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(1857)
In der tiefen Fensternische des lichterhellen Saals brannte nur eine einzelne Kerze auf silbernem Leuchter, den eine geflügelte Figur mit beiden Armen emporhielt. Der bescheidene Glanz wurde noch gedämpft durch schattige Gewächse mit breiten Blättern und den letzten Blüthen des Jahres, und eine schlanke Palme überwölbte zierlich mit ihren leichten Zweigen den Eingang in die dämmrige Laube. Zwei Sessel standen darin traulich einander gegenüber. Aber der eine war leer. In dem andern ruhte eine schlanke Frauengestalt, das Haupt auf die Hand gestützt, die Augen geschlossen. Wer sie im Verdacht hatte, daß sie sich aus der muntern Gesellschaft in dies grüne Versteck zurückgezogen habe, um nur desto mehr bemerkt und aufgesucht zu werden, that ihr Unrecht. Sie dachte durchaus nicht daran, wie zart das Helldunkel der Palme über ihre schöne Stirne fiel, wie weich und mondscheinhaft der Schein der Kerze in den Ringen ihres schwarzen Haares spielte. Noch auch benutzte sie, während am andern Ende des Saals eine sanfte Mädchenstimme zum Klaviere sang, die verstohlene Einsamkeit dazu, Gedanken nachzuhängen, wie sie wohl in der Sommerblüthe des Lebens hinter geschlossenen Augenlidern ihr Wesen treiben. Denn, um es kurz zu sagen: die Musik, der sie anfangs mit halbem Ohr gefolgt war, hatte sie endlich wie ein müdes Kind in Schlaf versenkt.
Auch erwachte sie nicht, als das Lied zu Ende war, die alten Herrn ihr aufmunterndes Bravo riefen, der Stuhl am Klavier gerückt wurde und die unterbrochenen Gespräche mit neuer Lebhaftigkeit durch den Saal schwirrten. Niemand kam, sie zu stören. Denn sie war fremd in diesem Kreise, und überdies lag ein Zug von gehaltenem Ernst auf ihrem Gesicht, der neuen Bekanntschaften nicht gerade entgegenkam. Es war ihr Schicksal, für stolz zu gelten, und sie wußte es. Daß sie nichts that, den irrigen Glauben zu zerstören, entsprang mehr aus Bequemlichkeit, als aus Geringschätzung.
Eine bekannte Stimme, die ihren Namen nannte, drang durch ihren Schlaf. Als sie verwirrt die Augen aufschlug, stand der Hausherr vor ihr, einen Fremden an der Hand haltend, dessen hohe Stirn an die Palmenzweige stieß. Erlauben Sie mir, Ihre Meditation zu stören, Frau Eugenie? sagte der Wirth lächelnd. Ich bringe Ihnen meinen Freund und Vetter Valentin, der seit einigen Stunden unser Gast und erst seit einigen Wochen wieder im deutschen Vaterlande ist. Nun aber werden wir ihn festhalten, denk' ich, und wer könnte uns besser dabei unterstützen, als die deutschen Frauen? –
Er hatte längst wieder den Rücken gewandt, und die Beiden verharrten noch ohne ein Wort der Begrüßung einander gegenüber. Die Augen des Mannes waren auf die rothe Rose im Haar der schönen Frau gesenkt, und nur das Schwanken des Palmenzweiges ihm zu Häupten verrieth, daß Blut in seinen Adern klopfte. Eugeniens Gesicht sah ernsthaft zu ihm auf, wie man einem Räthsel nachsinnt. Oder hatte der Schlaf seinen Schleier noch nicht ganz von ihren Augen genommen? Wenn dies Begegnen nur ein Traum war, so träumte sie ihn freilich nicht zum ersten Mal. Aber haben Träume die Macht, bekannte Züge zu verwandeln, wie es die Jahre thun, Locken zu kürzen und jene Falten in die Stirn zu graben, welche sie dort über den starken Brauen des Mannes im ersten Aufblick erkannt hatte?
Je länger er sie auf seine Anrede warten ließ, desto röther glühten ihr die Wangen. Ein paarmal öffnete sie die Lippen, schwieg aber und senkte die Augen. Ihr Fächer glitt auf den Teppich nieder. Er ließ ihn liegen.
Frau Eugenie, sagte er endlich, – erlauben Sie auch mir, Sie so zu nennen. Ich trete eben erst ins Haus und habe es wahrlich versäumt, meinen Gastfreund nach dem Namen Ihres Gemahls zu fragen. Wie wunderbar trifft man sich im Leben wieder! Ich muß über meine Ahnungslosigkeit staunen, daß mir dies Wiedersehen durch kein Vorzeichen des Himmels oder der Erde angekündigt worden ist.
Eine besondere Veranlassung hat mich hieher geführt, erwiederte sie rasch. Ich will meinen Sohn in eine Schule bringen, und man sagte mir, daß er in dieser Stadt am besten aufgehoben sein würde. Die vorige Nacht habe ich im Postwagen völlig ohne Schlaf zugebracht, und ich darf Ihnen wohl gestehen, daß eben, als Sie kamen, die schwache Natur gegen alle Schicklichkeit das Versäumte nachzuholen im Begriff war. Ich sage es Ihnen, weil es einen alten Freund befremden muß, so zerstreut und wenig herzlich begrüßt worden zu sein.
Sie bot ihm jetzt die Hand. Ich danke Ihnen, versetzte er, und sein Wesen hellte sich auf, ich danke Ihnen, daß Sie mir mein geringes Anrecht auf Ihre Freundschaft bewahrt haben. Fahren Sie nun fort, mich auf dem alten Fuß zu behandeln, und genießen Sie weiter die Ruhe, die ich Ihnen leider gestört habe. Ich werde sorgen, daß Niemand wieder in diese Laube eindringe und, wenn Sie es wünschen, selbst am Eingang bei der Palme Wache stehen.
Sie lachte. Nein, sprach sie, so ist es nicht gemeint. Nur für das Gespräch mit wildfremden Menschen bin ich zu müde. Wenn Sie mit meinem guten Willen vorlieb nehmen wollen, so setzen Sie sich zu mir und erzählen mir, wie es Ihnen geht und ergangen ist.
Sie werden am besten selbst urtheilen, wie es mir ergangen sein muß, wenn ich Ihnen im tiefsten Geheimniß vertraue, wie es mir in diesem Augenblicke geht. Mein Freund hat mich zu sich eingeladen, um mich auf irgend eine Art zu verheirathen. Was sagen Sie dazu? Er hält es für seine Pflicht. Wie weit muß es mit einem Menschen gekommen sein, dessen Freunde es für ihre Pflicht halten, ihn unschädlich zu machen!
Sie erschrecken mich, erwiederte sie lächelnd. Als ich Sie kannte, waren Sie, wenn auch immerhin nicht ganz ungefährlich, doch weit davon entfernt, so viel Unheil anzustiften, daß man im Interesse der öffentlichen Sicherheit nöthig gehabt hätte, Sie in Fesseln zu legen.
Sie spotten, Frau Eugenie. O diese Ihre Kunst, wie wohlbekannt ist sie mir! Aber diesmal treffen mich Ihre Pfeile nicht. Für Niemand fürchtet mein edler Vetter Unheil von mir, als für mich selbst. Er ist des Glaubens, wenn ich fortführe, auf dem alten Raubschloß, das ich mir gekauft, einsam zu hausen, Grillen zu fangen und Hasen zu jagen und der Landwirthschaft meiner Bauern mit Recepten aufzuhelfen, von denen ich selbst nichts verstehe, so würde das Restchen gesunder Vernunft, das er so gütig ist bei mir vorauszusetzen, eines schönen Tages in Rauch aufgegangen sein. Sie sehen, er denkt mich homöopathisch zu behandeln, eine Thorheit durch die andere zu heilen. Vielleicht hat er Recht, und wenn man bewiesen hat, daß man selbst nicht im Stande ist, sein Leben vernünftig einzurichten, muß man ja wohl dankbar stillhalten, wenn sich ein guter Freund die Mühe giebt. Zuweilen denke ich freilich, daß es zu spät sein möchte.
Zu spät? Ich kann nachrechnen. Vierzehn Jahre ist es, daß wir uns nicht gesehen. Wenn Sie sich damals nicht jünger machten, als Sie waren, so halten Sie jetzt kaum an den Jahren, die man die besten nennt.
Ich mich jünger machen? Lieber Himmel, eher das Umgekehrte wäre in meinem Interesse gewesen. Woran erinnern Sie mich, Eugenie!
Und ist sie schön, jung, liebenswürdig, Ihre Braut? lenkte sie rasch wieder ein. Ich würde mir diese Frage, die einen Zweifel einschließt, ersparen, wenn Sie nicht einem Freunde Vollmacht gegeben hätten, über Ihr Herz zu verfügen. Und in solchen Dingen sind Freunde nicht immer zuverlässig.
Sie thun unserm vortrefflichen Wirth großes Unrecht, versetzte er lachend. Nicht nur fehlt keine jener drei Cardinaltugenden, sondern eine jede ist sogar dreimal vorhanden.
Dreimal?
Ich meine in drei verschiedenen Exemplaren, unter denen mir Aermsten die Wahl schwer werden soll, wie mir gedroht wird.
Und alle drei sind sterblich in Sie verliebt? Da muß es ja jedenfalls ein Doppelunglück geben!
Fürchten Sie nichts. Bis zu dieser Stunde weiß keine meiner Auserwählten, daß ich überhaupt auf der Welt bin. Ihr Vater –
Drei Schwestern also?
Ja, eine blonde, eine braune und eine schwarzlockige. Sie sehen, da ist kein Entrinnen, für jede Laune des Geschmacks ist gesorgt. Morgen mit dem Frühsten nimmt mich mein unbarmherziger Seelenverkäufer in seinen Wagen und liefert mich meinem Verhängniß aus. Sie wohnen in L., vier kleine Stunden von hier, und ein Pferdehandel soll den Vorwand herleiten. Ihr Vater, der in dem Städtchen als Arzt lebt, hat einen prächtigen Schimmel von reinem arabischem Blut im Stall.
Sie ziehen aus wie weiland Saul, der Sohn des Kis. Mögen Sie, wie er, mit einem Königreich heimkehren!
Wenn Sie wüßten, sagte er nachdenklich, wie wenig mich nach der Herrschaft gelüstet! Denn giebt es einen größeren Sklaven seiner Pflichten, als ein König? Heute bin ich noch frei, und so nehme ich mir denn die Freiheit, mich zu Ihnen zu setzen und an vergangene schöne Tage zu denken, wo ich freilich auch in Banden lag, aber in Zauberbanden.
Sie schwieg, während er sich in den anderen Lehnstuhl warf und ihn dergestalt gegen den Saal hinschob, daß er nichts von der Gesellschaft sah, nur die Pflanzen am Fenster und die Kerze und das Gesicht der schönen Frau. Indessen hatte sich die Hausfrau ans Klavier gesetzt, um einen Tanz zu spielen, und bald zitterte der schlanke Wipfel der Palme von dem Wirbelwind der vorüberfliegenden Paare. Eugenie sah still in das muntere Treiben hinein, ihre Linke spielte mit der goldenen Kette, ihre Rechte hielt den schönen Blumenstrauß nachläßig im Schooß. Valentin betrachtete sie. Als sie es bemerkte, hob sie den Strauß auf und vergrub das halbe Gesicht darin.
