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Ninon.

(1900.)

 

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Ninon, Ninon, que fais-tu de la vie?

Alfred de Musset.

 

Der kleine Kreis treuer Hausfreunde, der sich jeden Donnerstag am späten Abend bei Frau von F. zu versammeln pflegte, hatte sich auch heute eingefunden: der alte kahlköpfige Oberst, den die Gicht gezwungen hatte, seinen Abschied zu nehmen, der aber den Frauendienst bei seiner Jugendfreundin selbst bei dem rauheften Wintersturm nicht versäumte; der grauhaarige Musikus, Componist und Lehrer der Harmonie am Conservatorium, mit dem die alte Dame bis in die letzten Jahre, wo ihre Augen ihr den Dienst versagten, vierhändig zu spielen gepflegt hatte; endlich der Jüngste in dem Quartett, auch schon im Beginne der Fünfzig, der Professor der Zoologie und Biologie an der Hochschule, der Benjamin der kleinen Gesellschaft, der sich von den drei Andern zuweilen im Scherz sagen lassen mußte, daß er noch nicht alt genug sei, um über gewisse Lebensfragen und historische Ereignisse mitsprechen zu können.

Man kam erst nach neun Uhr zusammen, da der verehrten Hausfrau ein Gefallen damit geschah, wenn ihr einige Stunden ihrer vielfach schlaflosen Nacht durch ein angeregtes Gespräch verkürzt wurden. Sie schickte dann ihre Gesellschafterin, ein feines, etwas bleichsüchtiges Fräulein, zu Bett, nachdem diese den Thee bereitet hatte, und es wurde dann manchmal ein, zwei Uhr, ehe die Herren sich verabschiedeten.

Sie thaten das nie, ohne sich, während sie die Treppe hinabgingen, darüber auszusprechen, eine wie wunderbare Geistesfrische und -klarheit ihre alte Gönnerin sich bewahrt habe, obwohl sie nah an die Achtzig herangerückt war. Daß ihre Herzensgüte und heitere Milde unverändert sich gleich geblieben, wurde nicht erst erwähnt. Es war das ja eben der Zauber, der die alten Herzen so viele Jahre an das altmodische Zimmer, den kleinen Theetisch mit dem schweren silbernen Geschirr und den hochlehnigen Sessel gefesselt hatte, in welchem die ehrwürdige Hausfrau hinter dem grünen Lampenschirm saß, ein kleines Gestrick in den welken, bleichen Händen, das oft genug müßig auf ihrem Schooße lag, wenn die Unterhaltung ihren Geist lebhafter anregte.

Nach ihrem Befinden zu fragen, war ein für allemal verpönt. Das Unbequemste an Altersleiden, meinte sie, sei, daß man Jüngeren damit zur Last falle. So zeigte sie auch an Schmerzenstagen ihren Besuchern stets ein gleichmüthiges Gesicht, und nur das stärkere Zittern der schmalen Finger, mit denen sie die Eisstückchen aus der Schale neben ihrem Sitz herausfischte, um sie zum Munde zu führen, verrieth den Eingeweihten, daß sie einen besonderen Aufwand moralischer Kraft machen mußte, um ihre Leiden für sich zu behalten.

Heut Abend empfing sie ihre Getreuen so seltsam in sich gekehrt und einsilbig, daß endlich der alte Oberst, dessen feuriges Temperament auch sonst zuweilen mit seiner Zunge durchging, sich nicht der Frage enthalten konnte, ob etwas besonders Trauriges sich ereignet habe, das die verehrte Freundin in eine so tiefe Schwermuth oder Verstimmung versenken konnte.

Statt aller Antwort deutete die alte Dame nur mit einem Wink ihres greisen Kopfes nach der Gesellschafterin hin, die gerade den Thee einschenkte, und gab durch ein bedeutsames Hüsteln zu verstehen, daß sie dies Thema nicht weiter zu verfolgen wünsche.

Gehen Sie heute nur bald zu Bett, liebe Hermine, sagte sie nach einer Weile zu ihrem Fräulein. Ich habe Sie die letzte Nacht mit meinen dummen Anfällen so lange gestört, und in Ihren Jahren muß man jeden versäumten Schlaf nachholen. Unser lieber Professor ist dann wohl so gut, Ihre Stelle beim Samowar einzunehmen. Gute Nacht, liebes Kind!

Als das Fräulein dann, nachdem sie der gütigen Herrin die Hand geküßt, sich entfernt hatte, sagte diese mit einem Seufzer: Ich mache mir Vorwürfe, daß ich meine Stimmung nicht besser beherrschen konnte. Warum soll ich noch Andern das Herz schwer machen? Denn ich weiß, auch Ihnen wird das Schicksal meiner guten Bärbel nahe gehen. Sie haben ja alle ein Faible für sie gehabt und hatten während des Jahrs, wo sie in meinem Dienste stand, eine besonders angenehme Empfindung, wenn das anmuthige, stille Wesen Ihnen die Thür öffnete und hernach die Treppe hinunterleuchtete. Auch ich empfand ihre Nähe als eine ganz eigene Wohlthat. Sprechen konnte man ja auch über Alles mit ihr, obwohl sie nur ihre Dorfschule besucht hatte. Aber es war ein feiner, aufhorchender Sinn in ihr; mit der Zeit, wenn sie noch eine Weile in meiner Schule geblieben wäre, hätte sie selbst einen gebildeteren Mann glücklich machen können, ganz abgesehen von ihren wirthschaftlichen Tugenden. Sie wissen ja auch, wie ungern ich sie entließ, als sie vor einem halben Jahr darum bat, da ihre Mutter bettlägerig geworden sei und sie im Hause entbehre. Sie selbst war so eigenthümlich bewegt, als sie Abschied nahm, die Thränen stürzten ihr aus den Augen, ich hatte Mühe, sie zu trösten mit der Versicherung, sie jeden Augenblick wieder bei mir aufzunehmen, sobald sie zu Hause abkömmlich sei. Damals ahnte ich nicht von fern den Grund ihrer leidenschaftlichen Trauer. Und nun erhalte ich heut Morgen einen Brief von dem Pastor ihres Dorfes mit der entsetzlichen Nachricht, die Aermste habe den Tod im Wasser gesucht, nachdem sie einem Kinde das Leben gegeben, und auch das arme Würmchen mit sich genommen.

Ich war so tief erschüttert, daß ich nun erst fühlte, wie lieb ich das gute Kind gehabt hatte. Und dazu stand ich vor einem Räthsel. Sie hatte sich so sittsam betragen, von der Erlaubniß zu ihrem sonntäglichen Ausgang so selten Gebrauch gemacht und dann nur in der Gesellschaft einer älteren Verwandten – wie das Unglück hatte geschehen können, war mir unfaßbar. Endlich fiel mir ein, daß ein einziges mal ein junger Mensch, von gleichem Alter mit ihr, ein Schul- und Spielkamerad aus ihrem Dorf sie hier besucht hatte, ein bescheidener, etwas linkischer Bursch. Da hatte sie gebeten, mit ihm einen Circus besuchen zu dürfen, und ich, nichts Arges denkend, hatte es gern erlaubt. Schon um Zehn war sie nach Hause gekommen, und allerdings, am andern Tage ging sie etwas zerstreut und versonnen umher, ich scherzte mit ihr, ob sie plötzlich Heimweh bekommen habe durch diesen Besuch, da wurde sie feuerroth und schüttelte heftig den Kopf. Ich dachte mir freilich mein Theil. Wenn sie den jungen Burschen wirklich liebte, konnte ja etwas daraus werden. Sie sagte mir, er sei ein vermöglicher Bauernsohn, von einer früheren Liebschaft mit ihm sei aber keine Rede, obwohl sie sich von klein auf gern gehabt hätten, denn in ein paar Monaten werde er eine Andere heirathen. Und nun hat es dies jammervolle Ende genommen!

Die alte Dame schwieg, und ihre Freunde saßen ebenfalls in stummer Ergriffenheit ihr gegenüber. Erst nach einer ganzen Weile klang wieder die traurige Stimme hinter dem grünen Lampenschirm hervor: Ich hatte ihr beim Abschiede so liebevoll, wie nur eine Mutter ihrem leiblichen Kinde, ans Herz gelegt, wenn sie je in irgend welche Noth käme, sich vertrauend an mich zu wenden. Und in dieser allergrößten war ihr das Wasser im Dorfteich näher gewesen als ihre gütige Herrschaft. Ja, ja, immer der alte hitzige Stolz und die unselige Scham, sich der Verantwortung für einen Fehltritt lieber ein für allemal zu entziehen, als die Folgen tapfer auf sich zu nehmen. Ich denke, wie Sie wissen, nicht modern über diese Dinge und gestehe der bürgerlichen Gesellschaft das Recht zu, sich gegen das Evangelium der freien Liebe entschieden aufzulehnen. So manches andere Naturrecht, das von einem höheren sittlichen Standpunkt aus sich nicht gefallen zu lassen braucht, als sündhaft verschrieen zu werden – vor unerbittlichen socialen Rücksichten muß es die Segel streichen. In diesem Falle aber hat die Natur ja dafür gesorgt, daß, wie Luther sagte, der Apfel bei der Ruthe sei, die unerläßliche Buße versüßt werde durch eine tiefe und süße Freude. Ich habe nie begriffen, daß ein armes Mädchen in Bärbel's Lage, wenn es sein vaterloses Kind auf dem Schooße hält, die »Schande« der gesetzlosen Mutterschaft schwerer empfinden kann, als das Glück und die Pflicht, einem hülflosen Geschöpf aus eigenem Fleisch und Blut alles zu sein. Eher würde ich es verstehen, wie eine junge Frau, die einem gehaßten und verachteten Gatten ein Kind geboren hat, ihr unseliges Gefühl auf das schuldlose Wesen überträgt, es in einem Paroxysmus von Scham und Selbstverachtung sogar ins Wasser wirft, um durch seinen Anblick nicht lebenslang an die empörende Erniedrigung ihres Frauenstolzes erinnert zu werden. Aber ein Kind der Liebe! Daß man um dessen willen nicht alles mit Freuden erträgt! – Und wenn die arme junge Mutter zu mir geflüchtet wäre – konnte sie nicht wissen, daß ich für sie und ihr Kind in jeder Weise gesorgt haben würde? Aber nein, das konnte sie nicht wissen. Dazu kannte sie mich doch zu wenig und hatte vor der verdammenden, heuchlerischen, tugendstolzen Welt eine zu tiefe Angst und zu wenig Vertrauen in ihre eigene Kraft, dem allen die Stirn zu bieten!

*

Der alte Oberst richtete sich schwerfällig in seinem Sessel auf, griff nach dem Stock, der immer zwischen seinen Knieen lehnte, und begann langsam in dem halbdunklen Zimmer auf und ab zu stapfen. Es war das seine Gewohnheit, wenn die gichtischen Schmerzen ihn überkamen, die ihn nicht ruhen ließen und von denen er, wie von allen körperlichen Leiden, bei der alten Freundin nicht sprechen durfte. Heut aber riß ihn ein seelischer Schmerz in die Höhe und trieb ihn ruhelos hin und her.

So ein Staatsmädel! knurrte er zwischen den Zähnen. Und muß so niederträchtig zu Grunde gehen! Unsre Bärbel! Ich kann's ja wohl eingestehen: ich würde sie, wie sie ging und stand, vom Fleck weg geheirathet haben, und wenn sie mir ein Dutzend vaterloser Kinder ins Haus gebracht hätte, aber so klug war ich doch noch, zu begreifen, daß sie für einen alten invaliden Krachschädel meinesgleichen tausendmal zu gut war. Und nun so vor die Hunde gegangen! Hat übrigens recht dran gethan, unsre tapfre kleine Bärbel! Was sollte sie in unsrer elenden, verlogenen Welt, in der immer zweierlei Moral gilt, wo man ein wohlerzogenes Fräulein beglückwünscht, das sich an einen ekelhaften alten Sünder verkauft für Diamanten und Brüsseler Spitzen, und ein armes Ding Dirne schilt, das der Hunger auf die Straße treibt. Und auch die wird noch von der Sittenpolizei als ein nothwendiges Uebel behandelt und numerirt und in die Listen eingetragen. Aber so ein armer Engel wie die Bärbel, wenn der fällt – der ist reif für die Hölle, und das wird ihm so gründlich vorgehalten, bis er lieber ins Wasser geht, als länger mit Steinen nach sich werfen zu lassen.

Er stieß mit dem Stock so heftig gegen den Fußboden, daß selbst der dicke Teppich den Schall nicht zu dämpfen vermochte. Niemand aber schien auf seine Reden zu hören, die sich noch eine Weile über das Thema der doppelten Moral ergingen, mit der in der Welt gemessen werde; so zum Beispiel über den Unfug, daß der Staat den Offizieren das Duell verbiete und sie doch cassiere, wenn sie sich weigerten, es anzunehmen, endlich weit abschweifend bis zu Tolstoi's verrückter Doctrin, die aus ehrenhaften Menschen, um ihrer vermeintlichen Christenpflicht zu genügen, eine Heerde feiger Lämmer machen wolle, ein Thema, bei dem er von überall her regelmäßig anzukommen pflegte. Die Andern kannten seine Schwäche und ließen ihn reden, bis er, wie auch heute wieder, durch einen Hustenanfall unterbrochen wurde, worauf er mit der Bitte, sein Geschwätz zu entschuldigen, in seinen Sessel zurücksank.

Und was sie für eine liebliche Stimme hatte! sagte still vor sich hin der alte Musiker, der während der ganzen Zeit nur dem einen traurigen Gedanken nachgehangen hatte. So dunkel im Ton und dabei so zu Herzen gehend, wie eine rein gestimmte Bratsche. Meine Frau hat sie nur einmal sprechen hören, als sie mit einem Auftrag unsrer verehrten Freundin zu uns kam. Sie war aber ganz entzückt von ihr, sie drang in mich, ihr Singstunden zu geben. Aber was sollte ein Dienstmädchen damit anfangen und wo die Zeit dazu hernehmen! Und nun denken zu müssen, daß das edle Instrument –

Er vollendete den Satz nicht und senkte den Kopf mit dem mächtigen grauen Haarschopf tiefer auf die Brust. Nach einiger Zeit fuhr er mit der Hand nach den Augen, die er fest eingedrückt hatte.

