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Der lahme Engel

(1880)

 

Gegen Ende des zwölften Jahrhunderts war die Provence voll von dem Ruhm einer eben so weisen als schönen Dame, der Vizgräfin Beatrix von Beziers, Schwester des Vizgrafen Ademar, der nach dem Tode seines älteren Bruders Roger die Herrschaft über die lachenden Fluren und stolzen Schlösser seines Gebietes angetreten hatte. Er selbst war seit Jahren verwittwet, hatte seine beiden jungen Söhne an den Hof des Königs von Frankreich gesandt, daß sie dort frühzeitig ritterliche Künste und höfische Sitte lernten, und lebte mit der unvermählt gebliebenen Schwester auf der Burg von Beziers, die einsam zwischen dunklen Wäldern und zerstreuten Gehöften auf einer geringen Anhöhe lag und von ihren höchsten Thurmzinnen nach Süden hinaus dem Blick bis ans Meer zu schweifen verstattete. Er war ein strenger, starrsinniger Herr, den man niemals lachen sah, außer über die Possen seines Narren, was er sich selber dann oft so übel nahm, daß er an dem armen Wicht, den er doch eigens zu solchem Dienste fütterte, seinen Ingrimm mit Peitschenhieben ausließ. Gesang und Tanz erschollen niemals auf der Burg von Beziers, obwohl die Provence von höfischen Sängern und Spielleuten wimmelte, und selbst als der Vizgraf noch ein jugendlicher Herr war, mied er die Weiber und schien auch seine eigene Schwester nur mit heimlichem Unmuth neben sich zu dulden. Vor Jahren hatte er sie sehr geliebt und in Ehren gehalten, da sie ihm Hoffnung gab, mit einem Könige in nahe Blutsfreundschaft zu treten. Zwei Söhne mächtiger Fürsten warben damals um die Hand der Siebzehnjährigen, deren Schönheit, Sitte und heitere Klugheit weit über Frankreich hinaus gepriesen wurden: Heinrich's II. von England zweitgeborener Sohn und der Erbe der Krone von Aragon. War es um der Nachbarschaft willen, oder weil der Sohn Peter's von Aragon dereinst die Krone tragen sollte, genug, diesem Letzteren war das schöne Grafenkind verlobt worden; sie hatten bereits Briefe und Bildnisse getauscht, da machte ein Unfall die stolzen Hoffnungen zu Schanden: Beatrix stürzte mit dem Pferde auf der Reiherjagd, eine schwere Verletzung, die von unwissenden Aerzten falsch behandelt wurde, warf das junge Fräulein auf ein langwieriges Krankenlager, und als sie endlich, in ihrem zwanzigsten Jahre, für genesen erklärt ihre Marterstatt verlassen durfte, war das eine ihrer Beine gegen das andere so beträchtlich verkürzt, daß sie nur mit Hülfe eines Stabes zu gehen vermochte und jede Anstrengung des versehrten Gliedes mit großen Schmerzen bezahlen mußte.

Eine andere Wunde, ihrem Stolze geschlagen, brauchte weit längere Zeit, um ganz zu vernarben. Aragon hatte an dem Gebrechen der jungen Braut, das einer künftigen Königin nicht wohl anzustehen schien, einen unholden Vorwand gesucht, das Verlöbniß, das aus Gründen der Staatsklugheit schon früher nicht mehr mit günstigen Augen betrachtet worden war, trotz des Widerstrebens von Seiten des Bräutigams zu lösen und ihr Bildniß zurückzuschicken. Daß nun der früher abgewiesene Werber der Prinz von England, sich seiner alten Neigung erinnern und zu der nun ihrerseits Verschmähten sich zurückwenden würde, konnte Niemand erwarten. Gleichwohl geschah es. Aber die hochgesinnte junge Dame, im Innersten verletzt durch die Absage ihres spanischen Bräutigams, erklärte, sie wolle sich nicht auf Krücken in ein Königshaus eindrängen, noch von Mitleid und Großmuth annehmen, was sie der Liebe selbst zuerst geweigert habe; sie gedenke unvermählt zu bleiben und im Schatten, wie es einem krüppelhaften Weibe gezieme, zu sorgen, daß Niemand je ihrer spotten möge.

Diesen ihren festen Entschluß hatte der gestrenge Bruder ihr nie verziehen, und nachdem sie selber längst die ihr zugefügte Kränkung verwunden, saß der Wurm noch in seinem Herzen und vergiftete dasselbe gegen Diejenige, die mit ihm an Einer Mutterbrust gelegen hatte. Die Schwester aber, so schwer sie diesen unbrüderlichen Groll und Haß empfand, ließ es ihn nie entgelten, sondern zeigte ihm stets das gleiche helle und holdselige Gesicht, das sie auch nicht mit sonderlicher Mühe zu erheucheln brauchte. Denn als sie nur erst mit ihrem Gebrechen vertraut und, obwohl mit Schmerz und Noth zu Anfang, doch mehr und mehr wieder Herrin ihrer Bewegungen geworden war, sah sie ihr Loos gar nicht als ein so kümmerliches und beklagenswerthes an, sondern als eines, das nur dazu dienen sollte, die Stärke ihres Geistes und die Heiterkeit ihres Gemüths desto siegreicher zu bewähren.

Sie hatte in den Jahren, die sie auf dem Siechenlager zugebracht, es sich angelegen sein lassen, mit mancherlei Wissenschaften vertraut zu werden, von denen sonst ein hochgeborenes Fräulein zu jener Zeit so wenig zu erfahren pflegte, als heutzutage. Was nämlich die graduirten Aerzte an ihrem armen jungen Leibe verpfuscht hatten, war durch die Hülfe einer einfachen Bäuerin in etwas wieder gebessert worden, die mit allerlei ererbter Geheimweisheit zwar den Hauptschaden nicht zu heilen, wohl aber die übelsten Folgen zu verhüten verstand. Da sie nun alle Tage um die Genesende war und sie lieber gewann, als eine eigene Tochter, die der Himmel ihr versagt hatte, weihte sie nach und nach die kluge junge Dame, die eine lebhafte Lernbegierde bezeigte, in ihr ganzes heimliches Wissen ein, wies ihr die Kräuter, aus denen sie die erfrischenden Tränke und heilsamen Salben bereitete, lehrte sie, wie man Wunden verbinden und innere Gebrechen erkennen möge, und als Beatrix erst wieder aufgestanden und kräftig genug war, einen mäßigen Ritt zu unternehmen, sah man das wunderliche Paar, die schöne Vizgräfin und das Bauernmütterchen, manchen Tag in den nächsten Dörfern zusammen herumziehen, die Alte mit flinken Schritten neben der Reiterin, zu der sie beständig hinaufsprach, ihr etwa ein Heilkraut, das am Wege wuchs, zu zeigen, oder auf eine ihrer Fragen zu antworten.

Auf diese Weise besorgten sie gemeinsam die ziemlich ausgebreitete Landpraxis der Mutter Anduse, wie die weise Alte genannt war, bis Vizgraf Ademar, durch eine Spottrede, die ihm zu Ohren kam, aufgereizt, seiner Schwester dies vergnügliche Werk der Barmherzigkeit mit heftigen Worten untersagte. Seitdem blieb Beatrix zu Haus, ohne doch des Unterrichts der Alten gänzlich zu entbehren. Sie hatte sich nahe den Zimmern, die sie sonst bewohnte, in einem der Schloßthürme ein festes, stark ausgewölbtes Gemach zu ihrem Laboratorium eingerichtet, den Kamin zu einem Herde umgeschaffen, auf welchem sie nach den Recepten der Mutter Anduse die übelschmeckendsten, aber heilkräftigsten Säftchen und Pillen bereitete, so daß sie mit der Zeit einen schönen Vorrath davon aufspeicherte. Wurde nun Jemand vom Gesinde oder in den Hütten der fröhnigen Leute krank, so wandte er sich an die junge Herrin um Hülfe, die sie auch bereitwillig spendete. Daß die Medizinen häufig nicht mehr ganz frisch und wohl gar schon vergohren und in Unheilsmittel verwandelt waren, schadete dem Erfolge nur selten. Das Siechthum schwand schon allein durch den Glauben an die tiefe Wissenschaft der vornehmen Aerztin, und die Knechte zumal würgten mit dem fröhlichsten Gesicht das heilloseste Zeug hinunter, nur um der Gunst theilhaftig zu werden, von so schönen weißen Händen und mit so gütigem Lächeln sich die zweifelhafte Wohlthat reichen zu lassen.

Mit der Zeit aber bemächtigte sich die Leidenschaft, menschliche Leiden zu kennen und zu bekämpfen, dergestalt des jungen, einsamen Gemüthes, daß sie Alles in ihrem Leben nur auf dies Eine bezog, sich einen Lehrmeister kommen ließ, der sie Lateinisch lehren mußte, damit sie die Werke der alten Naturforscher und Heilkünstler verstehen könne, und selbst mit den berühmtesten Leuchten der Facultät zu Paris sich in schriftlichen Verkehr einließ, um über die Fortschritte der Wissenschaft stetig unterrichtet zu werden. Halbe Nächte lang saß sie über den Büchern oder hantierte mit Tiegeln und Kolben an ihrem Laborirherde, und die Landleute, die das Licht im Schloßthurm noch glimmen sahen, wenn sie selbst vor dem ersten Thau wieder aufs Feld zogen, zeigten einander mit Ehrfurcht das Fenster, hinter welchem die Herrin wachte, und erzählten von den Wunderkuren, die ihr schon gelungen, und dem Lebenselixir, dem sie auf der Spur sei.

Es hätte wenig gefehlt, daß durch dies seltsame Treiben und etliche Fälle von Heilungen, über die man billig erstaunen konnte, Beatrix in den Verdacht eines Einverständnisses mit bösen Mächten gekommen wäre. Aber das Helle und Heitere ihres Wesens und daß sie stets zu Scherz und Lächeln aufgelegt und Kranken wie Gesunden als ein Bild sonniger Unschuld erschien, ließ den Verdacht einer Teufelsgemeinschaft nicht aufkommen, so daß man sie vielmehr allgemein nicht anders als »den lahmen Engel« nannte. Die Kirche besuchte sie fleißig, zumal aber unterhielt sie eine gute und eifrige Freundschaft mit den Nonnen eines Servitinnenklosters, das ziemlich hoch im Gebirge über Stadt und Schloß Beziers in tiefer Einsamkeit gelegen war, aber allerlei Bäche von Segen in die Niederung hinabströmen ließ, da die Schwestern einer menschenfreundlichen Regel unterthan waren und als Krankentrösterinnen, Pflegerinnen verwaister Kindlein und in anderen Werken der Nächstenliebe vielfach sich unter das niedere Volk mischten. Da hatte Beatrix Gelegenheit, ihren Schatz an Kenntnissen durch treue und sorgliche Hände unter die Armen und Hülfsbedürftigen auszutheilen, indem sie Recepte zu neuen Heilmitteln angab, oder bei Seuchen, die hin und wieder auftraten, die kräftigsten Medicamente, mit eigenen Händen bereitet, der Aebtissin überlieferte, von der sie selbst wie eine junge Heilige betrachtet wurde. Es war dies ebenfalls ein Fräulein aus edlem Hause, welches durch Verrath in der Liebe der Welt entfremdet und ihrem Seelenbräutigam zugeführt worden war. So begegneten sich die beiden trefflichen Damen auch in ihrer Stimmung gegen die Männerwelt, nur daß Beatrix es unter ihrer Würde fand, in die oft sehr bitteren Schmähungen der Frau Aebtissin einzustimmen, sondern sich mit einem kühlen Rümpfen der Lippe begnügte und nur etwa die Worte fallen ließ: die hoffärtigen Herren bildeten sich ein, man könne sie nicht entbehren; aber Gottesdienst und Wissenschaft seien ein besserer Zeitvertreib, als das einfältige Gelispel höfischer Gecken und eitler Selbstanbeter.

