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Annina.

(1860)

 

Es ist nur ein Abenteuer, was ich erzählen will, eines, dessen Knoten sich leicht und leichtsinnig schürzte, um plötzlich von der scharfen Sichel des Todes durchschnitten zu werden. Es wird nicht an Solchen fehlen, denen dieser Schnitt zu jäh und heftig durchs Herz geht. Diese werden darüber klagen, daß die poetische Gerechtigkeit fehle, daß sie von einem solchen Schicksal ohne Versöhnung scheiden müssen. Mir aber scheint, daß der Tod, wenn er Jugend und Schönheit hinrafft, selbst zum Dichter wird, der das Vollkommene in unserm Andenken verewigt und das Liebenswürdige vor dem Raub der Zeit beschützt. Das Leben ist roh und gewaltsam. Ueber kurz oder lang zwingt es auch die zarteste Gestalt unter das harte Joch der irdischen Noth und Nothwehr. Der Tod, wenn er an die Jugend herantritt, lüftet ihr nur die Flügel, ehe sie geknickt werden. Wer sich nicht damit versöhnen kann, daß der Sturm im Frühling Blüthen zu Tausenden von den Bäumen reißt, ehe sie Frucht angesetzt, der lasse diese Geschichte ungelesen.

Sie führt uns nach Rom, wo an einem sonnigen Nachmittage in der Mitte Octobers ein junger deutscher Maler die spanische Treppe zum ersten Male hinaufstieg und seine Schritte und die seines kleinen Hundes, den er an der Schnur führte, den Gartenanlagen auf der Höhe des Pinciohügels zulenkte. Erst gestern war er angekommen, hatte den Rest des Tages dazu benutzt, ein möglichst bescheidenes Obdach zu suchen, und war mit dem frühesten Morgen ausgegangen, wohin ihn die vielen hundert Meilen weit sein Herz gezogen hatte, zu den Stanzen Rafael's im Vatican und zur Decke der Sistina. Als er um Mittag auf den Platz vor St. Peter hinaustrat, war ihm schwindlig in Haupt und Herzen. Er setzte sich in den Schatten des einen der beiden großen Springbrunnen und ließ die Wolke des feuchten Sprühnebels über seine blonden Haare wehen. Nach und nach waren die letzten Besucher des Vatican zu Fuß oder zu Wagen aus dem ungeheuren Ringe der Colonnaden verschwunden, und der Einsame saß noch immer und spürte es nicht, daß sein dünnes Röckchen völlig durchnäßt wurde und aus seinen Locken große Tropfen auf die Steinplatten niederfielen. In ihm brannte das Nachgefühl dessen, was er gesehen hatte, mit einer großen, stillen Flamme fort und verzehrte Alles gröbere irdische Empfinden.

Erst sein Hund störte ihn auf, den er am Morgen einem freundlichen alten Schneider in einem der nächsten Häuser in Verwahrung gegeben hatte. Dem armen Wicht war die Zeit länger geworden, als seinem Herrn. Er hatte sich endlich durch einen kecken Ruck an seinem Stricke und einen Sprung zum Fenster hinaus befreit und kam nun mit hellem Gewinsel auf den Jüngling zugesprungen. Dieser liebkos'te ihn und erhob sich, nun erst inne werdend, daß sein Staubbad ihm gründlich an die Haut gegangen war.

Die Sonne, die hoch herabsengte, trocknete ihn bald und erinnerte ihn jetzt, daß es Mittagszeit war. Er seufzte, während er an den mancherlei Buden und Läden mit Eßwaaren vorüberging, nicht so sehr um seinetwillen, als wegen seines treuen Reisegefährten, der mager und verschämt die schönen rothen Schinken und Wurstguirlanden beim Pizzicarol betrachtete. Der Jüngling war seit Florenz, wo er das letzte Goldstück wechseln mußte, an den Hunger bereits gewöhnt und hatte, wenn er auf der beschwerlichen Fußwanderung seine Seele an Linien und Farben der wechselnden Landschaft weidete, sich willig mit einem Stück Brod und einigen Feigen begnügt. Aber am reichen Tische der Schönheit, an dem sein Herr schwelgte, fand der thierische Trieb des armen Hundes nicht seine Rechnung. Er begriff freilich, daß es schmale Zeiten waren, und fern war es von seiner treuen Seele, durch selbstsüchtiges Murren sich gegen das Schicksal aufzulehnen. Als aber die ganze Stadt durchwandert war, ohne daß sie irgendwo einkehrten, ward es ihm sauer, die spanische Treppe hinaufzuklimmen, deren heiße Stufen ihm die Füße verbrannten. Sei ruhig, Wackerlos, sprach sein Herr ihm zu, der seine Gemüthsstimmung wohl verstand; wir werden heute nicht wieder hungrig zu Bette gehen. Wenn wir in unser Quartier kommen zu Signora Pia, wo wir trotz unseres schäbigen Aufzugs Credit haben, lass' ich dir aus dem Laden gegenüber eine jener schönen Würste holen, mit denen du schon zum Frühstück geliebäugelt hast. Nur noch ein wenig bezähme deine Begierden, armer Bursche, denn wir sind in Rom, mußt du wissen, wo schon ganz andere Ehrenmänner mit Freuden gehungert haben, wenn ihnen nur die Sonne Rafael's auf den leeren Teller schien.

Er streichelte im Weiterschlendern den Kopf des Thieres, ward aber doch in sich gekehrt, als ihm der gute Gesell mit einer heißen, trocknen Zunge die Hand leckte. Daß es nicht lange so fort gehen könne, leuchtete ihm bei all seiner goldnen Sorglosigkeit ein. Von Hause, wo er gegen den Willen seines Vaters mit einer kümmerlich zusammengesparten Baarschaft weggegangen war, hatte er nichts zu erwarten. Unter seinen Landsleuten in der großen Herberge aller Nationen kannte er Niemand und wäre zu stolz gewesen, eine fremde Hülfe in Anspruch zu nehmen. Nun hatte zwar gestern schon seine Wirthin, die gleich beim ersten Blicke ein lebhaftes Interesse für seinen kindlichen Lockenkopf gezeigt hatte, ihr Bild bei ihm bestellen wollen, für ihren Mann, Sandro Carpacci, der seit zwei Jahren im Bagno steckte, eines kleinen Messerstiches wegen. Aber der Zug von Zärtlichkeit in dem plumpen, von den Blattern zerrissenen Gesicht der Strohwittwe stieß ihn unsäglich ab. Und heut, wo seine Seele voll war von dem Höchsten, was der Genius der Schönheit durch eine benedeite Menschenhand offenbart hat, schwur er sich's feierlich zu, lieber sich mit seinem Hündchen vom Tarpejischen Felsen hinabzustürzen, als zu dieser Sünde gegen den Geist seiner großen Vorfahren die Hand zu bieten.

Während er so an einer der steinernen Brustwehren lehnte und der Reihe nach die Motive zu Bildern, die ihm auf der Reise eingefallen waren, für unzulänglich befand, auch nur den Saum am Gewande von Michel Angelo's Delphischer Sibylle zu küssen, merkte er plötzlich, daß Wackerlos unruhig wurde und in ein scharfes, abgestoßenes Knurren ausbrach, ein Zeichen, daß er einen Feind in der Nähe witterte. Denn trotz seines ehrenrührigen Namens und seiner kleinen Figur besaß er eine streitbare Seele und band selbst mit Größeren seines Geschlechtes unaufgefordert an, wofür seine zerfetzten Ohren und manche schadhafte Stelle seines schwarzen Fells Zeugniß ablegen konnten. Selbst der Hunger dämpfte seine Keckheit nicht. Und als er jetzt die großen Augen einer gewaltigen Dogge auf sich gerichtet fühlte, gab er durch jenes kühne Knurren und ein eifriges Zerren am Strick zu erkennen, daß es nicht an ihm liege, wenn man ungerauft aus einander ginge.

Auch die Dogge, obwohl sie keinen Laut von sich gab, schien geneigt, die Sache ernst zu nehmen. Sie wurde von einer jungen Römerin, die mit einer Freundin spazieren ging, an einer leichten Kette geführt, und hielt jetzt ihrerseits die beiden Mädchen an derselben fest, da es ihr schimpflich däuchte, die Herausforderung völlig zu überhören. Auf einmal stieß sie ein entschlossenes, ingrimmiges Geheul aus und stürzte, ihre Herrin an der Kette mit sich fortreißend, auf den deutschen Händelsucher los, der alle Zähne zeigte und den Jüngling einige Schritte weit dem Feinde entgegenschleppte.

Zurück, Rinaldo! – Ruhig, Wackerlos, ruhig! rief das Mädchen drüben und der junge Mann hüben in demselben Augenblick. Aber schon hatten sich die Kämpfer gepackt, der kleine Deutsche war dem schwerfälligen Römer an die Ohren gesprungen, dieser wendete den Kopf und drohte mit dem mächtigen Gebiß dem Feinde in die Flanke zu fahren; der Jüngling zog am Strick, das Mädchen suchte die zarten Finger ängstlich aus der Kette zu lösen, die sie fester und fester einschnürte, und wer weiß, wie es abgelaufen wäre, wenn nicht, wie durch einen Zauber, ein Geist des Friedens in die Kämpfenden gefahren wäre; plötzlich ließen sie von einander ab, besahen und beschnüffelten sich mit großer Ehrerbietung und wechselten dann Zeichen des Einverständnisses, die nicht herzlicher hätten sein können. Rinaldo legte seine schwere gelbe Pfote nachdenklich auf Wackerlos' Rücken, Wackerlos leckte mit seiner heißen Zunge an dem breiten Messinghalsbande seines Freundes, und beide waren dergestalt in die neue Bekanntschaft vertieft, daß es unmöglich gewesen wäre, sie zu trennen.

Auch machte die junge Römerin nur schwache Anstalten dazu, und der junge Deutsche nicht die geringsten. Er sah immer nur auf das schöne Gesicht, das durch den lächerlichen Zufall ihm plötzlich aus der fremden Menge der Spaziergänger so nahe gerückt war und nun, in lieblicher Verwirrung glühend, seinen Blicken wohl oder übel still halten mußte. Sie trug einfache aber zierliche Kleider, einen großen Florentiner Strohhut, schwere goldene Ringe in den Ohren. Nun hatte sie dem Fremden das Gesicht halb abgewendet, so daß er den reinsten Umriß, eben aufgeblüht, die Fülle der schwarzen Flechten, das blasse Hälschen unter dem schwellenden Kinn und die unvergleichliche Schlankheit der jugendlichen Gestalt bewundern konnte.

Endlich fiel ihm ein, daß es doch wohl an ihm sei, das Eis zu brechen, da sie noch immer nicht die Augen vom Boden aufzuheben wagte. Fräulein, sagte er in seinem besten Italienisch, ich kann meinem ungezogenen Hündchen nicht böse sein, daß es Euch erschreckt und Euern Spaziergang wie ein Wegelagerer unterbrochen hat. Ich hätte ohne diese Einmischung der unvernünftigen Creatur weder die Gelegenheit noch das Herz gehabt, Euch anzureden. Wenn es Euch nicht mißfällt, möchte ich um die Gunst bitten, einige Schritte neben Euch gehen zu dürfen, zumal es grausam wäre, die junge Freundschaft dort – er deutete auf die Hunde – so früh wieder zu trennen.