Sie finden es unbescheiden, bemerkte er, daß ich mich Ihnen gegenübersetze, wie einem Bilde. Aber darf es mich nicht wundern, daß alle Farben noch so ganz frisch mich anleuchten, wie vor so manchen Jahren? Wenn ich mich auf einen Augenblick des Gedankens entschlage, daß ich vierzehn Jahre älter geworden bin und morgen verheirathet werden soll, so kann ich mich völlig in die Täuschung einspinnen, als säße ich wieder, wie so oft, in dem Gewächshaus Ihrer Eltern und hätte eben das Buch weggelegt, aus dem ich Ihnen vorgelesen, und Sie sähen nun durch die Scheiben dem Spiel der Mücken über dem Weiher zu, oder dem Fall der Blätter. Aber nur die Jugend bringt uns solche Stunden verzückter Dumpfheit, völligen Aufgehens unserer Seele in die Seele der Natur, wo wir aller Fesseln unseres Ich entledigt werden, um uns nur desto tiefer an die Elemente, einer Pflanze gleich, gebunden zu fühlen. Zuweilen, wenn ich nach solchen Abenden allein den weiten Heimweg antrat, trug mich das Nachgefühl jener Momente durch die lange Pappelallee so seltsam schwankend dahin, wie eine Feder, ein Blatt, das von der Luft bewegt wird. Wir nennen das in späteren Jahren Sentimentalität. Aber ich kann noch heute nicht darüber lächeln.
Wenn ich es damals that, sagte sie, so meine ich fast, ich hätt' es Ihnen abzubitten. Aber wir Mädchen werden ja dazu erzogen, über unsere Stimmungen zu wachen und in Allem, was Hingebung heißt, behutsam zu sein. Jetzt kann ich es Ihnen gestehen, daß es mir oft nur darum erwünscht war, meine Cora mitten in unsere traulichen Lehrstunden hereinbellen oder den Friedrich uns zum Thee abrufen zu hören, weil ich ein paar Minuten länger meine Thränen nicht bezwungen haben würde.
Sie waren von Hause aus die stärkere Natur, versetzte er. Der Kitt, der mich zusammenhält, ist erst langsam an der freien Luft eines bewegten Lebens hart geworden. Aber was haben Sie für Namen genannt! Meinen Freund und meine Feindin! Der ehrliche Friedrich, ich weiß, daß er herzliches Mitleiden mit mir hatte, ein Fall, der unter Nebenbuhlern selten sein soll. Denn es wird Ihnen keine Neuigkeit sein, daß er Sie liebte, so sehr nur je ein Gärtner und Hausknecht seine junge Herrin vergöttert hat. Aber er sah seine Sache doch für verlorener an als die meine, obwohl ich, was die bürgerliche Stellung betrifft, auf nicht halb so festen Füßen stand, als er. Es war ein stilles Einverständniß der Hoffnungslosigkeit zwischen uns. Wenn er uns aus der Orangerie abholte und Sie, dem Hündchen nach, voransprangen, und wir sahen beide, wie Sie es einholten, es auf den Arm nahmen und küßten, wandte er sich in eifersüchtigem Ingrimm zu mir und sagte: Begreifen Sie, Herr Valentin, was unser Fräulein an dem unvernünftigen Vieh findet, daß sie ihm so viel Caressen macht? Dabei schüttelte er entrüstet den Kopf, den er immer sorgfältig frisirte, seit er bei Tisch aufwartete und Ihnen die Schüsseln reichen durfte. Und gestehen Sie es nur, es war auch wirklich auf uns beide abgesehen, daß Sie das garstige Geschöpf so sichtlich begünstigten.
Reden wir nichts Böses von den Todten, erwiederte sie. Cora schläft den langen Schlaf, nicht weit von dem kleinen Teich, da wo die Bank unter der Ulme stand, wenn Sie sich erinnern.
Wie sollte ich nicht! An jener Bank half ich Ihnen die Schrittschuhe anziehen, als wir mit Ihrer Cousine die denkwürdige Eisfahrt machten. Wie geht es der kleinen Lucie?
Sie ist eine große Dame geworden und hat ein Haus voll Kinder. Wenn sie wüßte, daß ich Sie hier wiedergefunden habe! Erst vor einem Monate sprachen wir von Ihnen. Sie stehen noch im besten Andenken bei ihr, und jenen schönen Winternachmittag, wo wir Ihnen die Anfangsgründe des Schrittschuhlaufens beibrachten, hat sie durchaus nicht vergessen. Sie behauptet, damals von Ihnen einen Händedruck erhalten zu haben, der wärmer gewesen sei, als Ihr nachheriges Benehmen gerechtfertigt habe. Seitdem liegt über dem sonst sehr vortheilhaften Bilde, das Sie von Ihnen bewahrt, ein böser Schlagschatten des Leichtsinns.
Gerechte Götter, rief er lachend aus, so ist der Unschuldigste nicht sicher vor schwarzem Verdacht! Völlig rein fühlt sich mein Gewissen allerdings nicht, nur daß ich, wie es oft geschieht, für eine andere Sünde büße, als die ich wirklich begangen habe. Als Sie beide meine ersten Schritte über die glatte Fläche leiteten, wünschte ich nichts sehnlicher, als daß Ihnen der feste Druck, mit dem ich Ihre Hand ergriffen hielt, mehr sagen möchte, als den Wunsch, nicht zu fallen. Sie waren, wie immer, jedem Verständniß unzugänglich. Aber nun werden Sie mir bezeugen müssen, daß ich mir gegen die kleine Lucie wirklich nichts vorzuwerfen habe. O, mir ist Alles wie heute! Ich meine noch die Glut zu spüren, die mir mitten im scharfen Decemberwind alle Adern durchdrang, den Druck Ihrer Hand noch zu fühlen, wie ich ihn damals Wochen lang, wie gegenwärtig und leiblich, nachempfand.
Sie müssen nicht unwillig werden, fuhr er fort, daß ich das alles jetzt so offen ausplaudere. Wir sind nicht mehr dieselben und dürfen davon reden, wie man sich eine Geschichte von Fremden erzählt. Es ist ein sehr harmloses Vergnügen, daß ich Ihnen heute sagen darf, was mir damals hundertmal auf den Lippen schwebte und immer von einer unseligen Schüchternheit zurückgedrängt wurde. Nun finden wir uns einander gegenüber wie gute Kameraden, die eine alte Schuld unter einander noch zu berichtigen haben.
Wer ist der Gläubiger? fragte sie ernsthaft.
Alle Beide. Ober wollen Sie mich nicht auch ein wenig dafür halten? Wenn Sie wüßten, was Sie mir zu schaffen gemacht haben, wie viele Jahre Ihr Bild zwischen mir und jedem vollen Lebensgenuß stand! Und Sie müssen eine Ahnung davon gehabt haben. Wie oft, wenn ich Ihnen auf dem Weg zur Zeichenstunde aufpaßte, wenn mir das Herz schlug, den schottischen Mantel und das graue Hütchen um die Ecke auftauchen zu sehen – und ich dann mit möglichstem Gleichmuth an Ihnen vorüberging, selig, daß ich Sie grüßen durfte – warum sind Sie da erröthet, wenn Sie nicht fühlten, wie Sie den armen Jungen, der den Hut zog, auf der Seele hatten?
Sie irren, mein Freund, sagte sie mit einem reizenden Zug von Schalkhaftigkeit. Ich erröthete vor Jedem, der mir in diesem Aufzuge begegnete, in dem ich mir wie eine Vogelscheuche vorkam. Der Mantel war längst aus der Mode, aber meine Mutter fand ihn für einen Gang zur Zeichenstunde hübsch genug. Wie viele Thränen der Eitelkeit habe ich mit dem Zipfel dieses verhaßten Fähnchens abgetrocknet!
Er mußte lachen. Sehen Sie, wie verschieden unsere Naturen sind; das Schicksal, das uns trennte, hat es klug gemacht. Ich für mein Theil habe die halbe Welt auf und ab nach einem ähnlichen Mantel gesucht, als dem Inbegriff alles Reizenden. Einmal in Frankreich leuchtete mir aus der Ferne ganz derselbe Stoff in die Augen. Wie unsinnig stürzte ich darauf zu, aber ich fand leider, daß keine Eugenie in diesen Farben ging. Seitdem bin ich geneigt zu glauben, daß noch ein Unterschied sei, wer das Gewand unserer Jugendträume trägt.
Die Tanzmusik ging während dieses Gesprächs immer fort, und im Saal wurde es heiß. Die schöne Frau ließ ihren Fächer spielen und athmete mit offenen Lippen. Es fiel ihrem Freunde ein Wort ein, das er bei einem Franzosen gelesen hatte, in wie naher Verwandtschaft gewisse blaue Augen mit gewissen weißen Zähnen stünden. Er sagte es ihr. Sie sehen, fuhr er fort, wie unbefangen ich unsere Freundschaft mißbrauche, Ihnen alles zu sagen, was mir gerade in den Kopf kommt. Ich halte mich dadurch für mein langes Schweigen schadlos, und Sie dürfen mir nicht darum böse sein. Wahrlich, es kommt mir vor, als dächte der Himmel doch noch einen guten Ehemann und Hausvater aus mir zu machen, da er mir dicht vor dem großen Schritt noch alles von der Seele nimmt, was ihn mir schwer machen konnte. Ich wäre sonst in der glücklichsten Häuslichkeit die Sorge nicht los geworden, daß mir einmal unversehens Ihre Gestalt vorübergehen und mich in die alte Verwirrung stürzen möchte. Nun Sie alles wissen und so freundlich den rechten warmen und sichern Ton zwischen uns angeschlagen haben, kann ich meine Brautfahrt morgen mit ganz anderem Herzen antreten.
Sie waren Beide aufgestanden und betrachteten die Blumen. Wie schön ist dieser Leuchter, sagte sie. Eine Fortuna, die man sich dienstbar gemacht hat, damit sie das Licht emporhalte!
Eine Siegesgöttin scheint mir's zu sein, versetzte er. Die Kugel fehlt, auf der das Glück dahinrollt, denn die Victoria hält stand bei dem Muthigen.
So sei es Ihnen eine gute Vorbedeutung für Ihre morgende Fahrt, daß Ihnen am Vorabend der Sieg den Leuchter gehalten hat.
Sie zweifeln an meinem Muth, Frau Eugenie? Wenn irgend jemand, so haben Sie ein Recht dazu. Doch hoffe ich es jetzt besser zu machen, als vor vierzehn Jahren, und mein Schicksal, gutes oder böses, wenigstens herauszufordern, daß es mir deutlich Rede stehe. Wenn es mir aber wohl will, so verspreche ich, daß Sie die Erste sein sollen, bei der ich als Herold meiner eigenen Heldengröße mich sehen lasse. Doch nun genug von mir. Noch haben Sie mir kein Wort von Ihrem Leben und Ergehen gesagt, und durch Andere etwas zu erforschen, hat mir immer der Muth gefehlt. Seit ich erfuhr, daß Sie sich verheirathet hätten, bin ich allen Orten ausgewichen, wo ich von Ihnen hören konnte, ja sogar der Name Ihres Gemahls ist mir unbekannt geblieben. Am besten, Sie stellen mich ihm gleich vor. Er ist doch mit in der Gesellschaft?
