Paul Heyse
Unheilbar
Paul Heyse

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Am 20. Januar.

Gestern zu Hause geblieben. Ich habe es unbedachter Weise dem Doctor versprochen, das Zimmer nicht zu verlassen, bis er es mir erlauben würde. Die Ehre der Wissenschaft stünde auf dem Spiel, sagte er, wenn ich durch ein leichtsinniges Wagestück seine Diagnose zu Schanden machte.

Auch ist es nöthig für unsern Freund, setzte er hinzu.

Heute früh besuchte er mich nun selbst. Gottlob! es könnte nicht besser und hoffnungsvoller stehen mit Morrik. Ich wagte nicht zu fragen, ob er nach mir verlangt, mich vermißt habe. Er soll viel schlafen.

Regen und Schnee draußen machen mir meine Gefangenschaft erträglich. Ich werde wohl noch die ganze Woche zu Hause bleiben.

Auch verlangte mich's nicht, Menschen zu begegnen. Ich habe eine unsichere, seltsame Bangigkeit in mir, bis ich Antwort von meinem alten Freunde bekomme. Ich weiß nicht, mit welchem Gesicht ich die Menschen ansehn soll; wie Einer, der nur noch eine kurze Rast bei ihnen macht, ehe er seinen Stab weitersetzt, oder wie Einer, der sich anders besinnt und dableiben will?

Ich habe ein so unstätes, heimatloses Gefühl seit jenem nächtlichen Gespräch, weder hüben, noch drüben bin ich zu Hause. Unheimlich ist mir zu Muthe. Es kommt mir vor, als müßten mich alle Leute argwöhnisch ansehen, wie die Polizei einen Vagabunden, dessen Paß nicht in Ordnung ist, und der sich nicht ausweisen kann, woher er kommt und wohin er will.

Und noch eine Woche in dieser traurigen Verworrenheit hinleben zu müssen, auch wenn er umgehend schreibt! Heute wäre mein Posttag an den Vater. Ich kann mich nicht entschließen, eine Feder anzurühren.

Das Schlimmste ist, daß auch mein eigenes Gefühl ganz confus geworden ist. Wenn ich recht deutlich zu empfinden meine: Es ist unmöglich, du kannst nicht leben! fängt plötzlich das Blut in den Adern so frisch und behaglich an zu fließen, als mache es sich lustig über die schwermüthige Seele und die fadenscheinigen Nerven. Ich hole dann die Zeichnung hervor, wie einen sicheren Wechsel auf die bessere Welt. Aber seit der hiesige Arzt sie mit so respectlosen Augen angesehen hat, ist der beruhigende Zauber dieses Blattes entkräftet. Ich dachte früher so bestimmt darauf rechnen zu können, daß der Tod, wie der grimmige Shylok, auf diesem seinem »Schein« stehen würde. Nun ist mir bange, daß Gnade vor Recht ergehen könnte.

Ist es wirklich Gnade, zu lebenslanger Gefangenschaft begnadigt zu werden?

 

Am 25.

Noch keine Entscheidung! Und immer noch kalte Nebelluft! Der einzige Sonnenblick in dieser grauen Existenz ist die Botschaft, die mir täglich meine Wirthin einholt, daß die Nacht ruhig war und die Kräfte wachsen.

Ich muß hier nur eine Thorheit beichten: Ich habe mir ein neues Kleid gekauft und ein seidenes Tuch, förmlich wie ein anderer Mensch. Es wurde mir freilich ins Zimmer getragen, ein alter, weißhaariger, halb erblindeter Hausirer kam mit seinem Packen, triefend vor kaltem Nebel, und er dauerte mich, wie er so still Alles wieder einschnürte, als ich ihm sagte, ich hätte kaum Hoffnung, das Kleid aufzutragen, das ich anhatte. Aber hätte ich ihm nicht blos etwas schenken können für seine vergebliche Mühe?

Es ist ein sehr hübscher Sommerstoff. Wer wird nun darin die Mücken summen hören und Kirschen essen und sich des Lebens freuen?

 

Am 1. Februar.

Ich habe eine Nacht darüber vergehen lassen und bin doch nicht weiter gekommen mit meiner Fassung. Wie der Brief gestern kam, konnt' ich ihn vor Zittern erst nicht öffnen; dann tanzten mir noch eine Weile alle Buchstaben vor den Augen; und als ich ihn zu Ende gelesen hatte, wirbelten mir die Gedanken so heftig durcheinander, als sollt' ich den Verstand verlieren. Vor Schrecken? Vor Freude? Vor Mitleiden mit mir selbst? Ach wohl nur darum, weil ich so klar, wie nie, erkannte, daß wir nichts Festes, nichts Gewisses haben, unsere arme Seele darauf zu stützen in dieser um ihre eigene Achse kreisenden Welt! Ich glaubte wenigstens Einen treuen, unerschütterlichen, ehrlichen Freund zu haben – und er hat mich getäuscht! Ich dachte, meines eigenen Instinctes, meiner ahnenden, unbestechlichen Empfindung sicher zu sein – und muß nun erleben, daß auch sie in die Verschwörung gegen mich verwickelt waren!

