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Jorinde

(1878)

 

Vor einem der alten Festungsthore der Stadt Augsburg stand noch in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts ein Häuschen mitten in einem großen, verwilderten Garten, den schon seit Menschengedenken Niemand mehr betreten hatte. Eine hohe Mauer, deren Bewurf von Regen und Schnee zernagt kaum noch hie und da an den Steinen hing, lief in weitem Viereck um das öde Grundstück herum, und nur durch das schwere eiserne Gitterthor zwischen den beiden mit Wappenlöwen gekrönten Mittelpfeilern konnte man einen verstohlenen Blick in das Innere werfen. Man sah von dem Häuschen, das nur Ein Stockwerk hatte, nichts als ein Stück des verwitterten Schindeldaches über die Taxushecke hervorragen, die gleich hinter dem Eingang gepflanzt dazu bestimmt schien, neugierige Blicke abzuwehren. Jahr um Jahr wuchs diese Hecke, an der so lange schon keine Gärtnerscheere gestutzt hatte, und Jahr um Jahr schien die schwarze Dachlinie des Gartenhäuschens tiefer hinabzusinken, so daß man den Tag kommen sah, wo hinter den rostigen Schnörkeln des alten Thores nur noch eine dunkelgrüne Wildniß zu schauen sein würde.

Eine halbverschollene unheimliche Geschichte knüpfte sich an diesen Garten. Ein vornehmer Herr – nach Anderer Meinung gar ein hoher Kirchenfürst – hatte das Häuschen für eine Dame, die er liebte, bauen und mit allem üppigen Hausrath, wie er in den Lustschlössern der Rococozeit zu finden war, ausstatten lassen. Die Herrlichkeit sollte nicht lange währen. Der Gemahl – oder war es ein Bruder – der unglücklichen Schönheit, die hier von der Welt vergessen zu werden hoffte, hatte ihren Versteck ausfindig gemacht und mit einem Pistolenschuß seine besudelte Ehre reingewaschen. Seitdem war das Haus unbewohnt geblieben. Es gehe darin um, raunten sich die Leute zu. Einem kleinen Bürger der Stadt hatte der Besitzer die Schlüssel anvertraut, unter der Bedingung, daß er Niemand den Eintritt gestatte. Darüber waren viele Jahre vergangen. Ueber den Gespenstern der französischen Schreckenszeit hatte man den Spuk in der Nähe vergessen. Doch wirkte das Unheimliche, das jeder Verödung anhaftet, noch immer so stark, daß selbst unter dem Empire, als die Blutscheu auf den großen Schlachtfeldern gründlich erstickt wurde, Niemand sich fand, der Lust gehabt hätte, das so schön gelegene Gartengrundstück zu erwerben und den Motten und Mäusen die Herrschaft in dem verfallenen Häuschen streitig zu machen.

Um so größer war das Erstaunen der gesammten Augsburger Bürgerschaft, als plötzlich die Neuigkeit durch die Stadt lief, das verwunschene Haus sei wieder bewohnt, und zwar von zwei einzelnen Frauenzimmern, einer jungen wunderschönen Person und einer ältlichen, welche die Kammerfrau, Haushälterin, Köchin und Gärtnerin der Jungen vorstelle. Denn außer einem in Augsburg gemietheten Laufmädchen, das die nöthigen Einkäufe in der Stadt besorgen und täglich mit einem Körbchen zum Bäcker und Metzger wandern müsse, zeige sich keine menschliche, geschweige männliche Seele im Bereich der gemiedenen Mauern. Der alte Schlüsselbewahrer, den man um Auskunft bestürmte, konnte nichts weiter berichten, als daß vor etlichen Wochen die alte Person ihn mit der Frage angegangen, ob das Häuschen sammt dem Garten vermiethet werde. Er hatte sich um Instruction für diesen bisher undenkbaren Fall an die Erben des früheren Besitzers gewendet, die gern gegen einen mäßigen Zins ihre Einwilligung gegeben. Dann seien eines Morgens die beiden Frauenzimmer in einem kleinen Wagen vor dem Gitterthor erschienen, hätten ein Köfferchen und einige Schachteln vom Kutscher abladen lassen und sofort von dem Hause Besitz ergriffen, das wundersamerweise trotz der langen Vernachlässigung sich noch in ziemlich wohnbarem Zustande gezeigt habe.

Auf seine Frage, wen er denn der Herrschaft als Mietherin zu nennen habe, sei ihm von der Jungen, die dabei ein Paar unglaublich schöner schwarzer Augen so fest auf ihn geheftet, daß er den Blick kaum habe ertragen können, in gutem, nur etwas fremdartigem Deutsch die Antwort geworden, sie heiße Mademoiselle Jorinde La Haine und gedenke jedenfalls Jahr und Tag hier wohnen zu bleiben.

Nach diesen Mittheilungen konnte es nicht fehlen, daß die Neugier, zumal der jungen Welt, zu einem wahren Fieber gesteigert wurde und diese sonst so einsame Gegend des alten Stadtwalles zu allen Stunden des Tages von Spaziergängern zu wimmeln anfing. Ja selbst in der Nacht konnte man junge Bürger aus den anständigsten Familien, die sonst keine Nachtschwärmer waren, das Gitterthor hier außen umschleichen und wohl gar, wenn sie sich unbemerkt glaubten, an der bröckligen Mauer hinaufklettern sehen, um in die Taxuswege und zu dem Häuschen hinüberzuspähen. Auch schienen sich alle Dilettanten auf der Guitarre und im Gesang plötzlich verschworen zu haben, ihre Künste vor dem geheimnißvollen Garten zu üben. Es war gerade Sommer und die Nächte warm und duftig, da der Jasmin eben zu blühen begonnen. Wer die Worte, die da gesungen wurden, nicht verstand, konnte sich nach Italien versetzt glauben.

Alles aber blieb verlorene Mühe, und schon begann die Neugier zu erkalten und selbst in den abenteuerlichsten Köpfen die Ahnung zu dämmern, daß es eine große Thorheit sei, um eine ewig Unsichtbare sich den Schlaf abzubrechen, als eines schönen Sonntagmorgens, da gerade der Wall von geputzten Kirchgängerinnen und spazierenden jungen Bürgern schwärmte, das eiserne Parkthor sich öffnete und die räthselhafte Fremde, begleitet von ihrer Dienerin, heraustrat. Ihre Erscheinung, wie sie die sonnige Straße zwischen ihrem Garten und dem von hohen Bäumen überschatteten Wall mit ruhigen Schritten kreuzte, war so wundersam und wie aus einer fremden Welt, daß das gesammte lustwandelnde Publikum auf Einen Schlag betroffen stillstand, nicht die Jugend allein, sondern auch bejahrte Matronen und ehrwürdige Grauköpfe, die bisher zu allen Erzählungen von der seltsamen Fremden die Achseln gezuckt und gemurmelt hatten: es werde auch an Dieser nicht viel Sauberes sein, gleichwie an ihrer Vorgängerin in dem spukhaften Häuschen. Jetzt standen sie alle mit offenen Augen und Mäulern und starrten der schlanken Gestalt entgegen, wie man Spalier bildet, um irgend eine fürstliche Person ehrerbietig vorbeizulassen. Das Fräulein war in ein schwarzes, sommerliches Gewand gekleidet, das, nach der Mode der Zeit hoch unter der Brust gegürtet, den schönsten jugendlichen Wuchs erkennen ließ, während ein feiner rother Shawl die bloßen Schultern und Arme nur wie ein schmaler Streifen umschlang. Ihr reiches, ganz eigen aufgestecktes Haar war unter einen hohen Strohhut nur nothdürftig gebändigt, und eine lose schwarze Locke fiel ihr auf den Busen, den sie, gleichfalls der herrschenden Sitte gemäß, ziemlich frei der Sommerluft preisgab. Statt der Schuhe – und dies war das Einzige, worin sie völlig von der Mode abwich, – trug sie kleine hochrothe Saffianpantöffelchen, ohne hohe Hacken, in denen sich ihre schmalen Füße aufs Zierlichste bewegten. Sie schritt, als ob das Gaffen der Menge sie nicht das Mindeste anginge, den Weg zum Wall hinan in einer Haltung, die nicht züchtiger und harmloser hätte sein können, ihre Dienerin in einem ehrbaren grauen Kleide mit großer Haube dicht an ihrer Seite, von Zeit zu Zeit ein Wort an ihr Fräulein richtend, das immer freundlich erwidert wurde. Während sie nun rasch durch die stehen gebliebenen Gruppen hinschritt, konnte die Neugier, die so lange hatte fasten müssen, sich recht an ihrem Anblick sättigen, und man hörte von allen Seiten die bewundernden Ausrufe und geflüsterten Bekenntnisse, daß sie noch weit schöner sei, als man sie sich vorgestellt, ja daß man überhaupt nie und nirgend, außer in Bildern, etwas Aehnliches gesehen habe. Selbst den alten Leuten, deren Blut zahm und schläfrig in den Adern floß, schien sie es wie durch einen Zauber angethan zu haben; sie rühmten in die Wette ihren Anstand, ihre grazienhafte Art, das Haupt auf den schönen Schultern zu tragen, die schlichte Hoheit, womit sie etwa einen Gruß erwiderte, ohne daß je ein Lächeln über ihr Gesicht ging, auch den Geschmack in ihrer wunderlich gewählten Kleidung. Daß die Jugend vollends, die weibliche wie die männliche, von der Fremden ganz erfüllt war und in leidenschaftlichem Eifer, freilich in sehr verschiedenem Sinne, ihr plötzliches Erscheinen besprach, wird Niemand Wunder nehmen.

Sie aber, die Anstifterin dieses Volksaufruhrs, schien von der Wirkung ihrer jungen Reize nicht die geringste Notiz zu nehmen. Sie war an eine Stelle gelangt, wo sie unten in dem breiten Wassergraben, der träge zwischen Wall und Stadtmauer hinschleicht, die Entenhäuschen sehen konnte und die zahlreiche junge Brut, die sich dazwischen auf der schlammigen Welle hin- und hertrieb. Da blieb sie stehen, zog ein Brödchen aus der Tasche und fing an einzelne Brocken den gierigen Vögeln hinunterzuwerfen, die sich sofort nach der Stelle hindrängten, um das seltene Futter sich streitig zu machen. Dies dauerte eine Weile, zu sichtbarer Belustigung der Spenderin. Als aber der Vorrath erschöpft war, winkte sie ihnen nur noch mit ihrer kleinen Hand, die zur Hälfte in einem schwarzseidenen Filethandschuh steckte, gleichsam einen Abschiedsgruß hinunter, zog den rothen Shawl, der tief herabgefallen war, wieder um ihre Schultern und trat den Heimweg nach ihrem Garten an, die dichte Zuschauermenge furchtlos durchwandelnd, als wären es eben so viel Sträucher und Bäume.

So verschwand sie hinter ihrem eisernen Parkgitter, das die alte Dienerin sorgfältig mit einem großen rostigen Schlüssel hinter ihnen verschloß.

*

Von diesem Tage an war die ausländische Demoiselle, wie die älteren Leute sie nannten, oder die schöne Jorinde, wie sie bei der Jugend hieß, durch viele Wochen das Hauptgespräch der guten Stadt, in welcher vor einem halben Jahrhundert noch sehr kleinstädtischer Brauch herrschte. Die jungen und alternden Töchter der guten Bürgershäuser führten dies Gespräch mit verhaltener Gereiztheit, die mehr und mehr in offene Erbitterung ausartete. Väter und Mütter, die anfangs nur daran ein Aergerniß genommen hatten, daß die Fremde nie eine Kirche besuchte, überhaupt die Straßen der Stadt niemals betrat, als ob eine ansteckende Seuche darin umgehe, wurden von diesen feindseligen Gefühlen mit der Zeit ebenfalls ergriffen und fingen ihrerseits an, das schöne Wesen als eine gemeinschädliche Person zu betrachten, ja auch im Stillen auf Mittel zu sinnen, wie man sie aus ihrem stillen Garten vertreiben könnte. Das Alles einzig und allein, weil die gesammte männliche Jugend je länger je unentrinnbarer dem Zauber verfiel, den die Bewohnerin des verwunschenen Häuschens um sich her verbreitete.