Ich habe ihn verloren, nun sind es schon sieben Jahre.
Er fuhr zusammen. – Nur den Knaben habe ich, sprach sie weiter, und muß mich jetzt auch von ihm trennen. Denn auf dem Lande bei meiner Mutter verwildert er mir völlig, und wenn ich ihm auch einen Lehrer fände, der ihn zu lenken wüßte, so thäte es mir doch um die frische Jugend leid, daß sie so ohne Gefährten aufwachsen sollte.
Ich muß ihn sehen, sagte er rasch und starrte unverwandt auf den Strauß in ihrer Rechten. Den Vater verloren, armes Kind! Wenn er groß ist, Frau Eugenie, schicken Sie ihn mir einmal. Er soll mit mir auf die Jagd und meine Pferde reiten, und wenn er meine älteste Tochter liebgewinnt, so neigten sich ja wahrlich Anfang und Ende wieder zusammen, nur anders, als ich thörichter Mensch es mir träumen ließ. Werden Sie einwilligen, Eugenie?
Er hielt ihr die Hand hin.
Bei aller Achtung vor dem künftigen Schwiegervater meines Sohnes, entgegnete sie heiter, behalte ich mir doch vor, erst das Mädchen zu sehen, da Sie noch nicht einmal für die Mutter einstehen können.
Daß die Mutter Ihren Beifall haben muß, versteht sich. Ich nehme sie gar nicht, wenn sie das Unglück hat, Ihnen zu mißfallen. Das Beste wäre –
Ein junger Mann, der sich zögernd der Fensternische näherte, um die Fremde zum Tanzen aufzufordern, unterbrach das Gespräch. Sie entschuldigte sich mit ihrer Nachtreise und trat aus der Laube heraus, sich unter die Gesellschaft mischend. Noch eine Weile sah Valentin, der bei der Palme zurückblieb, ihre Gestalt unter den anderen stehen und glaubte dann und wann ihre Stimme herauszuhören. Es war ihm, als habe er ihr etwas Wichtiges zu sagen vergessen, und er besann sich, was es nur sein könne. Endlich fiel ihm ein, daß er sich der Schicklichkeit wegen nach ihrer Mutter erkundigen müsse. Als er aber den Saal und die anstoßenden Zimmer nach ihr durchsuchte, war sie verschwunden.
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Es war der zweite Morgen nach jenem Abend. Noch stand der dichte Frühnebel in den Straßen der Stadt, aber die obere Luft röthete sich, und man durfte einen sonnigen Tag hoffen.
In einem Zimmer des Gasthofs saß die schöne Frau am Schreibtisch vor einem angefangenen Brief. Sie hatte beide Hände über einander gefaltet auf das Blatt gelegt, und ihre Gedanken schweiften weit ab von dem Inhalt dieser Zeilen. Manchmal, wenn ein Schritt draußen auf dem Flur erscholl, fuhr sie auf und horchte. Es ging an ihrer Thür vorüber und sie blieb mit sich allein.
Warum kehrte all ihr Sinnen immer wieder in die alte Zeit zu jenem Gartenweg zurück, wo die Sonnenblumen zwischen den Astern standen, und die kleinen Fruchtbäume die langen Schatten über die Gemüsebeete warfen? Die Sonne funkelte durch den hohen Zaun, und die Luft war still von Vogelsang. Morgen sollte sie den Tag fern von diesem stillen Revier sich neigen sehen, und wenn sie wiederkam, lag Schnee auf den Beeten, und die Bäume hatten Laub und Frucht zumal hergeben müssen. Und der Student, der neben ihr ging und mit ihrem Sonnenschirm tiefe Löcher in die Erde stieß, wußte das. Er hatte den gepackten Reisewagen im Hofe stehen und den Friedrich seinen Mantelsack auf den Bedientensitz festschnallen sehn. Wenn Menschen abreisen, wer bürgt dafür, daß sie wiederkommen, oder doch wiederkommen, wie sie gegangen sind? Wie nützlich ist es also, vorher seinen letzten Willen auszutauschen, zumal wenn man gesonnen ist, mit Leib und Seele sich selbst einander zu vermachen! Und wenn er gewußt hätte, wie hoch es ihr anzurechnen war, daß sie in diesen entlegneren Theil des Gartens ihre Schritte gelenkt hatte! Sie zürnte im Gehen mit sich, daß sie ihm so weit entgegen gekommen war. Aber nun auch kein Haarbreit weiter, nun sollte und mußte er das Uebrige thun, oder sie konnte sich's nimmermehr vergeben, was sie bereits gethan, ihm die Zunge zu lösen. Denn dieses siebzehnjährige Köpfchen hatte einen gewaltig hohen Begriff von der Würde seines Geschlechts, und wenn der gute Jüngling neben ihr vor Stummheit und Respect des Todes verblichen wäre, sie wäre ihm durchaus nicht zu Hülfe gekommen. War es hier nicht einsam genug, und die Sonne ihnen im Rücken, und der Küchengarten sonst niemals ihr Spaziergang gewesen? Und stand zu allem Uebrigen nicht der Reisewagen im Hof?
Aber denken sollte er durchaus nicht, daß sie dies veranstaltet habe, seinetwegen. Sie redete eifrig von der Reise, sie freute sich, einen ganzen Haufen von Vettern zu sehen, und beschrieb jeden einzeln und lachte über jeden, und schon standen sie am letzten Ende des Wegs und blickten über den Zaun, und er wurde immer einsilbiger. Jetzt schwieg er ganz, und auch sie schwieg; es wallte und wogte in ihr von niedergekämpften Thränen der Aufregung, des Zorns, der Leidenschaft und Beschämung zugleich. Da plötzlich wandte sie sich um, über und über glühend, und sagte: Wir wollen zurückgehen. Geben Sie mir den Schirm, Sie werden ihn noch zerbrechen, und er soll mit auf die Reise. Wir wollen rascher gehen, ich habe noch so viel zu packen. Wissen Sie, daß mir davor graut, wie ich indessen in meiner Bildung zurückkommen werde? Die englischen Könige, die Sie mir aus dem Shakespeare so schön eingeprägt haben, werden mir schwerlich im Kopf bleiben. Es ist Schade drum, aber was soll ich machen? Meine Vettern sind schlechtere Pädagogen als Sie. Wenn ich wiederkomme – aber wer weiß, ob die Tante mich nicht den Winter über bei sich fest hält? Nun denn, so dauert es vielleicht Jahr und Tag, bis Sie mich einmal überhören können, und wenn ich schlecht bestehe, so entschuldigt mich die lange Zeit.
Es dauerte länger als Jahr und Tag. Als am andern Morgen der Reisewagen vor dem Hause stand und sie schon eingestiegen waren, trat er noch einmal an den Wagenschlag. Er reichte einen Blumenstrauß hinein – die Mutter nahm ihn mit freundlichem Dank. Eugenie nickte ihm heiter zu und gab ihm ihre Hand, im Handschuh. Hinter dem Schleier sah er nicht die Blässe ihres Gesichts und die gerötheten Augenlider. Dann schloß er die Wagenthür und zog den Hut. Der Friedrich auf dem Bedientensitz sah noch einmal nach ihm um, als der Wagen schon davon rollte, und in seinem ehrlichen Gesicht leuchtete etwas wie das Mitleiden eines Glücklichen mit einem zurückgesetzten Rivalen.
Das war im Herbst gewesen. Als sie im tiefen Winter zurückkehrten, hatte er inzwischen die Stadt verlassen müssen, um an einem kleinen Gericht in der Provinz zu arbeiten. Erst im Sommer konnte er wieder die wohlbekannte Glocke an der Gartenpforte ziehen. Man sagte ihm, daß Besuch im Hause sei, die Vettern und andere Fremde. Er bestellte, daß er wiederkommen werde. Aber der kalte Gruß der Mutter, die ihm Tags darauf auf der Straße begegnete, ließ ihn fühlen, daß er es nicht finden würde, wie er es wünschte, und er kam nicht wieder.
Ob man ihn dennoch vermißte? Wer konnte die Schrift enträthseln, die auf Eugeniens blasser Stirn geschrieben stand, als sie drei Jahre später dem Manne, den ihr die Mutter gewählt, die Hand reichte? Doch jetzt, da sie über die Zeilen des Briefes hinweg in die Vergangenheit blickte, klangen ihr die Worte eines nachdenklichen Liedchens durch die Seele:
Ich hätte können glücklicher sein,
Und glücklicher machen! –
Da erscholl ein rascher Hufschlag unten auf der Straße, und sie flog zum Fenster. Ein Reiter sprengte auf einem schönen Araber-Schimmel durch den Nebel, der hinter ihm wieder zusammenschlug, und Wolken dampften aus den athmenden Nüstern des Thieres. Ihr Blick hing mit unruhigem Feuer an der stolzen, männlichen Gestalt, die das lebhafte Pferd ohne Mühe bändigte. Welch ein Abstand zwischen dieser ritterlichen Sicherheit und der weichen, sinnenden Jünglings-Erscheinung! Und doch hatte sie gleich erkannt, daß der innerste Kern nur entfaltet, nicht verwandelt worden war. Ob er sich wirklich der alten Scheu entschlagen und ein Wort gesprochen hat, das ihn bindet? Sie zitterte, es zu denken. Nun vernahm sie sein Kommen die Treppe herauf, und die alte Gewohnheit der Herrschaft über ihr Gemüth blieb ihr auch diesmal treu. Als die Thür sich öffnete und Valentin hereintrat, waren ihre Züge ruhig, so laut ihr Herz klopfte.
Sie kam ihm freundlich entgegen und reichte ihm die Hand. Guten Morgen, sagte sie. Schön, daß Sie Wort halten. Der triumphirende Hufschlag Ihres Rosses hat mir schon verrathen, daß Sie als Sieger zurückkommen.
Eugenie! erwiederte er, Sie müssen mir's wahrlich anrechnen, daß ich mich vor Ihnen sehen lasse, obwohl ich sicher bin, mit dem schönsten Spott von Ihnen empfangen zu werden. Der ganze Gewinn des gestrigen Tages ist der Gaul unten, den ich baar bezahlt, und dieser Apfel, den ich gestohlen habe. – Er legte einen schönen, wachsbleichen Apfel auf den Tisch und warf sich ohne Weiteres in einen Sessel. Eugenie stand lächelnd vor ihm.
Ich finde diese Ausbeute Ihres Feldzugs nicht so verächtlich, sprach sie. Von Pferden verstehe ich freilich nichts, aber da Sie diesen schönen Apfel ohne Zweifel Ihrer Auserwählten entwendet haben –
Wenn ich schon so weit hielte, warf er unmuthig ein, so wäre mir für das Weitere nicht bange. Doch irren Sie gänzlich, wenn Sie mich in Ihren Gedanken wieder eines Mangels an Muth anklagen. Diesmal war mir ganz im Gegentheil der Ueberfluß an Muth hinderlich. Auf mein Wort, es hätte mich nicht das Geringste gekostet, allen Dreien hinter einander meine Liebe zu erklären.
Da hätten Sie ein schönes Unglück anrichten können.