Je öfter ich den Brief wieder lese, je weniger kann ich ihm zürnen. Das Blatt, daß ich gestern noch, in der ersten Aufregung der Enttäuschung, an ihn anfing, muß ich nun zerreißen. Er hat es gut mit mir gemeint, vielleicht seine Pflicht als Arzt gethan; aber ich bleibe dabei – schlechte Seelsorger sind sie, einer wie der andere. Hat er sich gefragt, als er mir diese gefährliche und energische Cur zumuthete, ob nicht vielleicht, wenn sie auch leiblich glückte, meine Seele desto unheilbarer verletzt werden könnte? Und hat er auch für diese »ein heroisches Mittel«, wie er es nennt, in Bereitschaft?

Wer mich so gut kennt, hätte der mich nicht noch etwas besser kennen sollen? Er hat Recht, wenn er sagte, ohne eine solche Täuschung wäre ich nie zu bewegen gewesen, die Meinigen zu verlassen, diese drückenden Verhältnisse, die mich täglich aufregten und an meinem Leben zehrten, abschütteln, um mir die volle Ruhe zu gönnen, die ich zur Heilung brauchte. Gab doch im Grunde nur das den Ausschlag, daß ich meinem lieben Vater den Gram ersparen wollte, zu Allem, was er ohnehin zu tragen hatte, mich einen Winter lang ohne Rettung vor seinen Augen sterben zu sehen. Ich hätte dennoch versucht, mir Gewalt anzuthun, heiter zu scheinen, mich zu schicken in das, was mir als eine Schickung erschien, und wäre, davon aufgerieben, darüber wirklich am Ende unheilbar erkrankt. Auch darin hat er Recht, daß er diese Täuschung mit mir wagen konnte, wenn sie auch grausam schien. Ich habe mein Leben lang die härteste Gewißheit der hoffnungsvollen Ungewißheit vorgezogen. Wenn Ruhe und Seelenfrieden das einzige Mittel waren, meine Nerven wieder gesund zu stimmen und die drohende Gefahr von meiner schwer belasteten Brust abzuwehren, so konnte ich durch eine schwebende und schwankende Lebenshoffnung nur noch kränker, und durch den zuversichtlichen Wahn, daß ich sterben müsse, einzig geheilt werden.

Und wie klug hat der arglistige, böse, grausame Freund alles eingefädelt, was er mir zum Heile glaubte! Diese Zeichnung, die er mir mit scheinbarem Widerstreben in den Händen ließ, damit sich meiner Phantasie ein festes, greifbares Schreckbild einprägte, und ich so recht gewaffnet wäre gegen alle schmeichelnden Hoffnungen und wieder aufglimmenden Wünsche! Und seine ernste Mahnung, ja keinen Arzt zu Rathe zu ziehen, der mir nur trügerische Auskunft geben würde, da sie Alle ihre Patienten zu schonen suchten! Seine Bewegung beim Abschied, sein Lob wegen meiner standhaften Fassung – und bei alle dem kann ich ihm nicht böse sein, er weiß es ja nicht, wie mir das Leben, dem mich seine Hinterlist zurückgegeben hat, erst recht, da ich es verloren gab, unselig, arm und nicht der Mühe werth erschienen ist, wie bitter es für mich ist, noch einmal zu leben für etwas, dem ich abgestorben bin, mir wieder gefallen zu lassen, was mir jetzt doppelt mißfällt, seit ich etwas Besseres, Höheres und Freieres kenne, als das enge Einerlei eines Mädchentagewerks in den Schranken der spießbürgerlichen Sitten und Unsitten, beobachtet, beurteilt und bemitleidet von hundert sogenannten »guten Bekannten«, denen man so schlecht bekannt ist, daß sie das Beste in einem für das Schlechteste halten!

Ich muß aufhören. Meine Gedanken verlieren sich in die dichte Nacht einer freudelosen Zukunft; die hellsten Stellen sind ein mattes Zwielicht, in dem ich die Gesichter des Vaters und meines Ernst erkenne. Wie strahlend war die Aussicht durch das offene Thor, an dem der Todesengel Wache hält!

 

Am 3.

Der Arzt geht eben von mir. Er hat den Brief mitgenommen, um ihn, wie er sagt, zu studiren, da der Fall sehr merkwürdig, und ein feinerer Psychologe, als mein alter Freund, ihm noch nicht begegnet sei. Vielleicht will er Morrik den Brief zeigen.

Von ihm freilich sprach er mit keiner Silbe; ich fragte auch nicht, ich hatte ja schon vorher die Nachricht bekommen, daß Alles gut stehe. Er habe sogar gestern die erste warme Sonne wieder auf dem Balcon genossen.

