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Dorfromantik.

(1892.)

 

Dorfromantik? Und die glauben Sie bei unsern oberbayerischen Bauern zu finden? sagte der Medicinalrath und wiegte den grauen Kopf mit einem scharfen Zwinkern der klugen kleinen Augen hinter den runden Brillengläsern und einem sarkastischen Zucken der Mundwinkel. Da könnten Sie in unsern Dörfern noch leichter das berühmte hölzerne Eisen finden. Oder welchen Begriff verbinden Sie mit dem Wort »Romantik«?

Nur den landläufigen versetzte der kleine Professor. – Er war vor Kurzem von einer nordischen Universität an die Münchener berufen worden und gab sich redliche Mühe, in das Verständniß süddeutschen Wesens einzudringen, wozu ihm die Gesellschaft wackerer Männer am runden Tisch dieses angesehenen Gasthauses zweimal in der Woche behülflich sein sollte. Ich glaube natürlich nicht, fuhr er fort, daß in Ihren schönen Wiesen- und Waldgegenden ein idyllisches Arkadien zu finden sei; was ich aber von Dorfgeschichten aus Altbayern gelesen habe, hat mich doch überzeugt, daß im Gegensatz gegen das norddeutsche Landvolk hier noch ein vollblütigerer Menschenschlag lebt, bei dem das Herz gelegentlich mit dem Kopf durchgeht, so daß es an Verhältnissen und Abenteuern nicht fehlt, die man romantisch, oder wenn Sie lieber wollen poetisch nennen muß.

Lassen Sie sich von unsern literarischen Schönfärbern nichts weiß machen, Verehrtester, sagte der alte Herr wieder. Die finden ihre Rechnung dabei, ihren Lesern eine rosenrothe Brille auf die Nase zu setzen; denn zumal die Leserinnen würden Zeter schreien, wenn man ihnen die Zustände auf dem Lande vorhielte, wie sie in Wirklichkeit sind. Nicht daß ich meinte, irgend wo in der Welt gebe es eine Dorfgemeinde, in welcher so viel moralische Unfläthereien gen Himmel stänken wie Zola sie in der Kothlache, die er »La terre« betitelt, zusammengekehrt hat. Hinwiederum geht es auch in den gesittetsten unserer ländlichen Bezirke nicht entfernt so sauber zu, wie die Herren Dorfgeschichtenschreiber uns glauben machen wollen, und das novellistische Hauptmotiv, die verliebte Liebe, hat in der Regel einen viel brutaleren Anstrich als die Volkslieder und Schnaderhüpfel verrathen. Denn sehen Sie, mein Lieber, gerade auf Ihre sehr treffende Definition passen unsere Zustände nur in den seltensten Ausnahmefällen. Der Kopf sitzt diesen schwerhinwandelnden Naturkindern meist so steif und fest auf dem Nacken, daß es das sogenannte Herz wohl bleiben lassen muß, mit ihm durchzugehen. Das bischen Jugendfeuer, das auch hier ganz lustig zu flackern pflegt, höchstens aber zu Raufereien und Messeraffairen um irgend eine begehrenswerthe hübsche Dirne führt, verlodert nur allzubald. Hernach heißt's bei allen Streithändeln nicht mehr cherchez la femme, sondern cherchez l'argent. Die Herren werden mir's bestätigen daß unsre Bauern wie Alle ihresgleichen mehr interessirt als interessant sind.

Ein zustimmendes Murmeln lief durch den Kreis der Beisitzer.

Ihr Wort in Ehren sagte der Professor, aber ich kann unmöglich glauben, daß all die abenteuerlichen Geschichten von Jägern und Wilderern, Sennerinnen, die sich um einen erschossenen Liebsten zu Tode härmen, Holzknechten, die ihren Schatz aus Eifersucht mit der Axt erschlagen und was der tragischen Alpenpoesie mehr ist, von Bücherfabrikanten hinterm Ofen ausgeheckt und rein aus den Fingern gesogen worden seien.

Gewiß nicht, werther Freund! Aber Sie müssen eben unterscheiden zwischen Hochgebirg und Vorbergen oder flachem Land, Aelplern und Dörflern. Wenn Sie in unsre Berge hinaufsteigen, finden Sie die Volkspoesie, auf die Sie versessen sind, noch in schönstem Flor, fast genau von der Grenze an, jenseits welcher Alpenrosen und Edelweiß wachsen. Das einsame Hausen in der Hochluft, Gefahr und Mühsal des täglichen Lebens treibt dort das Blut in den Adern frischer und ungestümer um, und da alle echte Poesie einen weltabgeschiedenen Zug hat, siedelt sie sich auch auf der Alm, in den Sennhütten und Heustadeln wie in einem letzten Versteck vor der prosaischen Lahmheit und Alltäglichkeit des flachen Unterlandes an. Sobald die Menschen aber ihre Behausungen nah aneinanderrücken, der Nachbar dem Nachbarn in den Topf und auch in den Geldkasten schielen kann, beginnt das graue Elend der nüchternen Speculation, bei dem alle edleren Triebe eintrocknen, und selbst wenn das Weib ins Spiel kommt, Bestialität und Habgier allein den Ausschlag geben. Wenn unsre Dichter ihren Vortheil verständen und das bischen Kraxeln nicht scheuten, holten sie sich ihre Stoffe immer da, wo erst im Mai der Schnee wegzugehen pflegt und im Winter alles Leben in einen todesähnlichen Schlaf versinkt. Was unter dieser Schneeregion liegt, ist höchstens für nationalökonomische Forschungen ein ergiebiges Feld. Oder wenn ja einmal auch hier etwas »Romantisches« sich zuträgt, kann man dreist behaupten, die Ausnahme bestätige nur die Regel, Krankheit, ein Abweichen vom normalen Zustande, sei der Grund gewesen. Wovon ich freilich auch einmal ein merkwürdiges Beispiel erlebt habe.

Wollen Sie es uns nicht zum Besten geben? bat der Professor. Die Anderen unterstützten ihn lebhaft. Der Alte aber sagte:

Es ist eine zu lange Geschichte. Auch fürchte ich, sie möchte den Herren nicht so interessant erscheinen wie mir, der ich an zweien der Hauptpersonen einen herzlichen Antheil nahm. – Indessen wenn Sie wirklich Nachsicht mit meinem geringen epischen Talent haben wollen – überdies muß ich die einzelnen Züge erst aus dem Stegreif in meinem Gedächtniß zusammensuchen – nun denn in Gottes Namen! Unserm norddeutschen neuen Mitbürger wenigstens werden aus diesem Stück Volksthum allerhand Lichter aufgehen.

*

Ich glaube nämlich, auch ein wenig mitreden zu können in puncto oberbayerischer Volkspsychologie. Denn schon vor länger als dreißig Jahren begann ich meine Studien in dieser Wissenschaft als Bezirksarzt in dem ziemlich unberühmten Miesbach, zwei kleine Stunden von dem weit besser bekannten Schliersee entfernt. Der unscheinbare Marktflecken, der auf den ersten Blick durch keinerlei malerische Reize hervorragt und erst bei längerer Bekanntschaft mit seinen hellen Wiesengründen und dunklen Wäldern einem lieb zu werden pflegt, war damals noch weniger als heute das Ziel anspruchsvoller Sommerfrischler, die sich lieber am nahen Schliersee oder Tegernsee ansiedelten. So war ich in meiner jungen Praxis auf das Landvolk beschränkt, das mir in der ersten Zeit fast mehr, als mir selbst erwünscht war, Muße ließ, meinen wissenschaftlichen Liebhabereien nachzugehen. Denn es weht dort gemeiniglich eine gesunde Luft, die Leute haben sich weniger als anderswo zu plagen, da ihre Arbeit gethan ist, wenn sie ihre Wiesen gemäht und ihre Kühe gemolken haben, und nur die Grubenarbeiter in dem Haushamer Kohlenbergwerk, das auf halbem Weg zwischen Miesbach und Schliersee liegt, hielten mich ein wenig in Athem, während die Bauern, selbst die wohlhabendsten, sich bekanntlich zehnmal besinnen, für ein krankes Kind den Doctor kommen zu lassen, für ein krankes Rind dagegen eiligst zum Thierarzt schicken. Da sie überdies mißtrauisch sind gegen jedes neue Gesicht, behalfen sie sich auch in schwereren Fällen lieber mit meinem alten Collegen, der halb schwachsinnig geworden war, als daß sie es mit dem neuen Doctor versucht hätten.

Ich hatte daher die ersten Monate überflüssige Zeit, spazieren zu gehen oder in meinem Einspänner, den ich selbst kutschirte, die Geographie meines Bezirks zu studiren, der ein Dutzend umliegender Dörfer umfasste.

Eines davon, Parsberg genannt, war nur eine halbe Stunde von meinem Hauptsitz gelegen an der Straße nach dem berühmten Wallfahrtsort Birkenstein und dem noch illustreren vielbesungenen Wendelstein, dessen graues Felshaupt damals noch nicht so häufig von Männlein und Weiblein erklettert wurde, wie heutzutage. Das Aussehen der Häuser und Gärten dort hat sich seitdem wenig verändert, nur ein neues Schulhaus ist gebaut und die Dorfkirche mehrmals frisch getüncht worden. Wie es mit der geistigen und geistlichen Cultur der Parsberger heutzutage bestellt ist, weiß ich nicht. Dazumal sah es dort sehr schwarz aus. Ich vermuthe, es wird damit so ziemlich beim Alten geblieben sein.

Nun, eines Herbstabends – ich hatte eben mein frühes Nachtessen beendet und wollte mich zu meinen Büchern setzen – kommt ein Bursch aus Parsberg mit der Botschaft, der Herr Bezirksarzt möge schleunigst hinüberkommen, das kleine Mädel der Wirthin drüben sei gefährlich krank geworden. Aus der Beschreibung, denn ich informirte mich möglichst genau, um gleich die nöthigsten Medicamente mitzunehmen – schloß ich, daß es sich um einen heftigen Bräune-Anfall handelte, dessen unheimlich bellende Töne aus einer Kinderkehle selbst einen erfahrenen Arzt aufzuregen pflegen, geschweige denn ein Mutterherz, das schon das Zügenglöcklein darin läuten zu hören meint. Obenein war diese kleine Patientin, wie ich dem Burschen während der Fahrt abfragte, der einzige von einem reichen Kindersegen übriggebliebene Liebling der Eltern, die daher nicht gewartet hatten, bis irgend welche Pfuschversuche sich unwirksam erwiesen hätten.

Und allerdings war der Fall nicht unbedenklich; erst nach einigen Stunden heißen Bemühens trat eine Besserung ein, so daß ich ganz wohl wieder nach Hause hätte fahren können. Die gute Frau jedoch beschwor mich so inständig, ihr Kind nicht im Stich zu lassen, und auch der Wirth gab mir so gute Worte, daß ich einwilligte, die Nacht in der dürftigen Dorfschenke zuzubringen, wo mir übrigens ein ziemlich reinliches Bett in einer der beiden Gastkammern angewiesen wurde. Ich brauchte nur das schwere Federkissen mit meiner wollenen Wagendecke zu vertauschen und eines der Wagenkissen mir unter den Kopf zu legen.

Dazu war es aber noch zu früh, erst neun Uhr. Ich stieg also die steile Treppe hinab und trat in das Gastzimmer, wohin mir der Wirth sogleich einen gefüllten Maßkrug nachtrug.

Es war nicht die beste Luft in dem langen niedrigen Raum. Eine Handvoll Bauern saß um ein paar Tische herum, dampfte ein entsetzliches Kraut und konnte den Düngergeruch, der sich an die Kleider gehängt, doch nicht ganz damit ersticken. Dazu war der Ofen schon angezündet, trotz der frühen Jahreszeit. Meine erste Bewegung war daher, mich wieder zurückzuziehen, als mein Blick auf eine jugendliche Männergestalt fiel, die abgesondert von den Uebrigen ganz einsam hinten neben dem letzten Fenster saß und ohne dabei zu rauchen in einem Buche las. Das machte mich neugierig. Ich näherte mich dem Lesenden mit höflichem Gruß und bat ihn, sich nicht stören zu lassen, was er mit einer stummen Verbeugung hinnahm.

Nun setzte ich mich ihm gegenüber, zündete mir eine Cigarre an und nahm den »Volksboten« vom Tische, der damals das gelesenste und streitbarste Blatt der ultramontanen Partei war, wie heutzutage das »Fremdenblatt«. Aber die Kapuzinaden des damaligen Hetzcaplans interessirten mich weit weniger, als das Gesicht meines Tischgenossen.

Ein merkwürdiges Gesicht, jung und doch unjugendlich, scharfe, regelmäßige Züge, dazu ein mädchenhaft zarter Mund, eine gesunde Fülle der Wangen, aber ein Leidensausdruck um die halb gesenkten Augenlider. Auf den ersten Blick erkannte ich, daß der junge Mann von einem andern als dem Parsberger Schlage sei. Dazu trug er das Haar, das tief über die Stirn herabfiel, einen Zoll hoch über den geradlinigen Brauen abgeschnitten, wie es in der Meraner Gegend Sitte ist, und der ganze Kopf erinnerte an jenen Tiroler Typus, der in seinen schönsten Exemplaren sich wohl neben den berühmten Antinousköpfen sehen lassen kann.

Einen solchen Vergleich hielt nun freilich mein Unbekannter nicht aus, nur der feierliche Trübsinn, der in seinen Augen glühte, war ihm mit jenem Cäsarenliebling gemein. Dann auch die breiten Schultern und die schöngewölbte Brust, die manchmal, während er ruhig fortlas, ein verhaltener Seufzer zu heben schien.

Sein schwarzer Rock war ziemlich abgetragen, aber reinlich gebürstet, seine Hände mager und ungewöhnlich weiß; ich konnte nicht zweifeln, daß ich den Parsberger Schullehrer vor mir hatte.

Als ich ihn freundlich darauf anredete, sah er zerstreut und offenbar unmuthig über die Störung von seinem Buche auf mit einem leichten Kopfnicken. Ich war zudringlich genug, seine Abwehr nicht zu beachten, sondern weiter zu forschen, in welche Lectüre er so vertieft sei. Statt aller Antwort reichte er mir das Buch über den Tisch herüber – Werther's Leiden.

Doch hatte er mich nur aus Verlegenheit so ohne Weiteres das Buch sehen lassen, denn sofort schien es ihn zu reuen. Ein ängstlich argwöhnischer Blick begegnete dem meinen, als ich ihm das Buch zurückgab, das für einen Schullehrer in dieser Gegend allerdings nicht als ein canonisches Erbauungsbuch gelten konnte. Was ich aber zum Preise des wundersamen Werkes sagte, zerstreute die Schatten auf seiner Stirn; zum ersten Mal erhellte sich sein schwermüthiges Gesicht, und wie er ein wenig lächelte, kamen die schönsten weißen Zähne zwischen den blassen Lippen zum Vorschein.

Wir wurden bald ganz vertraut mit einander. Rührend war seine sichtbare Freude, einem theilnehmenden und verstehenden Menschen zu begegnen, da seine Stellung und dürftige Lage ihm selbst den Verkehr mit den wenigen gebildeteren Männern in dem nahen Miesbach verwehrte und er an dem Pfarrer des Dorfes natürlich keinen Gesinnungsgenossen fand. Der war, wie ich wußte, so weit kein übler Mann, keiner von den eifervollsten Seelenhirten, die immer nur den Stab Wehe über ihre Heerde schwingen, immerhin ein im Bann seiner kirchlichen Gesetze befangener, weltfremder Priester, und sein junger Schullehrer – ja was war der? So ganz leicht schien es mir nicht, ihm seinen geistigen und sittlichen Steckbrief zu schreiben.