Ich habe es erwartet, daß Sie nichts als ein ironisches Mitleid mit mir haben würden. Und doch – Sie sehen, wie ernstlich ich in Verlegenheit bin – komme ich zu Ihnen und will hier Rath und Hülfe holen.
Sie versprechen sich mehr von mir, als ich mit dem besten Willen werde halten können.
Sie können, Eugenie; hören Sie nur, um was es sich handelt. Ich war also mit unserm Freunde draußen, einen ganzen Tag, immer in ihrer Gesellschaft.
Das ist wenig und viel, wie man's nehmen will.
Sie haben Recht. Es ist genug, um sich der Reihe nach in alle drei Schwestern zu verlieben, und viel zu kurze Zeit, um Einer den Vorzug zu geben. Man müßte geradezu das ganze Nest auf einmal ausnehmen.
So unflügge sind die Vögelchen, daß sie sich's gefallen ließen?
Ehrlich gejagt, daran habe ich nicht einmal gedacht. Für mich ist zunächst die Hauptsache, in einen rechten Rausch für Eine hineinzukommen, daß ich die beiden Andern gar nicht mehr auf der Welt glaube. Und das hält schwer, beste Freundin, schwer bei einem so alten Menschen, wie ich bin.
Sind denn alle Drei so völlig gleich unwiderstehlich?
Alle Drei zum Küssen, und eine Jede auf so eigne Art, daß man meint, man könne mit Einer allein nicht zufrieden sein, wenn man die Andere daneben sieht.
Sie berichten mir viel zu sehr in allgemeinen überschwänglichen Ausdrücken. Ich wünsche alles haarklein und hübsch in der Ordnung zu erfahren. Also erst die Blonde, dann die Braune, dann die Schwarzlockige. Oder wie folgen sie im Alter auf einander?
Ich weiß nicht.
So gehen wir der Größe nach und fangen bei der Kleinsten an. Ist es die Braune?
Ich weiß wirklich nicht.
Sie scheinen Ihre Zeit schlecht benutzt zu haben. Oder war die dreifache Bezauberung gleich von vornherein so stark, daß Ihre Sinne Sie im Stiche ließen?
Einen hohen Grad von Zurechnungsfähigkeit darf ich mir allerdings nicht nachrühmen, erwiederte er lachend. Ich entsinne mich kaum einer so fatalen Empfindung, als die war, mit der ich hinausfuhr. Zum Zahnarzt zu müssen, ist ein Fest dagegen. Mehrmals war ich drauf und dran, zum Kutschenfenster hinaus zu entspringen. Aber die Pferde meines Herrn Vetters hätten mich bald wieder eingeholt, und ich wäre mit Schimpf und Schande dennoch meinem Dämon ausgeliefert worden. Denn so sanftmüthig unser Freund im Uebrigen ist, in diesem Punkt kennt er keine Gnade. Ich also, mir Muth zu machen, denke an alles Schlimme, was mir schon im Leben über den Hals gekommen, und sage mir zum Troste vor: es geht eben in Einem hin. Endlich kommen wir an. Ich hatte die Bedingung gestellt, daß der Vetter weder den alten Herrn noch die Tochter das Geringste merken lassen dürfe. Und so war denn auch der Doctor nicht gleich zu Hause, dagegen meine drei Schicksalsschwestern, in den saubersten Kleidchen, frisch und allerliebst wie drei Moosrosen an Einem Stiel. Nein, in der That, Frau Eugenie, völlig auserlesene Grazien, und nichts weniger als kleinstädtisch zugeschnitten. Ich konnte mich nicht satt sehen.
Der Anfang verspricht etwas.
Sie lassen alle Drei ihre häuslichen Geschäfte stehen und liegen, laufen auf den Vetter zu, und das liebenswürdigste Terzett lustiger Mädchenstimmen schwirrt durch einander. Ich wurde natürlich, was Worte und Blicke betrifft, zunächst mit einem Pflichttheil abgefertigt, und war es ganz zufrieden, da ich um so ungestörter beobachten konnte. Gleich im Hereintreten, als die Schwarzlockige von ihrer Näharbeit mit so großen Augen aufsah, sagte ich zu mir selbst: Die ist es! – Ich habe immer schwarze Haare vorgezogen. Aber gleich machte mich die Blonde irre, die ein Lachen hat wie ein Vogel und eine Haut wie Kirschenblüthe. Da tritt aus dem Nebenzimmer die Braune herein und ist nun gar die Anmuth und Bescheidenheit selbst. Sie können denken, daß ich unter solchen Umständen eine sehr geistreiche Miene machte. Indessen war ich bald auf dem besten Fuß mit allen dreien, und als sie uns in den Stall hinuntergeführt hatten, um mir den Schimmel zu zeigen, nehme ich mir's sogar heraus, die Blonde auf das Pferd zu heben und sie im Hof ein wenig herumzuführen.
Die Blonde also?
Nur weil sie die Uebermüthigste war und mit dem schönen Thier am vertrautesten umging. Sie saß da oben mit übereinandergeschlagenen Armen, wie auf ihrem Sopha. Die Braune dagegen klammerte sich in reizender Aengstlichkeit an der Mähne fest und –
So haben alle Drei sich Ihnen zu Pferde zeigen müssen? Sie mußten freilich wissen, wie viel Ihre Zukünftige wiegt.
Nein, sagte er, die Schwarzlockige bestand die Probe nicht mit. Der Herr Papa kam dazu, und nach den ersten Begrüßungen jagte er die Mädchen vom Hof, für das Mittagessen zu sorgen. Dann brachten wir Männer den Handel bald ins Reine und besiegelten ihn hernach mit einer Flasche vortrefflichen Heilbronner Weins. Der Doctor gefiel mir. Er ist gerade so ein Mann, wie man ihn zum Schwiegervater wünscht, überdies ein Jäger, eine Autorität in der Pferdekunde und der erste Schachspieler auf zwanzig Stunden im Umkreis.
Da werden Ihrer künftigen Frau die Abende recht unterhaltend vergehen.
Wenn es überhaupt so weit kommt. Aber wie gesagt, ich habe meine Zeit und die beste Gelegenheit schändlich verloren. Nachmittags machten wir einen Spaziergang durch die Stadt nach dem alten Schloß, wo der vorige König seine Feste gab. Unter dem jetzigen Herrn ist es ganz verödet, und der Platz, wo sonst die Orangenbäume standen, in einen Obstgarten verwandelt worden. Es war ein lachender Anblick, unter den Bäumen auf dem grünen Rasen die großen Haufen der herrlichsten Aepfel und Birnen sorgfältig sortirt bei einander zu sehen, und ein Duft lag über der Wiese verbreitet, wie ich nichts Erquicklicheres kenne. Da gingen wir denn vorbei, die Schwestern in leichten Hütchen voran, alle gleich gekleidet, wir drei hinter ihnen. Und wie ich sie mir so ansehe, fällt mir ein, wie ähnlich meine Lage der jenes Prinzen sei, der seines Vaters Heerden hütete und plötzlich zwischen drei Göttinnen den Preis der Schönheit vergeben sollte.
Und Sie eigneten sich diesen Apfel zu, damit er Ihnen in ähnlicher Weise symbolisch aus der Verlegenheit helfen möchte?
Allerdings. Ich steckte ihn unbemerkt ein. Und als wir uns tiefer in den alten Park verirrt hatten, und auf den schmaleren Wegen bald die Eine, bald die Andere der Schwestern allein an meiner Seite ging, fühlte ich manchmal schon heimlich nach meinem Apfel, wenn ich mich gerade zu überzeugen glaubte, diese und keine sonst sei die Rechte. Dann brauchte nur eine von den andern sich umzudrehen, oder ein Wort, ein Lachen an mein Ohr zu schlagen, und der Apfel blieb wieder in seinen Versteck. Und so habe ich ihn denn richtig von dannen getragen, ohne ihn los zu werden. Ist es nicht zum Verzweifeln, Eugenie? Als ich verliebt war, fehlte mir der Muth, und nun ich Muth habe, fehlt die Liebe.
Sie müssen nicht gleich verzagen, armer Freund, sagte sie treuherzig. Für den Anfang haben Sie sich schon ganz brav gehalten, und so wenig Rom an Einem Tage gebaut worden ist, so wenig werden Sie Ihr eigen Haus in so kurzer Zeit aufrichten. Ist Ihnen denn der Name einer Jeden gleich lieb? Ich halte viel auf Namen und begreife jenen Dauphin, der keine Urraca zur Frau nehmen wollte.
Da ist auch keine Hülfe zu holen, entgegnete er mit bekümmerter Miene. Anna, Clara, Maria – alle Drei wären mir recht. Nein, meine beste Freundin, ich hoffe jetzt nur auf Sie.
Auf mich? Ich vermag nicht entfernt zu errathen, worin ich Ihnen in einem so verwickelten Falle nützlich sein kann.
Es ist allerdings ein rechter Freundschaftsdienst, den ich Ihnen zumute, sagte er mit einigem Zögern. Er war aufgestanden und hatte den Apfel in die Hand genommen. Ein paar Mal warf er ihn empor, fing ihn wieder und legte ihn dann auf den Tisch zurück. Sehen Sie, fuhr er fort, als ich heut früh nach einer sehr unruhigen Nacht mein Pferd bestieg – der Vetter war schon am Abend zurückgefahren – und durch den Nebel und Morgenreif dahinritt, kam es mir, wie eigen sich das Alles gemacht hat. Gerade vor der wichtigsten Entscheidung meines Lebens muß ich Ihnen wieder begegnen, der Einzigen, die mich wirklich kennt, und der ich, was etwa noch an der vollen Bekanntschaft fehlte, recht vom Herzen weg beichten durfte. Ich dachte an Ihre Güte und auch an alles Böse, was Sie mir zugefügt, und daß Sie wirklich noch in meiner Schuld sind und sich nicht weigern können, für alle Nöthe und Entbehrungen mir einigen Ersatz zu verschaffen. Was ich sonst wohl noch dachte, Eugenie, – gehört nicht hieher. Und so reifte in mir ein ganz kluger Plan, den Sie mir nicht zerstören dürfen.
Lassen Sie hören! sagte sie zerstreut.
Wie wär's, wenn Sie sich gleich jetzt mit mir in einen Wagen setzten, und wir führen geradeweges nach L.? Ich bringe Sie zum Doctor, und Sie sehen alle Drei neben einander. Welcher Sie dann den Apfel geben, die soll es sein, und ich gelobe hiermit feierlich, nicht den leisesten Einspruch zu erheben.
Eine solche Vollmacht ist zu groß, um sie zu geben und anzunehmen.
Warum? Ich getraue mir, mit jeder glücklich zu werden, und wenn es mir nicht frevelhaft schiene, würde ich einfach die Namen in meinen Hut werfen und mit abgewandten Augen mein Loos ziehen. Ein großes ist es nicht und kann es nicht mehr werden, – dazu müßte manches anders sein. Aber eine Niete zög' ich keinenfalls. Wenn ich mir nun den Rath meiner Jugendfreundin erbitte, in der festen Zuversicht, daß einer klugen Frau so ein Mädchenwesen durchschaubarer ist, als unsereinem, – wo wäre da die Gefahr und die Schwere der Verantwortung?