Es war heute etwas Zerstreutes, Eiliges, Räthselhaftes um den guten Doctor. Ich mußte ihn selbst erst fragen, ob er mir jetzt erlaube, wieder auszugehen. Er nickte. Hüten Sie sich nur vor aufregenden Gesprächen, sagte er. – Mit wem sollte ich sprechen?

Also wirklich leben müssen? Wo? Und als Was? Es ist hier Alles katholisch, sonst wäre mir das Liebste, eine Schule zu halten. Wieder über die Berge zurück, wieder die Gesichter sehen, deren ängstliche Wichtigkeit und Dichtigkeit mich schon im Traume traurig und beklommen macht? Und doch darf ich dem Vater nicht fehlen. Ein Glück nur, daß er nicht mitbetrogen war, sondern in alles einwilligte, was mein böser Freund mit mir in Scene setzte.

Seltsam ist es mir doch, daß Morrik nicht wenigstens durch seinen Diener mir einen Gruß schickt, sich nach mir erkundigen läßt. Er wird freilich fühlen, daß nun Alles anders ist, seit wir Beide wieder leben sollen. Aber schon die Rücksicht auf unsere frühere Freundschaft – oder fühlt er es nicht, wie herb und schwer es ist, plötzlich wieder so um sich zu kommen, wenn man sich kaum recht gewonnen zu haben glaubte?

Der Doctor sagte, eine solche Krisis verwandle die ganze Natur. Ich muß mich wohl darein ergeben, daß die neue, gesunde, lebensfrohe Seele, die er sich aus dem Fieber-Paroxysmus gerettet hat, für seine frühere Todesgenossin keine Erinnerung mehr bewahrt.

Mag es drum sein! Mir wird er immer bleiben, was er mir gewesen ist.

 

Am 5. Februar, Abends.

Glückwünsche vom Vater. Sie haben mich zu Thränen gebracht. Nein! Ich war glücklich, als man mir condolirte. Ich bin unselig, seit ich wieder der Erde gehöre und mich dessen freuen soll.

Diese öden Wintertage, in denen die Sonne schon wieder mit Frühlingskraft scheint, machen mich vollends elend an Leib und Seele. Es ist so unfruchtbar, – – –

 

Am 6.

Mitten in meinen Nöthen gestern ist mir wieder ein Funke von Muth aufgeblitzt, daß ich zu schreiben aufhörte, ans Fenster trat und mich wohl eine Stunde lang recht in mich hinein schämte über meine Feigheit, meinen Kummer, meine Undankbarkeit gegen Gott. Wie hieß doch das gute Sprüchlein, über das ich damals so tapfer predigen konnte?

Denn ich bin ein Mensch gewesen,
Und das heißt ein Kämpfer sein.

Nun wohl, es hat noch nicht sein sollen, daß mir Engels-Flügel wuchsen. Ich muß noch eine Weile mit meinen Menschen-Armen schaffen und mich rühren, mich durchschlagen, wo es nöthig ist, und froh sein, wenn ich sie einmal um den Hals eines theuren Menschen legen und einen Augenblick dort ausruhen lassen kann. Daß ich etwas Höheres kennen oder doch ahnen gelernt habe, ist nun, wie es ist, gut und schlimm. Gut, weil ich doch die goldene Erinnerung als einen ewigen Schatz mit fortnehme, übel, weil so Vieles dürftig dagegen scheinen wird, was mich sonst vielleicht reich gemacht hätte. Aber ich möcht' es doch nicht missen.

So hab' ich auch heute früh an meinen alten Freund geschrieben, mich mit ihm ausgesöhnt und will versuchen, auch mit mir, auf die ich schwer erzürnt war, mich wieder zu versöhnen. Ich muß jetzt doppelt Frieden mit mir und in mir halten, da es draußen wieder in den Kampf geht.

 

Am 8. Februar.

Und wo sind überhaupt die Glücklichen, die Freien, die schon hier unten wie auf Wolken wandeln und mit der Stirn an die Sterne rühren? Wer kann sagen, daß kein Staub ihm auf die Seele fällt, keine Mauer den Schritt und die Aussicht einschränkt, daß er alle Stunden seines Tages im Ewigen lebt, wo Alles Licht, Leben und Freiheit ist?

Vielleicht wird Wenigen ein Loos gegönnt, wie es Morrik erwartet nach dieser harten Prüfung. Wenn ich mich recht hineindenke in seine Zukunft, schlägt mir das Herz so freudig, daß ich mich selbst daran erwärme, wie ich's ihm gönne! Seltsam, es sind kaum vierzehn Tage, seit ich an seinem Bette stand. Was liegt schon Alles dazwischen! Wenn er meinen Namen hört, blickt er vielleicht fremd auf und muß sich mühsam auf unser Begegnen besinnen. Und ich spinne mir hier seine Zukunft, als wäre ich eine steinalte Frau und hörte nach vielen, vielen Jahren, daß es einem Jugendfreunde so und so in der Welt ergangen sei, und sagte: Er hat es wohl verdient; er war ein edler, tiefer Mensch; ich habe ihn gut gekannt! – –

 

Am 12. Februar.