Zwar über seine äußeren Lebensumstände klärte er mich ausgiebig in der ersten halben Stunde auf. Ich hatte ihm die Tiroler Herkunft auf den Kopf zugesagt, und wirklich war er der Sohn eines aus der Umgegend von Bozen eingewanderten Fruchthändlers, der einmal in diese Gegend gekommen war und mit seiner fremdartigen Schönheit eine nicht unbegüterte Bauernwittwe bezaubert hatte, so daß sie ihn zum Aergerniß für manche einheimischen Bewerber bei sich behielt und zu ihrem Gatten machte. Aus dieser Ehe war ein einziger Sohn, Andree, entsprossen, von seinen Parsberger Schulgefährten »der Anderl« genannt, ein frischer, schmucker Bub, das Herzblatt der Mutter, um so mehr, da in seinem achten Jahr eine Verletzung, die er durch einen unglücklichen Sensenhieb am Fuß erhielt, sein fröhliches junges Leben verbitterte. Er machte die Schule zwar mit gutem Erfolge durch, war aber, da die Wunde durch den Bader schlecht behandelt wurde, zu harter Arbeit verdorben, wie er auch späterhin, da er ein Hinkefuß blieb, zum Soldaten untauglich befunden wurde. Von Haus aus hatte er einen Hang zu einsamem Grübeln und eifrigem Verschlingen alles Lesbaren, dem das lange Einsitzen Nahrung gab. Als er dann in den Jünglingsjahren sich mit seinem Gebrechen leidlich abgefunden hatte, überzeugte man sich doch, daß er zu einem richtigen Bauern verdorben war, und beschloß, ihn in die Stadt in ein Lehrerseminar zu thun. Hier nun war eine innere Wandlung mit ihm vorgegangen, über die er zunächst nur schüchterne Andeutungen fallen ließ. Denn so viel von der vorsichtigen Bauernnatur steckte doch in ihm, daß er mir nicht sogleich sein ganzes Herz öffnen mochte, obwohl es ihm anzumerken war, wie sehr ihn danach verlangte, endlich einmal sich einem harmlosen Nebenmenschen ohne Rückhalt aufzuschließen.

Anderthalb Stunden mochten wir so verplaudert haben, die Stube hat sich mittlerweile völlig geleert, ich brach endlich auf, um noch einmal nach meiner kleinen Patientin zu sehen, und er erhob sich gleichfalls. Jetzt erst sah ich, ein wie stattlicher Mensch er war, gewiß sechs Fuß hoch und durch den hinkenden Gang durchaus nicht entstellt, da er den Kopf frei und hoch auf den Schultern trug und sich rasch bewegte. Eh' wir uns gute Nacht sagten, bemerkte er mit schüchterner Zuthulichkeit, es werde ihn sehr freuen, mich in seiner dürftigen Schulmeisterwohnung einmal begrüßen zu können. Er habe noch viele schöne Bücher, die seien sein einziger Reichthum.

Ich versprach meinen Besuch für den anderen Morgen vor Beginn des Unterrichts. So schied ich von meinem neuen Bekannten, dessen Gesicht und Wesen einen tiefen Eindruck in mir zurückgelassen hatte.

*

Am nächsten Tag in aller Frühe – meine kleine Patientin war aus aller Gefahr – bestieg ich wieder mein Wägerl, hielt aber vor dem Schulhause an, in dessen Thür ich schon von Weitem den jungen Lehrer stehen sah, des versprochenen Besuches gewärtig. Er führte mich in das obere Stockwerk hinauf, wo er seine ärmliche Behausung hatte. Allzu ordentlich sah es dort nicht aus, doch war das Bett schon gemacht und die blecherne Kaffeemaschine, auf der er sich sein Frühstück gekocht, beiseite geräumt. Das große einzige Zimmer, das er bewohnte, lag nach der Morgensonne, zu den Fenstern sahen die kahlen Wipfel der Fruchtbäume herein, die in dem kleinen Grasgarten standen. Wenige sehr verbrauchte Möbel, ein von Dintenflecken getigerter Schreibtisch neben dem einen Fenster, darüber Silhouetten von Studienfreunden, als ein Kranz um eine schlechte Lithographie Schiller's an die Wand genagelt, ein schmales Sopha, dessen Kattunüberzug keine erkennbare Farbe mehr hatte, und zwei hölzerne Stühle. An der anderen Wand aber, neben dem Bette, ein schmales Büchergestell, das bis an die Decke reichte, und vor welches ich nach den ersten gleichgültigen Begrüßungsworten sogleich geführt wurde. Da standen in alten verblichenen Einbänden Schiller und Goethe neben einer der ältesten Ausgaben von Becker's Weltgeschichte, eine lateinische und eine französische Grammatik, die Gedichte Lenau's, Platen's, Anastasius Grün's, sogar Heine's Buch der Lieder und die Lieder eines Lebendigen nebst einer Anzahl Lehrbücher, die in den Seminarschulen zum Unterricht vorgeschrieben waren. Die ganze Bücherei hatte das Ansehen jener durch viele Hände gegangenen Lesewaare, wie man sie in den Schaufenstern oder auf den fliegenden Tischen kleiner Antiquare ausgestellt findet.

Wie manches bescheidene Vergnügen mochte der junge Seminarist sich versagt haben, um sich das Geld zur Anschaffung dieses Bücherschatzes am Munde abzusparen.

Ich lobte natürlich die sinnige Auswahl und den Reichthum seiner Bibliothek, was den guten Menschen so stolz und glücklich machte, daß er mir jetzt sein volles Vertrauen schenkte. In einem Handköfferchen unter dem Bett habe er noch ein paar Bücher aufbewahrt, die er nicht Jeden sehen lassen dürfe, da sie – wie er fein lächelnd hinzufügte – Contrebande seien und auf dem Index stünden. Er zog alsbald ein ganz zerlesenes und mit vielen Randbemerkungen illustrirtes Exemplar von Strauß' Leben Jesu hervor, eine lutherische Bibel und Kant's Kritik der reinen Vernunft, an welcher die letzten Bogen fehlten. Das verschlage ihm nichts, bemerkte er erröthend, denn mit aller Anstrengung sei es ihm nicht gelungen, auch nur über die ersten Kapitel klar zu werden. Desto mehr verdanke er dem Buch von Strauß, das er bereits dreimal ganz durchgearbeitet habe.

Er erzählte mir dann, ein Freund, den er außerhalb des Seminars gefunden, habe ihm diese Bücher abgelassen und überhaupt seiner freieren Bildung sich angenommen. Die Erleuchtung, die er auf die Art heimlich gewonnen, mache es ihm allein möglich, das einsame Leben – unter Larven die einzige fühlende Brust – zu ertragen und wenn er seine Schule gehalten und sich mit diesen seinen geistigen Führern und Wohlthätern hier oben eingeschlossen habe, spüre er gar nicht die Schwere seines Schicksals, das ihm um seiner Armuth willen alle freieren Lebenswege versperrt habe.

Von der Noth, in die seine nun auch schon verstorbene Mutter nach dem Tode des Vater gerathen, hatte er mir schon gestern gesagt.

Mich rührte die idealistische Anspruchslosigkeit meines Freundes, und wie ich ihn so mit glänzenden Augen die Namen seiner Klassiker in dem verblichenen Golddruck der Bücherrücken überfliegen sah, konnte ich den Ausruf nicht zurückhalten: Ich möchte wetten, lieber Herr, daß Sie auch ein heimlicher Dichter sind!

Sein ernsthaftes Gesicht wurde plötzlich von einer dunklen Röthe übergossen.

Woher wissen Sie das, Herr Doctor? stammelte er.

Nun, das ist doch einfach genug, sagt' ich. Zum Theologen fühlen Sie keinen Beruf in sich, mit der Philosophie will's nicht recht gehen, und man wandelt in Ihren Jahren nicht ungestraft unter den Klassikern.

Da Sie es doch einmal errathen haben, sagte er mit gesenkten Augen – ich habe freilich schon seit Jahren – es ist vielleicht nichts daran – aber in meinen vielen einsamen Stunden und wenn ich an schönen Sommerabenden spazieren gehe – aber ich werde mich hüten, Ihnen irgend etwas von meinen Reimereien zu zeigen. Sie würden mich nur auslachen.

Ich hörte natürlich aus dieser bescheidenen Weigerung den brennenden Wunsch heraus, der alle jungen Lyriker verzehrt, endlich auch ein Publikum für ihre bei beschränkter Oeffentlichkeit gepflegten Schooßsünden zu gewinnen. So bedurfte es auch wirklich keines langen Zuredens, daß er abermals in das Köfferchen griff und ein sorgfältig eingewickeltes und umschnürtes Heft hervorzog, das die Aufschrift trug: Gedichte von Andreas Kathreiner.

Er gab es mir mit neuem Erröthen und ich blätterte in dem ziemlich starken Heft, dessen höchst zierliche, nur etwas steif kalligraphische Schrift mir auffiel.

Sie schreiben ja wie gestochen sagt' ich.

Er wurde noch röther. Es sei eine Abschrift, warf er hin. Er selbst habe eine viel ausgeschriebnere Hand. Aber er wolle mir überhaupt nicht zumuthen mit diesen werthlosen Versuchen meine Zeit zu verderben – was in richtiges Deutsch übersetzt nur heißen konnte: Ich hoffe, Sie werden keine Zeile derselben überschlagen.

Jetzt allerdings, sagt' ich, müsse ich ohne Zögern nach Hause fahren. Wenn er mir aber diese Blätter mitgeben wolle, würde ich mir ein Vergnügen daraus machen ,seine Bekanntschaft schwarz auf weiß fortzusetzen.

Er hatte sich nichts Besseres gewünscht, und so schüttelten wir uns die Hand, und ich rief ihm: Auf baldiges Wiedersehen! zu, als ich wieder in mein Wägerl stieg, das indessen ein Knabe vorm Hause überwacht hatte.

Noch am Abend desselben Tages vertiefte ich mich in Andreas Kathreiner's Gedichte. Ich fand sie so wie ich sie vermuthet hatte – und doch auch ein wenig anders. Durch den unbeholfenen dilettantischen Stil, der so zu sagen auf unsichtbaren Gänsefüßchen hinschritt, da jede dritte Wendung irgend einem bekannten klassischen Autor abgeborgt war, brach hin und wieder ein selbstgezeugter, wenn auch ungeschickter Ausdruck, ein eigenartiger Naturlaut durch, und auch die Wahl der Themata bewies kein bloßes Nachempfinden, sondern ein selbständiges Confessionsbedürfniß. Die Blätter waren alle mit Daten versehen und chronologisch geordnet. Da war es nun sogleich auffallend, daß die ersten lyrischen Herzschläge des jungen Seminaristen nicht irgend einer erträumten oder leibhaftigen Liebsten dem holden Frühling oder dem melancholischen Herbst gegolten hatten, sondern den Gewissenskämpfen um den Kirchenglauben, der sich ihm in einen Morgentraum aufzulösen drohte. Diese streitenden, einander anklagenden und entschuldigenden Gedanken hatten freilich keinen wahrhaft dichterischen Ausdruck gefunden, berührten mich aber in ihrer redlichen Nüchternheit anziehender als die üblichen gereimten Exercitien über Lenz und Liebe. Als dann endlich der blutige Sieg errungen war und der Kämpfer auf der Wahlstatt seiner hingemordeten Illusionen sich umsah, fand er zwar keine triumphirenden Töne, aber der Entschluß, fortan mit seinem Geist und Herzen Frieden zu halten und die Lösung der großen Räthsel dem Unerforschlichen anheimzustellen, war in seiner schlichten Freudigkeit so liebenswürdig ausgesprochen, daß ich mir erlaubte, vorbehaltlich der nachzuholenden Genehmigung des Verfassers, diese sechs oder sieben Strophen mit ihren fragwürdigen Reimen abzuschreiben.

Ich bewahre das Blatt noch und kann es nie ohne eine eigenthümliche Bewegung betrachten.

Dann trat eine längere Pause in den intimen Herzensergüssen ein; der junge Poet hatte sein dörfliches Lehramt angetreten, und die »Larven« um ihn her schienen ihm die fühlende Brust schmerzlich eingeschnürt zu haben. Erst nach geraumer Zeit, dem Datum nach etwa anderthalb Jahre, bevor ich ihn kennen lernte, war der versiegte Quell wieder hervorgebrochen diesmal mit echt lyrischer Wärme, übrigens in einem ziemlich dünnen Strählchen. Lenzgefühle, Sehnsucht nach einem mitfühlenden Wesen, idyllische Stimmungsbildchen. Nicht lange aber, so tauchte eine kleine menschliche Staffage auf diesem Naturhintergrunde auf, eine namenlose junge Erscheinung, der die zartesten Triebe der bedürftigen Seele gewidmet waren, in einem seltsamen Helldunkel zwischen Mitleid und Liebe. Hier, wo ein nicht alltäglicher Zustand das Aussprechen veranlasste, fand der Poet auch so etwas wie eine eigene Sprache. Die sank dann wieder zu hergebrachter anempfundener Tonart herab, als aus den schüchternen Erstlingsgefühlen eine richtige Verliebtheit hervorblühte, auch jetzt freilich von der zartesten Innigkeit. Von Küssen und Kosen keine Spur, nicht einmal von einem offenen Geständniß, und mehr als einmal kehrte das Wort »kinderhaft« in den Bezeichnungen des angeschwärmten Gegenstandes wieder, so daß ich auf die Vermuthung kam, mein guter Anderl habe sich, da er an den derben Dorfschönen kein Gefallen fand, eine ätherische Geliebte vorgeträumt nach dem Beispiel des Novalis, dessen erste Flamme bekanntlich einem halbwüchsigen Backfisch gegolten hat.

Als ich ihm bei der nächsten Gelegenheit das Heft zurückgab, mit mäßigem Lobe, um ihn nur ja nicht zu dem stets so heißbegehrten Druckenlassen zu ermuthigen, wagte ich eine discrete Anspielung auf seine »kinderhafte« Muse. Er wurde wieder blutroth, wich aber jeder näheren Erklärung aus und wiederholte nur mehrmals, wie sehr es ihn freue, daß ich wenigstens eines der Gedichte, das auch ihm das liebste sei, des Abschreibens gewürdigt hätte.

Ich wäre wohl noch lange, vielleicht für immer, über das Herzensgeheimniß meines jungen Freundes im Dunkeln geblieben, hätte mich nicht ein Zufall auf die rechte Spur geführt.

Erst aber möchte ich um ein frisches Glas Bier und die Erlaubniß bitten mir eine neue Cigarre anzuzünden.

*

Nachdem diesen beiden Bedürfnissen Genüge geschehen war, fuhr der alte Herr folgendermaßen fort:

Nicht zehn Minuten von Parsberg entfernt, auf einem sanft ansteigenden Hügelrücken liegt ein kleineres Dorf oder Weiler, sehr anmuthig, im Schatten malerischer Baumgruppen und hoher Gebüsche. Die sieben oder acht Gehöfte, die den Namen Bergham führen, sind stattlicher als ihre Nachbarn unten an der Landstraße, die Bewohner aber müssen ihre sonntägliche Andacht unten in Parsberg suchen, da sie einer eigenen Kirche entbehren.