Dergleichen Reden wurden in dem Klostergärtchen hoch oben am Fels oder in der Zelle der Frau Aebtissin geführt, da diese das Haus nur äußerst selten verlassen durfte, Vizgräfin Beatrix dagegen, seit sie in ihrer unantastbaren Tugend das dreißigste Jahr überschritten hatte, sich der launischen Tyrannei ihres Bruders nicht mehr so demüthig unterwarf, sondern nach ihrem eigenen Kopfe handelte. Sie versagte sich's daher auch nicht mehr, zu ihren Kranken herumzureiten oder, so oft ihr die Lust kam, ihre geistliche Freundin im Kloster droben zu besuchen, die um mehrere Jahre älter war und schon zu kränkeln anfing. Nun freilich trippelte Altmutter Anduse nicht mehr neben ihrem Thier, da sie längst an einem ihrer eigenen Elixire, das sie in zu starker Dosis genommen, eines unsanften Todes verblichen war. Statt ihrer führte ein lang und hager aufgeschossener Knabe den Zügel des weißen Maulthieres, wenn es die steilen Felspfade zum Kloster hinaufging; und auch auf anderen Wegen, oft stundenweit ins Land hinein, da die Vizgräfin die gesammte ärztliche Clientel der Alten übernommen hatte, begleitete der halbwüchsige Stallmeister rüstigen Schrittes die hohe Frau, hatte des Thieres Acht, so lange ihr Dienst bei einem Kranken sie verweilen ließ, mußte ihr hin und wieder von den Pflanzen bringen, die am Wege wuchsen, oder einem Lahmen oder Blinden, der bettelnd am Wege saß, das Almosen in die Hand stecken. Es sah artig aus, die hohe, schmiegsame Gestalt der schönen Aerztin in schmucker Gewandung – denn sie liebte helle Farben und golddurchwirkte Tücher und Schleier – auf ihrem muthigen weißen Thiere daherkommen zu sehen, am Sattel allerlei Körbe voll Phiolen und Büchsen befestigt, die zu ihrem Berufe gehörten, neben ihr hinschreitend der schlanke junge Bursch in einfachem braunem Wams, ein schlichtes Hütchen mit einer kleinen Pfauenfeder nachlässig auf das krause schwarze Haar gedrückt. Uc Brunet war sein Name; den zweiten hatten ihm die Leute gegeben, da seine Haut, zumal in seinen früheren Knabenjahren, so dunkel war, wie die eines Mauren, so daß auch Viele glaubten, sein Vater, den Niemand gekannt, sei kein Christ gewesen. Als ein zehnjähriges Bübchen war er mit der Mutter, einem armen fahrenden Weibe, nach Schloß Beziers gekommen, in zerlumptem Kleide, mit hungerdürren Wangen, und hatte den fremdartigen Gesang seiner navarresischen Mutter, die der Langue d'oc nur zur Noth mächtig war, auf einer kleinen schwarzen Geige begleitet, dabei aus seinen finsteren Knabenaugen scheue Blitze sprühend, wenn ein ungutes Wort an sein Ohr schlug. Dies armselige Duett im Burghofe sollte traurig enden. Ein Blutstrom war der Sängerin aus dem Munde gequollen, da sie eben die letzte Strophe ihres spanischen Liedchens beginnen wollte. Der junge Sohn hatte sie in seinen Armen aufgefangen und in einen Winkel neben der Hundehütte getragen. Alsbald war der »lahme Engel,« der von seinem Thurmfenster aus dem Gesang zugehört, unten um die bewußtlose Landfahrerin bemüht, aber die kräftigsten Tropfen und Balsame hatten Nichts vermocht; in derselben Nacht war das Weib verschieden, und nur ein jammervoller Blick ihres schon umdunkelten Auges nach dem verwaisten Knaben hatte bei ihrer edlen Aerztin Fürsprache für ihn einlegen können.

Dies war geschehen, als Beatrix eben Dreißig geworden. Sie hatte es sofort bei ihrem Bruder erwirkt, daß der eltern- und heimathlose Fremdling im Hause behalten wurde. Ein alter Pferdeknecht fand Gefallen an ihm und nahm ihn in seine besondere Obhut, was Brunet, obwohl er in leidenschaftlichem Gram um die Mutter sich ziemlich fühllos gegen alles Andere zeigte und selbst seiner schönen Gönnerin eher abgeneigt, sich gleichwohl gefallen ließ, da er noch Kind genug war, mitten in seiner Trauer und Verwahrlosung sich der schönen Pferde im Stalle von Beziers zu erfreuen. Er blieb die ersten Monate so zurückgezogen, daß die meisten der Schloßbewohner sein Dasein völlig vergaßen und selbst Beatrix, nachdem sie zuerst sich Mühe gegeben, das Kind seiner trotzigen Scheu zu entwöhnen, ihn endlich sich selbst überließ. Mit der Zeit wurde er gefügiger und begegnete seiner Wohlthäterin niemals, ohne daß er stehen blieb und sein Hütchen zog. Sie verweilte dann gewöhnlich ein paar Augenblicke bei dem dunkelwangigen Wildling, fragte, wie es ihm ergehe, ob er irgend etwas zu klagen oder zu wünschen habe, und nahm mit seinen einsilbigen, aber höflichen Antworten vorlieb. Nur die Frage, ob er sein Geigenspiel ganz verlernt habe, wiederholte sie nie wieder. Das erste Mal, da sie ihr entschlüpft, waren ihm die Thränen aus den Augen geschossen, obwohl er sich gewaltsam Mühe gab, seinen inneren Aufruhr zu bezwingen. Sie sah, wie schwer der Tod der Mutter noch auf ihm lastete. Halte dich brav, Ugonet! hatte sie mit ihrem gütigsten Lächeln gesagt, indem sie ihm sacht mit ihrem Tüchlein über die nasse Wange fuhr. Du sollst nicht heimathlos bleiben und, so lang ich lebe, nicht verderben.

Da hatte er ihre Hand mitsammt dem Tüchlein gehascht, sie an seinen Mund gezogen, ein paar verworrene Worte gestammelt und war mit glühendem Gesicht davongerannt, sich im dunkelsten Winkel des Marstalls zu verbergen.

Von diesem Tage an war Beatrix ihrem Schützling nie begegnet, ohne ein freundliches Wort an ihn zu richten; doch da sie beständig mit ihren hohen Wissenschaften, ihrem Briefwechsel mit gelehrten Doctoren und der Krankenpflege zu thun hatte, auch zur Lehrmeisterin eines wildaufgewachsenen Knaben nicht sonderliche Neigung und Gaben in sich verspürte, überließ sie ihn gänzlich jenem wackeren Knecht, der ihm beibrachte, was er selber verstand: waidmännische Künste und die Anfangsgründe in der Führung der Waffen, wozu Brunet so viel Begierde als Geschick zeigte. Nur daß es bei seinem stürmischen Blute nicht ohne allerlei Gefährde abging und er mehr als einmal sich bei tollen Ritten oder verwegenem Kampfspiel gegen Stärkere einen blutigen Kopf und scharfe Hieb- und Stichwunden holte. Mit diesen Denkzeichen aber und den trefflichen Pflastern, die sein Zuchtmeister darauf zu drücken pflegte, ließ er sich niemals vor seiner Gönnerin sehen, obwohl diese ihm weit lindere Heilsalben aufgelegt hätte, als der Knecht, der im Grunde nur Pferde zu behandeln verstand. Er schämte sich, da er sonst seinen jähen Trotz und Ungestüm gegen Jedermann ausließ, vor ihr allein seiner Unbändigkeit und hätte geglaubt, ein strafendes Wort von ihr nicht überleben zu können.

Da er fünfzehn Jahre alt geworden war, begann noch eine andere Lehrzeit für ihn. Der Vizgraf hatte einen Narren, Olivier genannt, ein zwerghaftes Männchen, nicht viel über drei Schuh hoch, mit einem kleinen, welken, greisenhaften Gesicht und einem dünnen Kinderstimmchen, schon über Vierzig alt, ein Geschenk des Grafen von Toulouse, dem dieser Mann nicht lustig genug gewesen war. Er hatte aber besseres Glück bei seinem neuen Herrn, dessen düsterer Sinnesart die bitteren, tiefsinnigen Späße dieses armen Freudlosen weit mehr einleuchteten, als die derben Possen seines Vorgängers. Olivier war der Einzige, der von dem Vizgrafen nie geschlagen wurde. Ein einziges Mal, da sich der Witz des Kleinen allzu dreist gegen den Herrn selbst gekehrt, hatte dieser die Hand aufgehoben mit einem knirschendem Fluch, sie aber gleich wieder sinken lassen, da sein Auge dem des Kleinen begegnete, aus welchem keine Furcht, nur eine seltsam traurige Verklärung ihm entgegenleuchtete. Und wie der feste Blick des Menschen ein Raubthier bezähmt, so war der Jähzorn des Vizgrafen alsbald gebändigt worden.

Dieser Olivier nahm sich des verwilderten Schößlings an und wußte bald so sehr ihn an sich zu ziehen, daß er sich noch mehr, als zu Lambert, dem Stallmeister, zu diesem wunderlichen Mentor hielt und man die Beiden, sobald der Herr des Schlosses nicht anwesend war, oft halbe Tage lang beisammenhocken sah, Olivier erzählend, Brunet zuhörend, wobei der Knabe immer sorgte, daß sein Freund einen weichen, bequemen Sitz in der Sonne hatte, da er gebrechlich zu werden anfing und Husten und Gliederweh ihm zusetzten. In diesen langen Plauderstunden lehrte der Narr den jungen Stallburschen unter anderen guten Dingen auch Lesen und Schreiben und sogar ein wenig Latein, das er selbst als ein aufgeweckter Knabe früh von einem Pfarrer gelernt, der immer noch hoffte, durch sein Gebet ihm zu einem regelmäßigen Wuchs zu verhelfen und dann ein rechtes geistliches Rüstzeug aus ihm zu erziehen. Diese Hoffnung war fehlgeschlagen, ohne daß der Kleine sich darum betrübt hätte. Denn er hatte große Lust zu allen weltlichen Dingen, und als seine Mutter ihn tröstete, um seiner Kleinheit willen werde er jetzt an den Hof vornehmer Herren taugen, hatte er einen Freudensprung gethan. Wie schlecht seine Träume sich erfüllt, las man auf seiner wehmüthig gespannten Stirne und in den früh ergrauten Härchen. Mehr als einmal sagte er seinem Zögling, daß er wenig so gute Stunden genossen, als wenn er mit ihm draußen auf dem grünen Wall am Schloßgraben unter dem Schlehenbusch sitzen und in sein Knabenherz all seine dunkle Weisheit ausschütten konnte. In einer dieser glücklichen Stunden berührte ihn ein sanfter Herzschlag. Brunet meinte nicht anders, als der Kleine sei eingenickt. Da er eine Stunde stille neben ihm gewartet hatte und das alte blasse Gesichtchen endlich einen ungewohnt spukhaften Ausdruck annahm, erschrak er heftig, rief und rüttelte eine Weile an dem stillen Mann und nahm endlich das Figürchen in die Arme, um es in den Schloßhof zu tragen. Aber selbst die Kunst und Weisheit der Vizgräfin Beatrix vermochten das entflohene Leben nicht mehr zurückzurufen.

Sein Nachfolger war leider in Allem sein Widerspiel, ein frecher höckriger Wicht von der ärgerlichsten Gemüthsart, neidisch und hämisch, aber mit so ausbündig bösen Possen ausgerüstet, daß er sich rasch in die Gunst seines Herrn noch sicherer einnistete und ihm viel unentbehrlicher wurde, als der tiefsinnige Olivier. Er gedachte es auch bei der schönen Schwester des Vizgrafen dahin zu bringen, daß sie sich ihm huldreich bezeige. Diese aber, obwohl sie gern lachte, ja oft das Sprichwort anführte: Lachen macht gutes Blut, – von den Späßen dieses Buffone wendete sie sich mit unverhohlenem Verdrusse hinweg, während sie die schwermüthigen Scherze des kleinen Olivier mit ihrem lieblichsten Lächeln zu belohnen pflegte.

Guigo – so hieß der Schelm – empfand dies um so bitterer, da er ein heißblütiger Gesell war, trotz seines Narrenhabits Frauengunst vielfach genossen und beim ersten Blick auf die stolze Frau, die eben jetzt, obwohl ihren Vierzig nicht mehr fern, im vollen Flor ihrer Schönheit stand, verwegene Wünsche in seiner mißbildeten Brust empfangen hatte. Er warf von Stund an einen tiefen Haß auf sie und Alles was zu ihr gehörte, und da er merken mußte, daß der schlanke schwarze Juvenil, der im Stalle schlief, von dem »lahmen Engel« freundlicher behandelt wurde, als er selbst, wurde er auch diesem spinnefeind und lauerte auf einen Anlaß, ihm einen Streich zu spielen.

Brunet beachtete ihn kaum. Daß er der Nachfolger seines geliebten Freundes und Lehrmeisters war, reichte allem schon hin, ihn von Guigo fern zu halten. Ihm war aber zu dieser Zeit überhaupt an alle dem, was um ihn vorging, wenig gelegen, denn ein neuer Sinn war ihm aufgegangen, so daß er blind und taub wurde für Alles, was sonst in seine Nähe kam.

Einer der benachbarten Barone hatte dem Herrn von Beziers einen Besuch gemacht, was sich selten ereignete, da, wie berichtet, Vizgraf Ademar ein Feind der Geselligkeit war und lieber den Vorwurf des Geizes sich gefallen ließ, als daß er zu den hergebrachten Zeiten seine Thore geöffnet und Gastereien veranstaltet hätte. Diesmal war ein politisches Zwiegespräch der Zweck der Begegnung, und der Gast kam, um sich seiner Macht und Hoheit würdig darzustellen, mit seinem gesammten Hofstaat, darunter auch ein Sänger war, den er seit einiger Zeit auf seinem Schlosse beherbergte: ein damals nicht unberühmter Mann, dessen Name hier aber nichts zur Sache thut. Es hatte nicht fehlen können, daß der Troubadour für die Gastfreundschaft, die er in Beziers genoß, sich durch ein Gedicht dankbar erzeigte, das neben und vor anderem Köstlichen, was die Burg umschloß, die herrliche Frau in überschwänglichen Worten feierte, die männlichen Geist und tiefe Wissenschaft mit allem Zauber ihres Geschlechtes vereinige, also daß sie gleich dem Vogel Phönix in aller Welt nur dies eine Mal vorhanden sei. Dies war nach altem Brauch der höfischen Dichtung in vielen Strophen hin und her gewendet und im Grunde eine gar frostige Huldigung, zu der auch die Verherrlichte selbst nur um der höfischen Sitte willen eine huldvolle Miene machte, während ihr klarer Verstand ihr sagte, daß nicht viel dahinter sei. Sie war noch froh genug, daß der Herr Poet sich's nicht einfallen ließ, sich im Ernst in sie zu verlieben, da sie ungern sich genöthigt sah, eine Bewerbung dieser Art mit scharfer Kälte abzuweisen. Und so verlief Alles in bestem Behagen, und als der Besuch sich endlich wieder verabschiedet hatte, hinterließ er keine andere Spur, als eine Handfeste, die zwischen den beiden hohen Herren beschlossen, verbrieft und besiegelt worden war, und etliche Lücken in Speicher und Keller, die sich bald wieder füllten.

