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Medea.

(1896.)

 

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Die Vorstellung war zu Ende. Die beklommene Spannung, in der das gedrängt volle Haus dem Scheidewort Medea's an Jason gelauscht, hatte sich in einem Beifallssturm entladen, der die große Künstlerin immer von Neuem vor die Lampen rief. Dann strömte die Menge in tiefer Stille zu allen Pforten hinaus in die sternklare Nacht, Alle noch unter dem Bann der Erschütterung, die Grillparzer's Dichtung in Fanny Janauschek's gewaltiger Verkörperung selbst in stumpferen Gemüthern hervorgerufen hatte.

Unter dem dunklen Gewühl wanderte auch ein geschlossenes Häuslein befreundeter Menschen ins Freie, drei junge Ehepaare nebst einigen Intimen. Man hatte vor dem Theater verabredet, hernach in einem stillen Restaurant zu Nacht zu essen, und dort ein Zimmer bestellt. In diesem angelangt, und nachdem man an einem länglichen Tische Platz genommen, wollte noch eine gute Weile kein Gespräch in Gang kommen, bis aus einzelne abgerissene Naturlaute, in denen sich das Gefühl Luft machte, einen der seltenen künstlerischen Eindrücke empfangen zu haben, die uns in unvergänglicher Erinnerung durch das ganze Leben nachgehen.

Auch als man den gröberen Bedürfnissen des Leibes ihr Recht angethan hatte, dauerte die dunkle tragische Stimmung fort, während sonst gewöhnlich ein Umschlag des Erhabenen ins Triviale erfolgt, durch den selbst tiefer angelegte Gemüther nach übermächtiger Aufregung sich wieder ins Gleichgewicht zu bringen streben. Muß doch mancher Dramatiker, der einen glücklichen Bühnenerfolg im Kreise naher Freunde feiert, mit peinlicher Empfindung erfahren, wie rasch sich die Unterhaltung über sein Stück zu den gleichgültigsten Tagesneuigkeiten verirrt.

Hier freilich hatte man das größte Werk eines hohen Dichtergeistes genossen und eine Tragödin bewundert, die alle anderen Darstellerinnen dieser Rolle weit in den Schatten stellte. Auch die unholde Sitte, durch Mäkeln an Einzelheiten sich hervorzuthun und den Nachgenuß des Ganzen dadurch zu stören, machte sich nicht geltend. Man war vielmehr bemüht, die vielen feinen und starken Züge, die überraschenden Accente echter Leidenschaft, deren die wundersame Stimme der Künstlerin mit ihrem seelenvollen Celloklang mächtig war, immer von Neuem hervorzuheben und den Dichter glücklich zu preisen, der für ein Geschöpf seiner Phantasie eine so ebenbürtige Darstellerin hatte finden können.

Auch an der Dichtung selbst wurde, da sie zum erstenmal ohne wesentliche Einbuße an ihrem wahren Gehalt in Scene gegangen war, keine wohlweise Kritik geübt. Ja, als eine der Frauen die schüchterne Bemerkung hinwarf, man könne dem Jason seine jämmerliche Schwäche doch nicht verzeihen, hielt einer der jungen Männer eine lebhafte Schutzrede für diese »unsympathische« Figur, deren schnöde Selbstsucht für das tragische Geschick Medea's eben so unumgänglich sei, wie der unritterliche Verrath Siegfried's allein die Tragödie Brunhild's möglich mache. Woran er einen heftigen Protest gegen die moderne Verblendung knüpfte, den Niedergang der tragischen Kunst zu beklagen und sich doch Alles zu verbitten, was zartbesaitete Seelen mit herbem Mißklang berühren müsse.

Gegen den Vorwurf, wenn er gegen uns gemünzt ist, muß ich denn doch protestiren, sagte eine andere der jungen Frauen. Wir lassen uns gern erschüttern und nehmen auch einen Secretär Wurm in Kauf, wenn er unentbehrlich ist, damit wir uns über Luise Millerin recht von Herzen ausweinen können. Aber haben nicht die Menschen zu verschiedenen Zeiten andere Nerven? Wenn ein gewisses Maß des Grausens, das den alten Griechen noch erträglich war, heutzutage für unser nicht so vollblütiges Geschlecht als ein Uebermaß erscheint, darf man sich nicht dagegen wehren, ohne daß man zu hören bekommt, man wolle nur das schwächliche »Sympathische« aus der Bühne dulden? Jason, den Frau Julie verabscheut, erscheint freilich um so widerwärtiger, wenn man die beiden früheren Stücke der Trilogie nicht in Gedanken hat, die seinen Charakter soweit motiviren, daß man ihm verzeiht, weil man ihn versteht. Aber der Kindermord, dieser Kindermord – ich bekenne, daß ich ihn immer und immer unbegreiflich finde und nur wie von einem elementaren Ereigniß davon berührt werde, das nichts Menschliches mehr an sich hat. Mag also vor zehntausend Jahren eine Medea möglich gewesen sein, die durch den Mord zweier unschuldiger, lieblich heranwachsender Kinder eine Rachethat an ihrem treulosen Gatten vollzieht, – in unserer heutigen Welt erscheint sie nur wie ein starres steinernes Gespenst, dessen Anblick uns kein Mitgefühl, sondern nur ein lähmendes Entsetzen einflößt, als hätte eine leibhaftige Meduse uns angestarrt.

Diese lebhaft hervorgestoßene Aeußerung regte keine so hitzige Erwiderung an, wie man im Kreise der begeisterten Grillparzer-Verehrer hätte erwarten sollen. Man wußte, daß die Sprecherin den Tod ihres ersten Kindes noch immer leidenschaftlich betrauerte, obwohl schon eine geraume Zeit darüber hingegangen war. Niemand wagte ihr zu bestreiten, daß die Tödtung der eigenen Kinder eine unfaßbare Verwilderung und Verhärtung des Muttergemüthes voraussetze. Und so entstand eine kleine Stille, bis endlich die älteste der Frauen, seit einigen Jahren verwittwet in noch jugendlichem Alter, leise ihre Hand auf den Arm ihrer Nachbarin legte und mit ihrer milden Klugheit die beklommene Stimmung zu lösen unternahm.

Sie haben sehr Recht, liebe Freundin, sagte sie. Es ist unfaßbar grauenhaft, sollte es wenigstens für Alle unseres Geschlechtes sein. Und doch – auch heute noch gilt das Wort:

Abgründe giebt es im Gemüthe,
Die tiefer als die Hölle sind.

Oder glauben sie, daß diese Abgründe seit Medea's Zeiten ausgefüllt worden seien? Gewiß: die Sitten sind milder geworden, die Menschen zahmer. Kinder, die schwach oder krüppelhaft zur Welt kommen, werden nicht mehr wie im alten Sparta ausgesetzt, um elend zu verhungern, und die armen ledigen Mädchen, die ihre vaterlosen Neugeborenen aus Verzweiflung oder Furcht vor der Schande in den Bach werfen oder erdrosseln, stellt man vor Gericht. Aber glauben Sie mir: auch heute noch öffnen sich zuweilen in der Brust eines armen Weibes Abgründe, die tiefer als die Hölle sind. Denn die elementaren Mächte, von denen Sie sprechen, sind seit jenen Jahrtausenden wohl zurückgedrängt, aber nicht ausgerottet. Ich selbst habe einen merkwürdigen Fall erlebt, der nicht weit hinter der alten Medea-Fabel zurückbleibt. Ich mußte heute im Theater mehr als einmal daran denken und will es Ihnen gelegentlich erzählen.

Von allen Seiten wurde in sie gedrungen, dies auf der Stelle zu thun, wenn sie keine Gründe hätte, nur unter vier Augen davon zu reden. Sie bedachte sich einen Augenblick und sagte dann:

Es ist zwar ein entfernter Verwandter von mir dabei im Spiel gewesen, aber ich brauche seinen Namen nicht zu nennen, und er hätte auch, selbst wenn er sich hier in der Stadt noch aufhielte, keine zarte Rücksicht verdient. Uebrigens war er vor zehn Jahren, als die Geschichte sich zutrug, in aller Leute Mund, und vielleicht erinnert sich auch Einer oder der Andere in diesem Kreise an das traurige Ereigniß, das damals durch alle Zeitungen ging.

Ich war noch sehr jung, als es sich zutrug, erst seit kurzem verheirathet und mit meinem Manne hiehergezogen, wo er ja seine so kurze Universitätslaufbahn begann. Wir wohnten in der Briennerstraße vor den Propyläen, die noch im Bau waren, in einem großen Hause mit vielen Parteien, und gleich in den ersten Tagen begegnete mir auf der Treppe ein seltsames Gesicht von einer sehr fremdartigen Häßlichkeit. Ein nicht mehr ganz junges Frauenzimmer in einem Anzug, den man heutzutage – das Wort war damals noch nicht erfunden – durchaus chic nennen würde, mit einem eleganten schwarzen Sammethütchen, von dem drei rothe Federn über die kurze Stirn hereinnickten. Sie trug einen Schleier, der mir aber die Züge nicht ganz verbarg – ein breites, stumpfnasiges Mulattengesicht, doch ganz bleich, der große, volle Mund so farblos wie die Wangen, krauses schwarzes Haar hing in wirren Locken um die Schläfen. Wie sie aber an mir vorbeiglitt und sich schmiegsam verneigte, dabei mit den kleinen schwarzen Augen grüßte und mit den blanksten Zähnen von der Welt mich anlachte, machte die ganze Person doch einen gewinnenden Eindruck, so daß ich den Gruß aufs Freundlichste erwiderte.

Von unserer Hausfrau, bei der ich gerade einen Besuch zu machen hatte, erfuhr ich dann, was es mit dieser Hausgenossin aus sich hatte. Denn sie wohnte schon seit einigen Jahren in zwei Mansardenzimmern desselben Hauses und erfreute sich trotz ihrer Häßlichkeit allgemeiner Beliebtheit.

Es war ein ganzer Roman, wie sie nach München verschlagen worden war. Viele kuriose Einzelheiten habe ich vergessen, sie sind auch nicht von Wichtigkeit für Fräulein Wally's persönliches Schicksal. Denn so hieß sie allgemein, nur mit ihrem Vornamen, den sie von ihrer Großmutter in der Taufe erhalten hatte. Diese nämlich war vor etwa fünfzig Jahren von München aus nach Paris gekommen, als Inhaberin eines Modegeschäfts, die ihre Bestellungen für die Wintersaison dort zu machen pflegte. Sie war in einem der großen Magazine zufällig dem Kammermohren eines der Söhne Louis Philipp's begegnet – des Herzogs von Nemours, wenn ich mich recht entsinne – und hatte sich in den schon sehr civilisirten Sohn der Wildniß sterblich verliebt. Sie selbst scheint eine ansehnliche, wenn auch nicht mehr ganz junge Dame gewesen zu sein, und da sie auch in guten Verhältnissen war und mit allerlei klugen Künsten den eitlen Mann zu umspinnen wußte, ließ er sich ins Netz locken und kündigte seinem Herzog den Dienst, um als Gatte einer Frau, die ihn vergötterte, ein müßiges Herrenleben zu führen, seine Tage in den Cafés auf den Boulevards, seine Abende in den kleinen Theatern zu verbringen, sich füttern und cajoliren zu lassen und nur zuweilen, wenn er mehr Absinthe als zuträglich zu sich genommen hatte, seine gute deutsche Frau ein wenig zu prügeln.