Ich hatte meinen Abendspaziergang oft bis dorthin ausgedehnt, da ich ein Liebhaber schöner Sonnenuntergänge bin und das Schauspiel von keinem anderen Standort sich so herrlich genießen ließ, wie von der Berghamer Waldhöhe aus. Die Häuser selbst hatte ich noch nicht betreten. Es weht ein besonders gesunder »guter Luft« um dieses Bergham.

Da wurde ich eines Samstags Nachmittags, kurze Zeit nach meiner Bekanntschaft mit dem Parsberger Lehrer, zu einem der Berghamer Bauern gerufen, dessen Name » Hollersepp« mir nicht mehr ganz fremd war.

Sein Gehöft, eines der ansehnlichsten der kleinen Gemeinde, war rings um die Scheune herum mit wildem Hollunder umpflanzt, der hier zu Lande Holler genannt wird. Die starken Büsche hingen bereits voll schwarzer Fruchtdolden, als ich mein Amt antrat. Ich kam einmal dazu, wie eine Magd die glänzenden Trauben abbrach und in große Körbe warf; auf meine Frage, wozu sie gebraucht würden erfuhr ich, es werde Hollermus daraus gemacht. Der Vater des Bauern, der schon lange verstorben, habe die Sträucher angepflanzt, da Hollerküchel seine Leibspeise gewesen seien – eine Passion, die mir immer unbegreiflich geblieben ist. Denn die delicateste Kruste von reinem, siedend heißem Schmalz, in das die Blüthenbüschel eingetaucht werden, kann den fatalen officinellen Fliedergeschmack nicht aufheben.

Ob der Sohn der jetzige Besitzer, dies väterliche Erbgelüst überkommen, habe ich nicht erfahren. Der Name war jedenfalls an ihm hängen geblieben.

Die Magd, die mich citirt hatte, berichtete mir unterwegs, es handle sich um die jüngere Tochter, die es schon seit Monaten gar so arg auf der Brust habe, huste und schreckbar vom Fleisch gefallen sei, obwohl sie das beste Leben habe, weder mehr in die Schul' gehe mit ihren fünfzehn Jahren noch zu irgend einer schweren Arbeit angehalten werde; denn sie sei von klein auf ein zartes Dingerl gewesen, und man habe kaum geglaubt, sie werde ihre Firmelung erleben. Der Bauer aber, grad wie die Mutter, die vor etlichen Jahren verstorben sei, habe diese Tochter immer wie ein rohes Ei behandelt und ihr allen Willen gelassen. Sie sei ja auch sein einziges rechtes Kind, die Everl, denn die Aeltere, die Vefa – wie man hierorts Genovefa abkürzt – sei ihm von ihrer Mutter zugebracht worden, schon achtjährig, ein »lediges Kind«. Das hätte nun zwar der Hollersepp weder die Mutter noch das Dirndl entgelten lassen, hätt' sich's auch nicht getrauen dürfen, denn die Veferl sei eine gar Schneidige und Trutzige, und wer sie verachten wolle, dem zeige sie den Meister. Aber eine rechte Lieb' zu ihr habe der Stiefvater doch nie fassen können, und sie brauch' es auch nicht, da sie immer lustig und gesund sei, während die Everl still vor sich hin schaue wie ein armes Engerl, und grad 'nauslachen höre man sie nie, vollends nicht, seit man ihr Mutterl auf dem Friedhof drunten in Parsberg zu Grabe getragen habe. Seitdem habe auch der Bauer das Dirndl nur noch lieber gehabt, denn er hab' mit ihrer Mutter ganz schrecklich »gethan«, so lang' sie gelebt und es sei auch ein kreuzbraves Weib gewesen.

Sie müssen nämlich wissen, Herr Professor: so ein lediges Kind, das eine junge Frau mit ins Haus bringt, thut dem Hausfrieden selten Eintrag. Unsere Bauern unterschreiben den berühmten Hebbel'schen Satz »darüber kommt kein Mann hinweg« nicht im Mindesten, vielmehr sehen sie es gern, wenn Die, um die sie freien, eine solche lebendige Bürgschaft aufzuweisen hat, daß die Ehe mit ihr nicht kinderlos bleiben werde, – eine praktische Rücksicht, die Ihnen als das offenbare Gegentheil aller idealen Romantik erscheinen wird.

Als ich nun unter so belehrenden Mittheilungen das Haus endlich erreicht hatte, kam uns aus dem Kuhstall eine große rüstige Gestalt entgegen, in der ich wahrlich, ihrem Aufzug nach, die Bauerntochter nicht gesucht haben würde, wenn meine Begleiterin ihr nicht zugenickt und »Grüß Gott, Veferl!« gesagt hätte.

Die kräftigen jungen Glieder des blonden Mädchens steckten in dem aller Romantik spottenden Anzug, den die Weiber dort bei der Feld- und Wiesenarbeit und in den Viehställen tragen: weite Hosen von blauer oder schmutzig weißer Leinwand, unten an den Knöcheln zugebunden und durch die hineingestopften Röcke aufgebauscht, über dem losen Hemd eine bunte Kattunjacke, ein Kopftuch um die gewöhnlich ziemlich verwahrlos'ten Haare gebunden. Darunter aber kam ein frisches, wohlgebildetes Gesicht mit einem schlanken Stumpfnäschen zum Vorschein, die braunen Augen blitzten mit den blanken Zähnen um die Wette, und unter der straff gespannten Jacke konnte man merken, daß die Dirne brav »Holz beim Haus« hatte, welcher plastische bildliche Ausdruck nach dem Vorbilde der für den Winter auf der Vorderseite aufgestapelten Holzvorräthe sehr treffend eine volle Weiberbrust bezeichnet.

Das Mädchen, das mit den Holzschuhen unbekümmert in die schwarzen Jauchentümpel vor der Stallthür stapfte, trug einen Melkkübel in der Hand, den sie an dem laufenden Brünnlein unter dem nächsten Hollunderbusch ausschwenken wollte. Als sie mich in Gesellschaft der alten Magd daherkommen sah, blieb sie stehen ihr Gesicht verfinsterte sich einen Augenblick, dann lachte sie mit einer eigenthümlich trutzigen Geberde hell auf und trat an den Brunnen, ohne meinen Gruß auch nur mit einem Kopfnicken zu erwidern.

Schauen's, Herr Doctor, flüsterte meine Begleiterin mir zu, so ist sie alleweil, wenn Jemand sich um die Ev' bekümmert, sie ist eben harb auf sie, weil sie das rechte Kind ist und einmal das ganze Sach' überkommt, wenn sie's Leben behält, und weil der Bauer so mit ihr thut. Bös ist sie sonst nicht, und das Vieh hat's gut bei ihr, aber so ihren Kopf hat's, und wenn sie in einen Zorn kommt, darf ihr Keiner in den Weg treten nicht einmal der Bauer, da nähm' sie's mit unserm Herrgott auf, so ein Gewaltsdirndl ist sie!

Indem kam der Vater, der Hollersepp, auf uns zu, ein Fünfziger, aber noch wohlconservirt, bis auf die stark angegrauten Haare über der niedrigen Stirn, unter der ein paar gutartige kleine Augen unruhig hin und her liefen. Denn offenbar war er sehr bekümmert und hatte meinen Besuch ungeduldig erwartet.

Sein Dirndl sei schwer krank, habe schon die Nächte vor Schmerzen auf der Brust nimmer schlafen können, ich sollt' allen Fleiß anwenden, um das arm' Dingerl wieder auf die Beine zu bringen.

Ich hatte nie einen Bauern so beweglich reden hören.

Das Kind sei seine einzige Freud', es sei ganz wie seine Mutter, bloß daß es keine Lust zur Feldarbeit hab', immer nähen oder lesen möcht', und zumal das viele über den Büchern Hocken, das sei Schuld an der Krankheit, aber das sei nun einmal ihr Liebstes. Ich möcht's ihr streng verbieten, er selbst hab's nicht durchsetzen können, und sollt' sie scharf ins Gebet nehmen, wo's ihr fehle, denn sonst, wenn man sie frage: Everl, wo fehlt's? sage sie nur stets, ihr sei ganz wohl. Auch die Mutter hab' nie geklagt, aber freilich auch nie gelacht, sogar in ihren gesunden Tagen.

Zum Schluß griff er in seine Brusttasche und zog ein Sacktüchlein hervor, das er mit seinen groben Fäusten behutsam auseinander breitete. Da schaugt's, Herr Doctor! sagte er und zeigte mir einige hellrothe Blutflecken, wobei er tief aufseufzte und mir mit einem ängstlichen Blick der stumpfen grauen Augen ins Gesicht sah.

Ehe er mich dann die Stiege ins obere Geschoß hinaufführte, zog er erst die Schuhe aus und trat auf den groben Socken so leise auf, daß keine Stufe knarrte. Ich denk' wohl, sie schlaft, murmelte er. Sie hat's nachzuholen von der Nacht.

Sie schlief aber nicht.

Als wir in die Kammer traten, wo ihr Bett stand, ein ziemlich geräumiges einfenstriges Gemach, saß das kranke Kind am Fenster in einem alten hochlehnigen Großvaterstuhl, ein Federkissen im Rücken, in ein großes wollenes Umschlagetuch gewickelt, um die Kniee eine alte Pferdedecke geschlagen. Ihr braunes Haar war sauber gestrählt, ein ganz sauberes Nachtjäckchen umschloß ihren schmächtigen Oberkörper, die schmale Hand hielt ein Buch auf ihrem Schooß, in dem sie gelesen zu haben schien, eh' wir kamen. Nun wollte sie sich erheben, den Doctor zu begrüßen, ihre Schwäche war aber so groß, daß sie wieder in den Stuhl zurücksank. Dabei versuchte sie zu lächeln, um den Vater zu beruhigen, was ihr kleines weißes Gesicht, das nicht eigentlich hübsch war, sehr lieblich machte.

Das Zimmerchen glich so ziemlich allen andern, in denen die wohlhabenderen Bauerntöchter hier zu Lande hausen: eine Reihe Blumentöpfe auf dem Fenstersims, darunter ein langer Kasten mit tief herabhängenden Nelken, die jetzt freilich abgeblüht hatten, ein Marienbild über einem Weihkesselchen in der Ecke, ein buntbemalter Kleiderschrank und dito Truhe, auf einer Kommode allerlei kleiner Porzellankram, künstliche Blumen und ein wächsernes Jesuskind unter einem Glassturz. Es war nur Alles ungewöhnlich sauber gehalten und zierlich geordnet, auch das Bett ganz frisch überzogen.

Was mir als etwas Besonderes auffiel, war ein Tischchen nah am Fenster, auf dem Schreibgeräth und eine kleine Mappe lag, daneben ein ordentlich aufgeschichteter Stoß Bücher, die ich auf den ersten Blick am Einband als zur Bücherei des Lehrers gehörig erkannte.

Meine erste Sorge war, den einen Fensterflügel ein wenig zu öffnen, denn der kleine Ofen strömte eine erstickende Hitze aus. Dann setzte ich mich zu dem blassen Kinde und begann mein Verhör.

Es hatte ein tolles Fieber. Daß es jede Nacht von den heftigsten Hustenanfällen heimgesucht wurde und unter den stärksten Nachtschweißen litt, konnte es mir nicht verschweigen. Sonst aber, wie der Vater gesagt hatte, klagte es über Nichts. Es drückte sich in all seinen Antworten gewandt und unverlegen aus, in einem Hochdeutsch, dem freilich eine starke Dialektfärbung anhing, aber nicht viel anders, als in den geringeren Ständen Münchens gesprochen wird. Das Buch, das ich ihr aus der Hand nahm, war die Jungfrau von Orleans.

Als ich ihr das Jäckchen von der Schauer streifte, um ihre Brust zu behorchen, wehrte sie mir zuerst ängstlich mit beiden kalten, zitternden Händen, und ihre blassen Wangen überflog eine tiefe Röthe. Der Vater beschwichtigte sie, der in der anderen Ecke des Zimmers still wie ein Pfahl gestanden und immer auf sie hingestarrt hatte. Da ließ sie es endlich geschehen.

Es war, wie ich gefürchtet hatte, die linke Lunge schwer angegriffen, der arme junge Leib abgezehrt, die Kräfte tief gesunken. Als sie dann aufstand, von mir unterstützt, um nach dem Bett hinzuschleichen sah ich, daß sie hoch aufgeschossen war, ein zartes, schwankes Gewächs, – sie ist zu rasch gewachsen, sagte der Vater mit einem Seufzer, war schon so groß, da sie erst dreizehn war, und jetzt – im Sommer ist sie fünfzehn geworden – ist sie mir schon übern Kopf gewachsen. Gelt, Everl, du nichtsnutzigs Ding, hast kein'n Respect mehr vor dei'm Vater, willst krank sein ihm zum Possen, du schlechts Dirndl du schlechts!

Sie lächelte zu diesen wehmüthigen Scherzen und sank auf das Bett hin. Ich drang darauf, daß die schweren Federkissen mit einer wollenen Decke vertauscht und statt des heißen Unterbetts eine Matratze herbeigeschafft wurde. Dann setzte ich mich an den Schreibtisch, um die zunächst erforderlichen Mittel aufzuschreiben. Als ich die kleine abgegriffene Mappe öffnete, fiel mir ein Blatt in die Augen, auf dem der Abschied der Johanna »Lebt wohl, ihr Berge« – wenigstens die ersten Strophen – copirt waren. Ich stutzte. Das war ja dieselbe Hand, die Andreas Kathreiner's Gedichte so sauber abgeschrieben hatte. Allerlei Gedanken stiegen mir auf. Ich hütete mich aber, sie laut werden zu lassen. Ich durfte die Fieberkranke nicht aufregen.

Dann ordnete ich noch Verschiedenes an, versprach, morgen wieder nachzusehen und machte meiner Patientin gute Hoffnung, zu der sie ungläubig lächelte. Desto getrösteter nickte der Vater zu jedem meiner Worte und dankte mir an der Schwelle des Hauses einmal übers andere, daß ich sein Kind retten wollte.

Wenn's an meinem Willen gelegen hätte!

*

Als ich aus dem Hause trat, sah ich die Vefa im Gespräch mit einem Knecht unter einem Hollunderbusch stehen und rief ihr ein »Behüt' Gott!« zu. Sie wendete aber nur halb den Kopf, zog die eine Schulter in die Höhe und machte sich an ihrem Kopftuch zu schaffen, als ob sie nichts gehört hätte.

Es war offenbar, daß sie die kranke Halbschwester neidete um die Sorge des Stiefvaters.

Dann hörte ich sie hell auflachen, und mit einem Juhschrei, der zu dem Kummer im Hause sehr übel stimmte, verschwand sie wieder im Stall.

Ich schlug den Weg ein, der nach Parsberg hinunterführt, da ich dort einen gichtbrüchigen Austrägler zu besuchen hatte. Als ich am nächsten Hause vorbeikam, stand Jemand auf, der in einem versteckten Winkel auf einem Holzstoß gesessen hatte – der Parsberger Lehrer.

Der junge Mensch war in einer Aufregung, die er vergebens zu verbergen suchte. Wie ich's droben gefunden hätte? fragte er mit heiserer Stimme, und seine stillen ernsthaften Augen flackerten, als wenn er selbst im Fieber rede. Ich gab ausweichende Antwort, aber er ließ nicht nach, immer wieder zu forschen, und als ich endlich sagte: erst im Frühjahr werde sich's entscheiden, ob eine ernstliche Gefahr für das Leben bestehe, that er einen tiefen Seufzer und hinkte eine Weile stumm neben mir her.