Sie erschien, nachdem sie einmal die Schwelle ihrer Gartenpforte überschritten hatte, alltäglich zu der nämlichen Stunde auf dem Wall, um ihren Spaziergang zu machen, meist mit der Alten, zuweilen auch allein. Immer trug sie dasselbe Kleid, den rothen Shawl und Strohhut und die Saffianpantöffelchen, und nie wurde an ihr das geringste Schmuckstück bemerkt, außer einem kleinen Kreuz von rothen Korallen an einem schwarzen Sammetbande, das die Weiße ihres Halses und Busens nur noch leuchtender hervorhob. In einem Körbchen trug sie regelmäßig das Futter für ihre Pfleglinge unten im Wallgraben und gab sich dieser Beschäftigung so ernsthaft und eifrig hin, als vollbrächte sie damit ein wichtiges Tagewerk. In der That sah man sie auch in ihrem Garten, als man später sie dort aufsuchen durfte, nie mit irgend einer weiblichen Arbeit beschäftigt, noch schien sie je ein Buch zu lesen. Gleichwohl konnte man in dem schönen Gesicht nie einen Zug von Langerweile entdecken, wenn auch freilich noch weniger von Munterkeit, wie man bei einem so jungen Wesen, das alle Welt bewunderte, wohl hätte erwarten dürfen. Es war etwas Kaltes, Stilles und doch wieder Kühnes und Trotziges in den kindlich weichen Zügen, und gerade dieser räthselhafte Widerspruch reizte die jungen Leute mehr als das süßeste Lächeln und die zierlichste Gefallsucht anderer glatter Lärvchen. Schon am folgenden Tage faßte sich der reichste und auf seine schöne Figur eitelste junge Herr, der Sohn des Bürgermeisters, ein Herz, die Fremde auf dem Walle anzureden. Sie antwortete ohne jede Verlegenheit, vermied aber auf eine feine Weise, über ihre persönlichen Verhältnisse irgend nähere Auskunft zu geben; nur soviel ließ sie durchblicken, daß sie, von deutschen Eltern geboren, längere Zeit in Frankreich gelebt habe und jetzt ganz allein in der Welt stehe. Auf die Frage, warum sie ein schwarzes Kleid trage, erwiderte sie unverlegen, es sei dies ihr einziger guter Anzug, sie habe eben kein großes Vermögen und müsse an ihrer Garderobe sparen, um sich ohne Schulden durchzubringen.

Als dieses offene Bekenntniß unter den jungen Bürgerssöhnen herumkam, bestärkten sie sich daran in der frechen Hoffnung, an diesem fremden Meerwunder, das sie nun für nicht viel Besseres als eine Abenteurerin hielten, einen bequemen Fang zu machen. Sie sollten aber unsanft enttäuscht werden. Denn so freien Zutritt die Schöne Jedem verstattete, der auf dem Wall sich ihr vorstellte, oder gar die Klingel an dem Parkthor zog, um ihr auf ihrem eigenen Grund und Boden eine Visite zu machen, so wenig konnte sich irgend Einer rühmen, auch nur die Spitze ihres kleinen Fingers geküßt zu haben, oder auf eine verwegene Rede ohne die gebührende Abfertigung geblieben zu sein. Jenen Haupthahn im Korbe der jungen Augsburgerinnen, den Sohn des Bürgermeisters, hatte sie sogar ein für allemal von ihrem Antlitz verbannt, weil er in einer vom Wein befeuerten übermüthigen Stunde sich unterstanden hatte, den Arm um ihre Hüfte zu legen. Er wagte es, obwohl seine Leidenschaft bis zu völliger Verzweiflung emporloderte, nicht mehr, die Schwelle ihres Gartens zu betreten, während er so viel andere, bescheidnere Bewerber den halben Tag dort aus- und eingehen sah.

Denn es war bald Sitte geworden, gleich nach Mittag der schönen Jorinde seine Cour zu machen, die es auch nicht ungnädig aufzunehmen schien, und deren ernste schwarze Augen immer seltsamer zu blitzen anfingen, je größer der Schwarm verliebter junger Thoren ward, der durch die verschlungenen Kieswege um das Häuschen herum, bei der alten, längst verlechzten Fontäne, unter der Trauerweide und bei dem Tempelchen hinten im dichteren Theil des Parks der angebeteten Grausamen nachzog.

In das Innere ihres Hauses ließ sie Niemand. Und jeden Tag, sobald die Sonne hinter den Rand der Fichtenreihe, die das Grundstück nach Westen abgrenzte, zu versinken Miene machte, verabschiedete sie ihren ganzen Hofstaat, und die alte Dienerin mußte warten, bis der Letzte hinaus war, um das Parkthor hinter ihm wieder zu verschließen. Daß Keiner aus der Schaar sich heimlich in einem Schlupfwinkel verbarg, um, wenn die Andern gegangen, die Früchte seiner Kriegslist zu ernten, dafür sorgte die Eifersucht Aller, die eine genaue Liste über jeden Mitbewerber führte.

Auch die Hoffnung, vielleicht durch die Alte etwas zu erreichen, und wär' es zunächst nur eine genauere Kunde über das frühere Leben des Fräuleins, ihr Herkommen und warum sie sich gerade Augsburg zum Aufenthalt erwählt, auch diese Hoffnung erwies sich als eitel. Geld, das man der Alten geboten, hatte diese mürrisch und verächtlich zurückgewiesen. Dagegen war es um so sonderbarer, daß Jorinde selbst Geschenke, die man ihr zuerst nur höchst schüchterner Weise darzubringen gewagt, durchaus nicht abgelehnt, freilich auch kaum mit mehr als einem trocknen Wort gedankt hatte. Sie sagte, als dies zum ersten Male geschah, sie selbst habe keine Freude am Besitz, doch wisse sie arme Leute genug, denen es zu Gute kommen würde, wenn sie die Augsburger Goldfasanen ein wenig rupfte. Möglich auch, daß sie, wenn sie einen rechten Schatz beisammen hätte, eine Kirche oder Kapelle davon gründen würde. Nur kein Kloster, dessen Aebtissin sie selbst werden möchte! riefen einige der Jünglinge scherzend. O nein, sagte sie ganz ruhig, zum Klosterleben fühle sie einstweilen nicht den geringsten Beruf. Sie habe fürs Erste eine andere Mission zu erfüllen. Gefragt, worin diese bestehe, verstummte sie, und ihr Gesicht verfinsterte sich fast unheimlich. Dann aber fing sie gleich wieder an zu singen, eine leichtmüthige französische Chanson oder ein trübsinniges deutsches Volkslied, und ihre Stimme, obwohl weder stark noch geübt, vollendete den märchenhaften Zauber, den ihr fremdes und widerspruchsvolles Wesen auf jedes Mannsbild auszuüben wußte.

Jene Aeußerung nun war das Signal zu einer wetteifernden Bemühung um ihre Gunst durch kostbare Geschenke. Jeder wollte, wie er sagte, zur Gründung ihrer Kapelle seinen Baustein herbeitragen. Alles aber, Juwelen, kostbare Stoffe und Geräthe, seltene Schaumünzen und was die Söhne der reichen Handelsherren irgend Ausgesuchtes aus der Ferne verschreiben mochten, häufte die Herrin des Häuschens in einem eigenen Zimmer zusammen und führte zuweilen ihren jungen Hofstaat an das Fenster, um den milden Stiftern zu zeigen, daß Alles wohl aufgehoben sei. Sie selbst trug nie weder eins der theuren Geschmeide, noch kleidete sie sich in den Sammet und die golddurchwirkte Seide, schien vielmehr diese ihre Schatzkammer nicht höher zu achten, als ob darin ein Haufen dürren Laubes aufgeschichtet läge. Eine besondere Freude schien ihr überhaupt Nichts auf der Welt zu machen, und selbst wenn sie einmal lachte, klang es unfroh und verstimmt, wie ein Instrument, das lange nicht gespielt seinen harmonischen Klang verloren hat.

Es konnte nicht fehlen, daß die Erbitterung gegen ein so gefährliches Wesen bei Allen, die nicht von Leidenschaft zu ihr verblendet waren, immer drohender heranwuchs. Mehr als Ein Brautstand war durch die fremde Hexe, wie sie nun hieß, zerrüttet, mehr als Ein wackerer Muttersohn seinem Geschäft und rührigen Erwerb abtrünnig gemacht worden, Dieser in Schulden gestürzt, Jener mit Vater und Mutter entzweit, und wenn noch kein Blut geflossen war unter den Rivalen selbst, da sie alle in gleicher Hoffnungslosigkeit hinschmachteten, so fingen doch einige Brüder von Patriziersbräuten an, Händel mit ihren künftigen Schwägern zu suchen, die gleichfalls sich dem verzauberten Schwarm zugesellt hatten, und ein Ehrsamer Rath der Stadt hielt allen Ernstes im Stillen eine Sitzung, ob nicht Mittel zu finden seien, dieser Stadtplage auf gute und gesetzliche Manier loszuwerden. Es kam aber zu Nichts, weil einige der jüngeren Rathsherren selbst von der Schlange gebissen waren und mit allem juristischen Scharfsinn nachwiesen, daß sich kein Paragraph ihres Stadtrechtes auf diesen unerhörten Fall anwenden lasse. So gährte die leidenschaftlichste Aufregung, Haß, Liebe, Furcht und Neid in dunklem Gemisch Woche um Woche fort, nicht anders als ob man in die fabelhaften Zeiten zurückgekehrt wäre, wo hie und da ein Lindwurm, eine böse Schlange oder sonst ein reißendes Ungeheuer eine Stadt oder Insel in Contribution gesetzt hatte.

Da geschah Etwas, das der ganzen Welt die Augen darüber öffnen mußte, wie groß die Gefahr und wie dringend geboten eine rasche Abwehr sei.

*

Unter Denen, die wie verblendete Motten um das Licht der fremden Schönheit schwirrten, befand sich Einer, dem Niemand je zugetraut hatte, daß er einer leidenschaftlichen Thorheit fähig wäre: ein junger Kaufmann, der die Dreißig schon erreicht, steif und nüchtern, ganz nur auf sein Geschäft bedacht, das er in großen Flor gebracht hatte, allen jugendlichen Lüsten und Liebhabereien abgekehrt und in der Stadt für einen ausgemachten Weiberfeind geltend. Sein Name war Georg Haslach, und er führte das Geschäft unter der Firma und mit dem Gelde eines frühverstorbenen Oheims, der in jungen Jahren sich durch die leichtsinnige Verbindung mit einer schönen Magd einen üblen Ruf gemacht hatte, dann aber, nachdem er diese ungleiche Ehe gelöst und eine der reichsten Patriziertöchter heimgeführt hatte, bei der gestrengen reichsbürgerlichen Gesellschaft wieder zu Gnaden aufgenommen worden war. Seinen Neffen Georg und dessen Bruder Walter hatte er zu Erben eingesetzt. Der Letztere, der zugleich mit dem noch lebenden alten Vater in der österreichischen Armee diente, war dem älteren Bruder durchaus unähnlich, ein ungebunden schwärmendes und schweifendes Reiterblut, übrigens bei Jung und Alt trotz seiner wilden Sitten besser gelitten als der rechtfertige, trockene Georg, der doch den Kredit und Wohlstand des Hauses Haslach mit rastloser Arbeit aufrecht erhielt. Auch dankte der Biedermann im Stillen Gott, daß sein Bruder fern bei der Armee war, als das erste Gerücht von der gefährlichen Sirene durch die Stadt lief. Aber sein tugendstolzer Hochmuth sollte desto schmählicher zu Falle kommen. Er war der Fremden kaum einmal auf dem Walle begegnet, wohin er mit dem Vorsatz gegangen war, sie durch einen verachtungsvollen Blick zu beleidigen, als er selber, nur gestreift von ihrem gleichgiltigen schwarzen Auge, rettungslos sich in ihrem Netz gefangen fühlte.