Und wenn ich mich entschlösse, Ihnen Ihren abenteuerlichen Wunsch zu erfüllen, unter welchem Vorwande wollen Sie mich in dem fremden Hause einführen?
Ich habe auch das schon bedacht, warf er unbefangen hin und schlug mit der Reitgerte gegen die bunten Muster des Fußteppichs. Ich stelle Sie den Leutchen als meine Braut vor. Sehen Sie, so kommen wir am sichersten zum Zweck. Denn ein Mädchen, das unschuldigste und absichtsloseste, – einem ledigen Manne gegenüber kehrt es doch immer die beste Seite heraus. Evastöchter sind sie alle. Komm' ich dagegen »versorgt und aufgehoben« zu ihnen zurück, so werde ich leicht erkennen, welche von den Schwestern Tags zuvor ein wenig Komödie gespielt, vielleicht gar, ob eine von ihnen schon im Stillen Beschlag auf mich gelegt hat. Die Ueberraschung läßt die wahre Natur zum Vorschein kommen.
Er sah Eugenie an, die mit der Miene ruhiger Ueberlegung vor ihm stand. Sie hatte ihn ausreden lassen, schüttelte aber jetzt den Kopf. Denken Sie auf etwas Anderes, Valentin. In diesen Vorschlag kann ich nicht willigen.
Er ist so unverfänglich!
Mag sein. Aber ich fühle mich weder gestimmt noch geschickt, diese Rolle täuschend durchzuführen, und wenn ich die Maske unzeitig fallen ließe, wäre die Verlegenheit für Sie nicht kleiner, als für mich.
So willigen Sie ein, meine Schwester zu heißen.
Sie besann sich. Wenn ich es thue, sagte sie endlich, so geschieht es nur, um Ihnen zu beweisen, daß ich Ihnen nichts helfen kann. Was eine alte Frau an einem Mädchen liebenswürdig oder zu tadeln findet, sind so ganz andere Dinge, als woran den Männern liegt. Ein wenig spricht auch die Neugier mit, und nicht zum wenigsten die Furcht vor Ihrem Vetter, der es mir nie verzeihen würde, wenn er hörte, daß ich seinen menschenfreundlichen Plan mit Ihnen nicht auf alle Weise gefördert hätte.
Ich danke Ihnen, rief er fröhlich aus und nahm ihre Hand, die er küßte. Nun bin ich aller Sorge ledig. O, es ist doch die höchste Himmelsgabe, treue Freundschaft zu finden! Lassen Sie mich nur gleich zum Wirth hinunter, den Wagen zu bestellen.
Noch einen kleinen Aufschub, sprach sie lächelnd, müssen sich die Flügel an Ihren Freiersfüßen gefallen lassen. Oder muthen Sie mir zu, die Rolle, die Sie mir aufgedrungen, im Morgenanzug, mit unfrisirtem Haar zu spielen?
Wahrhaftig, erwiederte er, das sehe ich erst jetzt. Wissen Sie, daß Sie nur dreist so mitfahren sollten, wie sie gehen und stehen? Die Haare, so unter das Häubchen zurückgestrichen, lassen Ihre schönen Schläfen frei, und nun sehe ich auch die mutwilligen Löckchen im Nacken, in denen einst meine arme Seele gefangen war, wie ein zappelnder Fisch im Netz.
Sie hob drohend den Finger und sagte, das Gesicht mit plötzlicher Glut übergossen: Nehmen Sie sich in Acht, ich verrathe alles Ihrer Zukünftigen. Uebrigens muß man es Ihnen in Ihrem dreifachen Brautstande zu Gute halten, daß Sie keine Augen haben für die Toilette einer alten Freundin. Vertreiben Sie sich inzwischen die Zeit, da sind Bücher. Ich bin sogleich wieder bei Ihnen.
Sie ging rasch ins Nebenzimmer und schloß die Thür hinter sich zu. Nun stand er am Tische, auf dem der Apfel lag, und sah ihn erst eine Weile tiefsinnig an. Dann gab er ihm einen unwilligen Stoß, daß er über den Rand des Tisches flog und auf dem Teppich fortrollte. Er seufzte, und wie um sich selbst zu ermuntern, schlug er sich mit der Gerte in die Hand, bis sie ihn schmerzte. Mechanisch griff er nach einem der Bücher in der Sophaecke. Es waren Mörike's Gedichte und sie bewährten auch diesmal ihren Zauber. Er vergaß, wo er war, und vertiefte sich, von Blatt zu Blatt fortgezogen, in die »Mondscheingärten einer einst heiligen Liebe«.
Da ging die Thür nach dem Corridor rasch auf, und ein Knabe von etwa zehn Jahren sprang ins Zimmer. Mutter, rief er, erlaubst du – – aber die Mutter ist ja nicht hier! unterbrach er sich selbst, und sah den Fremden verwundert mit hellen, scharfen Augen an.
Komm nur näher, mein Junge, sagte Valentin und reichte ihm die Hand hin. Deine Mutter ist im Nebenzimmer und kleidet sich an. Wie heißest du?
Fritz heiße ich.
Willst du mir keine Hand geben, Fritz?
Der Knabe zögerte. Wer sind Sie denn? fragte er halb verlegen, halb trotzig.
Ein alter Freund deiner Mutter. Du kannst mir schon die Hand geben, die Mutter hat nichts dagegen. So, das ist brav, mein Junge. Willst du mich einmal besuchen? Ich habe vier schöne Pferde. Und eine kleine Flinte schenke ich dir und nehme dich mit auf die Jagd, und wenn du deinen ersten Hasen geschossen hast, bringst du ihn der Mutter.
Die Augen des Knaben funkelten. Dann wurde er plötzlich nachdenklich und sagte: Ich käme gern zu Ihnen, aber ich muß in die Schule. Nur heute noch hab' ich frei, und eben fragten mich die beiden Söhne des Direktors, ob ich mit ihnen vor die Stadt will, einen Drachen steigen zu lassen.
So kommst du einmal in der Vacanz zu mir; willst du das, lieber Fritz?
Wenn es die Mutter erlaubt.
Frage sie nur, mein Junge! Und nicht wahr, wir wollen gute Freunde sein?
Der Knabe nickte. Valentin hob ihn auf und küßte ihn auf den Mund. Dann rief die Mutter nach ihm und ließ den Kleinen zu sich ein. Valentin hörte, wie er ihr alles mit Eifer wiedererzählte, was der fremde Mann mit ihm gesprochen. Er hat mir auch einen Kuß gegeben, sagte der Knabe; warum hat er mich gleich lieb, da er mich zum ersten Male sieht?
Sie sprachen noch eine Zeit lang leiser zusammen, dann entließ ihn die Mutter durch eine andere Thür. Valentin aber trat ans Fenster und sah ihn aus dem Hause kommen und sich zu zwei Kameraden gesellen, die unten auf ihn gewartet hatten. Das schlichte blonde Haar fiel ihm reich auf die Schultern herab, und unter dem dunkeln Mützenschirm leuchteten die reinen Kinderwangen. Und doch wollte dem Späher oben am Fenster das Herz nicht lachen bei diesem Anblick.
So fand ihn Eugenie, als sie reisefertig aus ihrem Zimmer trat. Eine schwarze Feder fiel von ihrem dunkelgrünen Hut herab, und der kurze graue Mantel umschloß eng ihre Schultern. Ich bin bereit, mein Freund, sagte sie. Lassen Sie uns in den Wagen steigen.
Er blickte verwirrt auf. In den Wagen? fragte er.
Den Sie ja längst bestellt haben werden.
In der That, meinte er, es ist noch nicht geschehen. Sie sind auch mit Ihrem Anzug so schnell gewesen.
Und Sie sind der erste Mann, der sich darüber beklagt! Nun denn, so muß ich dafür sorgen, daß wir in Bewegung kommen.
Sie klingelte und befahl, daß man anspannen solle. Während es geschah, verharrte Valentin in sich gekehrt am Fenster und studirte die Arabesken des Vorhangs. Er sah, daß sie den Apfel vom Teppich aufhob, und kam ihr nicht zuvor. Wissen Sie, sagte sie scherzend, daß man mit einer so schönen Frucht sorgfältiger umgehen muß? Der Apfel hat wirklich schon einen Flecken von dem unsanften Fall.
So wäre vielleicht das Beste, Frau Eugenie, man ließe ihn ganz aus dem Spiel. Ich spüre schon wieder dieselben Schauer, wie vor der gestrigen Fahrt. Warum muß es denn gerade in L. sein, wo ich mein Heil versuche? Warum denn bei einer von den drei Schwestern? Am Ende fände ich, was ich suche, näher.
Sie sollten sich Ihres Wankelsinns schämen, antwortete sie mit komischer Feierlichkeit. Ist das der Muth, mit dem Sie geprahlt haben? Seien Sie ein Mann, und stecken Sie den gestohlenen Apfel wieder ein! Die Sünde, daß Sie ihn entwendet haben, kann nur durch den größeren Raub am Herzen einer der drei Schwestern gesühnt werden. Ich höre den Wagen vorfahren; kommen Sie! Sie haben meine Neugier geweckt, und ich ruhe nun nicht, bis sie gestillt ist.
Als sie im Wagen saßen und schon außerhalb der Stadt auf der glatten Straße geräuschlos dahinrollten, brach Valentin zuerst das Schweigen. – Ich habe Ihren Knaben gesehen, Eugenie.
Sie müssen mir ihn loben, erwiederte sie rasch, denn ich bin eine sehr eitle Mutter. Er gleicht auffallend seinem Vater.
Ich dachte mir's wohl, denn das Gesicht war mir fremd. Nur ihren Mund erkannt' ich wieder, Eugenie, Ihren Mund ganz und gar.
Sie wandte sich ab und sah zum Wagenschlag hinaus. Die Gegend zog sich in ein enges Thal zusammen, und zu beiden Seiten stiegen die Weinberge hinauf. Nun hatte sich der Nebel völlig verduftet, und auf den feuchten Ranken und Blättern blitzte die reine Sonne. Dazu rauschte der Fluß unter Weiden und Erlen, und kleine Kähne glitten talabwärts vorüber.
Nichts erfrischender und aufheiternder, als eine Lustfahrt unter klarem Herbsthimmel. Auch Valentin empfand es und nahm den abgerissenen Faden des Gesprächs wieder auf. Nach der Mutter fragte er zunächst. Dann fing Eugenie selber an, von ihrem Manne zu sprechen. Sie wären sein Freund geworden, Valentin, sagte sie ernsthaft. Er war ein trefflicher Mann, ein tapferer Offizier und von einem schlichten Gefühl für alles Schöne und Beste im Menschenleben beseelt. Fremde Menschen nannten ihn kühl; aber er trug einen Schatz voll edler Wärme in sich, der seinen Nächsten, seinem Haus, seinen Freunden zu Gute kam. Meine Mutter trauert noch heut um ihn, fast wie um meinen Vater selbst. Ich hoffe, der Fritz soll zu seinem Ebenbilde aufwachsen.
Valentin schwieg lange. Endlich fragte er, ohne sie anzusehen: Und Sie haben, seitdem Sie Wittwe geworden, keinen neuen Bewerbungen Gehör geben wollen, an denen es ohne Zweifel nicht gefehlt hat?
Nein, mein Freund, erwiederte sie gleichmüthig, Leidenschaft ließ mich frei, und eine Ehe aus Achtung – es ist immer ein besonderer Glücksfall, wenn man sie nicht zu bereuen hat.