Diese hatte, vielleicht weil es ihr doch gênant war, als Gattin einer Sehenswürdigkeit sich zu Hause anstarren zu lassen, ihr Münchener Modegeschäft verkauft und ein ähnliches in Paris eröffnet, das trotz der Concurrenz mit den echten französischen Häusern sehr bald in Flor kam. Auch als ein Kind, ein hellbraunes Töchterchen, geboren wurde, hielten die Muttersorgen Frau Wally nicht ab, ihre Kundinnen bestens zu bedienen, so daß sich das Geschäft mehr und mehr ausbreitete. Der schwarze Papa und das farbige Kind, das wie ein Aeffchen, das es auch im Grunde war, immer aufs Lächerlichste herausgeputzt wurde, scheinen zu allem Andern eine gewisse Anziehung ausgeübt zu haben, so daß die vornehmen Damen gern den exotischen Laden der Madame Wally besuchten, um mit dem gravitätischen Othello ein paar Worte zu wechseln und sich daran zu amüsiren, wie geschickt die kleine Urika Krachmandeln mit ihren spitzen Zähnchen aufbiß oder ganze Düten voll Confect in ihrem großen Mäulchen verschwinden ließ.

Das behagliche faule Leben jedoch und der Absinth untergruben endlich die Gesundheit des schwarzen Hausherrn. Das Kind war fünfzehn Jahre alt, als der Vater begraben wurde. Doch fand sich schon in Jahr und Tag ein junger Franzose, der sich um ihre Hand bewarb und sich weder von ihrer Farbe, noch von der vernachlässigten Erziehung abschrecken ließ, sie zu seiner Frau zu machen. La dot war freilich dazu angethan, über dergleichen Kleinigkeiten hinwegsehen zu lassen.

Leider aber nahm die Herrlichkeit ein jähes Ende. Der junge Ehemann ergab sich einem ausschweifenden Leben und schien ganz zu vergessen, wem er die Mittel dazu verdankte. Gegen das Töchterchen, das seine Urika ihm geboren hatte, bezeigte er eine unverhohlene Abneigung und mied sein Haus, wo er endlich auch nicht einmal die Nächte mehr zubrachte. Die Großmama zog sich diesen Undank tiefer zu Herzen als die junge verlassene Gattin, und als sie sich, von Kummer und Sorgen erschöpft, eines Tages auf das Siechbett legen mußte, fand sie die Kraft nicht mehr, davon auszustehen.

Nun zeigte sich's nach ihrem Tode, daß das einst so blühende Geschäft, zum Theil in Folge der politischen Umwälzungen, schon seit Jahren mit einer Unterbilanz gearbeitet hatte, und daß die Inhaberin gerade zur rechten Zeit gestorben war, um den Zusammenbruch nicht mehr zu erleben.

Aus ihre Tochter hatte diese Erfahrung einen wohlthätigen Einfluß. Sie wachte plötzlich aus dem unseligen Hindämmern auf, das sie selbst gegen die schimpfliche Behandlung ihres Gatten fühllos gemacht hatte, raffte das Wenige, was sie von ihrem Vermögen noch retten konnte, zusammen und erklärte dem Taugenichts von Gemahl, sie werde in die Heimath ihrer guten Mutter reisen, wo billiger zu leben sei, als in dem großen Paris, und so schlechte Menschen, wie er, nur die Ausnahme machten. Wenn er sie wegen böslicher Verlassung verklagen wolle, so stehe ihm das frei, sie werde sich schon zu vertheidigen wissen und keinenfalls wieder mit ihm zusammenleben.

Dem schlimmen Patron konnte Nichts erwünschter sein, als daß ihm seine volle Freiheit zurückgegeben wurde. Die Frau aber kam mit ihrem Kindchen nach Bayern und ließ sich zunächst an einem Orte der Provinz, ich glaube in Unterfranken, nieder, wo Niemand sie kannte. Hier verstand sie es, Gott weiß wie, mit ihrem geringen Capital so gut Haus zu halten, daß sie bald wieder ganz bequem zu leben vermochte. Das deutsche Blut scheint stärker in ihr gewesen zu sein, als das mohrische. Sie eröffnete nach einiger Zeit auch wieder ein Putzwaarengeschäft, und als sie nach dreißig Jahren starb, konnte sie ihrer Tochter ein recht anständiges Erbe hinterlassen, so daß diese sorgenfrei hätte leben können, in so behaglicher Muße wie ihr seliger Großpapa.

Das fiel der Enkelin aber nicht ein. Sie war zu lange ihrer Mutter an die Hand gegangen und hatte so viel Geschick dabei bewiesen, daß sie ihre Talente nun nicht hätte schlummern lassen mögen, und wenn man sie bis an die Augen in Gold gesteckt hätte.

Nur in der Provinz mochte sie nicht bleiben.

So kam sie nach München, um hier zunächst in ein Geschäft einzutreten, wie ihre Mutter und Großmutter eins geleitet hatten. Aber die Abhängigkeit von fremden Leuten wurde ihr bald unerträglich, und da ihr kleines Vermögen doch nicht ausreichte, um auf eigene Hand einen Laden zu eröffnen, entschloß sie sich, als Hausschneiderin Arbeit zu suchen, oder, wie man hier sagt, »aus Stöhren zu gehn«.

Das glückte ihr denn auch über Erwarten schnell. Nicht nur, weil sie einen ausnehmend guten Geschmack hatte und sehr fleißig war, sondern auch wegen ihrer persönlichen Eigenschaften. Die lernte ich bald schätzen, da ich ihr in meinem eigenen Hause zu thun gab.

Sie war ein wunderliches Geschöpf, dessen Art und Wesen mich lebhaft interessierte, aus scheinbar widersprechenden Elementen zusammengesetzt. Von mütterlicher Seite ein starker Sinn für Ordnung, Ehrbarkeit und Solidität bis zum Pedantischen. Daneben rührte sich in ihrem Blut zu Zeiten der väterliche Leichtsinn und eine kindische Phantasterei, das Erbtheil des afrikanischen Großpapa's. Niemals ließ sie eine Kundin im Stich, die sie zu einem bestimmten Arbeitstage bestellt hatte, und war dann so eifrig bei ihrer Aufgabe, daß sie sich kaum die kurzen Pausen zum Essen und Trinken gönnte. An Feiertagen aber mußte sie ihr Vergnügen haben. Dann ging sie in ein Concert oder Theater und während des Faschings auf eine Redoute, oder sie machte mit irgend einer Bekannten eine kleine Landpartie, wo es ihr nicht darauf ankam, die Kosten ganz allein zu tragen, so genau sie sonst ihren Verdienst zusammenhielt.

Auch in ihrem Aeußern derselbe Widerspruch. Sie hatte eine reizende üppige Gestalt, deren Vorzüge sie durch eine einfache aber geschmackvolle Kleidung selbst an Werktagen in das vortheilhafteste Licht zu stellen wußte. Nichts Uebertriebenes, Ueberladenes, oder gar Herausforderndes, das Kleid immer bis an den Hals geschlossen. Dabei aber hatte sie einen unbezwinglichen Hang zu Goldschmuck und blitzenden Steinen, wie man sie bei Völkern aus einer niederen Kulturstufe findet. Wohl ein halb Dutzend blanker Ringe steckte an ihren Fingern, in den Ohren trug sie große falsche Perlen und vertraute mir einmal in einer offenherzigen Stunde, ihr heißester Wunsch seien ein paar Ohrringe mit erbsengroßen Brillanten. Um sich diese endlich verschaffen zu können, habe sie eine eigene Sparkasse angelegt.

In dem auffallenden Goldputz, mit dem sie sich selbst auf ihren »Stöhren« blicken ließ, erschien sie anfangs lächerlich und wurde von ihren Gehülfinnen damit aufgezogen. Wenn Jemand sich so weit vergaß, sie wegen ihrer Mulattenphysiognomie zu necken, sagte sie wohl: das sei gerade ihr Stolz, nicht so auszusehen wie Jedermann. Dann fing sie an, die tollsten Grimassen zu schneiden, halb entsetzlich, halb lächerlich. Zum Schluß, wenn Alle schrieen, daß sie damit aufhören solle, streckte sie rasch ihre rothe Zunge heraus und sagte: Voilà! Das soll mir mal Einer nachmachen. Ich könnte mir aus Messen und Dulten mit Gesichterschneiden so viel Geld verdienen, wie mit dem Zuschneiden von Roben.

Das fanden die Andern ganz verrückt und unschicklich. Bald aber gewöhnte man sich, sie eben zu nehmen, wie sie war, was sie Allen erleichterte, theils durch ihre große Gutherzigkeit, theils durch den munteren Mutterwitz, der die Langeweile der Arbeit aufheiterte. Auch sang sie dabei mit einer kleinen wohlklingenden Stimme allerliebst gewisse französische Liedchen, die ihre Mutter aus Paris mitgebracht hatte, wie denn überhaupt, obwohl sie ein ganz reines, dialektfreies Deutsch sprach, in gewissen Momenten allerlei französische Ausdrücke ihr auf die Zunge kamen. Zumal wenn irgend etwas sie aufregte oder besonders feierlich stimmte.

Sie hatte auch, noch von der Mutter, ein kleines, in abgegriffenen Sammet gebundenes Gebetbuch, das sie hoch in Ehren hielt und Sonntags früh mit in die Kirche nahm. Doch glaube ich nicht, daß sie es dort geöffnet hat oder überhaupt jemals darin las.

Was sie zu allem Andern noch den Hausfrauen empfahl, war ihre Discretion. Niemals schwätzte sie von einer Familie in die andere, betheiligte sich auch nicht an kleinen Scandalgesprächen, zu denen oft genug Anlaß war. Ich lobte sie einmal, da ich mit ihr allein war, wegen ihrer sittlichen Unanfechtbarkeit, da doch rings um sie her nur allzu viele Beispiele von zügellosem Wandel sie hätten zu gleichem Leichtsinn verführen können. Da legte sie einen Augenblick den Rock, an dem sie nähte, aufs Knie und sah mich mit den kleinen schwarzen Augen, in denen es ein wenig feucht schimmerte, sehr ernsthaft an.

Chère Madame, sagte sie, das können Sie mir nicht als ein besonderes Verdienst anrechnen. Ich wäre ja rein verrückt, wenn ich mir einbildete, in so ein garstiges Gesicht könne sich irgend ein Mann verlieben, der seine gesunden Augen im Kopfe hätte. Es macht mir immer Spaß, wenn ich auf einer Redoute in der Maske mit Jemand recht toll getanzt habe, so daß er ein bischen in Feuer gerathen ist, und dann, wenn er mich beim Souper bittet, mich zu demaskiren, erschrickt er wie zu Tode, wenn er meine Mulattennase und la bouche énorme erblickt. Aus Höflichkeit thut er dann manchmal, als gefiele ich ihm trotzdem ganz gut, und vielleicht denkt er, bei Nacht seien alle Katzen grau. Aber nein, ich will halten, was ich meiner seligen Maman versprochen habe, und eine honnête fille bleiben.