Nur in Einem Gemüth war ein Funke zurückgeblieben, der fortglimmte und nicht wieder erlöschen wollte. Unter dem Gesinde, das an den halboffenen Thüren des Speisesaals gelauscht hatte, als der Spielmann des fremden Troubadours jene Canzone sang und sie auf seiner schönverzierten Laute begleitete, hatte auch Brunet gestanden und in traumhaftem Entzücken Worte und Weise in sich aufgenommen. Daß man so stolze Ausdrücke kunstvoll zusammenfügen und eine edle Dame geradezu damit ansingen könne, schien ihm ein unbegreifliches Glück, um das er den Sänger innig beneidete. Kaum war er wieder allein, so versuchte er auf seine eigene Hand etwas Aehnliches und gerieth in tiefe Schwermuth, als es ihm nicht sogleich gelingen wollte. In einem alten Kasten unter werthlosem Geräth hatte er die kleine Geige verwahrt und seit Jahren sich gescheut, sie wieder anzurühren, als müsse der erste Ton das bleiche Gespenst seiner armen Mutter aus ihrem Grabe herauflocken. Jetzt aber, in fieberhafter Hast, riß er das unscheinbare Instrument ans Tageslicht, stimmte die Saiten und versuchte die lang vergessenen Griffe. Zu seinem eigenen Staunen klang es ihm lieblicher, als er gefürchtet, und die Todte blieb ruhig in ihrer Tiefe. Dafür aber schwebte, wie er den Saiten immer süßere und schmelzendere Weisen abgewann, ein lebendes Frauenbild zu seiner Qual und Wonne heran und stand unbeweglich ihm gegenüber, daß endlich auch das Band seiner Zunge zerriß und er in freien dichterischen Worten, nur viel heftiger und glühender als jener Hofpoet, sein Herz und Leben, Dank und Andacht, Bewunderung und scheue Bitte dahinströmen ließ.

Die Knechte und Mägde liefen bald herzu und ließen es an aufmunterndem Beifall nicht fehlen. Brunet aber runzelte die Stirn und warf, sobald er merkte, daß man ihm zuhörte, das Instrument auf sein dürftiges Lager, das in einer Kammer neben dem Stalle aufgeschlagen war. Auch widerstand er in den nächsten Tagen allen Versuchungen, wieder zu musiciren. Selbst als Beatrix, da er ihr in den Sattel half, lächelnd zu ihm sagte: Alte Liebe rostet nicht. Ich höre, Ugonet, daß du deine Musik wieder hervorgesucht hast. Du mußt mir einmal vorspielen, daß ich sehe, ob die alte Bernarda Recht hat, daß du es noch besser könnest, als der Spielmann aus Narbonne! – da hatte er mit tiefem Erröthen, indem er sich am Zaumzeug zu schaffen machte, erwidert, er beschwöre seine Herrin, dies nicht von ihm zu begehren; er habe Alles verlernt, und die Leute im Hause trieben nur ihren Spott mit ihm und wollten, daß er auch vor der Herrschaft beschämt dastünde.

Beatrix war nicht weiter in ihn gedrungen. In derselben Nacht aber, da sie in ihrem Thurmzimmer über einem schwierigen Recept brütete und eben die Handschrift des Galenus unmuthig beiseite schob, hatte sie plötzlich einen süßen Saitenklang unten vom Wall herauf vernommen, eine schmachtende Weise, die nicht bloß ihr Ohr umschmeichelte, sondern sich leise zu ihrem innersten Gemüthe stahl und dort ein wunderlich süßes Wogen und Wallen anstiftete, so daß sie von ihrem Tische aufstand und an das Fenster trat. Die Nacht funkelte mit tausend Sternen herein, die Welt schlief in der weiten Runde, nur die Stimme der Geige schwirrte ruhelos durch die Wipfel und schwang sich an der steilen Mauer herauf und in das einsame Gemach der hohen Frau. Es ist Ugonet, der spielt, sagte sie sinnend vor sich hin. In der That, es klingt, wie wenn der Frühling selbst zu singen anhöbe. Wer ihn dies nur gelehrt haben mag nach so langen Jahren?

Als sie am anderen Tage wieder mit ihm über Land zog, er zu Fuß neben ihrem Maulthier, sah sie ihn, der die Augen auf den Weg gesenkt hatte, prüfend von der Seite an, und er erschien ihr heut ein Anderer, als sonst. Auch in seiner knechtischen Kleidung trug er sich frei und mit kühnem Anstand, und sein Wuchs wäre vollkommen gewesen, nur daß er ein wenig zu hager war. Seine dunkle Haut hatte sich zu lichten angefangen, der schlanke Hals erschien sogar weiß, und auch die kleinen Hände waren bleich von Farbe. Noch zeigte sich wenig Flaum an Kinn und Oberlippe, desto dichter krauste sich das glänzende Haar um den feinen Kopf, und die Brauen zogen sich in einer geraden schwarzen Linie über den großen, trübsinnigen Augen hin. Seine Gönnerin sagte sich zum ersten Mal, daß ein schöneres Jugendbild nicht leicht zwischen dem Meer und der Garonne zu finden sein möchte, sicherlich aber keines, das an seinem eigenen Aussehen so wenig Freude zu haben schien. Es dauerte sie der arme landfremde Jüngling, den sein Irrstern zu ewiger Dienstbarkeit verdammt zu haben schien, da nicht viele der Edelgeborenen es an Gaben der Natur mit ihm aufgenommen hätten. – Die Bernarda hat doch Recht gehabt, sagte sie lächelnd von ihrem Sattel herab; die lange Ruhe ist deinem Geigenspiel gut bekommen; es ist, als hättest du seit der Knabenzeit Tag für Tag dich bei einem guten Meister geübt, so schön und stark führst du den Bogen.

Und nach einer Weile da er nichts erwiderte und den Kopf tiefer auf die Brust senkte: Du solltest darauf denken, Ugonet, dich zu einem Troubadour zu verdingen und ihn auf seinen Fahrten zu begleiten. Da würdest du Ehre und reichen Lohn gewinnen und die ferne Welt sehen, was dir besser anstünde, als hier im Schatten zu verkommen und es nicht höher zu bringen, als mit der Zeit zum Stallmeister oder Marschalk.

Der Jüngling schüttelte stumm den Kopf. Und da sie gerade an einem Hause angekommen waren, wo ein Kranker lag, den die Vizgräfin zu besuchen hatte, blieb es für diesmal bei diesen wenigen Worten. In der nächsten Nacht aber, als Beatrix nach der Abendtafel in ihr Laboratorium trat, um noch einige Heilmittel zu bereiten, deren sie für morgen bedurfte, trat ihr Fuß auf etwas Hartes, das am Boden lag. Sie bückte sich, es aufzuheben, und sah im Mondzwielicht, daß es der Bolzen einer Armbrust war, der durchs offene Fenster hereingeflogen sein mußte. Als sie das stumpfe Holz – denn die Spitze war sorgfältig abgebrochen worden – näher betrachtete, fand sie einen Streifen Pergament darumgewickelt, auf welchem einige Strophen standen. Sofort wußte sie mit der untrüglichen Ahnung eines Frauenherzens, wer diese wunderliche Post an sie abgesandt, zündete ihre dreiarmige Lampe an und saß am Herde nieder, das Blatt zu lesen. Es war eine Canzone, in der Strophe gedichtet, die der fremde Troubadour zu seinem Liede gebraucht, und lautete so:

O wollet nicht, ich soll die Stätte fliehn,
Wo ich zuerst erfuhr, was Leben heißt!
Den Fremdling, arm und glücklos und verwais't,
Laßt ihn am Ort, wo ihm die Sonn' erschien!
Müßt' ich von dannen ziehn,
Es wär', als bräche man ein Blatt vom Baum:
Die Winde jagen's hin am Wegessaum,
Und das noch eben prangte frisch und grün,
Ist vor dem Herbst verdorret und ergreis't.

O schickt mich nicht in fremde Dienstbarkeit!
Nur Einem Zwang gehorcht mein störrisch Blut,
Und was mein Arm in dieser Frohne thut,
Scheint mir wie Dienst, den Heiligen geweiht.
Ich weiß, wie weit, wie weit
Mein Loos von Der, die mir befiehlt, mich trennt;
Doch dulde sie's, wenn Stern an Stern entbrennt,
Daß nur von ferne sich bescheiden-kühn,
Der Glühwurm ihrer Huld und Schöne freut.

Sie hatte die Verse noch nicht zu Ende gelesen, da fing unten am Wall die Geige wieder an zu klingen, und sie vernahm jene Melodie, die der Spielmann von Narbonne auf der Laute gegriffen hatte, nur um Vieles süßer und sehnsüchtiger. Da las sie die Strophen von Neuem und dann zum dritten Mal, bis der Geiger eine neue Weise anstimmte, zu der die Worte nicht mehr passen wollten. Es währte diese Nachtmusik über eine volle Stunde. Und immer saß die Lauscherin oben im Thurme unbeweglich und hatte das Blatt auf den Knieen und die Augen halb geschlossen, daß sie nur ein Stück von dem silbernen Mondhimmel draußen sah. Als das Spiel unten verstummte, that sie einen tiefen Seufzer und stand auf. Sie ging zu einem kleinen Spiegel, der an der Wand hing, und indem sie die Lampe voll über ihr Gesicht scheinen ließ, betrachtete sie sich eine ganze Weile und mußte endlich selbst über die bekümmerte Miene lachen, mit der ihr Bild sie anblickte. Er ist nicht recht gescheidt, sagte sie vor sich hin, und ich selbst noch unkluger als er. Das sind Kinderpossen, wie sie zu Zwanzig hingehen mögen; zu Vierzig sollte man sich lieber binden lassen, als mit solcher Tollheit frei herumgehen. Schäme dich, altes Kind! Thu noch deine Arbeit und dann lege dich nieder und schlaf alle klingende und singende Thorheit aus.

Dann trat sie an den Herd zurück und bereitete sorgsam Alles, was sie für ihre Kranken nöthig hatte, schlief auch diese Nacht ruhig und traumlos wie immer. Sie hatte sich vorgenommen, Ugonet davor zu warnen, daß er sich der Versmacherei nicht ergeben möge, die sie in den meisten Fällen für ein müßiges Spiel mit schönen Worten hielt, nur erfunden, sein eigenes Gemüth zu fälschen und fremde, arglose Seelen zu betrügen. Als sie aber des Jünglings stille, traurige Miene sah, brachte sie's nicht übers Herz, ihm etwas zu untersagen, was ihm als ein Trost in seinem armen Dasein erscheinen mußte, und so war von den Versen und der Serenade zwischen ihnen nicht die Rede.

Auch nicht an den folgenden Tagen, obwohl die Geige pünktlich, sobald es Nacht wurde, wieder erklang und die Vögel im Walde immer länger wach erhielt. In der vierten Nacht wurde das Spiel plötzlich unterbrochen. Die Lauscherin oben vernahm die heftige Stimme ihres Bruders, der sich das Wimmern und Winseln ein für alle Mal verbat. Als Beatrix ihre getreue Bernarda befragte, erfuhr sie, Guigo, der Narr, habe aus Eifersucht auf Brunet, der durch seine Musik das ganze Gesinde bezaubert habe, dem Herrn hinterbracht, daß der Stallbube allnächtlich vor den Fenstern der Vizgräfin die Geige spiele und man bereits darüber zu reden anfange. Beatrix antwortete mit einem Scherz und that, als sei es auch ihr fast unlieb gewesen, in ihrem nächtlichen Laboriren gestört zu werden. Sie hatte sich aber schon so sehr daran gewöhnt, durch die Geige in Schlaf gesungen zu werden, daß sie die nächste stumme Nacht hindurch sich ruhelos auf ihrem Lager wälzte und mit überwachten Augen aufstand.