Diese Ihre Schülerin ist Ihnen wohl besonders ans Herz gewachsen, sagte ich endlich. Ich kann es begreifen, Sie ist auch kein gewöhnliches Bauernmädel.

Er stand still und sah in die Wipfel des kleinen Eichenwäldchens empor, zu dem wir eben gelangt waren.

Ja, Herr Doctor, sagte er, Sie haben es richtig erkannt, es giebt keine Zweite wie sie auf tausend Meilen. Daß ich in meiner Todeseinsamkeit hier draußen nicht geistig verschmachtet bin, das hab' ich ihr allein zu danken. Zwei Jahre hab' ich sie noch in der Schule gehabt, aber zuletzt saß sie nur noch zu ihrem Vergnügen dabei, wenn ich die Andern unterrichtete, denn sie wußte das Alles und weit Mehr, und kam nur noch, weil sie immer ein zartes Kind war und zum Heumachen und anderer schwerer Arbeit nicht taugte. Auch war sie ihrer Schwester überall im Weg, die hat sie von klein auf gehaßt, schon darum, weil sie selbst nicht das rechte Kind ihres Vaters war und den nur mit der Furcht, aber nicht mit der Liebe regieren konnte. Nichts an den beiden Mädeln reimt sich, als die Namen. Und wie die Ev' die Kinderschuh' ausgetreten hatte und Alle merkten, daß sie zu mir hielt, da ist's nun vollends arg geworden weil die Vefa – ganz ohne meine Schuld – ich bin ihr immer ausgewichen –

Er stockte und wandte sich ab. Ich ersparte es ihm zu beichten, was ich unschwer errathen konnte. Bald aber fuhr er fort, mir von seiner Schülerin zu sprechen, und als ich ihm gestand, ich hätte ihre Handschrift in seinem Gedichtheft wieder erkannt, hatte er's kein Hehl, daß er ihr alle seine Verse zu lesen gegeben, und sie selbst habe gebeten, die Abschrift machen zu, dürfen natürlich ganz im Geheimen, denn der Vater sei ein Pfaffenknecht, und wenn er auch nicht Alles verstehen würde, – daß die Gedichte nicht streng katholisch seien, würde er doch wohl gemerkt haben.

Sie haben nun auch gewiß errathen, Herr Doctor, an Wen die Liebesbriefe gerichtet sind. Aber der Herrgott ist mein Zeuge: es ist keine Liebschaft von der gewöhnlichen Art, und nie ist zwischen uns ein Wort gefallen wie zwischen heimlichen Liebesleuten; außer daß sie aus den Versen gesehen haben mag, wie ich zu ihr gesinnt bin. Denn einmal würde mir's eine Sünd' scheinen mich in ihr Herz einzuschleichen und ihr allerlei in den Kopf zu setzen, was ihr schädlich wär', da sie so ein schwaches Ding ist, und dann weiß ich ja, daß ihr Vater hoch hinaus will mit seinem Kind und sie tausendmal zu gut finden würde für einen armen Schullehrer. Nur platonisch, wie man's heißt, soll unsre Liebe bleiben, und wenn sie wieder gesund wird, denk' ich dran mich versetzen zu lassen, damit sie mich vergessen kann und einen Mann nehmen, wie er ihrem Vater recht wär' – wenn auch freilich – Einen der ihrer werth wäre und sie zu würdigen wüßte – ob der hier herum sich finden möcht –

Er verstummte wieder und ließ mir Zeit, über die naive Sophistik dieses sonst ganz wackeren Gemüths nachzudenken, das sich vorspiegeln wollte, zwischen der schwärmerischen Schülerin und ihrem stattlichen jungen Lehrer werde es bei einem Seelenaustausch schwarz auf weiß ewig sein Bewenden haben.

Ich hielt es doch für meine Pflicht, ihm einige mahnende Winke zu geben: er möge nur ja Nichts thun, was das arme Kind in seinem leidenden Zustand aufregen könne, vor Allem ihm keine zärtlichen Poesieen mehr zukommen lassen und nur den väterlichen Freund herauskehren, der gelegentlich einmal nach der Kranken sich erkundige. Aus der Art, wie er das aufnahm, erkannte ich, daß aller gute Rath zu spät kam. Und freilich, wenn sie schon einmal glaubte, daß er eine leidenschaftliche Liebe zu ihr trug, war ein zurückhaltendes Betragen jetzt, da sie schwer daniederlag, nicht geeignet, ihr Fieber zu beschwichtigen.

Kopfschüttelnd sah ich ihn von mir gehen, und mir ahnte nichts Gutes von den folgenden Kapiteln dieser Dorfgeschichte. Sie sollte sich aber ganz anders entwickeln als ich mir hätte träumen lassen.

*

Ich werde Sie nicht mit einer ausführlichen Krankheitsgeschichte langweilen. Ich will nur sagen daß es mir, schon eh' der erste Frost einfiel, gelungen war, die Fortschritte der schauerlichen Minirarbeit in dieser fünfzehnjährigen Brust zum Stillstand zu bringen Das gute Kind durfte bald wieder sein Bett verlassen, freilich nur um im Großvaterstuhl am Fenster zu sitzen oder ein bissel im Zimmer herumzugehen. Denn draußen lag tiefer Schnee.

Ihr lyrischer und platonischer Freund hielt indessen gewissenhaft sein Wort, wie mir die Magd, die bei ihren Apothekengängen zuweilen bei mir vorsprach, versicherte, da ich forschte, ob meine Vorschrift, Besuche abzuwehren, befolgt würde. Ich selbst sah ihn einmal, da ich zu der Eve gekommen war, draußen am Hause vorüberhinken und langsam die Baumhalde hinauf sich entfernen. Das Everl hatte ihn sogleich bemerkt und kein Auge von ihm verwandt, bis er in dem ansteigenden Hohlwege verschwunden war. Ich fühlte gerade ihren kleinen geschwinden Puls, der sein Tempo noch beschleunigte. Das kranke Roth auf den schmächtigen Bäckchen glühte ein wenig stärker, doch that ihr der Ausblick offenbar wohl, sie lächelte und sah ordentlich hübsch aus. Wie hätte ich eine solche kurze Aufregung, die sie glücklich machte, verbieten können!

Ich mußte mich überhaupt zusammennehmen, nicht schwach gegen meine Patientin zu sein. Denn ihre Sanftmuth und klaglose Heiterkeit rührten mich. Als es besser mit ihr wurde und der Husten nur selten noch ihre Nachtruhe störte, hatte ich trauliche kleine Conversationen mit ihr und begriff immer mehr, daß sie ihrem jungen Lehrer hatte ans Herz wachsen müssen. Sie war langsam im Begreifen, ihre Bücher hatten ihr nur ein confuses Verständniß der fremden Welt beigebracht, und obwohl sie die ketzerischen Gedichte Andreas Kathreiner's abgeschrieben hatte, war sie doch ihrem kindlichen katholischen Glauben treu geblieben, wie ich aus manchen naiven Aeußerungen entnahm. Denn dieses Thema zu berühren, hütete ich mich sorgfältig. Als ich aber einmal auf die Jungfrau von Orleans zu reden kam und fragte, wie ihr das Stück gefallen habe, verklärte sich ihr stilles Gesichtchen. Es sei ihr das Liebste, was sie je gelesen habe. Und nun sagte sie einige Reden der Johanna her, und ich sah, daß sie eine große Genugthuung empfand, aus dem Munde eines einfachen Dorfkindes so erhabene Sentenzen citiren zu können. Würdest du auch dein Leben für deinen König hingeben Everl? fragt' ich. Sie nickte ernsthaft dreimal vor sich hin, und ihre großen schwarzen Augen, das Schönste an ihr, glänzten von einem schwärmerischen Feuer.

Wie hätte das einsame Herz des dichtenden Dorfschullehrers an diesem Feuer sich nicht entzünden sollen!

Dabei war sie von einer rührenden Güte und Mitempfindung für fremdes Leid, selbst der unvernünftigen Creatur. Ein krankes Huhn, von dem die Magd ihr einmal erzählt, nahm sie in ihre Kammer und pflegte es. Als eines der Ackerpferde sich den Fuß gebrochen hatte und abgethan werden mußte, wurde ihr Fieber wieder so heftig, daß sie die Nacht keinen Schlaf finden konnte. Zumal um den Vater, der an allerlei Gebrechen litt, war sie aufs Aengstlichste besorgt, während solche Kranken gewöhnlich nur für ihren eigenen Zustand Sinn und Gedanken haben. Ich höre noch, wie sie auf meine Erkundigungen erwiderte: I bin ganz wohl, aber der Vatter –! Den wenn's curiren könnten, Herr Doctor!

Als windstille klare Wintertage kamen, bald nach Advent, besserte sich ihr Befinden so auffallend, daß ich selbst Hoffnung zu schöpfen anfing, das liebe Kind durchzubringen. Alles im Hause war glücklich, der Bauer wußte nicht, wie er mir seine Freude und Dankbarkeit genug ausdrücken sollte, und in meine Junggesellenküche schleppte die alte Magd so viel Hühner, Butter und Hollermus herein, daß ich mir's ernstlich verbitten mußte.

Die einzige Person, die sich an dieser günstigen Wendung nicht mit freute, war die Vefa.

Noch immer hatte sie mir kein Wort gegönnt, obwohl sie mir oft genug begegnet war, jetzt fast immer in einer sauberen Kleidung, da sie den Stall zum großen Theil der Magd überlassen hatte. Sie konnte sich wahrlich sehen lassen, weit und breit war sie die Schmuckste von allen Dorfschönen, aber ein ungutes Lachen und ein seltsam gekniffener Zug um den Mund entstellte das derb-frische Gesicht. Die Welt und ihr Haus wären doch wahrlich groß genug gewesen für sie und die arme blasse Schwester. Aber es heißt schon im Volkslied:

Und wenn zwei Mädel ein'n Knaben thun lieben,
Thut wunderselten ein gut,

und daß sie in den Anderl verschossen war, konnt' ich aus Allem deutlich erkennen.

Der aber war eben ein curioser Romantiker, und da die Vefa für die platonische Liebe kein Verständniß hatte, taugten die Zwei freilich in keiner Weise zusammen, selbst wenn kein Everl dazwischengestanden hätte.

So kam der März heran, der einen jähen Umschlag der Witterung brachte, heftigen Föhn und eine verfrühte Frühlingswärme. Auf dem Tisch der Ev' neben ihrer Schreibmappe stand ein Glas mit Schneeglöckchen, der Herr Lehrer hab' sie ihr geschickt, sagte sie erröthend.

Leider hatte der voreilige Frühling noch etwas minder Erfreuliches gebracht, einen schweren Rückfall in den alten Fieberzustand. Das arme Ding mußte wieder ins Bett, im Haus schlich wieder Alles auf den Zehen, nur die kaltsinnige Vefa trat desto herausfordernder auf, und der Vater, der vor ihrem herrischen Blick zusammenknickte, wagte nicht, ihr Ruhe zu gebieten.

Ich that nach wie vor, was unsere hülflose Wissenschaft an Linderungsmitteln mir an die Hand gab. Meine letzte schwache Hoffnung aber war geschwunden.

Da, eines Abends, seh' ich den Hollersepp bei mir eintreten. Seine Miene war so verstört, daß ich schon das Aergste befürchtete. Er schüttelte aber den kurzgeschorenen grauen Kopf, setzte sich mit Seufzen und Stottern auf den Stuhl, den ich ihm bot, und kratzte sich die Nase, was immer ein Zeichen äußerster Verlegenheit bei ihm war. Erst nach einer ganzen Weile kam er damit heraus, was ihn zu mir geführt.

Heut' Morgen sei die Everl besonders elend aufgewacht, da sie kaum ein paar Stünderl geschlafen hab'. Wie er sie nun bei der Hand genommen und befragt hab', wie ihr sei, und sie beschworen, sie soll' ihm doch um aller Heiligen willen das Herzleid nicht anthun und so jung von ihm wegsterben, da hab' sie ihm die Arme um den Nacken gelegt, ihn an sich gezogen und auf die Backe geküßt und dann ganz leise, aber ohne Stocken gesagt: Wenn du willst, Vatter, daß ich wieder gesund werden und leben soll, gieb mich mit meinem Schatz, dem Anderl, zusammen.

Ob sie gescheidt sei, oder das nur im Fieber so daherred', habe er geantwortet. Und das Dirndl, ganz unerschrocken: Ich weiß, was ich sag', Vatter. Wenn ich den Anderl nicht krieg', magst mich nur drunten neben meinem Mutterl ins Grab legen.

Ja, aber der Lehrer werd' kein Narr sein und so ein fieberhafts Ding zur Frau haben wollen, hab' er drauf erwidert. Das hab' sie aber keinen Augenblick irre gemacht. Der Anderl hab' sie grad' so gern, wie sie ihn und daß sie noch nicht wieder aufgekommen sei, komm' eben daher, daß sie ihn nimmer gesehn hab' und immer »Zeitlang« nach ihm gehabt hab', und du sollst sehn, Vatter, wenn er erst zu mir darf, und ich weiß, er soll der Mein werden, bin ich bald wieder kreuzwohlauf, und du hast dich nimmer um mich zu grämen.

Was er dem Kind erwidert hab', fragt' ich ihn. Nun, was sollt' er erwidert haben? Daß sie sich so verruckte Narrheiten aus dem Kopf schlagen sollt'. Daraus könn' all ihr Lebtag nichts werden. Auch sei sie noch viel zu jung zum Freien, noch nicht voll sechzehn und wenn er's zuließ', das erste Kindbett würd' ihr Tod sein.

O Vatter, hab' sie gesagt, ich denk' noch gar nicht ans Heirathen, erst muß ich ja auch gesund werden, nur daß du mich den Verspruch mit ihm halten lässest, daß ich weiß, er ist der Mein und ich die Sein', das Andere wird die Muttergottes schon fügen, wie's mir im Himmel bestimmt ist.

Und darauf sei er aus der Kammer gegangen und hab' nochmals gesagt, sie sollt' so unsinnige Träum' ausschlafen, die Leut' sollten den Hollersepp nicht ausspotten, daß er sein einziges Mädel einem Menschen an den Hals geworfen, der Nichts hätt' und Nichts wär' als ein lahmer armer Teufel von Schulmeister.

Die Sach' sei ihm aber doch den ganzen Tag im Kopf herumgegangen, und nun hab' er mich aufgesucht, um zu hören, was ich davon dächt', ob mehr Gefahr sei, wenn er fest blieb', oder wenn er dem grilligen Ding den Willen thue.

Ich hatte nicht nöthig, mich lange zu bedenken, da ich leider nur zu klar voraussah, wie es kommen mußte. Reinen Wein durfte ich dem bekümmerten Vater freilich nicht einschenken, da er sich der Kranken gegenüber sofort verrathen haben würde. Also stellte ich ihm vor, wie er sich's Zeitlebens zum Vorwurf machen würde, wenn das Kind aus Herzweh über diesen versagten Wunsch zu Grunde ginge. Andrerseits hätte man Fälle, daß selbst die schwersten leiblichen Krankheiten geheilt worden wären, wenn das Gemüth sich ganz beruhigt und von aller quälenden Sehnsucht befreit gefühlt hätte, und sollte er wirklich die Freude erleben, sein Dirndl wieder aufblühen zu sehen, als junge Frau Kathreiner, so könne er aller dummen Reden der Nachbarn über eine unpassende Heirath lachen, zumal er reich genug sei, um nicht vor Allem aufs Geld zu schauen.