Und nach einer kleinen Weile, da sie schon wieder nachdenklich die Nadel zu führen anfing, setzte sie hinzu: Sie müssen wissen, trotz meiner Häßlichkeit habe ich doch schon ein paar Heirathsanträge erhalten, von ganz braven Männern. Ich merkte aber gleich, daß es ihnen nicht eingefallen wäre, mich haben zu wollen ohne das bischen Geld, das ich besitze. Und nur als nothwendiges Uebel mit in Kauf genommen zu werden – ah non! dazu bin ich zu stolz! Auch gefielen sie selbst mir nicht, ich habe eine leidenschaftliche Adoration für schöne Menschen. Das hat mich schon als ganz junges Ding dazu gebracht, einem reizenden Gesicht nachzulaufen, oder oft lange im Hinterhalt zu lauern, bis es vorbeikäme; und wieviel Thränen es mich gekostet hat, wenn ich mich recht gründlich verliebt hatte und endlich zur Vernunft kam, es könne doch nie Etwas daraus werden, das weiß nur mein Kopfkissen. Jetzt bin ich ja schon alt geworden – (sie war kaum zweiunddreißig) und habe mir vorgenommen, mich zu zwingen, keinen schönen Mann anders anzusehen als wie ein gemaltes Bild. Aber Sie werden begreifen – ça m'a couté cher – und trotz Alledem noch jetzt zuweilen – j'ai le sang de mon grand père dans mes veines, und wenn man mich die lustige Wally nennt, so kennt man nicht le revers de la médaille.

*

Die Erzählerin schwieg eine Weile und sah nachdenklich vor sich hin.

Es wird Ihnen seltsam scheinen, fuhr sie dann fort, daß mir heut Abend, während ich die herrliche Künstlerin unverwandt betrachtete, beständig das Gesicht der guten Wally dazwischentrat. Und doch, auch die Janauschek trägt ja den Stempel der böhmischen Rasse deutlich ausgeprägt in ihren unregelmäßigen Zügen, die nur durch den Adel ihrer leidenschaftlichen Kunst verklärt erscheinen, selbst neben der zahmen Nase und den sanften Wangen der griechischen Königstochter. Daß sie eine Kolchierin war, die sich dem bezaubernden Argonauten hingegeben, war ja ihr Verderben. Und auch meine arme Wally – –

Aber ich will, wenn Sie noch Geduld haben, in der Ordnung weiter erzählen.

Damals, etwa ein Jahr nachdem ich meine Hausgenossin aus der Mansarde kennen gelernt hatte, kam ein entfernter Vetter meines Mannes nach München, ein junger Badenser, aus Freiburg im Breisgau. Er wollte sich hier als Maler noch ein wenig ausbilden, nachdem er die Karlsruher Kunstschule absolviert hatte.

Mein Mann war nicht sehr erbaut von diesem Zuwachs unseres hausfreundlichen Kreises. Er mochte mit der Sprache über diesen Verwandten gegen mich nicht offen heraus, ich verstand aber soviel, daß er ihn für einen leichtfertigen Gesellen hielt, ebensowenig solide im Leben wie in seiner Kunst und durch die Verhätschelung, die er seiner Schönheit verdankte, für alle späteren Erziehungsversuche verdorben.

Als er ihn mir brachte, war auch ich zunächst unter dem Zauber seiner glänzenden Erscheinung. Ein junger Antinous im Sammetrock mit einem grauen Künstlerhut, dreiundzwanzig Jahre alt, um den blühenden rothen Mund ein zartes schwarzes Bärtchen, der sehr weiße Hals durch ein flottes schwarzes Tuch kokett eingefaßt. Uebrigens nichts Geckenhaftes in seinem Betragen, bis auf eine gewisse nicht ganz echte Schwermuth in Blick und Rede, wie wenn der glückliche Besitzer dieses schönen Aeußeren darüber trauerte, daß er ohne seine Schuld soviel Unheil in arglosen Weiberherzen anrichten müsse.

Ich empfing den jungen Mann mit soviel Freundlichkeit, wie sich für eine Cousine geziemte, doch ohne besondere Bemühung, ihn an unser Haus zu fesseln, da ich die Stimmung meines lieben Mannes kannte. Das aber schien ihn gerade zu reizen, auch an mir eine Eroberung zu machen. Er kehrte seine gemüthlichsten Seiten heraus, wollte nur bon enfant sein und sich von mir unerbittlich zurechtweisen lassen, wenn er sich nicht gut aufführe, und nahm selbst die scharfe Kritik, die ich an seinen künstlerischen Studien übte, mit größter Unterordnung unter meine ästhetische Weisheit hin.

Zuweilen kam er des Abends, uneingeladen, und saß an unserm Tische bei einem Glase Bier so behaglich und gutartig, daß selbst mein Mann nach und nach eine bessere Meinung von dem liederlichen Strick bekam. Doch vor dem Herrn Professor hatte er immer eine gewisse Befangenheit, die ihn nur verließ, wenn er mich unter vier Augen traf. Da ich keinen Grund und kein Recht hatte, den Mentor bei ihm zu machen, ließ ich mir die zarte Huldigung des hübschen Burschen gern gefallen und sorgte nur dafür, daß Alles in den richtigen Grenzen blieb.

Eines Tages nun kam er zur ungewohnten Zeit schon am Vormittag, da ich eben Schneiderei hatte und mit der Wally unter einem Haufen Chiffons saß. Ich hatte mich deßhalb verleugnen lassen, er drang aber doch ins Zimmer, da er nun einmal annahm, daß er überall eine Ausnahme mache, und indem er sich entschuldigte wie ein verzogenes Kind, dem man Nichts übel nehmen kann, trug er mir sein Anliegen vor: ich möchte ihm doch den Gefallen thun, sogleich mit in sein Atelier zu kommen, er habe eine schlaflose Nacht gehabt über sein neues Bild und werde es wohl verbrennen müssen, wenn ich ihm nicht guten Rath gäbe und Muth machte, es zu vollenden.

Mir – ich gestehe es – war das ungemein schmeichelhaft, und ich erklärte mich bereit, trotz meiner eigenen Arbeit sogleich mit ihm zu gehen, er müsse nur warten, bis ich mich fertig gemacht hätte. Er zeigte sich sehr dankbar dafür, küßte mir ehrerbietig die Hand und sagte allerlei melancholische Sachen, wobei seine schönen Augen und die Antinous-Stirn unter den dichten braunen Haaren sich gut ausnahmen. Als ich aufstand und Wally bat, inzwischen ruhig fortzuarbeiten, fiel mir die seltsame Haltung des Mädchens auf. Sie saß wie von einer überirdischen Erscheinung geblendet mit weitaufgerissenen Augen da, das Gesicht, sonst so fahl und blutlos, bis an die Schläfen dunkel geröthet, die Arme hingen ihr schlaff an den Seiten herab, und sie schien es nicht zu bemerken, daß die Taille, an der sie genäht hatte, von ihrem Schooß geglitten war. Das richtige Vögelchen gegenüber der Klapperschlange. Er dagegen schien gar nicht zu sehen, daß sie ihn unverwandt anstarrte. Er war, während ich nach der Thüre ging, vor ein Bild getreten, das über dem Sopha hing, und fuhr, sich heimlich in dem Glase spiegelnd, mit der Hand durch sein weiches Lockenhaar. Mir war gleich nicht ganz geheuer bei der Sache, aber vor solchen Anfällen ihrer Schönheitsschwärmerei konnte das gute Wesen doch nicht geschützt werden, und was war eine arme garstige Schneiderin für diesen Apollino?

Ich sputete mich aber, soviel ich konnte, und nach kaum zehn Minuten trat ich in Hut und Mantel wieder ins Zimmer. Ich fand ihn am Tische lehnend und mit den seidenen Läppchen spielend, sie aber noch in der alten Attitude, nur jetzt wieder ganz bleich. Sie schienen miteinander gesprochen zu haben, verstummten aber bei meiner Rückkehr. Ihre Arbeit lag noch auf der Erde.

So zog ich ihn mit mir fort – er verneigte sich vor dem Hinausgehen höflich gegen das Mädchen, das wieder dunkelroth wurde, und auf der Treppe fragte er mich nach ihr, wie ich zu dieser kleinen Vogelscheuche gekommen sei. Ich sagte, er werde wohl nicht eitel darauf sein, an dem armen Geschöpf eine Eroberung gemacht zu haben, worauf er lachend erwiderte, wenn er einen so schlechten Geschmack hätte, müßte er daran verzweifeln, noch einmal ein guter Maler zu werden.

Daß dazu überhaupt nicht viel Hoffnung war, erkannte ich, als ich seine angefangene Arbeit beschaute. Das aber gehört nicht hierher, ich will davon schweigen, was für eine Standrede ich ihm vor seiner Staffelei halten mußte. Er nahm sie hin, wie ein Schooßhündchen, das unter eine Traufe geräth, erst sehr betroffen darüber ist, dann aber sich schüttelt und bald wieder trocken wird.

Als ich nach Hause zurückkam, fand ich die Arbeit um keinen Stich vorgerückt. Ich sagte aber Nichts, sondern erwiderte nur auf die Frage: ob ich das Bild des Herrn schön gesunden, der Maler sei jedenfalls schöner, würde aber bessere Bilder malen, wenn er es weniger wüßte.

Ich wollte ihn absichtlich in den Augen seiner Anbeterin herabsetzen. Aber ich verfehlte meinen Zweck.

Wer so schön sei und es nicht selber wisse, müßte ja ganz dumm sein, erwiderte sie, ordentlich gekränkt durch meine Bemerkung. Er sei der schönste Mensch, der ihr je vorgekommen, und warum sollten nur die Frauenzimmer die Erlaubniß haben, eitel zu sein? Wenn er nichts weiter thäte, als so auszusehen und damit die Augen der Menschen zu erfreuen, so könnte man ganz zufrieden mit ihm sein. Auch scheine er sehr gut zu sein, er habe so eine weiche Stimme und sei gar nicht stolz. Er habe ja sogar mit ihr gesprochen, obwohl sie so häßlich sei und nur eine Schneiderin.

Was er denn gesagt habe?

Sie wisse es nicht mehr, sie habe es kaum verstanden vor Herzklopfen und wohl nur dummes Zeug geantwortet. Ah, qu'il est beau! Comme un ange du ciel!

Sie sagte das wie in einer verzückten Ekstase, die ich damit unterbrach, daß ich ihr einen Vorschlag über eine Aenderung des Aermelschnitts machte. Auf den schönen Vetter kamen wir nicht mehr zurück. Ihr aber war's anzumerken, daß sie noch beständig an ihn dachte, da sie zuweilen wieder in Träumerei verfiel, dies und jenes verprudelte und nicht ein einziges Mal eines ihrer französischen Liedchen summte.