Nun war für diesen Tag ein Ritt nach dem Kloster hinauf beschlossen gewesen, da die Aebtissin in die Burg hinunter Botschaft gesendet, sie fühle sich mehr als sonst unpaß und wünsche sehr, ihre ärztliche Freundin zu Rathe zu ziehen. Also wurde das Maulthier gesattelt, Brunet befestigte die Wanderapotheke an den Sattelknauf und half der Herrin in den Bügel. Sie war Willens gewesen, sich für diesmal einen anderen Begleiter zu nehmen, da sie besorgte, es möchte über den nächtlichen Vorfall zu Erörterungen kommen, die dem heftigen Knaben vielleicht Worte entrissen, wie sie sie nicht zu hören wünschte. Als sie aber sah, daß er ein ganz verfärbtes Gesicht und geröthete Augen hatte, konnte sie sich nicht entschließen, ihm eine neue Kränkung zuzufügen, gab ihrem Thier einen Schlag mit der Hand auf den rauhen Hals und trabte munter den Berg hinan, so daß Brunet sie erst einholen konnte, als die Steile des Pfades ihren Schritt mäßigte. Nun hatte sie sich inzwischen bedacht, als eine kluge und herzhafte Frau, wie sie war, den Stier lieber gleich bei den Hörnern zu fassen, fing deßhalb an, in scherzendem Tone von der unterbrochenen Nachtmusik zu reden und daß es auch ihr leid darum sei, vielleicht aber doch zu seinem Besten gereichen werde. Denn er verwöhne und verzärtele sich mehr und mehr durch die Uebung dieser müßigen Künste, die ihm endlich jedes mannhafte Thun verleiden würden. Sie denke nicht gering von der fröhlichen Kunst der Poesie. Es habe zu allen Zeiten große und erlauchte Dichter gegeben, die einen gerechten Ruhm geerntet und noch lange nach ihrem Tode wie Sternbilder den späteren Geschlechtern geleuchtet hätten. So werde jetzt auch in der Provence der Name manches Troubadours gleich dem eines mächtigen Fürsten oder siegreichen Kriegshelden mit hohen Ehren genannt, und sie selbst würde nicht minder gern, als einen der weisen Meister, die von den Geheimnissen der Natur geschrieben, einen Dichter wie Bertran von Born, oder Bernhard von Ventadour oder Arnaut Daniel von Angesicht kennen lernen. Diese aber seien zu ihrem Ruhm nicht ohne Mühe und eifriges Nachdenken über die Kunst gelangt, wie denn nichts Vortreffliches nur so im Fluge zu erreichen sei, etwa gleich einem Vogel, den ein guter Schütz mit seinem Pfeil aus den Wolken hole. Wie aber er, Ugonet, zu solcher Höhe der Kunstübung gelangen wolle, im Stall bei seinen Pferden, ohne Bücher oder Lehrmeister? Dagegen, wenn er sich in der Führung der Waffen eifriger ausbilde, er bald einen tüchtigen Kriegsmann aus sich machen und wohl hoffen könne, trotz seiner geringen Herkunft dereinst noch einmal sich zu ritterlichen Ehren aufzuschwingen. Das gezieme ihm besser, als ein poetischer Stümper zu bleiben, was unfehlbar geschehen werde, da er es ja verschmähe, fortzugehen und sich bei einem ordentlichen Dichter in die Schule zu begeben.

Hierbei erröthete sie ein wenig, da sie, ohne es zu wollen, bei dem verfänglichen Punkt jenes ersten Gedichtes angelangt war. Er machte es ihr aber durch sein demüthiges Schweigen leicht, wieder davon abzulenken, und so konnte sie noch eine Zeit lang ihr Ermahnen fortsetzen, wobei sie sich redliche Mühe gab, ihm recht als eine weltweise mütterliche Vorsehung zu erscheinen, die seit undenklicher Zeit über alle jugendlichen Anwandlungen hinaus sei. Versprich es mir, Ugonet, sagte sie schließlich, daß du diese Kindereien abthun und einen tapferen Mann aus dir machen willst. Im Frühling blühen alle Bäume; aber nur diejenigen werden von den Menschen geschätzt und gepflegt, die Frucht tragen. Die anderen läßt man eine Weile wachsen und haut sie dann um, daß sie wenigstens Brennholz geben.

Er murmelte tief erglühend etwas vor sich hin, das sie für eine Zustimmung nahm. Dann sprachen sie auf dem übrigen Wege nichts mehr hierüber.

Der Tag war sonnig und sie litten von der Glut. Als sie dann beim Kloster ankamen, lief ihnen der Meier oder Klostervogt entgegen, der in einem Häuschen, einen Bogenschuß von den geistlichen Mauern entfernt, mit seinem Weibe wohnte. Er half der Herrin aus dem Sattel, führte sie selbst an die Klosterpforte, wo sie alsbald mit ehrerbietiger Freude von der Schwester Pförtnerin bewillkommt wurde, und band das Maulthier, nachdem er es des schweren Sattels und seiner übrigen Last entledigt hatte, an einem Pfahl mitten auf einer grünen, schattigen Aue, wo die würzigsten Bergkräuter wuchsen und auch die Klostereselin weidete, die zuweilen gewürdigt wurde, die Frau Aebtissin oder eine der Nonnen auf ihrem geduldigen Rücken zu Thale zu tragen. Dann zog er Brunet, an dem er von jeher großes Gefallen gefunden, zu einem ländlichen Mahl unter sein schlichtes Dach, wunderte sich auch kaum, daß der Jüngling heute noch einsilbiger und versonnener schien, als gewöhnlich, da er schon wußte, daß seine muntere alte Frau und sein feuriger junger Wein mit der Zeit es dahin zu bringen pflegten, den scheuen Gast ein wenig aufzuthauen.

So geschah es auch heut, und sie saßen über die heißen Tagesstunden einträchtig beisammen, der Meier von Hispanien erzählend, wo er in jungen Jahren als Knappe eines Ritters sich manchen Wind hatte um die Nase wehen lassen, Brunei begierig horchend, da er jenes Land als seine eigentliche Heimath betrachtete. Darüber hatten sie es nicht Acht, daß die Sonne sich neigte, bis die Pförtnerin gelaufen kam und die Nachricht brachte, die Vizgräfin wolle unverzüglich den Heimweg antreten. Brunet sprang auf, das Maulthier wieder zu satteln und aufzuzäumen. Wie er aber auf die Halde hinaustrat, war weder dort, noch so weit die Blicke reichen mochten, von dem sonst so geduldig harrenden Thier auch nur der Schatten zu erspähen. Er rief und lockte und stieg auf den nächsten Abhängen und umbuschten Klippen herum. Da aber auch die Klostereselin verschwunden war und auf das Pfeifen des Meiers sich nicht wieder einstellte, war es klar, daß das herrschaftliche, an gutem Futter nicht darbende Thier Gefallen an der schlichten geistlichen Blutsverwandtin gefunden, im Uebermuth seiner zärtlichen Neigung die Halfter zerrissen und sich der arglos Weidenden genähert habe. Diese, an dergleichen höfische Zudringlichkeiten nicht gewöhnt, mochte das Weite gesucht und von dem stürmischen Bewerber bedrängt in die hohen Fichtenwälder hinaufgeklettert sein, die das Klostergebiet im Winter gegen Lawinensturz schirmten.

Noch standen die Beiden rathlos, und Brunet wollte vergehen vor Grimm und Unmuth, daß er seines Dienstes nicht besser geachtet habe, als die Klosterpforte sich öffnete und Beatrix, von der sämmtlichen frommen Schaar geleitet, auf die abendlich kühle Aue hinaustrat. Gesenkten Hauptes näherte sich ihr der Jüngling und berichtete, wie die Sache stand. Es könne ein Stündlein darüber vergehen, fügte der Meier hinzu, bis man der Flüchtlinge wieder habhaft geworden, da die Spuren im Kreise liefen und der Berg voller Schluchten sei. Beatrix lächelte, während sie die wunderliche Mähr vernahm. Sie wollte aber nichts davon hören, wieder ins Refectorium zurückzukehren, um dort zu harren, bis der Entführer eingefangen sei. Die Luft ist lieblich, sagte sie, und ich denke, ich kann es wagen, den Heimweg zu Fuß anzutreten. Dieser mein Freund – und sie erhob den Stock von Ebenholz mit silberner Krücke, auf den sie sich im Gehen zu stützen pflegte, – ist zwar so steile Pfade nicht gewöhnt. Aber Brunet wird ihm zu Hülfe kommen und mir seinen Arm leihen, und wenn Meister Elias – so hieß der Klostervogt – so gut sein will, meinem leichtfertigen Zelter nachzuspüren, holt er uns vielleicht noch auf halbem Wege ein. Wer hätte dem frommen Thier, das längst aller Weltlust abgesagt zu haben schien, ein so unschickliches Betragen zugetraut?

Sie umarmte ihre geistliche Freundin, küßte sie auf beide Wangen und ließ es dann mit Widerstreben geschehen, daß die Nönnchen sämmtlich der Reihe nach ihr die Hände küßten. Dann winkte sie dem Jüngling, ihm ein freundliches Wort zum Troste sagend, und verließ ohne Weiteres, die linke Hand auf seinen Arm gestützt, mit der Rechten den Stock regierend, ungleichen aber raschen Schrittes das Klostergebiet, von dem der Weg sich alsbald durch niederes Gestrüpp über unregelmäßig hingestreute Felsen ziemlich jäh in die Tiefe wand.

Sie war sichtlich in heiterster Laune; der starke Würzwein, der im Kloster bereitet wurde, und von dem sie gegen ihre mäßige Gewohnheit ein volles Kelchglas geleert, die Hülfe, die sie ihrer Freundin gebracht, der Glanz, von dem der pfirsichfarbene Abendhimmel erzitterte, dazu das ungewohnte Gefühl, sich einmal auf ihre eigenen Glieder zu verlassen, all das machte sie lustig und schier übermüthig, daß ihr zu Muthe ward, wie in ihren früheren Mädchentagen, ehe noch ihr leidiges Gebrechen sie von wilden Sprüngen zurückhielt. Sie scherzte mit Brunet, daß er wohl zu tief der Frau Klostervögtin in die Augen gesehen und darüber versäumt habe, von Zeit zu Zeit einen Blick auf das weidende Pärchen draußen zu werfen. Dazwischen wurde sie wieder ernsthaft, blieb aufseufzend stehn, und indem sie ihr Tüchlein hervorzog, sich die feuchte Stirn zu trocknen, klagte sie: Wenn du wüßtest, Uc, wie ich den Lemosi beneide! (so hieß der Maulesel, der aus Limoges stammte.) Er ist auch nicht der Jüngste mehr, aber da er kein Krüppel ist, kann er über Berg und Thal seiner thörichten Laune nachrennen, so weit es ihm beliebt. Ich dagegen – nun, ich bin zwar weise und vor übermüthigen Anwandlungen geschützt durch meine ernsten Studien; aber verdienstlich würde es erst sein, nicht mehr zum Tanze zu gehen, wenn ich leichtfüßiger wäre. Nun humple ich meinen schmalen Tugendweg auf und ab im Schweiße meines Angesichts, als ob ich mit am Sündenfalle schuld wäre. Hast du den Reiher noch im Sinn, Ugonet, der auf dem Hofe war, da du bei uns ankamst? Er hatte ein zerschossenes Bein und wurde aus Barmherzigkeit vom Thorwart gefüttert, der ein großer Beizjäger war. Wie oft, wenn ich ihn so auf dem gesunden Beine stehen sah, den Stumpf des andern an den Leib gezogen, mußte ich lachen: Du treibst es nicht viel anders, als ich, armer Bursch! Wer dich so sieht, möchte dich für einen ganz schmucken Vogel halten. Wir aber wissen, wie Krüppeln zu Muth ist.

Sprecht nicht so, Herrin! brach es von den Lippen des Jünglings. Bei San Joan, wen ich so von Euch reden hörte, ich würde ihn eilig stumm machen. Wenn Ihr nun selbst so schlimme Worte über Euch braucht, über Euch, die Ihr immer vor mir steht, wie ein Wesen aus einer anderen Welt –

Still, Herr Poet! lachte sie wieder und gab ihm mit der Linken einen kleinen Schlag auf den Arm. Ihr seid ein Träumer und Kindskopf und habt von der Welt nicht viel gesehen, und freilich, mit den Pergamentgesichtern droben im Kloster und den Mägden in Beziers kann es der lahme Engel immerhin noch aufnehmen. Wenn du mich aber gekannt hättest, wie ich aussah, als du eben zur Welt gekommen, – ha, ich will dir doch das Bildniß zeigen, das damals ein welscher Maler von mir gefertigt und das ich meinem Herrn Verlobten nach Aragon geschickt. Der kluge Prinz hat es mir hernach mit höflichem Dank wieder zustellen lassen. Er hatte sich eilig satt daran gesehen. Dir aber wird es zeigen, daß du ein Narr und Phantast bist, wenn du noch zwanzig Jahre später das Urbild, das inzwischen nicht so wohl aufgehoben und in Gold gefaßt war, für ein Weltwunder hältst.

Brunet erwiderte nichts. Die Nähe der geliebten Gestalt, deren Brust er an seiner Schulter fühlte und deren lebhafter Hauch seine Wange umspielte, machte ihm das Herz erglühen und den Kopf schwindeln, daß er alle Mühe hatte, den Weg immer im Auge zu behalten und die unsicheren Schritte der Herrin auf die bequemste Spur zu lenken. Auch sie war wieder still geworden, vielleicht in Jugenderinnerungen versunken. So hatten sie vom steilen Wege etwa die Hälfte zurückgelegt, da erlahmte die Kraft der mühsam Schreitenden vollends; sie blieb, mit einem ängstlichen Blick nach der Höhe zurück, stehen und sagte: Er holt uns nicht mehr ein, fürcht' ich, und mit meinem eignen Gehwerk bring' ich es doch nicht weit. Was mein Herr Bruder für ein Gesicht machen würde, wenn ich über Nacht ausbliebe! Sonst hätt' ich nicht übel Lust, dort im Busch unter dem wilden Thymian bis an den Morgen zu schlafen, und die Sterne würden mich so gut bewachen wie der Baldachin über meinem Bett. Inzwischen, da es nicht sein darf, will ich dort ein paar Augenblicke rasten, bis der arme Schelm, mein linker Fuß, sich von seinem Erstaunen erholt hat, daß man ihm so saure Arbeit zumuthen konnte. Du aber lauf ein paar Schritte zurück und spähe, ob von dem ungetreuen Knecht, dem Limosiner, noch immer nichts zu sehen ist.