Er saß eine Weile ganz tiefsinnig und bemühte sich, meine Vorstellungen sich zurechtzulegen Zuletzt kam er – sichtlich widerstrebend – noch damit heraus, die Veferl werde die Sach' schief ansehen und ihm alle Tage seine Schwachheit vorrücken. Was ich vorbrachte, ihm den Rücken zu stärken gegen das neidische Geschöpf, machte wenig Eindruck. Als ich aber sagte: er möge thun, was ihm beliebe, er werde schon sehen, daß es nun mit der Krankheit im Galopp weitergehen werde, stand er mit einem schweren Seufzer auf und sagte: Nun denn meinthalben! Morgen schon soll sie ihren Willen haben und mit dem verdammten Tirolerbuben den Verspruch halten. Ich hab' halt kein Glück mit meine Kinder.

Ich hatte ihm gesagt, daß ich jedenfalls dabei sein müsse, wenn der Lehrer käme. Das Zusammensein des Paares dürfe nicht lange dauern, und es müsse auf alle Weise verhütet werden, daß die junge Braut sich nicht übermäßig aufrege.

In der That, obwohl es mir weder möglich noch räthlich schien, die Verlobung zu verhindern, so war mir doch nicht geheuer bei der Sache. Denn Tags zuvor hatte ich das arme Wesen in besonders schlechtem Zustande gefunden.

Um so mehr war ich erstaunt und erfreut, als ich am andern Nachmittag trotz der aufregenden Erwartung das Fieber mäßiger, ihr ganzes Befinden weit befriedigender fand. Der Vater hatte ihr noch am Abend seine Einwilligung mitgetheilt. Darauf hatte sie eine ruhige Nacht gehabt und sichtlich gestärkt darauf bestanden, das Bett zu verlassen, gegen meine Verordnung. Ich brachte es auch nicht übers Herz, zu schelten, so lieblich saß sie, als ich eintrat, in ihrem Lehnstuhl, vollständig angekleidet in ihrem weißen Firmelkleid, das sie freilich ausgewachsen hatte. Die Magd aber hatte in aller Eile ein paar Säume auftrennen und das Fähnchen frisch aufbügeln müssen. Auch das bezeichnete ihren aparten Sinn. Denn die Bauernmädel dort herum tragen bei der Firmelung nicht wie die Töchter der Honoratioren und besseren Familien unten in Miesbach ein weißes Gewand, sondern bloß eine neue bäuerliche Sonntagstracht zu ihrem grünen Kränzel im Haar. Sie aber hatte auf dem weißen Putz bestanden. Ein paar Veilchen, die der Anderl ihr geschickt, hatte sie vorn am Busen befestigt, ihr schönes dickes Haar in Zöpfe geflochten und mit ein paar plumpen goldenen Nadeln aufgesteckt, auch einen bäuerlichen Halsschmuck, den sie von ihrer Mutter geerbt, angelegt. Sie strahlte übers ganze Gesicht von rührender Glückseligkeit, und als ich zu ihr trat, um ihr zu gratuliren, und ihr die Hand bot, zog sie dieselbe hastig, eh' ich's wehren konnte, an sich und drückte, da sie mich für den Stifter ihres Glückes hielt, inbrünstig dankbar die weichen Lippen darauf, die freilich trocken und fieberheiß waren, aber beständig lächelten, daß ich mich der Thränen kaum erwehren konnte.

Der Anderl hatte mich schon draußen vorm Hause begrüßt, in einer Erregung, die ihn sprachlos machte. Die Vefa ließ sich nicht blicken.

Auch der Bauer kam nicht gleich zum Vorschein. Ich hatte ihn hinten bei der Scheune stehen sehn, wo er dem Knecht beim Abladen eines Fasses half. Er that, als ob er mein Kommen nicht bemerke. An seinem Wettern und Fluchen konnte ich erkennen, daß er in der schlimmsten Laune war und seine Nachgiebigkeit über Nacht grimmig bereut hatte.

So stand ich eine Weile in unbehaglicher Spannung bei dem jungen Kinde, dem auch nicht wohl zu Muthe zu sein schien trotz des vertrauensvollen Lächelns. Ihre arme Brust arbeitete schwer, sie hüstelte und führte dann und wann ihr Tüchlein zum Munde. Ich versuchte allerlei kleine Späße vorzubringen, die aber keinen Anklang fanden. Denn ihre unruhigen großen Augen hefteten sich immer wieder an die Thür, und sie horchte unverwandt ins Haus hinunter, wo man die Vefa in der Küche rumoren und mit der Magd zanken hörte.

Da kamen endlich Männertritte die Stiege herauf, und gleich darauf trat der Bauer mit dem Anderl herein, oder vielmehr er schob ihn über die Schwelle, mit einem zornigen Knurren, wie ein grober Zuchthauswächter einen Delinquenten behandelt. Ohne mich zu begrüßen trat er, den Lehrer am Arm nachzerrend, vor das Mädchen hin und brummte: Da hast ihn, du eigensinnigs Ding! Da hast das große Glück, das du dir gewunschen hast!

Wie er aber in das zarte, bleiche Gesicht des Mädchens sah, das vor Freude über und über erglänzte, und sie seine harte Faust mit ihren beiden zitternden Händen ergriff und sie nicht loslassen wollte und immer wieder küßte, ging es wunderlich über seine derben Züge. 'S is schon gut, stotterte er, laß nur los! I glaub's schon – 's is nun mal wie's is. Schaug, Deandl, setzte er dann leiser hinzu und beugte sich zu ihr hinab, indem er ihr übers Haar strich, ich hab' mein Wort gehalten, so hart mich's ankommen ist. No halt' auch du dein Versprechen, Everl, und werd mir fein gesund, hörst, Mädel? Sonst kriegst's mit mir zu thun, das sag' ich dir, und jetzt – hab' drunt zu schaffen – der Herr Doctor wird hier bleiben – pfüet Gott mit einander!

Er kehrte sich ab und schritt geschwinde aus der Kammer, ohne Einen von uns anzuschauen.

Das Mädchen war wieder in ihren Stuhl zurückgesunken und sah Niemand als nur ihren Schatz. Ich gab dem Anderl einen Wink, daß er herantreten sollte, da er sich immer noch beklommen beiseite hielt. Nun näherte er sich seiner Braut und gab ihr die Hand und hielt ihre eine Weile fest, ohne ein Wort zu sagen. Endlich griff er in die Westentasche und zog ein Papier hervor, darin war ein schlichter kleiner Ring eingewickelt, ein schmaler Goldreif mit einem rothen Steinchen. Everl, sagte er kaum hörbar, da ist mein Verlobungsring. Magst ihn anstecken?

Sie nickte stumm und schob das Reifchen auf den Mittelfinger der linken Hand. Dann streifte sie hastig von ihrer rechten einen alten silbernen Ring ab und hauchte: Ich hab' keinen bessern, Anderl, ich hab' nicht ausgehn können, einen zu kaufen, er ist aber von meinem seligen Mutterl, magst ihn haben, Anderl?

Er griff rasch danach und zwängte ihn mit Mühe über das erste Glied seines kleinen Fingers. Da lächelte sie ein wenig. Du mußt ihn dir weiter machen lassen, gelt? Und dann schwiegen sie wieder und sahen sich an, und obwohl sein Gesicht ganz ernsthaft blieb, schlug ihm doch das innere Freudenfeuer aus den Augen.

Ich begriff, daß ich hier zu viel war, und stahl mich sacht aus der Kammer. Draußen stand ich an der Treppe und hörte drunten immer noch die herrische Stimme der Vefa und das Klappern und Rasseln der Pfannen und Töpfe, an denen sie ihren wilden Grimm ausließ.

In der Kammer der Everl blieb es mäuschenstill.

Dann nach einer kleinen Viertelstunde, schien es mir rathsam, der verliebten Zwiesprach ein Ende zu machen. Als ich wieder eintrat, sah ich das Paar noch in derselben Stellung bei einander, wie ich es verlassen hatte, Hand in Hand, und schwerlich hatten sie viel Worte gewechselt. Es ist nun Zeit, Anderl, sagt' ich, daß wir gehen. Fürs erste Mal muß es genug sein, und die Ev' wird ein braves Kind sein und sich wieder ins Bett legen. Gebt Eurer Braut noch ein Busserl, aber nur eins, und von jetzt an dürft Ihr alle Tage eine halbe Stunde zu ihr kommen, aber nicht länger, denn sie ist noch schwach, und alle vierundzwanzig Stunden ein Eßlöffel voll Lieb' ist grad' genug. Behüt' dich Gott, Everl, und nimm fein wieder die Tropfen. Je folgsamer du bist, je eher wirst du wieder frisch und gesund und kannst Frau Kathreiner werden.

Er bog sich zu ihr hinab, und sie kam ihm, die Arme um seinen Hals legend, auf halbem Wege entgegen. Ich habe nie, außer bei Geschwistern eine unschuldigere Liebkosung gesehen.

Dann führte ich ihn mit fort und gab ihm auf der Treppe noch etliche gute Lehren, daß Alles verspielt wäre, wenn er seine Liebste nicht schonte und seine Bräutigamsrechte mißbrauchte. Er nickte zu Allem und reichte mir treuherzig die Hand. Ich müßt' mich selbst verachten, sagte er, wenn ich Ihnen nicht folgte. Aber glauben Sie wirklich, Herr Doctor –

Der Lärm unten im Hausgang überhob mich der Antwort. Die Vefa stand beim Vater und redete heftig in ihn hinein, die Magd müsse aus dem Haus, heute noch, sie sei – und nun eine Flut von Schimpfnamen, gegen die das arme Geschöpf, dessen einzige Sünde war, zu der Kranken gehalten zu haben, vergebens sich zu vertheidigen suchte. Als das wüthende Mädchen uns kommen sah, warf sie den Kopf trotzig in den Nacken – sie sah übrigens prachtvoll aus mit ihren blitzenden Augen und der gerümpften Lippe über den blanken Zähnen –, warf dem Anderl ein höhnisches: Gratulire, Herr Lehrer! zu und verschwand wie ein Sturmwind in der nächsten Thür, die schallend hinter ihr ins Schloß fiel.

Die Magd mußte wirklich noch denselben Abend das Haus verlassen, der Bauer war ohnmächtig gegen den Willen der wilden Dirne, die nicht einmal sein eigen Kind war. Wie mir die arme Person, die lange keinen Dienst fand, später einmal unter vielen Thränen erzählte, war sie nur darum von der Vefa gehaßt worden, weil die ihr Schuld gab, zu der Verlobung zugeredet und sich hinter mich gesteckt zu haben, daß ich meine Einwilligung zu einer solchen Narrenskomödie gäbe. Selbst dies arme Glück, das kaum eine Zukunft haben konnte, neidete sie der Schwester.

*

Zunächst freilich ließ es sich so an, als sollte die stolze Wissenschaft einmal wieder an der geheimnißvollen Macht der Natur zu Schanden werden.

Was ich befürchtet hatte, trat nicht ein. Das Liebesglück der armen Verurtheilten war nicht wie die Vergünstigung armer Sünder, vor ihrem letzten Stündlein sich gütlich zu thun, wie sie's nur verlangen mögen, sondern die Krankheit schien in der That zu einem Stillstand gekommen zu sein, seit das junge Herz Alles hatte, was es im Stillen gewünscht. Ich konnte mit gutem Gewissen meine Besuche auf ein gelegentliches Nachschauen beschränken, zumal ich die feste Ueberzeugung gewonnen hatte, daß der Bräutigam sein Versprechen gewissenhaft hielt. Er kam täglich gegen Abend ins Haus, setzte sich an das Bett seiner Liebsten und las ihr vor, was sie am liebsten hörte, so daß sie nicht einmal durch vieles Schwätzen ihre kranke Brust angriff. Nur daß dabei aus der halben Stunde meist eine ganze oder anderthalb wurden. Darüber aber konnte ich ein Auge zudrücken.

Nicht lange, so durfte sie die Besuche ihres Bräutigams wieder im Lehnstuhl annehmen. Und als das Jahr vorrückte und der April schon sommerwarme Tage brachte, konnte man das seltsame Paar auf der Bank am Hause in der Sonne sitzen sehen, wo dann freilich nicht gelesen wurde, sondern ein leises zärtliches Geplauder stattfand.

Die Verlobung der Everl vom Hollersepp mit dem Schullehrer hatte natürlich nicht geringes Aufsehen gemacht und eine wunderliche Legendenbildung veranlaßt, von der noch das wenigst Abenteuerliche war, das Dirndl sei auf dem Sterbebett dem Anderl angetraut worden und habe dann plötzlich wieder zu leben angefangen. Als man aber sah, wie die Dinge in Wahrheit standen, beruhigten sich die Fraubasen der Nachbarschaft und in Miesbach, und man gönnte dem guten Kinde, das immer bemitleidet worden war, das bischen letzte Lebensfreude, da an ein Auskommen und gesundes Weiterleben kein Mensch außer dem Vater glaubte.

Ich selbst, so oft ich darüber befragt wurde, hüllte mich in ein vieldeutiges Schweigen. Im Stillen gab ich dem guten Wesen noch ein Jahr, wenn nichts Unerwartetes dazwischenkam.

Um so mehr erschrak ich, als eines Abends im Mai mein junger Freund mit todtbleichem Gesicht in mein Zimmer stürmte und mich beschwor, unverzüglich zu seiner Braut zu kommen. Sie habe einen heftigen Blutsturz gehabt und sei am Auslöschen.

Zum Glück stand mein Wägelchen angespannt vorm Hause. Während wir auf der Landstraße nach Parsberg hinrollten, um von dort aus den kurzen Fußweg nach Bergham hinaufzueilen, erzählte mir der arme Mensch, was sich am Nachmittag zugetragen.

Er hatte seine Liebste ungewöhnlich frisch und heiter angetroffen und ein Stündchen auf der Bank mit ihr geplaudert, auch ein paar Gedichte, die er jüngst an sie verfaßt, ihr halblaut vorgelesen, da die Vefa beständig hinter dem offenen Fenster herumspionirte. Das habe sie ersichtlich sehr beglückt, und sie habe ihm einmal übers andere die Hände gedrückt, die einzige Caresse, die sie an diesem sichtbaren Ort sich erlauben durfte.

Auf einmal sei sie aufgestanden und habe gesagt: Mir ist heut so wohl, ich mein', ich könnt' einmal ein paar Schritt zu gehen versuchen, bloß bis in das Wälderl da drüben, da ist so schöner Schatten, und wie ich die lange Zeit krank war, hab' ich immer gedacht: wenn du nur erst einmal wieder bis dahin gehen kannst! Gelt, Anderl, ich darf's? Du sollst sehen, ich bin ganz kräftig, und dann setzen wir uns droben auf das Bankerl und ruhn uns aus.