*

Indessen schien mir die Sache doch nicht allzu gefährlich zu sein. Ich sorgte dafür, daß ein Zusammentreffen, wie dies erste, nicht wieder stattfinden konnte, und da auch die Wally nie wieder nach ihm fragte, glaubte ich, es sei kein großer Schaden angerichtet worden. Sie hatte ja stets einen Cultus mit schönen Gesichtern getrieben und war viel zu vernünftig, sich ernstlich dadurch die Ruhe rauben zu lassen. Bedenklich erschien mir nur, daß ich eines Tages unter verschiedenen Photographiekärtchen, die aus einer offenen Schale in unserm Wohnzimmer lagen, die unseres jungen Don Juan vermißte. Ich fragte die Wally geradezu, ob sie sich etwa das kleine Bild angeeignet habe, ich wollte es ihr verzeihen und ihr das Kärtchen auch lassen, nur wünschte ich die Wahrheit zu wissen. Sie schlug die Augen nieder, leugnete aber standhaft, den Raub begangen zu haben. Um so schlimmer für Sie, sagt' ich, wenn Sie's doch gethan haben. Sie sollten das gefährliche Gesicht lieber zu vergessen suchen, als sich in Ihrem engouement zu bestärken.

Sie sagte kein Wort darauf, und seitdem war nie wieder von ihm zwischen uns die Rede. Daß sie sich's darum nicht aus dem Kopfe schlug, konnte ich an ihrer veränderten Stimmung merken, so oft sie bei mir arbeitete. Bei jedem Ton der Klingel fuhr sie auf, als erwarte sie ihn wieder eintreten zu sehen. Und ihre gute Laune war dahin. Auch Andere beredeten sie deßhalb, was sie denn so einsilbig gemacht und ihr das Singen verleidet habe. Sie zuckte nur die Achseln:

Souvent femme varie,
Bien fol est, qui s
'y fie.

Nun können Sie sich vorstellen, wie erstaunt ich war, als sie eines Morgens im August, wo sie auf die Stöhr zu mir kommen sollte, in einer übermüthigen Lustigkeit erschien. Schon im Flur draußen hatte sie sich durch lautes Trillern angekündigt, und als ich sie dann fragte, wie es ihr gehe und was sie so vergnügt gemacht habe, lachte sie übers ganze Gesicht und sagte: Oh, chère Madame, man muß wohl vergnügt sein, wenn man direct aus dem Paradiese kommt.

Auf meine Frage, wie sie das meine, gab sie erst nur ausweichende Antwort. Ich merkte aber, daß sie darauf brannte, mir ihr Herz auszuschütten, und richtig, nachdem wir eine Weile schweigend bei unserer Arbeit gesessen hatten, fing sie plötzlich an, dabei immer fortnähend, um ihre Befangenheit bei allem Mittheilungsbedürfniß zu verbergen.

Was ich da erfuhr, war dazu angethan, daß ich selbst die Hände in den Schooß sinken ließ und athemlos zuhörte.

Gestern, am Sonntag Nachmittag hatte sie natürlich Lust verspürt, das herrliche Sommerwetter im Freien zu genießen, und da eine Freundin, die mit ihr gehen wollte, im letzten Augenblick sich entschuldigte, sich dazu bequemen müssen, allein zu gehen. Sie war in die Nymphenburger Chaussee hinausgewandert, ohne ein bestimmtes Ziel im Strom der vielen Leute mitschwimmend, die mit ihren Frauen oder Freundinnen zu den verschiedenen Biergärten oder Keller-Etablissements hinzogen, um dort bei dem kühlen Getränk, Musik und Geplauder ihres Feiertags froh zu werden.

Sie können denken, chère Madame, daß mir das Herz ein wenig weh that, all diese glücklichen Menschen zu sehen, die zu Zweien gingen, während ich ganz einsam ohne etwas Liebes an meiner Seite, heute wie alle Tage mich durch die Menge durchschlagen mußte. Sie wissen ja, ich habe mich drein ergeben, daß ich's nicht so gut haben soll, wie Andere, bloß weil ich in der Wahl meines Großpapa's nicht vorsichtig genug gewesen bin. Manchmal aber knirsche ich doch mit den Zähnen, wenn mir's so zum Bewußtsein kommt, daß ich dazu verdammt bin, Hübschere als ich noch hübscher herauszuputzen, damit sie Einen einfangen können, der sie glücklich macht. Gerade gestern wurde ich darüber so erbos't, daß mir wahrhaftig die dummen Thränen in die Augen kamen und ich meinen Schleier dicht vors Gesicht zog, damit keine von den lachenden und schwatzenden Sonntagspuppen das fremde Scheusal voll Mitleid angaffte, ob es vielleicht Zahnschmerzen hätte.

Da auf einmal, wie ich schon überlege, ob ich nicht umkehren und mich am hellen Abend in mein einsames Bett verkriechen sollte, höre ich, wie Jemand dicht neben mir sagt: Guten Abend, Fräulein Wally! – eine Stimme, die ich so gut kannte und so lange nicht mehr gehört hatte!

Ich blieb wie angewurzelt stehen, der Athem stockte mir, ich getraute mir nicht gleich, mich umzusehen, denn ich dachte nicht anders, als daß es nur ein Spuk wäre und nichts Lebendiges. Aber er war es wirklich, noch schöner, als ich ihn beständig in meinen Gedanken vor mir gesehen hatte, und er nickte mir lächelnd zu und wiederholte ganz freundlich seinen Gruß und sagte: Wo wollen Sie denn hin, Fräulein Wally?

Woher wußte er Ihren Namen? warf ich dazwischen. Ich hatte meine Schneiderin dem Vetter gar nicht vorgestellt.

O, sagte sie, er hat mich gefragt, wie ich heiße, damals, als er kam, um Sie in sein Atelier abzuholen. Er hat auch sonst allerlei Freundliches zu mir gesagt, er fühlte wohl, daß das sehr hübsch und großmüthig von ihm war, eine häßliche Person wie ich und eine arme Hausschneiderin zu behandeln, als ob sie ein Fräulein wäre, gegen das man höflich sein müsse. Ich habe damals nicht viel mehr als Ja und Nein geantwortet. Ich mußte ihn nur immer ansehen. Gestern aber – ich weiß nicht, wo ich den Muth hernahm, aber es kostete mich gar keine Mühe, ihm Rede zu stehen. Ich war auf einmal wie erlös't von dem Druck, der auf mir gelegen hatte, und während er nun neben mir her ging, wurde ich so lustig, daß ich eine Menge toller Sachen schwatzte, so daß er oft laut lachen mußte und die Leute sich nach uns umsahen. Ihn schien das gar nicht zu genieren, im Gegentheil, es machte ihm offenbar Spaß, daß die Menschen sich den Kopf zerbrachen, wie ein so ungleiches Paar zusammengekommen sein mochte, so ein bildschöner Mann und so ein häßliches Schätzchen. Sie mögen ja Recht haben, chère Madame, daß er eitel ist und es ganz zufrieden war, daß ich ihm zum repoussoir diente, damit seine Schönheit nun erst recht auffallen mußte. Aber das kümmerte mich gar nicht. Ich wollte ihm wenigstens zeigen, daß eine garstige Teufelsfratze zuweilen amüsanter ist als ein insipides Engelslärvchen, und das gelang mir auch so gut, daß er bis Nymphenburg mit mir ging, obwohl er eigentlich vorgehabt hatte, unterwegs einen seiner Malerfreunde zu besuchen.

Wie wir draußen waren, dacht' ich, er würde nun umkehren. Aber er schlug mir vor, wenn es mir nicht unangenehm wäre, in dem Wirthshaus zum »Controlor« erst ein wenig zu rasten und Etwas zu trinken, da wir Beide ziemlich erhitzt waren. – Wenn es Ihnen nicht unangenehm ist, sich noch länger mit einer armen couturière abzugeben, – sagt' ich. – Sie fischen, Fräulein Wally, antwortete er. Sie wissen ganz gut, daß Sie eine geistreiche Person sind, der man nicht genug zuhören kann. – Geistreich! das hatte mir noch Niemand nachgesagt. Ich glaube, ich wurde ganz roth vor Vergnügen.

Also gingen wir in den Wirthsgarten, der gesteckt voll Menschen war, und fanden mit Mühe noch ein Plätzchen am äußersten Rande. Er bestellte zwei Halbe Bier, ich bat aber für mich um eine Tasse Kaffee, da ich nie Bier trinke, und so saßen wir ganz vergnüglich in der Dämmerung beisammen, hörten auf die laute Blechmusik, und in den Pausen schwatzte ich wieder, was mir einfiel, wobei er mich so eigenthümlich ansah, als ob er mich malen wollte. Schauen Sie mich nur an, sagte ich, es hat keine Gefahr, Sie werden sich nicht in mich verlieben. – Sie haben Augen wie schwarze Diamanten, sagte er, und Zähne wie ein junger Wolf, und Ihre Figur – –

Mir schoß das Blut ins Gesicht. – Es wird spät, sagt' ich, und Sie werden unartig. Ich kann Nichts dafür, daß ich kein besseres Gesicht habe, aber Sie sollten mich deßhalb nicht verspotten. – Damit stand ich auf, ein bischen beleidigt, er sagte aber Nichts zu seiner Entschuldigung, sondern bot mir stillschweigend den Arm, mich durch die Menschenmenge an den kleinen Tischen hinauszuführen. Ich nahm aber seinen Arm nicht an. – Stolz wie eine große Dame! spöttelte er. Aber Sie haben Unrecht. Ich habe es ganz ernst gemeint.

Draußen wollte ich mich gleich von ihm verabschieden. Er sagte aber: Nein, ich mache meinen Besuch nicht mehr. Wenn Sie erlauben, begleite ich Sie in die Stadt. Aber gehen wir lieber durch den Hirschpark und dann die andere Straße. Die Luft in der Nymphenburger Chaussee ist voll Staub und schlechtem Cigarrenqualm. Dort drüben haben wir's freier und einsamer.

Ich folgte ihm ohne Widerrede. Ich war aber auf dem Heimwege gar nicht mehr lustig aufgelegt und hing so in mich vertieft an seinem Arm, den ich nun doch nicht hatte ablehnen können. Es war noch nicht dunkel, aber ich ging mit halb zugedrückten Augen, um mir einzubilden, das Alles sei nur ein Traum. Denn wie konnte es Wahrheit sein, daß dieser schöne Mensch mich am Arm führte? Manchmal öffnete ich dann wieder die Augen und sah ihn von der Seite an und sagte mir: es scheint doch richtig zu sein, daß er leibhaftig neben dir hergeht! Aber das ist ja doch nur ein Almosen, das er so einem bettelarmen Ding hinwirft, und morgen werde ich wieder unserm Herrgott sein Garnichts sein!

Er sprach sehr viel, immer ganz laut, aber ich hörte nur so verloren zu. Von seiner Jugend erzählte er, und daß er nicht glücklich sei, er werde wohl seine heißesten Wünsche nie erreichen – Ruhm und Reichthum. Ich hatte Lust, ihm zu sagen: Was wollen Sie denn noch mehr vom Glück? Sie sind ein solches Wunder von Schönheit, Sie brauchen nur einen Blick auf irgend ein Herz zu werfen, und es steht in Flammen! – aber ich behielt meine fünf Sinne beisammen und meine Schwärmerei für mich.