Dann klang wieder die leise Stimme hinter dem Lampenschirm hervor.

Ich weiß ganz genau, wie alles so gekommen ist, so genau, als ob sie selbst es mir gebeichtet hätte. Sie hatte, als sie in meinen Dienst trat, noch Hoffnung gehabt, einmal die Frau ihres Spielkameraden zu werden, den sie immer im Herzen getragen hatte. Als er dann kam mit der Nachricht, er müsse die Andre heirathen, die er nicht liebte, bloß weil die Eltern es so abgekartet hatten, überfiel sie eine Art Rausch der Verzweiflung, und auch er hatte sie nur aufgesucht, wie man vorm Sterben noch einmal Alles sehen möchte, was man liebt. Keines hatte im Ernst daran gedacht, in den Circus zu gehen; das war nur ein Vorwand gewesen. Irgendwo hatten sie einen stillen Ort gesucht, sich auszusprechen, hatten auch schwerlich überlegt, was dann zwischen ihnen geschehen mußte, denn auch er war von feinerer Art und durchaus kein listiger Verführer, sondern nur ein willenloses junges Blut, das sich vom Augenblick beherrschen ließ. So weit ist mir Alles klar und verständlich. Nur das Letzte, wie gesagt, warum sie sich und das Kind opferte, ob nach Goldsmith's Wort:

To give repentance to her lover
And wring his bosom –

oder weil vielleicht, nachdem das Unglück geschehen, ihre glücklichere Nachfolgerin in der Kirche ihr begegnet war und ihr einen höhnischen Blick zugeworfen hatte und die Nachbarskinder mit Fingern auf sie zeigten – darüber muß ich beständig nachgrübeln und dachte doch, über das Gemüth des guten armen Kindes besser Bescheid zu wissen, als sie selbst.

Meine verehrte Freundin, hörte man jetzt den Zoologen sagen, verzeihen Sie, wenn ich behaupte: Sie mögen diese psychologische Meditation noch so lange fortsetzen, zu einem sicheren Ergebniß werden Sie nie gelangen. Würde doch die arme Todte selbst, wenn man sie heraufbeschwören und ins Verhör nehmen könnte, nicht im Stande sein, über das, was sie zu dem verzweifelten Schritte trieb, eine klare Rechenschaft zu geben. Meist sind es ja auch mehrere Motive, die zu gleicher Zeit die Handlungen der Frau bestimmen, da sie ein complicierteres Gemüthsleben führt als der Mann, natürlich im Durchschnitt. Ich habe, wie Sie wissen, bei meinen wissenschaftlichen Forschungen mich stets vor Allem der Beobachtung der Varietäten gewidmet, aus der man auch über die typischen Eigenschaften der reinen Arten die merkwürdigsten Aufschlüsse gewinnt. Aber eine so wenig constante, so unendlich variable Klasse von Lebewesen, wie das Weib, ist mir nie begegnet. Vielleicht irre ich mich, da ich überhaupt nicht allzu häufig Gelegenheit zu tieferen Forschungen auf diesem Gebiet gehabt habe. Aber auch größere Seelenkenner haben mich versichert, daß man sich sehr hüten müsse, dem Problem der Frauenseele gegenüber zu generalisiren, daß hier nur Urtheile von Fall zu Fall statthaft seien und man nie sagen dürfe, dies oder das sei nach allgemeinen Gesetzen bei einem Weibe undenkbar. Je höher organisirt, je reicher und feiner entwickelt eine weibliche Natur sei, desto weniger gehorche sie den Instincten, die die Masse ihrer Schwestern regieren, desto unabhängiger und trotziger übe sie das Recht der Selbstbestimmung aus. Ich selbst habe das in einem sehr merkwürdigen Fall beobachten können, und vielleicht erinnern Sie sich der Andeutungen, die ich Ihnen über die Schicksale einer guten Freundin von mir gemacht habe. Die glaubte ich auch so gut und besser zu kennen, wie Sie die arme Bärbel, die ja eine viel einfachere Psyche hatte. Und doch habe ich bei ihr eine Ueberraschung nach der andern erleben müssen.

Sie sprechen von jener Bildhauerin, die in den siebziger Jahren hier in Berlin eine Weile von sich reden machte und dann plötzlich verschwand, sagte die alte Dame. Sie wollten uns damals mehr von ihr erzählen, als Sie unterbrochen wurden. Wir sind, dächt' ich, heute gerade in der Stimmung, solchen halbverschleierten Lebensräthseln nachzugehen. Aber schenken Sie sich und den andern Freunden erst noch eine Tasse Thee ein und geben unserm lieben Oberst seine Cigarre. Sie können dreist rauchen, lieber Freund. Ich weiß, daß Sie sich sonst doch nicht ganz behaglich fühlen.

*

Ich werde Ihre Geduld ein wenig lange in Anspruch nehmen müssen, fing der Professor wieder an, nachdem er die Tassen gefüllt und dem alten Kriegsmann das Kistchen echter Cigarren gereicht hatte, das für ihn allein immer bereit stand. Der Anfang der Geschichte reicht ziemlich weit zurück. Aber ich verspreche, mich möglichst kurz zu fassen.

Also ich war damals eben zweiunddreißig Jahre alt geworden, hatte mein erstes größeres Buch geschrieben und mich daran so in allen Nerven übermüdet, daß mein Arzt mich nach Kissingen schickte.

Gleich am ersten Morgen, wo ich mich beim Brunnen einfand, fiel mir eine anziehende Frauengestalt auf, die ruhig neben einem von einem Diener geschobenen Rollstuhl durch das Menschengewimmel schritt. Eine volle, aber doch schlanke junge Figur vom schönsten Ebenmaß, auf dem feinen Halse ein sehr edler Kopf, schwarze Augen unter gradegezogenen, ziemlich starken Brauen, in dem mattbleichen Gesicht keine andere Farbe als das Roth der weichgeschwellten Lippen, die gewöhnlich fest geschlossen waren. Nur wenn der Kopf sich zu dem blassen Herrn im Rollstuhl hinabneigte, ein Wort an ihn zu richten, öffnete sich der schöne, charaktervolle Mund zu einem halb gütigen, halb zerstreuten Lächeln. Der Mann war offenbar ein Offizier, etwa zehn Jahre älter als seine Begleiterin, und auch der Diener hinter dem Rollstuhl verleugnete in seinem ganzen Habitus nicht, daß er eine lange Dienstzeit als Unteroffizier hinter sich hatte.

Das Paar bildete den Gegenstand des allgemeinen Interesses, schien aber unter der Badegesellschaft keine Bekannten zu haben und auch die entfernteren Partieen der Wandelbahn aufzusuchen, vor Allem der Kurmusik auszuweichen, an der vorüberfahrend der Kranke das Gesicht schmerzlich verzog. Er hatte regelmäßige Züge, und so oft er die etwas verschleierten Augen zu der jungen Frau aufhob, ging ein warmer, inniger Hauch über sein blasses Antlitz. Auch sie hatte nur Augen für ihn, und wenn sie ihm den Becher wieder füllen ließ und zu ihm zurückbrachte, schien sie ganz in ihrer Pflicht als Pflegerin aufzugehen.

Ich folgte ihnen, als sie den Kurgarten verließen, und erfuhr vom Portier ihres Hôtels den Namen und daß der kranke Herr ein preußischer Major sei, der wegen eines Rückenmarkleidens den Abschied habe nehmen müssen.

Von der Frau sprach der Mann wie von einer Heiligen. Sie lebe nur für den Kranken, der in seinen Schmerzen nicht der Geduldigste und Rücksichtsvollste sei.

Der Portier begrüßte mich dann mit einer verständnißvollen Miene, als ich noch an demselben Tage aus meinem Privatquartier, wo ich nur eine Nacht zugebracht hatte, in das Hôtel übersiedelte. Auch der Oberkellner dachte sich das Seine bei meiner Frage, ob die Herrschaften an der Table d'hôte speis'ten und ein Platz in ihrer Nähe noch frei sei, da ich den Herrn Major von früher her kannte. Es war zwar alles besetzt, aber mit Hülfe eines Zehnmarkstücks gelang es noch, einen Platz einzuschieben.

An der Abendtafel erschien das Paar nicht. Der Kranke ging früh zu Bett. Am andern Mittag wurde sein Rollstuhl in den Saal geschoben bis an das Ende der einen langen Tafel, wo er dann mit Unterstützung der Frau und des Dieners Platz nahm. Sie selbst setzte sich zu seiner Rechten, den Platz ihr gegenüber durfte ich einnehmen.

Es kam zwischen mir und meinen vorgeblichen Bekannten nicht gleich zu einer lebhafteren Unterhaltung. Er nickte nur mit einem stillen Lächeln, als ich mich vorstellte, murmelte ein paar unverständliche Worte und widmete sich dann eifrig den verschiedenen Speisen, die er mit größtem Behagen zu sich nahm, wie ein Kind, das bei Tische nur ans Essen denkt. Die Frau legte ihm vor, und da er die linke Hand nicht bequem gebrauchen konnte, schnitt sie ihm das Fleisch, goß ihm den Wein ins Glas und flüsterte ihm zuweilen ein paar Worte zu, wenn er etwas Ungeschicktes that. Sie selbst kam darüber kaum zum Essen. Noch weniger hatte sie Zeit und Gedanken, ein Gespräch mit ihren Tischnachbarn zu führen. Aber wenn ihr Gesicht auch still und ernst blieb, ein Zug von Schmerz oder auch nur von Resignation war nicht darauf zu entdecken.

Nach dem Essen kam wieder der Diener mit dem Rollstuhl, und das Paar verschwand, wie es gekommen war, der Kranke mit einem höflichen Händewinken gegen die Tischgenossen, die schöne Frau mit einem reizenden Neigen des Hauptes, da ich aufgesprungen war, ihrem Manne beim Aufstehen behülflich zu sein.

*

Nach alledem brauche ich wohl nicht erst zu sagen, daß ich mein Herz unrettbar an das wundersame Geschöpf verlor.

Ich war so alt geworden, ohne mich jemals ernstlicher zu verlieben. All mein Interesse hatte die niedere Thierwelt, mit der ich nur durchs Mikroskop verkehrte, in Anspruch genommen. Meine Schwestern und ihre Freundinnen fingen schon an, mich aufzugeben und für einen unverbesserlichen Weiberfeind zu erklären, der ich wahrhaftig nicht war. Nun sollte es um so gewaltsamer über mich kommen.

Wie Sie mich kennen, verehrte Freunde, werden Sie mir nicht zutrauen, daß ich nur einen Augenblick daran gedacht hätte, die traurige Lage der jungen Frau mir zu Nutze zu machen und hinter dem Rücken des unglücklichen Mannes einen Roman mit ihr zu spielen. Aber als so ganz hoffnungslos sah ich meine Leidenschaft doch nicht an. Wie lange konnte der Kranke in diesem Zustande noch hinvegetieren? Und dann war sie Wittwe und hatte in ihrer Ehe schwerlich so viel Glück genossen, um dem Todten jahrelang nachzutrauern.

Einstweilen war ich schon dankbar dafür, daß es an den folgenden Mittagen zwischen mir und der holden Frau zu einem freundlichen Austausch unbedeutender Reden kam, die manchmal ein leises Lächeln begleitete. Auch der Kranke thaute ein wenig auf. Ich konnte bemerken, daß seine geistigen Kräfte noch unversehrt, wenn auch gleichsam gedämpft und eingeschüchtert waren. Das Wenige, was er sprach, war verständig, und ein Schimmer von heiterer Güte drang dabei aus seinen Augen. Man konnte verstehen, daß nichts, was seine Frau ihm zuliebe that, ihr als ein schweres Opfer erschien.

So war eine Woche vergangen, während der ich eigentlich nur in der Stunde bei Tische wirklich gelebt hatte, da ich die übrige Zeit in einem Zustand von Schlafwandel zubrachte, der bei allem Langen und Bangen doch nicht ohne eine gewisse Süßigkeit war. Ich öffnete kein Buch, schrieb keinen Brief, lag stundenlang rauchend und träumend auf meinem Sopha und horchte in mein Herz hinein, das mir die abenteuerlichsten Märchen erzählte. Dann wieder stürmte ich ins Freie und erstieg die höchsten Punkte der schönen Waldberge, die bekanntlich der Stolz von Kissingen sind, oder fuhr das Flüßchen hinauf und hinab, und überall sah ich die geliebte Gestalt geistweis neben mir, mit dem Ausdruck stiller Hoheit, der mich stets in ehrerbietiger Entfernung hielt.

Und da, eines Nachmittags, mitten im Walde – nein, es war kein Spuk der Phantasie, sie selbst schritt leibhaftig auf dem schattigen Wege dahin, langsam, so daß ich, ohne meinen Schritt sehr zu beschleunigen, sie einholen mußte.

Sie begrüßte mich ohne jede Verlegenheit, und so gingen wir zum erstenmal lebhaft plaudernd miteinander weiter. Die Bewegung in der frischen Waldluft hatte ihr Gesicht geröthet, die Augen leuchteten, wenn sie in die Wipfel hinaufblickten, ein Streischen ihres dunklen Haars hatte sich unter dem schwarzen Hut gelös't und wehte im Winde, nie war sie mir reizender, jünger und doch unnahbarer erschienen.

