frostig genug; mich beachtete man kaum. Wie ich nachher erfuhr, war auf Gott weiß, welche Weise eine Kunde von des Alten Plänen mit Stephanien und mir zu ihren Ohren gekommen. Es war eine lähmende Kälte über alle gebreitet. Selbst Stephanie war, wie Sie sich denken können, unter diesen Umständen nicht heiter und lebhaft. Stumm saß sie auf des Vaters Knie und hatte stumm den Kopf an seine Schulter gelegt und spielte stumm mit den Fingern seiner Hand.

»Da sagte die Gräfin: »wie wär's so anders, wenn du den theuren Knaben hättest mitbringen können! Felix, Felix, hättest du ihm erlaubt, was billig war, und ihn zu dir genommen, so wäre das auch nicht passirt!« – Der General runzelte die Stirne. »Wir sind alle sterblich!« sprach er aber gemäßigt. »Und die Kugeln treffen allerwärts.« – »Was fängst du nun mit Reuschwitz an?« fuhr sie schonungslos fort. »Verkaufst du nicht am besten? Stephanie möchte doch schwerlich dahinüberkommen, und ein Besitz in verschiedenen Staaten konvenirt manchem nicht. Und du selbst willst doch dort nicht einsam leben, zumal bei diesen widerwärtigen Gerüchten?«

»Gott weiß, wie sich die Dame so vergaß, aber es war geschehen. Was der General sich auch über die Einleitung und Führung unserer Angelegenheit vorgenommen haben mochte, jetzt war das alles vergessen, er fuhr vom Stuhl, und den Arm fest um Stephanie legend, die glühend und zitternd, aber mit blitzendem Aug' neben ihm stand, sprach er nach einem heftig hervorgestoßenen »Ah!« mit tiefer, fester Stimme: »wohlan, Schwester, und weil ich nicht einsam leben mag und der Herrgott mir den Jungen nicht zur Gesellschaft gelassen, so habe ich da einen andern Sohn angenommen, von dem mir Stephanie sagt, daß sie nicht ohne ihn leben wolle. Kommen Sie her, Rohr, da ist mein Kind.« – So legte er sie mir in die Arme. – Und als die Gräfin, ich weiß nicht, ob mehr erzürnt oder bestürzt, fragte: »Stephanie – ist es möglich, was dein Vater sagt? Du hast gewählt und wir wissen nichts davon?« – da richtete sich auch das schöne junge Wesen hoch und stolz auf, und ohne meine Hand loszulassen, sagte sie mit blitzenden Augen und gerötheten Wangen: »ja, Tante, wie du stehst, es ist so. Du hättest es doch nicht zugegeben und es ging einmal nicht anders. Ich konnte nicht von ihm lassen. Und dann kann ich auch nicht fort vom Vater, von meinem lieben, prächtigen, armen alten Papa! Er ist jetzt einsam, Tante, wie du sagst, und es gehn schlimme Gerüchte über ihn. Da müssen wir bei ihm sein.« Sie zog mich mit sich zum Alten und warf sich wieder an seine Brust. »Papa, nun laß ich dich nie wieder los!« rief sie dabei.

»Nur nothdürftig wurde der Friede wieder soweit äußerlich wenigstens hergestellt, daß wir nicht gleich davon fuhren. Es waren die unerquicklichsten Tage, die ich je verlebt; am dritten schieden wir; weder der General und Stephanie, noch Graf und Gräfin haben jemals einander diese Scene vergessen. Es thut mir weh, das auszusprechen, aber es war so.

»Im Herbst noch heirathete ich. 1815 wurde ich im Feldzuge so schwer verwundet, daß ich meinen Abschied nahm. Von da ab lebte ich noch sieben Jahr mit meiner Frau, bis der Herrgott sie von mir nahm. Der alte General erlebte auch noch diesen Schmerz mit vollem Bewußtsein und ertrug ihn wie ein Mann. Acht Tage darauf starb auch er, und ich zog dort weg und bewarb mich um einen Posten, um was zu thun zu haben. Gute Nacht, meine Herren. Ich bin weiter in diese alte Geschichten hinein gerathen, als ich beim Beginn gedacht; drum hat es mich auch so tief ergriffen, daß ich an Ruhe denken muß.«


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