So näherten wir uns der Stadt. Es war inzwischen Nacht geworden, und der Mond fing schon an, sein Licht leuchten zu lassen. Zuletzt, als er sich müde gesprochen hatte, war ich wieder redselig geworden, aber nicht mehr so ausgelassen wie auf dem Hinweg. Sondern ich erzählte von meiner Mutter, und wie ich seit ihrem Tode keinen Menschen mehr gefunden hätte, der es der Mühe werth hielte, mich gern zu haben. Ich könne es auch entbehren, prahlte ich, um ihn nur ja nicht glauben zu lassen, ich bettelte um ein bischen Herzlichkeit. Doch fühlte ich, wie er sanft meinen Arm drückte, und ein paarmal sagte er leise: Armes Mädchen! Armes liebes Kind!

Ja, er hat ein gutes Herz, Sie mögen sagen, was Sie wollen.

Und so waren wir endlich in der Stadt, aber von dem nächsten Wege nach meiner Wohnung abgekommen. Ich blieb stehen und sagte: Nun will ich nach Hause. Ich danke Ihnen für Ihre Begleitung und daß Sie so freundlich zu mir waren.

Wollen Sie sich nicht einen Augenblick mein Atelier ansehen? sagte er. Es ist ganz nah, nur noch zehn Schritte bis zu dem großen Hause dort. Oder werden Sie zu Hause erwartet?

Wer sollte auf mich warten? erwiderte ich. Aber in Ihrem Atelier, so gern ich Ihre Malereien sehen würde, ist's jetzt dunkel. Und dann, es schickt sich auch nicht.

O was das betrifft – ein Atelier ist keine Wohnung, zu mir kommen die respectabelsten Damen, und Niemand findet Etwas dabei. Und die Dunkelheit – ich male sogar manchmal bei Gaslicht. Kommen Sie, Fräulein Wally. In einer halben Stunde haben Sie all meine unsterblichen Werke betrachtet.

Sie werden es sehr unrecht finden, chère Madame, daß ich mit ihm ging, aber was wollt' ich machen? C'était plus fort que moi. Ich dachte freilich auf der steilen Treppe, ich würde nicht bis in den vierten Stock hinaufkommen vor Herzklopfen, so leicht ich auch meine vier Stiegen hinaufspringe. Er blieb auch ein paarmal stehen und fragte: Sind Sie müde, liebes Fräulein? – Oh, du tout! Es sei nur so finster aus der Treppe. – Da nahm er meine Hand und führte mich die letzten Stufen hinauf und schloß oben gleich auf.

Sie kennen ja das Atelier. Ich hatte mir's schöner vorgestellt, er sagte aber, vorläufig müsse er sich so behelfen, bis er sein Bild verkauft habe. Die Gasflamme in der Mitte wollte er anzünden, aber er konnte das Streichholzschächtelchen nicht finden. – Es ist auch gleich, sagte er lachend, der Mond scheint ja so hell herein, daß Sie Alles ganz deutlich sehen können, und für meine Bilder ist das clair-obscur nur vortheilhaft. Erst aber setzen Sie sich einen Augenblick da auf den Divan – und ruhen sich aus von der Bergwanderung. Wollen Sie ein Gläschen Portwein zur Stärkung? Ich habe da im Schrank eine ganz gute Sorte. Nun, wenn Sie gegen alle geistigen Getränke einen Abscheu haben, da ist noch ein Teller mit Früchten. Ich habe heut früh Modell gehabt, ein fünfjähriges Mädchen, dem mußt' ich doch was zu naschen geben.

Sehen Sie, immer sein gutes Herz.

Aber ich dankte für Alles. Ich saß auf dem Divan und sah in den hellen Lichtschein, der durch das große Fenster hereinfiel, und wieder war mir wie im Traum. Wenn du jetzt stürbest, dacht' ich', nach einem so himmlischen Tage, wie kein zweiter kommen wird – und dabei drückte ich die Augen zu und fühlte nur Eins: daß ich mit ihm dieselbe Luft athmete, und dachte, seliger könne man nicht sein.

Aber dann – dann – –!

Ah, chère Madame, – wie ich dann plötzlich eine warme Hand auf meiner Schulter fühlte und einen Mund auf meinen geschlossenen Augen und eine ganz weiche Stimme an meinem Ohr: Liebste Wally, was bist du für ein reizendes Geschöpf! – und ich hatte die Kraft nicht, mich zu besinnen, daß das ja auf mich nicht paßte; ich fühlte nur, in dem Augenblick war es ernst gemeint, es war ein Mensch da, der mich reizend fand trotz alledem, der mich lieb hatte so, wie ich nun einmal war, und da verlor ich all' meine Vernunft und schlang die Arme um diesen Menschen und brach in Thränen aus, die seligsten Thränen, die ein armes einsames Menschenkind je geweint hat.

*

Alles, was ich Ihnen da sage, fuhr die Erzählerin nach einer kleinen Pause fort, klingt nicht entfernt so rührend naiv, wie die eigenen Worte, in denen das wunderliche Mädchen mir ihre Bekenntnisse machte, zuweilen ganze Sätze in ihrer Muttersprache, dann wieder in einem gewählten Deutsch, das sie in allerlei Büchern zusammengelesen hatte, die ich ihr hin und wieder hatte leihen müssen. Sie begreifen aber, wie mich diese Beichte erschrecken mußte.

Wally, sagte ich, was gäbe ich drum, daß Sie mir wirklich nur einen Traum erzählt hätten!

Da sah sie mich so strahlend glückselig an, mit einem so stolzen Blick und triumphierenden Lächeln, daß ich einen Augenblick begriff, selbst vor einem Künstlerauge könne dies Gesicht und die ganze fremdartige Person Gnade gefunden haben.

Nein, chère Madame, rief sie, es war keine Illusion, sondern ich hab' es mit wachen Sinnen erlebt und weiß nun, weßhalb es der Mühe werth ist, auf die Welt zu kommen, selbst als ein Stiefkind der Natur. Oh, Madame, als ich im dunklen Morgen die Treppe wieder hinunterschlich, und er ging mit, mir das Haus aufzuschließen – an der Schwelle wandte ich das Gesicht von ihm weg, damit er nicht seinen Irrthum einsähe und bereute, mich glücklich gemacht zu haben!

Und wenn er es nun doch bereut? Und – wenn Sie es bereuen?

Sie schüttelte, träumerisch vor sich hin lächelnd, den krausen Kopf.

Nein, nein, nein! sagte sie, tief aufathmend, ich nie! Mag kommen, was da will. Einmal hat mich ein Mensch, solch ein Mensch, wie es keinen zweiten giebt, liebenswerth und begehrenswerth gefunden, um meiner selbst willen, so unbegreiflich es scheint. Die Gewißheit kann mir durch Nichts geraubt werden, und alles Andere ist Nichts dagegen. Nein, und auch ihn kann es nicht reuen, sein Herz ist viel zu gut, er hat wohl gesehen, wie stolz und glücklich er mich gemacht hat. Und wenn ich auch von heut an nicht mehr für ihn vorhanden sein sollte – an die Stunden im Mondschein wird auch er ewig denken und fühlen, daß ihn nie ein Weib heißer lieben kann als sein armer, häßlicher Schatz, sein kleiner afrikanischer Wildling, wie er mich genannt hat!

Was war auf solche Worte zu erwidern!

Ich behielt denn auch meine sittliche Weisheit für mich, da geschehenen Dingen nun einmal nicht zu rathen ist. Ich erkannte ja auch, daß die schönste Bußpredigt verlorene Mühe gewesen wäre. Denn die strahlende Heiterkeit auf dem Gesicht der armen Sünderin blieb ihr nicht nur diesen Tag, sondern alle folgenden treu. Sie ging umher wie eine Bettlerin, die über Nacht das große Loos gewonnen hat, lachte, hatte witzige Einfälle und summte ihre französischen Liedchen; sie war wieder die alte Wally, nur um zehn Jahre jünger und ungebundener.

Gegen meinen Mann hütete ich mich wohl Etwas von dem Geschehenen verlauten zu lassen. Er verstand in solchen Sachen keinen Spaß, und es hätte eine böse Viertelstunde für den Vetter gegeben. Mit welchem Gesicht ich selbst diesem sauberen Patron wieder begegnen sollte, darüber konnte ich nicht mit mir ins Reine kommen. Er überhob mich aber dieser Verlegenheit, er blieb einfach weg und entschuldigte sich in einem Billet gegen meinen Mann mit einer Studienfahrt ins Gebirge.

Als dann aber der Winter kam und er sich auch da noch nicht wieder blicken ließ, konnte ich Julius nicht länger im Dunkeln lassen. Zumal die Sonne es doch endlich an den Tag bringen mußte, da das arme Mädchen ihren Zustand nicht mehr zu verbergen vermochte. So empört nun mein lieber Mann die Sache aufnahm – er schrieb dem Sünder ein Billet, in dem er ihm das Haus verbot und ihn aufforderte, sein Verbrechen wenigstens durch die Sorge für das Kind zu sühnen – die Wally schien auch jetzt noch nicht die geringste Reue über ihre besinnungslose Hingabe zu empfinden. Sie trug ihre Bürde vielmehr wie eine glückliche junge Frau, ja unverhüllter und fröhlicher als so Manche, die »einem freudigen Familienereigniß« entgegenbangen. Was sie über die Zukunft dachte, ob sie sich wohl gar einbildete, der Vater ihres Kindes werde sich zu ihm bekennen und – was ja undenkbar war – das arme Opfer eines verhängnißvollen Sinnenrausches zu seinem Weibe machen, das war aus dem immer glückselig lächelnden und aller Welt dreist ins Gesicht schauenden Wesen nicht herauszubringen.

Nur so viel erfuhr ich, daß sie ihm geschrieben hatte, wie es um sie stand. Doch selbst, daß sie keine Antwort darauf erhielt, schien ihre hoffnungsfrohe Stimmung nicht im mindesten zu trüben. Sie erinnerte mich an jene historischen Bürgermädchen, die es als eine hohe Ehre betrachtet hatten, daß ein durchreisender Fürst sie gewürdigt, ihnen das Schnupftuch zuzuwerfen.

Leider waren die Zeiten andere geworden, und auch der Abstand zwischen einem Karl V. und einem unberühmten jungen Maler kam zu Wally's Ungunsten in Betracht.

Als aber das Kind geboren war und auf die Nachricht davon der Vater auch jetzt noch Nichts von sich hören ließ, bemerkte ich doch einen trübsinnigen Zug auf dem Gesicht der jungen Mutter. Ich suchte sie, da ich mich öfter in ihrer Wochenstube einfand, hierüber zu beruhigen. Werden Sie glauben, daß auch jetzt noch nicht der geringste Zweifel an seinem »guten Herzen« in ihr aufstieg? Der Grund ihres Kummers war ein ganz anderer. Er müsse die Wohnung gewechselt haben, so daß ihre Briefe ihn nicht erreicht hätten, und es schmerze sie nur darum, weil er nun die Freude nicht haben könne, zu sehen, welch ein wunderschönes Kind sie ihm geschenkt habe.