Sie gehe jeden Nachmittag, erzählte sie mir, ein paar Stunden spazieren, da ihr Mann nach dem Essen in einen langen, tiefen Schlaf verfalle und sie dann entbehren könne. Es sei seltsam, daß sie mir nicht früher begegnet sei. Diese Streifereien erquickten sie für den ganzen übrigen Tag, der ja recht einförmig vergehe; denn ihr armer Mann lasse sie nicht von seiner Seite, und sie sei auch glücklich, ihm so viel sein zu können. Uebrigens sei es ihr lieb, mich hier einmal allein getroffen zu haben. Ich müsse mich gewundert haben, daß sie während der Tafel nicht geneigter sei, auf ein Gespräch einzugehen. Ihr Mann liebe es nicht, daß sie mit Andern plaudere, er werde dadurch verstimmt, da ihm selbst das Sprechen schwer falle, ja denken Sie, sagte sie mit einem schwermüthigen Lächeln, er ist eifersüchtig, und wahrhaftig, er hätte weniger als irgend ein Mann Grund dazu, denn man müßte schon ein sehr schlechtes Herz haben, um einem so lieben armen Dulder untreu zu werden. Meinen Sie nicht auch?

*

Seit jenem Begegnen verging kein Tag, wo wir uns nicht auf einem der Waldwege getroffen und eine Stunde oder mehr uns miteinander ausgesprochen hätten.

Ich konnte wohl sehen, daß es ihr wohlthat, einmal wenigstens am Tage aufzuathmen und an Andres zu denken, als an die hundert kleinen Pflichten einer barmherzigen Schwester. Auch fühlte ich mit stiller Wonne, daß ich nicht der Erste Beste für sie war, nur eben gut genug zuzuhören, wenn sie ihr Herz erleichterte, sondern daß sie mir täglich herzlicher geneigt wurde, mich als einen zuverlässigen Freund betrachtete, dem sie es besonders Dank wußte, daß er niemals den Ton einer galanten Huldigung anschlug, obwohl sie mit dem unfehlbaren weiblichen Scharfblick längst erkannt haben mußte, wie es um meine arme Seele stand.

Und so hatte ich bald Alles von ihrem Leben erfahren, auch was man einem Fremden sonst nicht anzuvertrauen pflegt.

Sie war die Tochter eines sehr ungleichen Paares, ihr Vater Pastor in einem märkischen Dorf mit einem sehr dürftigen Einkommen, in der reizlosesten Gegend, aus der er aber sich nicht wegsehnte, da er selbst hier geboren war. Während seiner Universitätszeit in Berlin hatte er sich in ein schönes Mädchen aus der französischen Colonie verliebt, die Tochter eines Adligen, der aber zu arm war, um sein Kind irgend standesgemäß erziehen zu lassen. Sie lernte ein wenig Singen, Klavierspielen und Tanzen, der Papa erwarb sich kümmerlich genug seinen Unterhalt durch Miniaturporträts auf Elfenbein, die damals noch hin und wieder bestellt wurden, ehe die Lithographie und vollends die Daguerreotypie Mode wurden. Als daher der junge Candidat der Theologie um das junge Mädchen warb, sahen die Eltern, da er ein kleines Vermögen hatte, diese Versorgung ihrer Tochter als einen besonderen Glücksfall an und trösteten sich über die Trennung mit der Hoffnung, ihr Schwiegersohn werde in nicht gar langer Zeit eine Kanzel in der Hauptstadt besteigen und sie dann mit ihrem Kinde wieder vereinigt werden.

Dies geschah aber nicht, die junge Frau mußte sich darein ergeben, in dem armseligen Dorf allen Freuden und Zerstreuungen, die sie sich von der Ehe geträumt hatte, zu entsagen. In den ersten Zeiten, nachdem sie ihr Töchterchen geboren hatte, wurde ihr das auch nicht allzu schwer. Zudem war ihr Mann noch zärtlich und aufmerksam gegen sie, was sich mit den Jahren mehr und mehr verlor, da er sich immer strenger und asketischer in seine Orthodoxie verrannte. Da saß denn seine Frau die einsamen Stunden hindurch an ihrem Stickrahmen oder dem alten verstimmten Klavier und sang, um das ewige Gackern der Hühner und Grunzen der Schweine draußen im Hof zu übertönen, eins nach dem andern von ihren alten französischen Liedchen, während die kleine Ninon auf einem zerrissenen Teppich neben ihr mit dem Kätzchen spielte oder ihre Puppe nach dem Takt der Musik tanzen ließ.

Sie war Ninon von der Mutter genannt worden, trotz des Einspruchs ihres Vaters, der Elisabeth vorgeschlagen hatte. Ninon aber war der Frau Pfarrerin schon aus ihrer Mädchenzeit ein Lieblingsname, von jenem Musset'schen Gedicht her, das mit dem Vers anfängt:

Ninon, Ninon, que fais-tu de la vie?

Ich weiß nicht, ob Sie das Gedicht kennen?

Gewiß, sagte der alte Musiker. Ich bin sonst nicht gerade in französischer Lyrik bewandert. Aber eine meiner Schülerinnen in der Musikschule singt das Lied mit Vorliebe und hat dafür Propaganda gemacht. Alle jungen Mädchen bekennen sich zu dieser Lebens- und Liebesphilosophie:

La vie est un sommeil, l'amour en est le rêve,
Et vous aurez vécu, si vous avez aimé.

So ungefähr sagt's unser Schiller auch, nur mit ein wenig andern Worten:

Ich habe genossen das irdische Glück,
Ich habe gelebt und geliebet.

Nur daß seine »Klage des Mädchens« keinen so geistreichen Componisten gefunden hat, wie Alfred de Musset in Paolo Tosti.

Von dessen Komposition wußte man freilich noch nichts, fuhr der Professor fort, als Ninon's Mutter jenes Liedchen trällerte, vielleicht nur nach eigener Melodie. Mit den Jahren immer schmerzlicher, je mehr ihr gestrenger Eheherr sich von ihr zurückzog. Sie sah dann auf ihr Kind, das so schön heranwuchs, ihr volles Ebenbild, und seufzte in dem Gedanken, ob eine ähnliche freudlose Zukunft, auch so ein lebendiges Begrabensein in einem weltentrückten Pfarrhause auch ihm bevorstehe:

Ninon, Ninon, que fais-tu de la vie?
Comment vis-tu, toi qui n'as pas d'amour?

Das Kind aber vermißte einstweilen nichts, auch nicht als es zu groß geworden war, um mit den Bauernkindern zu spielen. Es hatte ein andres Spiel liebgewonnen, das Kneten und Formen kleiner Figuren, wozu ein paar Porzellanpüppchen in Rococotracht, die die Mutter besaß, sie angeregt hatten. Die suchte sie erst nachzubilden, mit geknetetem Brod, Wachs oder grobem Lehm, was ihr gerade unter die Hände kam, bis die Mutter, die sie um diesen vom Großpapa ererbten Kunsttrieb anstaunte, aus dem benachbarten Städtchen ihr einen Haufen Thon von einem Töpfer kommen ließ. Nun verbrachte das Mädchen alle freien Stunden des Tages mit freilich noch sehr unbehülflichen Modellierversuchen, die selbst der Vater ihr hingehen ließ, als sie seine eigene Büste zu Stande gebracht hatte, so ähnlich, daß das ganze Dorf zusammenlief, den Herrn Pastor mit seinen hinter die Ohren gekämmten Haaren und glatten Bäfschen zu bewundern.

Sie selbst fühlte aber bald, daß dies alles nur ein höheres Kinderspiel sei und bleiben werde, wenn sie nicht Gelegenheit hätte, Ernst damit zu machen und sich bei einem Künstler in die Lehre zu geben. Davon wollte der Vater nichts wissen. Er hätte sie dazu müssen nach Berlin gehen lassen, das er sich mehr und mehr angewöhnt hatte als ein sündhaftes Babel anzusehen. Nun vollends in ein Bildhaueratelier, wo sie nach nackten Modellen hätte studieren müssen!

Die Mutter, nachdem sie sich umsonst in heftigen Scenen mit ihrem Mann herumgestritten hatte, umarmte weinend ihr unglückliches Kind und bestärkte sich nur in dem förmlichen Haß, den sie schon seit längerer Zeit auf ihren Kerkermeister geworfen hatte. Ninon sagte kein Wort und vergoß keine Thräne.

Von dem Augenblick an aber, sagte sie, rührte ich keins der Modellierhölzer mehr an, die ich mir selbst geschnitzt und geglättet hatte, und zerstörte alle meine Figuren und Köpfe, bis auf die Büste des Papa's. Ich wußte, daß ich für mich allein nicht weiterkam, und es widerstrebte mir, mit solchen Pfuschereien fortzufahren, da ich doch die Ahnung in mir trug, was eine wirkliche Kunstübung bedeute. In meinem stummen Trotz ging ich nun ganz müßig im Hause herum und zuckte nur die Achseln, wenn meine zärtliche Mutter mich kummervoll anblickte und ihr Sprüchlein recitierte: Ninon, Ninon, que fais-tu de la vie? Obwohl ich fast zwanzig Jahre geworden war und allerlei gelesen hatte, was von Liebe handelte, verstand ich doch gar nicht, warum es zu einem richtigen Leben gehören sollte, daß man geliebt hätte. Was ich bei meinen Eltern davon sah, machte mich durchaus nicht begierig, das auch an mir kennen zu lernen, und was an jungen Leuten, Söhnen von Gutsbesitzern oder Candidaten, die mit Papa verwandt waren, hin und wieder zu Besuch zu uns kam, konnte mir von der berühmten Liebe keinen besseren Begriff geben.

Dann sei eines Tages ein junger Artilleriehauptmann erschienen, der während der Herbstmanöver ein paar Tage im Pfarrhause einquartiert worden sei. Die Mutter sei gleich Feuer und Flamme für ihn gewesen und habe sich in seine treuherzigen blauen Augen und seinen blonden Schnurrbart verliebt wie ein Schulmädel, das für zweierlei Tuch schwärmt. Auch sie, Ninon, habe ihn ganz angenehm gefunden, sei aber doch erschrocken, als die Mama ihr mitgetheilt, der Herr Hauptmann habe ihr seine Leidenschaft für ihre schöne Tochter und die ernste Absicht, um sie zu werben, gestanden.

Sie habe sich erst entschieden geweigert, ihn zu erhören. Etwas in ihr habe sie gewarnt: was sie für ihn fühle, sei doch nicht jener Traum im Schlummer des Lebens, der nach dem Wort des Dichters es allein der Mühe werth mache, überhaupt zu leben. Nach drei Wochen aber sei der Freier wieder erschienen, da er Urlaub genommen hatte, um sie wiederzusehen. Er habe sich so ehrerbietig um sie bemüht, zu gleicher Zeit erkennen lassen, daß er nicht wisse, wie er es überleben solle, wenn sie ihm einen Korb gäbe, daß sie endlich aus purem Mitleid eingewilligt habe, obgleich ihr Herz in seiner Gegenwart um keinen Schlag wärmer geklopft hätte. Sie citierte mit einem wehmüthigen Lächeln das bekannte drollige Wort: Um ihn los zu werden, habe ich ihn genommen.

Den Ausschlag aber zu ihrem Entschluß gab der Gedanke, nun nach Berlin zu kommen und dort ein richtiges Studium in ihrer Kunst anzufangen. Das war auch die einzige Bedingung, sagte sie, die ich meinem Bräutigam stellte: ein Atelier müsse er mir einrichten und erlauben, daß zweimal in der Woche ein guter Meister meine Arbeiten ansähe und corrigierte.

Er war so verliebt, er hätte auch eingewilligt, mir Unterricht im Seiltanzen geben zu lassen.

*

All das erzählte sie mir auf einer Bank im Walde, wo wir nach einer gemüthlichen Wanderung ausruhten.

Es war mir sehr merkwürdig, wie sie ihre Erinnerungen vor mir auskramte, mit ganz unpersönlicher Gelassenheit, wie wenn sie aus dem Leben einer Andern erzählte. Keine Spur von sentimentaler Verschleierung der unerfreulichen Zustände und Charakterzüge, unter denen sie gelitten hatte, eine gewisse lieblose Nüchternheit, selbst wenn sie von ihrer Mutter sprach, deren Herzblatt sie doch gewesen war. Und so betrachtete sie auch das Verhältniß zu ihrem Manne mit der gleichen kühlen Ruhe, wie einen Fall, der sie weiter nichts anginge, als daß sie eben die Consequenzen ihres übereilten Entschlusses zu tragen hätte.

Natürlich, fuhr sie fort, war meine Mutter überglücklich und träumte für mich ein Leben, das an Allem Ueberfluß haben würde, was dem ihren fehlte. Ihr Schwiegersohn war jung, stattlich, wohlhabend, in einem Beruf, der ihn davor behütete, so einzutrocknen und zu verholzen wie ein Dorfpastor, und bei seiner schwärmerischen Liebe könne es nicht ausbleiben, daß auch ich in der Gleichgültigkeit, die ich gar nicht verhehlte, nicht lange neben ihm fortleben würde.

Die gute Mutter war eine schlechte Prophetin.

Ich habe irgendwo gelesen, fuhr sie fort, daß in jeder Ehe, jedem Liebesverhältniß immer nur der Eine liebt und der Andere sich lieben läßt. Wenn das richtig ist, so muß ich noch froh sein, daß ich nicht der liebende, sondern der geliebte Theil bin.

Wir waren kaum ein halbes Jahr verheirathet, und da ich endlich meine künstlerische Passion befriedigen konnte, lebte ich ziemlich zufrieden in der großen Stadt, wo mich auch sonst so viel Neues und Interessantes darüber hinwegtäuschte, daß in meinem Innern ein todter Fleck, eine leere Stelle war, die alle Zärtlichkeit meines Mannes nicht beleben konnte.

Da brachte man ihn mir eines Tages in einer Droschke nach Hause, sein Pferd wurde ihm nachgeführt. Er hatte einen Sturz gethan und sich das Rückgrat verletzt. Alle ärztliche Kunst war umsonst. Seitdem – es sind nun anderthalb Jahre – befindet er sich in dem Zustande, wie Sie ihn gesehen haben.

Wenn ich ihn nun so sehr liebte, wie er mich, wäre ich viel unglücklicher, einmal weil ich ein viel bittreres Mitleid mit ihm hätte, und dann – Sie begreifen – ich wäre mit meinem leidenschaftlichen Blut an einen Mann gekettet, der nur noch ein Scheinleben führt.