Statt sie zu demüthigen, mußte er nun selbst die nicht geringe Schmach erleiden, als er das erste Mal sich ihrem Hofstaat beigesellte, von den übrigen Schicksalsgenossen, die sonst alle Ursache hatten, sich unter einander zu schonen, mit grausamer Schadenfreude begrüßt und der jungen Dame unter anzüglichen Stichelreden als das interessanteste ihrer Opfer vorgestellt zu werden. Jorinde empfing ihn nicht anders wie jeden Andern. Nur als sie seinen Namen hörte, blitzte etwas wie eine stolze Genugthuung über ihre Lippen, und sie schien ihm in so fern einen Vorzug vor den Anderen zu gönnen, daß sie ihn mit noch schneidenderer Kälte behandelte, als alle seine Rivalen.

Er selbst nahm ihre Geringschätzung hin wie ein Schicksal und machte, seiner steifen und unweltmännischen Natur gemäß, keinerlei Anstrengung, unter den glänzenderen Bewerbern sich vorzudrängen. Im Stillen aber hoffte er dennoch, durch unsinnige Kostbarkeiten, die er ihr schickte, und durch wiederholte Briefe, in denen er ihr seine Hand anbot und sich und sein ganzes Vermögen ihr zu Füßen legte, mit der Zeit allen Andern den Rang abzulaufen.

Sie nahm sich kaum die Mühe, wenn er wieder vor ihr erschien, nur mit einem flüchtigen Wort den Empfang der Briefe und Geschenke zu bescheinigen, so daß sich ihm der Stachel immer tiefer ins Herz wühlte. Und einmal, da er es durchgesetzt hatte, sie allein zu treffen, übermannte ihn seine jammervolle Leidenschaft dergestalt, daß er sie in heftiger Rede um eine Antwort bestürmte, ob sie ihm Hoffnung machen könne oder nicht, jemals die Seine zu werden. Tod oder Leben hänge an ihrer Entscheidung.

Sie erwiderte mit ihrer gelassensten Miene, während doch ihre Stimme von verhaltener Erregung bebte: sein Tod oder sein Leben habe nicht den geringsten Werth für sie. Sie sei noch überhaupt nicht Willens, ihre Freiheit aufzugeben. Wenn es aber geschehe, werde sie lieber dem lahmen Bettler, der täglich an ihrem Gitterthor seinen Kreuzer hole, ihre Hand reichen, als Herrn Georg Haslach.

Und als er darauf mit mühsamer Stimme, bleich wie die getünchte Wand ihres Häuschens, die Drohung hinwarf, sie werde dies Wort bereuen, wenn er um ihretwillen das Leben hingeworfen wie einen Beutel, aus dem ein Bankerottirer den letzten Gulden ausgezahlt, lachte sie kalt: ihr sei nicht bange, daß ein Haslach aus Liebe sterben könne, es sei denn aus hoffnungsloser Sehnsucht nach einer Million, die er nicht zu erlangen vermöge.

Am folgenden Morgen, als die alte Dienerin die vordere Thür des Häuschens, die auf einen kleinen Portikus zwischen zwei verschnörkelten Säulen hinausging, ihrer Gewohnheit nach öffnen wollte, konnte sie nicht damit zu Stande kommen, da etwas Schweres sich dagegen stemmte. Verwundert mußte sie zur Hinterthür hinaus und um das Haus herumgehen. Da sah sie eine Mannesgestalt in der kleinen Vorhalle sitzen, am Boden hingekauert und gegen die Thür gelehnt, und glaubte, da trotz der Sommerzeit ein grauer Mantel mit kurzem Krügelchen und der tief über die Augen gedrückte Hut das Gesicht verbarg, irgend ein Anbeter habe zu Nacht im Rausch der Hoffnungslosigkeit oder des Weines die Gartenmauer überstiegen, um vor der Schwelle seiner harten Herrin den Tag zu erwarten. Wie sie aber hinzueilte, den Schläfer wachzurütteln, erkannte sie mit Entsetzen Herrn Georg Haslach's entfärbtes und vom Tode verzerrtes Gesicht. In der starren Hand hielt er ein leeres Fläschchen, darin noch einige Tropfen einer braunen Flüssigkeit, die deutlich verriethen, was hier geschehen war.

*

Wenn der eherne Herkules von seinem Brunnen in der Hauptstraße herabgestiegen wäre und die Treppen des Rathhauses hinanschreitend die Thür zum goldnen Saal mit seiner Keule gesprengt hätte, – es hätte die Stadt kaum in helleren Aufruhr und tieferes Grauen versetzen können, als die Nachricht von diesem schauderhaften Ende eines so stillen und achtbaren Mitbürgers. Noch lange, nachdem der Leichnam hinweg und in das Haslach-Haus auf einer eilig errichteten Tragbahre geschafft, die herzudrängende Menge des geringeren Volkes wieder hinausgewiesen und das eiserne Gitterthor fest verschlossen war, stand die Straße, die an Jorindens Garten vorbeilief, Kopf an Kopf gefüllt von einem unheimlich gährenden Gewühl, aus dem sich dann und wann Arme und Hände deutend und drohend gegen das Innere des verschlossenen Bezirkes reckten und Stimmen laut wurden, die nur durch den Machtspruch einiger bewaffneter Polizeidiener sich wieder beschwichtigen ließen. Wären die Zeiten der Hexenprozesse nicht vorbei gewesen, so hätte sich das grauenvoll aufgereizte Volksgemüth unzweifelhaft zu den wildesten Gewaltthaten fortreißen lassen.

Gegen Mittag erschienen Abgesandte vom Justizamt, die mit der Bewohnerin des Gartenhauses ein Verhör anstellten und ein weitläufiges Protokoll aufnahmen. Sie berichteten hernach, daß sie das Fräulein in ganz unerschütterter Fassung, von dem furchtbaren Vorfall scheinbar unberührt gefunden hätten, und da ihre völlige Schuldlosigkeit aus allen Zeugnissen hervorging, fehlte auch fürs Erste den Vätern der Stadt jede Handhabe, um gegen sie einzuschreiten und ihre Verweisung aus dem Stadtgebiet anzuordnen.

Auch war zunächst dasjenige von selbst erreicht, was die besorgten Mütter und die schwergekränkten Töchter der Stadt aufs Dringendste gewünscht hatten: auf Einen Schlag war das Gefolge der unheimlichen Fremden zersprengt und zerstoben. Von all den jungen Thoren, die sich jeden Nachmittag in dem Zaubergarten dieser Circe eingefunden, wagte sich keiner mehr über die Schwelle des Parkgitters, die Einen von dem Grauen, das hier seinen Einzug gehalten, zurückgebannt, die Anderen nur aus Furcht, von dem Volk, das sich draußen wie zu einer freiwilligen Wache hin und her trieb, geschmäht oder gar handgreiflich fortgewiesen zu werden.

Man hatte Vater und Bruder des Unglücklichen sofort benachrichtigt, konnte aber die Bestattung, die ohnehin bei der frevelhaften Art dieses Todes ohne jede Feier bleiben mußte, nicht so lange hinausschieben, bis die beiden nächsten und einzigen Verwandten in der Stadt eingetroffen wären. Sie hatten eine Reise von mehreren Tagen zu machen, und obwohl sie unterwegs täglich die Pferde wechselten, langten sie doch erst in ihrem Hause zu Augsburg an, als das Grab an der Kirchhofsmauer schon eine Woche lang mit flachem Rasen zugedeckt war. Nichts fanden sie von dem kläglich verlorenen Sohn und Bruder, als den Anzug, den er in jener Todesnacht getragen, seinen grauen Mantel und Hut und einen kurzen Brief, worin er ihnen ein verzweifeltes Lebewohl sagte.

Der alte Oberst, ein weißhaariger, harter Soldat, den Niemand je hatte weinen sehen, brach beim Anblick dieser Ueberbleibsel wie ein geknicktes Rohr zusammen und verschloß sich, als er seine Mannheit wiedergefunden, in seinem Schlafzimmer, wo die ganze Nacht das Licht brannte und der sporenklirrende Schritt des Alten ruhelos über die Dielen klang. Dem jungen Sohn leistete einer seiner früheren Kameraden und Schulgenossen eine tröstliche Gesellschaft, wobei ihm Alles mitgetheilt wurde, was die Stadtchronik über das Unglück und seine Urheberin bisher verzeichnet hatte. Die Brüder hatten sich nie sehr nahe gestanden. Gemüthsart und Beruf hielten sie in einer kühlen, wenn auch nicht unfreundlichen Entfernung von einander. Jetzt aber schien es dem Ueberlebenden, als hätte ihn kein größerer Verlust treffen können, als müsse er alle versäumte brüderliche Liebe und Zärtlichkeit gegen den Todten mit doppelter Innigkeit nachholen. Doch als der Freund um Mitternacht den jungen Kapitän verließ, fielen diesem vor Erschöpfung durch den hastigen Ritt und die bittere Trauer alsbald die Augen zu, und er erwachte spät aus sonderbaren Träumen, in denen ihm die Gestalt seines Bruders und einer teuflischen Schönheit, die ihm nach dem Leben stand, in den mannichfachsten Bildern und Scenen vorübergegangen war.

*

Gegen Mittag, als eine stechende Gewittersonne die Straße vor Jorindens Garten öde machte, sahen die wenigen Menschen, die im Schutz der Wallbäume vorbeischlenderten, mit großem Erstaunen einen jungen Mann in österreichischer Uniform sich nähern und mit aufgeregten Schritten auf das eiserne Gitter zueilen. Er riß so heftig an dem Glockenzug, daß die lange stumm gebliebene Klingel gellend durch die stille Luft tönte. Als nicht sogleich Jemand kam, um das Thor zu öffnen, läutete er von Neuem, indem er den Hut abnahm und sich den Schweiß von der Stirn trocknete, die Augen finster und scheu zu Boden geheftet, als fürchte er irgend Wem ins Gesicht zu sehen, der ihn fragen könnte, wie er es übers Herz brächte, dieser Schwelle zu nahen.

Endlich erschien die alte Dienerin, den Schlüssel in der Hand, und als sie den Unbekannten draußen stehen sah und seine wunderlich verstörte Miene gewahrte, fragte sie durch die Eisenstäbe hindurch, was er wünsche. – Mit ihrer Herrin zu sprechen. – Das Fräulein habe noch nicht Toilette gemacht, er möge sich nach Tisch wieder herbemühen. – Er sei nicht gekommen, die Reize ihres Fräuleins zu bewundern, gab der junge Mann barsch zur Antwort, sondern um über ein Geschäft mit ihr zu verhandeln. – Wen sie zu melden habe? fragte die Alte wieder nach einigem Zögern. – Der Name thue nichts zur Sache; er werde sich dem Fräulein selbst vorstellen.