Es wird das Gescheiteste sein, daß ich Alles ehrlich beichte und dann mich selber darüber auslache. Wie lange ist's her, daß ich mir wieder vornahm, ein rechter Kämpfer zu sein? O schön! Die Waffen strecken, weglaufen, und dann nicht einmal zum Desertiren Courage genug haben, sondern mitten drin wieder Kehrt machen – ein schönes Heldenstück! Ich würde nicht fertig, mich zu schämen, wenn ich mir nicht ein Herz faßte, die Sache komisch zu nehmen.

Es war also heute Nachmittag so warm und frühlingsmäßig, daß mir die Sonne auf meinem einsamen Spaziergang am Küchelberg zu viel wurde. Denn dort regt sich keine Luft, und schon jetzt spielen die Eidechsen wieder, wie mitten im Sommer, kein Laub giebt Kühlung, die nackten Reben, die sich sonst so schattig über mich wölbten, mögen freilich wissen, warum sie noch nicht Miene machen auszuschlagen. Ich kehrte wieder um und wagte mich zum ersten Male seit vielen Tagen auf die Wassermauer, wo nur wenige Menschen waren. Erst klopfte mir das Herz, als wisse ein Jeder schon längst, daß ich mich unter die Unheilbaren nur so eingeschlichen habe und nun entlarvt und mit Protest zurückgewiesen sei. Ich studirte mir eine Antwort ein auf die Frage: Ist Ihnen das Sterben doch wieder verleidet? Ich muß sagen, obwohl mich Niemand zu beachten schien, war mir doch sehr übel zu Muthe. Alle meine kleinen Sünden fielen mir ein, die ich getrost begangen hatte in der Meinung, man könne seinen Willen wohl einmal durchsetzen, wenn es ein letzter Wille sei. Wie unhöflich, wie rücksichtslos war ich gegen Den und Die und die Meisten gewesen, aus denen ich mir nichts machte! Da ging der dicke Herr, der immer einen kleinen Thermometer im Knopfloch trägt und bei jedem Grad, um den er steigt oder fällt, einen Knopf seines Ueberrockes auf- oder zumacht. Er hat mir gleich Anfangs so gute Lehren gegeben, und ich habe sie nicht nur unbefolgt gelassen, sondern einmal sogar unwillkürlich den Schleier übers Gesicht gezogen, als der dicke Menschenfreund auf mich zu kam, daß er ganz verdutzt stehen blieb. Und jenes junge Mädchen, mit dem ich nie mehr gesprochen habe, weil sie mich gleich nach der ersten Viertelstunde unserer Bekanntschaft geküßt und mir ein Gedicht hergesagt hat, das ihr Bruder gemacht habe; und dort die Dame mit den zwei langen, schnurrbärtigen Söhnen, vor deren Courmachen sie mich so vorsorglich warnte, während sie es doch so sehr übel nahm, daß ich ihre Warnung beherzigte und den faden Menschen den Rücken kehrte; und nun vollends die arme kleine Lästerchronik, die jetzt nur noch im Tragsessel die Luft genießt, aber noch Kraft übrig hat, sich der Schwächen ihrer Mitmenschen zu erfreuen – was wird sie mir drüben, wo sie nun vor mir ankommt, Alles nachsagen? Nun, vielleicht ist man drüben besser unterrichtet und milder gesinnt, als hier.

Indem ich das Alles überlegte und mich dabei von Herzen ärgerte, daß die kleinstädtische Feigheit wieder so recht bei mir in Flor kam, daß ich die gleichmütige Todesverachtung, mit der ich früher das Leben hier angesehn, nicht mehr erschwingen konnte, kam ich bis an die Winter-Anlage und warf einen Blick auf die Bänke und Lauben, der meinem bischen Muth vollends den Garaus machte. Denn da saß groß und breit auf dem sonnigsten Fleck in einer ganz neuen Frühlings-Toilette die Dame ohne Nerven, und neben ihr, still vor sich hinblickend, aber sichtbar erholt – Morrik. Sie sprach eifrig auf ihn ein, er hörte geduldig zu, aber mit einem fast freundlichen Lächeln, das ich jeder Anderen lieber gegönnt hätte, als ihr. Wie mir da plötzlich zu Muth wurde, kann ich nicht sagen. Nur fort! Nur fort! Nur das nicht mehr sehen müssen und von ihnen nicht gesehen werden, kein gleichgültiges, höfliches Wort mit ihnen wechseln, nachdem man ihnen Angesichts des Todes Wahrheit gegeben und damit wohl und weh gethan hat.