Sie bogen in diesem Augenblick um eine Krümmung des Thals, und der plötzlich verwandelte Anblick unterbrach das Gespräch. Zur Linken, wo hinter dem Fluß die Rebenhügel im Bogen zurücktraten, lag ein freundliches Städtchen, dessen Fleiß die dampfenden Schornsteine vieler Fabriken und das Rauschen und Klappern der Wasserwerke bezeugten. Eine stattliche Steinbrücke überwölbte den Fluß. Ueber den hochgiebligen Häusern aber stieg der schlanke Bau einer gotischen Kirche empor, und die feindurchbrochene Spitze mit der Kreuzblume stand luftig in der sonnigen Bläue, von Taubenschwärmen umflogen.
Das ist E., sagte der Kutscher, und deutete mit der Peitsche hinüber, während er einen Augenblick die Pferde anhielt. – Fahrt nur über die Brücke, guter Freund! rief ihm Valentin zu. Wir wollen nicht vorbei, eh wir den schönen Dom genauer betrachtet haben.
Eugenie sah ihn fragend an.
Lassen Sie mich machen, beste Freundin, fuhr Valentin fort. Wir kommen immer noch früh genug zu unserm Doktor. Ich dächte, wir rasteten hier ein wenig, bestiegen den Thurm, und äßen hernach im Städtchen zu Mittag, um nicht wieder meinem zukünftigen Schwiegerpapa in die Suppe zu fallen. Wir haben Mondschein, und die Rückfahrt, wenn sie sich auch ein wenig verzögert, wird darum nicht weniger gut von Statten gehen.
Sei es denn! sagte sie. Nur bedinge ich mir aus, daß es bei unserer ersten Verabredung bleibt und mein tapfrer Ritter nicht etwa Vorwände sucht, den Apfel auch heute noch in der Tasche zu behalten.
Er gelobte es lachend bei seiner Ritterehre.
Am Dom stiegen sie aus und ließen sich das uralte Portal öffnen. Die graue Schließerin führte sie langsam in den hohen Schiffen herum, hustend und keuchend. Für Eure Jahre taugt die Kirchenluft schlecht, Mütterchen, sagte Valentin. Habt Ihr nicht ein Enkelkind, das die Fremden führen kann? Ihr solltet Euch draußen in die Sonne setzen; wir finden uns schon allein zurecht.
Unten in der Kirche thut's schon noch, versetzte die Alte. Aber freilich, die vielen Staffeln hinauf in den Thurm schlepp' ich mich nimmer mit. Wenn die Herrschaften hinauf wollen, Sie können nicht fehlen, Treppe stößt an Treppe bis in die oberste Gallerie, wo einem der Schwindel kommt.
Valentin sah Eugenie an. Wir steigen doch hinauf? – Sie nickte. Durch ein Steinpförtchen, das zwei in die Ecken gemeißelte Drachen hüteten, betraten sie den Thurm und ließen die Führerin zurück. Hier waren sie von allem Glanz und der gelinden Wärme der Herbstsonne völlig geschieden, und die kühle Dämmerung, die sie umfing, machte sie schweigsam. Er mußte, während sie die gewundene Treppe betraten, wie gebannt immer nur auf die kleinen Füße sehen, die hurtig voranstiegen. Ihm war, als habe er überall hin zu folgen, wohin diese Füßchen wandelten, und wenn es ihnen auch beliebte, steilauf das hohe Dach zu erklimmen, das hie und da durch die Luken zu sehen war. Unwillkürlich seufzte er auf. Sie stand auf einem Treppenabsatz still und sah heiter nach ihm um. Sie verlieren den Athem, mein Freund, sagte sie.
Mir ist im Gegentheil, als hätte ich dessen zu viel, erwiederte er.
Seien Sie sparsam damit; mich dünkt, wir werden ihn noch brauchen. Sehn Sie, wie hoch wir schon über der Welt stehn und noch ist das Kranzgesims der Schiffe über unsern Häuptern.
Ich glaube im Ernst, Eugenie, Sie führen mich geradeswegs in den Himmel hinein.
Gemach, scherzte sie, erst müssen Sie ihn verdienen.
Und wenn ich nun ihn zu stürmen gesonnen wäre?
Wir wollen abwarten, ob Sie so schwindelfrei sind, wie man zu solchem Titanenwerk sein muß. Gehen Sie jetzt lieber voran! Die Treppe wird enger, und ich verliere den Muth, wenn ich nicht Jemand vor mir sehe.
Gehorsam that er, was sie wünschte, und stieg gedankenvoll die Stufen hinauf. – Er hatte nicht das Herz nach ihr umzublicken, die schwebend hinter ihm blieb. Nur das Rauschen ihrer Kleidung entlang der Mauer sagte ihm, daß sie ihm folgte. So erreichten sie die erste Gallerie des Thurms, die um den Fuß der durchbrochenen Spitze herumlief, und traten ins Innere derselben. Noch nicht Rast machen! sagte sie. Ich sehe nicht eher hinunter, als bis wir ganz oben sind. Hinauf darf man wohl staunen. Wie eigen uns hier das luftige, spitze Steingezelt von allen Seiten einschließt, eine kühle Sommerwohnung! Schade, daß die hölzerne Säule, die das oberste Treppchen dort verkleidet, den Innenraum verstellt und die ganze Wirkung der schönen Steinrosetten stört. Aber ohne sie kämen wir freilich nicht so dicht unter den Thurmgipfel. Wohlan denn, dringen wir bis ans Ende durch.
Bald standen sie in der freien Höhe aufatmend neben einander, und der Blick versank nun mit frohem Grausen in die unermeßliche Tiefe. Die hunderte von Zackenpyramiden und Fialen starrten herauf, darunter die Dächer der Stadt mit unzähligen Schornsteinen, der reinliche Marktplatz mit dem Rathhause im abenteuerlichsten Zopfstil, das Gewimmel der Menschen in den Gassen, alles lautlos, klein und fremd, wie in einem Zwergenmärchen. Dahinter sonnte sich die Silberschlange des Flusses, behaglich mit den Wellen wie mit Schuppen glitzernd, in der grauen Thalflur, und über den Rebenhügeln tauchten blaue Höhenzüge empor, mit scharfen, wolkenlosen Umrissen.
Sie lehnten neben einander an der Steinbrüstung, und er sah ihr Gesicht im klaren Profil der Sonne ausgesetzt, vor der sie es nicht zu schützen suchte. Nur die Augen hatte sie gesenkt. Der lebhafte Wind zauste ihr das reiche Haar, lös'te einen leichten Streifen und peitschte damit die Wange Valentins. Sie bemerkte es nicht; mit geöffneten Lippen sog sie den frischen Hauch in sich ein, die feinen Nasenflügel athmeten zitternd, und das Blut lief rascher in den zarten Adern.
Wird man nicht für seine Mühe belohnt? sprach sie. Herrlich ist es hier. Und wie lieb einem die Welt und die Menschen werden, je weiter man sich von ihnen trennt. Ich kann mir denken, daß ein rechter Menschenfeind, der aus Haß und Groll gegen das Leben einen Thurm ersteigt, um sich von der Höhe hinunterzustürzen, auf einmal völlig verwandelt und liebevoll wird, wenn er unten in der Enge bei einander die hundert bescheidenen Dächer sieht, unter denen Tausende in Sorgen und Mühen das Dasein ertragen und es auch erträglich finden, wenn sie nur dann und wann nach dem Himmel und der Sonne und dem goldenen Kreuz auf dem Thurme hinaufblicken.
Es liegt eine reinigende Kraft in der Luft der Höhe, antwortete er leise. Der enge Druck der täglichen Rücksichten und Gewohnheiten läßt uns frei, wir dünken uns unserm Schöpfer näher gerückt, wahrlich dazu berufen, das Leben zu beherrschen, wie wir mit Einem Blick umspannen, was da unten zu unsern Füßen sich ausbreitet. Der Zaghafteste fühlt hier seiner Seele Flügel wachsen, und was man unten in der Armseligkeit und dem Lärm des Alltags niemals zu denken wagte, tritt hier von selbst aus dem Herzen auf die Zunge.
Hörner- und Flötenmusik erscholl plötzlich vom Städtchen herauf, und man sah einen Zug Spielleute, denen ein Menschenschwarm in feierlichem Schritt folgte, aus einer Gasse herauskommen und über den Markt ziehen. Die Sonne blitzte auf dem gelben Metall, und die Leute trugen Sträuße am Hut.
Eine Hochzeit, sagte Valentin.
Wo ist die Braut? warf Eugenie ein. Ich denke, es ist eine von den Gesellschaften, wie sie jetzt täglich mit Sang und Klang in die Weinberge ziehen, die Lese zu feiern. Aber Sie erinnern zur rechten Zeit an Hochzeiten. Steigen wir wieder hinunter und denken an das große Ziel des Tages!
Er schien es zu überhören. Eugenie, sprach er, wenn ich vor vierzehn Jahren hier neben Ihnen gestanden hätte, es wäre anders gekommen!
Ob es besser gekommen wäre? Ich habe nun einmal den Glauben, Alles, was kommt, sei gut und zu unserm Besten.
Er hatte den Apfel hervorgezogen und hielt ihn auf dem Sims der Steingallerie in der Hand. Glauben Sie das wirklich, Eugenie?
Wirklich.
Und wenn ich Ihnen damals gesagt hätte, was vorgestern Abend, der Himmel weiß wie, aus mir herausbrach, was hätten Sie geantwortet, Eugenie?
Das ist eine Gewissensfrage, mein Freund, versetzte sie mit leichtem Ton, wie man sie nicht einmal viele hundert Fuß über der bürgerlichen Welt so unvermuthet stellen darf. Ich müßte, um eine bündige und richtige Antwort darauf zu geben, im Buch meiner Erinnerungen einige Kapitel nachlesen, die ich lange nicht mehr durchblättert habe.
In der That, erwiederte er scharf und schmerzlich, diese Mühe kann ich Ihnen nicht zumuthen. Ueberdies wäre sie doch wohl vergebens, denn die Schrift wird erloschen sein. Ich vergaß, daß Sie eine Fortsetzung haben, wo bei mir nur leere Blätter sind.
Mit diesen Worten richtete er sich an der Brustwehr auf, und der Apfel, den er in der Hand gehalten, rollte, wie es schien aus Unbedacht, über den Sims. Er fiel hart auf die eckige Spitze eines der vielen Zackenthürmchen, die am Thurm emporstiegen, und die Stücke, in die er zersprang, fuhren in hohem Bogen in die Gasse nieder.
Was haben Sie gethan, Valentin? rief Eugenie. Wo stehlen wir nun so bald einen zweiten Apfel? Aber kommen Sie desto schneller hinunter; die Früchte, die hier oben zu brechen wären, sind von Stein.
Sie haben Recht, sie sind alle von Stein; ich war nicht darauf gefaßt, erwiederte er gleichgültig. Dann sprach er kein Wort mehr, bis sie wieder unten waren.