Die Alte schloß nach einigem Besinnen kopfschüttelnd das Gitter auf und führte den düsterblickenden Besucher durch die sonneglitzernden Kieswege des Gartens dem Hause zu. Als er die kleine Vorhalle mit den geschnörkelten Säulen erblickte, wo sein Bruder vor wenigen Tagen seine letzte Nachtruhe gehalten, überlief ihn ein Schauder, er wandte sich ab und preßte die Lippen zusammen, wie um einen Seufzer oder eine Verwünschung zu ersticken. Während die Dienerin ins Haus ging, ihn zu melden, warf er sich in tiefer Erschöpfung auf ein Bänkchen neben einer hohen Taxuswand und fuhr sich mit der Hand über die Augen, aus denen schwere Tropfen rollten. Er biß die Zähne in sein Schnupftuch, und seine schwer arbeitende Brust verrieth, daß ein schluchzender Krampf ihn erschütterte. Plötzlich hörte er leichte Schritte vom Hause her, kämpfte seine Bewegung gewaltsam nieder und erhob sich, um mit dem Aufgebot all seines Muths der verhaßten Erscheinung die Stirn zu bieten.

Was er aber sah, widersprach so völlig Dem, was er zu sehen erwartet hatte, daß das Erstaunen zunächst alle anderen Empfindungen seines Innern niederschlug.

Statt einer kaltsinnigen Verführerin, die mit aller Schlangenkunst der Gefallsucht jedem neuen Besucher entgegentritt, stand eine bescheidene junge Gestalt vor ihm, in ein schlichtes, fast ärmliches Morgengewand gekleidet, die Arme nur bis zu den Ellenbogen entblößt, die reichen Haare kunstlos aufgesteckt, das ernste, blasse Gesicht durch einen kleinen leinenen Sonnenschirm gegen die Mittagsglut geschützt. Als sie die großen schwarzen Augen unter breiten Lidern müde und theilnahmlos auf ihn heftete und mit einer sanften Stimme nach seinem Begehren fragte, war plötzlich jedes Wort der heftigen Rede aus seinem Gedächtnis; verlöscht, mit der er sich der Mörderin seines Bruders vorzustellen gedacht hatte.

Doch besann er sich endlich, ließ die Augen, gleichsam um sich gegen diese stille Gewalt zu waffnen, wieder nach dem Portikus schweifen und sagte dann mit dem schärfsten Ton, dessen er fähig war:

Sie sind die Herrin dieses unglücklichen Hauses, Mademoiselle?

Ein leichtes Kopfnicken war die ganze Antwort.

Ich bin gekommen, fuhr er fort, Ihnen ein Handelsgeschäft zu proponiren. Es ist dazu nöthig, daß Sie meinen Namen kennen. Ich bin der Kapitän Walter Haslach, Bruder jenes Unglücklichen –

Sie trat einen Schritt zurück, ihre ohnehin bleiche Wange war todtenfahl geworden, einen Augenblick schien sie zu wanken oder hinwegflüchten zu wollen, faßte sich aber sogleich und sagte, während ein tiefer Seufzer ihren jungen Busen hob:

O wie beklage ich Sie – und ihn – und mich!

Dann verstummte sie wieder. Er hatte schon ein schneidendes Wort verächtlichen Hohns auf der Lippe, um sich jedes geheuchelte Beileid zu verbitten. Aber das Wort versagte ihm. Ein Ausdruck wahren Schmerzes lag in Ton und Blick und Geberde des schönen Wesens, dem er sich nicht entziehen konnte.

Ich weiß nicht, was man Ihnen von mir gesagt haben mag, fing sie endlich mit einer seltsamen Hast wieder zu reden an. Man wird mich als ein fluchwürdiges Ungeheuer dargestellt haben, und in Ihren Augen werde ich es wohl immer bleiben, obwohl ich, so wahr mir Gott helfe! an diesem Unglück keinen Theil habe. Nie habe ich Ihrem Bruder die geringste Hoffnung gemacht, nie seine Bewerbung um mich begünstigt. Weßhalb ich überhaupt – aber wozu verschwende ich meine Worte? Sie hören mich nicht, am wenigsten, wenn ich mein Betragen zu rechtfertigen versuchte. Wohl ist es wahr – und auch das mögen Sie erfahren: ich habe dem Todten nie etwas Gutes gewünscht. Warum? Das ist ein Geheimnis; zwischen meinem Schöpfer und mir. Sein klägliches Ende aber war nicht mein Wunsch, so wenig wie mein Werk. Ich dachte, ein Haslach sei ewig schon durch den Geist seiner edlen Familie vor einem so raschen, unseligen Schritt geschützt. Es ist nun geschehen, wie überhaupt Unglück in der Welt geschieht Ich kann es beklagen, aber wenn Sie gekommen sind, es mir ins Gewissen zu schieben, so erkläre ich Ihnen offen und ehrlich, daß ich keinerlei Reue zu empfinden vermag. Und somit –

Sie trat wieder einen Schritt zurück, als ob sie das Gespräch zu enden wünsche. Er hatte, während sie sprach, den Blick nicht von ihr verwandt, aber seine düster gespannte Miene ließ es ungewiß, ob er ihren Worten gefolgt war.

Mademoiselle, sagte er jetzt und senkte die Augen in plötzlicher Verwirrung, ich bin nicht gekommen – seien Sie überzeugt, daß ich bis auf einen gewissen Grad meinem armen Bruder nachfühlen kann, – ich gestehe, daß die Vorstellung, die ich mir von Ihnen gemacht hatte –

Er stockte. Das Blut schoß ihm in die schönen, wettergebräunten Wangen. Er ballte die Faust krampfhaft um seinen Degengriff, als ob er sich seiner Mannes- und Bruderpflicht erinnern wollte, hier nur das zu sprechen, was streng mit seinem Geschäft zu vereinigen war, und sich schämte, daß er sich von dieser sanften Stimme halb und halb hatte entwaffnen lassen.

Ich komme nicht aus eigenem Antrieb, brach es endlich rauh und kalt von seinen Lippen. Mein Vater hat mich geschickt –

Ihr Vater! Ah! er ist hier? –

Ihr Gesicht, während sie dies sagte, nahm wieder seinen herben, unguten Ausdruck an.

Mein Vater – hat unter dem Nachlaß des Todten etwas vermißt, was ihm sehr werth ist, einen Ring, der in der Familie seit mehr als hundert Jahren immer auf den ältesten Sohn fortgeerbt hat, einen Rubin in Diamanten gefaßt. Da es bekannt ist, Mademoiselle, – daß Sie Liebhaberin von Juwelen sind – daß Sie eine Sammlung von Kostbarkeiten angelegt haben – (er betonte das Wort mit neu aufwallender Feindseligkeit) – so glaubt mein Vater nicht fehl zu gehen – auch diesen Ring jetzt in Ihrem Besitz vermuthen zu dürfen. Ich weiß nicht, Mademoiselle, –

Jetzt erst heftete er die Augen wieder auf ihr Gesicht und begegnete einem kalten, stolzen Blick, den er mit Mühe ertrug.

Es kann sein. Ich glaube sogar mich bestimmt zu erinnern, daß auf diesen Ring einmal die Rede kam; die andern Herren fragten ihn darnach, er sagte, daß es ein Familienstück sei, und zog ihn vom Finger, mich ihn betrachten zu lassen. Ich gab ihn zurück ohne jede Bemerkung. Desselben Tages sandte er mir ein elfenbeinernes Kästchen mit verschiedenem Geschmeide, darunter auch diesen Ring, den ich eben so wie alles Uebrige bei Seite that. Er steht Ihnen jeden Augenblick wieder zu Dienst.

Mein Vater wird sich beeilen, Ihnen den dreifachen Werth in Gold dagegen zu senden! warf der Jüngling trotzig hin, indem er sich verneigte.

Sagen Sie Ihrem Vater, daß ich keinen Handel mit Juwelen treibe. Ihr Vater ist zwar Offizier, aber da er einem alten Kaufmannshause entstammt, ist er gewiß nicht gleichgültig gegen Gold und Gut, und dieser Ring wird darum nichts in seiner Schätzung verlieren, wenn ich mir jeden Preis dafür verbitte. Folgen Sie mir. Sie können ihn sofort in Empfang nehmen.

Sie wandte sich mit der kältesten Geberde dem Hause zu und ging ihm rasch voran. Im höchsten Erstaunen hatte er sie reden hören, selbst das Beleidigende in ihren Worten erfüllte ihn mehr mit geheimer Achtung und Bewunderung, als mit Unmuth. Keines Wortes mächtig, gesenkten Hauptes, wie in einer traumhaften Betäubung schritt er hinter ihr her.

Als sie das Haus erreicht hatte, blieb sie stehen und wandte sich nach ihm um.

Sie sind der erste Mann, der diese Schwelle überschreitet, sagte sie. Ich weiß nicht, wie ich dazu komme, mit Ihnen eine Ausnahme zu machen, die mich vielleicht in Ihren Augen herabsetzt. Aber es ist nun Alles gleich. Treten Sie ein.

Er betrat das kleine Gemach, in welchem der vielberufene »Schatz« Jorindens aufgespeichert lag. Es war ein zierlicher Raum mit verblichener mattblauer Seidentapete und schmalen Spiegeln rings an den Wänden. Auf einem Rococotisch in der Mitte standen schöne Geräthe, Uhren, Vasen, Candelaber, wie in einem Bazar; ein großer Schrank mit halboffenen Thüren enthielt Stoffe und Stickereien, Spitzen und kostbare Fächer. Ein kleineres Möbel mit eingelegter Holzarbeit und vergoldeten Rococogriffen schien blos für die Aufbewahrung von Schmucksachen bestimmt. Zu diesem ging das Fräulein und zog ein Schubfach nach dem andern heraus. Er beobachtete sie dabei. Keine Miene verrieth irgend eine Freude an diesem Besitz. Mit einer Art verächtlicher Unordnung waren Kästchen, Etuis und lose Ketten und Spangen über einander gehäuft. Sie wühlte darin herum, ihre Wangen rötheten sich, da sie immer noch das Gesuchte nicht fand. Endlich schob sie das letzte Fach wieder hinein und sagte:

Ich bin zu aufgeregt, um jetzt ordentlich zu suchen. Der Ring ist sicher vorhanden, beruhigen Sie sich darüber. Ich will Sie nicht länger aufhalten, ich begreife, daß Ihnen hier der Boden unter den Füßen brennt. Aber mein Wort darauf, heut Abend haben Sie den Ring. Ich sende ihn durch eine zuverlässige Person in Ihr Haus.

Er sah, daß sie ihn verabschiedete. Dennoch zögerte er noch einen Augenblick.

Erlauben Sie mir, heute Abend noch einmal selbst vorzusprechen und den Ring aus Ihrer Hand in Empfang zu nehmen?

Wie Sie wollen. Ich dachte Ihnen ein peinliches Wiedersehen zu ersparen. Aber wie es Ihnen lieber ist.

Sie neigte den Kopf unmerklich gegen ihn, er machte eine linkische Verbeugung und verließ das Haus.

Als die alte Dienerin, die ihm das Parkthor wieder geöffnet hatte, zu ihrem Fräulein zurückkehrte, stand diese noch unbeweglich auf derselben Stelle, wo der junge Kapitän sie verlassen.

Du bist es, Anne! sagte sie mit einem Seufzer. Ist er fort?

Die Alte nickte. Wer war der Herr?

Sein Bruder! Walter Haslach! Sollte man's für möglich halten? – Ach, Anne, ich gäbe alles Gold der Welt darum, wenn er dem Todten ähnlich sähe!