Es jagte mich förmlich über die hölzerne Brücke, die Chaussee entlang, die durch mehrere kleine Orte vier Stunden lang im schönen Thale der Etsch hinläuft, bis sie Botzen erreicht. Durch Untermais war ich bald und ruhte dort auf einer Bank und faßte mich wieder so weit, daß ich einem vernünftigen Gedanken nachsinnen konnte, der freilich noch unvernünftig genug war. Wenn ich so fortgehe, dachte ich, komme ich wohl heute noch nach Botzen; auch holt mich gewiß ein Wagen oder eine Post noch ein und nimmt mich auf. Dann kann ich an meine Wirthsleute schreiben, daß meine plötzliche Abreise nöthig geworden sei, ihnen Geld schicken und sie bitten, meine paar Sachen einzupacken und mir nachzuschicken. Ich bin dann eines jeden Wiedersehens, all der kleinen Nadelstiche, aller Abschiedsnöthe überhoben und wenn noch ein Hahn nach mir kräht, so stört mir's wenigstens nicht meinen Morgenschlaf. Wer höchstens sich wundern wird, ist der Doctor; ich kann ihm ja schreiben. Und sonst – wer fragt nach mir? Ueber den, den ich einmal meinen Freund genannt habe, kann ich ruhig sein. Er ist wieder so weit genesen, daß er neben der Dame ohne Nerven sitzen und lächeln kann, wenn sie mit ihren bleiernen Blicken und ihrer tönernen Stimme auf ihn eindringt!

Mit diesem Entschlusse war ich sehr vergnügt, wie ich wenigstens meinte, und ging wieder tapfer vorwärts, nach Süden zu. Ich suchte mich an der Landschaft zu freuen, den grünen Wiesenflächen, hinter denen die noch winterlich nackten Berge aufstiegen, am Gipfel glänzend von dünnem Schnee, an den hübschen Gehöften, Weingärten und rauschenden Bächen, an denen ich vorbeikam, vor Allem an dem Gedanken, nun einen Strich unter all meine Zweifel und Sorgen gemacht und mich wieder auf mich selbst gestellt zu haben. Ja es war mir ordentlich ein Trost, zu denken, daß es nun wieder nach Hause ging, wieder in den alten Käfich, wo ich mir selbst nichts vorzuwerfen brauchte, wenn meine Flügel zum freien Umherfliegen nicht taugten und ich die Probe schlecht bestand. Alle Zimmer-Vögel machen es ja nicht besser.

Darüber ging die Sonne unter. Ich war durch ein Dorf gekommen, dessen Namen ich nicht weiß, und hatte dort ein halbes Glas Wein getrunken, da es mich doch fröstelte in meinem leichten Mantel und der Februarwind lebhafter wurde, als einem verwöhnten Meraner Wintergaste behaglich ist. Mehr und mehr wurde mir unheimlich, im Zwielicht auf der öden Landstraße so ganz einsam hinwandernd, und ich sah mich oft um, »ob nicht was käme und mich mitnähme.« Ein Stellwagen hatte mich überholt, der aber voll rauchender Bauern saß und nicht einladend aussah. Und als ich noch eine gute Stunde so hingegangen war und nirgends ein Obdach sah und auch Hunger litt, setzte sich die Heldin, die so feste Entschlüsse in der Brust trug, wie ein anderes verirrtes Kind auf einen Stein am Wege und weinte ganz tapfer in ihr Taschentuch hinein. Ach ja, Sterben ist leicht, aber Leben schwer!

Weiß Gott, was aus mir geworden wäre, wenn nicht noch zur rechten Zeit sich ein freundlicher Zufall, nein, der gütige Himmel meiner erbarmt hätte. Ich hörte ein Wägelchen heranrollen, eine Peitsche knallen, und wie ich aufsah, erkannte ich meinen alten guten Freund von der Zenoburg, Ignatius, den Weinhüter, der ebenfalls spähende Blicke nach der einsamen Gestalt richtete und plötzlich vor mir still hielt. Es gab eine ganz trauliche Wiedererkennungs-Scene, die damit endigte, daß er mich in sein leichtes Gefährt hob und heimfuhr. Er hatte ein Weingeschäft in dem nahen Vilpian abgeschlossen und war sehr guter Dinge, ließ sich auch damit zufrieden stellen, daß ich ihm erzählte, wie zufällig und in Gedanken ich mich so weit von Meran weg verloren hätte. Da saß ich nun in eine warme Decke gewickelt und wurde eilig zurücktransportirt und mußte nur froh sein, daß es dunkle Nacht war, als er mich zu Hause richtig ablieferte. Keiner bekannten Seele begegneten wir unterwegs, außer dem Doctor, der in Untermais aus einem Hause trat, aber nicht ahnte, wer sich in Schleier und Mantel vor ihm versteckte.