Aber die Verfinsterung, die sich über ihn gelagert hatte, hielt nicht Stand vor der unbefangenen Heiterkeit seiner Gefährtin. Schon auf dem Wege durch das Gewinkel der Gassen bis in das Wirtshaus, als sie langsam an seinem Arm dahinging, den Mantel wegen der Mittagssonne lose umgehängt, klärte sich seine Stirn wieder auf, und sie scherzten über den Duft des frischen Mostes, der ihnen überall aus Kellern, Höfen und selbst aus einer verfallenen Kirche entgegenströmte, und über die Reihen großer Bütten, durch welche sie sich oftmals durchzuwinden hatten.
Im Gasthof kamen sie zur Wirthstafel schon zu spät und setzten sich nun in dem großen Saal einsam an ein Tischchen, auf dem es an der besten Sorte des landüblichen Weins nicht fehlte. Aber sie bestand darauf, vom Heurigen zu kosten, der sie lange genug einladend von ferne angeduftet habe. Sie lobte das süße trübe Getränk.
Es gleicht ganz einer ersten Liebe, sagte Valentin. Aber Sie müssen doch auf Ihrer Hut sein, Eugenie, daß es Ihnen nicht ein wenig zu Kopf steigt.
In meinen Jahren hat es keine Gefahr, erwiederte sie lächelnd. Denn sehen Sie, ich habe schon ganz die Gewohnheit alter Frauen, nach Tisch ein Schläfchen zu machen. Das kommt mir heute gut zu Statten.
Als sie sich dann wirklich auf ein Zimmer zurückzog, blieb er im Saal allein, und der Wein leistete ihm eine tröstliche Gesellschaft. Die unruhige Bangigkeit des Vormittags ließ von ihm. Ueber das, was werden sollte, machte er sich durchaus keine Gedanken, und die Stimme eines guten Geistes sprach ihm heimlich zu, daß sein Schicksal in den Händen freundlicher Götter liege. Er sah umher, ob er unbelauscht sei, und trank dann rasch aus dem Glase Eugeniens, in dem frommen Aberglauben, dadurch ihre Gedanken zu errathen.
Als er dennoch ohne jede plötzliche Erleuchtung blieb, sagte er sich zum Trost, daß sie in diesem Augenblick ohne Zweifel schlafe und also an nichts denken könne. Er stellte sich jetzt ihr Bild vor, auf dem Sopha ausgestreckt, die kleinen Füße über einander geschlagen, das Gesicht auf die Schulter gesunken. Ein Gefühl freudigen Wohlseins durchzuckte ihn; es war ihm, als müsse er unverzüglich hinauf eilen, neben die Schlummernde niederknien und ihre Hand an seine Lippen drücken. Dann aber verwarf er den Gedanken wieder, zündete eine Cigarre an und erwartete geduldig ihr Erwachen.
Und es schien allerdings, als habe der süße Most seine Macht bewährt. Ueber eine Stunde währte es, bis die Thür des Saals sich wieder öffnete und der Harrende seine schöne Freundin hereintreten sah.
Guten Morgen! rief sie ihm entgegen. Wie lange habe ich geschlafen? Wahrhaftig, dieser junge Wein ist schon in der Wiege stark wie ein Gott, so unschuldige Miene er macht. Nun werden wir spät zu Ihren Schönen kommen.
Immer noch viel zu früh, versetzte er lachend.
Denken Sie daran, was Sie mir bei Ihrer Ritterehre gelobt haben, drohte sie, und sorgen Sie geschwind für unser Fortkommen. Welch eine gewissenlose Mutter ich bin! Anstatt den letzten Ferientag meines armen Jungen mit ihm zu theilen, fahre ich in die Welt hinein und mache die Bekanntschaft von alten Kirchen und neuem Wein!
So eifrig Valentin nun auch die Fahrt betrieb, es dämmerte doch schon, als sie endlich das Ziel ihres Tages auf der gelinden Anhöhe im Schritt erreichten. Langsam rasselte der Wagen über den schlechten Steindamm, und wieder hatte sich ein Nebel aufgemacht, die Gegend einzuspinnen. Valentin hob Eugenie aus dem Wagen, der am Wirtshaus still gehalten, und ging schweigsam die wenigen Straßen entlang neben ihr nach dem Hause des Doktors. Sie sah, daß er in nicht geringer Aufregung war, und hatte fast Mitleiden mit ihm. Aber schon erstiegen sie die Steintreppe an dem schmucken kleinen Haus, der Klopfer erklang, und alsbald öffnete ein untersetzter, wohlhäbiger Mann mit einer großen goldenen Brille die Hausthür.
Was tausend! rief der muntere kleine Herr und rückte die Brille. Was verhülft mir denn zu der unverhofften Freude, Sie so bald wieder zu begrüßen, mein Vortrefflichster? Will nicht hoffen, daß der Gaul – aber Sie kommen in Gesellschaft, wie ich jetzt erst sehe, und ich bin ungeschliffen genug, Sie nicht vor allen Dingen in mein Haus zu nöthigen. Sie müssen entschuldigen, schöne Dame, wir sind halbe Barbaren in unserm weltfremden kleinen Nest. Ich bitte gehorsamst, schenken Sie meinem schlechten Dach die Ehre. Nein, im Ernst, bester Freund, es ist doch nichts mit dem Almansor? – Und nun müssen Sie gerade mich allein im Hause finden, Gnädigste, meine Töchter werden sich nimmer zufrieden geben, daß sie gerade heut – aber ich werde nach ihnen schicken, auf der Stelle – ja Teufel, ich habe ja schon nach ihnen geschickt, und sie sollen jeden Augenblick zurückkommen. Hier zur Linken, wenn's gefällig ist; der Flur ist etwas dunkel; hier bitte ich hineinzuspazieren, meine sehr verehrten Gäste.
Sie folgten dem lebhaften Mann zu dem Zimmer, das er ihnen öffnete, und traten ein. Da stand ein Tisch mit vier Gedecken, einigen kalten Schüsseln und einer Flasche Most, und das letzte verglimmende Tageslicht sah zu den Fenstern herein. Sehen Sie, Verehrteste, das hat man von seinen Kindern. Da laufen sie davon und lassen den Papa auf sein Nachtessen warten. Nun wollen wir ihnen den Streich spielen und sie leere Schüsseln finden lassen, wenn sie heimkommen. Aber ich Armseligster, ich bedenke nicht, daß hier nicht aufgetischt ist, wie es sich für so werthen Besuch geziemte. Und nun ist die Magd nach den Kindern gelaufen, und ich habe niemand – aber ich bitte, wenigstens einen Sessel nicht zu verschmähen und es sich mit Hut und Mantel bequem zu machen – herzlich willkommen in L.! Und nun rücken Sie heraus mit der Sprache, Bester: dem Gaul ist doch nicht etwa –
Ich kann Sie völlig über unsern Freund beruhigen, bester Doktor, nahm Valentin das Wort. Seine herrlichen Eigenschaften strahlen erst recht in vollem Glanz, seit er Gnade gefunden hat vor den Augen meiner lieben Braut, die ich die Ehre habe Ihnen vorzustellen.
Eugenie verneigte sich vor dem versteinerten kleinen Hausherrn. Sie hatte ein Wort zu Valentin auf der Zunge, aber es blieb ungesagt, und nur ein kurzer Blick strafte ihn für den eigenmächtigen Vertragsbruch. Ob der Doktor dennoch an den gestrigen Besuch Gedanken geknüpft hatte, die über einen Pferdehandel hinausgingen? Er stammelte unter tiefen Verbeugungen seine Glückwünsche und den Dank gegen Valentin, daß er ihn dieser Ehre gewürdigt. Bald aber gewann er sein joviales Gleichgewicht wieder und sagte: Das heiße ich mir aber Heimtücke und falsche Freundschaft, Sie böser Mann! Wer hat gestern auf diesem selben Fleck so schlimm und schnöde gegen die Ehe gelästert, daß selbst einem alten Wittwer noch nachträglich angst und bange werden konnte? Und Tages darauf einem solch ein Bräutlein vorstellen, – freilich, es ist danach angethan, einen Heiden zu bekehren, – mit Verlaub, meine Gnädigste!
Valentin lachte. Nein, Doktor, sprach er, kein Anderer als Sie selbst hat mich auf dem Gewissen, wenn ich mit meiner gestrigen Ketzerei am Ende doch Recht behalte.
Ich? Sie haben Ihren Scherz mit mir.
In allem Ernst, Doktor, Sie selbst haben mir zu meiner Braut verholfen, oder doch wenigstens Ihr Almansor. Als ich heute mich mit dem edlen Thier vor dem Fenster meiner theuren Eugenie sehen ließ, schmolz ihr das Herz, und sie erklärte sich für besiegt. Kaum aber war ich wieder vom unverhofften Glück des Sieges zur Besinnung gekommen, so bestand ich darauf, daß wir keinem Menschen früher als Ihnen unsern Bund offenbaren sollten, und so stiegen wir in den Wagen und fuhren hieher, und nun lassen Sie sich umarmen von Ihrem überglücklichen und dankbaren Freunde.
Sehen Sie, rief der Doktor in höchstem Vergnügen aus, nun habe ich doch schon manchen Verdruß durch meine Pferdeleidenschaft erlebt, aber alles wird reichlich aufgewogen durch diesen Meisterstreich meines braven Almansor. Ja, schönstes Fräulein, Sie brauchen es dem Herrn Bräutigam nicht übelzunehmen, daß er Ihr Geheimniß ausgeplaudert hat. Ich schätze Sie nur um so höher, da Sie einen Begriff davon haben, daß ein Mann erst zu Pferde ein ganzer Mann ist. Nun lassen Sie mich nur sorgen. Ich habe überall mein Auge, das Ländchen auf und ab. Und wenn sich ein Rößlein irgendwo blicken läßt, das würdig wäre, an Almansors Seite zu galoppiren –
So ist es mein, Ihre Hand darauf, Doctor, und bei dem ersten Ausritt mit meiner Frau müssen Sie uns begleiten.
Topp! und der kleine Mann schlug schallend ein. Wo bleiben sie nur, rief er, die Wettermädel? Jetzt, wo Alles sich zu einer lustigen Feier des Verlöbnisses aufs schönste anläßt!
Sind Ihre Töchter in der Stadt irgendwo zum Besuch? fragte Eugenie.
Freilich, mein gnädiges Fräulein! In einen Herbst hat man sie geladen, eine Weinlese bei einem meiner alten Freunde, der auch Töchter hat. Und ich schätze, es ist noch auf ein Tänzlein abgesehen; aber ich habe feierlich mein Ansehen gebraucht und sie mir auf den Abend wieder heimbestellt, denn sie dürfen mir nie in der Lesezeit tanzen, sie haben noch jedesmal einen Schnupfen heimgebracht. Die gottlosen Dinger, nun geschieht es ihnen ganz recht, daß sie ungehorsam sind, nun kommen sie um den Besuch meiner verehrten – aber ich lasse sie dennoch holen, augenblicklich! He, Heinrich, rief er einem Knecht, den er durchs Fenster gesehen, lauf sogleich ins Kitzingers Garten, die Margret soll meine Töchter nach Hause holen. – Da sehen Sie, wandte er sich wieder zu dem Paar, das ohne sich anzublicken neben einander saß, so wenig Respect genießt ein Vater. Erziehen Sie Ihre Kinder besser. Ach wohl, als meine Frau noch am Leben war!