*

In tiefster Verworrenheit war der Jüngling fortgestürmt. Stundenlang rannte er durch die einsamsten Feldwege rings um die Stadt und wich allen Menschengesichtern aus. Als er sich endlich besann, daß der Vater auf ihn warte, erschrak er. Aber als Soldat an Gehorsam und Selbstverleugnung gewöhnt, schlug er, ermattet wie von einem langen, blutigen Kampf, den Weg nach der Stadt wieder ein und schlich, die Augen zu Boden gesenkt, die Glieder mühsam regierend, durch die abgelegensten Gassen seinem väterlichen Hause zu.

Er fand den Alten in dem Zimmer, wo die Kleider des Todten lagen. Die hohe Gestalt, von den Jahren noch ungebrochen, hatte ihre frühere Straffheit wiedergefunden. Nur das Sprechen schien Mühe zu kosten. Der Alte hörte den stammelnden Bericht des Sohnes ohne eine Miene zu bewegen, dichte Wolken aus seiner kurzen Thonpfeife hervorstoßend, und nickte dann nur mit dem Kopf. Der Bediente flüsterte hernach dem Sohne zu, der Herr Oberst habe den ganzen Tag nichts genossen, als ein Stück Brod und eine Flasche Wein.

Auch Walter wies die Frage zurück, ob er nicht zu speisen befehle. Der Freund von gestern Nacht kam wieder, sich zur Gesellschaft anzubieten, wurde aber weggeschickt: ein Kopfweh mache jede Unterhaltung unmöglich. Dann saß der Einsame in seinem Stübchen, bis die Dämmerung hereinbrach und die Thurmuhr, die acht Uhr schlug, ihn von Neuem aufschreckte.

Einen Augenblick war es ihm durch den Kopf gefahren, ob er nicht besser thäte, einen Boten zu schicken, statt selbst zu gehen. Dann sagte er sich, daß sie es als Feigheit oder Geringschätzung deuten könnte, wenn er sein Versprechen nicht hielte. Den wahren Grund, der ihn unwiderstehlich wieder zu ihr hinzog, gestand er sich nicht.

Aber auf dem Wall, da er schon aus der Ferne die Wappenlöwen auf den Thorpfeilern ihres Parks erkennen konnte, schlug ihm das Herz so heftig, daß er stillstehen und an einen Baum gelehnt nach Athem ringen mußte. Nein! sagte er dumpf vor sich hin, ich will sie nicht wiedersehen. Es kann nicht Feigheit gescholten werden, wenn ein Mensch von Fleisch und Blut sich vor der Hölle fürchtet. Wer sie auch sein mag – sie ist ein Dämon – und wenn sie unschuldig ist – um so schlimmer!

Er nahm sich fest vor, sich nicht bei ihr zu melden, nur durch ihre Dienerin um das Versprochene bitten zu lassen. Das beruhigte ihn. Er trocknete sich den Schweiß von der Stirn und gelangte mit festen Schritten an das verhängnißvolle Gitter.

Leise zog er die Glocke. Sie hatte aber kaum ausgeklungen, als er hinter der Taxushecke, die den Garten vorn abschloß, eine schlanke dunkle Gestalt hervortreten sah und erkannte, daß all seine weisen Entschlüsse umsonst gefaßt waren.

Sie trug wieder ihr schwarzes Kleid, heut aber nicht den Shawl, und Hals und Brust waren mit einem grauen Flortuch verhüllt. Wie sie jetzt selbst das Gitter öffnete und ihn nur mit einer stummen Geberde begrüßte, war ihm zu Muth, als hätte er sie schon Jahr und Tag gesehen und könne keinen Tag mehr leben, an dem er sie nicht sehen sollte.

Sie kommen spät, sagte sie, als sie ein paar Schritte in den Garten hinein gethan hatten. Ich dachte schon, es sei Ihnen überhaupt wieder leid geworden, – ich hätte es Ihnen nicht verdenken können. Desto mehr danke ich Ihnen, daß Sie nun doch Wort gehalten haben. Ich sehe es als einen Beweis an, daß Sie Alles glauben, was ich Ihnen von mir und meinem Unglück gesagt habe. Gleich nachdem Sie mich heute verlassen hatten, fand ich den Ring. Hier ist er. Verzeihen Sie mir, daß er je in meine Hände kam, so unschuldig ich daran bin.

Sie zog den Ring aus der Tasche und reichte ihn dem Jüngling, der ihn stumm, ohne einen Blick darauf zu werfen, in Empfang nahm und zu sich steckte. Mademoiselle – sagte er; er stockte und nahm den Hut ab, die Stirne brannte ihm, seine Augen irrten durch das Halbdunkel der Gebüsche, vermieden aber ängstlich die Richtung nach dem Hause einzuschlagen.

Ich habe noch eine Bitte an Sie! sagte er endlich kaum hörbar.

Sie blieb stehen und wartete.

Ich weiß nicht, was Sie von mir denken werden, fuhr er mit schwerer Zunge fort. Glauben Sie an ein Schicksal? Ich war bisher geneigt zu denken, der Mensch – einer, der Muth und Selbstachtung und einen Begriff von Ehre habe, – ein Mann, mit einem Wort, schaffe sich sein Schicksal selbst. Seit heute – hab' ich erlebt, wie wenig wir wissen und können, – wie wir beherrscht – geknechtet werden von unbekannten Gewalten. Wer mir noch gestern gesagt hätte, daß ich an die Stätte, wo mein armer Bruder seinen letzten Hauch gethan, – an das Wesen, um welches er so früh fortgemußt, – anders als mit Grauen und Bitterkeit denken würde, ich hätte ihn einen Lügner und Ehrenschänder gescholten. Und nun heute – verzeihen Sie – ich weiß nicht, was ich sage, kaum was ich fühle. Aber so viel ist mir mit furchtbarer Klarheit gewiß geworden, daß – daß ich den Todten beneide, der den Muth gehabt hat, lieber zu sterben, als ein hoffnungsloses Leben jammervoll hinzuschleppen!

Sie standen von einander abgewandt. Er hatte die Spitze seines Fußes in den Kiesweg gebohrt, wie wenn er etwas Begrabenes herauswühlen wollte. Kein Laut regte sich ringsum. Nur der niedrige Flug der Fledermäuse bewegte dann und wann die Luft zu ihren Häupten.

Und Ihre Bitte? fragte sie nach einer langen Pause mit tonloser Stimme.

Sie haben mir den Ring zurückgegeben, und nun wäre Alles aus zwischen uns, – und doch – Ihr Bild wird mich verfolgen, wohin ich auch gehen mag. Ich möchte – eine Art Vergeltung üben, – Ihnen etwas zurücklassen, was Sie daran erinnert, daß Sie nicht nur einen Todten, sondern auch einen Lebenden auf dem Gewissen haben. Hier – und er zog einen breiten goldenen Reis mit einem Türkis von seinem Finger – erlauben Sie mir, Ihnen dies werthlose Andenken – Sie mögen's zu dem Uebrigen legen!

Er hielt ihr den Ring hin und sah sie unwillkürlich jetzt zum ersten Male an. Ihre Augen, die groß und still geöffnet waren, standen in hellen Thränen. Ich danke Ihnen, hauchte sie; dieser Ring soll mit mir begraben werden.

Jorinde! rief er überlaut, – Sie –

Die Stimme brach ihm. Im nächsten Augenblick lag er zu ihren Füßen, hatte ihre beiden Hände an seine Lippen gerissen und benetzte sie mit Thränen und Küssen.

Sie fand zuerst ihre Besinnung wieder. Stehen Sie auf! Was thun Sie? Walter, bei Allem, was Ihnen theuer ist – Sie können – Sie dürfen nicht –

Was kann und darf ein Mensch nicht, um den diese Augen geweint haben! rief er außer sich. O Jorinde, was vermag ein Mensch gegen sein Schicksal!

Ich habe es mich selbst gefragt, sagte sie kaum hörbar. Ich weiß keine Antwort, als – sich ergeben! Kommen Sie, führen Sie mich dort zu jener Bank. Ich habe Ihnen Viel, Viel zu sagen. –

*

Acht Tage waren vergangen. Der Urlaub, den der alte Oberst für sich und seinen Sohn bei ihrem Regiment erwirkt, neigte sich zum Ende. In der Stadt hatte man von den beiden Trauernden wenig gesehen; Niemand war es auffallend, daß sie keine Besuche gemacht, und selbst die Schroffheit, mit welcher der Vater sich alle Condolenzen von Seiten befreundeter Familienhäupter und Jugendgefährten verbeten hatte, fand ihre Entschuldigung in der grauenvollen Art des Todes und den Ursachen, die ihn herbeigeführt.

Auch mit dem eigenen Sohn hatte der alte Herr wenig verkehrt; sie nahmen sogar ihre Mahlzeiten zu verschiedenen Stunden, Jeder auf seinem Zimmer. Denn seltsamer Weise, obwohl der Ueberlebende den gleichen Beruf, wie der Vater, erwählt hatte, war der Todte doch von jeher dem Herzen des Alten näher gewesen. Er hatte den Familiengeist deutlicher in sich ausgeprägt, als der jüngere Bruder, der von seinem strengen Erzieher ein Phantast gescholten ward und hören mußte, wie der pünktliche und nüchterne Georg ihm als Vorbild hingestellt wurde. Auch schien bei dem Schmerz um den Verlorenen in der Seele des Alten die herbe Enttäuschung mitzusprechen, daß dieser musterhafte Sohn durch eine so überspannte That den Namen seines Hauses hatte beflecken können. Das alte Patrizierblut empörte sich bei dem Gedanken, daß ein Haslach fähig gewesen war, wie ein kopfloser Schwärmer einen Wertherstreich zu begehen und ein bequemes, wohlgeordnetes Leben um einer hergelaufenen, verdächtigen Fremden willen auf eine so jähe Art wegzuwerfen. So hatte er den Sohn doppelt verloren, da sein Bild ihm plötzlich verzerrt erschien und er auch um die Erinnerung an ihn betrogen war.

Am Abend des neunten Tages, als er den Anderen, minder Geliebten, der ihm geblieben, eben zu einem Ausgang sich rüsten sah, rief er ihn zu sich und erinnerte ihn daran, daß sie sich in zwei Tagen zur Rückkehr nach Linz, wo sie in Garnison lagen, bereit halten müßten.

Der Sohn stand regungslos vor ihm, den Hut in der Hand, das Gesicht düster zur Seite gekehrt.

Vater, sagte er, ich habe Sie bitten wollen, um eine Verlängerung des Urlaubs einzukommen. Ich möchte – eh' ich die Stadt wieder verlasse – eine Angelegenheit ordnen, an der das Glück meines Lebens hängt.

Der Alte sah ihn prüfend an, legte die Pfeife auf den Tisch und kreuzte die Arme über der Brust. Er hörte an der Stimme des Sohnes, daß er eine peinliche Eröffnung zu machen hatte. Es war aber nicht seine Art, ihm in solchen Fällen mit einem väterlich ermunternden Wort zu Hülfe zu kommen.

Ich habe mich entschlossen, zu heirathen, fuhr der Jüngling fort. Ehe ich gehe, sollte die Verlobung fest abgeschlossen werden – wenigstens Sie, mein Vater, sollten meine Braut kennen lernen, und in der Stille, wie es diese Trauerzeit erheischt –

Nun, beim Sacrament, du hast dir eine recht convenable Zeit ausgesucht für deine Herzensangelegenheiten! Heirathen willst du? Eine alte Liebschaft vielleicht? Und hast in dieser tristen Woche das Herz dazu gehabt, wieder anzubändeln und die Sache glücklich so weit zu bringen, daß es nur noch am Vatersegen fehlt? Uebrigens – Jeder auf seine Manier. Ich habe schon sonst erleben müssen, daß deine phantastischen Einfälle mir über den Kopf weggingen, und wenn du es auch diesmal ein bischen stark machst – basta! Du bist mündig. Ich gratulire dir zu deiner Kaltblütigkeit, dicht neben einem frischen Grabe an Hochzeit zu denken. Wer ist denn die Auserwählte?