Sie ließ seinen Arm los und wankte, bloß auf ihren Stab gestützt, nach einem kleinen buschigen Platz nah am Wege, wo über niedrigem Haselgesträuch ein paar hohe Edelkastanien ihren Wipfel breiteten und ein Quell ringsum starkduftende Kräuter zu üppiger Blüte brachte. Nicht weit von seinem Murmeln sank sie in das hohe Gras mit einem unterdrückten Stöhnen. Sie sah den raschen Jüngling den Pfad wieder hinaufsteigen und hörte ihn rufen. Da zog sie verstohlen Schuh und Strumpf von ihrem übermüdeten Fuß und goß aus einem Fläschchen, das sie immer mit sich führte, ein paar Tropfen eines stärkenden Balsams auf das zarte Glied, rieb es mit der Hand und kühlte es in dem frischen Grase. Dies vollbracht, fühlte sie eine große Erquickung und streckte sich nun behaglich auf dem sanftgeneigten Abhang aus, beide Arme unter dem Kopf verschränkend, da es an einem anderen Kissen gebrach. Ihr däuchte aber, sie habe nie weicher und wohliger geruht; die Luft war lau und frisch zugleich, keine Mücken belästigten sie, nur ein paar schöne, seltene Falter gaukelten über der Quelle einander nach, und nachdem sie mit den Augen ihren schwankenden Flug eine Weile verfolgt und dabei dem eintönigen Liedchen des Baches gelauscht hatte, fielen ihr die Wimpern zu, und sie versank in einen süßen, erquicklichen Schlaf.

Allerlei Träume schwirrten an ihrer Seele vorüber, lustige und schwermüthige. Den lahmen Reiher sah sie, der, ein Wickelkind auf dem Rücken, zu ihr hin gehüpft kam und, nachdem er ihr seine Last in den Schooß geworfen, seine Flügel ausspreitete und mit einem scharfen Geschrei, das wie Hohngelächter klang, davonflog. Als sie das Kind dann näher betrachtete, das sie erst für einen kleinen Neger gehalten, wurde das Gesichtchen mit jeder Minute heller, bis sie deutlich die Züge Brunet's erkannte. Der Kleine tastete mit den Händchen nach ihrem Gesicht und ihrer Brust, daß sie Mühe hatte, sich seiner Unart zu erwehren, und ihn von ihrem Schooße weghob und auf die flache Erde legte. Da fing er plötzlich an, die ersten Verse jener Canzone zu singen, die sie wohl im Gedächtniß behalten hatte, und schon wollte sie, von seiner klagenden Stimme gerührt, ihn wieder auf ihren Arm nehmen, als die Aebtissin dazwischentrat und eine ihrer beliebten Standreden gegen das falsche und wankelmüthige Geschlecht der Männer anhob. Zugleich reichte sie ihr einen goldenen Becher, daraus sollte sie ewiges Vergessen trinken, und was der tollen Phantasieen mehr waren, die ihr schlummernder Geist ausbrütete. Wie lange dies Spiel währte, wußte sie nicht, nur daß zuletzt ein halbwaches Gefühl der Unruhe sich ihrer bemächtigte: es möchte wohl Zeit sein, wieder aufzubrechen, daß die Nacht sie nicht überrasche. Nur ihr Kopf aber ermunterte sich ein wenig, ihre Glieder waren noch wie gebannt. Mit großer Anstrengung konnte sie langsam die Augenlider aufschlagen; da sah sie in der Dämmerung, die sie umgab, zwei andere Augen dicht über den ihren, die sie schon eine Weile angestarrt zu haben schienen: dunkle, ernsthafte junge Augen, aus denen eine helle Flamme hervorzubrechen schien. Daß es Brunet's Augen waren, wußte sie sofort. Ob es aber ein Traum sei, daß er neben ihr im Grase kniete und in einer Art Verzückung sie betrachtete, oder ob es in Wahrheit sich so verhielt, mühte sie sich umsonst zu unterscheiden. Und da die Augen sich ganz still verhielten und auch sonst kein Laut sich hören ließ, überwältigte sie noch einmal der Schlummer, und die Lippen zu einem fast schalkhaften Lächeln öffnend, drückte sie die Augen wieder zu, wie um zu erproben, ob das Gesicht über ihr nun schwinden würde. Da fühlte sie plötzlich einen warmen Mund auf dem ihren, zwei weiche jugendliche Lippen, die schüchtern und doch mit sehnsüchtiger Inbrunst auf den ihren ruhten, daß eine süße Wärme ihr ganzes Wesen durchströmte und sie einen Augenblick meinte, ihr Herz müsse still stehen vor nie gekannter Wonne. Sie wollte etwas sagen, eine Frage thun, ein Scheltwort aussprechen; aber der Zauber war zu stark, als daß ihr Geist zwischen Träumen und Wachen ihn hätte brechen mögen. So ergab sie sich mit festgeschlossenen Augen in diesen süßen Zwang und hütete sich, wissen zu wollen, wie es damit zugegangen. Nur ein Seufzer, der sich aus ihrer athmenden Brust befreite, sprach von der Furcht, daß dies Glück zu groß sein möchte, um ihr lange vergönnt zu bleiben. Und in der That riß plötzlich der Traum entzwei, eine laute Stimme, die ihren Namen rief und den Abhang hernieder sich näherte, weckte sie gewaltsam auf, sie stieß das Antlitz, das sich zu ihrem herabgesenkt, jählings mit abwehrenden Händen von sich und fuhr in die Höhe. Auch der Jüngling war hastig aufgesprungen und von ihr weggestürzt, dem Ausgang des Gebüsches zu. Da sah man den Rufenden eben herankommen, den Vogt Elias, der das eingefangene Maulthier am Zügel sich nachführte. Seine Freude, die Vizgräfin noch unterwegs zu finden, so daß seine dienstfertige Eile ihr doch zu Statten kam, sein Eifer ihr wieder in den Sattel zu helfen, machten es ihr leicht, jede Verwirrung über das, was ihr im Traum geschehen, zu verbergen. Sie belohnte den Mann reichlich, trug ihm einen Gruß an die Frau Aebtissin auf und trieb dann das Thier, das mit gesenkten Ohren auf eine wohlverdiente Züchtigung zu warten schien, nur mit einem sanften Zuruf an, sich in Bewegung zu setzen.

Stumm schritt der Jüngling hinterdrein. Es war jetzt an ihm, nicht zu wissen, ob er wache oder träume. Kein Wort wurde zwischen seiner Herrin und ihm gewechselt. Als sie bei nächtlicher Dunkelheit im Schloßhof anlangten und der Vizgraf seine Schwester mit einem scharfen Vorwurf empfing, daß sie ihre Ritte so weit in die Nacht hinein ausdehne, hatte sie nicht ein Wort, weder der Entschuldigung noch der Ablehnung seiner herrischen Rüge. Ohne ihm zum Nachtmahle zu folgen, schritt sie die Wendelstiege hinauf, die in ihr Thurmzimmer führte. Sie zündete aber ihre Lampe nicht an, sie warf sich am offenen Fenster in ihren Sessel und sah in den Sternenhimmel hinauf. So fand sie am Morgen die alte Bernarda in ihren Kleidern eingeschlafen.

*

Sie verließ auch diesen ganzen Tag das Zimmer nicht, obwohl sie etlichen Siechen in der Nachbarschaft ihren Besuch zugesagt hatte, und ließ sich bei ihrem Bruder entschuldigen, daß sie nicht zur Tafel komme; ihr sei nicht wohl. In Wahrheit aber war ihr nie so wohl gewesen, wie in diesen einsamen Stunden. Sie war wie ein Mensch, der in einem Gärtchen, das ihm bisher spärliche Früchte getragen, plötzlich einen goldenen Schatz entdeckt hat. Sie hatte geglaubt, Gott und Welt und ihr eigenes Wesen von Grund aus zu kennen, und nun sah plötzlich Alles, was sie umgab, und Der, der es erschaffen, und ihr eigenes Angesicht im Spiegel sie mit ganz verwandelten Augen an, so viel schöner, blühender und traulicher, daß sie nicht aufhören konnte, darüber zu erstaunen. Zuweilen war ihr, als versänke sie in einen bodenlosen Abgrund, daß sie schwindelnd die Augen schloß und eine purpurne Finsterniß rings um sie her entstand. Und in dieser Nacht, die über ihrem Haupte zusammenschlug, leuchteten plötzlich zwei dunkle, ernsthafte junge Augen auf, und sie fühlte eine Flamme an ihrem Munde, und ihr Herz stand plötzlich still, als hab' es seinen letzten Schlag gethan. Aus diesem seligen Hinsterben fuhr sie dann plötzlich wieder in die Höhe, durch irgend ein Geräusch aufgeschreckt oder durch eine Stimme in ihrem eigenen klugen Haupt, die ihr zurief, daß diese Thorheit nicht dauern dürfe. Sie schüttelte dann den Spuk mit heftiger Geberde von sich und nahm irgend ein Geschäft zur Hand, einen Heiltrank zu bereiten, oder in einem ihrer Bücher eine Stelle nachzulesen, die sich auf einen bedenklichen Fall bezog. Nur daß diese Ermannung selten länger als fünf Minuten dauerte und sofort wieder einem gedankenlosen Hindämmern wich. Auch verbrachte sie nicht wenig Zeit vor ihrem Spiegel, aber ohne Bernarda's Hülfe dabei zu heischen. So eifrig, als ob sie eine schwere Schrift entziffern sollte, studirte sie die Züge ihres Gesichts und war nicht mit allen Stellen einverstanden. Zwar hatte ihr Sprüchlein vom Lachen sich auch an ihr bewährt, und das »gute Blut« zeigte sich an ihrem zartblühenden Fleisch und ihrer weichen Haut. Aber um die Augen und in den Mundwinkeln waren durch dasselbe Lachen viele kleine Fältchen eingegraben, und das Nachdenken über die Räthsel der Natur hatte auch ihre helle Stirn gefurcht. Nun sah sie auch die zarten grauen Streifen, die sich frühzeitig in das Schläfenhaar eingeschlichen, und wenn sie dachte, wie lange und in welcher Nähe Brunet sie hatte betrachten können, erschrak sie, daß er nun auch um diese Altersspur wisse. Dann aber lächelte sie, um sich an dem Glanz ihrer festen weißen Zähne zu freuen, und betrachtete zugleich ihre Lippen aufmerksam, ob sie nicht seit gestern, wo sie zum ersten Mal von Manneslippen berührt worden waren, verwandelt seien an Farbe oder Form. Sie waren aber, als wäre nichts geschehen, und nicht die leiseste Spur der Flammen, die sie versengt, ließ sich heute noch entdecken.

Als sie dann den Spiegel weglegte, wurde ihr Gesicht wieder nachdenklich, und sie ging mit einem Seufzer zu ihren Büchern, eines hervorzuholen, darin von allerlei magischen Geheimmitteln berichtet war, die meisten freilich nicht ohne Mitwirkung dämonischer Mächte zu erlangen. Vor solchen hatte sie stets ein Grauen gefühlt, da sie ein frommes Weib und von hellem Gemüth war, und auch heute warf sie kaum einen Blick auf die Blätter, wo die Zahlen, Worte und Zeichen, die zu Beschwörungen dienten, geschrieben standen. Sie suchte ein Recept, das ein arabischer Arzt angegeben, um die entflohene Jugend zurückzubringen, erblichenen Haaren neuen Glanz zu verleihen und das Leben, das schon über seinen Mittag sich geneigt, noch einmal mit Morgenduft zu erfüllen. Auch fand sie es bald und verstand die Namen aller Kräuter und Essenzen, die dazu gebraucht wurden. Nur die Mischung und das Maß der Elemente war nicht eben so klar angezeigt. Darüber vertiefte sie sich in Sinnen und Erwägen, vergaß Speise und Trank und hörte es kaum, daß Bernarda mehrmals die Thür öffnete, besorgt, ihrer Herrin möchte etwas zugestoßen sein. Der Tag verging endlich, die Dämmerung sank herein, längst konnten die Augen der einsamen Grüblerin keinen Buchstaben mehr erkennen, da fiel plötzlich, durch das Fensterchen hereingeflogen, ein leichter Körper ihr gerade vor die Füße, und als sie ihn aufhob, sah sie, daß es wieder ein Bolzen war, wie jener erste, und wieder mit einem Blatt umwickelt, auf dem sich eine zierliche Schrift befand. Eilig rief sie der Alten, ihr die Lampe zu bringen, dann riegelte sie die Pforte zu und las, mit zitternden Knieen neben dem Herde stehend:

Ihr zürnet, Herrin; Ihr verhehlt es nicht,
Denn Ihr entzieht mir Euer Angesicht.
Ach, ohne dieses Licht
Wird heller Mittag mir zu Mitternacht!
Wie geht mit mir so streng Ihr ins Gericht,
Weil ich, im Bann von allgewalt'ger Macht,
Geraubt, was ewig sonst versagt geblieben!
Ach, was zu solchem Wagniß mich getrieben,
War stärker als Bescheidenheit und Pflicht.