Er habe erst Einwendungen gemacht, der Doctor möcht' am Ende schelten, aber sie hab' auf Nichts hören wollen und ganz trutzig gesagt: Wenn's d'nöt mit willst, geh' i halt allein. Da habe er ihr den Arm gereicht und sie langsam den kleinen Pfad durch die Wiese geführt, es seien ja kaum hundert Schritt, und droben sei eine so gute Luft gewesen, nach Veilchen hätt's gerochen und der Wind hab' ganz leicht in den Zweigen gerauscht. Und da habe sie so froh dreingeschaut, wie als Kind, wenn er sie in der Schule gelobt hätt', und sei auch ganz tapfer marschiert, bis sie droben angelangt seien. Die Steigung sei ja kaum der Rede werth. Oben habe er ihr das Tuch fester um die Schultern gebunden, und sie habe sich auf die Bank dicht neben ihn gesetzt und an ihn angedrückt, und nur manchmal sei es gewesen, als ob ihr ein Schauer über den Leib liefe. Als er sie aber gefragt, ob sie sich fieberhaft fühle, nein, hab' sie gesagt, es ist nur das Glück. Ich bin hier zum ersten Mal so recht mit dir allein, es sieht uns Niemand als nur unser Herrgott, der vergönnt mir's schon, daß ich dich hab'.

Sonst hätten sie nicht viel geredet, nur auf die Vögel gehorcht, die im jungen Laube gezwitschert hätten.

Als sie aber eine lange Zeit geschwiegen, habe sie auf einmal ihren Arm hastig aus dem Tuch herausgewickelt und ihm um den Nacken gelegt und ganz leise gesagt: Küsse mich! Und er habe es gethan, aber ich möcht' nur glauben, gar nicht heftig, sondern wie er sich's streng gelobt, daß er's thun wolle, sie zu schonen. Ihr aber sei's nicht genug gewesen, und sie habe immer geflüstert: Mehr, mehr! und habe so still gehalten, den Kopf hintenübergebogen und die Augen zugedrückt und so selig dabei gelächelt, daß sein Herz ihm übergewallt sei und er sie stürmisch an sich gedrückt habe, bis sie ihm selbst mit einem leisen Schmerzenslaut gewehrt und ihn zurückgedrängt habe. O Anderl! habe sie gehaucht, leben nur leben! Nicht schon sterben müssen, mit dir leben bis wir alt und grau geworden! – und plötzlich seien ihr die Thränen aus den Augen gestürzt, und sie habe so herzbrechend zu weinen und zu schluchzen angefangen, daß er furchtbar erschrocken sei und Alles aufgeboten habe, sie zu beruhigen.

Sie aber habe fortgeweint und zu all seinen Trost- und Schmeichelworten den Kopf geschüttelt, und auf einmal habe sie die Hand auf die Brust gedrückt und sich aufgerichtet – da sei ein heller Blutstrom von ihren Lippen gebrochen und sie wie leblos auf die Bank zurückgesunken.

Er selbst habe beinah die Besinnung verloren dann aber die wie entseelt daliegende Gestalt aufgehoben und mit wankenden Knieen hinuntergetragen, denselben Weg jetzt in Angst und Jammer, den sie vor einer Viertelstunde so glückselig hinaufgeschritten waren.

*

Was soll ich weiter davon sagen?

Sie lebte noch, als ich an das Bett trat, auf dem sie in ihren Kleidern ausgestreckt lag, nur der Vater bei ihr, der mich wie ein Betrunkener mit starren glühenden Augen ansah, und die neue Magd. Sie war völlig bei Bewußtsein und bemühte sich, mich anzulächeln. Aber ihre zerrissene junge Brust flog auf und ab, und ihre Stimme war erloschen.

Was ich thun konnte, sie zu beleben, hatte nur schwachen Erfolg. Die ganze Nacht lag sie so, mühsam athmend, der Bräutigam saß neben dem Bett, ihre Hand, kalt und regungslos, lag in seiner. Am Abend des nächsten Tages, nachdem der Bluterguß sich erneuert hatte, that sie den letzten Seufzer. Rührenderes konnte man nicht sehen, als das kleine weiße, »kinderhafte« Gesicht, von dem das glückliche Lächeln selbst im Tode nicht gewichen war.

Zwei Tage darauf trugen sie sie auf dem Parsberger Friedhof zu Grabe. Ich blieb der Beerdigung fern; die Pflicht des Arztes gehört den Lebenden, nicht den Todten. Die weggejagte alte Magd aber kam bald darauf, mir zu erzählen eine wie »schöne Leich'« es gewesen sei, kein Mensch in Bergham und Parsberg, der's »dermachen« konnt', sei daheim geblieben und kein Auge trocken, selbst die Schwester sei schier in Thränen zerflossen, bloß – zu allgemeinem Befremden – der Bräutigam habe wie ein Bild von Stein dreingeschaut, aber so schreckbar bleich, als ob er sich nun gleich selbst in die Erd' legen möcht', und wie der Pfarrer das letzte Gebet gesprochen und die Schulkinder zu singen angefangen, sei er am Rand des Grabes umgefallen und hätt' für todt dagelegen, daß der Bauer und die Nächsten bei ihm Mühe gehabt hätten, ihn wieder in die Höhe zu bringen.

Ich sah meinen jungen Freund bald darauf, er war in der That ein klägliches Bild des tiefsten Grames, ein rechtes Eccehomo-Gesicht. Aber er klagte nicht, er vermied nur, von ihr zu sprechen und auf Alles, was ich sonst vorbringen mochte, gab er nur einsilbige Antworten wie im Traum.

Die alte Frau, die ihm seinen kleinen Haushalt besorgte, klagte mir, daß er so gut wie keine Nahrung zu sich nehme und die halben Nächte aufsitze. Sobald es dunkel geworden, gehe er auf den Gottesacker und starre den Grabhügel der Everl an.

Auch im Hause des Hollersepp währte die Trauerstimmung länger, als sonst unter diesem hartgewöhnten Geschlecht. Der Bauer, der mich erst so feindselig empfing, als sei ich der Mörder seines Kindes, zog sanftere Saiten auf, als ich ihm sagte, ich hätt' seinem Dirndl von Anfang an den Tod im Gesicht gelesen, und daß er sie noch so lange behalten, sei sein eigen Verdienst, da er ihr den Willen gethan und ihre letzte Zeit zu einem stillen Fest für sie gemacht habe.

Die Vefa erschien wie umgetauscht.

Ganz sanft und geduldig, und unter dem schwarzen Kopftuch blickten ihre sonst so kecken Augen fast demüthig vor sich hin. Es stand ihr gar gut, und ich plauderte zum ersten Mal mit ihr ohne ein widriges Gefühl, da Alles, was sie sagte, ganz weiblich klang. Sie hatte offenbar das Bedürfniß, den alten schlimmen Eindruck in mir zu verwischen, wohl nicht allein aus Reue und Scham über ihr früheres gehässiges Betragen, sondern mit einer kleinen schlauen Nebenabsicht, da sie wußte, wie ich mit dem Anderl stand.

Das wurde mir aber erst später klar.

Uebrigens kam sie mir den ganzen Sommer über aus dem Gesicht, und selbst den verwittweten Bräutigam sah ich nur selten. Er trug einen schwarzen Florstreifen um seinen grauen Rockärmel und Flor um den Hut; wenn er seine Schule geschlossen hatte, streifte er weit in der Umgegend herum, so daß ich ihn ein paarmal vergebens in seiner Wohnung aufsuchte. Ich vertraute auf die gesunde Jugend, die eine gute moralische Heilhaut für alle Seelenwunden hat, daneben auch auf den Trost, den er an seinem Dichten haben würde. Von den Trauerliedern auf sein Everl hätte ich wohl gern etwas zu sehen bekommen, scheute mich aber, ihn darum anzugehen und er selbst rückte nie damit heraus.

*

So verging der Sommer.

Es war ein ungewöhnlich gesegnetes Jahr gewesen, die Wiesen hatten den höchsten Ertrag an Heu und Grummet geliefert, der je erlebt war, alle Ostbäume hingen so strotzend voller Früchte, daß die Zweige gestützt werden mußten, und die Kühe hatten nie so viel Milch gegeben. Nur den Menschen war der üppige Sommer nicht förderlich gewesen. Es herrschten allerlei epidemische Krankheiten, zumal in den tiefergelegenen Ortschaften, und mein Brauner hatte harte Arbeit, da ich rastlos herumkutschieren mußte.

So war's gekommen, daß ich dem Anderl wohl sechs Wochen lang nicht begegnete, zumal Parsberg ziemlich immun geblieben war. Als er daher eines Abends – wir waren schon mitten im September – in mein Arbeitszimmer trat, begrüßte ich ihn mit besonderer Freude, da ich oft an den guten Menschen gedacht und bedauert hatte, ihn so gänzlich aus den Augen zu verlieren

Um so mehr erschrak ich, als er mir mit einer seltsam gedämpften Stimmung sagte: er komme, Abschied von mir zu nehmen. Er müsse fort, schon morgen in aller Frühe. Er habe mir's schon vor einigen Tagen mittheilen wollen, mich aber nicht zu Hause getroffen.

Mir war sofort klar, daß sich etwas Gewaltsames ereignet haben mußte. Aus freiem Entschluß hätte er sich nimmermehr von den Stätten getrennt, an die ihn seine liebsten und schmerzlichsten Erinnerungen knüpften.

Ich ließ ihn sich zu mir setzen und befragte ihn, wie das so plötzlich gekommen sei. Er war scheinbar ganz gelassen, als er mir nun die seltsamen und unholden Erlebnisse der letzten Wochen erzählte, immer den Blick still vor sich hin gesenkt. Sein Gesicht erschien mir noch anziehender, gleichsam geadelt durch seine Trauer, dabei doch von männlicher Entschlossenheit, und in seinen Ausdrücken keine Spur einer unreifen Sentimentalität oder romanhafter Affectation.

So aber hatte sich die Sache abgespielt.

In der Mitte des Sommers hatte ihm die Vefa – oder nein, die Botschaft war nicht in ihrem Namen an ihn gelangt. Nur wie zufällig hatte die neue Magd sich ihm in den Weg gestellt und wie von sich aus gefragt, warum er sich droben beim Hollersepp gar nimmer blicken lasse. Der Bauer hab's doch gut mit ihm gemeint und könn' die Everl auch noch nimmer vergessen, so daß es ihm wohlthun würd', von ihr zu reden mit Einem, der sie auch gern gehabt hätt'. Wenn er aber dächt', die Veferl mög' ihn nicht sehen, so sei er im Irrthum. Sie denke sehr gut von ihm und sage oft, wie er sie dauere, daß sein Glück so rasch ein End' genommen hab', und sie würd' ihn gar gern zum Schwager bekommen haben. Und dann noch allerhand Schmeichlerisches über ihn was er bescheidentlich nur andeutete.

Darauf hatte er erwidert, es würd' ihm zu weh thun, das Haus wieder zu betreten er woll' sich aber überwinden und nächstens einmal vorsprechen.

Das verschob er nun von Tag zu Tage. Nur wenn der Bauer einmal herunterkam und etwa im Wirthshaus eine Maß trank, trat er auf ihn zu, reichte ihm die Hand und setzte sich zu ihm. Gesprochen aber wurde wenig zwischen ihnen, am wenigsten von ihrem gemeinsamen Verlust, den der Vater auch bald zu verschmerzen anfing, da er sonst Grund hatte, mit dem bösen Jahr sehr zufrieden zu sein.

An einem Sonntag aber nach der Kirche, wo der Anderl die Orgel gespielt hatte, – er verstand das trefflich – trat die Veferl auf ihn zu, gab ihm die Hand und spielte die Kleinlaute, Reumüthige. Sie wisse, daß er harb auf sie sei, weil sie sich mit der Everl nicht stets zum Besten vertragen hab'. Darüber habe sie aber viele blutige Thränen geweint und oft gewünscht, sie selbst läge statt ihrer unter dem Rasen und die Schwester hätte das Glück erlangt, um das sie sie – sie woll's nicht leugnen – manchmal beneidet hab'. Das sei nun nicht möglich, und man müss' sich halt in den Willen unseres Herrgotts schicken. Es drück' ihr aber das Herz ab, daß der Anderl noch immer feindselig an sie denk' und ihretwegen nicht einmal das Haus wieder betreten woll'. Er solle doch gut zu ihr sein und kommen und sehen, wie sie das Andenken der Everl in Ehren halte. In ihrer Kammer sei noch Alles, wie sie selbst es drin gehalten, und kein Stück werde vom Fleck gerückt, und sie sitz' manche Stunde in dem Lehnstuhl und denk', was sie ihr alles zu Lieb thun würde, wenn sie noch am Leben wär'.

Auf Anderl's gutes Herz machte diese kluge Rede denn doch einen günstigen Eindruck. Er drückte der Sprecherin freundlich die Hand und versicherte sie, er hege keinen Groll, sie hätten sich eben nicht verstanden, ungleich wie sie waren, und er zweifle nicht an ihrem aufrichtigen Kummer, daß sie Nichts mehr gutmachen könne. Aber in das Haus zu kommen, könne er schwerlich übers Herz bringen, wenigstens nicht so bald. Er würde dann vielleicht seine Fassung nicht bewahren.

Und so vertröstete er sie auf den Winter, wo er an den langen Abenden wohl danach begehren möchte, eine Ansprache zu haben, und sie trennten sich zum ersten Mal in Frieden und Freundschaft.

Dabei blieb's auch, wenn sie sich an den folgenden Sonntagen trafen, und die Veferl versäumte nicht, dann und wann einen Kranz von den bescheidenen Blumen, wie sie in ihrem Bauerngärtchen wuchsen, auf den kleinen Grabhügel zu legen, wofür ihr ein stiller dankbarer Händedruck des Anderl zu Theil wurde.

Ins Haus aber kam er immer noch nicht.

*

So verging die heiße Zeit, das letzte Heu war hereingebracht, die Kirchweih kam heran die in Parsberg am 10. August noch vor der solenneren Miesbacher gefeiert wurde. Da alle Welt mit dem Ertrage des Sommers hoch zufrieden war, konnten selbst die kleineren Leute sich was gönnen und die Bänke neben dem Wirthshaus waren gedrängt voll trinkender, dampfender und schwatzender Bauern mit ihren Weibern und Töchtern, während in der ausgeräumten Schenkstube nebenan schon am Nachmittag fleißig gestampft und geschuhplattelt wurde, zu einer schrillen Musik, die aus zwei Geigen einer Baßgeige und einer Clarinette bestand.

Die letztere, die sich über all die andern Instrumente besonders lustig hervorthat, wurde von einem schwarzbraunen verwogenen Gesellen geblasen, der weitum als der Clarinettenfranzl bekannt war und bei keiner dörflichen Lustbarkeit fehlen durfte.

Es war ein schlanker, nicht mehr ganz junger Bursch, eher häßlich von Gesicht, aber von so übermüthigem Humor, daß er trotzdem auch bei den Weibern und Dirnen sehr beliebt war und eine Art Dorf-Don Juan spielen konnte. Zumal die Musikanten auf unsern Dörfern eine Art Freipaß zu Liebschaften besitzen, so daß manche sonst spröde Schöne unbedenklich einem Solchen etwas zu Liebe thut, was sie jedem Anderen versagt haben würde.

Zum Heirathen kommen freilich diese freizügigen Gesellen desto schwerer. Doch eben darum scheint eine gewisse ausgleichende Gerechtigkeit ihnen eine Ausnahmestellung eingeräumt zu haben.

Besagter Clarinettenfranzl war übrigens auch sonst ein findiger Patron überall gern gesehen wegen seiner verschiedenen freien Künste, als da sind Dohnenlegen, Fischfang, das Stellen von Maulwurfsfallen und eine heimliche Praxis in allerlei Fällen, die man dem gelernten Doctor nicht anvertrauen mag.