Der gute Ignatius! Den ganzen Weg unterhielt er mich mit Schilderungen seines häuslichen Glückes, manchmal in ziemlich freien Ausdrücken, die ich ihm schon hingehen lassen mußte; der Wein von Vilpian löste ihm die Zunge. Zwar mit dem Auftrumpfen und Besserwissenwollen sei's noch beim Alten mit der Liese, sagte er, aber er merk' es je länger, je mehr: sie wisse es auch wirklich besser. Man mache so viele dumme Streiche, wenn man ledig sei. Wo zwei zusammenhausten, habe der Eine gerade, was dem Andern fehle und vier Augen sähen doppelt so viel, wie zwei, und dann mache sie Alles so viel fein und geschickt, wie er's gern habe, und gebe ihm so gute Worte und es sei ein Leben wie im Himmel. –

Er fragte auch einmal nach dem Herrn, mit dem ich in Schönna gewesen sei; als ich ihm erzählte, es gehe ihm besser als je, sang er so ein Lied vor sich hin, das ich nicht verstand und klatschte dazu mit der Peitsche und nickte mir so zwinkernd und possenhaft zu, daß ich ganz böse wurde. –

Was meine guten Wirthsleute für Augen machten, als ich ihnen gestand, wie weit ich mich verlaufen! Ich habe ihnen gleich heute gesagt, daß ich nur noch eine Woche hier bleibe. Es soll auf dem Brenner schon wieder schneefrei und gar nicht kalt sein. Ich muß diesen vielleicht sehr flüchtigen Vorfrühling benutzen, um übers Gebirge zu kommen. – Aber morgen, das hab' ich mir feierlich gelobt, will ich die heutige kindische Flucht öffentlich abbüßen, auf die Wassermauer gehen, die paar Bekannten anreden, ihnen sagen, wie wunderbar ich mich erholt fühle und wie bald ich nun wieder nach Hause zu reisen denke. Auch der Dame ohne Nerven will ich nicht ausweichen und sehen, ob ich nicht noch zu guter Letzt wieder zu Gnaden angenommen werde.

Es wäre doch zu schimpflich gewesen, wenn ich's wirklich bis Botzen gebracht hätte, durchgegangen wäre, wie ein Spitzbube, der keinem ehrlichen Menschen ins Gesicht blicken kann. Und obendrein hatte ich gar nicht bedacht, daß auch dieses Heft zurückgeblieben wäre und wer weiß in welche Hände gekommen.

 

Tags darauf. Nach Tische. Frühling an allen Enden.

Kann man denn das schreiben, was man noch nicht denken und fassen kann?

Wie ich heute früh aufstand, ich fürchtete mich gar nicht vor allem Unholden, was mir der Tag bringen sollte, vor allen Muth- und Feuerproben, denen ich entgegenging. Hätte ich all das Holde geahnt, daß mir bevorstand, wer weiß, ob ich nicht noch einmal davon gelaufen wäre!

Ich schrieb gestern, das Leben sei schwer. Das Schwerste im schweren Leben ist aber das Glück – für eine arme Seele, die sein überirdisches Gewicht nicht von klein auf tragen gelernt hat, die nun davon überstürzt, übermannt wird und sich immer noch fragt: Wird dir's nicht am Ende wieder abgenommen, ehe deine Kraft ihm gewachsen ist?

Aber das ist doch eine tröstliche Sache, daß es gar kein wahres Glück giebt, das man einsam tragen müßte, daß uns alle tiefste, innerste Wohlthat nur von Menschen kommen kann, und der uns das Glück bringt, es dann auch tragen hilft.

Da stehen die ersten Veilchen, die auch darum wissen, zu welch einem Frühling ich heute aufgewacht bin. Ich hatte so fest geschlafen auf die lange Wanderung gestern, und mein gutes Gewissen wiegte mich so sanft, seit ich mich entschlossen hatte, mich des Verbrechens, weiter zu leben, nicht mehr vor den Leuten zu schämen. Als ich aufstand, war's heller Tag. Ich sah, da ich mir das Haar machte, daß ich wieder frische Farben hatte; und dann merkte ich auch beim Ankleiden, daß ich wirklich die alten Sterbekleider nicht mehr tragen kann, sie engen und drücken mich überall, und der weißhaarige Hausirer ist sehr zur rechten Zeit gekommen. So lange hatte ich keinen Anfall von Eitelkeit mehr. Aber wenn man wieder leben soll, muß man ja auch wieder ein Frauenzimmer sein. Wie ich mir die Zöpfe flocht, fand ich, daß ich noch gar nicht so alt aussah, und ich weiß nicht, wie es kam, ich mußte an den jungen Polen denken und studirte an dem Räthsel, was ich nur an mir haben mag, daß man sich so auf zehn Schritte in mich verlieben kann. Das mag nun Geschmackssache sein. Aber ich schämte mich zum ersten Male meiner altmodischen Toilette und wie ich den Hut aufsetzte, beschloß ich, wenigstens erst ein neues Band daran zu wenden, ehe ich den großen Dornenweg unter die Leute anträte. Und so will ich eben fort und denke nur an Tand und Band, wie ein grünes Backfischchen, als sich die Thür öffnet und – Morrik hereintritt. Ich glaube, er hatte selbst das Anklopfen vergessen. – Ich war etwas bestürzt, er aber merkte es nicht, da er noch viel zerstreuter und scheuer war. Er setzte sich auch nicht, sondern ging gleich ans Fenster und lobte die Aussicht, sah auch den alten Secretär forschend an und sprach über Rococo-Möbel, wie ein Kenner, und plötzlich kam er damit heraus, ich möge verzeihen, daß er sich die Freiheit nehme, mich zu besuchen, er reise aber morgen nach Venedig und wolle mir doch Adieu sagen. Auch habe er mir zu danken und zugleich sich zu entschuldigen.