Die arme Unschuld! Und sie hatte sonst einen so klaren, nüchternen Verstand in allen Lebensdingen gezeigt, solange sie noch une honnête fille gewesen war.

Daß das Kind aber von ungewöhnlicher Schönheit war, mußte ihr ein Jeder zugestehen. Es war ein Knabe, der von der Mutter nur die schwarzen Augen hatte, aber den Schnitt derselben vom Vater und diesem auch sonst, wie man sagt, »aus den Augen geschnitten«. Die Mutter konnte ihn selbst stillen. Ich werde nie den Ausdruck hingerissener Zärtlichkeit, eines völligen Aufgehens in das geliebte Geschöpf vergessen, mit dem sie auf den Säugling an ihrer Brust herabsah. »Es ist ja sein Kind, und was geht die ganze Welt mich an, die mich nur beneiden muß! – Sie giebt mir ja Nichts dazu!«

So blieb es mit ihr auch, als das Bübchen heranblühte, nur daß ihr Mutterstolz immer noch wuchs und ihr ganzes Leben sich um das Kind drehte. Seit es auf der Welt war, konnte sie nicht mehr daran denken, zu ihren Kundinnen ins Haus zu gehen. Nicht eine Stunde hätte sie den Kleinen irgend einer andern Obhut anvertrauen mögen. Also mußte man die Aufträge in ihre Wohnung schicken und sich zum Anprobiren selbst in die Mansarde hinausbemühen, wo es übrigens sehr sauber und anständig aussah. Da sie wirklich eine ausnehmend geschickte Person war, fanden sich auch die meisten Damen in die veränderte Lage, und kaum Eine nahm an dem »ledigen« Kinde Anstoß – man ist ja in unserm lieben München in dem Punkt ziemlich weitherzig.

Das Knäbchen aber war ein so süßer kleiner Bursch, daß die Mutter sich nur zu wehren hatte gegen die Verhätschelung, mit der es Alt und Jung überhäufte. So eitel sie auf diese Erfolge war, so verständig sorgte sie doch dafür, daß das Kind mit Näschereien nicht krank gemacht wurde. Als es erst aus dem Gröbsten heraus war und im Wägelchen oder auf dem Arm der Mutter an die Sonne durfte, war es ihr besonderes Vergnügen, sich mit ihm an Sonntagen unter recht vielen Menschen sehen zu lassen. Sie erzählte mir oft lachend, wie verdutzt die Leute ihr ins Gesicht geschaut hätten, wenn sie auf die Frage, wem das reizende Kind gehöre, geantwortet habe: »Ich bin seine Mutter.« Man habe nicht glauben wollen, ein Aepfelchen könne so weit vom Stamme gefallen sein.

—————

Ein paar Jahre gingen so hin. Der Vetter war und blieb für uns verschollen, und auch Wally, die ich einmal nach ihm fragte, konnte mir Nichts von ihm sagen, obwohl ich überzeugt war, daß sie Alles aufgeboten hatte, seine Spur aufzufinden. Zufällig hörte ich einmal, er habe sich auf einem gräflichen Landsitz, ein paar Stunden von München entfernt, mit seinem hübschen Aeußern und den insinuanten Manieren eingenistet und male da die ganze große Familie, ein Kind nach dem andern.

Wir waren nicht unglücklich darüber, ihn aus dem Gesicht verloren zu haben, und Wally schien mit der Zeit auch kein Verlangen nach einem Wiedersehen zu empfinden, zumal sie ja zum Trost sein Ebenbild hatte, das sie täglich mehr vergötterte. Sie kleidete den holden Buben wie einen kleinen Prinzen, mit dem raffinirtesten Luxus, während sie ihre eigene Toilette sichtbar vernachlässigte, sogar ihren Goldschmuck nach und nach zu Gelde machte, wenn das Geschäft zeitweise schlechter ging, nur damit das Kind in Sammet und Spitzen erscheinen konnte.

Einen Sonntag Nachmittag aber kam sie in höchster Aufregung zu mir ins Zimmer, den Knaben, der nun schon das dritte Jahr hinter sich hatte, in seinem schmucken Straßenanzug an der Hand führend. Sie mußte mir ihr Herz ausschütten, das zum erstenmal heftig verwundet worden war.

In den Isarauen, wohin sie mit dem Kinde gegangen war, hatte sie sich plötzlich, um eine Ecke des Weges biegend, ihrem treulosen Geliebten gegenüber befunden, Ihre erste Regung war ein freudiger Schrecken gewesen, sie habe kein Wort hervorzubringen vermocht, ihn nur immer angeschaut, da er eine schwermüthige Miene gehabt und auch blasser und weniger »soignirt« als früher ausgesehen habe. Sie hier, Wally! habe er gestammelt. Sie aber, statt aller Antwort, habe den Buben aufgehoben und ihm hingehalten. Und nun denken Sie sich, chère Madame, was er sagt, mit einem ganz fremden Blick, als ob ihn die Schönheit des lieben Wurmes gar nicht rühre: Wem gehört das Kind, Fräulein Wally? – Ja, das hat er übers Herz und über die Lippen bringen können!

Sie aber habe rasch darauf erwidert, jetzt in hellem Zorn: Gieb dem Papa ein Händchen, Eduardchen! – denn es hieß wie der Vater. Der habe die kleine Hand zwar genommen und sei noch blasser geworden, habe sich aber gefaßt und zwischen den Zähnen gemurmelt: So kleine Kinder halten noch jeden Erwachsenen für ihren Papa! – und nach einer Weile habe er hinzugesetzt: Es scheint Ihnen ja gut zu gehen – ich selbst bin erst seit Kurzem wieder in der Stadt und werde nicht lange hier bleiben, ich kann das Klima nicht vertragen. Leben Sie wohl, Fräulein Wally, und halt – er sah jetzt doch den Kleinen noch einmal an, und so Etwas wie ein väterliches Gefühl schien sich in ihm zu rühren – da! sagte er und zog ein blankes Zweiguldenstück aus der Tasche, da nimm das, Kleiner, und kaufe dir Guts dafür, weil du ein so artiger kleiner Mann bist.

Das Kind, das dazu erzogen war, von Fremden Nichts anzunehmen ohne die Erlaubniß seiner Mutter, blickte nach dieser hin. Wally aber stieß die Hand mit der Münze vor dem Kinde zurück, daß das Geldstück auf den Boden rollte, warf dem Verräther einen flammenden Blick zu, und das Kind mit beiden Armen an sich drückend, schritt sie an seinem herzlosen Vater vorbei, ohne noch ein Wort zu sagen, da andere Spaziergänger sich eben der einsamen Stelle näherten.

Als sie in ihrem Bericht so weit gekommen war, brach sie in heftiges Weinen und Schluchzen aus. Doch nur ein paar Augenblicke. Dann sah sie auf, trocknete ihr Gesicht und sagte:

Je suis folle! Seien Sie mir nicht böse, chère Madame. Es kam nur so plötzlich, und daß er das dem Kinde anthun konnte –, es schnitt mir zu tief ins Herz. Aber da ich mich nun ausgeweint habe, bin ich wieder ruhig und seh' die Sache anders an. Konnte er wohl gleich zur Besinnung kommen, da ich ihm wie aus dem Hinterhalt in den Weg trat? Gewiß hat ihm das Kind gefallen, aber mein Gott! es will Alles gelernt sein, auch die Vaterfreude. Und wenn er ihm das Geld gab – es war gewiß nicht, wie man einem Bettelkind ein Almosen giebt, nein, er hatte nicht mehr und nichts Anderes bei sich, dem lieben Buben eine Freude zu machen. Jetzt bin ich mir böse, daß ich's ihm so heftig aus der Hand schlug; wie kann ich ihm da noch liebenswürdig erscheinen? Und er sah krank aus, und gewiß geht es ihm schlecht, er muß au jour le jour leben, wie die meisten Maler, er hätte sonst gewiß schon längst für sein Kind gesorgt, denn daß er es nicht dafür angesehen hätte – oh, das ist unmöglich, das entfuhr ihm nur so in der Verlegenheit, und wenn nicht Leute dazugekommen wären –

Die Augen gingen ihr wieder leise über, sie hob den Knaben auf und bedeckte sein argloses Gesichtchen mit leidenschaftlichen Küssen.

Dann, als ich stumm blieb, um die tieferschütterte arme Seele nicht durch eine kühle Bemerkung zu verletzen:

Ich weiß, chère Madame, Sie trauen ihm nichts Gutes zu. Ach, und ich denke ja auch nicht, daß er mich heirathen würde, nein, nein! Es wäre ja auch ein Wahnsinn – eine solche mésalliance – ich selbst würde mich schämen, mich neben ihm als seine Frau sehen zu lassen, und ich habe ja auch mein Theil Glück genossen, und daß ich das Kind habe, dafür bin ich ihm ewig Dank schuldig. Er hat mir auch damals in jener Nacht gesagt, er werde nie heirathen, um nur seiner Kunst zu leben, und das verstehe ich vollkommen. Aber daß er sich des Kindes annehmen wird, später, wenn seine Verhältnisse es erlauben, daß er ihm ein guter, zärtlicher Papa werden wird, das Zutrauen habe ich zu ihm, und wenn er mich darin täuschen könnte – nein, nein, sagen Sie Nichts! An seinem guten Herzen werde ich nie zweifeln, es würde mich zum Wahnsinn bringen!

Damit nahm sie ihren Knaben wieder an die Hand und verließ mich, und ich war froh, daß mir jede Erwiderung abgeschnitten wurde.

*

Dann verging wieder ein Jahr.

Ich sah die Wally nur selten, da sie gar nicht mehr bei mir arbeitete. Wenn sie kam, um sich für kleine Geschenke zu bedanken, die ich dem lieben Kinde machte, fiel mir ihre trübsinnige Miene auf, eine seltsame nervöse Unruhe und die Hast, mit der sie nach kurzer Unterhaltung sich wieder empfahl. Von dem, der ihre Schwermuth auf dem Gewissen hatte, war zwischen uns nie mehr die Rede.

Auch sonst blieb er für uns verschollen, bis ich eines Tages in der Zeitung las, er habe sich mit der Tochter eines sehr angesehenen höheren Beamten verlobt. Von anderer Seite erfuhr ich, das Mädchen sei wegen seiner Schönheit und Liebenswürdigkeit bekannt, die Eltern, sehr wohlhabend, hätten sich lange dieser Verbindung widersetzt, da sie mit ihrer einzigen Tochter höher hinausgewollt hätten, die aber sei so leidenschaftlich in den unbedeutenden schönen Maler verliebt gewesen, daß der Vater endlich nachgegeben habe.

Ich dachte mit Schrecken daran, welchen Eindruck die Nachricht auf die arme Verlassene machen möchte. Da sie aber sehr einsam lebte, keine Zeitungen las – ihre arbeitsfreie Zeit brachte sie damit zu, mit ihrem Bübchen zu spielen – so hoffte ich, der bittere Kelch würde an ihr vorübergehen.