Das Mädchen erwiederte kein Wort, sah ihn aber mit einem glänzenden Auge flüchtig an, ob sie seinem Gesichte trauen dürfe. Während sie noch zu überlegen schien, ergriff ihre Begleiterin, ein lebhaftes muthwilliges Geschöpf, das sich offenbar an der Verlegenheit der Beiden ergötzt hatte, das Wort und sagte rasch: Was sollen wir machen, Annina? Die Herren sind ja in der Mehrzahl, Drei gegen uns Zwei. Wir müssen schon abwarten, wann es Rinaldo gefällig sein wird, uns nach Hause zu begleiten. Im schlimmsten Fall, wenn er sich von seinem neuen Freunde durchaus nicht trennen will, entzweien wir sie künstlich mit einem guten Bissen. Oder seid Ihr vielleicht musikalisch, Signor? denn mit einer Canzone kann man ihn jagen, und nun vollends mit einer deutschen.

Gott sei Dank, daß ich nicht singen kann, sagte der Jüngling lachend, während die kleine Gesellschaft, die Hunde voran, sich in Bewegung setzte. Aber woran merkt Ihr, daß ich ein Deutscher bin?

Nicht an Eurem Italienisch, erwiederte die kleine Schwätzerin rasch. Aber an Euerm Rothwerden, als Ihr das erste Wort zu Annina spracht. Unsere jungen Herren sind damit nicht so leicht bei der Hand, die Nichtsnutzigen! Aber ich habe einmal einen Deutschen gekannt, der viel älter war als Ihr, und dennoch roth wurde, als er mir – wie alt seid Ihr eigentlich?

Zweiundzwanzig.

Und wie heißt Ihr?

In Deutschland wurde ich Hans genannt. Aber seit ich in Italien bin, übersetze ich den alten Hans in einen neuen Giovanni, der mir viel besser gefällt. Er sah zu Annina hinüber und bemerkte an der Bewegung ihrer stummen Lippen, daß sie sich im Stillen bemühte, den fremden Namen nachzusprechen.

Dann gingen sie eine Weile schweigend neben einander her, in dem einsameren Theile des Gartens, wo sie von der Stadt nichts sahen, dagegen die Aussicht nach dem Sabinergebirge und der Campagna gewannen. Ein Balsam schwebte in der lauen Herbstluft, den sie alle mit langen Zügen tranken, und dabei, jeder auf seine Art, der wundersamen Fügung nachsannen, daß sie hier so vertraulich wie alte Bekannte mit einander sich des schönen Tages freuten. Im Kopfe der munteren Lalla jagte ein muthwilliger Gedanke den andern. Sie neigte den Sonnenschirm dergestalt gegen den Jüngling, daß er ihre Gesichter nicht sehen konnte, und flüsterte der Freundin allerlei geheimniß volle Dinge ins Ohr, wobei sie selbst immer ausgelassener ins Kichern und Lachen gerieth, während Annina sich viel gesetzter betrug und offenbar ungehalten war, daß man dem Fremden nicht höflicher begegnete. Plötzlich wandte sich Lalla wieder zu diesem und fragte, ihn keck anblickend:

Ihr habt ein Liebchen zu Hause gelassen, Signor Giovanni?

Das heiß' ich ehrlich gefragt, erwiederte Hans. Und eben so ehrlich soll die Antwort sein: Nein!

Aber Ihr tragt einen Ring am Finger?

Ich habe ihn von meiner Mutter.

Ei, das kann uns Jeder weißmachen wollen. Bei uns schenken die Mütter ihren Söhnen keine Ringe. Das überlassen sie Anderen.

Meine Mutter schenkte ihn mir, als sie im Sterben lag. Ich soll ihn tragen, bis ich mich verlobe. Also wird es wohl noch ein Weilchen dauern.

Wieder sah er zu Annina hinüber, die ernsthaft vor sich niederblickte. Er bemerkte jetzt erst einen Zug von schwermüthiger Zerstreutheit über ihren Brauen, etwas Leidsames, Träumerisches, das mit der zarten Jugendlichkeit des schönen Kindes nicht stimmen wollte. Er hätte viel darum gegeben, diese rothen Lippen lachen zu sehen. Und so fing er an, da Lalla durch seine ernsthafte Antwort stumm geworden war, von seiner Reise zu erzählen, wobei er sich nicht schonte und allerlei drollige Abenteuer zum Besten gab, die seine anfänglich geringe Kenntniß der Sprache, seine Arglosigkeit und die Gesellschaft seines Hündchens ihm zugezogen hatten. Dann, als die Stimmung sehr aufgethaut war, änderte er das Thema und sprach von der Schönheit des südlichen Landes und der Menschen, die es bewohnen. Lalla drängte ihn eifrig, zu sagen, wo ihm die Frauen am besten gefallen hätten. Er ließ sie alle die Musterung passiren, von den Lombardinnen, die seine Erwartungen freilich getäuscht hatten, bis zu jenem Schwesternpaar in Radicofani, das er beim Scheine des Herdfeuers noch in später Nacht in sein Buch gezeichnet hatte. Da mußte er das Buch vorzeigen, und sie blätterten lange darin, auf einer Bank am Rande des Hügels sitzend, während er vor ihnen stand und zu den einzelnen Gesichtern Ort und Namen nannte und die kühnen Listen erzählte, mit denen er sich oft ein paar flüchtige Linien hatte erobern müssen. Wackerlos lag indeß im Grase und schlief vor Mattigkeit, während Rinaldo neben ihm ruhte und seinen breiten Kopf bequem auf den Rücken des Freundes gelegt hatte. Aus der Ferne sangen die Vögel und im Hohlwege unten zog ein Kärrner vorbei, der sein Pferd mit Ritornellen zur Eile antrieb.

Und hier in Rom? fragte Lalla, als sie das letzte Blatt umgeschlagen hatte und das Buch nun auf Annina's Schooße ruhte.

Ich bin erst gestern angekommen, erwiederte der Jüngling. Doch bin ich schon einem Gesichte begegnet, das alle, die ich bisher gesehen, an Adel und Anmuth übertrifft. Wenn es mir so gut würde, nur einmal eine Stunde lang diese Züge studiren und nachzeichnen zu dürfen, wäre ich ein glücklicher Mensch.

Er sah dabei absichtlich von Annina weg, die eifrig in dem Skizzenbuche blätterte.

Und kennt Ihr diesen Phönix von Schönheit bei Namen? fragte die Muthwillige mit einem leidlich unschuldigen Gesicht. Oder verrathet Ihr Eure Geheimnisse gewöhnlich nur durch Erröthen?

Was würde es mir helfen, sagte er mit klopfendem Herzen, wenn ich den Namen ausspräche! Ich bin ihr dennoch ein Fremder, und wer weiß, ob ich sie jemals wiedersehe.

Da habt Ihr Recht, erwiederte Lalla trocken. Auch wäre es vielleicht für euch Beide nicht heilsam, wenigstens für Euch. Denn von ihr wißt Ihr ja wohl nicht, ob sie nicht schon längst ihr Herz vergeben hat.

Annina stand plötzlich auf. Lalla, sagte sie, was haben wir gethan! Ich fühle es an der Luft, daß die Sonne untergehen will, und wir sind noch hier, da wir nur eine Stunde ausbleiben durften.

So komm, Herzchen, erwiederte die Kleine und schlang Annina's Arm durch den ihren, während sie den Sonnenschirm wie eine Lanze einlegte, wir schlagen uns tapfer nach Hause durch, und ich nehm' es auf mich, dem Papa so viele Possen vorzumachen, daß er das Schelten vergißt, und daß selbst der Bär, Sor Beppe, aus einer Molltonart brummt. Gute Nacht, Signor 'Ans, und wenn Ihr Eurem Phönix wieder begegnet, grüßt ihn von mir, aber hütet Euch, sein Nest auszukundschaften, denn es möchten andere Vögel mit scharfen Augen und noch schärferen Klauen in der Nähe sein. Nicht wahr, Annina?

Die Schöne, die vorhin bleich gewesen war, erglühte wieder bis unter die Augen. Lebt wohl, Signor! sagte sie leise und gab ihm zögernd ihre schmale, kühle Hand, um die er bat. Fräulein, sagte er, soll ich nicht hoffen, daß ich Euch wiedersehen werde?

Sie schüttelte fast erschrocken den Kopf. Nein, nein! sagte sie rasch und wandte sich ab. Lalla machte ihm hinter ihren Rücken ein Zeichen, das er nicht verstand, rief dann dem Hunde, der sich nur wiederstrebend von seinem Freunde trennte, und so gingen sie ihres Weges, von dem Jüngling nur mit den Augen begleitet.

Wir sind wieder allein, Wackerlos, sagte Hans und hob das müde Thier neben sich auf die Bank. Da gehen sie hin und sagen: auf Nimmerwiedersehen! Für heute mag's sein. Aber morgen, wenn wir satt sind und ausgeschlafen haben, machen wir uns auf die Beine und durchsuchen jeden Winkel der Stadt, und es wäre eine ewige Schande für dein ganzes Geschlecht, wenn du diesen biedern Rinaldo nicht ausfindig machtest. O Wackerlos, wenn du ihm auf die Spur kommst, sollst du das seligste Hundeleben von der Welt führen, Salami frühstücken und Gallinacci zu Nacht essen und mit Freund Rinaldo den geschlagenen Tag Morra spielen.

Das Hündchen blinzelte ihn sehnsüchtig an, kroch dann von der Bank herunter und bellte schwach, zum Zeichen, daß es um diesen Preis Willens sei, sich sogleich in Bewegung zu setzen. Nun stand die Sonne schon tief am Horizont und die Büsche umher waren in Feuer getaucht, während das ferne Gebirge durch violetten Duft herübersah und graue Schatten über die Wellenzüge der Campagna hinliefen. Ueber dem Auge des Malers, das sonst so begierig dem Aether seine Geheimnisse abzulernen strebte, lag es heute wie ein goldner Schleier, der ihm die Welt verbarg und sich nur lüftete, um den reizenden Umriß eines Mädchenkopfs und die räthselvollen Sterne zweier Augen durchschimmern zu lassen. Auch an der Brustwehr, von der herab sich die ganze Majestät der Stadt mit der Krone Sanct Peter's in Purpurflammen des Abends überschauen ließ, ging er zerstreut und ungerührt vorbei. Die Sinne weigerten sich, neue Wunder aufzunehmen. Ein Tag, der ihnen die Delphische Sibylle und die Blüthe römischer Jugend offenbart hatte – was hatte er ihnen noch zu bieten?