Dagegen wie es jetzt ist, kann ich ihm durch meine Gegenwart und Pflege so viel Glück geben, wie er überhaupt noch zu genießen fähig ist. Sein einziger stachelnder Gedanke ist die Furcht, ich möchte für das verscherzte Glück bei Andern Ersatz suchen. Aber er kann ganz ruhig sein. Was ich von der Liebe kennen gelernt habe, war nicht derart, eine Sehnsucht danach in mir zu nähren und mich, um sie zu stillen, meiner gelobten Pflicht abtrünnig zu machen. So werde ich vielleicht aus der Welt gehen, sans avoir vécu. – –

Sie werden begreifen, meine verehrten Freunde, daß all diese intimen Eröffnungen mir zugleich schmeichelhaft und betrübend waren. Ich mußte mir sagen, daß der Mann, dem eine Frau eine solche Beichte ablegt, in ihm so wenig einen möglichen Ersatz für das entbehrte Liebesglück sieht, wie in einem geistlichen Seelsorger. Fast aber war ich wieder froh, daß ihr selbst nicht der Gedanke kam, ich möchte in unsern vertraulichen Plauderstunden einmal den Kopf verlieren. Ich hatte einen solchen Hemmschuh meines armen Herzens sehr nöthig; wußte ich doch, wenn ich ihm einmal die Zügel schießen ließ, war's um das bischen Glück, sie anzuschauen und ihre Stimme zu hören, geschehen, und ich würde sogar auf diese Birne für den Durst verzichten müssen.

*

Darein habe ich mich denn freilich doch ergeben müssen, als ihre Kurzeit abgelaufen war. Ich will Sie nicht mit der Schilderung meiner Abschiedsschmerzen behelligen. Genug, ich bin acht Tage wie ein Besessener herumgerannt, und Gott weiß, wie lange dieser für einen Mann in meinen Jahren beschämende Zustand der tiefsten Erniedrigung noch gedauert hätte, wenn nicht Hülfe von außen gekommen wäre.

Ein Freund und Studiengenosse schrieb mir, ob ich nicht Lust hätte, an einer zum Zweck einer Tiefseeforschung ausgerüsteten Seereise theilzunehmen, die Jahr und Tag dauern sollte und vielleicht die ganze Erde umspannen würde. Der alte Spinoza behielt wieder einmal Recht: Eine Leidenschaft kann nur durch eine andere Leidenschaft bezwungen werden. Meine Passion für die niedere Thierwelt riß mich aus den Banden jener unglücklichen Liebe heraus. In vier Wochen war ich reisefertig und hatte die Charakterstärke, in Berlin nicht einmal an die Thür des Majors anzuklopfen und einen Blick in das Atelier zu thun, wo der Gegenstand meiner Träume mich jetzt vielleicht längst vergessen hatte.

Aus Jahr und Tag wurden zwei volle Jahre. Die Heilkraft der Seeluft sollte auch ich erfahren. Am Jahrestage meiner Verliebung trank ich eine Flasche Xeres auf das Wohl Ninon's, ohne daß mir noch ein Blutstropfen vom Herzen gefallen wäre.

Dann brachte ich ein drittes Jahr in Neapel zu, um in Dohrn's zoologischem Institut die Ergebnisse meiner Planktonsfischerei wenigstens vorläufig zu sichten und zu katalogisieren. Im Herbst fand ich es dann an der Zeit, mit der Universitätscarriere den Anfang zu machen und mich in Würzburg zu habilitiren.

In all den Jahren war mir von dem Leben und Treiben meiner alten Flamme nicht die geringste Kunde geworden.

*

Dann wachte aber eines schönen Frühlingstages, als alle Knospen sprangen, die lange begrabene alte Liebe plötzlich wieder auf. Es ließ mir keine Ruhe, bis ich auf der Eisenbahn saß und mit dem Schnellzug nach Berlin dampfte.

Den Vorwand boten einige Instrumenteneinkäufe für mein Laboratorium und das Bedürfniß, in den Sammlungen der Hauptstadt mich umzusehen. Dazu kamen mir die Pfingstferien gerade gelegen.

Vier Jahre lang hatte ich all meine Berliner Freunde vernachlässigt. Ich wußte nicht einmal, ob ich Ninon dort noch finden würde, frei, oder noch immer als barmherzige Schwester ihres armen Invaliden. Aber gleich am ersten Tage sollte ich Alles, was ich nur wünschen konnte, und noch einiges Unerwünschte dazu über sie erfahren.

Mein erster Besuch hatte einem Specialcollegen gegolten, dem ich für eine wohlwollende Recension meines letzten Buches zu danken hatte. Es war gerade der Geburtstag seiner Frau, und ich wurde freundlichst eingeladen, mich zu dem feierlichen Diner am selben Tage einzufinden. Es war ein kleiner Kreis von Familienangehörigen und einigen Hausfreunden versammelt, darunter ein alter Maler, der eben von der Ausstellung kam und lobend und scheltend sich darüber äußerte. Unter den Bildwerken hatten ihm besonders die Arbeiten einer Anfängerin Eindruck gemacht, ein paar sehr lebensvolle Portraitbüsten, in der Technik noch etwas unbeholfen, und vor Allem ein vielumstrittenes Werk, das »Frühlingstraum« betitelt war und einen träumend zurückgelehnten nackten Jüngling darftellte, nur mit dem halben Leibe, unten durch eine Draperie abgeschlossen, die gleichsam den Saum eines Leintuchs vorstellte. Ueber diese barocke Abgrenzung einer Halbfigur gingen die Urtheile der Kunstverständigen weit auseinander; der Ausdruck des schönen schlafenden Kopfes gab dann wieder den Laien Anlaß zum Streit, auch an diesem Geburtstagstische. Die Einen fanden ihn zu sinnlich, die Andern, darunter gerade ein paar ältere Damen, waren von der überirdischen Seligkeit dieses Traumlächelns geradezu hingerissen.

Das Herz klopfte mir, als ich nach dem Namen der Künstlerin fragte, obwohl ich keinen Augenblick zweifelte, welchen ich zu hören bekommen würde. Dabei fühlte ich einen seltsamen heimlichen Stolz, daß diese »Anfängerin«, die so viel Aufsehen machte, gerade die Frau war, die ich liebte, als wäre mir das eine Bestätigung, wie Recht ich hatte, sie so liebenswürdig zu finden.

Ich bekam aber noch Anderes zu hören, was dazu angethan war, meinen Stolz bedeutend niederzuschlagen.

Man sieht wieder einmal, sagte ein Bruder der Hausfrau, der Professor der Dogmatik an der Universität war, wie in einem bildenden Künstler Talent und Charakter nicht immer auf der gleichen Höhe stehen. Gerade eine geniale sinnliche Begabung, wie man sie ja dieser Frau nicht absprechen kann, verführt oft zu einer maßlosen sittlichen Ungebundenheit. Das wirkt dann auch auf das eigentliche Schaffen hinüber, und es entstehen Werke, die künstlerisch höchst vollendet, vom Standpunkt der Moral aber sehr anfechtbar sind.

Ich konnte nicht länger an mich halten, mußte mich aber sehr zusammennehmen, meine innere Erregung nicht zu verrathen.

Ich kenne diesen »Frühlingstraum« nicht, sagte ich, wohl aber bin ich vor Jahren mit der Künstlerin wochenlang zusammen gewesen und habe die edle Aufopferung und Pflichttreue bewundert, mit der sie sich der Pflege ihres schwerkranken Gatten widmete. Daß diese Frau nicht hoch über allem Gemeinen stehen sollte, kann ich mir nicht vorstellen.

Die Hausfrau, die den »Frühlingstraum« ebenfalls vertheidigt hatte, zuckte die Achseln.

Ich bin nicht engherzig, sagte sie, und denke vor allen Dingen, es wäre christlicher, seinem Nebenmenschen die Sorge für seine Sittlichkeit selbst zu überlassen. Aber diese Frau Ninon hat das Urtheil der Welt ein wenig gar zu sehr herausgefordert. Jene Pflichttreue, die Sie an ihr bewundert haben, ist ihr denn doch am Ende lästig geworden. Da hat sie ihren armen Mann, dem sie vor dem Altar gelobt hatte in guten und bösen Tagen bis an den Tod treu zu bleiben, in eine Anstalt transportiren lassen und, ehe er noch seinen letzten Athemzug gethan, eine Liaison mit einem jungen Diplomaten angefangen, die drei Jahre gedauert hat, ohne daß das Paar es nöthig gefunden hätte, ihr Verhältniß vor den Augen der Welt geheim zu halten. Gewiß, es wäre dadurch nicht löblicher geworden, aber die Rücksicht für den Mann hätte es jeder Andern doch nöthig erscheinen lassen. Nun, sie ist jetzt gestraft genug. Vor einem halben Jahr ist der Major gestorben. Nun hat man geglaubt, der Graf – ein reicher Livländer – werde sie heirathen. Er ist aber aus Berlin verschwunden und sie aus ihrem »Frühlingstraum« unsanft genug erwacht.

Sie können denken, wie schmerzlich mir diese Enthüllungen waren, auf die ich kein Wort der Vertheidigung erwidern konnte. Zum Glück ging das Gespräch auf andre Themata über, und ich konnte mich nach Tisch unter dem Vorwand dringender Geschäfte bald empfehlen.

Da es noch hell genug war, hatte ich nichts Eiligeres zu thun, als nach der Kunstausstellung zu fahren. Ich fand sogleich das Cabinet, wo Ninon's Arbeiten ausgestellt waren, und das Bild des träumenden Jünglings machte auch auf mich einen wundersamen Eindruck. Ich war nie ein sonderlicher Kunstkenner, damals noch weniger als jetzt, und so konnte ich den Werth der Arbeit nach der technischen Seite nicht beurtheilen. Aber die ungemeine Schönheit und Beseeltheit dieses jungen Kopfes, eben an der Grenze der reifen Männlichkeit, fesselte mich mit seltsam gemischten Empfindungen.

Es war mir sogleich klar: diese Züge waren nicht einer bloßen Phantasie entsprungen, sondern in Fleisch und Blut beobachtet und liebevoll nachgebildet. Es war nichts Anderes als das Porträt jenes jungen Grafen, den sie geliebt hatte. So hatte sie ihn gesehen, wenn er nach allem Liebesglück, das sie ihm gewährt, an ihrer Seite eingeschlummert war, noch von der Wonne träumend, dies herrliche Weib zu besitzen. Ein niedrig sinnlicher Zug, ein lüsternes Lächeln war es freilich nicht, was den halbgeöffneten Mund umspielte, über dem nur ein leichter Anflug von Bart zu sehen war. Und doch empfand ich es wie eine schamlose Entweihung heiligster Gefühle, daß sie das Bild ihres Freundes mit diesem Ausdruck dem Blick der Menge preisgegeben hatte, ganz zu schweigen von dem halbentblößten Leibe, dessen Formen allerdings den Vergleich mit jedem Apollino aushalten konnten.

Ich verließ die Ausstellung in sehr verstörter Stimmung. Nein, ich wollte sie nicht wiedersehen. Sie war eine Andere geworden, als sie im tiefsten Winkel meines Herzens fortgelebt hatte. Was konnten wir einander sein?

Am andern Morgen aber, mit derselben Ungeduld, mit der ich ihr in den Kissinger Wäldern entgegengegangen war, fuhr ich in einer Droschke nach Charlottenburg, wo dem Adreßbuch zufolge die Bildhauerin Ninon – ein anderer Name stand nicht dabei – ihre Wohnung und ihr Atelier hatte.

*

Das Haus, bei dem ich endlich anlangte, lag in einer der entlegensten Straßen. Der Portier wies mich in den kleinen Hof hinaus nach dem einstöckigen Hinterhäuschen, das »Madame Ninon« ganz allein bewohnte. Im Erdgeschoß nur das Atelier, daneben ein kleineres Cabinet, oben ihr Wohn- und Schlafzimmer.

Derselbe militärische Bediente, der den Rollstuhl ihres Mannes geschoben hatte, öffnete auf mein Anläuten. Die gnädige Frau habe gerade Modell, er wolle aber die Karte hineinbringen.

Gleich darauf öffnete sie selber rasch die Thür ihrer Werkstatt und ich hörte ihren Ruf: Sind Sie es wirklich? Das ist aber schön! Also haben Sie mich doch nicht ganz vergessen!

Sie ergriff meine Hand, indem sie sich lächelnd entschuldigte, es sei eine Bildhauerhand und sie habe sich nicht erst Zeit genommen, den Thon von ihren Fingern zu waschen. So zog sie mich durch das dunkle Entrée ins Innere, wo ich nun erst ihr Gesicht und ihre Gestalt deutlich wieder vor mir sah.

Es war wieder der alte Zauber, diese schwarzen Augen unter den dichten geraden Brauen, die kurze, feingebildete Nase mit den beweglichen bleichen Flügeln und der schwellende Mund, der jetzt lächelte und die schönsten Zähne vorschimmern ließ. Und doch war's ein anderes Gesicht, reifer, fester in den Umrissen, frauenhafter, nicht mehr das unbeschriebene Blatt von damals. Auch ihr Wuchs schien mir höher geworden, und doch auch voller und stolzer. Sie trug ein schwarzes, ganz faltenlos herabhängendes Kleid, mit einem Ledergürtel um die Hüften zusammengehalten, das ihre reizende Gestalt in jeder Bewegung ahnen ließ, nachdem sie erst den weißen Arbeitskittel abgeworfen hatte. Ueber ihr schwarzes Haar hatte sie ein rothes seidenes Tüchlein geschlungen, das bis an den dicken Knoten zurückgeglitten war und über den Nacken herabhing. Die vollen, edelgeformten Arme von gelblicher Elfenbeinfarbe wurden durch die Aermel vom Ellenbogen an frei gelassen.