Dem Anderl war er unsympathisch, und auch der Franzl hatte sich's angewöhnt, nie ohne einen ironischen Zuruf an dem Lehrer vorbeizugehen, besonders wegen seiner Zurückhaltung den Weibern gegenüber und vollends seit der Verlobung mit der todtkranken Halbwüchsigen. So daß es dem einsamen Poeten, auch wenn die Trauer ihn nicht von der groben Lustbarkeit fern gehalten hätte, nie in den Sinn gekommen wäre, irgend einen Ort zu betreten, von wo das schrille Instrument ihm wie ein Hohn auf seine heiligsten Gefühle herüberklang.

Als daher die Dämmerung hereinbrach, machte er sich auf, das Kirchweihgetöse aus den Ohren zu bekommen. Da ist nun ein schöner, schattiger Waldweg, der nach Miesbach hinüberführt und an jenem Tag um so verödeter war, da alle Theilnehmer des Festes die Landstraße vorzogen. Anderl aber stieg den Fußweg zwischen den Wiesen hinan und vertiefte sich, als es wieder eben ging, träumerisch in seine Erinnerungen, in denen hier keine zudringlichen Tanzweisen ihn stören konnten. Als es ganz still um ihn war, suchte er sich ein Plätzchen am Waldrand, wo er vom Wege aus nicht gesehen werden konnte, streckte sich ins Moos und lehnte den Rücken gegen einen Baumstamm. Es seien ihm, sagte er, im Gehen ein paar Verse eingefallen, da habe er sein Taschenbuch hervorgezogen, um sie aufzuschreiben. Hernach habe er ein Weilchen vor sich hingesonnen und sei drüber eingenickt. Auf einmal sei ihm gewesen, als höre er seinen Namen rufen, und wie er aufgeschaut, habe er – die Vefa vor sich stehen sehen

Sie habe ihm zugenickt und ein bissel gelacht und gesagt, er solle sich nicht stören lassen. Wenn's ihm nicht zuwider sei, wolle sie sich zu ihm setzen. Es sei ja Platz für Zwei und der Sitz weich gepolstert. Sie sei müd', nicht vom Tanzen beileibe, sie habe nicht getanzt wegen der Trauer, nur vom Zuschauen, da's ihr immer vor den Augen herumgewirbelt sei. Getrunken habe sie auch nicht viel, kaum eine Halbe, obschon die Burschen ihr immer den Maßkrug hingehalten hätten, daß sie Bescheid' thun möcht'; aber sie könne nicht viel vertragen. Auf die Letzt sei's ihr zu dumm gewesen, dazusitzen und nicht mitzuthun, da habe sie sich fortgemacht, ein bissel Luft zu schöpfen, und nun sei's ihr ganz recht, daß sie eine Ansprache hätt'; sie sehe gar keinen Menschen und ihn am allerwenigsten. Er sei wohl noch immer »verschmaacht«, nämlich böse aus sie, oder nicht?

Ich gab ihr keine Antwort, fuhr er fort, rückte nur ein wenig beiseit', daß zwischen den zwei Bäumen Platz für sie war, denn obwohl ihre Gesellschaft mir unlieb war, sollt' sie doch nicht denken, ich fürchte sie. Sie hatte ihr bestes Gewand angelegt und all ihre Goldsachen und ein schwarzes Tüchlein um den Hals, vorn ins Mieder gesteckt. Das nahm sie nun ab, daß ihr Nacken bloß wurde, und fächelte sich damit das Gesicht, sie hab' so heiß, sagte sie, und wollt' auch mich fächeln, ich verbat mir's aber und sagte, sie sollt' keine Narrenspossen treiben. Danach steh' ihr gar nicht der Sinn, sagte sie, indem sie auch ihren Hut abnahm und neben sich ins Moos legte. Sie wisse, daß dergleichen bei mir nicht angebracht wär', und sie selbst – es sei ihr sehr ernstlich zu Muth, und sie hab' lang mit mir was Wichtiges besprechen wollen.

Dann schwieg sie eine Weil' und seufzte nur und sah mich von der Seite an und sagte endlich: Anderl, es muß heraus, so kann's nicht weitergehn. Was denkst, daß nun draus werden soll?

Was denn überhaupt nicht so fortgehn könnt'? fragt' ich. Wir hätten uns ja ausgesprochen und seien so weit gut' Freund' miteinand'.

Ja aber, sagte sie und wurde ein bissel roth, gute Freund' hielten doch zusammen und ich wiche ihr immer aus. Sie müss' sagen, das hab' sie nicht um mich verdient. Sie hab' mich immer gern gehabt, schon als wir Zwei noch ganz jung gewesen, und dann sei das mit der Eva dazwischengekommen, und daß sie's der Schwester nicht gegönnt hab' und auch mir was Bessers gewünscht, das sei doch kein' Sünd'. No, das sei nun ab und aus, und ich sollt' doch jetzt gescheidt sein und die Augen aufmachen und einsehn, daß ich ein Narr gewesen wär' und es viel besser haben könnt', wenn ich nur wollt'.

Sie hatte sich ganz bequem hingestreckt und fächelte sich nur zuweilen leise mit dem Tüchlein und ich sah, wie ihr die Augen brannten und merkte wohl, worauf sie hinauswollte. Aber wenn sie auch jeden Andern an meiner Stelle verführt haben würde, ihr dreistes Wesen machte mich ganz kalt, sie hätt' nicht einmal an die Everl zu erinnern brauchen.

Ich wüsst' wirklich nicht, was sie wolle, sagte ich ruhig. Ich verlangte mir nichts Bessers, als so still fortzuleben und meine Schuldigkeit zu thun.

Geh, sagte sie darauf, du stimmst mich nicht, Anderl, du weißt ganz gut, was ich mein', aber wenn du's nicht eingestehn willst, muß ich's wohl grad' 'naus sagen. Denn ich weiß, du bist bloß so fürchtig stolz und denkst: Jetzt ist die Vefa ein reiches Dirndl, weil der Bauer ihr all sein' Sach' verschrieben hat – ich wusst's wahrhaftig nicht, schaltete der ehrliche Mensch ein – und wenn ich mich jetzt an sie mach', möcht's ausschauen als wär' mir's um ihr Geld. Aber laß die schlechten Leut' nur denken was s' mögen, ich weiß, daß du nicht auf das Wägerl schaust, sondern wer drin sitzt. Und ein so saubrer, großer Mensch, wie du, sollt sich tausendmal zu gut dafür halten, Buben und Mädeln das Abece beizubringen, wenn er Haus und Hof haben könnt' und ein so schönes Anwesen und eine Frau dazu, nach der sich die reichsten und schmucksten Buben im Land die Augen ausm Kopf schaun. Wenn du aber glaubst, der Bauer würd' nicht wollen, da laß nur die Veferl machen, die alte Schlafhauben wickl' ich mir um den Finger, und hernach wird er mir's noch einmal danken, denn einen bräveren Schwiegersohn kriegt er nimmer und ich keinen bessern Mann.

Als ich darauf nicht gleich antwortete, fuhr der Anderl fort, stieß sie mich mit dem Ellnbogen an und sagte lachend: Gelt, ich bin dir net g'scheidt genug und les nicht in den Büchern und hab' kein' so schöne Handschrift, wie dein' erste Braut. Aber zu einem richtigen Weib, da gehören andere Dinge, Anderl, und wenn du erst dahinter kommen bist und ein bisserl zugreifen gelernt hast, wirsts schon inne werden, daß du bei der Veferl gut aufgehoben bist, denn gesund bin ich und stark, und ist kein unrechts Blutströpferl in mir, und die Kinder, die wir haben werden, das werden Staatsbuben und -dirndeln sein, darauf kannst Gift nehmen. Schau mich nur einmal an. Keinen Menschen als dir alleinig, möcht ich so Sachen sagen, um die Welt nicht, aber daß wir Zwei zusammenkommen, das hab' ich mir nun lang' in den Kopf gesetzt, und wenn du magst, kann's noch heut richtig werden, gleich jetzt. Ich hab' lang' genug gewartet, und keinem Menschen hab' ich nachzufragen, wenn du mich bloß ein bissel gern haben willst.

Sie war mir ganz nah' gerückt und meint wohl, weil ich Nichts erwiderte, es sei nur meine Blödheit und sie müss' mich aufmuntern. Ich sann aber nur im Stillen, wie ich mich von ihr losmachen könnt, ohne sie auf den Tod zu kränken, denn so wenig sie mir abgewann mit all' ihren Künsten – und daß sie sich mir so gradaus antrug, kühlte mich vollends ab – andrerseits dauerte sie mich doch wieder, da ich sah, wie verliebt sie war, und ich hätt' mit ihr machen können, was ich wollt'. Meine Hand, die sie gefaßt hatte, wollt' ich sacht wegziehen, sie hielt sie aber fest und sagte mit einem verschmitzten Lachen: Ich merk, Anderl, daß du verhext bist, sonst könntst net so dasitzen wie ein Stock, wenn ein saubres, lebfrisches Dirndl dich so schön bittet, ihr gut zu sein. Und am End' steckt's in dem Ringerl da – ich trug den silbernen Verlobungsring der Everl am kleinen Finger, neben dem meinen, den ich ihr abgezogen, als sie gestorben war. Geh, Anderl, probir's einmal und thu die Ring' weg. Gleich wirst sehen, die Augen gehn dir auf, daß du dein Glück nicht von dir stoßest. Sie sind doch nicht festgewachsen? Wart, ich will dir helfen.

Während sie das noch sagte, hatte sie die beiden kleinen Reifen mir vom Finger gestreift und warf sie weit von sich, daß sie auf den Weg hinunterrollten. Da sprang ich auf, in voller Wuth, wie wenn sie mir einen Schlag ins Gesicht oder aufs Herz versetzt hätte. Du schlechte Dirn'! rief ich, Schamlose! und rannte die kleine Strecke nach dem Weg hinab, die Ringe zu suchen. Es war fast Nacht geworden und ein Wunder, daß ich sie beide wiederfand, den silbernen zuerst, nach dem andern mußt' ich lange herumtappen fand ihn aber endlich doch, obwohl er im Gras versteckt lag. Ich zitterte vor Wuth und Aerger am ganzen Leibe, während ich sie schadenfroh kichern hörte, und der Schweiß stand mir auf der Stirn. Dein Glück, rief ich, daß ich sie gefunden hab', denn sonst –

Sonst hättst mich umgebracht? sagte sie ganz trutzig und war aufgestanden; das Lachen war ihr vergangen, sie schoß mir einen wilden Blick zu und war nimmer das schöne Gesicht wie vorher. Geh, Anderl, sagte sie mit mühsamer Stimme, willst immer noch den Narren machen?

Deinen nie und nimmer, rief ich, um keinen Preis! Und zwischen uns Beiden ist's aus, daß du's nur weißt. Und du magst's nur hören: wer eine schlechte Schwester war und eine lieblose Tochter, wird nimmermehr eine gute Frau. Behüt dich Gott, Veferl, und gute Nacht!

Damit kehrte ich mich ab, sah aber, wie sie bolzgrade stand und mich anblitzte wie einen Todfeind. Dann lachte sie höhnisch auf, band sich ihr Tuch wieder um, setzte den Hut auf und ging, ohne ein Wort zu reden durch das Gras nach dem Weg hinunter, der nach Parsberg zurückführt.

Er selbst habe noch eine Weile auf demselben Fleck gestanden, einen Augenblick habe er sich gefragt, ob er ihr nicht nachgehn und ihr gute Worte geben solle, zumal jetzt, da er sie so tödtlich verletzt, das, was sie aus der Leidenschaft für ihn gethan, ihm in milderem Licht erschien – ja, setzte er mit Erröthen hinzu, auch sie selbst schien mir jetzt erst begehrenswerth, und wer weiß, wenn ich ihr nachgegangen wär' – aber mein Schutzengel bewahrte mich vor einer solchen Sünd' und Schmach, der Nachtwind kühlte mir das Blut, und als ich auf einem Umweg mein einsames Zimmerl wieder erreichte, dankte ich dem Himmel, daß ich standhaft geblieben war.

Er habe freilich viele Stunden aufgesessen und, obwohl er sich in ein Buch vertiefte, kaum gewußt, was er las. Dazu habe vom Wirthshaus her die Tanzmusik herübergeklungen und das Brummen der Baßgeige und die gellenden Töne der Clarinette, und es sei gewesen, als würde sein Blut mit Ruthen gepeitscht. Endlich, gegen Mitternacht, sei's still geworden Da habe er das Fenster aufgemacht und sich hinausgelehnt, um frische Luft zu athmen, eh' er schlafen ging.

Die Straße sei ganz öde gewesen, die Kirchweihleut schon alle heimgegangen. Auf einmal aber sei ein Paar dahergekommen, das sich umschlungen gehalten, und er habe auch gehört, wie sie mit einander geschwatzt und gelacht hätten, und wie sie nah an seinem Hause gewesen wären, habe er auch die Stimme erkannt: der Vefa ihre und die noch hellere des Clarinettenfranzl.

Sobald er sie erkannt, hab' er das Fenster zugeschlagen und das Licht ausgelöscht, aber wohl gesehen, daß sie grad' unter ihm stehn geblieben. Der Musikant habe das Mädel fester an sich gezogen und geküßt, darauf einen Juhschrei gethan und etwas zu ihm heraufgerufen, was er nicht verstanden habe. Dann sei das saubere Paar weitergezogen, der Franzl habe eine flotte Melodie in die Nacht hinausgeblasen und auf dem Weg nach Bergham hinauf seien sie verschwunden.

Mit diesem Nachspiel, tröstete ich ihn könne er ja sehr zufrieden sein. Er brauche sich jetzt keine Sorge darum zu machen, daß die Dirne ihm lange nachtrauern würde, da sie so hurtig auf Ersatz bedacht gewesen sei.

Nein, Herr Doctor, versetzte er, ich hab' doch einen Stachel in meinem Gewissen gespürt. Ganz schlecht ist sie nicht gewesen, und wenn ich sie hätte gern haben können, wär' noch ein braves Weib aus ihr zu machen gewesen. Jetzt freilich, da sie sich an Diesen weggeworfen – und er hat auch wohl die Hauptschuld an dem, was noch weiter geschehen ist; denn daß das nicht aus ihrem Kopf entsprungen ist, daß sie sich von dem nichtswürdigen Burschen dazu hat aufhetzen lassen, daran hab' ich keinen Zweifel.

Nun erzählte er mir noch ein anderes Nachspiel, das für ihn weit schwerere Folgen gehabt hatte.

Drei Tage nach dem verhängnißvollen Abend war der Pfarrer zu ihm gekommen, ein guter, aber sehr beschränkter Mann, der bis dahin sich wenig um den Schullehrer gekümmert hatte, weil die Zwei aus verschiedenem Holz geschnitzt waren. Von seinen ketzerischen Ansichten etwas gegen ihn verlauten zu lassen, hatte der Anderl sich wohl gehütet. Der Pfarrer würde ihn kaum verstanden haben. So waren sie ohne Liebe und Haß neben einander hergegangen.

Jetzt aber fiel der hochwürdige Herr gleich mit der Thür ins Haus. Sein rundes, behagliches Gesicht hatte eine strenge Inquisitormiene angenommen, er grüßte den jungen Menschen kaum mit einem Kopfnicken, zog sofort ein Heft beschriebener Blätter aus der Tasche und fragte, ob er sich zu diesen gereimten Gotteslästerungen bekenne, was er ja freilich nicht leugnen könne, da sein Name auf dem Titelblatt stehe.