Noch seh' ich vor mir, was mein Unheil war,
Das blüh'nde Angesicht, das goldne Haar
Und jenes Augenpaar,
Das halb verträumt mir süß zu winken schien.
Und wie ich noch das Lächeln ward gewahr,
Dem Todte zu erwecken Macht verliehn,
Da wich die Scheu und Ehrfurcht dem Verlangen,
Ach, einmal nur an diesem Mund zu hangen,
Nach dem mein Herz geschmachtet Jahr um Jahr.

Nun soll ich wachend büßen, was geschehn
Im Zaubertraum. Doch laßt es mich gestehn:
Nie kann ich mein Vergehn
Bereu'n, das noch mit Wonne mich durchglüht.
Und müßt' ich jetzt durch tausend Qualen gehn,
Ich jauchzte doch, daß mir dies Heil erblüht.
Viel lieber in der Hölle tiefstem Grunde
Gedenken jener kurzen sel'gen Stunde,
Als ohne sie den Himmel offen sehn!

Sie lächelte, da sie zu Ende gelesen. Sie bemühte sich noch jetzt, das Ereigniß von einer lustigen Seite zu nehmen. Er macht Fortschritte, sagte sie vor sich hin, in der Dichtkunst und in der Keckheit. Ahnt er, daß er es für immer verspielt hätte, wenn er jetzt um Vergebung winselte, wie ein zahmer Knabe? Er will zeigen, daß er ein Herrenrecht habe dem schwachen Weibe gegenüber; – denn wenn es wahr ist, daß ich ihn angelächelt habe, wenn auch nur aus dem Schlaf, trage ich freilich an Allem die Schuld. O Brunet, ich wollte, du wärest noch ein Kind, oder ich könnte es wieder werden! – Und dann sah sie wieder auf das Blatt und wiederholte langsam, jetzt mit ganz ernster Miene die letzten Verse:

Viel lieber in der Hölle tiefstem Grunde
Gedenken jener kurzen sel'gen Stunde,
Als ohne sie den Himmel offen sehn!

*

So ganz aber hatte sie noch nicht die Herrschaft über ihr Herz verloren, daß sie sich aller Gedanken, was daraus werden sollte, entschlagen und wie ein unreifes Mädchen dem Zauber eines namenlosen Gefühls hingegeben hätte. Daß sie ihn nicht wiedersehen dürfe, daß es nothwendig sei, ihn unter einem schicklichen Vorwande aus dem Schlosse zu entfernen, ihn und sie vor den Gefahren dieses hoffnungslosen Spiels zu behüten, stand ihr mitten im Taumel ihrer wonnigen Gedanken fest. Nur wie es anzufangen wäre, wollte ihr nicht sogleich einfallen. Und inzwischen war sie schwach genug, aus ihrer verstohlenen Höhe herab nach ihm auszuspähen, wenn er über den Hof ging, oder ein Pferd bändigte, oder im Schatten des Thorbogens sitzend eine schartige Klinge wieder blank schliff. Er selbst sah über Tag nie zu ihrem Fenster hinauf. Es schien ihr aber, als trage er den Kopf stolzer auf den Schultern und schreite beflügelter über die Steine des Burghofs oder die Treppenstufen zu dem Söller hinan. Sie sah auch, daß der Narr Guigo sich zuweilen an ihn machte, mit Stachelreden, die den Knechten zu lachen gaben. Für Brunet war es wie ein rauhes Lüftchen, das ihm übers Gesicht fuhr. Er wandte nicht einmal den Kopf, oder zuckte auch nur die Achseln.

Doch an jedem Abend, sobald es im Hofe still und leer geworden war, flog ein Armbrustbolzen in das Thurmfenster, und die Briefe, die diese luftige Post beförderte, klangen täglich stürmischer, sehnsüchtiger und verwegener. So süß es der Empfängerin däuchte, dies verworrene Stammeln anzuhören und an der Glut dieser Leidenschaft zugleich mit der Blüte eines jungen Menschenherzens auch eine reine und mächtige Dichterseele sich entfalten zu sehen, konnte sie sich doch nicht verhehlen, daß nun jedes Zögern vom Uebel sei. Sie brachte eine schlaflose Nacht mit diesem Gedanken hin. Am Morgen stand sie zeitig auf und schrieb einen Brief an den Grafen Aimeric von Foix, mit dem sie nahe verschwägert war. Sie bat ihn, sich eines jungen Menschen anzunehmen, der in Beziers mit seinen mancherlei Gaben nicht am rechten Platze sei. Er sei ihr werth, da sie an ihm Mutterstelle vertreten, und werde sie jede Gunst, die ihr Vetter dem Knaben erweise, als ihr selbst geschehen betrachten. – Diesen Brief siegelte sie mit schwerem Herzen. Denn nun erst, da es Ernst werden sollte, überlegte sie, wie ihr Leben plötzlich all seinen Werth und Reiz verlieren würde, wenn diese theure Gestalt aus ihm verschwände und der Abend eines einsam verträumten Tages nicht mehr eine beschwingte Botschaft brächte, die ihr sagte, daß ein anderes einsames Herz in Sehnsucht ihrer gedenke.

Es muß sein! seufzte sie vor sich hin und stand auf, den Brief zu ihrem Bruder zu bringen. Sie wollte ihn unter einem Vorwande bitten, Brunet mit dieser Botschaft nach Foix zu entsenden. Plötzlich hörte sie einen Männertritt vor ihrer Schwelle, und einen Augenblick überfiel sie der Gedanke, ob der Jüngling wohl gar sich unterstehen möchte, zu ihr zu dringen, da öffnete sich schon die Thür, und der Herr des Hauses, der sonst niemals in ihren Gemächern erschien, trat mit finsterer Miene, ohne nur ein Kopfnicken zum Gruß an sie zu wenden, herein.

Er war ein großer Mann, von ungewöhnlicher Leibesstärke, mit eisengrauem Bart und Haupthaar, obwohl nur wenige Jahre älter als seine Schwester, gelblich von Farbe, die Bildung des Gesichts, das dem ihren nicht unähnlich war, durch einen eingewurzelten Ausdruck stolzen Menschenhasses entstellt.

Ihr macht Euch unsichtbar, sagte er mit einer Stimme, die von verhaltenem Zorn bebte. Ich will nicht forschen, was Euch dazu bewegt; ich bin gewohnt, Euch Euer Wesen für Euch treiben zu lassen. Doch muß ich Eure tiefen Studien einen Augenblick unterbrechen, um Euch eine Warnung zu bringen. Ihr seid in Gefahr, Eure Ehre und die unseres Hauses zu schädigen durch ein unbedachtes Tändeln mit einem frechen Knaben, den Eure Güte seit Langem verwöhnt hat. Wie weit Ihr selber Schuld daran tragt, will ich nicht erforschen. Nur so viel mögt Ihr wissen, daß Ihr fortan strenge über Euch zu wachen habt, wenn Ihr nicht selbst das Verderben des Zucht- und Zügellosen beschleunigen wollt. Die Herren von Beziers, wenn sie auch auf die Hoffnung, mit Königen verschwägert zu werden, verzichten mußten, sind immer noch mächtig genug, um die Ehre ihres Hauses nicht dem ersten besten Pferdeknecht preiszugeben.

Er sah Beatrix mit einem Blicke an, der im Grunde ihrer Seele lesen wollte. Ihr Stolz und das Bewußtsein, so eben erst einen Sieg über ihr eigenes Herz erkämpft zu haben, gab ihr Kraft, die Augen ruhig auf den Bruder zu heften. Nur ein wenig hatte ihre Wange sich geröthet, doch mehr vor Unwillen über die harte Rede, als vor Scham oder Bestürzung.

Ich weiß nicht, wovon Ihr redet, mein Bruder, erwiderte sie fest. Ich bin mir nicht bewußt, die Ehre des Namens, den ich trage, verletzt zu haben.

Nun denn, beim Blut des Heilands! brauste der Vizgraf auf, indem er der Regungslosen einen Schritt näher trat, so muß ich es Euch deutlicher sagen. Der Knabe, den ich um Euretwillen unter dem Gesinde geduldet habe, hat böse Träume, die ihm den Kopf kosten möchten. Einer der Stallbuben, der in der Kammer neben der seinen schläft, hat heut morgen, da sie beim Frühmahl unten in der Gesindehalle beisammensaßen, dem Guigo erzählt, daß er in der Nacht durch die dünne Wand ein heftiges Seufzen und Stöhnen vernommen. Er habe sich aufgerichtet, in der Meinung, dem Brunet sei ein plötzliches Unwohlsein zugestoßen. Da habe er deutlich gehört, wie dieser Euren Namen genannt, mit Anrufungen und winselnden Klagen, wie ein Liebender nach seiner Geliebten seufzt. Da ist der Narr in ein überlautes Lachen ausgebrochen, hat seine Kappe vom Kopf genommen und sie über die Tafel dem Buben hingereicht, sprechend: Dieser Hauptschmuck geziemt dir, Gevatter. Wer sich einfallen läßt, von der Gunst der Vizgräfin zu träumen, den soll man in ein Narrenkleid stecken. Der Bursch aber, glühend übers ganze Gesicht wie ein Feuerbrand, sei aufgefahren und habe den Krug, der vor ihm stand, gegen den Spötter geschleudert, daß dieser heulend mit blutendem Schädel zu mir gelaufen kam, mir die Gewaltthat zu klagen. Ich habe sofort den Buben zu mir beschieden, und da er auf mein ernstes Vermahnen, mir zu gestehen, ob er je den Blick zu Euch erhoben, nur ein verstocktes Schweigen hatte, ihn von mir gewiesen, nachdem ich die Hetzpeitsche, die ich gerade in der Hand hielt, da ich im Begriff war, auf die Jagd zu gehen, ihm über den ungebeugten Nacken habe schwirren lassen.

Sie stand todtenbleich vor ihm, immer noch den Blick starr auf sein Gesicht geheftet. Das verzeih' Euch Gott! sagte sie tonlos.

Also doch! fuhr er mit Zähneknirschen fort. Also ist er Euch doch theurer, als Eure Ehre. Wohl! es hat mir geahnt, da ich seine Miene sah, daß er nicht so tolldreiste Gedanken genährt hätte, wenn er nicht dazu ermuntert worden wäre. Er fuhr mit der Faust nach dem Waidmesser, das er im Gürtel trug, und aus seinen Augen schoß ein Blitz, als ob er sich auf mich werfen und mich niederstoßen wollte. Sein guter Geist hat ihm die Hand noch zurückgezogen. Ihr aber sollt wissen, daß meine Langmuth zu Ende ist. Bei dem ersten neuen Zeichen geheimen Einverständnisses wird dafür gesorgt werden, daß dieser Wahnsinn nicht um sich greife, wie ein fressendes Feuer. Der Forst ist weit und dicht, und der Bolzen eines guten Schützen findet leicht sein Ziel, so daß kein Hahn danach kräht, wenn ein frecher Mund für immer verstummt. Das wollt' ich Euch angezeigt haben, Beatrix. Und nun gehabt Euch wohl und hütet Eure eigenen Träume! Damit wandte er sich und schritt hinaus. Gleich darauf hörte man ihn, von seinem Jäger begleitet, aus dem Schloßhof sprengen.

*

In der Kammer neben dem Stalle lag Brunet. Er hatte, sobald er, kaum seiner Sinne mächtig, dies armselige Schlupfloch erreicht, den Riegel vorgestoßen und sich auf sein Lager geworfen, das Gesicht in das Kissen gedrückt, wie um seine Augen davor zu bewahren, daß sie um sich blickten und die Welt noch sähen wie sonst und ihn noch auf dieser Welt, in der die Schmach ihm doch auf Schritt und Tritt nachging. Nachdem das erste ohnmächtige Wüthen sich vertobt hatte, lag er starr wie ein Todter, nur daß er seine Qual noch fühlte. Draußen kamen und gingen allerlei Stimmen, der Marschalk pochte an seine Thür, da er seiner im Stalle bedurfte, er hörte die anderen Knechte im Hof von ihm sprechen und die Mägde kichern. Aber selbst die scharfe Stimme des Narren, der ihm schnöde Hohnworte hineinrief, vermochte nicht, ihn aus der ohnmächtigen Betäubung aufzurütteln. Zwei Gedanken allein standen unverrückt vor seiner Seele: daß er den Schimpf nicht alsbald mit Blut gerächt, und daß er ihn auch in Zukunft nicht von sich abwaschen dürfe, wenn er nicht für immer darauf verzichten wolle, das Einzige, was er auf Erden liebte, wiederzusehen. Und doch, wenn er der gezüchtigte Knecht blieb, wie konnte er es wagen, die Augen je wieder zu ihr aufzuheben.