Eine leichte Röthe stieg ihr ins Gesicht, als sie sah, wie unverrückt ich sie anstarrte. Dann lachte sie und sagte: In einem Künstleratelier giebt es doch noch andre Dinge zu betrachten als den Künstler selbst. Schauen Sie sich nur ordentlich um. Sie finden hier sämmtliche Werke der vorläufig noch unberühmten Bildhauerin Ninon, die aber doch wohl einige Fortschritte gemacht hat, seit – ach so, Sie haben ja nie meine ersten Stümpereien gesehen. Aber Sie waren hoffentlich auf der Kunstausstellung und haben über mich schimpfen hören. Nun sehen Sie, all die Büsten da – von jeder Arbeit habe ich einen Abguß aufbewahrt – haben wenigstens das Verdienst der Aehnlichkeit. Bis das, was ein Künstler mit dem inneren Auge steht, seinem Ideal ähnlich wird, braucht es viel Fleiß und Glück. Aber ich denke, ich bin auf dem rechten Wege.

Damit trat sie vor ein Thonmodell, an dem sie eben gearbeitet hatte, ein Knabe genau in der Stellung des Adorante, von dem ein Abguß nicht weit ab neben dem Fenster stand. Ein etwa dreizehnjähriger Junge stand, jetzt mit herabgesunkenen Armen, ihr gegenüber auf einem niederen Postament, offenbar sehr zufrieden mit der Unterbrechung seiner mühsamen Stellung durch meinen Besuch.

Zieh dich nur an, Fritz, sagte die Künstlerin. Für heute wollen wir aufhören. Und dort aus dem Tischkasten kannst du dir deine Apfelsine nehmen. Morgen wieder pünktlich um neun Uhr!

Der Knabe verschwand rasch hinter dem Wandschirm, wo die Modelle Toilette machten. Ninon aber sagte, indem sie mich vor ihre Arbeit führte: Sie verstehen, um was es sich bei dieser Studie handelt. Ich vergleiche die Lebensformen mit denen, die der alte griechische Meister an seinem Werk gebildet hat, indem er alles Kleinliche, Zufällige wegließ und jedes Glied auf den reizvollsten Ausdruck brachte. Mein Modell dahinten hätte freilich den Vergleich mit dem Griechenknaben, der zum Adorante posierte, nicht ausgehalten, obwohl er für einen Berliner Straßenjungen noch gut genug gewachsen ist. Aber wenn man sich Mühe giebt, sehen zu lernen und dabei ein bischen Anatomie studiert, kommt man doch endlich auch dahinter, was die Natur mit so einem Menschenleibe gewollt hat. Und ich bin jetzt so ziemlich auf mich selbst angewiesen. Von meinem alten Lehrer kann ich nicht viel lernen, und die großen Meister lassen sich zu Unsereinem nicht herab.

Indem kam der Knabe angekleidet wieder zum Vorschein, holte sich die Apfelsine und eilte hinaus.

Setzen Sie sich nun zu mir auf den Divan, sagte Ninon, und lassen Sie uns plaudern. Erlauben Sie, daß ich mir eine Cigarrette anzünde? Ich bin daran gewöhnt, zur Nervenberuhigung nach der Arbeit, hüte mich aber, es zur Passion werden zu lassen. Wie lange haben wir uns nicht gesehen! Vier ganze Jahre oder noch darüber! In dieser Zeit hat sich viel ereignet.

Ja, sagte ich, Sie haben die Zeit benützt, eine berühmte Künstlerin zu werden.

Sie rümpfte die Lippe. Berühmt? Sie wollten sagen: berüchtigt. Denn gestehen Sie nur: haben Sie nicht einen ganzen Haufen Klatsch über mich gehört? daß ich, statt meinen Mann zu Tode zu pflegen, ihn in eine Anstalt gebracht habe, um dann ungestört ein freies Leben zu führen, »ein Leben voller Wonne«, und daß mir das zuletzt schlecht bekommen sei, da mein Liebhaber mich im Stich gelassen habe?

Ich war so verblüfft, als sie mir das mit der ruhigsten Miene von der Welt ins Gesicht sagte, daß ich nicht die Geistesgegenwart hatte, zu leugnen, sondern nur antwortete: dergleichen hätte ich allerdings gehört, es aber nicht geglaubt.

Sie können es dreist glauben, versetzte sie, den Rauch ihrer Cigarrette durch ihre feinen Nasenflügel blasend, denn die Thatsachen sind wirklich nicht erfunden. Nur sehen sie ein bischen anders aus, wenn man weiß, wie es damit zugegangen.

Noch ein ganzes Jahr habe ich meinen armen Mann selbst behütet und gepflegt, hier in dieser Wohnung, obwohl es mich hart ankam, für mein Atelier kaum mehr als die Stunden zu haben, in denen ich in Kissingen mit Ihnen spazieren ging. Dann aber wurde sein Zustand immer kläglicher, sein Geist verwirrte sich mehr und mehr, er wurde heftiger, zuweilen bis zu Wuthausbrüchen, und als er in einer Nacht sich soweit vergessen hatte, mir Gewalt anthun zu wollen – nur mit Mühe konnte ich mich seiner erwehren – nun, da ging es nicht weiter hier im Hause. Ich mußte ihn in eine Anstalt für Unheilbare geben.

Eine Weile besuchte ich ihn noch. Daneben hatte ich genug zu thun, um ihn und mich zu erhalten, denn sein Vermögen war zum guten Theil aufgezehrt worden in der langen Krankheit. So machte ich denn Porträtbüsten, so gut oder so schlecht sie ausfallen wollten, und versagte mir zuweilen das Nöthigste. Von Niemand in seiner Familie wurde mir's gedankt. Freunde hatte ich nicht.

Oder doch: Einen Freund, einen jungen Livländer. Ich brauche Ihnen den Namen nicht zu nennen, das wird Ihre Berichterstatterin über meinen liederlichen Lebenswandel – natürlich war's eine Dame – schon besorgt haben. Dem war ich einmal im Museum unter den Antiken begegnet. Die Art, wie er die Statuen betrachtete, fiel mir auf. Wir kamen in ein Gespräch, er begleitete mich dann eine Strecke durch die Stadt, bis ich in eine Pferdebahn stieg, – und dann sahen wir uns öfter.

Wir hatten gleich gefühlt, daß wir für einander bestimmt waren, es uns auch bald gestanden. Aber solange mein Kranker noch bei Bewußtsein war, hielt ich ihm die Treue, die ich ihm gelobt hatte. Von dem Tage an, wo er mich nicht mehr erkannte, betrachtete ich ihn als einen Todten, an den gekettet zu sein keine heilige Pflicht mir gebieten konnte. Eine Scheidung war ja unmöglich nach unsern weisen Gesetzen. Da hielt ich mich an das Gesetz in meiner Brust, das mich für frei erklärte, und an die Mahnung meiner guten Mutter: Ninon, Ninon, que fais-tu de la vie? Et vous aurez vécu, si vous aurez aimé.

Ja, lieber Freund, es war eine wirkliche, große, beseligende Liebe. Ich könnte Ihnen lange davon erzählen, aber das würde Ihnen wenig Vergnügen machen. Uebrigens – Sie waren ja in der Ausstellung und haben den »Frühlingstraum« gesehen – da wissen Sie, was für ein reizender Mensch er war, nicht bloß äußerlich. Ich bilde mir ein, auch von seinem Innern etwas dem Marmor eingehaucht zu haben.

Daß die wenigen Bekannten, die ich durch meinen Mann bekommen hatte, sich von der »Ehebrecherin«, die so herzlos sich an einem Unglücklichen verging, zurückzogen, versteht sich von selbst. Wir waren auch in unserm Glück so leichtsinnig, nicht die Dehors zu wahren, auf die es in der bürgerlichen Gesellschaft vor allem ankommt. Wir fuhren zusammen aus, besuchten Theater und Concerte, zeigten uns mit ein paar Künstlern, die mir treu blieben, bei kleinen Abendpartieen in öffentlichen Localen, wodurch dem armen lebendig Todten in der Anstalt kein Kummer bereitet wurde, wohl aber den gestrengen Sittenrichtern, die nie etwas für ihn gethan hatten, ein entsetzliches Aergerniß.

Daß ich durch das Glück, das ich genoß, auch in meiner Kunst weiter kam und die Mittel erwarb, die theure Pension in jener Anstalt zu bezahlen und mich selbst anständig durchzubringen, ohne daß mein Freund mir dazu half, konnte ich freilich Niemand sagen. Mir selbst ist es noch immer ein Wunder, wie ich's fertig brachte, Bestellungen zu bekommen, da die Bildhauerei selbst der anerkannten Meister oft nur ein Hungergewerbe ist.

Und nun starb endlich mein armer Dulder. Ich war auch nach dem bürgerlichen Gesetz frei geworden.

Wir hatten uns immer auf dieses Ereigniß vertröstet, wenn wir davon sprachen, daß wir Mann und Frau werden wollten. Da aber legte das Schicksal sein grausames Machtwort ein. Der Vater meines Freundes, dem das Gerücht, sein Sohn lebe mit einer verheiratheten Frau, auch zu Ohren gekommen war, verweigerte entschieden seine Einwilligung. Paul war freilich majorenn. Er betheuerte mir, daß er sich auch gegen den Willen seines Vaters mit mir verbinden wolle, ungeachtet der Drohung des Alten, ihn zu enterben. Doch seine ganze Zukunft stand auf dem Spiel. Er hätte seine Carrière aufgeben, mit mir in größter Beschränkung leben und irgend einen unscheinbaren Beruf ergreifen müssen. Zu all dem war der liebe junge Thor bereit. Aber zum Glück behielt ich den Kopf oben und nahm das Opfer nicht an, eine heroische Handlung nach berühmtem Muster, werden Sie denken. Aber erst nachdem die Trennung vollzogen war, unwiderruflich, wenn auch mit viel Thränen und Herzblut, las ich die Kameliendame. Mein Freund wurde von seinem Vater auf sein fernes Gut abgerufen. Ich habe ihn seitdem nicht wiedergesehen, keinen Brief mit ihm gewechselt, nur durch die Zeitung erfahren, daß er eine Cousine geheirathet hat und in den russischen Staatsdienst eingetreten ist.

*

Die Cigarrette war ihr längst ausgegangen. Sie stand von dem Divan auf, strich sich das dicke Haar von der weißen Stirn und athmete tief auf. Ah! machte sie, wie das wohl thut, seinem Herzen zu folgen, auch wenn es uns ein Opfer auferlegt! Man hat ja keinen zuverlässigeren Freund und Gewissensrath. Nun mögen die Biederweiber die Nase rümpfen, daß er mich habe »sitzen lassen«, wie der Kunstausdruck ist. Was er mir war und noch immer ist, wiegt doch Alles auf, was die Meisten vom Leben zu kosten bekommen. Sie aber, wie ich Sie kenne, werden mir Ihre Sympathie darum nicht entziehen.

Liebe Freundin, sagte ich, Sie haben von Anfang an gewußt, wie es um mich steht. Ich brauche nicht zu betheuern, daß es in diesen vier Jahren damit nicht anders geworden ist. Wie sollte das nun geschehen, da ich erfahren habe, daß Sie inzwischen zweimal Wittwe geworden sind? Und nun stehen Sie vor mir, noch schöner und vornehmer und unwiderstehlicher, und ich, der ich inzwischen weder berühmter noch verführerischer geworden bin, muß es noch als eine Gnade ansehen, wenn Sie mir das alte Vertrauen beweisen, mich noch Ihren Freund nennen, der freilich auf eine Beförderung zu einer höheren Würde sich wohl keine Hoffnung machen darf.

Ich war thöricht genug, eine Antwort hierauf zu erwarten, die mir doch nicht jede Hoffnung abschnitte.

Sie meinte es aber zu ehrlich mit mir, um mich nur einen Augenblick in Illusionen zu wiegen. Sie streckte mir beide Hände entgegen und sagte mit einem innigen Ton und Blick: Ich darf Sie nicht täuschen, lieber Freund. Zum zweitenmal mich darein zu ergeben, daß ich in einer Ehe nur der Theil wäre, der sich lieben ließe, statt selbst zu lieben, könnte ich nie übers Herz bringen, jetzt zumal, wo ich erfahren habe, was es mit einer vollen Hingebung auf sich hat. Ich bin Ihnen herzlich zugethan; ich weiß, besser könnte ich nicht aufgehoben sein, als neben Ihnen, aber auch Sie würden sich auf die Länge mit einem halben Glück nicht begnügen. Auch stehe ich nicht dafür, daß nicht noch einmal mein Herz mit mir durchgehen würde, so wie das erstemal. Das wäre dann entsetzlich für uns Beide. Darum – so gern ich Sie öfter sähe – zu Ihrem eigenen Besten bitte ich Sie, mich nicht mehr zu besuchen. Ich könnte mich nicht ändern, und es wäre mir ein Kummer, Ihnen wehthun zu müssen.

Sie hatte meine Hände an sich gezogen, nun ließ sie sie frei, faßte meinen Kopf und drückte mir einen raschen Kuß auf die Stirn. Dann nickte sie mir mit einem unbeschreiblich holden Blicke zu und verschwand durch die Thür, die in das Nebenzimmer führte.

*

Nachdem ich auf diese freundlich-erbarmungslose Art meinen definitiven Abschied bekommen hatte, hielt mich nichts mehr in Berlin, da alles Andre nur ein Vorwand gewesen war.

Ich kehrte am dritten Tage nach diesem Besuch in mein Würzburger Junggesellenquartier zurück und bemühte mich nach Kräften, zum bösen Spiel gute Miene zu machen. Die wissenschaftlichen Passionen wollten diesmal ihre frühere Heilkraft nicht wieder bewähren. Ich versuchte es auf andre Art, mischte mich in die Gesellschaft, ließ die jungen Damen, die für ein verwundetes Herz allenfalls einigen Balsam bereit hielten, Revue passieren, schürte eifrig jedes zärtliche Fünkchen, das in mir aufglimmen wollte, und erkannte schließlich, daß Alles vergebens war.

Dabei klang mir der melancholische Refrain beständig im Ohr:

Comment vis-tu, toi qui n'as pas d'amour?