Es waren die Gedichte Andreas Kathreiner's in einer zweiten Abschrift, die sich die Everl heimlich zu ihrer eigenen Lust und Erbauung angefertigt und in ihrer Truhe aufbewahrt hatte.

Er las dann mit schallender Stimme etliche Stellen laut vor, die ihm als die stärksten Beweise für die Gottlosigkeit ihres Verfassers erschienen, und da der peinlich Angeklagte, der seinen Mann kannte, nichts zu seiner Vertheidigung vorbrachte, als daß er diese Gedanken die sein Gewissen bedrückt, nur zu seiner eigenen Uebung und inneren Klärung niedergeschrieben und übrigens geheim gehalten habe, schlug sein Richter diesen Entlastungsversuch nicht ungeschickt damit nieder, daß er wenigstens Eine Seele durch diese gottlosen Reimereien dem Teufel überliefert habe, die seiner unschuldigen Braut, der er die Gedichte zum Abschreiben in die Hand gegeben habe.

Als der Anderl verstummte, trat der Pfarrer an das Büchergestell und musterte den ganzen Vorrath, mit scharfen Rügeworten über das Heidenthum, das schon die Namen der Autoren errathen ließen. Zum Unglück hatte der arglose Mensch gerade gestern Abend das Leben Jesu aus dem Köfferchen genommen, um darin zu studiren und das verpönte Buch auf das unterste Fach gelegt. Das stieß dem Faß den Boden aus. Der Pfarrer confiscirte den Band ohne Weiteres, wie auch etliche andere verbotene Lectüre, nahm natürlich auch das geschriebene Heft wieder mit und verließ den überführten Inculpaten mit dem Bemerken, das Weitere werde ihm die geistliche Behörde zu wissen thun.

Die übte denn auch schnelle Justiz.

Schon nach acht Tagen erhielt der Lehrer ein amtliches Schreiben in welchem ihm eröffnet wurde, auf Ansuchen seines geistlichen Vorgesetzten sei er zur Strafe für das Lesen verbotener Bücher und die Verbreitung glaubensfeindlicher Ansichten von seiner Stelle in Miesbach auf eine andere, schlechter dotirte in einem entfernten Gebirgsdorf versetzt und sein halbes Gehalt ihm einstweilen vorenthalten, bis er zuverlässige Beweise der Besserung und Umkehr auf dem verderblichen Wege geliefert habe, wozu man in Anbetracht seiner Jugend die Hoffnung nicht aufgeben wolle.

So muß ich denn schloß der gute Mensch mit einem bitteren Lächeln, morgen schon die Reise in meine Verbannung antreten und bin gekommen, um Abschied von Ihnen zu nehmen und für alle Liebe und Güte, die Sie mir bewiesen haben, zu danken. Glauben Sie nicht, Herr Doctor, daß es mir besonders sauer würde, von hier wegzugehen. Ich lasse hier ja Nichts zurück, um das mir's leid wäre, außer das Grab auf dem Friedhof und die Freundschaft, die ich von Ihnen genossen habe. Wie ich freilich mit dem knappen Einkommen mich durchbringen soll, weiß ich noch nicht, aber es wird schon gehen, ich brauch' nicht viel, und gesund bin ich Gottlob auch, und an geistiger Nahrung werd' ich nicht zu darben brauchen. Meine Dichter haben sie mir ja gelassen, und daß ich selbst zuweilen meine Gedanken zusammenreime, können sie mir nicht wehren. Ich werde freilich so gescheidt sein, was ich geschrieben habe, bald wieder zu zerreißen.

Er brachte das alles mit so stiller Fassung und wahrhafter Seelenstärke vor und sah dabei so sehr einem von unsichtbaren Pfeilen gespickten Sanct Sebastian ähnlich, daß ich tief bewegt wurde und ihn wie einen herzlich geliebten Freund oder jüngeren Bruder in die Arme schloß. Er mußte versprechen, mir von seinem neuen Leben Nachricht zu geben, und ich wollte ihm zuweilen Bücher schicken die ihm lieb sein könnten. Und so gingen wir auseinander, in der Meinung, uns so bald nicht wiederzusehen. Denn der Morgenzug, mit dem er fort wollte, ging schon so früh, daß er darauf bestand, ich dürfe ihm nicht das Geleit an die Bahn geben.

Nun können Sie denken wie überrascht ich war, als es am andern Tag, so um Sechs, heftig an meinem Hause schellte und meine Magd mit der Meldung zu mir hereinstürzte, der Herr Lehrer von Parsberg halte unten auf einem Wägerl und frage, ob der Herr Doctor schon zu sprechen sei.

Ich fuhr geschwind in die Kleider und trat ans Fenster. Da sah ich unten das Gefährt stehen, auf dem ein Knecht den Koffer des Verbannten und einige Kisten und Kasten nach dem Bahnhof schaffen sollte, er selbst aber, der Anderl, saß neben dem Kutscher und hatte ein weißes Tuch umgebunden, das die untere Hälfte seines Gesichts bedeckte. Ich rief ihm zu, er möge doch heraufkommen, ich freute mich, ihn noch einmal zu sehen.

Als er aber bei mir eintrat, sah ich, daß wenig Grund zur Freude war. Er sah todtenbleich aus, das Tuch war voller Blutflecke, und da es den Mund verhüllte, konnte ich die Worte, die er dahinter vorbrachte, nur mit großer Mühe verstehen.

Ich hieß ihn sogleich niedersitzen und flößte ihm erst stärkende Tropfen ein, da er ganz erschöpft schien. Als ich das Tuch weggenommen sah ich, daß seine Unterlippe weit auseinanderklaffte. Ein Stück englisches Pflaster, das auf die tiefe Wunde gelegt worden war, hatte nicht festsitzen können, die Blutung war zu stark gewesen. Eh' ich daran denken konnte, zu fragen wie es damit zugegangen, mußte die lädirte Stelle sorgfältig gereinigt und behandelt werden. Erst als ich einen regelrechten Verband angelegt hatte, was ohne Schmerzen nicht abging, erlaubte ich ihm zu sprechen. Er thats mühsam genug. Er hatte aber das Herz zu voll, um länger schweigen zu können, obwohl ich die Hälfte der Worte errathen mußte.

In aller Herrgottsfrühe dieses Reisetages, da er sich auf französisch empfehlen wollte, um jedes Aufsehn zu vermeiden, war der Bauernwagen vorm Schulhaus angefahren und mit seinen paar Siebensachen – die Möbel sollten nachgeschickt werden – beladen worden. Nur die Bücherkisten mochte er nicht dahinten lassen. Dann, noch eh' er seinen letzten Parsberger Kaffee getrunken, hatte er sich aufgemacht, um auf dem Gottesacker Abschied von den Gräbern seiner Eltern und dem der Everl zu nehmen. Es war noch graue Dämmerung, wir hielten schon am Ende des August, nur Wenige der Nachbarn begegneten ihm, bei denen er sich nicht aufhielt. Denn seit der Nachricht von seiner Versetzung, deren Veranlassung abenteuerlich aufgebauscht worden war, hatten ihn die Bauern und besonders die Weiber, bei denen er bisher in Gunst gestanden, schief angesehen. Ein Bedauern, daß man ihn verlor, war ihm von Niemand geäußert worden.

Als er nun den Friedhof betritt, der um die Kirche herumgelagert ist, wen sieht er beim Grabhügel der Ev', auf dem nur erst ein schwarzes Kreuzchen steht in Erwartung des steinernen? Die Vefa, ihr Meßbuch und den Rosenkranz in den gefalteten Händen vor sich niederschauend, als sei sie nur gekommen, um vor der ersten Messe hier an der Ruhestätte der Schwester ein stilles Gebet zu sprechen.

Er will zurück, um ein Gespräch mit ihr zu vermeiden, da schaut sie so wie zufällig auf, nickt ihm zu und sagt: Grüß' Gott, Anderl! Auch schon auf den Beinen? Ja richtig, du willst heut fort. Da trifft sich's ja gut, daß ich dir noch Pfüet Gott! sagen kann.

Ihm ist die Zunge wie Blei, er kann kein Wort vorbringen, nickt nur so verloren und will sich abwenden, um erst zu den andern Gräbern zu gehen, bis das der Everl frei geworden wär'. Aber sie kommt jetzt grad' auf ihn zu, sieht ihm dreist ins Gesicht und sagt: Anderl, ich weiß, was du denkst, daß ich ein ganz schlechtes Ding bin und Schuld an all deinem Unglück. Ja, ich bin's auch, ich will's nicht leugnen, du aber bist der Schlechtere, du hast mich dahin gebracht, hast mich unsinnig gemacht, weil du nichts hast von mir wissen wollen, da hab' ich denkt, 's is doch jetzt Alles aus; wenn ich dich nicht bekomm', was liegt an allem Andern und dann hab' ich einen Haß auf dich geworfen, daß ich gemeint hab', ich müss' aufm Fleck todt hinfallen, wenn ich dir wieder vor die Augen käm', und da bin ich zum Pfarrer gangen und hab' ihm die Schriften bracht, denn ich hab' wohl denkt, du würdst drum gestraft werden und hab' ihn gebeten, er möcht zuschaun, daß du von hier wegkämst. Wie's aber hernach richtig so gekommen ist, hab' ich mir die Haar' gerauft, wie wenn mir das Liebste gestorben wär', und bin zum Pfarrer gerannt und hab' ihn gebittet und gebettelt, er sollt dich hier behalten, ich wollt eine schöne neue Altardecke stiften und was er sonst noch wollen thät. Da aber war's zu spät, ob mir auch das Herz im Leib zerspringen wollt. Und jetzt willst du fort, Anderl, und ich soll zurückbleiben und soll dich nimmer schauen. Sei barmherzig, Anderl, und verzeih mir's nur noch einmal, was ich dir than hab', und schau, wenn du mich nicht ganz unglücklich machen willst, so sag, daß du mich mitnehmen willst, ganz gleich, als was, als deine Magd, wenn ich dir zu deinem Frauerl zu schlecht bin, nur daß ich bei dir sein darf und dir Haus halten und schauen, daß dir's an nichts fehlt. Ich will Alles im Stich lassen, was ich hier hab' und später noch bekommen soll, bloß daß du mich wieder freundlich anschaugst und mir nichts nachtragst. Sonst, wenn du gehst, hab' ich hier doch kein Glück, kein' Stern und sie werden mich bald zu der Everl da unter den Rasen legen.

Und da, sagte der Verwundete und seine fahlen Wangen wurden einen Augenblick geröthet, da that ich, was mich jetzt schwergereut. Ich wußt' ja, es war für ewig aus zwischen uns, und was sie von mir wollt, konnt' ich ihr nimmermehr gewähren. Aber ich hätt' Mitleid mit ihr haben sollen und bedenken, wie schlimm ihr zu Muth war, und daß sie ja nichts dafür konnt', wenn sie so hitziges Blut hatt' und so wild aufgewachsen war und immer meisterlos geblieben. Ich hätt' ihr gute Worte geben und sagen sollen, ich wär' ihr gewiß nicht bös, aber was sie von mir verlangte, das sollt' sie sich aus dem Sinn schlagen, sie müss' selber einsehen, daß es nicht zu ihrem Besten wär' und so dergleichen mehr. Statt dessen hab' ich sie nur ganz kalt angeschaut und gesagt: Behüt dich Gott, Veferl. Du kommst an den Unrechten. Geh zum Clarinettenfranzl. Wir Zwei sind geschiedene Leut.

Damit hab' ich sie stehen lassen wollen, aber sie ist dicht vor mich hingetreten der Athem ist ihr erst gestockt, daß sie nur so hat keuchen können, dann aber hat sie gesagt: So? Und das soll dein letztes Wort sein, zu gering bin ich dir, daß du mir nicht einmal die Hand geben magst vorm letzten Abschied auf Nimmerwiedersehen, obwohl du weißt, wie ich dich von klein auf gern gehabt hab', eine Närrin, wie ich war? Nun, wenn das der Brauch ist bei die studirten Herren, so mag's ja gut und schön sein. Ein g'meines Dirndl, wie Unsereins, das verstehts anders, das laßt Einen, den's einmal gern gehabt hat, nicht so weggehn wie ein unvernünftigs Thier, das verkauft worden ist; einmal wenigstens will's ihm noch zeigen, was es von ihm gehalten hat, und darum, Anderl, wenn ich dir auch zuwider bin –

Damit hab' sie seinen Kopf mit beiden Händen gepackt und ihn an sich gezogen und ihn wie wüthend auf den Mund geküßt und plötzlich ihm so furchtbar in die Lippen gebissen, daß der Blutstrahl ihr eignes Gesicht roth gefärbt und er aufgeschrien hab' vor Schmerz und Schrecken.

Sie aber sei ganz ruhig zurückgetreten und hab' gesagt: Nun magst reisen Anderl! Mein letztes Wort wirst so bald nicht vergessen und wenn du einmal eine Andere gern hast und willst ihr ein Busserl geben, sollst immer an die Veferl denken müssen, die du von dir gestoßen hast. Pfüet Gott, Anderl!

Und damit hab' sie, ihr Gebetbüchel wieder aufgenommen das auf den Boden gefallen war, und sei in die Kirch' gegangen, die eben erst aufgeschlossen wurde.

*

So fand dies Stück Dorfromantik, wie andere weniger romantische Händel unter diesem Volk, ein blutiges Ende.

Ich behielt den armen Menschen einige Tage bei mir, bis ich ihn ohne Gefahr reisen lassen konnte.

In den folgenden Jahren hörte ich noch ab und zu von ihm, er schilderte mir sein einsames Leben in schlichten, zutraulichen Briefen ohne Klage, vielmehr mit einer immer gleichen inneren Heiterkeit. Auch ein Gedicht legte er zuweilen mit ein, doch wurden diese unbeholfenen Herzensergießungen immer schwülstiger und ungenießbarer, so schlicht und ergreifend seine brieflichen Aeußerungen blieben.

Endlich, beim Ausbruch des französischen Kriegs, kam eine triumphirende Botschaft aus seinem weltentrückten Winkel: er hatte die Erlaubniß erhalten, da er seines Gebrechens wegen unter den Kämpfern nicht mitziehen konnte, wenigstens als Träger oder Pfleger der Blessirten dem Heere zu folgen. Das war das Letzte, was er mir schrieb. Kurz vor dem Friedensschluß hat bei der Ausübung eines Samariterdienstes eine verirrte französische Kugel seinem so seltsam dürftigen und doch reichen Leben ein Ende gemacht

*

Und die Vefa? fragte der Professor.

Die hat schon wenige Wochen nach dem Weggang des Lehrers einen reichen, aber einfältigen Bauernsohn geheirathet, und der Clarinettenfranzl hat bei der Hochzeit munterer als je zum Tanz aufgespielt. Ja, die Dorfmädel! Wenn sie einmal einen Anlauf nehmen zu romantischen Gefühlen und Leidenschaften, lange hält er nicht vor. Es weht eine viel zu gesunde Luft auf den Wiesen dort herum, und wer keine kranke Brust mit auf die Welt bringt, der genes't bald von lyrischen Influenzen.

So sind unsere Bauern, und es ist eine gute Einrichtung der Natur, daß sie nicht anders sind. Die Dorfgeschichtenschreiber, wenn sie sie anders darstellen, finden ja doch ihr Publikum; denn die Welt will nun einmal betrogen werden.

 

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