Mehr als einmal zuckte ihm die Hand nach dem Messer, das er an seiner Seite trug und am Morgen zu seiner Schmach und Pein in der Scheide gelassen hatte. Wenn man ihn hier in seinem Blute fände, sie würde die Todeswunde mit ihren Thränen waschen, und wer weiß, auch dem Urheber dieses jammervollen Endes die Ahnung aufdämmern, daß Der, den er in den Tod getrieben, ein adligeres Leben verdient habe, als das Schicksal ihm vergönnt.

Dann hielt ihn Jugend und die Fülle unverbrauchter Lebenstriebe von dem verzweifelten Entschlusse zurück. Wenn sie davon hörte, welcher Schimpf ihm geschehen, mußte sie nicht auch erfahren, daß er ihn um sie erlitten? Und gehörte sein Leben nicht ihr? Durfte er es wegwerfen, ohne sie zu fragen?

Er wollte sie fragen. Sie sollte Schiedsspruch thun zwischen ihm und ihrem Bruder. Aber würde sie antworten? Hatte sie all diese Tage ihm das kleinste Zeichen gegeben, ob sie überhaupt auf das höre, was seine gefiederten Botschafter ihr zuraunten?

So lag er und nagte sich die Lippe wund in seiner rathlosen Noth, und Scham und Grimm, Liebe und Rachedurst stritten sich in seiner Seele. Kein Bissen kam über seine Lippen, nur aus dem Wasserkrug, der seinem Bett zu Häupten stand, kühlte er ein paar Mal sein glühendes Fieber. Die Stunden schlichen dahin, der Abend brach herein, er sah den ersten Stern durch das schmale Fenster äugeln, bald darauf einen schwachen Mondglanz sich in der Kammer verbreiten. Nun war es längst still im Burghofe geworden, Niemand hatte mehr nach ihm gefragt, zuletzt waren ihm vor Erschöpfung durch die wühlende Qual der Seele die Augen zugefallen. Ein paar Stunden mochte er so geschlummert haben, noch im Traum mit seinem mächtigen Todfeinde wort- und handgemein, da drang ein behutsames, aber deutliches Klopfen an sein Ohr. Er fuhr auf und lauschte. Wieder pochte es an seiner Thür, und nun hörte er eine Stimme, die eine, die er über Tag vergebens herbeigesehnt: Mach auf, Ugonet! Ich bin's! – und sprang hin und stieß den Riegel zurück, und über die Schwelle trat, einen dünnen schwarzen Schleier über Haupt und Schulter geworfen, Beatrix.

Du brauchst die Thür nicht wieder zu verschließen, sagte sie leise. Wenn Jemand käme und mich hier fände, was kümmerte mich's? Ich habe die Nacht nur abgewartet, weil ich dir was zu sagen habe und nicht wollte, daß man uns störe. Laß dich anschauen, Kind. Du lebst! Die Heiligen seien gepriesen! Weißt du, daß ich gefürchtet habe, ich käme schon zu spät?

Ich durfte nicht aus der Welt gehen ohne Urlaub von Euch! stammelte er.

Du hast Recht, mein Liebling. Dein Leben gehört mir, daß ich mich noch so lang daran freue, als mir Gott das eigene schenkt. Und darum befehle ich dir, zu leben, obwohl ich an deiner Stirne lese, daß du nicht zum Besten damit zufrieden bist. Siehst du, Uc, was geschehen ist und dir das Athmen verleidet, ist doch auch mit Gottes Willen geschehen, und das bittere Kraut soll eine süße Frucht tragen. Heut in aller Frühe wollte ich dich von mir entsenden für immer, weil ich kein Heil für dich und mich erhoffte, wenn wir zusammenblieben. Und der Brief an den Grafen von Foix, der dich unter seinen Schutz nehmen soll, war schon geschrieben, ein Uriasbrief – setzte sie mit Lächeln hinzu –; denn du solltest nicht wissen, daß Der, dem du ihn brächtest, dich bei sich behalten und dir keine Antwort an mich zu bestellen geben würde. Nun ist der Blitz herabgefahren und hat dich gestreift, Liebster, und wie seine Spur dich brennen muß, an mir selbst glaub' ich es zu empfinden. Da bin ich mit mir zu Rathe gegangen, daß ich dich jetzt noch minder bei mir zurückhalten darf; denn ich wäre Schuld an dem Tode, der dir heimlich geschworen ist. Nun aber sollst du nicht mehr unwissend von mir gehen, sondern die Ehre dieses Hauses, die der Bruder schwer versehrt hat, indem er einen freien und stolzen Menschen wie einen Leibeigenen gezüchtigt, soll die Schwester sühnen, so gut sie kann. Ugonet, ich bin gekommen, um dir selbst zu sagen, daß du mir theurer bist, als Alles in der Welt, daß, wenn du gehst, meine ganze Seele mit dir geht, und daß ich in meinem langen Leben nur Ein wahres Glück genossen: als dein junges Herz sich zu mir geneigt, deine Hand mir diese süßen Worte geschrieben, deine Lippen auf meinen geruht haben.

Sie sank auf das Lager, von ihrer eigenen Bewegung überwältigt, und saß eine Weile stumm, während er vergebens nach einem Worte rang. Plötzlich war er ihr zu Füßen gestürzt, hatte ihren Leib umklammert und sein glühendes Gesicht gegen ihre Kniee gedrückt.

Er fühlte, wie sie sich zu ihm niederbeugte und mit ihren Lippen sein Haar berührte.

Mein Wildling, sagte sie, ich liebe dich um dieser thörichten Glut willen, obwohl ich oftmals lächeln muß, daß sie mir gelten soll, die ich eine alte Frau bin, die dich gar wohl hätte unterm Herzen tragen können. Bin doch auch ich selbst um all meine Vorsicht und Besonnenheit gebracht und Tag und Nacht wie ein kindisches Mägdlein, das ein neues Kleid erhalten, herumgegangen, mich im Spiegel zu beschauen, wie gut dieser Putz mir stehe, den ich dir verdanke. So hab' ich mich in deinen Versen bespiegelt, und das Herz hat mir laut geklopft zu ihrem Tact, und ich habe mir eingebildet, dies Alles sei echte goldene Wahrheit, was dein schwärmendes Poetenherz ausgeheckt, mich vor mir selbst zu verherrlichen. O Ugonet, nun warne ich dich nicht mehr, diese Künste zu treiben, nun weiß ich, daß du ein wahrer und großer Dichter bist, und daß die Welt es bald inne werden wird. Und darum sollst du nun mit fröhlichem Herzen fortziehen, und deine Rache an deinem Ehrenschänder soll sein, daß dein Name weit und breit mit Ruhm genannt und du von größeren und Mächtigeren, als er selber ist, geehrt und als Ihresgleichen gehalten werden wirst. Glaubst du nicht, daß die Wunde der Schmach, die er dir zugefügt, auf diese Art besser und glorreicher vernarben wird, als wenn du ihm ein Schwert in die Brust stießest, was auch ein Knecht in der Wuth zu thun im Stande wäre?

Sie hielt inne und wartete, was er sagen würde. Er schien aber von ihrer ganzen Rede nur das Eine verstanden zu haben, daß er fort solle und sie nie wiedersehen.

Ihr verstoßt mich! brach es aus seiner schwerathmenden Brust. O Beatrix, in einer Stunde Himmel und Hölle –

Höre mich aus, sagte sie, indem sie mit sanfter Gewalt sein Haupt an ihren Knieen festhielt und mit der Hand leise seine Locken streichelte. Siehst du, mein Freund, wenn ich jung wäre wie du, keine Macht der Welt sollte mich zurückhalten, mit dir zu gehen und als dein treues Weib mich an deinem Ruhme zu freuen. Und wenn sie an den Höfen die Nase rümpften über die stolze Vizgräfin, die einem fahrenden Sänger nachzöge, so bliebe ich fern von den Schlössern in einem stillen Hause und erzöge deine Kinder, und immer, wenn du des Glanzes müde wärest, kämst du wieder nach Haus, und wir wären glücklich. Nun aber bin ich ein gebrechliches Weib, zweimal so alt als mein Liebster, und wenn er erst zu seiner vollen Mannesblüte gereift sein wird, ist von meinem Flor die letzte täuschende Farbe gewichen, und wenn die Leute auf der Gasse ihm nachriefen, daß aus seinem lahmen Engel ein hinkender Teufel geworden sei, würde er beschämt die Augen niederschlagen und ihnen im Herzen Recht geben müssen. Wohl giebt es ein Mittel, die Flucht der Zeit zu hemmen und einem alternden Leibe noch einmal Jugendkraft und -schöne einzuflößen. Aber es ist ein Wagniß auf Leben und Tod. Denn das Buch, das davon spricht, ist dunkel und zweideutig, und Gifte sind dem Elixir beigemischt, von denen ein Tropfen mehr, als die Mischung erträgt, unfehlbaren Tod bringt. Mehr als Einmal habe ich den Trank zu brauen versucht, aber jedesmal hat eine innere Stimme mich gewarnt, Gott nicht zu versuchen. So muß diesmal Alter in der That vor Thorheit schützen, da Jugend es nicht vermocht hat. Denn ich war noch sehr jung, als ich mir einredete, Liebe sei ein Wahn und ein Gaukelspiel, das geringe und einfältige Menschen bethöre, und nur ein Weib, das sich von ihr freigehalten, dürfe sagen, sie sei an Klugheit und Selbstherrlichkeit den Männern gleich, die sich auch von ihrer Macht nicht unterjochen lassen, sondern nur mit ihr spielen zum Zeitvertreib. Wie habe ich mich getäuscht! Was hat meine Weisheit, und daß ich um mein armselig bischen Gelahrheit gepriesen wurde, zu meinem Glück vermocht! Zwei Augenblicke an deinem Munde, mein Geliebter, haben mich mehr Wonne kosten lassen, als zwanzig Jahre tiefer Forschung, und ich habe gesehen, daß alle Weisheit Tand und Trug ist gegen die selige Thorheit der Liebe, daß Jugend allein das Glück zur Blüte bringen kann und Selbstvergessen seliger ist als Selbsterkennen. Und daß ich dazu noch gelangen sollte, mein süßer Freund, das werd' ich bis zu meiner letzten Stunde dir danken, wenn auch der Stachel der Reue, mein bestes Leben versäumt zu haben, mir ewig im Herzen wühlen wird.

Sie stand auf und zog ihn mit sich empor. Es ist Scheidens Zeit, sagte sie. Wer weiß, ob mein Bruder uns diese letzte bittere Wonne gönnt; ich habe Licht in seinem Gemach gesehen, da ich über den Hof schritt. Nun aber nimm diesen Brief, den du geraden Weges nach Foix bringen sollst. Es steht nichts darin von dem, was geheim bleiben soll zwischen dir und mir. Aber du wirst nicht ferner freund- und heimathlos sein, denn Graf Aimeric ist ein edler Mann und ein großer Gönner der Dichter. Und dies hier – und sie zog eine Kette aus ihrem Busen – nimm zum Angedenken an die Frau, die dich heißer und treuer liebt, als je ein Weib dich lieben wird. Sieh, es ist die Kette, die ich meinem Bräutigam nach Aragon schickte, mein Bildniß hängt daran in goldener Kapsel. Er hat mir Beides wiedergeschickt, wie du weißt. Du wirst das Bild bewahren; die Kette, wenn du je in Noth kommen solltest, wird dich vor Hunger und Entbehrung schützen. Stecke sie in dein Wamms neben dein Herz, sie ist noch warm von der Wärme des meinen. Und nun laß mich zum letzten Mal dich küssen, Liebster, wenn es auch thöricht ist, sich in dem Wein noch einmal zu berauschen, der ein langes Leben hindurch nie mehr meinen Durst stillen soll.

Sie warf ihre Arme fest um seinen Nacken und hielt ihn lange umschlungen, bis ihre Thränen vorbrachen und sich mit ihren Küssen mischten. Da löste sie sich standhaft aus seiner Umarmung.

Es ist genug! flüsterte sie; ach, nur schon zu viel! Aber ich hab' es selbst gewollt. Komm! Laß uns eilen, eh ich thue, was mich ewig gereuen wird! Ugonet, zwanzig Jahre früher – der lahme Reiher wäre mit dem gesunden geflogen weit übers Meer – und jetzt – aber still! Ich höre Tritte!

Sie stand und lauschte mit verhaltenem Athem, während sein Mund noch immer ihre Wange suchte. Es ist nichts! sagte sie. Nur mein Schutzengel flog über den Hof. Ich komm', ich komme!

Damit trat sie aus der Kammer, öffnete sofort die Thür des Marstalls und schritt durch die Reihen der friedlich schlummernden Thiere auf ihr weißes Maulthier zu. Auf dem sollst du reisen, flüsterte sie. Ich würde auf seinem Rücken doch nie wieder einen Ritt machen können ohne schwere Gedanken. Sattle ihn geschwind und dann steig auf. He, Lemosi, mein Freund, du sollst in die weite Welt! Trage deinen Reiter sanft und erinnere ihn manchmal an deine alte Herrin, die nie mehr deinen Hals streicheln wird.