Ich lebte freilich, aber fragt mich nur nicht, wie? Auch das bischen Anerkennung, das meine Arbeiten fanden, waren kein Ersatz für das, was mir fehlte, so wenig wie die außerordentliche Professur, zu der ich nach drei fleißigen Jahren befördert wurde.

Von meiner »Freundin« hatte ich nichts mehr gehört. In der Würzburger Gesellschaft wurde nicht von Kunst gesprochen, so daß die alte Liebe, wenn sie hätte rosten wollen, die schönste Muße dazu gefunden hätte.

Es stand aber in den Sternen geschrieben, daß es dazu nicht kommen sollte.

In den großen Ferien fühlte ich einmal wieder das Bedürfniß, auszuspannen, zumal meine Augen nach dem angestrengten Mikroskopieren dringend einer Ruhezeit bedurften.

Ich reis'te also nach der Schweiz und wollte eine lange Fußwanderung durch das Oberland machen. Als ich Abends in Zürich ankam und vor dem Hôtel aus dem Omußibus stieg, – wer schritt da eben die Stufen herab in ein leichtes Herbstmäntelchen gehüllt, ein bleiches, noch jugendliches Gesicht, aus dem mich zwei schwarze Augen mit freudiger Ueberraschung anglänzten?

Mir stockte der Athem, als sie mich beim Namen rief und mir die Hand entgegenstreckte. Und doch, die Freude war größer als der Schrecken. Da stand sie wieder vor mir, ganz so reizend wie je, nein, noch viel verführerischer nach der langen Zeit, in der ich mich manchmal vergebens bemüht hatte, mir ihr Gesicht mit allen seinen Zügen ins Gedächtniß zurückzurufen.

Was starren Sie mich so an wie ein Gespenst? sagte sie lachend. Bin ich so gealtert, daß Sie Mühe haben, mich wiederzuerkennen?

Ich stammelte etwas Ungeschicktes vom geraden Gegentheil und hielt immer noch ihre Hand, die sie mir auch nicht entzog.

Schade, daß Sie sich erst ein Zimmer suchen und auspacken müssen, versetzte sie. Wir könnten sonst gleich einen unsrer hübschen alten Spaziergänge machen. Oder kämen Sie doch gleich mit, wie Sie gehen und stehen? Sie können es dreist wagen. Ihr Touristenkostüm kleidet Sie sogar viel besser als der langweilige Berliner Visitenanzug. Wie hübsch vom Zufall oder der Vorsehung, daß sie Sie mir hier gerade in den Weg geführt hat! Denn ich sitze hier schon seit drei Tagen und warte, die nervenangreifendste Beschäftigung, die es geben kann. Nun sind wenigstens Sie gekommen!

Das »wenigstens« klang nicht sehr schmeichelhaft. Aber die übermüthige Heiterkeit, die ihr dabei aus den Augen leuchtete, stand ihr so entzückend, daß ich mich nicht weiter gekränkt fühlte.

Indessen konnte ich mich nicht enthalten, indem ich ihr meinen Arm bot und sie die Straße am See hinunterführte, zu fragen, worauf oder auf wen sie denn warte?

Auf einen guten Freund, mit dem sie die Reise nach Rom fortsetzen wolle. Dort gedenke sie den nächsten Winter zu bleiben, und vielleicht noch eine Weile länger. Es sei ihr ein großes Glück begegnet, sie habe den Auftrag bekommen, ihre große Gruppe Amor und Psyche in Marmor auszuführen, das wolle sie nun in Rom thun, der Block dazu sei schon in Carrara bestellt, und daran, wenn es gelänge, würden sich wohl noch andre Bestellungen knüpfen. Wenn sie sich vorstelle, endlich etwas nach ihrem Herzen arbeiten zu dürfen und dazu im heiligen Rom, nicht in ihrem dumpfen Hinterhäuschen in Charlottenburg – es mache sie ganz schwindlig vor Glück. Sie erwarte, daß ich, ihr ältester Freund, ihr recht feierlich dazu gratuliere.

Man sah ihr wirklich das Glück in jedem Zuge ihres Gesichts, in jeder ihrer raschen Bewegungen an. Sie schien ordentlich verjüngt und mir gegenüber viel zärtlicher und anschmiegender.

Doch war etwas in mir, das mich vor allen neuen Täuschungen warnte.

Wer ist denn der gute Freund, der das Glück haben soll, Ihren Reisemarschall zu machen?

Sie nannte einen mir ganz unbekannten Namen.

Freilich können Sie noch nichts von ihm gehört haben, setzte sie rasch hinzu. Er ist erst vierundzwanzig Jahre alt, ein eben erst aus dem Ei gekrochener junger Adler, der aber schon die kühnsten Flüge wagt. In Berlin hat er zum erstenmal ausgestellt und gleich das größte Aufsehen gemacht.

Als Landschafts- oder Historienmaler?

O, er malt Alles. Das richtige Genie ist nie Specialist. Nun hat er noch ein großes Altarbild für eine rheinische Kirche an Ort und Stelle fertig zu machen, dann holt er mich hier ab. Einstweilen sitze ich hier still und lerne Italienisch.

Und – in Rom soll dann die Hochzeit stattfinden?

Ich erschrak selbst über diese meine Frage, die so wenig durch das, was sie mir bis jetzt mitgetheilt hatte, motiviert schien, in meiner hellseherischen Eifersucht aber nur allzu guten Grund hatte.

Sie lachte ein wenig gezwungen auf.

Wo denken Sie hin, lieber Freund! Ihn heirathen, der ganze sechs Jahre jünger ist als ich? Und einstweilen bin ich noch gar nicht in ihn verliebt, das heißt in den Menschen, denn sein Talent bewundere ich leidenschaftlich. Nein, vor einer solchen Thorheit werde ich mich hüten. Auch wenn er mich liebte, wovon gar nicht die Rede ist, – ich weiß, daß Künstler mit dem besten Willen nicht treu sein können. Ihre von Beruf wankelmüthigen Augen lassen es nicht zu. Und dann wäre ich an ihn gebunden und – nein, nein, es wäre die bare Tollheit. Auch ist er nicht einmal schön, ein wenig kleiner als ich, ein bartloser blonder Jüngling, der wie ein Primaner aussieht, bis auf die Augen, aus denen blitzt ein ganzer Mann. Aber sprechen wir nicht weiter davon. Ich weiß ja doch, ich mag sagen was ich will, Ihre eifersüchtige Seele saugt aus Allem Gift. Oder sind Sie jetzt zur Vernunft gekommen? Haben Sie endlich unter den Professorentöchtern diejenige gefunden, die Ihnen eine befriedigende Antwort giebt auf die Frage: que fais-tu de la vie? Noch immer nicht? Wissen Sie was? Werfen Sie die Bücher einmal für ein halbes Jahr beiseite und kommen Sie mit nach Rom. Da helfe ich Ihnen bei der Suche nach einer Frau, und nebenbei erweisen Sie mir den Dienst, als Tugendwächter mir zur Seite zu bleiben und zu verhüten, daß mein Ruf, an dem freilich nicht mehr viel zu verderben ist, noch schlechter werde, wenn ich mit meinem jungen Genie allein durch die Welt streife.

Ich bemühte mich, auf diesen munteren Ton einzugehen, was nicht zum besten gelang. Mein prophetisches Gemüth ließ sich nicht beschwichtigen, ich fand meine Ahnungen gerade durch die ungewöhnliche Lustigkeit Ninon's bestätigt, da ich mich des Sprüchleins der alten Pfalzgräfin Liselotte besann: Nichts macht lustiger als neue Liebe.

Und so ließ ich mich auch durch alles Bitten und Schmeicheln der Freundin nicht bewegen, länger als eine Nacht in Zürich zu bleiben und als ein Lückenbüßer ihr die Wartezeit zu vertreiben. Am nächsten Morgen in aller Frühe fuhr ich über den See, um dann meine Wanderung anzutreten.

Sie werden begreifen, daß dies Wiedersehen mir die Stimmung gründlich verdorben hatte. An den herrlichsten Punkten, wo ich sonst in einsamem Entzücken die Pracht der Bergwelt bewundert hätte, drängte sich mir das Bild der schönen Verderblichen dazwischen, an ihrer Seite der »junge Adler«, der sich kein Gewissen daraus machen würde, sich diese reizende Beute anzueignen.

So verlief mein Ferienausflug unerquicklich genug. Ich war endlich froh, als ich wieder in meinem Arbeitszimmer saß und den schwülen Kopf in die Bücher vergraben konnte.

*

Ein Jahr blieb ich noch in Würzburg, dann erhielt ich den Ruf nach Straßburg, wo ich ebenfalls meine fruchtlosen Bemühungen, im Kampf gegen die alte Liebe eine junge Bundesgenossin zu finden, fortsetzte. Als man dann nach vier Jahren mich in Berlin haben wollte, trat ich meine hiesige Professur noch so unverheirathet an wie je, jetzt aber in der That durch die Jahre hinlänglich abgekühlt, um kein Wiederauflodern des alten Brandes fürchten zu müssen.

Ob ich Ninon hier finden würde, wußte ich nicht einmal, beeilte mich auch nicht, mich nach ihr zu erkundigen. Erst mehrere Monate nach meiner Uebersiedelung, an einem müßigen Nachmittage, befragte ich nach ihr das Adreßbuch. Richtig, sie war wieder da und wieder in ihrer alten Wohnung.

Es war im Hochsommer, ein besonders heißer Tag, als ich zu ihr hinaus fuhr. Der Portier erkannte mich und nickte vertraulich, als ich fragte, ob Frau Ninon im Atelier sei. In das Höschen vor dem Hinterhause schien die grelle Sonne, die mageren Oleanderbüsche in den vier Ecken standen in voller Blüte, Spatzen lärmten auf der Mauer, die den Hof abschloß, die Thüren des Erdgeschosses standen beide offen, wohl um die Wärme in den nach Norden gelegenen Raum der Werkstatt einzulassen. So konnte ich, ohne Geräusch zu machen, bis an die Schwelle des Ateliers gelangen, da aber hielt ich an. Denn das lieblichste Bild zeigte sich mir im Innern: Ninon in einem leichten Sommerkleide auf dem Divan hingestreckt, in tiefen Schlaf versunken, während sie ein ebenfalls schlafendes schönes nacktes Knäbchen von etwa vier Jahren an ihrer Brust hielt, noch im Schlaf den einen nackten Arm um das weiche Körperchen geschlungen.

Ich weidete mich in stummem Entzücken an diesem Anblick und überlegte eben, ob ich mich auf den Zehen zurückschleichen sollte, als sie plötzlich die Augen aufschlug und mich gewahr wurde, doch noch wie unsicher, ob es nicht eine Traumgestalt sei, was dort auf der dunklen Schwelle stand. Im nächsten Moment hatte sie sich behutsam aufgerichtet und den Finger an die Lippen drückend, mit einem Blick auf das schlafende Kind sich ihm entwunden und auf ihre Füße gestellt.

Sehen Sie, wie der süße Balg daliegt und ruhig weiterschläft! sagte sie flüsternd. Ist es nicht ein Prachtjunge? Seit ich ihn habe, studiere ich bloß noch nach ihm und modelliere Putten in allen möglichen Stellungen, und immer ist es mir ein Schmerz, wenn die Kunsthändler mir ein oder das andere Conterfei meines Lieblings fortschleppen. Aber freilich, wenn ich sie alle im Atelier behielte, könnte das Original in Fleisch und Bein Hungers sterben. Nein, sehen Sie nur, wie er eben jetzt wieder sich herumgewälzt hat, daß nun alle Grübchen auf dem runden kleinen Rücken hervortreten! Aber ich muß ihn ein bischen zudecken. So luftgewohnt er ist, im Schlaf möcht' es ihm doch zu kühl werden.

Sie warf eine leichte seidene Decke über das Kind und reichte mir dann erst die Hand. Welcher gute Wind hat Sie hergeführt, lieber Freund? sagte sie mit ihrem freundlichsten Lächeln. Ach richtig, ich las in der Zeitung, daß Sie als Professor herberufen worden sind. Ob er mich wohl aufsuchen wird? dacht' ich. Als dann Woche auf Woche verging, gab ich die Hoffnung auf und legte mir Alles zurecht, wodurch Sie abgehalten worden seien. Natürlich wird man Ihnen gleich nach Ihrer Ankunft die große Neuigkeit mitgetheilt haben, daß ich vor Jahr und Tag aus Rom zurückgekehrt sei, aber nicht allein, sondern mit so einem kleinen Anhang, einem Kinde, zu dem ich keinen Vater mitgebracht hätte. Das wäre allenfalls zu verzeihen gewesen. In den besten Ständen, die sehr strenge moralische Grundsätze haben, soll dergleichen vorkommen, nur daß man dort nicht die Stirn hat, zu einem solchen Sündenfall sich offen zu bekennen, statt in tiefster Zerknirschung einen dunklen Winkel zu suchen, wo man seine »Schande«, die dann keine mehr ist, verbergen kann. Daß ich meinen holden Jungen hier im Atelier herumspielen ließ und wenn Jemand fragte: wem gehört das schöne Kind? meinen Mutterstolz nicht verhehlte, das war erst die eigentliche Todsünde. Daß Sie mich davon absolviert haben, lieber Freund, dank' ich Ihnen aufrichtig und bitte Ihnen ab, daß ich nur einen Augenblick an Ihnen zweifeln konnte.

Ich ließ sie bei dem Glauben, ich hätte von dem Kinde reden hören. Ich war aber doch etwas befangen und fragte nur, ob es in Rom zur Welt gekommen sei.