Ich saß auf dem kleinen Canapee und sprach keine Silbe als: Wollen Sie nicht Platz nehmen? – Auch hatte ich den Hut noch immer auf, was wenig einladend aussehen mochte; aber er schien an nichts zu denken, als wie er das sagen sollte, was ihm auf der Seele lag.

Was müssen Sie von mir gedacht haben, sagte er, daß ich nichts von mir hören und sehen ließ die ganze Zeit seit jener Nacht, in der Sie mit dem Doctor bei mir gewacht haben? Aber so schlimm, so herzlos, so undankbar, wie ich Ihnen erschienen, bin ich wahrlich nicht. Die Wahrheit ist, daß ich von Allem, was während meiner Krankheit vorgegangen, nicht viel mehr weiß, als von einem unruhigen Traum. Es kam mir freilich so vor, als hätte ich Sie neben meinem Bette gesehen, aus Ihrer Hand die Arzenei genommen, es gefühlt, wie Sie mir das Kissen zurechtrückten. Auch einer wunderlichen Scene zwischen Ihnen und meiner bête noire, der »Dame ohne Nerven«, wie Sie sie getauft haben, erinnerte ich mich dunkel. Doch kam mir Alles bei näherer Ueberlegung so abenteuerlich vor, daß ich mir's rasch aus dem Sinn schlug. Ich hatte ja Ihren Brief, in dem Sie so ernst und entschieden Abschied nahmen. Nun kam freilich jeden Morgen Ihre Wirthin, nach meinem Befinden zu fragen; aber es schickten auch Andere deshalb zu mir. Man kann ja noch höflich sein, dacht' ich, auch wenn sonst Alles aus und vorbei ist. Und so meinte ich denn, nicht gegen Ihre strenge Weisung verstoßen, mich Ihnen nicht wieder nähern zu dürfen; ja, ich war im Zweifel, ob Sie es übel nehmen könnten, wenn ich Ihnen zum Abschied eine Zeile schriebe, Ihnen etwa einen Strauß zuschickte, wie es ja hier Sitte ist. Und nun denken Sie mein Erstaunen, als ich gestern zufällig der Lebensretterin wieder begegne und von ihr höre, daß Alles, was ich geträumt zu haben glaubte, sich wirklich leibhaft mit mir zugetragen, daß Sie erst meine Befreierin, dann meine treue Pflegerin gewesen und mit so schöner Großmuth mir in meinem Elend nichts von dem nachgetragen haben, was Sie von mir entfernt und die früheren hellen Tage so jäh abgeschnitten hat. Ich kann Ihnen nun kaum danken, liebes Fräulein; ich bin ganz krank von dem beschämenden Gefühl, mit dem ich jetzt zurückblicke. Gleich gestern wollte ich zu Ihnen, um Ihnen das Unbegreifliche aufzuklären. Aber Sie waren nicht zu Hause. Hat man Ihnen nicht bestellt, daß ich zweimal an ihrer Thüre war?

Vielleicht aber ist es Ihnen so, wie es gegen mein Wissen und Wollen kam, am liebsten gewesen. Ihr Antheil galt nur dem Sterbenden. Nun es entschieden ist, daß ich leben soll, bin ich Ihnen so fern gerückt, wie durch jenes eine unbedachte Wort, das Sie zuerst von mir zurückstieß. Nun denn, ich reise morgen, und der Zwang, den Ihnen meine Nähe verursacht, wird dann für immer gelöst sein. –

Was ich erwiederte, was er dann sagte, wie es kam, daß er auf einmal meine Hand in der seinigen hielt und mich wieder, wie sonst, »Marie« nannte, – weiß ich's zu sagen? Es umklang und umbrauste mich wie Musik, wie Strahlen wogte und brannte es mir vor den Augen – war es lang oder kurz? – ich weiß nur, eine Ewigkeit ging vor mir auf, in die ich hinüberstarb sanft und selig ohne jeden Kampf, um dann aufzuwachen, schon hier in einem Drüben, jenseit all meiner armen, kleinen, zagenden Menschenkümmernisse, in einer Glorie von Frieden und unsterblichem Vertrauen und ewigem Wissen und Schauen. – – –