Zögernd und widerstrebend war er ihr gefolgt. Zehnmal wollte er ihr wieder zu Füßen stürzen, sie beschwören, Alles von ihm zu fordern, nur das Scheiden nicht. Sie aber zwang ihn mit ihrem klaren Willen und der Gewalt ihres ruhigen Blickes. Nur seine Geige und ein langes Schwert holte er noch aus der Kammer, dann führte er das Thier sacht aus dem Stall, sie immer an seiner Seite. Sie klopfte den Thorwart aus dem Schlaf, der mit bestürzten Augen sie anstarrte, da er glaubte, sie selber wolle bei nächtlicher Weile aus dem Schlosse fliehen. Sie müsse Ugonet entsenden mit einer eiligen Botschaft, beschwichtigte sie den zaudernden Mann. Da öffnete er das Thor und ließ die Zugbrücke nieder. Der Mond war hinter den Wald getreten, als Lemosi den Huf über die Thorschwelle setzte. Brunet zog den Zügel an. Er meinte nicht scheiden zu können, ohne noch tausend Worte gesagt zu haben, die ihm das Herz bedrückten. Beatrix aber, als handle sich's nur um einen kurzen Ausritt, gab dem verschlafenen Thier einen Schlag auf den Hals und rief ihm zu, wie sie sonst wohl zu thun gepflegt: Nun fliege, mein Schwan! – und das Lemosi setzte sich willig in Bewegung und trug seinen Reiter, der mit zurückgewendetem Haupt davonsprengte, in die öde Nacht und die ungewisse Fremde hinaus.

Noch eine kleine Weile stand das einsame Weib an den Brückenpfosten gelehnt. Lebt wohl, Leben, Glück und Jugend! sagte sie vor sich hin. Dann kehrte sie ins Schloß zurück. Als sie die Treppen hinaufstieg und an der Thür ihres Bruders vorüberkam, stand dieser an der Schwelle, als ob er sie erwartet hätte, das Herz voll heftiger Worte. Sie traten ihm aber nicht über die Lippen. Wie die Schwester an ihm vorbeiging, traf ihn ein Blick aus ihren großen Augen, vor dem er trotz seines herrischen Grimmes die seinigen senken mußte. Gute Nacht, Bruder! sagte sie dumpf. Dies war das letzte Wort, das sie mit ihm redete.

*

Denn von dieser Nacht an ward ihr Leben und Wesen ein völlig anderes. Nie mehr verließ sie ihr Thurmgemach, und selbst die Kranken, die ihre Hülfe anriefen, mußten zu ihr hinaufkommen, oder sie schickte die alte Bernarda, die sie nach und nach sich zur Gehülfin herangezogen, an die Siechbetten, die Natur des Leidens zu erforschen, worauf sie ihnen dann die Arznei zukommen ließ. Mit anderen Menschen verkehrte sie nicht mehr; ihrem Bruder, der sie endlich um Zutritt bitten ließ, schickte sie den Bescheid: sie ertrage keines Menschen Stimme mehr, sie sei nur noch fähig, mit ihrem Gott zu reden.

So auch ließ sie sich bei ihrer alten Freundin, der Aebtissin, entschuldigen, daß sie weder zu ihr kommen, noch ihren Besuch empfangen könne. Es seien Dinge geschehen, die ihr andere Gedanken über Vieles gegeben, und sie fürchte nun, mit der alten Vertrauten sich nicht mehr wie sonst zu verständigen.

Nur mit Bernarda, die um Alles wußte, sprach sie zuweilen von dem Einen, was ihre Gedanken erfüllte. Sie hörte durch die Getreue, daß Brunet der Liebling des Grafen von Foix geworden sei, daß seine Canzonen ihn im ganzen Lande bekannt zu machen anfingen. Doch weigerte sie sich beharrlich, wenn eine von ihnen sich bis nach Beziers verirrte, dieselbe zu lesen. Es werden schönere Verse sein, als er sie zu Anfang machen konnte, sagte sie. Aber sie werden einer anderen Frau gelten und mir darum weniger gefallen. Mein Leben ist zu Ende, das seine beginnt. Wir haben Nichts mehr mit einander zu theilen.

So vernachlässigte sie auch ihre Schönheit fast geflissentlich, trug immer dasselbe schlichte Kleid und ließ sich von ihrer Pflegerin die Haare flechten, ohne je einen Blick in den Spiegel zu werfen. Da sie nur wenig frische Luft genoß und wenig Schlaf, verfiel ihr Aeußeres, das so lange seinen Jugendreiz bewahrt hatte, sichtbar von Jahr zu Jahr, und als sie noch nicht die Fünfzig erreicht hatte, glich sie einer schönen Greisin, die frühzeitig hingewelkt ist. Es kümmerte sie das aber wenig. Vielmehr schien es jeden Stachel der Reue abzustumpfen, daß sie in jener Nacht ihrem sehnsüchtigen Herzen nicht gefolgt war und das Leben des Jünglings an das ihre gekettet hatte. Nun muß die alte Weisheit mir helfen, sagte sie lächelnd, die junge Thorheit zu verschmerzen.

Am Ende des neunten Jahres, nachdem Brunet von ihr Abschied genommen, starb Vizgraf Ademar. Sein ältester Sohn trat die Herrschaft an und nahm Besitz von dem Schlosse Beziers. Als er ehrfurchtsvoll anfragen ließ, ob er sich seiner theuren Tante vorstellen dürfe, ließ diese ihm sagen, sie sei bereits abgeschieden und in der Gruft ihrer Bücherei beigesetzt. Er solle nicht vor dem Anblick der wandelnden Todten erschrecken, die ihm Glück und Segen wünsche und nur bitte, daß sie in ihrem Schattendasein ungestört fortwesen dürfe.

Und so blieb Alles beim Alten auch unter dem neuen Herrn.

Da kam auf einmal eine Kunde zu der einsam alternden Frau, die ihr das Herz, das sie längst vermodert glaubte, mit heftigem süßem Schrecken durchglühte.

Der Graf von Foix, den lange Jahre seine Abneigung gegen den alten Herrn von Beziers ferngehalten, ließ seinen Besuch ansagen, um den Sohn und Nachfolger zu begrüßen und die frühere Freundschaft der beiden Häuser neu aufzurichten. Er werde einen wohlbekannten Gast mitbringen, seinen theuren Freund und die Zierde seines Hauses, Uc Brunet, den Troubadour, von dessen Ruhm die Provence voll sei, und der die Stätte wiederzusehen wünsche, wo er seine dunkle Jugend zugebracht.

Als Bernarda diese große Neuigkeit ihrer Herrin athemlos mittheilte, war sie sehr betroffen über den seltsamen Ausdruck des Gesichts, mit dem diese, ohne ein Wort zu erwidern, in ihrem Sessel ruhte und vor sich hin sah. Sie war darauf gefaßt, daß die Vizgräfin für die Tage dieses Besuches sich noch strenger als sonst abschließen würde. Statt dessen fing die wundersame Frau plötzlich an, von Schmuck und Putz zu reden, und ob das Festkleid, das seit so langer Zeit im Schrein gehangen, wohl noch nicht von den Motten zernagt worden sei. Darauf ließ sie sich einen Spiegel bringen und sah fest und ohne eine Miene zu verziehen ihr Bildniß an, das sie kaum wiedererkennen mochte. Da müssen wir Abhülfe treffen! sagte sie wie zu sich selbst. So darf er mich doch nicht sehen, und meinem Ugonet darf ich doch auch die Thüre nicht verschließen, wenn sein treues Herz ihn treibt, bei seiner alten Liebsten anzuklopfen.

Sie war nun einige Tage sehr geschäftig an ihrem Herde und über ihren Büchern, ließ ihre schönsten Kleinodien und besten Kleider bringen und probirte sie der Reihe nach an, bis sie eine Wahl getroffen. Es paßt noch nicht zum Gesicht und Haar, lächelte sie Bernarda zu; aber das soll schon noch kommen.

Die alte Dienerin, der die unstäte Geschäftigkeit ihrer Gebieterin auffiel und die wohl einsah, daß hier mit aller Toilettenkunst nicht viel zu helfen sei, befragte sie wiederholt, was sie vorhabe, ob sie ein Schönheitswasser brauen oder eine neue Schminke bereiten wolle. Mehr als das, und weit Besseres! war Alles, was sie zur Antwort erhielt. Es schien eine große Wandlung mit der sonst so ruhigen, klarsichtigen Frau vorgegangen zu sein. Mitten in dem Verfall ihrer leiblichen Gaben und Vorzüge war ihr Geist bisher fest und hell geblieben, von der Entsagung nur leise umschleiert. Auf einmal schien ein verspätetes jugendliches Gefühl aus dem Grunde ihrer Seele hervorgebrochen zu sein, wie eine verschüttete heiße Quelle, die unerwartet zu Tage tritt und das bescheidene Ziergärtchen, das um sie her angelegt worden, zerrüttet. Hatte sie in jüngeren Jahren auf kleine frauenhafte Künste nur wenig Werth gelegt, so war ihr nun Nichts wichtiger, als wie sie ihrer Gestalt und Erscheinung zu einiger Anmuth verhelfen möchte. Die alte Getreue sah dies Bemühen mit wehmüthigem Kopfschütteln und half ihr, so gut sie konnte, den verblichenen Putz auffrischen. Wenn sie dazwischen aber auf die verwelkten Wangen ihrer Frau einen verstohlenen Blick warf, seufzte sie über das vergebliche Thun. Auch merkte sie aus den abgerissenen wunderlichen Reden der Herrin, daß es nicht mehr ganz geheuer sei unter dieser einst so klaren Stirn. Als Kleid und Schmuck bereit lagen und sie sich entfernen durfte, hörte sie draußen vor der Kammer die Herrin leise vor sich hin singen, mit einer vom langen Schweigen halb erloschenen Stimme. Sie erkannte die Weise nicht, die seit jenem Tage, wo Brunet auf seiner kleinen Geige sie dem Troubadour nachgespielt, nicht wieder an ihr Ohr geklungen war. Daß aber die einsame stille Frau zu singen versuchte, erschien ihr so traurig und unheimlich, daß sie mit Thränen in den Augen davonlief.

So kam die Zeit des Besuches heran.

Am Abend vor dem bestimmten Tage, wo die Gäste erwartet wurden, schickte Beatrix die Alte zeitig zu Bett. Sie habe Viel zu thun bis morgen. Dann sah man das Licht aus dem Thurmzimmer blinken die ganze Nacht hindurch, bis es in der ersten Morgenfrühe erlosch. Der Besuch kam zeitig angesprengt, ein großes Gefolge begleitete den Grafen, unter all den Rittern und Knappen zog Keiner die Augen mehr auf sich, als ein schlanker hoher Mann in der Blüte der Schönheit, mit einem ernsthaften Gesicht von dunkler Farbe, der zur Linken seines hohen Gönners ritt und dicht hinter ihm die Stufen zu der Empfangshalle hinaufschritt. Als die ersten Begrüßungen getauscht und ein Frühtrunk eingenommen war, wandte er sich an den jungen Herrn des Hauses mit der Bitte, seiner edlen Verwandten, der Vizgräfin Beatrix, seine Huldigung darbringen zu dürfen, da sie die Wohlthäterin und Pflegerin seiner armen Jugend gewesen sei.

Er trug eine goldene Kette um den Hals, an welcher ihr Bildniß hing, das der Neffe, der sie nur in früher Zeit gesehen, sofort erkannte. Er wolle gern seinen Wunsch gewähren, sagte er. Doch sei sie inzwischen sehr verändert, wie ihre Dienerin versichere, und pflege Niemand mehr zu empfangen. Er selbst aber werde den Gast zu seiner Muhme hinaufgeleiten und vielleicht bei diesem Anlaß auch gewürdigt werden, der edlen Frau ins Angesicht zu sehen und die Hand zu küssen, die so viel Wohlthaten gespendet und Leiden gelindert habe.

Also brach, da auch der Graf von Foix um die Vergünstigung bat, seine alte Freundin begrüßen zu dürfen, fast die ganze Gesellschaft auf und stieg die Stufen zu dem Thurmgemach hinan. Sie waren aber noch nicht auf dem obersten Absatz angelangt, als ihnen die alte Bernarda mit tief verstörtem Gesicht und der Geberde höchsten Schreckens entgegenstürzte. Sie deutete, da die Sprache ihr versagte, durch Zeichen an, daß sie fern bleiben möchten; Brunet aber, von schauerlicher Ahnung getrieben, drängte sie sanft beiseite und stürmte die Stufen vollends hinauf. Als er die Schwelle droben betrat, blieb er selbst, vom Schrecken übermannt, keines Wortes mächtig, stehen. Er sah seine alte Geliebte am Herde sitzen, in höchstem Putz, mit Ringen und Geschmeide geziert, das Haupt aber, von schneeweißem Haar umflossen, gegen die hohe Lehne des Sessels zurückgesunken, die Züge still und starr und die gebrochenen Augen mit einem feierlichen weltabgewandten Ausdruck gegen die niedere Wölbung gekehrt. Als er näher zu treten über sich gewann, sah er, daß ihre linke Hand noch einen Becher umkrampft hielt, aus dem sie kurz vor dem Ende getrunken haben mußte. Mancherlei Tiegel, Pfannen und Gläser standen neben den erloschenen Kohlen; auf einem Tischchen lag ein großer Pergamentband, und die Seite war aufgeschlagen, auf welcher von dem Elixir gehandelt war, das entflohene Jugend zurückbringen und entfärbten Locken neuen Goldglanz verleihen sollte. Der Mund der Todten aber lächelte, wie von einer seligen Hoffnung oder Erinnerung verklärt.


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