Natürlich, und ich solle nur nicht denken, daß sein Vater es hätte verleugnen wollen. Er habe, noch ehe es das Licht erblickt, ganz ernstlich ihr zugeredet, sich mit ihm trauen zu lassen. Sie aber habe nichts davon hören wollen. Nein, in ihrer Anschauung habe das Erscheinen des Kindes nichts an der Lage geändert. Es sei ihr noch ebenso thöricht wie vorher erschienen, einen so viel jüngeren Mann zu heirathen, zumal sie wohl bemerkt habe, daß ihm Andere gefährlich geworden seien, eine rothblonde Amerikanerin zum Beispiel, deren Porträt er gemalt, und ein Mädchen aus Albano, die er nicht müde wurde, in immer neuen Stellungen zu studiren. Sie habe einsehen müssen, wenn sie seine Frau würde, nun doch in diesem Verhältniß den Nachtheil zu haben, daß sie die Liebende sei und er sich lieben lasse. So habe sie sich freundschaftlich mit ihm ausgesprochen, ihm für die schönen, glücklichen zwei Jahre gedankt, die er ihr gegönnt, und dann ihr Bübchen aufgepackt und Rom den Rücken gewandt.

Was sie hier in dem strenggesinnten Berlin erwartet, habe sie sich keinen Augenblick verhehlt. Aber sie sei mit offenen Augen in ihr Schicksal hineingerannt und beklage sich durchaus nicht. Sie wisse, daß manche kinderlose Ehegattin sie heimlich um dies Kind der Liebe beneide. Ihre sogenannte »Ehre«, um die sie sich gebracht, werde ihr durch ein einziges Lächeln ihres Vittorio aufgewogen.

*

Sie können wohl denken, daß es mir keinen Augenblick einfiel, mich in eine Discussion über öffentliche und private Moral einzulassen. Ich wußte ja längst, daß sie kein – wenn ich es so nennen darf – sociales Gewissen besaß, das sich nach der alten Kantischen Forderung gerichtet hätte: bei jeder Handlung zu fragen, ob sie zur Richtschnur für das sittliche Betragen eines Jeden werden könne. Doch schien sie zu fühlen, daß ich das Recht, sich auf ihre Selbstherrlichkeit zu berufen, gerade in diesem Fall gewisser Consequenzen wegen für bedenklich hielt.

Sie sind nicht ganz mit mir zufrieden, lieber Freund, sagte sie. Aber was wollen Sie? Muß nicht Jeder die Dinge mit den Augen ansehen, die er im Kopfe hat? Wenn mir mein Nachbar die seinigen leihen würde, würde ich dadurch nicht in Zwiespalt gerathen mit Allem, was ich von früh an gedacht und gethan und meiner Natur angemessen gefunden habe? Solange ich mit mir selbst im Einklang bin, kann es mir sehr gleichgültig sein, ob das große Publikum das Liedchen, das ich singe, applaudiert oder auszischt.

Aber Sie sollen alle Freiheit haben, mitzuzischen. Sagen Sie mir nur gerade heraus, daß Sie mich aufgeben müssen, und wir trennen uns in aller Freundschaft.

Ich versicherte sie, daß ich dessen nicht fähig sei. Darüber wachte das Kind auf, und wie es seine großen dunklen Augen auf mich richtete und zu der Mutter hinaufstrebte, hatte es im Nu mein Herz gewonnen. Ich begriff nicht, wie sein Vater nicht Alles daran gesetzt hatte, das Widerstreben der Mutter gegen eine eheliche Verbindung zu besiegen und sich die Rechte auf dies liebliche Bürschchen für alle Zeiten zu sichern. Obwohl meine alte tolle Leidenschaft wirklich abgekühlt war, – wenn sie nur entfernt eine Miene danach gemacht hätte, hätte ich mich keine Minute besonnen, noch jetzt um die Wittwe dreier Männer anzuhalten.

Dazu aber ließ sie es ein für allemal nicht kommen.

Sie behandelte mich nach wie vor wie ihren besten Freund, ihren brüderlichen Kameraden, vor dem sie kein Geheimniß hatte. Ihre andern Freunde und Bekannten, etliche Künstler und Künstlerinnen, gaben mir zu erkennen, daß sie mir ebenfalls diese und keine andere Charge in Ninon's kleinem Hofstaat zuerkannten. Es waren alles angenehme, gescheite, talentvolle Leute, kein Einziger darunter, dessen Umgang ein übles Licht auf meine Freundin hätte werfen können. Manchmal lud Ninon uns Alle – etwa acht oder zehn – zu kleinen Soupers bei sich ein. Es ging dann, was die Bewirthung betrifft, so echt römisch zu, wie es in Berlin nur irgend zu beschaffen war, und der etwas zweifelhafte Chianti erschien in einem authentischen Stroh-Fiasco. Ein junger Bildhauer sang neapolitanische Gassenhauer zur Mandoline, und man zündete sich seine Cigarre an einem der drei Flämmchen einer römischen Messinglampe an. Kein Zug von Bohème, ein munteres Geplauder, das sich manchmal in sehr ernsthafte ästhetische Debatten verstieg. Um Elf war Polizeistunde. Die Hausfrau ergriff dann die Lampe und ging ihren Gästen voran, Alle auf den Zehen, in das Nebenzimmer, um dem schlafenden Knaben noch ein Felice notte zuzuflüstern und sich an seinem Raffaelischen Lockenkopf zu erbauen.

Ich konnte begreifen, daß diese Art Geselligkeit sie vollauf dafür entschädigte, sich allen Familienverkehr verscherzt zu haben.

Das dauerte so Jahr und Tag. Ich hatte es längst aufgegeben, die Partei meiner Freundin zu nehmen, wenn über ihren Lebenswandel gelästert wurde. Daß ich es besser wußte, behielt ich für mich; es wäre umsonst gewesen, dafür einzutreten, daß Eines sich nicht für Alle schicke. Und wie sicher sie in ihrer entschiedenen Empfindung das Eine, was ihr Noth that, ergriffen hatte, zeigte sich auch in ihrem Schaffen, das sich immer freier und größer entfaltete. Sie war dabei auch gar nicht auf den Erwerb bedacht, so daß es ihr manchmal knapp ging. Doch litt sie nicht, wenn ich es merkte, daß ich ihr zu Hülfe kam, wie sie auch von Vittorio's Vater, der mehrmals eine größere Summe an sie schickte, nicht einen Heller annahm. Ein paar Kinderporträts »für die Küche«, zu denen sie sich verstand, halfen ihr dann wieder aus der Verlegenheit, und sie hatte überhaupt keine Luxusneigungen, nur daß sie den Knaben stets aufs Zierlichste kleidete und ihm jeden Wunsch gewährte.

Dann aber mußte sie das Entsetzliche erleben: das Kind wurde während einer Scharlachepidemie hingerafft.

Ein paar Monate lang blieb sie nach diesem Schlage für alle ihre Freunde und Bekannten unsichtbar. Als ich sie dann zum erstenmal wieder besuchen durfte, fand ich sie äußerlich scheinbar unverändert, bis auf ihr ergrautes Haar, das aber als ein neuer coloristischer Contrastreiz zu dem noch immer nicht gealterten Gesicht erschien. Wir sprachen kein Wort von ihrem Schicksal; sie führte mich nur vor eine Gruppe, die in Thon modellirt fast fertig in ihrem Atelier stand, eine weibliche Figur, die in einer großartig stillen Geberde des Schmerzes auf ein entschlafenes Kind in ihrem Schooße blickte, eine Pietà der ergreifendsten Hoheit.. Eine Weile standen wir davor, ohne zu sprechen. Dann verhüllte sie das Werk wieder mit nassen Tüchern und sagte nur: Es soll auf den Friedhof. Erst aber muß ich sehr fleißig sein, die Kosten für den Erzguß zusammenzubringen. Wenn Sie jemand wissen, der sich büsten lassen will – mi raccomando.

*

Ich that das Meinige, ihr Arbeit zu verschaffen, und hatte auch einigen Erfolg, selbst in den Universitätskreisen. Ein paar Jubilare, deren Büsten ihnen gewidmet werden sollten, kamen zu den Sitzungen in Ninon's Atelier. Ihre persönliche Anmuth und Vornehmheit that das Ihrige, das Vorurtheil gegen sie zu mildern. Auch hatte der Tod des Knaben die Herzen der Tugendrichterinnen sanfter gestimmt, so daß ich ernstlich daran dachte, nun könne vielleicht auch die Schranke fallen, die sie von der sogenannten guten Gesellschaft trennte.

Es bot sich eine passende Gelegenheit dazu, eine künstlerische, musikalisch-declamatorische Veranstaltung zu einem wohlthätigen Zweck. Auch lebende Bilder sollten gestellt und mit Gesang begleitet werden, und da die Frau meines Specialcollegen mit im Comité war, dachte ich meine Freundin als künstlerische Gehülfin dazu vorzuschlagen. Die gute Professorin hatte auch kein Bedenken, obwohl eine Consistorialräthin den Vorsitz hatte.

Ninon aber weigerte sich mit ihrer gewöhnlichen ruhigen Entschiedenheit.

Es geht nicht, sagte sie, ich würde doch zu fühlen bekommen, daß ich in diesem streng sittlichen Kreise nur geduldet werde. Es sind eben zwei getrennte Welten, drüben die Welt der Convention und des Scheins, hüben die Forderung, nur nach eigener Façon selig zu werden, damit aber vollen Ernst zu machen. Das sind unversöhnbare Gegensätze, und jeder Versuch von Ihrer Seite, mich drüben zu Gnaden annehmen zu lassen, würde nur Sie selbst compromittieren.

Dabei blieb es denn.

Aber wäre es nur auch bei allem Anderen geblieben, was dieser merkwürdigen Frau ihre innere Ruhe und die Harmonie ihres Wesens sicherte. Damit aber sollte eine tragische Wandlung geschehen.

*

Sie war wieder etwas heiterer und lebensmuthiger geworden. Ein paarmal hatte sie sogar ihre Freunde des Abends wieder zu sich eingeladen, manchmal ein Concert oder ein Theater besucht. Nur lachen hörte man sie kaum mehr, und zuweilen versank sie mitten in einer lebhaften Unterhaltung in ein geistesabwesendes Brüten.

Als aber der Winter vergangen war, blühte sie ordentlich wieder auf, so daß man ihre fünfunddreißig Jahre ihr nicht ansah.

So fand ich sie eines Nachmittags in dem Höfchen vor ihrem Atelier. Sie hatte sich ein paar Stühle in einen sonnigen Winkel getragen und saß dort mit einer ihrer vertrauteren Freundinnen, eine Cigarrette rauchend. Ich mußte mir auch einen Stuhl holen, und das Gespräch, bei dem ich sie betroffen hatte, wurde fortgesetzt.

Die Malerin war ganz erfüllt von dem Eindruck, den ein berühmter Sänger, der damals im Opernhause gastierte, auf sie gemacht hatte. Es sei ein unwiderstehlicher Mensch, sie begreife, daß er wegen seines Glücks bei den Frauen berühmt sei, eine dämonische Macht leuchte ihm aus den Augen, und jede Bewegung kündige die siegreiche Gewalt an, die er über alle Herzen habe.

Ich würde nicht »Herzen« sagen, versetzte Ninon ruhig. Ich habe ihn auch gehört, als Tannhäuser, aber mein Herz ist ungerührt geblieben, wenn er auch auf meine Sinne, zumal mein Ohr, gewirkt hat. Denn was meine Augen sahen, war nichts weniger als »unwiderstehlich«, ein Gesicht, das zwar regelmäßige Züge, aber einen Ausdruck von Rohheit hat, und seine Art, sich zu bewegen, eher brutal. Die Frauen, die für ihn schwärmen, sind von der Sorte, die vom Manne nur Sinnenrausch verlangen. Und seitdem ich vollends gehört habe, daß er zweimal verheirathet war und jedesmal seine arme Frau durch seine Untreue und rohe Behandlung zur Verzweiflung getrieben hat, bis sie die Scheidung beantragte, ist der Zauber dieses »dämonischen« Menschen für mich völlig verschwunden, und er erregt mir einen solchen Abscheu, daß ich ihn in keiner zweiten Rolle hören und sehen möchte.

Ich wurde um mein Urtheil befragt, hatte aber den berühmten Rattensänger noch nicht gesehen und versprach, das baldigst nachzuholen.

Als ich das nächste Mal zu Ninon kam, mußte ich ihr beipflichten. Der berühmte Herzenbrecher war auch mir eher abstoßend als anziehend erschienen. Und denken Sie, sagte Ninon, er hat bei mir anfragen lassen, ob ich seine Büste machen wolle. Ein reicher Musikenthusiast wünsche sie zu besitzen und habe ihm die Wahl des Künstlers freigestellt.

Da werden Sie ja ganz in der Nähe studieren können, was ihn so unwiderstehlich macht, scherzte ich.

Ich habe sagen lassen, daß ich keine Zeit hätte, versetzte sie. Er soll sehen, daß er nicht überall seinen Willen durchsetzen kann.

Wir sprachen dann von Anderem, und die Sache kam mir ganz aus dem Sinn. Ich war gerade in eine schwierige Arbeit vertieft, mikroskopierte Tag und Nacht, und über vierzehn Tage vergingen, ehe ich zu einem Besuch bei meiner Freundin wieder einmal Zeit fand.

Es war in einer Abendstunde, wo ich meiner angegriffenen Augen wegen Schicht machen mußte. Ich hatte wohl dreimal an der Thüre des Ateliers anzuklopfen, ehe von drinnen eine Stimme, die mir ganz fremd klang, herausrief, wer da sei. Auch als ich meinen Namen genannt hatte, wurde nicht gleich geöffnet. Endlich hörte ich den Riegel zurückschieben, und die Thüre ging langsam auf. An der Schwelle stand Ninon in einem dunklen Kleide, so viel ich in der Dämmerung sehen konnte, mit nachlässig aufgestecktem Haar, ohne die gewohnte Sorgfalt in ihrer ganzen Erscheinung, auf die sie selbst bei der Arbeit zu halten pflegte.

Sie sind es! sagte sie mit einer etwas heiseren Stimme. Ich bedaure, ich kann Sie nicht empfangen – ich bin nicht ganz wohl – ein andermal. Adieu!