Als der Jüngling die schroffe Steintreppe zu seiner armseligen Wohnung hinaufgestiegen war und in die kahle Dachkammer eintrat, war es ihm ordentlich wohlthuend, die nackten, weißgetünchten Wände um sich zu haben. Er verhing den untern Theil des Fensters, der auf die Straße ging, und ließ nur die schräge Hälfte, die man des Oberlichts wegen in der Fläche des Dachs ausgebrochen hatte, unverhüllt, um von der ganzen Welt nur ein Stück Himmel in seine Einsamkeit blicken zu lassen. Bald aber trat die Wirthin ein, fragte mit zuthulicher Geschwätzigkeit nach seinen Befehlen und ließ sich nicht abhalten, nachdem sie Essen und Wein heraufgeschleppt hatte, ihn und selbst den Hund bei Tische zu bedienen. Denn sie hatte wohl gemerkt, daß Wackerlos viel bei seinem Herrn vermochte, und da sie zärtliche Absichten auf diesen hatte, schien es ihr klug, sich vor Allem der Protection des Dieners zu versichern. Also steckte sie ihm die besten Bissen eigenhändig ins Maul, lobte mit Hintansetzung der Wahrheit seine schöne Gestalt und wunderte sich einmal über das andere, wie viel Italienisch er schon verstehe. Hans, dem sie durch ihre unverblümte Zudringlichkeit überlästig war, konnte sie doch nicht aus dem Zimmer weisen. Denn von ihrem guten Willen hing es vorläufig ab, ob er Rom nur gesehen haben sollte, um darin zu sterben. Nur dem erneuerten Antrag, ihr Bildniß zu malen, wich er wiederum aus, mit allerlei Vorwänden, die er in wachsendem innern Abscheu zusammenfabelte. Dann schützte er Müdigkeit vor und riegelte sich, ehe er zu Bette ging, sorgfältig ein, nachdem er zum Ueberfluß den Tisch vor die Thür geschoben hatte.

Die Tage des Octobers, die nun folgten, waren zu gleichen Theilen getheilt zwischen dem Vatican und der Stadt, zwischen Rafael und Annina. Nur daß er den Einen mit Augen sah, und dem Bilde der Andern vergebens nachirrte. Bald stand es bei ihm fest: nicht das Geringste werde ihm glücken, ehe er das Mädchen wiedergesehen. Denn wenn er in seiner Dachkammer saß und arbeiten wollte, ertappte er sich stets darauf, daß er auf die leere Wand starrte. Dann pfiff er seinem Hündchen und wanderte aufs Gerathewohl in die Stadt hinein, bis die Nacht kam und die letzten Beterinnen aus den Kirchen, die letzten Müßiggänger aus den Straßen verschwanden. Traurig suchte er dann seinen Rückweg, und selbst das Gespräch mit Wackerlos, seinem Vertrauten, gerieth ins Stocken. Es trat überhaupt eine gewisse Kühle zwischen den Kameraden ein, seit der Hund die Hoffnungen, die sein Herr auf seine Spürkraft gesetzt hatte, so schmählich betrog. Es hatte sich ereignet, daß Wackerlos eines Tags mit freudigem Bellen auf einen derben Fleischerhund zusprang, in welchem er offenbar Rinaldo zu erkennen glaubte. Dem guten Hans schlug das Herz bis in den Hals hinauf; nur einen Moment. Denn im nächsten erkannte er die frevelhafte Verirrung des Instincts und verließ sich seitdem mehr auf das Schicksal, als auf die Hülfe irgend eines Sterblichen.

So verging der ganze October, und am Nachmittag des letzten im Monat schlenderte unser Freund bekümmerten Herzens zu einem der Thore hinaus, von Wackerlos begleitet, der ihm aber weniger Trost gewährte als je, weil er von der Jagd auf Eidechsen und Feldmäuse völlig in Anspruch genommen war. Plötzlich aber stand das Hündchen mitten auf der Straße still, hob die Nase und den rechten Vorderfuß in die Höhe und stürzte dann wie besessen in die offene Thür einer kleinen Schenke, die hier einsam an der öden Straße stand und Hans durchaus nicht einladend erschien, seinen letzten Paul dort nach Wein zu schicken. Unwillig rief er den Hund zurück und blieb an der Thür stehen. Der dunkle Hausgang der Vigne öffnete sich in einen kahlen Hof mit Bäumen und Bänken bepflanzt, wo nur ein paar Carretieri hinter der Flasche saßen. Und doch war es der letzte Octobertag, wo bei heiterm Himmel sonst die Gärten um Rom von Tanz und Getümmel schwirren und sausen. Hier klang nur ein einzelnes Tamburin. Aber wie ein Blitz schlug es bei dem Jüngling ein, als er auf einmal die helle Stimme seines Wackerlos von einer rauheren begleiten hörte. Das war der Baß des lang vermißten Rinaldo, und wahrhaftig, da führt Wackerlos den Wiedergefundenen im Triumph auf die Straße hinaus, da sie offenbar den Raum drinnen für ihre Freudensprünge zu enge fanden.

Im Sturmschritt durchmaß der Jüngling den Hausflur und trat bebend in den Garten. Eine große Weinlaube ganz im Hintergrunde fiel ihm sogleich ins Auge. Von dorther erscholl das Tamburin, und dort hinter den Ranken sah er eine helle Mädchengestalt sich hin- und herdrehen in einem hastigen Zirkeltanz. Die das Tamburin schlug, saß dicht am Eingang. Sie wandte ein wenig das Haupt, mehr brauchte er nicht zu sehen.

Der frohe Schrecken schlug ihm dergestalt in die Glieder, daß er sich auf die nächste Bank niederließ. Der Wirth brachte ihm Wein und Brod und stellte einen Teller mit Oliven vor ihn hin. Er ließ Alles unberührt und bohrte unverwandt seine Blicke durch die Laubengitter in den helldunkeln innern Raum. Bald hatte er in der Tänzerin, die ihre Tanzlust wie ein Vogel im Käfich ausließ, seine Freundin Lalla erkannt. Und der Alte mit dem soldatischen Knebelbart und dem tiefen Hieb über das linke Auge war offenbar der Vater. Aber der Andere, der nahe bei Annina saß und ihr dann und wann etwas ins Ohr sagte, wer konnte es sein, als der Bär, Sor Beppe? Seine breite, ungeschlachte Gestalt, auf der ein halb mürrisches, halb gutmüthiges Birnenhaupt ohne jede Spur eines Halses aufsaß, rechtfertigte den Namen allerdings, obwohl der Bär sich in zierliche, geleckte Kleider gesteckt hatte und einen Granatenzweig im Knopfloch trug. Was mochte er dem Mädchen ins Ohr zu flüstern haben? Es schien ihr nicht sehr an die Seele zu dringen. Wenigstens sah sie ohne eine Miene zu verziehen in ihren Schooß und schlug mechanisch wie im Traum die kleine Schellenpauke, bis Lalla rief, daß es genug sei. Sor Beppe klatschte verbindlich in die Hände; offenbar war es seine Schuld, daß man sich in diese entlegene Vigne zurückgezogen und selbst hier vor dem wenigen Publikum in die Laube versteckt hatte. Denn als Lalla mit Tanzen inne hielt und nun Annina aufforderte, mit ihr hinauszutreten, sah Hans deutlich, wie er es untersagte und sich breit vor den Eingang der Laube hinpflanzte. Er hatte freilich den Jüngling draußen längst wahrgenommen, der kein Auge von ihnen verwandte. Und jetzt fiel auch Lalla's Blick auf den wohlbekannten Fremden; sie neigte sich zu Annina herab und sprach leise mit ihr. War es Gleichgültigkeit oder etwas anderes, daß sich das Mädchen nicht umwandte? – Es schien eine gespannte Stille unter den Vieren einzutreten, die vor Allen Sor Beppe unheimlich ward. Du wirst so blaß, Annina, sagte er plötzlich. Wenn der Vater sein Glas ausgetrunken, sollten wir wohl nach Hause aufbrechen, ehe die Nachtkühle eintritt. Wir können nun doch sagen, daß wir unsern October mit einer anständigen, unschuldigen Lustbarkeit beschlossen haben.

Ueber Lalla's Gesicht flog ein spöttisches Lächeln, das sie kaum bezwingen konnte. Still und blaß trat Annina aus der Laube, ihren Vater führend, der offenbar dem Wein zu tapfer zugesprochen hatte. Ihren andern Arm hatte Sor Beppe ergriffen und sorgte dafür, daß er im Vorbeigehen an dem Tische des Jünglings mit seiner breiten Figur das schlanke Kind völlig verdeckte. Hinter den Dreien kam die muthwillige Lalla, die durch ein verstohlenes Achselzucken andeutete, daß sie sich aus freien Stücken diese Gesellschaft und diesen Ort wahrlich nicht ausgesucht haben würde. Dann legte sie den Finger auf den Mund und machte eine flehentliche Geberde, die Hans beschwor, zurückzubleiben. Ihn aber hätte die Posaune des jüngsten Gerichts nicht abgeschreckt, ihren Spuren zu folgen. Doch hielt er sich in einer mäßigen Entfernung und war bemüht, den Verdacht einer geheimen Absicht von sich abzulenken, indem er öfters still stand, links und rechts die Gegend betrachtete, ja sogar sich stellte, als zeichne er einen flüchtigen Umriß in sein Skizzenbuch. Nur zu denken gab es ihm, weshalb auch die Freundin, die ihm doch nicht abhold war, so eifrig die Fortsetzung der Bekanntschaft zu verhüten strebte.

Er sollte noch diesen Abend darüber aufgeklärt werden. Denn als die Gesellschaft in einem anständigen Hause der Via Vittoria verschwunden war und der Jüngling an der verschlossenen Thür vorüber, mit dem letzten wüthenden Blick Sor Beppe's beladen, halb selig, halb verzweifelnd durch die dämmernden Gassen hinschritt, hörte er plötzlich eine halblaute Stimme hinter sich seinen Namen rufen. Mit trippelnden Füßen wie eine Bachstelze kam die kleine Lalla daher, winkte ihm mit den Augen, daß sie mit ihm zu reden habe, strich aber an ihm vorbei und zog ihn mit listigen Geberden sich nach, tiefer in die Stadt hinein, bis sie endlich unter den Säulen des Pantheons im schwarzen Schattenwinkel stehen blieb und ihn nahe heran kommen ließ.

Signor 'Annes, sagte sie, indem sie den Finger drohend aufhob, was habt Ihr uns für Geschichten gemacht! Haben wir uns Eure werthe Gesellschaft nicht deutlich genug verbeten, und nun hängt Ihr Euch doch an unsere Fersen, wie der Donner an den Blitz? Und was erreicht Ihr damit, als daß diese arme Creatur, die Annina, von dem Bären nur tiefer in seine Höhle vergraben wird, daß er seine Tatzen nicht mehr wegziehen wird vom Riegel an der Thür, und so gefährlich durchs Haus brummt, daß der Kalk vor Schrecken von den Wänden fällt? Schämt Euch, daß Ihr einem armen Kinde, das aus der Noth um Gotteswillen eine Tugend machen muß, solch ein Gewicht ans Herz hängt. Accidente über Euren garstigen Hund, der all das dumme Zeug angezettelt hat! – Und sie schlug, ernstlich aufgebracht, nach dem arglosen Thier, das vor dem Sonnenschirm befremdet die Flucht ergriff.

Gute Lalla, erwiederte der Jüngling, thut nur heute dem Burschen da nichts zu Leide, da er mir endlich wieder zu Eurem Anblick verholfen hat.