Ich sollte mich leider getäuscht haben.

Etwa eine Woche später begegnete mir die Wally auf der Treppe, da ich eben nach Hause kam. Sie war so in sich versunken, daß sie mich erst gewahr wurde, als ich schon an ihr vorbei war und ihr einen guten Abend nachrief, da blieb sie stehen und sagte:

Sie sind es, chère Madame! Wissen Sie denn auch schon? Und was sagen Sie dazu?

Ihre Stimme klang dumpf und rauh. Kein Ton mehr, der an ihre chansons erinnerte.

Sie haben sich ja schon drein ergeben, liebe Wally, sagt' ich, daß es ganz aus ist zwischen ihm und Ihnen. Seien Sie nun vernünftig und schlagen das Kreuz über ihn. Sie haben ja auch das Kind, das Sie so lieben.

Eben weil ich es so liebe! brach es aus ihren zitternden Lippen hervor. Und hat er nicht gesagt, er würde nie heirathen? O, Sie kannten ihn besser, er ist schlecht und hat kein Herz im Leibe, und ich hasse ihn jetzt, noch mehr, als ich ihn früher geliebt habe. Aber das ist gleichgültig, für mich ist er todt, nur für sein Kind soll er leben! Wenn ich einmal nicht mehr bin, was vielleicht nicht lange mehr dauert, muß der Sohn doch einen Vater haben. Das hab' ich ihm auch geschrieben, das mußte er doch wissen, wenn es ihm auch seine Bräutigamslaune verdirbt.

Sie haben das wirklich gethan, Wally?

Sie nickte heftig mit dem Kopf, den die krausen Haare wirr umgaben, denn sie achtete so wenig mehr aus ihr Aeußeres, daß sie in bloßem Kopf, wie sie von ihrer Arbeit aufstand, auf die Straße lief, um etwa beim Bäcker oder Krämer Etwas einzukaufen.

Gewiß, sagte sie. Einen kurzen, ganz ruhigen Brief habe ich ihm geschrieben, keinen Bettelbrief. Ich habe ihn nur gefragt, ob er für sein Kind sorgen wolle und es als seins anerkennen. So lange ich lebte, brauchte ich seine Gnade und Großmuth nicht, ich verlangte nur mein Recht für das unmündige Wesen. Ich wollte Ihnen erst den Brief zeigen, chère Madame. Dann habe ich's unterlassen. Ich hätte ihn doch abgeschickt, auch wenn Sie mir abgerathen hätten.

Und hat er Ihnen geantwortet?

Nur vier Zeilen. Keine Anrede: »liebe Wally!« auch die Schrift schien mir verstellt zu sein. Er wisse sich frei von jeder Verpflichtung und verbitte sich's, daß man ihm eine Vaterschaft aufdrängen wolle, die durch Nichts zu beweisen sei. Wenn ich noch einmal an ihn schriebe, werde er gegen solche Erpressungsversuche sich zu schützen wissen. Keine Unterschrift. Aber in dem Couvert lagen fünfhundert Gulden. Damit war ich abgefunden.

Sie hatte das Letzte mit einer wilden Geberde ganz laut hinausgeschrieen und wiederholte das »abgefunden« noch zwei-, dreimal. Ich kann nicht sagen, wie sehr sie mich dauerte.

Ich wollte sie mit mir nehmen in meine Wohnung. Sie schüttelte den Kopf, blieb aber noch bei mir stehen, sich am Treppengeländer haltend, da ihr ganzer Leib wie von einem Krampf geschüttelt wurde. Nach einer Weile sagte sie, jetzt wieder mit gedämpfter Stimme:

Ich habe ihm das elende Geld sofort zurückgeschickt, in einem eingeschriebenen Couvert, kein Wort dazu. Aber wir sind noch nicht fertig mit einander. Ich bin nur eine arme unbedeutende Person, die so dumm war, ihn für einen Gott zu halten, während er doch le dernier des hommes ist. Aber es giebt noch eine himmlische Gerechtigkeit, wenn auch kein menschliches Erbarmen, und die soll er kennen lernen – die soll er kennen lernen – so wahr ich sein Kind unterm Herzen getragen habe!

Um Gotteswillen, Wally, was haben Sie vor? rief ich und haschte nach ihrer Hand, um sie mit hineinzuziehen und ihr zum Guten zuzureden. Sie sagte aber nur: Nous verrons! und rannte die Treppe hinab, ohne mir weiter Rede zu stehen.

Als ich am nächsten Tage zu ihr hinaufstieg und an ihrer Thür klingelte, fragte sie, ohne zu öffnen, wer zu ihr wolle. Sie erkannte meine Stimme und entschuldigte sich, sie könne mich nicht einlassen, sie sei beschäftigt, den Kleinen zu baden. Ich sah, sie wich mir aus, und da ich hoffte, mit der Zeit würde sie sich beruhigen und eben des Kindes wegen nichts Thörichtes unternehmen, unterließ ich jeden weiteren Versuch, mich in ihr Vertrauen einzudrängen. Daß unser sauberer Herr Vetter uns weder seine Verlobung angezeigt hatte, noch uns zur Hochzeit einlud, konnten wir ihm nach dem Billet meines Mannes nicht verdenken. Nur zufällig erfuhren wir auch den Tag der Vermählung und daß die Trauung in der Theatinerkirche vor sich gehen sollte.

Meine weibliche Neugierde war stark genug, daß es mich an jenem Mittage nicht zu Hause duldete. Es war das unfreundlichste Frühherbstwetter, das man sich denken konnte, ein Strichregen fegte durch die Straßen, der nur gerade in dem Augenblick nachließ, als ich um die Ecke der Briennerstraße bog. Da sah ich schon von weitem den dichten Menschenhaufen, der sich vor dem Portal der Kirche ausgestellt hatte und nur eine schmale Gasse in der Mitte frei ließ, durch die das Hochzeitspaar und die Gäste sich hindurchwinden konnten.

Ich hatte mich eben unter die anderen erwartungsvollen Zuschauer gemischt und konnte, wenn ich mich auf den Zehen erhob, zur Noth über die vorderen Köpfe des Spaliers hinwegsehen, da es zumeist aus Frauenzimmern bestand, – als der Brautwagen vorfuhr, und gleich darauf die beiden Neuvermählten aus dem dunklen Hintergrunde der Kirchenthür auftauchten. Es war wirklich ein wunderschönes Paar, das die bewundernden Ausrufungen rings um mich her vollauf verdiente. In seinem Hochzeitsfrack und der weißen Cravatte erschien der »liederliche Strick« so würdevoll, und die Weihe des Tages hatte seine Züge so entschieden geadelt, daß er mir fast wie ein Fremder vorkam. Die junge Frau vollends bezauberte das ganze Publicum, mich mit einbegriffen. Man konnte sich keine reizvollere Gestalt, kein vollkommneres Bild süßer, verschämter und doch glückseliger Mädchenjugend denken, und selbst der obligate lange Schleier und übrige Brautstaat, der mir immer einen leichenhaften Eindruck macht, schadete dieser eben aufgeblühten jungen Menschenblume Nichts. Wie sie die feucht schimmernden großen verträumten Augen einen Moment über die Menge gleiten ließ und dann in strahlendem Stolz wieder zu ihrem jungen Gatten wandte, hatte sie jedes Herz gewonnen, und ein Summen ging durch die gaffenden Haufen, daß es mich nicht gewundert hätte, wenn ganz gegen die Sitte Alle in einen lauten Hochruf ausgebrochen wären.

In diesem Augenblick aber, als der Bediente eben den Wagenschlag öffnete, ertönte aus dem Gewühl aus der andern Seite ein schriller Schmerzensruf, der mich erschrocken zusammenfahren ließ. Ich hatte die Stimme erkannt – oder doch zu erkennen geglaubt, und noch Jemand war dadurch erschüttert worden – der junge Ehemann. Wenigstens drehte er unwillkürlich den Kopf nach jener Seite, doch nur um sich erschrocken wieder umzuwenden und in höchster Eilfertigkeit die schlanke weiße Gestalt in den Wagen zu heben und, nachdem er sich ihr nachgeschwungen, den Schlag mit einer hastigen Geberde zuzuwerfen.

An dem lebhaften Gewirre drüben war zu erkennen, daß irgend ein Unfall sich ereignet haben müsse. In meiner ahnungsvollen Angst drängte ich mich durch die Menschenmauer vor mir und brach mir auch drüben Bahn, während schon die Brauteltern unter dem Portal erschienen, um ihren Wagen zu erreichen. Ich fand an einer Ecke der Kirche einen kleinen Hausen mitleidiger Menschen um eine hingesunkene Gestalt bemüht. Ein Frauenzimmer sei ohnmächtig geworden, gerade als das junge Ehepaar in den Wagen steigen wollte, man habe Mühe gehabt, sie aus dem Gedränge bis in diesen Winkel zu schaffen, ein kleiner Bub sei bei ihr, von dem sie die Bonne zu sein scheine.

So war sie's denn wirklich. Das Kind, das nur unklar verstand, seiner Mutter sei unwohl geworden, hatte ihre starre Hand gefaßt und bemühte sich, sie aufzurichten. Als es mich erblickte, fing es an zu weinen und schmiegte sich hülfesuchend an mich. Ich erklärte sogleich, die Frau sei mir bekannt, ich wohne mit ihr in demselben Hause, und bat, daß man eine Droschke holen möchte. Bis die vom Theaterplatz herbeikam, war die Unglückliche halb wieder zu sich gekommen, und als wir sie in den Wagen geschafft hatten und nun von der Theatinerkirche weg, um die Hochzeitswagen nicht zu kreuzen, auf einem Umweg nach Hause fuhren, richtete sie sich aus dem Sitzkissen auf, sah mit wirren Blicken um sich und drückte dann das Kind, das zwischen uns saß, mit wilder Inbrunst an ihren Busen. Gleich darauf brach sie in fassungsloses Weinen aus und vergrub ihre überströmenden Augen in das weiche Lockenhaar des Knaben.

Ich ließ es mir natürlich nicht nehmen, sie in ihre Wohnung hinaufzubegleiten. Auch war sie so schwach, daß sie ohne Unterstützung die Treppen kaum hätte ersteigen können. Als wir oben waren, sank sie auf einen Stuhl und lag eine Weile mit geschlossenen Augen. Sie sah erschreckend todtenhaft aus, der Mund stand ihr offen, aus den Augenlidern rann noch immer dann und wann ein schwerer Tropfen über die ganz entfärbten Wangen.

Ich wartete schweigend, bis sie sich etwas gefaßt haben würde. Auf einmal fuhr sie in die Höhe und befahl dem Kleinen, der verschüchtert sich in eine Ecke gestellt und sie mit furchtsamen Augen angestarrt hatte, sein Spielzeug zu nehmen und in die Schlafkammer zu gehen. Ich hatte sie nie so unfreundlich das Kind anreden hören, das denn auch mit einer Angstgeberde hinausschlich.