Komm, sagte er dann, du bist fertig zum Ausgehen, wir wollen Braut-Visiten machen. – Da nahm er mich unter den Arm, führte mich erst über den Flur in die Schneider-Werkstatt, wo der ehrliche Meister und seine zwei Gesellen uns groß anstarrten und die Frau Meisterin vor Ueberraschung, als sie es von draußen hörte, mit der Pfanne, die sie eben aufs Feuer setzen wollte, hereingestürzt kam, um ein großes Loblied von mir zu singen, was er an mir für eine Frau kriegte, daß ich durch meine Thränen hell zu lachen anfing. Und dann gingen wir in die Stadt hinunter, und hier und da trat er in einen Laden und kaufte was ganz Unnützes, nur damit er sagen konnte: »Schickt's in die Wohnung meiner Braut, beim Schneider, drei Stock hoch, dicht unterm Himmel!« – und dabei blieb er ganz ernsthaft. Als wir aber auf die Wassermauer kamen, fanden wir Alles wie verabredet beisammen, und eben fing die Curmusik an zu trompeten und zu oboen und schien mir heute ganz schön im Tact und wohlgestimmt. Zuerst natürlich war ich etwas beklommen, als plötzlich alle Augen auf uns gerichtet waren. Aber es dauerte nicht lange, so amüsirte mich's unsäglich, wie alle Menschen die Freundlichkeit und Holdseligkeit selbst wurden, und wie gut sie mir alle gefielen. Wir fingen mit der Lebensretterin an, in deren starren, kleinen Augen wahrhaftig etwas Feuchtes schimmerte, als Morrik ihr die Hand küßte und ihr sagte, sie sei die Einzige, auf die ich eifersüchtig gewesen. Das trug mir einen gnädigen Kuß auf die Stirn ein und die Versicherung, daß man der Eifersucht, zumal bei schwachen Nerven, Manches verzeihen müsse. Und dann die Dame mit den beiden geputzten Söhnen und die Schwester mit dem dichtenden Bruder, ja selbst der dicke Herr mit dem Thermometer im Knopfloch – von Allen sammelten wir Glückwünsche ein, Alle sagten, es sei ihnen gar keine Neuigkeit, und Morrik erwiederte, so seien sie besser unterrichtet gewesen, als er selbst, und scherzte sogar mit der kleinen Lästerchronik, die allein gegen mich eisig blieb, wie immer. Aber dem Kinde, das uns den Veilchenstrauß anbot, schenkte er seine ganze Börse, und dazu schien die Sonne, und die Trompeten schmetterten den Frühling wach, und auf dem Kirchhof drüben, wo ich mir schon mein Ruhewinkelchen ausgesucht hatte, blühten alle Blumen, als gäbe es gar keinen Tod, wenn man einmal leben gelernt hat. –

Wir haben dann noch zusammen gegessen und dann Abschied genommen, eben als die Sonne unterging. Kind, sagte er, ich habe es unserm Tyrannen, dem Doctor, versprechen müssen, vor dem nächsten Frühling dich nicht wiederzusehen. Nichts sei schlimmer für Reconvalescenten, als ein Brautstand unter vier Augen. Er hat darum auch kein Wort davon gesagt, daß du mich besucht hast, als ich im Fieber lag, obwohl ich mit ziemlich deutlichen Anspielungen an ihm herumforschte. Da du aber schreiben gelernt hast, leider nur zu gut, wie ich's selbst erleben mußte, werden wir ja doch beisammen sein. Und wie werde ich jubeln, wenn der erste Brief von dir kommt, der nicht mehr vom Abschiednehmen spricht, sondern vom Wiedersehen, nicht mehr von Sterben, sondern von Leben!

Wir standen unten an der Treppe im Zwielicht. Da gaben wir uns die letzte Hand darauf, fröhlich auch noch diese Prüfung zu überstehen. Und so hielt ich den theuren Freund fest an mich gedrückt, um ihn gleich wieder hinzugeben; aber die helle Zuversicht blieb mir zurück: Der uns das gegönnt hat, wird uns auch die Zukunft gönnen, und wir sollen nicht umsonst durch den Tod zum Leben eingegangen sein.

Dieses Heft ist zu Ende. Ich will es dir heute noch hinschicken, mein geliebter Freund; vielleicht blätterst du gern darin, unterwegs, wenn deine Gedanken mich suchen. Ich habe ja nichts mehr, was nicht dein wäre, und wenn du viel von dir darin findest, sei es dir wie ein Spiegel, in dem du mich und dich zugleich siehst, für immer verbunden. Dieses Blatt lege ich nun noch hinein, das ich gestern aus einem Band Gedichte abgeschrieben, und eins von den Veilchen, die du mir heute geschenkt hast. Wenn wieder frische blühen, seh' ich dich wieder, so Gott will! Und er wird es wollen!

Nicht weinen sollst du, sollst frohlocken
Und still dich segnen früh und spät,
Wenn deine Seele tieferschrocken
Am Abgrund unsrer Liebe steht.
Der Lärm des Lebens ist versunken,
Kaum dringt der Freunde Gruß herauf;
Wir schauen stumm und wonnetrunken
Zu seligen Gestirnen auf.
Und wie des Friedens sanfte Welle
Begräbt den schwanken Grund der Zeit.
Wird's vor den Sinnen morgenhelle,
Und tagt wie Glanz der Ewigkeit.


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