Zu meinem? fragte sie spöttisch. Aber was sollen die Flausen! Gerade heraus, Herr: Ihr seid in Annina verliebt, aber sehr, sage ich Euch. Und das ist Eins. Und das Zweite ist, daß Ihr Euch die ganze Annina, so schön und gut und süß sie ist, aus dem Sinne schlagen müßt und hier in meine Hand geloben, ihr gerade so eifrig aus dem Wege zu gehen, wie Ihr bis heute ihr nachgelaufen sein mögt. Denn ich leid' es nicht, sagte sie mit entschiedenem Tone, ich leid' es durchaus nicht, daß Ihr das arme Ding nun auch noch zu quälen anfangt, da bereits so viele Menschen dies christliche Geschäft betreiben.

Lalla! rief er in höchster Bewegung, was heißt das? Ist es wahr, daß der plumpe Gesell seine Augen zu dem Engel aufhebt? Ist es denn möglich?

Pah! sagte sie, der plumpe Gesell hat einen Geldsack, gerade so plump und rund, wie er selbst, und wäre übrigens gar nicht so schlimm, wenn die Welt eine wüste Insel wäre, und Annina und Sor Beppe die einzigen Menschen darauf. Auch in Rom nähme ihn noch Manche ums halbe Geld; nur gerade meine Annuccia nicht, die einen wundersam aparten Geschmack hat. Ich kann es Euch nicht besser beweisen, als wenn ich Euch verrathe, daß die Thörin mehr als billig an Euch Gefallen gefunden hat, der Ihr doch wie ein David gegen den Goliath Sor Beppe ausseht und Eurem Röckchen nach mehr im Kopfe als in der Tasche habt.

Sie hat es dir gesagt, Lalla, daß sie mich im Sinn behalten hat?

Gesagt? Ei, da kennt Ihr sie schlecht. Aber ich kenne sie desto besser. Und darum nochmals, ich leid's nicht, daß Ihr sie nur ein einziges Mal wiederseht. Denn der Bär hat sie in den Tatzen, und alle Heiligen könnten sie nicht herausreißen, eher würde er sie zerquetschen wie eine Honigwabe. Die Geschichte ist schon zu alt, und der Papa zu vernarrt in den lieben Eidam, und die Mutter, die nie das Bett verläßt, zu sehr in der Hand der Pfaffen, die alle Sor Beppe's Geldsack lieber läuten hören, als die Glocke zur Frühmesse. Bester Sor Giovanni, wenn Ihr wirklich ein Herz habt – und so scheint es doch, da Ihr verliebt seid – so packt Eure Sachen und wandert aus Porta del Popolo weg, dahin von wo Ihr gekommen seid, und fangt Euch Tauben oder Nachtigallen, wo und so viel Ihr wollt, nur dem Phönix legt keine Leimruthen. Und dies sagt Euch Eure gute Freundin, die von den Mannspersonen gern das Schlimmste denkt, aber Euch zutraut, daß Ihr so ein Ding wie ein Gewissen unterm Rocke tragt. Habt Ihr verstanden? Gute Nacht, Signor!

Damit ließ sie ihn unter den Säulen stehen und eilte fort, um noch vor der Nacht ihre Wohnung in Trastevere zu erreichen. Hans aber konnte sich nicht von der Stelle rühren, so heftig tobte ihm Weh und Wonne durchs Herz. Daß er sie in derselben Stunde für ewig verloren geben sollte, wo er sie wiedergefunden hatte, wo er erfuhr, daß sie ihn nicht vergessen, war ihm unmöglich zu denken. Aber wenn seine arme Seele eben tief in einem bodenlosen Meer von Seligkeit versinken wollte, sah er plötzlich ein Gebirge von schroffen Klippen rings umher in die Höhe wachsen und auf der höchsten Spitze die breite Cyklopengestalt Sor Beppe's, der höhnisch herniedergrins'te und sich die fetten, beringten Hände rieb, über dem scheiternden Liebesglück eines armen Rivalen.

Noch eine Stunde lang schritt er wie ein Unsinniger auf und ab, in hitzigen Selbstgesprächen, während Wackerlos mit hängenden Ohren neben ihm hinschlich. Seelenverkäufer! wüthete er in sich hinein. Da verhandeln sie das Kleinod an den Ersten Besten, der den Marktpreis zahlt. Für keinen König sollte es ihnen feil sein! Und wenn er es haben wird, wird er es in einen dumpfen Kasten verschließen und Niemand kann sich mehr daran freuen. Wie triumphirend der elende Mensch an mir vorüberging! O er hat Grund, stolz zu sein, daß sie ihm nicht entläuft, wenn er sie von Hunden begleiten läßt und sie höchstens einmal am Feiertag in die lichtscheueste Winkelschenke führt, damit er unter Gesindel und Bettlern noch den Liebenswürdigsten vorstellen möchte. Und dem soll ich sie nicht beneiden dürfen, und den nicht in seiner Ruhe stören? Und wenn er mit allen Pfaffen Roms und der Hölle im Bunde wäre, ich muß den Engel wiedersehen und aus ihrem eigenen Munde hören, ob ihr nicht mehr zu helfen ist, ob ich ihr nicht helfen kann!

Als er sich dieses Ziel klar vorgezeichnet hatte, wurde er viel ruhiger und vergaß so ziemlich, daß er über die Mittel und Wege noch völlig im Dunkeln war. Es zog ihn in die Via Vittoria zurück, wo er bis Mitternacht ihrem Hause gegenüber auf einem Ecksteine saß und sich mit den lieblichsten Gedanken an ihre Schönheit und Schwermuth hoffnungsvoll und sehnsüchtig unterhielt.

Aber freilich sah es am andern Tage, als ihn die bangen Sorgen frühzeitig weckten, mit der Hoffnung übel aus. Denn bei all seinem Künstlerleichtsinn wollte es unserm Freunde doch nicht gerathen scheinen, so geradezu der Geliebten das Haus überm Kopf anzuzünden, nur um sie bei der Gelegenheit zu retten, zumal es nicht gewiß war, ob Sor Beppe ihm den Gefallen thun würde, in den Flammen umzukommen. Auf einem graderen, bürgerlicheren Wege erblickte er wenig Heil. Zu dem alten Soldaten hinzugehn und ihn zu bitten, seine Tochter nicht zu vergeben, bis der Maler Hans ein berühmter Mann geworden wäre und in einer Carrosse mit vier Pferden um sie werben könne, versprach nur einen mittelmäßigen Erfolg. So blieb es denn die nächsten Tage bei windigen Luftschlössern, die der Jüngling auf den Wolken seiner Zukunft aufbaute, und das einzige Zweckmäßige, was er anfing, war, daß er seinen Widerwillen überwand und, freilich im halben Schlaf, das Bildniß der Madonna Pia zu malen begann, von Gold und Seide starrend, einen grünen Papagei wie einen Falken auf der Hand, das letzte Geschenk ihres Mannes vor dem verhängniß vollen Messerstich. Daneben entwarf er eine schöne Composition, Rebecca, welche den Eleazar am Brunnen tränkt. Das Mädchen sollte die Züge Annina's tragen, und in dem verschmachteten Reisenden, dem die fremde Liebliche das Labsal kredenzte, dachte er sich selbst darzustellen. Er hatte Recht behalten mit seinem Glauben, daß ihm wieder Alles glücken werde, wenn er Annina wiedergesehen. Das Porträt war in zwei Tagen zum Entsetzen ähnlich geworden; die Composition schritt mächtig vor, und wurde von einem Juden, der in den Ateliers der namenloseren jüngeren Künstler herumspürte, auf den ersten Blick bestellt. Als dies sich eben ereignet hatte, rannte der Jüngling wie verwandelt ins Freie und schritt wohl ein Dutzend Mal mit frei emporgewandten Augen die Via Vittoria hinauf und hinab. Wäre ihm jetzt Sor Beppe begegnet, so hätte der Koloß ihm ausweichen müssen, oder er wäre erbarmungslos zu Boden gerannt worden.

Bei alledem war es ihm noch nicht geglückt, Annina wiederzusehen, obwohl er täglich ihr Haus umschlich. Die Jalousieen blieben streng verschlossen, wie in einem Harem des Morgenlandes. Nur dann und wann sah er den Vater in einem der Fenster liegen und eine kurze Thonpfeife rauchen. Der Alte stierte mit einem halb kindischen Lächeln auf die Straße und schien den Jüngling nicht zu beachten, selbst als dieser, in einer Anwandlung von Ehrfurcht vor dem Manne, der solch eine Tochter besaß, grüßend den Hut zog. Ins Haus zu dringen oder sonst einen heimlichen Verkehr anzuknüpfen, war unmöglich. Denn auch die Nachbarn, vielleicht durch Sor Beppe gewonnen und besoldet, zeigten dem Fremden, der täglich zweimal die Straße passirte, ein wortkarges Mißtrauen. Nur das erreichte er, daß, wenn er vorbeikam und Wackerlos an den Ohren zaus'te, bis er zu heulen anfing, die wohlbekannte Baßstimme Rinaldo's im Innern des Hauses anschlug, aber kleinlaut, mit dem Tone eines Geschöpfes, das seine verlorene Freiheit beklagt.

So waren die ersten Wochen des Novembers vergangen und ein unerhört früher Winter hereingebrochen. Sturm und kalter Regen fegten durch die Gassen, die Römer saßen in ihre weiten Mäntel gehüllt Tage lang in den Kaffeehäusern, die Fremden froren bei den Kohlenbecken, oder erstickten im Rauch, den der Sturm durch die Kamine in die Zimmer zurückpeitschte, und Niemand mochte sich ohne Noth auf die unwirthliche Straße wagen. Nur unser Freund, dessen schlechte Dachwohnung nicht zu erwärmen war, wanderte, obwohl er seinen Mantel schon in Florenz zurückgelassen hatte, getreulich nach wie vor seinen täglichen Gang durch die Via Vittoria, allerdings in einer Gemüthsstimmung, die mit jedem Regentage trost- und muthloser ward. Da begegnete es ihm eines Abends, als er im Portal von San Carlo einen Augenblick Schutz vor dem Unwetter suchte, daß eine tief verschleierte Gestalt mit raschen Schritten aus dem Innern der Kirche trat und ohne sich vor der Wuth des Sturmes zu fürchten sogleich einen großen grünen Regenschirm aufspannte, um ihren Weg anzutreten. Sie war so in Mantel und Tücher vermummt, daß von der Figur nicht das Geringste zu erkennen war. Und doch verrieth dem Jüngling der Tumult in seinem Herzen, daß ihn Annina's Kleid gestreift haben müsse. Unverzüglich schritt er ihr nach und erreichte sie, als sie eben stehen blieb, um ihren Schirm gegen die Windsbraut zu vertheidigen. Er sprach kein Wort, er griff mit bebender Hand nach dem Schirm und hielt ihn stark über ihrem Haupt. Wir wollen um die Ecke biegen, sagte er dann leise, ohne sie anzusehen. Wir sind dort geschützter vor dem Orkan. Kommt mit mir, Annina, um Gotteswillen, schlagt mir diese kurze Gunst nicht ab; wer weiß, ob ich Euch je wiedersehe.