Der Jüngling antwortete nicht sogleich. Er hob aber den Blick vom Boden auf und heftete ihn fest und muthig auf die bohrenden Augen des Vaters, als ob er ihm zeigen wollte, daß er seines Willens und seiner Kraft sicher sei.

Ich muß darauf gefaßt sein, Vater, daß Sie meine Wahl noch unpassender finden werden, als die Zeit. Ich kann nichts Anderes zu meiner Rechtfertigung anführen, als daß wir so wenig Herr unseres Herzens sind, wie unserer Tage. Und ich weiß auch, wenn Sie die erste Ueberraschung, den ersten so natürlichen Abscheu überwunden haben, wenn Sie meine Braut kennen gelernt und alle Umstände ruhig werden erwogen haben –

Den Namen! Lass Er die krausen Reden und sag' Er endlich –

Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Vater, Sie erst vorzubereiten. Alles scheint gegen dieses Mädchen zu sprechen, und ich selbst – eh' ich sie kannte – da ich nur wußte, welch ein Unglück durch sie, die ich damals noch für schuldig hielt, über uns gekommen –

Der Alte richtete sich plötzlich hoch auf. Er winkte mit der Hand, daß der Sohn nicht weiter sprechen sollte, machte dann ein paar Schritte nach der Thüre zu, wie wenn er das Zimmer eilig verlassen wollte, blieb aber wieder stehen und sagte endlich mit einem seltsam heiseren Ton, heftig mit dem Kopf vor sich hin nickend: Nur zu! Nur immer zu! Der Eine todt – der Andere wahnsinnig! Nur zu! nur zu! Eine herrliche Welt!

Vater! rief der Jüngling, schmerzlich sich zu ihm hinwendend, glauben Sie mir, nur um Ihretwillen habe ich das Uebermenschliche gethan, um dieses Gefühl mir aus der Brust zu reißen. Auch wie ich Alles wußte, daß sie selbst so wenig Theil an diesem jammervollen Schicksal hat, wie eine der steinernen Figuren in ihrem Garten, – selbst da kämpfte ich noch mit nur selbst. Der Todte steht ewig zwischen uns! rief eine Summe in mir, und Mehr noch! – denn wenn der Aermste wirklich aus einem Jenseits zurückzublicken vermag, kann es sein verklärter Geist dem Bruder mißgönnen, glücklicher zu sein, als er selbst hat werden sollen? – aber Sie, mein Vater, Sie, wie ich Sie kenne – da Ihnen der Todte von jeher theurer war als ich – nicht daß ich es als einen Vorwurf ausspräche! – vielleicht war die Schuld mein, daß ich den Weg zu Ihrem Herzen –

Still! – unterbrach ihn der Alte überlaut. Ich habe den Wahnwitz lange genug toben lassen. Kein Wort – keine Silbe mehr! Noch bin ich auf der Welt – oder bin ich's nicht? Oder ist das die Mode dieser neuen Zeit geworden, daß der Vater höflichst um seinen Segen gebeten wird, wenn der Sohn sich und sein Geschlecht entehren will? Nur Geduld! Es heißt zwar, daß Söhne mündig werden mit fünfundzwanzig Jahren. Aber ein Toller bleibt ewig unmündig, einen Rasenden bindet man mit Stricken und Ketten, daß er sich nicht selbst das Gesicht zerfleischt. Nur Geduld – nur Geduld!

Es war ganz dunkel im Zimmer geworden. Wie ein Blinder tappte der Alte um sich her, griff nach seinem Degen, den er umzuschnallen anfing, warf ihn dann wieder auf den Stuhl und nahm den Hut vom Tische.

Vater! rief der Jüngling, was wollen Sie thun? Wo wollen Sie hin? Ich beschwöre Sie –

Sei ruhig – o sei ganz ruhig! Ich – ich will nur ein wenig Luft schöpfen, und übrigens – hast du mich nicht selbst eingeladen, diese interessante Bekanntschaft zu machen, wovon du dir Wunder versprichst? Haha! in der That, ein großmächtiges Wunder gehörte dazu, mich dahin zu bringen, daß ich eine mordlustige Buhlerin –

Vater! bei Allem, was heilig ist – bedenken Sie, zu wem Sie sprechen, daß ich eine Beleidigung meiner Braut selbst von Ihnen –

Sei ruhig! Sei nur ruhig! O ich weiß, was Cavalierspflichten sind. Und wenn du etwa glaubst, daß ich etwas Gewaltsames vorhabe, – siehst du, ich nehme nicht einmal den Degen mit, ich will auch die Zunge in der Scheide behalten, du kannst ganz unbesorgt sein, daß ich diesem Geschöpf kein Haar krümmen werde, – aber sehen will ich doch, wie eine Dirne beschaffen sein muß, um aus einem jungen Narren einen rasenden Gotteslästerer zu machen, der seinem Bruder im Grabe die Ruhe stiehlt und seinem alten Vater ins Gesicht schlägt!

Er hatte den Hut aufgesetzt und war mit starken Schritten auf die Thüre zugegangen.

Vater, sagte der Sohn mit verzweifelter Festigkeit – geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß Sie in diesem unglücklichen Mädchen die Braut Ihres Sohnes respektiren wollen? O wenn Sie Alles wüßten, wenn ich Ihnen Alles sagen dürfte! – Ihr Ehrenwort, Vater, oder beim allmächtigen Gott, ich lasse Sie nicht allein gehen, ich muß –

Du bleibst! herrschte der alte Mann von der Thüre aus, deren Griff er schon gefaßt hatte. Armer Wahnsinniger, er glaubt, ich würde mich an seinem Kleinod vergreifen! Es wird nicht lange dauern, ich denke ihr nur zwei Worte zu sagen. Wie? kann er nicht einmal die halbe Stunde sich gedulden, um dann nach Herzenslust wieder zu seiner sauberen Liebschaft zu schleichen? – Die Hand von meinem Kleide, Thor! Bei meiner Soldatenehre, die mir theurer ist, als meinem Herrn Sohn, es soll Alles höflich und ritterlich abgemacht werden. Du erwartest mich hier!

Er ging hinaus. Der Sohn hörte ihn draußen mit dem Bedienten sprechen, wie wenn nichts Besonderes vorgefallen wäre. Dann sah er vom Fenster aus, wie der Vater aus dem Hause trat und die Gasse hinunterging, links und rechts keines der bekannten Gesichter grüßend. Die qualvolle Aufregung wich ein wenig von ihm. Er zog ein Miniaturbild aus der Brusttasche, das er gestern erst empfangen hatte, und vertiefte sich in das schöne, traurige Gesicht. – Wenn er sie nur erst sieht! sagte er vor sich hin.

*

Es war inzwischen Nacht geworden. Aber die sommerliche Helle des Himmels ließ den Mond noch nicht durchdringen. Am Wallgraben war's finster, Niemand erkannte den alten Offizier, als er auf das eiserne Parkgitter zuschritt und mit hastiger Hand die Glocke zog.

Die alte Dienerin aber, die alsbald mit dem Schlüssel herankam, stutzte, als sie das bleiche Gesicht mit dem grauen Bart durch die Gitterstäbe erkannte. Sie fragte nach dem Begehren des Herrn. Ihr Fräulein empfange so spät Abends keinen Besuch.

Er wisse, daß dieses Thor nach Sonnenuntergang nur für junge Herren aufgeschlossen werde, die Mademoiselle werde aber vielleicht eine Ausnahme machen, wenn sie höre, daß der Oberst Haslach, der Vater des Kapitäns, ihr die Ehre erzeige. Dann, als der Getreuen vor Schrecken der Schlüssel entfiel und sie auf dem dunkeln Boden eine Weile danach herumtastete, setzte er gebieterisch hinzu:

Oeffne Sie! Wenn es Sitte ist, das Entrée vorauszubezahlen, hier ist ein Louisd'or.

Die Alte richtete sich auf und sah ihm mit einem ganz eigenen Blick ins Gesicht. Ich hoffe doch, Herr Oberst, sagte sie, Sie sind nicht gekommen, um wehrlosen Frauenzimmern Beleidigungen zu sagen. Uebrigens – das Fräulein wird um die Antwort nicht verlegen sein. Treten Sie näher.

Ihr Ton machte ihn stutzig. Er hatte Anderes erwartet und schob mit einem murrenden Soldatenfluch die Börse, die er schon herausgezogen, wieder ein. Dann ging er die Gartenpfade entlang, welche die Alte ihn führte.

Wie sie um die Taxuswand bogen, sah er das Häuschen hinter dem Rasenplatz, der Mond fiel gerade zwischen den Säulen durch und zeichnete ein viereckiges Lichtfeld in die kleine Vorhalle. Der Alte wußte, was dort geschehen war; aber seine Seele war gegen das Grauen gepanzert durch Zorn und Ingrimm darüber, daß er gezwungen wurde, diese fluchwürdige Stätte zu betreten, und mit diesem Anliegen.

Schon wollte er den nächsten Weg nach dem Hause einschlagen, da sah er auf der Bank am Rande einer verfallenen Fontäne eine weibliche Gestalt in schwarzem Kleide, die sich mit einer Geberde der Ueberraschung erhob und einige Schritte ihm entgegen that.

Die alte Dienerin war plötzlich verschwunden, er stand der Herrin des Parks allein gegenüber.

Ohne sich Zeit zu lassen, ihre Person näher zu mustern – auch war ihr Gesicht durch den Schatten der Hecke verdunkelt, – ohne sie auch nur mit einer Verbeugung zu begrüßen, sagte er:

Sie sind die Mamsell, die dieses Haus bewohnt?

Sie antwortete nicht.

Ich bin der Oberst Haslach, fuhr der Alte fort. Mein Sohn hat mir soeben mitgetheilt, daß es zwischen Ihnen bis zu einer Art von heimlicher Verlobung gekommen ist. Ich bin nun hier, um Ihnen zu erklären, daß eine solche unpassende Verbindung mit meinem Willen nie zu Stande kommen wird. Mein Sohn ist, wie alle verliebten Gecken, überzeugt, daß es Ihnen mit Ihrem bischen Larve und allerlei verschmitzten Künsten nicht fehlen könne, auch meinen alten Schädel aus den Fugen zu bringen, wie Sie so vielen jungen Laffen den Kopf verdreht haben, daß ich mit Kußhand meinen Segen zu einer so standesmäßigen Manage geben würde. Bemühen Sie sich aber nicht, Mademoiselle. Ich halte Sie für gescheidt genug, um mir altem Soldaten eine solche Tollheit nicht zuzutrauen. Aber wie ich leider meinen Herrn Sohn kenne, sitzen die Schrullen bei ihm fester, als bei andern Sausewinden in seinen Jahren. Deßhalb bin ich hier, um Ihnen, falls Sie etwa schon ein schriftliches Eheversprechen in Händen haben, ein Arrangement vorzuschlagen, was für beide Theile vortheilhaft wäre. Belieben Sie Ihren Preis zu bestimmen. Ein Haslach pflegt nicht zu knausern, wo es die Familienehre gilt.