Eugenie erröthete und schwieg. Valentin aber rief: Behüte, bester Doktor! Sie dürfen Ihre Mädchen um unsertwillen nicht in ihrer Freude stören. Zwar habe ich meiner lieben Braut so viel von ihnen erzählt, daß sie L. nicht verlassen will, ehe sie Ihre drei schönen Töchter gesehen hat. Aber dazu ist morgen Zeit genug; denn der Mond, auf den ich für die Rückfahrt gerechnet hatte, bleibt, wie es scheint, dahinten, und man logirt vortrefflich bei Ihrem Kronenwirth.
Valentin! sagte die schöne Frau, Sie wissen, was Sie mir versprochen haben.
Nun hören Sie, Doktor, so werde ich an ein Versprechen gemahnt, und muß mich beklagen, Eugenie, daß du mir die deinigen nicht hältst! Hast du mir nicht wie billig angelobt, Du zu sagen, auch wenn wir noch nicht in aller Form uns die Brüderschaft zugetrunken haben?
Dafür kann Rath geschafft werden, rief der Hausherr. Auf dem Tische zwar steht nur Most, aber im Keller –
Sparet die Mühe, alter Freund. Ist der Most nicht so süß und undurchsichtig und berauschend, wie eine Jugendliebe? Und diese Frau, wie sie da vor Ihnen sitzt, Doktor, ist wahrhaftig mein Idol seit der Zeit, wo ich mit der Studentenmappe herumlief, und wenn das Leben uns inzwischen getrennt hat, alte Liebe rostet nicht, sagt das Volk, und Volkesstimme ist Gottesstimme. Und darum wollen wir in nichts Anderem als in Most das heilige Du besiegeln. Schenkt ein, Doktor!
Er war aufgesprungen und trat mit zwei gefüllten Gläsern wieder vor Eugenie hin. Sie saß über und über glühend auf dem Sopha und hatte die Augen gesenkt. Jungfräuliche Verwirrung lag auf ihren Lippen, sie versuchte zu sprechen, aber kein Wort gelang ihr. Mechanisch nahm sie das Glas. Er aber kniete vor ihr, schlang in guter Studentenweise seinen Arm durch den ihren und leerte das Glas. Auch sie nippte an dem ihren. Da warf er das seinige weg und küßte sie, die ihn nicht anzusehen wagte, auf den Mund.
So ist's recht, sagte der Doktor, und Ihr braucht nicht roth zu werden, schönste Braut, weil ich alter Knabe Zeuge bei dieser feierlichen Handlung war. Und das bitt' ich mir überdies aus, daß ich für meine guten Dienste zur Hochzeit geladen werde.
Valentin nickte still und stand eine Weile schweigend vor Eugenien, den Blick auf ihre Stirn gesenkt. Lieber Doctor, sprach er dann, Ihr müßt mit uns närrischen Leuten Nachsicht haben. Es ist keine Kleinigkeit, so kurz verlobt zu sein, wie wir Beiden. Sehet, diese meine liebe Geliebte da, wie hat sie mich mit ihren Schelmereien und bösen kühlen Redensarten so meisterlich geplagt, daß ich wie ein rechter Knabe stumm und tölpisch wurde; zuerst vor langen Jahren in ihrer Mutter Haus, wo ich zuweilen meinte, ich müßte geradezu ins Wasser springen, um meine Wunden zu kühlen, und wieder jetzt, da wir uns nach langer Trennung wiedergefunden haben. Wie oft saß das ernstlichste Bekenntniß , daß mir noch gerade so zu Muth sei, wie damals, dicht am Rand meiner Lippen, und immer scherzte und spottete sie es wieder zurück; und wer weiß, was geworden wäre, ohne Sie, lieber Doktor. Nun aber ist sie ganz verwandelt, und Sie sollten ihr nicht anmerken, welche List und Weiberschalkheit hinter diesen stillen Augenlidern sich verbergen.
Du verleumdest mich, lieber Freund, sagte sie und schlug die schönen feuchten Augen auf. Es ist wohl natürlich, daß ich in diesem Hause noch nicht ganz so heimisch bin, wie du.
Und an wem anders liegt die Schuld, als an mir, rief der Doktor, oder vielmehr an den gottlosen Mädeln, die mir die Wirthschaft allein überlassen. Nun, wo bleiben sie, wo stecken sie? schalt er der eben ins Zimmer tretenden Magd entgegen. Warum bringt Ihr sie nicht mit, Margret?
Die Frau und der Herr haben so sehr gebeten, die Fräuleins möchten doch bleiben, verantwortete sich die Alte, die mit großen Augen die Fremden musterte. Sie wollten schon sorgen, daß sie nicht zuviel tanzten. Und wenn ich's dem Herrn Vater vorstellte, meinte Fräulein Clara –
Daß dich! fuhr der Doktor auf. Sie sollen kommen auf der Stelle!
Nein, lieber Herr Doktor, bat nun auch Eugenie. Wir dürfen diese Grausamkeit nicht auf unser Gewissen laden.
Behüte der Himmel! stimmte Valentin eilig ein. Es ist morgen noch früh genug.
So sollten wir wenigstens den ungezogenen Kindern nachgehen, schlug der Doktor vor. Was denken Sie von einem ersten Brauttanz?
Lassen Sie es gut sein, bester Mann, sagte Valentin. Wir sind völlig fremd bei Ihren Freunden. Viel lieber geschähe uns, Sie duldeten uns noch ein Stündlein unter Ihrem Dach. Nicht wahr, Eugenie?
Sie nickte. Da that der alte Herr einen Luftsprung und betheuerte einmal um das andere, daß ihm in Jahren nichts Freudigeres begegnet sei. Und nun mußte die Magd, so viel die Fremden abwehrten, in Küche und Keller laufen und herbeischaffen, was das Haus nur vermochte. Während dann die Drei in traulichem Humor beisammen saßen, sagte der Hausherr mehrmals mit vergnügtem Ton: Wenn jetzt meine Mädel eine Ahnung hätten, um was sie sich gebracht haben mit ihrem Ungehorsam! Und Valentin sah lächelnd Eugenie an; sie aber hatte ihre alte unbefangene Haltung wieder gewonnen, gab zu allem, was Valentin über die künftige Einrichtung ihres Lebens vorbrachte, wohlbedächtlich ihre Meinung und schickte sich aufs beste in ihre Rolle.
Als es Zehn schlug, stand sie auf. Wir können Ihre Töchter doch nicht wohl abwarten, sagte sie. Wenn sie morgen vom Tanzen ausgeschlafen haben, erlauben wir uns wieder anzuklopfen.
Ich wage nicht, Sie zu halten, versetzte der Doktor; denn mir ist, als kämen sie doch nicht eher, als bis ich sie selber hole. So wird mir alten Manne mitgespielt! Heute sei ihnen verziehen, da sie mir die Freude verschafft haben, Sie ganz allein für mich zu haben. Ich rechne aber darauf, daß Sie morgen Wort halten, vielleicht begreifen Sie meine Schwachheit ein wenig, wenn Sie das lose Volk sehen.
Nun brachen sie auf, und der Doktor ließ es sich nicht nehmen, seine Gäste bis an den Gasthof zu begleiten. Dann, ohne ein Wort zu sprechen, folgten die Beiden dem Kellner, der mit Licht voranging. Er öffnete zwei Zimmer neben einander und wünschte eine gute Nacht.
Valentin hielt Eugenien die Hand hin. Sie drückte sie leicht und sagte, ihn ruhig anblickend: Schlafen Sie wohl, mein Freund! Auf morgen also! Dann verschwand sie in ihrem Zimmer und schloß hinter sich zu.
Nach einer geraumen Weile, als auch er längst in seinem Zimmer war, klopfte er an die Thür, die ihn von Eugenien trennte. Eugenie! rief er leise.
Was ist? kam von drüben die Antwort.
Der Gutenacht-Gruß, den ich vorhin empfing, war gegen unsere Verabredung.
Gegen welche?
Die wir feierlich in Most besiegelt haben.
Ich denke, wir haben Komödie gespielt, und ließ mir auch das gefallen, weil ich dachte, es gehöre zur Rolle.
Wollen wir's aber nicht im Ernst gelten lassen? Es war doch immer eine feierliche Handlung, vor Zeugen vollzogen.
Mag es denn gelten, lieber Freund. Also: schlaf' wohl! auf morgen!
Keine Bewegung verrieth, daß sie von der Thür zurückgetreten sei. Und wieder nach einer Pause sprach er: Und das Andere, soll es nicht auch gelten?
Welches Andere?
Ich meine eben Alles.
Alles ist ein wenig viel.
Eugenie!
Mein Freund?
Ist es dir wirklich zu viel, was doch einzig und allein genügt, um mir das Leben wiederzugeben, das du mir tausendmal genommen hast?
Wenn ich es recht bedenke –
Bedenken willst du es noch? O Eugenie! Sage, daß ich zu deinen Füßen stürzen darf, öffne diese Thür –!
Gemach, mein Freund. Du verdienst wohl, daß man dich ein wenig straft. Wie? Ist das ritterlich, eine arme Frau hinter verschlossenen Thüren zu bestürmen? Ich wette, du hast sogar das Licht gelöscht, um dir recht im Dunkeln ein kümmerliches Herz zu fassen. Wenn du es gut mit mir im Sinne hast, mußt du die schlafdunkle Nacht zu deiner Hülfe rufen? Schäme dich, mein armer Held! Aber jetzt will ich dir auch sagen, daß ich einen alten Haß auf dich geworfen habe.
Scherzest du, Eugenie?
Ich sprach in gutem Ernst. Warum warst du damals nicht wenigstens so schlau wie jetzt, wenn du auch nicht muthiger warst? Gab es keine Thür, durch welche du mir zurufen konntest, was jetzt viel zu spät kommt?
Zu spät? Nein, Eugenie, wo sind die Jahre zwischen damals und heut? Ein blöder Knabe, wie damals, stehe ich hier und bettle im Dunkeln um einen Strahl aus deinen Augen. Und du kannst mich verschmachten lassen?
Er wartete lange auf Antwort. Auf einmal ging die Thür geräuschlos auf. Da stand sie vor ihm, er sah, daß ihre Augen geweint hatten, jetzt lächelten sie ihn an.
Nur einen Kuß freiwillig auf deinen Mund, mein Geliebter, sagte sie und breitete die Arme aus, zum Zeichen, daß dir Alles verziehen ist, was ich um dich gelitten habe.
Er stürzte an ihren Hals; sie streichelte ihm die Stirn und sprach: Da sind Falten; aber nicht wahr, mein Freund, unsere Herzen sind jung und faltenlos, und morgen fangen wir wieder an, wo wir damals unterbrochen wurden.
Sie küßten sich stürmisch und traten, fest sich haltend und umfassend, an das Fenster. Der Mond bezwang draußen den Nebel, und ein leichter Herbstwind machte sich auf und trieb den Duft von jungem Wein in ihr Zimmer. Laß uns noch heute fahren, mein Liebster, sagte sie. Wie könnt' ich an Schlaf denken? Die Nacht ist so schön. Indeß du den Wagen bestellst, will ich ein Wort an unsern Doktor schreiben, daß er uns morgen noch nicht erwarten soll. Valentin, ist es denn wahr, daß wir es uns gesagt haben, was wir so lange wußten?
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