Ihr Schleier hatte sich verschoben, und er sah jetzt, da sie stumm unter dem Schirme neben ihm ging, daß sie noch bleicher war als sonst. Sie sah ihn mit bittenden Augen an wie ein hülfloses Kind. War es Absicht oder Verwirrung, daß er den Weg nach Via Vittoria nicht einschlug? Sie selbst schien es nicht zu bemerken. Sie ging wie im Traume, die großen Augen still und traurig ins Weite gerichtet, während er, nachdem sie lange nur den Regen über ihren Häuptern hatten niederprasseln hören, plötzlich Sprache gewann und ihr Alles sagte, was ihm seit Wochen das Herz bedrückt hatte. Er verschwieg nichts, nicht seinen Haß auf Sor Beppe, nicht seinen festen Entschluß, auf Tod und Leben sie ihm abzukämpfen, nicht seine Armuth. Nur von seiner Liebe sprach er kaum und fragte nicht einmal nach der ihren, als wäre Beides über allen Zweifel weit erhaben. Auch gab sie kein Zeichen des Gegentheils. Er hatte ihre Hand gefaßt und drückte sie heftig, so oft er von seinem Feinde sprach und von seinen Qualen, daß er sie in solcher Knechtschaft sehen müsse. Sie entzog ihm die Hand nicht. Sie hätte ihm auch wohl die Lippen nicht versagt, wenn es ihm eingefallen wäre, sie zu küssen. Aber seine Gedanken waren in einem Aufruhr, daß die Sinne dagegen verstummten. Annina, sagte er, wir sind sehr unglücklich. Wie sehr müssen wir es sein, daß wir selbst diese vom Himmel uns geschenkte Stunde, wo wir uns haben dürfen, nicht froh genießen können. Ich sehe dein liebes Gesicht, nach dem ich so lange von fern geschmachtet, nun so nah und fühle deinen Athem wehen, und doch ist Alles in mir aufgewühlt von ohnmächtigem Grimm und Schmerz um dich. Sprich ein Wort, Liebste; sage, ob du selbst einen Trost zu finden weißt; sage vor Allem, daß ich nicht verzweifeln soll, und ich verspreche dir, wie ein Mann mich zu fassen und die Hände nicht in den Schooß zu legen, und dann wird es gelingen, und wir werden es mit der ganzen Hölle aufnehmen können.

Sie stand auf einmal still, als er dies gesagt hatte, und hielt seinen Arm sanft zurück. Hans, sagte sie mit ihrer weichen umflorten Stimme und bemühte sich, den fremden Namen deutlich auszusprechen, die Madonna ist gnädig, daß sie mir erlaubt, mein Herz gegen Euch auszuschütten. Denn es war zu voll, ich hätte es nicht lange vorm Zerspringen bewahren können. Wenn ich Euch Tag für Tag in gutem und bösem Wetter an unserm Hause vorbeigehen sah –

Du sahst mich?

Immer. Ich stand hinter der Jalousie und durfte sie nicht öffnen. Und wenn Ihr vorüber wart, meinte ich es nicht zu tragen, und daß mir wohler sein würde, wenn ich mich auf das Pflaster hinunterstürzte. Aber das wäre gottlos. O Giovanni, warum mußten wir uns begegnen? Ich war vorher wohl auch nicht froh, aber ich wußt' es nicht so deutlich, warum. Nun werd' ich es mein Lebtag wissen.

Was sprichst du? sagte er leidenschaftlich. Bist du denn schon vor Gott und Menschen dem Ungeheuer überliefert? Kann denn nicht jeder Tag dir Rettung bringen?

Nein, sagte sie. Meine Eltern beide würden mich verfluchen, meine Mutter stürbe daran. Und wenn auch heut in dieser Stunde Sor Beppe Todes verbliche, was hülfe es uns? Ihr seid kein Christ, Ihr seid ein Lutheraner, sie gäben einem Solchen ihr Kind nimmermehr!

Annina! rief er erschrocken. Und du, wenn du frei wärest und auch nach den Eltern nicht zu fragen brauchtest –?

Ich würde die Madonna bitten, Euch einen Strahl der Gnade ins Herz zu senden. Aber das ist umsonst; ich weiß es gewiß, daß ich Sor Beppe's Frau werden muß, ich stürbe denn vorher. Und so müssen wir scheiden, Hans, es hülft nichts; es geschehen keine Wunder mehr.

Mädchen, du kannst es denken, kannst es sagen? rief er außer sich und ließ ihre Hand fahren.

Seid stark und gut, bat sie mit zitternder Stimme. Was soll ich denn anfangen, wenn Ihr verzweifeln wollt? Ihr werdet nach Deutschland zurückkehren und Annina vergessen und den Ring Eurer Mutter einer Andern an den Finger stecken. Und ich, ich bleibe hier!

Sie schwieg und kämpfte mit großer Mühe ihren Schmerz nieder. Sehet, fuhr sie dann fort und sah ihm mit einem unbeschreiblichen Blick in die Augen, Wunder geschehen nicht mehr, das ist wahr; aber es gibt noch Märtyrer auf Erden und viele trinken das theure Blut unseres Heilandes mit ihrem eigenen vermischt. Warum soll ich es besser haben? Weil ich noch so jung bin? So hab' ich desto länger Zeit, das Leiden zu lernen. Aber ehe es ganz Nacht für mich wird, will ich noch einmal Sonnenschein genossen haben. Ich habe mir was ausgedacht, fuhr sie leiser fort, und eine Röthe überflog ihr schönes Gesicht. Ihr sagtet damals, daß Ihr gern mein Bildniß zeichnen wolltet. Ich habe mir überlegt, daß ich keine Sünde begehe, wenn ich Euch das erlaube. Und nun merkt wohl auf, wie wir es anstellen können, so daß Niemand davon erfährt. In drei Tagen reis't mein Verlobter auf einige Zeit fort, in Geschäften, bis nach Assisi. Dann noch zwei Tage, so haben wir Sonntag, wo ich früh in die Kirche gehe. Ich werde es so einrichten, daß mich Niemand begleitet, und dann komme ich in Eure Wohnung, Hans, und bleibe bei Euch, zwei, drei Stunden lang. Wir wollen dann recht von Herzen mit einander plaudern. Aber Eins müßt Ihr mir heilig versprechen: nichts von Liebe, nur wie alte Freunde, die sich von Kind auf kennen und sich gern einmal das Herz ausschütten. Zu Mittag geh' ich wieder, in meinem Schleier wird mich Niemand erkennen; denn wenn es Sor Beppe erführe, so ermordete er mich. Er ist nicht schlecht, glaubt es mir, aber er kennt sich nicht im Zorn, und zum Rasen bringt ihn die Eifersucht. Und noch Eins: ein Bild von Euch hätt' ich gern, so klein, daß ich es in mein Meßbuch legen könnte. Wollt Ihr mir das zum Andenken verehren?

Annina, rief er, ist es wahr? das willst du für mich thun?

Ich will es, sagte sie mit ihrem holdesten Lächeln. Ich habe es mir so fest vorgenommen, daß ich eher stürbe, als davon ließe. Ich wollte es in jedem Falle thun und hätte die Lalla gebeten, es Euch zu sagen. Nun durfte ich es Euch selber anvertrauen; das freut mich. Ich weiß, wo Ihr wohnt. Ich ging einmal durch Eure Straße, da sah Euer Hündchen zum Fenster hinaus. – Nicht wahr, Ihr werdet Wort halten und uns, wenn ich gehen muß, den Abschied nicht schwer machen?

Er blieb die Antwort schuldig. Darauf nahm sie ihm den Schirm aus der Hand und sagte: Lebt wohl! Ich gehe jetzt allein nach Haus. Und bis zum Sonntag bleibt aus der Via Vittoria weg. Wenn Verdacht entstünde und mein Gefängniß noch härter würde, so daß ich nicht zu Euch könnte, es wäre mein Tod. Lebt wohl, Hans! Auf Wiedersehen, einmal, und dann – vergessen für immer!

Sie winkte mit den Augen und der zarten Hand unsäglich liebevoll zum Abschied und verließ ihn in dem leeren Flur des alten Palastes, wo sie ihr letztes Gespräch geführt hatten. Jetzt erst, da sie ihm entschwand, fühlte er das brennende Verlangen, ihr nachzustürzen und sie in die Arme zu pressen. Dann bezwang er sich, um das, was sie ihm zugesagt, nicht etwa durch seinen Ungestüm zu verscherzen.

Die halbe Nacht schloß er kein Auge, aber nicht mehr der Kummer hielt ihn wach, obwohl ihm alle Luftschlösser zertrümmert worden waren, sondern eine Freudenunruhe, die heimlich in ihm sang und klang, wie in seinen jüngsten Jahren, wenn er sich auf Weihnachten freute. Um sein Dachstübchen tobte der Novembersturm und stieß zudringlich gegen die klappernden Scheiben, und der Regen klirrte auf das obere Fenster, als würden Steine herabgeschüttet. Der Jüngling aber saß auf seinem Bette und sah in das trübe Flämmchen der Messinglampe, dem bei jedem Windstoß der Athem zu vergehen drohte. Erst heute erschrak er vor der Kahlheit der Wände und der Armseligkeit alles Geräths. Hier sollte sie eintreten, diesen wurmstichigen Armsessel mit dem verschossenen Ueberzug sollte er ihr anbieten, und an einem Schemel fehlte es, ihre Füße darauf zu setzen, an einem schönen Glas, ihr einen Trunk anzubieten; und wie verraucht war die Decke, wie nackt und voller Sprünge der Fliesenboden! Das mußte Alles anders werden, oder er hatte sich sein Lebtag zu schämen. Er fing noch in der Nacht an, ein wenig aufzuräumen, die Spinneweben aus den Winkeln zu kehren, seine wenigen Habseligkeiten, die bunt herumlagen, in den alten Wandschrank zu schließen, oder in eine gefällige Ordnung zu bringen. Darüber erlosch das Lämpchen, und er mußte sich niederlegen. Nun horchte er auf das Unwetter mit heimlichem Frohlocken, daß es ihm und seiner Wonne nichts anhaben könne. Er erwartete ja über fünf Tage den Frühling in seiner winterlichen Kammer und zweifelte nicht daran, daß dann aus den Ritzen des Steinbodens Veilchen und Rosen sprießen und in der Krone seines alten Himmelbettes eine Nachtigall ihr Nest bauen würde.

Unmerklich verloren sich seine überschwänglichen Gedanken in Träume, die von keinem Schatten getrübt waren. Er und sie waren immer ganz allein, bald im Garten einer der sonnigen Villen vor den Thoren Roms, bald auf dem windstillen Meer, und nur als sie eben in den Thurmknopf auf der Peterskuppel gestiegen waren und sich neben einander auf das eiserne Bänkchen gesetzt hatten, hörten sie unter sich Sor Beppe's Stimme, der schalt und brummte und ihnen nachzuklimmen drohte; aber sie fürchteten sich nicht, sie lachten heimlich zusammen, denn sie wußten ja, daß die Treppe, die hinaufführt, viel zu enge ist, um eine Figur von Sor Beppe's Umfang durchzulassen.