Sie hatte ihn ausreden lassen. Jetzt that sie einen Schritt aus dem Schatten heraus und zeigte ihm ihr volles Gesicht, dessen traurig stolze Ruhe ihn mehr, als er sich selbst gestehen wollte, überraschte. Er suchte in seiner Erinnerung, wo er die Ähnlichkeit hinbringen sollte, die ihm auf den ersten Blick aufgegangen war. Nun hörte er ihre Stimme und mußte sich beständig vorhalten, was auf dem Spiele stand, um nicht seine Söhne zu begreifen oder doch zu entschuldigen.

Herr Oberst, sagte sie, ich weiß genug von Ihnen, um darauf gefaßt zu sein, daß Sie kein Mittel unversucht lassen werden, um Ihren Sohn von mir zu trennen. Daß Sie mir ein erniedrigendes Anerbieten machen, vergebe ich Ihnen gern. Sie kennen mich nicht, der Schein ist gegen mich, Ihr Sohn, dem ich meine Geschichte mitgetheilt, hat mir versprochen, Niemand davon zu sagen, er hat auch wohl seinen eigenen Vater nicht einzuweihen gewagt, – sonst hätten Sie mir gegenüber nicht diese Sprache geführt. Damit Sie mich aber gerechter beurtheilen –

Ich bitte, Mademoiselle –! Es ist mir nicht im Traum eingefallen, mir ein Urtheil über Sie zu erlauben. Schöne junge Damen, die ihre Freiheit genießen, pflegt man nicht nach irgend einem bürgerlichen Maßstabe zu messen. Eine Jede hat irgend eine interessante Lebensgeschichte aufzutischen, in welcher sie sich alle Qualitäten einer geopferten Unschuld und eines hochherzigen Engels beilegt. Daß mein Sohn mich damit verschont hat, mir Ihre Memoiren mitzutheilen, war sehr wohlgethan. Ich gestehe Ihnen auch, daß ich zu alt bin, um mich von einem Roman rühren zu lassen, selbst wenn ich ihn aus der Heldin eigenem Munde erführe. Das letzte Kapitel des Ihrigen, das in diesem Garten gespielt hat, genügt mir vollkommen, um für jede Fortsetzung zu danken. Parbleu, Mademoiselle, es ist doch eine etwas starke Zumuthung, daß ein Vater, der auf Ehre und Respect bei seinen Mitbürgern hält, einer – gelinde gesprochen – zweideutigen Fremden seinen jüngern Sohn anverloben soll, nachdem sie dem älteren – aus der Welt geholfen hat!

Sie stand mit gesenkter Stirn dem Alten gegenüber. Die grauenvolle Erinnerung schien sie zu überwältigen. Aber plötzlich brach ein anderes Gefühl in ihrer Seele hervor; sie schüttelte das dichte Haar in den Nacken und trat dem Obersten einen Schritt näher.

Sie haben Recht, sagte sie mit leiserer Stimme, aus der eine tiefe Bitterkeit klang. Werfen Sie mir nur ein Unglück, das mich zu allem Andern noch getroffen, als eine Schuld vor. In so fern bin ich auch schuldig, als ich bei diesem Unglück kaum einen Schmerz gefühlt habe, nur ein dumpfes Staunen, wie die Rache des Himmels sich endlich vollzieht, wenn auch spät, erst im zweiten Gliede. Sie sehen mich betroffen an, Herr Oberst. Betrachten Sie mich nur genauer; vielleicht finden Sie, daß ich doch nicht so ganz eine Fremde für Sie bin, wie Sie glaubten, und nicht so zweideutig, wie Sie mich gern vor sich selber darstellen möchten, um für Ihr Gewissen eine Rechtfertigung zu haben, wenn Sie mich in die Fremde zurückzustoßen suchen. Forschen Sie doch nach an allen Orten, wo ich je gesehen worden bin, ob man irgend etwas Ehrloses oder nur Unziemliches von mir sagen kann, von mir oder – von meiner Mutter, die jetzt unter der Erde ruht.

Wir waren arm, Herr Oberst; wir haben uns mit der Arbeit unsrer Hände durchbringen müssen. Freude und Lachen habe ich nicht gekannt, obwohl ich jung war und ein gutes Gewissen hatte und eine Sehnsucht nach Glück, die keine Sünde sein kann, da Gott sie jedem Menschen ins Herz gelegt hat. Aber ich sah meine arme Mutter an, da erschien es mir wie ein sündhafter Leichtsinn, wenn ich hätte lustig sein und an Vergnügen und Putz denken wollen. Und doch hatte ich Augen und Ohren und hätte mir beide zuhalten müssen, um nicht zu merken, daß ich für schön galt und daß unsere Armuth in den Augen junger und alter Nachbarn keine Schande war, kein Grund, mich nicht zu allen Festen und Tänzen hinzuzuwünschen. Wenn ich trotzdem keine frohe Jugend gehabt habe, wissen Sie, wer daran Schuld war? Ich will es Ihnen sagen, wie ich es Walter gesagt habe: der alte Hochmuth und Familienstolz des Hauses Haslach, an dem das Lebensglück meiner armen Mutter zu Grunde ging und der nun auch die Tochter elend machen möchte. Kennen Sie den Namen Franziska Bauer? So hieß meine Mutter, Herr Oberst, als sie in das Haus Ihrer Eltern als Magd eintrat, da ihr Vater zu arm war, um seine vielen Kinder bei sich in Freiburg zu behalten. Das Uebrige werden Sie besser wissen, als ich. Sie werden sich auch ohne Zweifel so gut wie meine Mutter entsinnen, daß es viel Geld und viel mächtige Vermittlung brauchte, bis die heimliche Ehe, die Ihr Bruder mit der Magd seiner Eltern schloß, wieder gelöst und alle Ansprüche der ärmsten Frau ein für alle Mal mit einer Summe Geldes abgekauft waren. Nie habe ich begriffen, wie meine Mutter darein willigen konnte, Geld zu nehmen für ihren Mann. Sie sagte, sie habe es ihres Kindes wegen gethan. Es ist möglich, daß man anders gesinnt wird, wenn man Mutter ist. Und Sie haben Recht, das Haus Haslach knausert nicht, wenn es einen Preis machen muß für das, was es seine Familienehre nennt. Aber auch arme Leute haben ihre Ehre, Herr Oheim. Und alles Gold, was Sie der verstorbenen Schwägerin mit auf den Weg gaben, hat ihr die verlorene Ehre nicht vergüten können.

Ihre Stimme war immer erregter geworden, Thränen erstickten sie jetzt. Der alte Offizier, der an die Hecke gelehnt stand, starrte vor sich hin. Kein Laut verrieth, was in ihm vorging.

Sie haben es abgelehnt, meinen Roman, wie Sie es nennen, zu hören, fuhr sie fort, nachdem sie sich wieder ein wenig gesammelt hatte. Ich kann es Ihnen dennoch nicht ersparen. Sie sind nicht nur der Urheber dieser traurigen Geschichte, Sie müssen auch wissen, ganz und unverhüllt, wie das unglückliche Wesen dazu gekommen ist, Sie wieder an sein Dasein zu erinnern. O, ich will nicht versuchen, mich nun als ein Opfer hinzustellen, wie Sie vielleicht erwarten! Alles, was meiner armen Mutter an Trotz und Muth gegen ihr Schicksal gefehlt hat, all das habe ich in mir auflodern fühlen, als ich an ihrem Todbette zuerst die Geschichte ihrer Leiden erfuhr, die ich bisher nur verworren geahnt hatte. Wie sie in ihre Heimath zurückkam, ohne den Mann, nur mit dem Kinde; wie Keiner, selbst ihre Nächsten nicht, daran glauben wollte, daß dieses Kind einer wirklichen Ehe entsprungen sei, – und die Schmähungen, die Verdächtigungen, die eigenen Eltern, die sich von ihr abwendeten, bis sie es zu Hause nicht mehr aushielt und nach einem Orte floh, wo Niemand sie kannte, bis nach Frankreich hinein, – wie sie erst in Besançon, dann in Grenobles eine Zuflucht suchte, und weil sie schön war und man nichts von ihrer Herkunft wußte, überall Nachstellungen und Demüthigungen preisgegeben – nein, Herr Oberst, ich will Ihnen nicht langweilig werden mit der ausführlichen Geschichte dieser traurigen Zeit. Da erbarmte sich unser endlich ein neues Unglück. Das Kapital, das die Mutter von dem Hause Haslach nach der Scheidung erhalten, ging bei einem Bankrott verloren, sie fiel vor Schrecken in ein Nervenfieber, das ihre Schönheit zerstörte, und da sie in der Nacht, besinnungslos, ihrer Wärterin entkam und aus dem Fenster sprang und ein schweres inneres Leiden davontrug, siechte sie ihre übrigen Jahre so hin, sich selbst nicht mehr ähnlich. Ich habe sie nicht anders in der Erinnerung, als auf Krücken schleichend, wenn sie einmal von ihrem Spitzenklöppeln am Fenster aufstand, nach dem Herde zu sehen oder mir die Thüre zu öffnen. So haben wir Jahr um Jahr gelebt, und ich wußte nicht, warum wir so unglücklich waren, warum in einem fremden Lande, da wir doch Deutsch sprachen, und warum von meinem Vater nie die Rede war. Erst als sie ihre letzte Nacht herankommen fühlte, sagte sie mir Alles. Und in dem bitteren Gram, daß ich meine Mutter begraben mußte, – wie viel härter schien mir ihr Loos, wie viel schändlicher die Tücke des Geschickes und die Herzenskälte der Menschen! Ich hörte den Namen Haslach, den ich selbst zu führen berechtigt war, zum ersten Mal, und die erste Silbe davon klang mir immer im Ohr. Haß fühlte ich gegen Alle, die das Leben meiner armen Mutter zerrüttet, sie um Ehre und Glück betrogen hatten, die Einen aus Schwäche, die Andern – ich weiß nicht, wie Sie selbst es nennen, Oheim. Und nun es vorbei war, was nun? Kam nun die Reihe an mich? Ich war schön, wie meine Mutter, und arm, wie sie, und wehrlos, wie sie, gegen selbstsüchtige Menschen, die meine Jugend zu verderben Lust hatten. Sollte ich nun still halten und auch so ein erbärmliches heimathloses Leben herankommen lassen, wie hier eben eins zu Ende gegangen war? Nein! sagte ich mir und biß die Zähne zusammen, ich will nicht so geduldig sein, ich will mein Schicksal herausfordern, und vor Allem: die Todte will ich rächen an dem ganzen Geschlecht, das ihr Elend verschuldet hat, und der Herrgott im Himmel, der ja will, daß wir die Sünde hassen, wird mir beistehen, wenn ich mich zum Werkzeug der Vergeltung in seine Hand gebe!

Ich wußte, daß mein Vater nicht mehr lebte, daß seine zweite Ehe kinderlos geblieben war, – von Ihnen, Oheim, den ich vor Allen hassen mußte, wußte ich Nichts. Auch lag mir wenig daran, bloß an den Haslachs mich zu rächen. Alle die hochmüthigen reichen Häuser in dieser Stadt, die damals es nur gelobt und gebilligt hatten, daß die Ehe mit einer fremden Magd vernichtet wurde, all die wollt' ich aus ihrer Ruhe aufschrecken. Ich wußte gut genug, daß mein Gesicht und meine Gestalt jungen Leuten gefährlich war. Ich hatte es trotz unseres eingezogenen Lebens mehr als einmal erprobt, daß, wenn ich es darauf anlegte, ich jeden Strohkopf in Flammen setzen konnte. Schelten Sie das Eitelkeit, Oheim, oder wie Sie wollen, Gott ist mein Zeuge, ich hatte nie Mißbrauch damit getrieben; ich liebte die Männer nicht, noch eh' ich wußte, was meine arme Mutter durch einen Mann hatte leiden müssen. Jetzt aber, jetzt freute ich mich, daß ich es in meiner Macht hatte, mich an diesen stolzen Patrizierhäusern zu rächen, indem ich ihre übermüthigen, verwöhnten Söhne zu meinen Füßen schmachten ließ!