Sie zog die Thüre wieder zu, ohne mir nur die Hand gereicht zu haben. So sehr mich das befremdete, ich mußte mich wohl darein ergeben. Als ich aber schon das Höschen halb durchschritten hatte, hörte ich, wie die Thür noch einmal geöffnet wurde und die Stimme, jetzt etwas heller, mir nachrief: Nein, kommen Sie nur, ich habe mich anders besonnen – es ist ja doch alles eins – früher oder später – was liegt daran? Sie wissen nun einmal, daß ich Ihnen nichts vorenthalten kann – und vielleicht thut es mir auch gut, einmal Alles vom Herzen zu wälzen.

So ließ sie mich bei sich eintreten.

*

Durch das breite Atelierfenster fiel ein Schimmer vom Abendroth herein. Sie wendete das Gesicht ab und wich meinem Blick aus. Ich sah sie aber deutlich genug und erschrak. Denn so hatte ich sie nie gesehen.

Sie erschien mir um zehn Jahre und mehr gealtert, die Augen lagen tief in den Höhlen, am Mund hatte sich eine scharfe Falte eingegraben, die Wangen waren hager und fahl.

Meine theure Freundin, rief ich, was ist mit Ihnen? Sie sind krank, Sie haben Fieber, lassen Sie mich Ihren Puls fühlen!

Ich streckte die Hand nach der ihren aus, sie trat aber einen Schritt von mir zurück.

Krank? sagte sie mit einem kurzen, bitteren Auflachen. O, ich bin kerngesund. Nur zuweilen überfällt mich ein moralischer Schüttelfrost, das ist nicht angenehm, aber wer's aushält, kann hundert Jahre dabei alt werden. Wenn ich nicht rosig aussehe, so ist das ganz natürlich. Ich habe die ganze Zeit in dieser dumpfen Höhle gesteckt, es war mir nicht danach zu Muth, auszugehen, die Sonne draußen scheint gar zu unverschämt hell, und die Menschen sehen einem so dreist bis ins Herz. Auch Sie wollt' ich nicht sehen, aber was hilft's? Sie wissen nun einmal Alles von mir, warum nicht auch das? Und dann, es ist das letzte Mal.

Ich hörte ihre wirren Reden in wachsender Angst mit an. Quälen Sie mich nicht mit räthselhaften Worten, Ninon! sagt' ich. Irgend etwas ist geschehen, was Sie außer sich gebracht hat.

Außer mich gebracht? wiederholte sie dumpf. Nun ja, wie man's nimmt. Erst außer mich, aus Rand und Band, und dann desto tiefer in mich, und was ich da entdeckt habe – was ich da sehen mußte – ich will es Ihnen sagen mit einem einzigen Wort: ich bin auch nicht besser als wir alle, nein, noch schlechter, noch verächtlicher, noch elender!

Sie ließ sich auf den Divan sinken, stützte das Kinn in ihre Hand und den Ellenbogen auf das Knie und starrte vor sich hin.

Eine Ahnung dämmerte in mir auf, ein entsetzlicher Gedanke. Meine Augen richteten sich auf eine Büste, die mit einem nassen Tuch verhüllt neben dem Fenster stand, und die bei meinem letzten Besuch noch nicht dort gestanden hatte.

Ich setzte mich neben sie und suchte wieder ihre Hand zu fassen, aber sie rückte von mir weg.

Verunreinigen Sie sich nicht! raunte sie heftig. Sie wissen nicht, was das für ein Geschöpf ist, das Sie ihre Freundin nennen. Ich will es Ihnen sagen: eine arme Närrin, die sich verloren hat und nie wiederfinden wird. Noch vor vierzehn Tagen – entsinnen Sie sich? – wie habe ich hier so schön prahlen können, ich sei gegen all das gefeit, was gewöhnliche Weiber dämonisch nennen. Und jetzt – aber nein, ich habe dennoch Recht. Das Dämonische steckt aber nicht im Mann, sondern im Weibe, der Teufel ist's in unserm Blut, der nur auf unsre schwache Stunde lauert, um uns wehrlos auszuliefern an einen Stärkeren, den wir hassen und verachten. O, es bringt von Sinnen, daran zu denken!

Sie fuhr vom Divan auf, strich sich das lose Haar von der Stirn und trat zu der Büste ans Fenster.

Sie waren ja dabei, wie ich mich hoch und theuer verschwor, ich würde sein Porträt nicht machen. Das hatte ich ihm kurz und klar sagen lassen und dachte, ich hätte nun Ruhe. Am nächsten Tag, wie ich an nichts Arges denke, klopft's an meine Thür. Er war es selbst.

Ganz anders als ich ihn mir außer der Bühne gedacht hatte, nicht mit so einer insolenten Don Juan- und Eroberermiene, bescheiden und fast schüchtern, so recht bon enfant. Er entschuldigte sich immer wieder, daß er trotz meiner Absage so kühn sei, zu mir zu kommen. Es liege ihm aber zu viel daran, gerade von mir sein Porträt zu erhalten – und nun ein Haufe Schmeicheleien, die er abbrach, als er sah, damit war ich nicht zu fangen.

Er zog dann andre Saiten auf. Man habe ihn mir wohl recht arg geschildert, so daß ich einen Abscheu davor bekommen hätte, seine nähere Bekanntschaft zu machen. Aber selbst der Teufel sei lange nicht so schwarz, wie man ihn male, und er sei wahrhaftig nichts weniger als ein böser Geist, höchstens ein dummer Teufel, der sich gewisser Huldigungen und »Erfolge«, die sich ihm aufdrängten, nicht immer zu erwehren wisse. Wenn ich übrigens glaubte, daß es meinem Ruf schaden würde, wenn ich seine Büste machte, so wolle er nicht länger in mich dringen.

Damit hatte er den Punkt getroffen, an dem er mich fassen konnte.

Für mein Thun und Lassen sei ich nur mir selbst verantwortlich, sagt' ich, und sei längst gewohnt, daß mein freies Künstlerleben den Biederweibern anstößig erscheine. Nur hätte ich allerdings gerade jetzt keine Zeit, und so bedauerte ich –

Noch immer warnte mich mein guter Geist davor, dieser Schlange Gehör zu geben. Aber der geriebene Komödiant ließ mich nicht los.

Nur eine Skizze sollte ich machen, er selbst habe keine Zeit, die Vollendung abzuwarten, er werde aber in einem Vierteljahr wiederkommen, auch dann nur zu einem kurzen Gastspiel, dann aber könnten wir vielleicht mit dem Thonmodell fertig werden und so weiter.

Und dann fing ich wirklich an.

Er kam täglich, sechs Tage lang, immer nur auf anderthalb Stunden Mittags nach der Probe. So lange er da war, brachte er es wirklich fertig, daß ich besser von ihm dachte. Er erzählte viel von seinem Leben – ich glaubte ihm nur das hundertste Wort, aber es war Alles so hübsch arrangiert, in Allem spielte er die Rolle eines guten ehrlichen Jungen, dem nur nichts Menschliches fremd war, und dazu diese Stimme! Wenn er gegangen war, blieb die mir noch im Ohr, den ganzen Tag, die ganze lange, einsame Nacht – – –

Und dann am sechsten und letzten Tage – er war nicht Mittags gekommen, sondern gegen die Dämmerung. Auch saß er mir nicht lange, irgend etwas schien ihn nervös und unruhig zu machen, ich fragte ihn, was er habe, er seufzte – der ruchlose Heuchler! – es sei das Abschiedsfieber, das ihn immer überfalle, wenn er von einem Ort, einer Person, bei der ihm wohl geworden, scheiden müsse. Dann stand er auf und trat zu mir hin, zog mir das Modellierholz aus der Hand und kniete neben meinem Schemel, indem er meine Kniee umfaßte. Und dann – dann triumphierte der Dämon in mir! – –

Sie stand wohl zehn Minuten, die Ellenbogen auf den Fenstersims gestützt, die Augen in die gefalteten Hände geschmiegt. Dann wandte sie sich hastig um.

Sind Sie wirklich noch da? Ich hatte gehofft, Sie würden so klug gewesen sein, hinter meinem Rücken davonzuschleichen. Denn daß Sie mit Einer, die sich so tief entehrt hat, nicht weiter verkehren können, werden Sie nicht leugnen. Nein, sagen Sie mir nichts von der vermeintlichen Naturgewalt, die den Vogel in den Rachen der Schlange treibt. Der Vogel hat eben nur ein Vogelgehirn, keinen Menschenverstand, keinen Stolz, kein Ehrgefühl, das ihn gegen den Tumult im Blut schützen müßte. Das ist es ja eben, was mich wahnsinnig macht, daß ich mich unter das Thier erniedrigt habe. Niemals in meinem ganzen Leben habe ich mich von meinem Blute zwingen lassen, immer nur von meinem Herzen. Und jetzt – und von diesem – diesem – der noch Teufel genug war, da er meine Wuth und Verzweiflung sah, mir lächelnd zuzuflüstern: Sie sehen, Ninon, Niemand entrinnt seinem Schicksal. Aber seien Sie ruhig; was Sie mir zuliebe gethan haben, bleibt unter uns. Und wenn ich nach drei Monaten wiederkomme – Fortsetzung folgt, nicht wahr, Liebste? – O, und das habe ich überlebt, ihn überleben lassen! Wenn ich eine Waffe gehabt hätte, er würde die Schwelle dort nicht lebendig überschritten haben. Und glauben Sie nicht, daß es die Furcht ist, er möchte meine Schmach doch nicht geheim halten! Wenn er auch gegen Niemand damit prahlte, ja wenn die Erinnerung an mich in ihm selbst bis auf die letzte Spur verschwände – ich selbst habe mir stets meine eigene Ehre gegeben, und nie, nie würde ich es verwinden, daß ich nun so tief und unrettbar in Schande gesunken bin!

Ich zermarterte mein Gehirn, irgend etwas zu finden, was einem Trost ähnlich sah und nicht ganz banal war.

Endlich sagt' ich, was geschehen, sei freilich, wie ich sie kennte, das Schwerste, was sie habe treffen können, aber für unheilbar könne ich die Wunde nicht halten. Auch solch ein lebenzerstörender Keim werde mit der Zeit eingekapselt und damit unschädlich gemacht. Daß ich mich ihr darum entfremden würde, solle sie nur nicht glauben. Und ich hätte auch, eh die Zeit ihre Heilkraft bewährte, ein Palliativ bei der Hand. Gerade gestern habe mich eine edle Frau, die ihre sechzehnjährige Tochter verloren, gebeten, bei ihr anzufragen, ob sie ein Grabdenkmal ganz nach ihrem künstlerischen Ermessen schaffen wolle. Dabei zog ich die Photographie der Todten hervor, die sie in der holdesten Jugendblüte darftellte.

Sie sind gut, antwortete Ninon, nur verstehen Sie mich leider nicht. Arbeiten? Dazu braucht man sein volles ruhiges Herz, das im Einklang mit sich selber ist. Die bloßen Augen und Hände thun's nicht. Was die zu Stande bringen – da sehen Sie selbst!

Sie riß das feuchte Tuch von der Büste, ich sah das wohlbekannte regelmäßige aber leere Gesicht bis auf den stattlichen Bart schon fast fertig durchgearbeitet – doch nur einen Augenblick. Im nächsten hatte sie das Gestell umgestoßen, daß der Kopf zu Boden schmetterte und in mehrere grobe Stücke zerschellte.

So! sagte sie dumpf, nun habe ich hier den Kehraus mit meiner Kunst gemacht. Hören Sie, lieber Freund – Sie müssen mir noch einen Gefallen thun. Das Grabdenkmal für meinen Vittorio ist in der Gießerei fertig geworden und soll in acht Tagen auf den Friedhof gebracht werden. Ich kann das nicht abwarten, ich reise morgen ab. Gehen Sie aber hin, und schreiben mir dann, daß Alles ordentlich geschehen ist. Ich bin jetzt froh, daß das Kind nicht mehr lebt. Wie hätt' ich es ertragen, wenn es seine Mutter mit den unschuldigen großen Augen angeblickt und gefragt hätte: Warum kannst du mich nicht mehr küssen, Mama?

Nein, glauben Sie nicht, daß meine »Abreise« einen anderen Sinn hätte. Ich kann nur hier nicht länger bleiben, Niemand von meinen alten Bekannten unter die Augen treten. Wenn Manche darunter keinen ganz sittsamen Lebenswandel führen, sie folgen wenigstens alle ihrem Herzen, und wenn man sie fragt: que faites-vous de la vie? können Sie antworten, ich lebe eben so gut ich kann und bin mein eigner Herr, nicht der Knecht meiner Sinne. Aber wer weiß, ich finde mich vielleicht auch noch wieder, wenn ich nur erst so weit bin, daß ich ein Interesse daran habe, mich zu suchen. Und nun – ich bin müde. Lassen Sie uns scheiden. Und haben Sie Dank – für Alles!

Ich sah, daß sie mir die Hand reichen wollte, dann besann sie sich wieder und trat zurück und nickte mir nur mit dem Kopfe zu. So mußte ich von ihr gehen.

*

Wirklich erfuhr ich am andern Tage, als ich in ihrer Wohnung nachfragte, daß sie gegen Mittag abgereis't sei, mit dem Zuge nach München. Von keinem ihrer Bekannten hatte sie Abschied genommen, keiner wußte sich das zu erklären, und ich hütete mich natürlich, irgend welche Aufklärungen zu geben.

Aber etwa drei Wochen später brachten die Zeitungen eine Nachricht, die mir wenigstens über den Schluß dieses tragischen Schicksals keinen Zweifel ließ. Sie war in Partenkirchen mit mehreren Andern und einem Führer zu einer Besteigung der Zugspitz aufgebrochen und unterwegs mitten am Sommertage von Gewitter mit einem heftigen Schneesturm überrascht worden. Alle Andern hatten sich in eine Schutzhütte geflüchtet, die zum Glück in der Nähe war. Als das Unwetter sich ebenso plötzlich verzog, wie es heraufgezogen war, vermißte man die Bildhauerin. Erst am folgenden Tage fand man sie im Grunde einer jähen Schlucht mit zerschmettertem Haupt.

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