Ganz früh aber am andern Morgen saß der Jüngling schon an der Staffelei und rührte sich vor Dunkelwerden nicht von der Stelle. Er genoß kaum einige Bissen, die ihm Signora Pia aufnöthigte, und eilte sich, sein Bild von Rebecca und Eleazar fertig zu bringen, was ihm aber doch erst am nächsten Vormittag gelang, da die Nacht so früh anbrach und ihm den Pinsel aus der Hand nahm. Beim Lichte aber ging er an ein anderes Werk, sein eignes Bildniß im Spiegel zu zeichnen, nur so groß, daß man es in der Hand verbergen konnte. Er sah jetzt zum ersten Male, wie er seit einem Jahre schärfere und reifere Züge bekommen hatte; freilich stand die Geschichte des letzten Jahres, Freuden und Leiden seiner einsamen Wanderung darauf zu lesen. An diesem Bildchen zeichnete er, bis ihn die Augen schmerzten, bei verschlossener Thür. Dann wachte er wiederum die Mitternacht in seinen Liebesgedanken heran, heute schon nicht mehr so leichtherzig, wie gestern.

Die volle Glückseligkeit überkam ihn erst wieder, als er am Abend des zweiten Tages sein Bild bei dem jüdischen Kunsthändler abgeliefert und außer einer neuen Bestellung eine ganz artige Rolle freilich etwas beschnittener Zechinen erhalten hatte. Seit vielen Monaten war er nicht Herr so großer Schätze gewesen, und schritt nun den Corso und die Via Condotti entlang mit der Miene eines Bräutigams, der ausgegangen ist, die Brautgeschenke zu kaufen. Jedoch kam es ihm seltsamer Weise nicht in den Sinn, unter den vielen Schmucksachen, geschnittenen Muscheln und Korallenschnitzwerk irgend etwas für Annina zu wählen. Wie sie ging und stand, war sie ihm das Kostbarste der ganzen Welt, und es wäre ihm lächerlich vorgekommen, mit elendem Gold oder Steinen sie schmücken zu wollen. Aber der Ort, den sie zu betreten verheißen hatte, sollte würdig werden, sie zu empfangen. Das Erste war, daß er einen schönen alterthümlichen Armsessel kaufte, dessen geschnitzte Rücklehne mit einer kleinen Krone verziert war. Dann suchte er einen ziemlich großen Teppich aus, den Fußboden zu bedecken, und beschloß mit zwei schöngeschliffenen Krystallbechern für heut seine Einkäufe. Madonna Pia staunte nicht wenig, als am andern Morgen diese Herrlichkeiten in das Dachstübchen ihres bisher so anspruchslosen Miethers hinaufgebracht wurden. Er aber beschwichtigte ihre Unruhe, ob er nicht etwa im Haupte verstört worden sei, durch die treuherzige Mittheilung, sein Bild habe so gefallen, daß er nun keinen Augenblick vor Besuchen der höchsten Herrschaften sicher sei, und er möchte doch gern, wenn unversehens die Prinzessin von Golkonda sein Studium zu besichtigen wünsche, ihr einen standesmäßigen Sessel anzubieten haben. Ich habe es ja gesagt, Sor Giovanni, sprach das Weib mit aufgehobenen Händen, in Euch steckt mehr als man denkt, und wenn das Glück Euch nur erst einmal mit meinen Augen ansieht, kann es Euch gar nicht fehlen.

So waren von den verhängniß vollen Tagen die beiden ersten glücklich verstrichen und es galt, mit den übrigen leidlich fertig zu werden, um dem Fieber der Erwartung nicht zu erliegen. Heut früh ist er nun abgereis't, sagte sich der Jüngling. Wenn ich jetzt mich bei dem Hause blicken ließe, vielleicht stünde eine der Jalousieen halb offen! – Dann besann er sich, daß sie ihn gebeten hatte, geduldig auszuharren und fern zu bleiben, und gelobte sich's von Neuem, durch Gehorsam sein Glück zu verdienen. Um die Stunden zu tödten, fing er an auf der weißen Wand seines Zimmers mit Kohle eine große Landschaft zu entwerfen, einen prachtvollen Hain am Meere, wo in der Abendstille die Nymphen am Ufer tanzten und ein Hirt auf der Schalmei dazu blies. Ganz im Vordergrunde aber, an der Quelle, die zu Füßen der immergrünen Eiche entsprang, saß ein junges Paar Hand in Hand und hatte der ganzen Welt den Rücken gekehrt, um sich Eins ins Anschauen des Anderen zu vertiefen. Als er die kahle Fläche so schön belebt sah, füllte er auch die übrigen nackten Stellen mit zierlichen Arabesken, in denen der Vogel Phönix eine große Rolle spielte, und hie und da eine breite häßliche Eule sich von einem Falken mißhandeln lassen mußte. So schuf er das dürftige Gemach zu einem phantastischen Märchenwinkel um, an dem er selbst seine Freude hatte, als er ihn nach vollbrachter Arbeit musterte. Nur Eines fehlte zum vollen Behagen: ein wenig Sonnenschein, der Licht und Wärme hineingegossen hätte. Der Dunst des Kohlenbeckens war unerträglich, und eine beklommene wolkige Atmosphäre schwebte an der Decke hin und beengte die Brust. Wie dankbar blickte daher unser Freund, nach einer Nacht, in der sich alle Stürme wie zum Untergange der Welt verschworen hatten, am Morgen des Sonnabends zum Himmel auf, der wieder blau und heiter war; wie begierig sog er durch das offene Fenster die Strahlen der hochwillkommenen Sonne ein, die in Kurzem ihre alte südliche Herrschaft mit voller Macht wieder ausübte! Nun verwendete er diesen letzten Tag zu den noch übrigen Vorbereitungen und schleppte nach und nach Alles in seinem Stübchen zusammen, was er an köstlichen Früchten, ausgesuchtem Naschwerk und seltenen Leckerbissen auftreiben konnte. Auch für einige Flaschen süßen Frascatanerweins sorgte er und baute auf seinem Tische ein reizendes Stillleben auf, zu dem er sich nicht schämen durfte selbst die Fürstin von Golkonda einzuladen. Nachts, als der Mond hereinsah und in den Krystallgläsern blitzte und die Orangen, Feigen und großen Weintrauben versilberte und den Nymphentanz auf dem Wandbilde erleuchtete, däuchte es den Jüngling selbst einen Augenblick, als träume er einen Zaubertraum. Bald aber fiel ihm ein, wie rasch die ganze Herrlichkeit verschwinden werde, und eine tiefe Traurigkeit überfiel ihn. Sein Glück war nun so nah, und immer näher rückte auch die bitterliche Stunde, in der er dem Liebsten, was er hatte, für immer Valet geben sollte. Eine Weile versenkte er sich in das Vorgefühl dieser Schmerzen. Er sah Sor Beppe deutlich vor sich, mit einem grinsend schadenfrohen Gesicht, das ihm alles Blut in den Adern empörte. Nein! rief er und ballte die Faust, es darf nicht so enden, es wäre die niederträchtigste Feigheit, wenn ich es geschehen ließe, ohne nur eine Hand zu rühren, ohne das Aeußerste zu versuchen. Wir müssen fliehen, und müßten wir in einer wilden Höhle Schutz suchen und bei den Hirten der Campagne um ein Stück Brod betteln. Aber so schlimm steht es ja nicht. Habe ich nicht meine Kunst, die uns überall, wohin wir kommen, zu leben schaffen wird? Hat sie mir nicht bisher durchgeholfen, da ich ein Tagedieb war und die Hände in den Schooß legte? Und sollte mich jetzt im Stiche lassen, wo es gilt, diesem Engel die Wege weich und das Leben leicht zu machen? Ist es das erste Mal, daß eine Tochter aus dem Hause ihrer Eltern wegging und erst Jahre hernach wiederkam, sich ihren Segen zu holen?

So redete er in stürmischer Aufregung vor sich hin, und je mehr er es überlegte, je natürlicher und nothwendiger schien ihm dieser Entschluß. Sein Blick fiel auf das Hündchen, das ahnungslos zu Füßen des Bettes schlief. Warum hätte die Vorsehung sich dieses verächtlichen Mittlers bedient, um zwei, die sich völlig fremd waren, zu einander zu führen, wenn nicht ein höherer Plan zur Rettung des armen Kindes im Hintergrunde stand? Und noch war ja nichts verloren. Besaß er doch von seinen Zechinen noch so viel, daß er mit seinem Schützling bis nach der Meeresküste gelangen konnte, wo sich das Weitere dann schon finden würde.

Als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen, legte er sich schlafen und schlief die ganze Nacht so fest, wie lange nicht. Denn auch der Zweifel beunruhigte ihn wenig, was Annina zu seinem Vorhaben sagen würde. Er traute es seiner Liebe schon zu, sie zu überreden. Und als ihn vollends die glänzendste Sonne weckte und über seinem Dach eine Menge Vögel sangen, sprang er so muthig auf, wie ein glücklicher Liebender am Hochzeitsmorgen, der in wenigen Stunden seine Braut vor den Augen der glückwünschenden Freunde und Nachbarn zur Kirche führen soll.

Dann saß er, nachdem er an den Aufputz seines Zimmers die letzte Hand gelegt hatte, vor der Staffelei und hörte draußen auf allen Thürmen die Glocken läuten und sein Herz dazu schlagen. Signora Pia kam an der Thür vorbei, rief einen guten Tag hinein und stapfte mit ihren schweren Tritten die Stufen hinunter, um in die Messe zu gehn. Das kleine Haus war leer. Im offnen Fenster stand Wackerlos und sah ernsthaft in den Menschenstrom hinab, der durch die Straße wogte. Auch sein Herr warf dann und wann einen Blick ins Freie, zog sich aber sogleich wieder zurück, als fürchte er, sein Geheimniß stehe ihm an der Stirn und alle Leute könnten es lesen. Mit jeder Minute, die verstrich, ward er unruhiger, banger und ungestümer. Die Sorge beschlich ihn, daß seine stürmischen Vorsätze an der stillen Kraft des Mädchens scheitern möchten, und um sich den Muth zu stärken, redete er sich durch heftige Ausfälle gegen Sor Beppe und Alle, die es mit ihm hielten, in eine verzweifelte Wildheit hinein, daß er zuletzt mit der Faust gegen die Wand drohte und das Messer aufhob, um Alles niederzumachen, was zwischen ihm und seiner Sehnsucht stand. Indessen war es draußen still geworden, die Glocken verhallt. Plötzlich schlug Wackerlos an, in demselben Augenblicke klang unten die Hausthür und hastige Schritte huschten die Treppe herauf. Erblassend riß der Jüngling die Thür auf und sah eine verschleierte Mädchengestalt in dem helldunkeln Flur auftauchen, die sogleich den Schleier zurückschlug, als sie auf die oberste Stufe trat. Aber statt der vielgeliebten Züge, die er erwartete, erblickte er das runde Gesicht der kleinen Lalla, heute seltsam verstört, die Augen finster, der drollige Mund schmollend aufgeworfen, mit Geberden, wie er sie nie an ihr wahrgenommen hatte.