Auch als wir allein waren, entschloß sie sich nicht gleich zu reden. Dann sagte sie: Ich bin feige gewesen, verachten Sie mich, feige und schwach, aber es war zu viel nach Allem, was ich schon ausgestanden hatte. Ich habe mich rächen wollen – nein, nicht mich, das Kind, das ja Nichts dafür kann, daß seine Mutter eine Närrin gewesen ist und geglaubt hat, was einer der falschen Männer sagte. Da sehen Sie, chère Madame – und sie zog eine kleine Flasche aus ihrem Rock und hielt sie mir dicht vors Gesicht – da drin hatte ich meine Rache. Schon Andere, die so wie ich betrogen wurden, haben sich damit Gerechtigkeit verschafft, und die Jury hat sie hernach freigesprochen. Und ich elende Memme habe es nicht übers Herz gebracht – pfui der Schande!

Damit warf sie die Flasche heftig gegen den Fußboden, das Glas zerbrach klirrend, und eine bläuliche Flüssigkeit rieselte über die blanken Dielen.

Danken Sie Gott, Wally, rief ich entsetzt, daß Sie im letzten Augenblick nicht den wahnsinnigen Muth fanden, so etwas Gräßliches zu thun!

Gott soll ich danken? murrte sie mit einem wilden, heiseren Lachen, das ihr Gesicht verzerrte. Dem Teufel dank' ich, daß ich mich nun mein Leben lang zu schämen habe. O, es wäre so herrlich gewesen: den Pfropfen heraus und der schönen Braut das Vitriol ins Gesicht gespritzt und dann den Buben aufgehoben und gerufen: Da sieh dir deinen Vater an, was er sich für eine schöne Dame zur Frau genommen hat! – Aber meine verwünschte Schwäche für alle schönen Gesichter! Wie die Neuvermählte heraustrat und ich sie zum erstenmal sah, und die Weiber neben mir flüsterten, daß sie wie ein Engel aussähe – ich konnte die Hand, die nach der Flasche in meinem Kleide gegriffen hatte, nicht herausziehen, ich war wie behext, nicht einmal ihn konnte ich ansehen, immer nur das reizende junge Gesicht unter dem grünen Kranz, und da war's, als griffe mir eine kalte eiserne Faust nach dem Herzen, und ich fiel um und wußte Nichts mehr von mir, und ich wollte, ich wäre nie wieder zu mir gekommen oder unter die Pferde gerathen, die den Hochzeitswagen zogen!

Wally, sagte ich, kommen Sie nun vollends zu sich und reden Sie nicht so gottlose Dinge. Ich denke nicht daran, Ihnen ausreden zu wollen, daß Sie sehr unglücklich sind. Aber Sie sind es dem Kinde schuldig, sich vernünftig aufzuführen, damit es wenigstens seine Mutter lieben und Respect vor ihr haben kann, wenn es auch vaterlos heranwächs't. Und wird es Ihnen nicht in all Ihrem Gram ein Glück und Trost sein, ein so liebes, schönes Kind zu haben?

Sagen sie mir Nichts von dem Kinde! rief sie mit einem wilden Blick nach der Kammerthür. Das ist das Aergste! Ein liebes Kind? Die Kröte ist der ganze Vater, und wird's immer mehr werden. Haben Sie nicht gesehen, wie feindselig er mich anstierte, eben jetzt, mit einer so kalten Miene, wie sein cher Papa, als er meinen Schrei vor der Kirchenthür hörte? Er liebt mich nicht, schon jetzt, und wird mich hassen und verachten, wenn er erst zu Verstande kommt und erfährt, daß er ein Jungfernkind ist. O und daß er schön ist – das bringt mich nun erst recht zum Rasen. Hat er nicht ganz seine Augen und die schöne gerade Nase – das Mulattenkind! – und den stolzen Zug um den Mund? Und das soll ich nun alle Tage sehen und immer daran erinnert werden, daß ich eine so verblendete Närrin gewesen bin, einem solchen Gesicht zuzutrauen, ein gutes Herz könne dahinterstecken? Nein, einmal angeführt und nie wieder! Nachgerade bin ich durch Schaden klug geworden.

Sie stand auf, mit einem rauhen Lachen, das mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Indem trat der Knabe wieder herein, blieb furchtsam an der Schwelle stehen und sagte ganz leise: Mich hungert, Maman. Essen wir heute nicht zu Mittag?

Sie schien das gar nicht zu hören. Sie ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, fuhr sich mit einem Taschenkämmchen durch das wirre Haar und summte eins ihrer Liedchen. Der kleine Kochofen, in dem sie ihre einfachen Mahlzeiten zu bereiten pflegte, war kalt, zu einem Mittagessen Nichts zugerüstet.

Ich weiß nicht, sagt' ich, ob Sie im Stande sind, Etwas zu genießen. Das Kind aber soll nicht hungern, und Sie werden mir erlauben, es mit mir hinunterzunehmen, da wir gleich zu Tisch gehen werden.

Sie blieb plötzlich stehen. Das Kind gehört zur Mutter! stieß sie rauh hervor. Wir sind nicht zu Papa's Hochzeit geladen, Eduard, aber das thut Nichts. Ein Stück Brod wird sich noch für uns finden.

Sie hatte das Kind heftig an sich gerissen, da es aber zu weinen anfing, überkam auch sie wieder ein weiches Gefühl. Sie hob den Kleinen aus, küßte ihn auf die Stirn und sagte: Pauvre cher ange! Verzeih deiner armen Mutter, daß sie dich in die Welt gesetzt hat! Sie hat es schon tausendmal bereut.

*

Ich schickte ihnen etwas Essen hinaus, und das Mädchen berichtete, sie habe Mutter und Kind in dem großen Stuhl am Fenster sitzen gefunden, den Kleinen auf ihrem Schooß, und er scheine ganz vergnügt auf das gehorcht zu haben, was die Mutter ihm erzählte. Das beruhigte meine unheimliche Stimmung. Ich unterließ es auch, am Nachmittage mich noch einmal nach der Unglücklichen umzusehen, da ich ja erfahren hatte, wie wenig Einfluß auf ihr Gemüth ich besaß. Ich konnte aber den ganzen Tag an nichts Anderes denken und erinnere mich noch deutlich, daß ich ein langes Gespräch mit meinem Manne hatte, wobei wir auch auf Medea kamen. An Jasons, sagte er, ist ja auch in der modernen Welt so wenig Mangel wie in der antiken, aber darin unterscheiden sich die heutigen von ihren berühmten Mustern, daß sie, wenn sie ihre Kreusa finden, der armen Abgedankten nicht auch die Kinder nehmen wollen, so daß das desperate Weib zu der unnatürlichsten aller Greuelthaten getrieben wird. Du sollst sehen, in vierzehn Tagen ist deine Medea mit ihrem Loose leidlich ausgesöhnt und schneidert einen neuen Sammetanzug für ihren vergötterten Buben.

Ich ließ mich nur zu gern beruhigen und nahm mir vor, am andern Nachmittage Mutter und Kind zu einer Spazierfahrt mitzunehmen, ihr Gemüth ein wenig zu zerstreuen. Am Vormittag hatte ich allerlei Besorgungen in der Stadt zu machen und kam erst gegen Mittag heim. Da fand ich aber das ganze Hans in Aufruhr. Das Entsetzlichste hatte sich zugetragen.

So gegen Zehn war die Hausfrau, die Etwas auf dem Speicher zu thun hatte, an Wally's Mansarde vorbeigekommen und hatte einen seltsamen Kohlendunstgeruch gespürt, der aus dem Innern hervordrang, etwas ganz Auffallendes zu dieser Jahreszeit. Auf ihr Klingeln und Klopfen war nicht geöffnet worden, sie hatte endlich mit Hülfe des Hausknechts die Thür gesprengt und in der Schlafkammer, wo ein eisernes Oefchen stand, Mutter und Kind völlig angekleidet auf ihren Betten liegend gefunden, wie es schien, bereits hinübergeschlummert in die ewige Nacht. Der eilig herbeigerufene Arzt habe sie aber nach anderthalb Stunden wieder ins Leben zurückgerufen, die Mutter zuerst, die sich wie eine Rasende geberdet und alle Die mit Flüchen und Verwünschungen überhäuft habe, die ihr die ewige Ruhe nicht hätten gönnen wollen. Dann habe sie eine Weile stille gelegen, die Augen weit offen gegen die Zimmerdecke gerichtet, wie wenn sie in ihrem Innern mühsam mit sich zu Rathe ginge. Als nun der Knabe auch zu sich gekommen sei und die ersten wimmernden Töne von sich gegeben habe, sei sie plötzlich aufgefahren und habe nach seinem Bett hinübergestarrt. Man habe gedacht, sie freue sich, das Kind gerettet zu wissen. Auch habe sich ein sonderbares Lächeln oder eigentlich Grinsen an ihrem halboffenen Munde gezeigt. Auf einmal aber sei sie von ihrem Lager herabgeglitten, zu dem Kinde hingestürzt und habe sein zartes Hälschen heftig mit den Händen umklammert. Einen Augenblick seien alle Anwesenden so verdutzt gewesen, daß sie nicht hinzusprangen. Als aber das Kind einen letzten schwachen Laut von sich gab und nun die Hausfrau sammt dem Arzt die Mutter von ihm hinwegrissen, da war es schon zu spät. Das eben wieder nur schwach aufzuckende Lebensflämmchen war für immer erloschen.

Man hat dann dafür gesorgt, daß die Mutter, die das kleine bläuliche Gesichtchen mit stumpfen Augen anstarrte und unter all den entsetzten Menschen ganz gelassen blieb, in einen Wagen geschafft und nach der Irrenanstalt transportiert wurde. Dort sei sie in Tobsucht verfallen, und der Arzt gebe wenig Hoffnung aus Heilung.

Hoffnung! – Als ob man nicht mit Entsetzen hätte daran denken müssen, daß dies vom Wahnsinn wohlthätig verdunkelte Gehirn je wieder mit klarer Besinnung die Welt umher und das eigene Schicksal erkennen lernen möchte!

Auch wurde es der Aermsten gnädig erspart. Nachdem die Zwangsjacke nicht mehr nöthig war, verfiel sie in ein dumpfes thierisches Brüten, das sie aber offenbar als einen angenehmen Zustand empfand. Wenn die Sonne schien und die Luft mild war, ging sie in sichtbarem Behagen im Garten der Anstalt spazieren, summte ihre Liedchen und betrachtete dazwischen die kleine Photographie, die sie mir entwendet hatte, bis sich plötzlich ihre schwarzen Brauen zusammenzogen, ihr Mund einen schrillen Laut ausstieß und sie das Kärtchen hastig wie Etwas, woran ein böses Geheimniß hänge, wieder in die Tasche steckte.

Noch vor dem ersten Schnee wurde sie erlös't. Man fand sie auf einer Bank ruhend, die starren, glanzlosen Augen gegen die kahlen Baumwipfel gerichtet. Das Kärtchen hielt die zusammengeballte Faust so fest, daß es ihr nur mit Mühe entwunden werden konnte.

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