Sie trat dicht an den Jüngling heran, der vor Schrecken stumm und starr am Thürpfosten lehnte, und sagte mit einem zornigen Ton: Ihr freut Euch nicht sonderlich, mich zu sehen, mein braver Sor Giovanni. Dankt Gott, wenn Ihr mit keiner härteren Strafe für Eure Abscheulichkeiten büßen müßt. Mit Euch freilich hätte ich kein Mitleid. Ihr seid gewissenlos und selbstsüchtig, wie alle Männer, und mag die Welt zu Grunde gehen, wenn Ihr nur Euer Spielzeug habt. Aber wenn sie um Euch leiden müßte – wehe Euch!

Sie ging rasch in das Zimmer hinein, und er folgte wie betäubt. Ei, sagte sie, nach einem scharfen Blick auf die Früchte und den Wein und die ausgesuchte Anordnung aller Möbel, das ist ja hübsch zurecht gemacht, einer armen Närrin vollends den Kopf zu verdrehen. Ist gar ein Schlaftrunk in jenem Wein? Schade, daß so viele Mühe und List verschwendet ist. Denn um es gleich zu sagen: Nie wird Annina einen Fuß über diese Schwelle setzen. Habt Ihr verstanden, mein sauberer Herr?

Lalla, rief er, um Gotteswillen, was ist geschehen, was soll ich von deinen Reden und deiner Miene denken? Was ist's mit Annina? Welcher Schändliche hat –

Still! unterbrach sie ihn; Euer Zorn ist ruchlos. Es giebt hier nur einen Schändlichen, und der seid Ihr, ja Ihr, trotz Eurem sanften Gesicht und Euren unschuldigen blonden Haaren. Und Ihr habt keine Ausrede, nicht die kleinste, denn ich hab' Euch Nichts verschwiegen und habe für das unglückliche Ding gebeten, daß Ihr Euch erbarmen solltet. Ihr und erbarmen! Ein Mann und Gewissen haben! Nun ist es gekommen, wie ich fürchtete.

Was? Was? drängte er außer sich.

Ihr sollt es wissen, sprach sie ruhiger, Nichts will ich Euch schenken, obwohl ich leider weiß, daß selbst das Aergste, was ein Mädchen um Euch leiden kann, Euch minder schmerzt, als es Eurer Selbstsucht schmeichelt. Denn wußtet Ihr nicht, daß Ihr Annina's Schicksal erschwertet, wenn Ihr sie wiedersaht? Und dennoch waret Ihr bei Regen und Sonnenschein in Via Vittoria wie ein Prellpfahl, der nicht von der Stelle kann, und dennoch nahmt Ihr den Augenblick wahr, als sie mit dem Wetter kämpfte, Euch heranzustehlen, wo sie nicht entrinnen konnte, und ihr die größten Thorheiten abzulisten? O Ihr mit den treuherzigen Augen und dem Basiliskenherzen! Wenn man das Messer Euch in die Brust stieße und nach einem Herzen grübe, einen Stein würde man finden.

Er faßte sie an beiden Schultern und schüttelte die kleine Gestalt wie ein Unsinniger. Sag' es, sag' es, rief er dumpf, und foltere mich nicht länger mit deinem Geschwätz. Ist sie krank, ist sie todt? Hat man sie eingesperrt und zum Wahnsinn gebracht durch Mißhandlungen?

Seine Heftigkeit schien sie milder gegen ihn zu stimmen. Sie machte sich von ihm los, setzte sich auf einen Sessel und sagte ohne weitere Umschweife: Sie ist krank, und Ihr habt sie krank gemacht, und darum kommt sie nicht; nun wißt Ihr's. Gestern Abend ließ sie mich rufen. Ich hatte sie, da so wüstes Wetter war, viele Tage nicht besucht, und überhaupt war sie kälter gegen mich geworden, seit sie Geheimnisse vor mir hatte. Nun lief ich doch in aller Eile hin, denn mir ahnte gleich Böses. Sie war so zart von Jugend auf, nie krank, aber Jeder sah es ihr an, daß sie aus anderem Stoff gemacht war, als die Meisten. Wie ich nun bei ihr eintrete, find' ich sie im Bette, das Gesicht wie verwandelt durch das grausame Fieber, das ihr in allen Adern kochte; aber sie erkannte mich gleich und schickte den Vater hinaus und rief mich ganz nahe an ihr Kopfkissen, daß mir von ihrem glühenden Athem bald die Augen brannten, außer von den Thränen. Lalla, sagte sie, ich wollte morgen zu ihm gehen, ich habe es ihm neulich fest versprochen, damit er doch, wenn wir uns trennten, mein Bild hätte. Unter der Kirche wollte ich es thun, da Sor Beppe grade verreis't ist. Wäre es denn eine Sünde gewesen? sagte sie. Und nun denk', am Abend vor seiner Abreise führt mich Beppe noch einmal spazieren durch die Stadt, und unversehens tritt er mit mir in San Carlo hinein, wo in der einen Kapelle die Madonna steht, die mir damals half, als ich die Blattern hatte, daß mein Gesicht hernach wieder glatt wurde. Und wie wir so ganz allein vor ihrem Altar stehen, nimmt er plötzlich meine rechte Hand, legt sie an das Kleid der Mutter Gottes und sagt: Bei dieser allerheiligsten Madonna schwöre mir, Annina, daß du den Deutschen nicht wiedersehen willst, daß du, so lang ich fort bin, ihm ausweichen willst, wenn er dir von Weitem begegnen sollte, daß du versuchen willst, ihn ebenso zu hassen, wie ich ihn hasse! – Das sagte er mit erstickter Stimme und seine Augen funkelten. Ich war sprachlos. Also wußte er, daß ich mit Hans gesprochen hatte, sie hatten ihn gut bedient, seine Spione. Ich aber konnte es nicht über meine Lippen bringen, was er von mir verlangte. Und er, nachdem er eine Weile gewartet hatte: Mädchen, sagte er, du kennst mich noch nicht. Ich bin sanft wie ein Lamm, aber wer einen Finger nach dir aufhebt, gießt mir siedendes Pech ins Blut. Ich habe den Menschen bisher geschont, obwohl er schamlos genug mich herausforderte. Denn so lang ich bei dir bin, lache ich dieses tückischen Gesellen. Aber da ich fort muß, kann es nicht so weiter gehen, und ich fordere den Schwur von dir, oder ich muß den Buben auf andere Art unschädlich machen. – Lalla, was sollte ich thun? sagte sie. Ich schwur bei der Madonna, Alles was er verlangt hatte. Denn ich wußte wohl, daß er nichts scheut in seiner rasenden Eifersucht und Giovanni mit kaltem Blute hätte umbringen lassen. Aber am andern Tag, als Beppe fort und ich in meiner Kammer allein war, fiel ich in Verzweiflung, daß ich geschworen hatte. War es denn zu viel, was ich vom Glück gehofft hatte, eh ich mein Leben lang elend wurde? Nur zwei Stunden noch mit ihm zusammen sein, daß er mein Gesicht in sein Buch zeichnen könnte! Und er hat es mir versprochen, sagte sie, von Liebe sollte nicht zwischen uns die Rede sein. Wozu auch? Wir wissen es ja doch. Und wenn ich nun ausbliebe, was sollte er denken? sagte sie; zu schreiben aber schämte ich mich, denn ich schreibe so schlecht und hatte Niemand, dem ich's in die Feder dictiren konnte. O der Schwur, Lalla! Vierundzwanzig Stunden vergingen, daß ich mir die Worte, die ich beschworen hatte, immer wieder vorsagte, ob ich nicht einen Sinn fände, der mich frei ließe. Aber ich war von allen Seiten gefangen. Und grade bei dieser Madonna hatte er mich's geloben lassen, sagte sie, bei dieser, die mir damals beigestanden! Kein Priester hätte mich von dem Eide losgemacht, nicht einmal der Papst, das sah ich ein. Als nun aber der Freitag Abend herankam und meine Todesangst und Qual mir fast das Herz abdrückte, ging ich zu der alten Frau in der Chiavica del Buffalo – das ist nämlich eine Kartenschlägerin, schaltete Lalla ein, die immer Rath weiß, aber ein arges Weib, und wehe, daß Annina zu der gegangen ist! – und wie ich der Alten Alles gesagt hatte, ohne Namen zu nennen, nur daß ich bei der Madonna in San Carlo beschworen hätte, Etwas zu unterlassen, das aber keine Sünde sei, und ob es keine Hülfe gäbe, riech sie mir, die Treppe beim Lateran dreimal hinaufzuklimmen und hernach der Madonna ein neues Kleid zu schenken, daß sie mir das Gelübde nachließe. Und nun, Lalla, sagte sie, kam die Nacht, und ich stahl mich in das arge Unwetter hinaus und lief, den Mantel überm Kopf, durch den kalten Regen nach dem Lateran. Die Stufen waren wie Cascaden, sagte sie, und ich fühlte, wie es mir eisig an die Knie spülte, und dennoch trieb es mich in der furchtbaren Oede und Finsterniß , die Buße zu vollbringen, und ich betete, als wäre es meine letzte Stunde. – Als es Drei schlug vom Glockenturm, war es gethan, und ich dankte Gott; denn meine Kräfte loschen aus wie ein Licht. Eine ganze Stunde noch mußte ich droben im Portal hinsitzen, bis mich die Knie heimtragen konnten. Und, Lalla, nun kommt das Aergste, sagte sie und richtete sich dabei im Bett halb auf, so ergriff sie der Schmerz. Denn als ich zu Hause war und Alles überstanden hatte, und selbst die Eltern hatten nichts gemerkt, da hörte ich deutlich in mir eine Stimme, daß Alles umsonst gewesen, daß es dennoch Unrecht sei, und ich müsse der Madonna mein Gelübde halten, sollte ich darum zu Grunde gehen. Lalla, das warf mich nieder; und seitdem liege ich hier im Fieber, und Gott weiß, ob ich je wieder aufstehen werde!

Lalla schwieg und stützte eine Weile das Gesicht in die Hand; sie zitterte von Kopf bis zu Fuß vor heftiger Erregung. Als sie endlich zu dem Jüngling wieder aufsah, der bewegungslos an der Wand lehnte, erschrak sie vor dem Eindruck, den ihre Worte auf seinem Gesicht zurückgelassen hatten. Signor 'Annes, sagte sie und stand auf, nun wißt Ihr Alles. Ich sollte es Euch verschweigen, bat Annina, und nur sagen, daß sie dem Beppe jenen Schwur gethan, gezwungen und mit Schmerzen. Ihren Abschied sollte ich Euch bringen und Euch ersuchen, die Stadt zu verlassen. Aber ich dachte, eine Strafe sei Euch nöthig, und wenn Ihr noch einen Funken Menschlichkeit in Euch hättet, müßtet Ihr Euch wie ein armer Schächer vorkommen und eine Lehre für die Ewigkeit mit Euch nehmen. Ich sehe, daß Ihr so schlecht noch nicht seid, wie ich fürchtete; das freut mich für Euch, und wenn Ihr heute noch aus Rom weggeht, will ich Euch wieder vergeben. Ach, Sor Giovanni, wenn die Lutheraner auch beten, so betet für das arme Wesen, dem Ihr so wehe gethan, daß sie das Fieber überwindet und noch nicht an die Pforte des Paradieses klopft, daß wir ihr ewig nachweinen müßten!

Sie zog den Schleier wieder über den Kopf und schickte sich an zu gehen. Als er noch immer kein Wort sagte und auch kein Zeichen gab, daß er ihrer achtete, stand sie einen Augenblick unschlüssig, was sie thun sollte. Er dauerte sie, wie der Schmerz ihn so versteinerte. Aber sie dachte auch wieder, daß er es verdient habe, und sagte nur noch: Ich gehe jetzt zu Annina und sehe nach, wie sie die Nacht zugebracht hat. Wenn Alles gut steht, was wir hoffen wollen, komme ich um Mittag wieder an Eurem Hause vorbei und nicke Euch zu. Schüttle ich aber den Kopf, so ist es-Noch immer beim Alten. Lebt wohl, Sor Giovanni, und betet für unsern Engel!

Sie verließ das Zimmer, zog die Thür hinter sich zu und horchte draußen, ob er sich noch nicht bewege. Da Alles still blieb, ging sie nachdenklich die Stufen hinunter. Die armen Kinder! sagte sie vor sich hin. Ach, wenn man sich liebt!

Als sie unten aus der Thür trat, mußte sie stehen bleiben. Ein ungewöhnliches Gedränge sperrte ihr den Weg, gegenüber sah sie die Leute an den Fenstern stehen und theilnehmend die Straße hinabblicken, von wo ein langsamer Zug sich heranbewegte. Sie erkannte die vermummte Brüderschaft in den weißen Capuzenmänteln, die in Rom die Todten zu Grabe trägt. Eine entsetzliche Ahnung überwältigte sie. Wen bringen sie da? fragte sie ein Mädchen, das neugierig neben sie hingetreten war und sich auf den Zehen erhob. – Ich weiß nicht, war die Antwort. Es muß eine Jungfrau sein und eine schöne, daß die Menschen sich so danach drängen. – Indem näherte sich der Zug mit der Bahre, die über den Häuptern in der freien Sonne schwebte. In demselben Augenblick hörte man oben aus einem der beiden Fenster einen Hund bellen, in immer heftigerem Tempo, und ein dumpfes Geheul antwortete aus der Menge der Leidtragenden. Annina! schrie die arme Lalla und faßte den Arm ihrer Nachbarin. Und durch das Gewühl bahnte sich eine große Dogge wüthend den Weg zu dem Hause und sprang an Lalla empor und strengte sich an, sie zu der Bahre hinzuzerren, als suche sie Hülfe für die Todte. Oben aber in dem offenen Sarge lag die bleiche Mädchengestalt, einen grünen Kranz im Haar, eine Rose in den gefalteten Händen. Wie schön sie ist, wie jung! flüsterte es durch die Reihen des Volkes, das am Wege stand. Benedeit sei ihre Seele. Einen schöneren Engel gab es nie!

So wallte der Zug in der reinen Herbstsonne die Straße hinunter nach San Carlo, und vor dem Hause der Signora Pia wurde es leer; denn auch Lalla, sobald sie sich ermannen konnte, war mit Rinaldo langsam nachgegangen. In San Carlo aber, in der Capelle, wo die Madonna stand, der sie das Gelübde gethan, wollte Annina beigesetzt werden, die drei Tage lang bis zum Begräbnis. Der nächste Weg dahin führte nicht durch die Straße, wo der junge Deutsche wohnte. Aber die Träger waren zu einem Umweg genöthigt worden, weil die Via Vittoria wegen einer Pflasterung gesperrt war. Der Zufall hatte es gefügt, daß die Liebende noch im Tode denselben Weg einschlug, den lebend zu gehen sie so heftig verlangt hatte.

Eine halbe Stunde darauf kam die Pia aus der Messe zurück, stieg langsam die Steintreppe hinauf und blieb auf dem obersten Absatz stehen, um Athem zu schöpfen. Sie hörte das Hündchen drinnen im Zimmer beweglich winseln und an der Thür hinaufspringen, wie es zu thun pflegte, wenn sein Herr allein ausgegangen war. Mitleidig öffnete das Weib die Thür, die unverschlossen war, und trat ein. Da sah sie den Jüngling regungslos neben dem offenen Fenster am Boden liegen, die Lippen ganz bleich, die halbgeschlossenen Augen ohne Blick, die eine Hand aufs Herz gepreßt, als wäre eine Kugel da hineingefahren. Mit einem lauten Schrei, der das treue Thier von Neuem zu kläglichem Heulen aufregte, stürzte die Wirthin zu ihrem unglücklichen jungen Gast hin, hob ihn auf und trug ihn mit Stöhnen und Keuchen aufs Bett, wo sie in ihrer Angst Alles, was ihr nur einfiel, versuchte, um ihn zu beleben. Erst nach langen Mühen, als sie ihm Stirn und Schläfe mit dem Weine wusch, den er für Annina gekauft hatte, schlug er die Augen müde wieder auf. Sofort sprang Wackerlos aufs Bett und leckte ihm wie toll vor Freude das Gesicht und jetzt, als der Erwachende seinen treuen Kameraden erkannte, schien ihm das Gedächtniß plötzlich wiederzukehren, und die Ohnmacht lös'te sich in einen Strom von Thränen. Auch die Pia fing an zu weinen. Der Himmel sei gepriesen, rief sie mit aufgehobenen Händen, Ihr seid wieder am Leben, Sor Giovanni. Was habt Ihr mir für Angst gemacht! Nun trinkt von diesem Wein und eßt einen Bissen, denn sicherlich war es die Schwäche, die Euch umwarf, weil Ihr gestern nicht zu Nacht gegessen.

Eifrig und dienstfertig schenkte sie einen der Krystallbecher voll und brachte ihn dem Jüngling ans Bett. Er aber winkte ihr mit Schaudern zurück und kehrte das Gesicht nach der Wand, in neue Thränen ausbrechend. Das Weib begriff von Allem nichts. Vielleicht will er schlafen, sagte sie, und es wäre wohl das Beste. Er arbeitet zu viel, der Geist läßt ihm keine Ruhe, er verzehrt sich noch. – Kopfschüttelnd verließ sie leise das Zimmer, um nach einer Weile wieder hineinzuhorchen. – –

Der Tag war vergangen, und ein ganzer Himmel voller Sterne sah auf das schlafende Rom herab. An dem Fenster, hinter dem der Küster von San Carlo schlief, klopfte es ganz spät, und der alte Mann steckte unwillig den Kopf in die kühle Nacht hinaus und fragte, was man begehre. Er sah einen Jüngling von einem Hündchen begleitet draußen stehen, der ihm einen Scudo bot, wenn er ihm unverzüglich die Kirche aufschließen wolle. Er habe sich der Madonna in der Capelle verlobt, und seine Seele finde keine Ruhe, eh er nicht an ihrem Altar hingekniet sei. Halbverschlafen und ohne weiter zu fragen, kam der Alte heraus, nahm das Geld in Empfang und ließ den späten Bittgänger ein; auch der Hund stahl sich mit durch die Pforte. Die Kirche war dunkel, bis auf das Zwielicht der Sterne, das durch die Fenster dämmerte, und die ewige Lampe am Hauptaltar. Aber aus einer Seitenkapelle drang heller Kerzenglanz hervor; die niedrige Bahre stand dort, auf welcher Annina schlummerte, zu Füßen des Altars der Madonna. Hohe Leuchter brannten im Halbkreis umher, ein Crucifix ragte zu Häupten. Der alte Küster, der ahnen mochte, weshalb es den Jüngling noch so spät in diese Kapelle trieb, hielt sich im Schatten der Pfeiler zurück und blickte nur verstohlen zu den Kerzen hinüber. Er sah den Fremden neben der Bahre niederknien und lange in die schönen Züge der Entschlafenen starren. Dann bemerkte er, wie er einen Ring vom Finger zog und ihn der blassen Lieblichen an den Finger steckte und ihr dafür die Rose aus der Hand nahm. Und weiter zog er ein Blättchen aus einem Taschenbuch hervor, auf welchem ein Bildniß gezeichnet war, sein eigenes, das sie zu besitzen verlangt hatte. Er schob es sacht unter ihr Kopfkissen und neigte seine Augen dicht zu den ihren herab, als vermöchten seine Blicke die erloschene Lebensgluth wieder anzufachen. Jetzt klang die Mitternacht mit langsamen Schlägen vom Thurm. Der Jüngling erhob sich von den Knieen und schwankte aus der Kapelle fort, ohne des Alten zu achten, der ihm mitleidig nachblickte. – –

Gegen Weihnachten fiel es dem jüdischen Kunsthändler ein, nachzufragen, wie es mit dem neuen Bilde stehe, das er bei dem jungen Deutschen bestellt hatte. Als er in das Atelier unter dem Dache eintrat, fand er Signora Pia dort am Fenster sitzend, mit Spinnen beschäftigt. Sie war froh ihn zu sehen, sie hoffte, er bringe vielleicht Nachricht von ihrem Miether, der seit vielen Wochen nicht zurückgekehrt war. Nur durch einen ihrer Gevattern, der ein kleines Bauerngut bei Olevano besaß und sie inzwischen besucht hatte, wußte sie, daß er ruhelos im Gebirge herumstreife, die Nächte in den Capannen der Hirten oder in elenden Dorfschenken zubringe und überall in den Bergen mit seinem Hündchen bekannt sei. Man halte ihn für etwas schwach im Kopf, weil er niemals lache und an keinem Orte länger als eine Nacht bleibe, wenn es auch noch so rauh auf den Klippenwegen stürme. Aber der Gevatter aus Olevano habe mit ihm gesprochen und ihn bei klarem Verstand gefunden, nur sehr traurig und menschenscheu für seine jungen Jahre! – Ich denke immer noch, er soll wiederkommen, sagte die Frau. Darum mag ich an Niemand anders das Zimmer vermiethen und lasse Alles, so wie er es gern hatte. Seht, da stehen noch zwei Flaschen mit Wein und ein Teller voll Früchte, die er sich angeschafft hatte, falls eine Prinzessin ihn einmal besuchen würde, um seine Gemälde zu sehen. Und die große Zeichnung da an der Wand, die Ihr so lobt, hat er noch wenige Tage vor seiner Abreise da hingemacht; es ging ihm zum Verwundern von der Hand. Was es nur gewesen sein mag, das ihn so aus den Fugen brachte? Liebe war es wohl nicht, denn er war ein sehr ordentlicher junger Mensch und die Unschuld selbst, das kann ich bezeugen. Aber wer weiß, am Ende war er wirklich in eine Prinzessin verliebt. Ach, Sor Davidde, wer immer sagen könnte, womit so einem jungen Blut zu helfen wäre! Aber die jungen Leute sind wie die Mücken. Sie könnten das beste Leben von der Welt haben, – sobald sie ein Licht sehen, das sie gar nichts angeht, springen sie kopfüber in ihr Verderben, nur um Schmerzen zu haben. Und hernach hinkt so Mancher halbversengt durch die Welt und weiß selbst nicht, warum. Allein wir werden's nicht ändern, lieber Herr, und es schadet auch nichts; ein rechter Mensch flickt sich doch wieder zusammen mit Gottes Hülfe, und mit dem Herzen ist's wie mit Arm und Bein. Wem sie einmal gebrochen sind, dem brechen sie so leicht nicht wieder. Und das ist auch ein Trost!

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