Sie hatte im hellen Mondlicht gestanden, ihr Gesicht glühte über und über, es war, als ob ein Fieber all diese Bekenntnisse aus ihr herauslocke. Und der Alte noch immer starr und stumm auf dem alten Fleck.

Sie näherte sich ihm jetzt und suchte sich zu einem gelassenen Ton zu zwingen.

Es graut Ihnen vor mir, Oheim, gestehen Sie es offen; mir selbst – jetzt, wenn ich zurückdenke, – wie von einem bösen Geist besessen komme ich mir vor; ich frage mich, ob ich's wirklich war, die das arge Spiel mit all den verblendeten Thoren getrieben hat, so gelassen, wie ich die Enten im Wallgraben fütterte. Ich will nichts beschönigen, Oheim. Ich weiß, daß ich mir Nichts von all den Sorgen und Seufzern zu Herzen gehen ließ, sondern heimlich dachte: euch geschieht Recht; wenn es nur noch ärger käme! – Dann kam es ärger – und es war ein Haslach, den es traf, – und auch das, Oheim, obwohl mir's schauerlich war – ich trug nicht schwer daran in meinem Gewissen. Ich glaubte, es sei die Hand des gerechten Gottes, die ihn getroffen.

Aber dann – als wieder ein Haslach kam und ich beim ersten Blick auf ihn in meinem Innersten fühlte: nun war ich getroffen von der vergeltenden Hand, – o wenn ich Ihnen sagen – wenn Sie mir glauben könnten –

Sie verstummte plötzlich. Sie sah, wie der Alte mit einem Ruck die Lähmung abschüttelte, die ihn so lange an die dunkle Hecke festgeklammert hielt. Er fuhr, mit der Hand tastend, nach seinem Hut, als ob er sich überzeugen wollte, daß er ihn noch auf dem Kopfe trug; dann strich er sich die Uniform über den Hüften glatt und versuchte an ihr vorbeizuschreiten. Aber sie vertrat ihm den Weg.

Wo wollen Sie hin, Herr Oberst? rief sie voll Angst. Können Sie, nachdem Sie nun Alles wissen, ohne ein Wort –

Es ist genug geredet worden, stieß er rauh heraus. Was helfen Worte? Können sie einen Todten wieder aufwecken? Und selbst dann – können Sie im Ernst glauben, Mademoiselle, –

Oheim! rief sie, nach seiner Hand haschend, nennen Sie mich nicht mehr eine Fremde! Sei'n Sie barmherzig! Ich bin nicht mehr Jorinde La Haine. O diesen selbstgeschmiedeten Namen – wie hab' ich ihn büßen müssen! Soll er uns nun ganz elend machen, mich, Ihren Sohn, – Sie selbst? – Mich freilich kennen Sie nicht, und daß ich, wenn ich gefehlt, nicht aus Leichtsinn, nur weil ich ein allzu schweres Herz und meine arme Mutter zu sehr geliebt habe –

Er zog barsch seine Hand zurück. Bemühen Sie sich nicht weiter, sagte er mit seiner ganzen Kälte. Niemals wird der Oberst Haslach seine Einwilligung dazu geben, daß sein Sohn eine so wahnwitzige Ehe schließt. Wenn Sie glauben, ich sei mürbe geworden durch die zwanzig Jahre, seit ich meinem Bruder geholfen habe, einen Narrenstreich ungeschehen zu machen, so irren Sie sehr. Wie mein Sohn jetzt darüber denkt, ist mir sehr gleichgültig. Wenn er so graue Haare hat, wie sein Vater, wird er es ihm noch im Grabe danken, daß er ihn von einem Abgrunde zurückgezogen hat, und wär's auch mit Gewalt. Gute Nacht, Mademoiselle!

Er legte die Hand an den Hut und verließ, ohne noch einen Blick auf die regungslose Gestalt zu werfen, den Garten.

*

Was in dieser Nacht zwischen Vater und Sohn vorging, hat Niemand je erfahren. Am andern Tage sah man Jeden mit starrer, steinerner Miene herumgehen, die letzten Geschäfte vor der Abreise besorgen, Abschied nehmen von den wenigen näheren Bekannten, mit denen sie in dieser Trauerwoche überhaupt verkehrt hatten. Unter einander sprachen sie kein Wort und sorgten dafür, sich im Hause beim Kommen und Gehen nicht zu begegnen. Den Nachbarn fiel es auf, daß die Züge des jungen Kapitäns düsterer, sein Betragen scheuer und abweisender war, als am ersten Tage, wo der Schmerz um den Bruder noch frisch in ihm bluten mußte. Der Oberst hatte stets für einen Sonderling gegolten, der die Menschen nicht liebe. Aber auch an ihm fiel eine unheimliche lauernde Miene auf, die selbst seine alten Kameraden von ihm zurückscheuchte.

So verging der Tag. Als es dunkel geworden war, trat der Bursche des Kapitäns in das Zimmer des Obersten, um im Auftrag seines jungen Herrn zu melden, derselbe sei von einem Freunde – dessen Namen er auch nannte – eingeladen worden, noch einen Abschiedstrunk in seiner Gesellschaft zu nehmen. Sie würden in einem Weinhause vielleicht bis über Mitternacht bleiben, der Herr Oberst möge daher nicht unruhig werden, wenn der Herr Kapitän erst spät nach Hause käme. Bei der Abreise, die auf morgen früh festgesetzt war, werde er nicht fehlen.

Kein Wort und keine Miene verrieth, ob der alte Herr die Meldung gehört hatte. Er saß in Tabakswolken eingehüllt vor seinem Schreibtisch. Auf einem Stuhl lagen die Kleider seines todten Sohnes, die er mitnehmen, aber selbst in den Mantelsack verpacken wollte.

So verließ ihn der Bursche, da auch auf die Frage, ob der Herr Oberst sonst Nichts befehle, keine Antwort kam.

Indessen saß der Sohn wirklich, wie er es dem Vater hatte melden lassen, in einem abgeschlossenen Zimmer einer Weinschenke mit jenem ältesten und vertrautesten seiner Jugendfreunde zusammen. Sie hatten viel mit einander zu besprechen gehabt, so ernste und gewichtige Dinge, daß Beide das Trinken darüber vergessen mochten. Eine ansehnliche Summe in Gold hatte der Freund mitgebracht, über die der junge Offizier ihm einen Schein ausstellte. Was sie dann noch weiter verabredet, war alles mit so leiser Stimme gesprochen worden, daß der dienstfertig ab- und zugehende Kellner nicht eine Silbe verstand.

In der Trinkstube nebenan war es still und stiller geworden. Nur wenige von den beharrlichsten Nachtvögeln nisteten noch fest in den düsteren Winkeln hinter ihrem letzten Schoppen, und man hörte den rasselnden Gang der alten Wanduhr. Jetzt setzte sie ein, um Mitternacht zu schlagen. Da erhob sich der junge Offizier von seinem Stuhl, griff nach dem Hut und sagte zu seinem Gefährten:

Es ist Zeit. Sie soll nicht auf mich zu warten haben. Bleibe du hier, Martin, und laß mich allein das Haus verlassen. Du kannst hernach der Wahrheit gemäß bezeugen, daß ich um Mitternacht fortgegangen sei und du nicht gesehen habest, welchen Weg ich eingeschlagen. Nochmals Dank für all deine gute, herzliche Freundschaft, und ich hoffe dir's noch einmal vergelten zu können. Wenn sie hinter mir drein schimpfen und schmähen, – versprich mir, daß du mich nicht vertheidigen, dir keine Händel meinetwegen zuziehen willst. Jeder hat nur Einen Richter über seine Handlungen, sein Gewissen, und jedes richtet nach eignem Gesetz. Daß meines mich losspricht, wo mich die Menschen verdammen werden, das fühl' ich so gewiß wie mein Leben. Ich weiß nicht, ob ich es thun würde, wenn Nichts weiter als meine Leidenschaft mich dazu spornte. Aber hier steht mehr auf dem Spiel. Der Name, den ich trage, legt mir die Pflicht auf, an der Tochter gut zu machen, was ein Haslach an der Mutter verbrochen hat. So spiele ich va banque – was liegt an meinem Leben? Du siehst zwar schwarz in die Zukunft, Martin. Aber du bist auch kein Soldat, nicht an Wagen gewöhnt. Und dann – du kennst sie nicht, wie ich sie kenne. Hoffentlich, wenn wir irgendwo auf einem sichern Fleckchen Erde unser Leben gegründet haben, kommst du einmal zu Besuch, und dann scherzen wir über all deine sorglichen Einbildungen, mit denen du mir in dieser letzten Nacht das Herz hast schwer machen wollen. Lebewohl, mein Alter! Vergelt' dir's Gott, was du trotz alledem gethan hast, mir beizustehen.

Er schüttelte dem guten Gesellen kräftig die Hand, leerte dann noch sein Glas und verließ das Haus.

In einem Gasthof nahe am Thor hatte er seine Pferde eingestellt. Dahin ging er jetzt durch die schlafende Stadt, in der die Brunnen rauschten und das Mondlicht sein stilles, märchenhaftes Wesen trieb. Er mußte eine Weile pochen und rufen, bis der Stallknecht aus seiner Kammer hervortaumelte, fluchend über die nächtliche Störung. Als er den jungen Offizier erkannte, der ihm ein Goldstück in die Hand gleiten ließ, wurde er alsbald munter, machte sich auch weiter keine Gedanken darüber, warum der Herr Kapitän um Mitternacht seine Pferde verlange, sondern zog die beiden wohlgepflegten Thiere flink aus dem Stall und sattelte das Pferd des Dieners, während der Herr sein eigenes besorgte. Dann leuchtete er, als der Kapitän sich in den Sattel geschwungen und das zweite Pferd am Zügel gefaßt hatte, mit der Stalllaterne über den dunklen Hof und verschloß das Thor hinter dem Davonsprengenden.

Nur ein Weg von zehn Minuten war zurückzulegen, da ragten ihm schon die Thorpfeiler mit den Wappenlöwen vom Mondschein versilbert entgegen. Er hielt am Parkgitter still, schwang sich aus dem Sattel und band die Zügel der beiden Pferde an einem der Eisenstäbe fest. Die Glocke zu ziehen war heute nicht nöthig; die Pforte war der Verabredung gemäß nur angelehnt. So klopfte er seinem Sattelpferde nur noch mit einer leisen Ermahnung, ruhig zu bleiben, den Hals und betrat den Garten.

Das Herz pochte ihm ungestüm, als er die hohe Taxushecke entlang schritt, ein fieberhaft ungewisses Gefühl überkam ihn, so muthig und entschlossen er war. Er fühlte, daß hinter ihm die Brücke versank, daß er nun von Allem, was ihm bisher Heimath und Frieden bedeutet hatte, sich geschieden hatte. Aber er ging vorwärts, ohne zu zaudern, den Blick auf die Kiesel des Weges geheftet, die wie Edelsteine glänzten. Er horchte rings umher. Nirgends ein Laut. Es war ja auch ausgemacht worden, daß sie ihn im Hause erwarten sollte. Und doch fiel dies Schweigen ihm so beklemmend auf die Brust. Um nur bald ihre Stimme zu hören, verdoppelte er seinen Schritt, und schon bog er um die Ecke der dunklen Wand und sah jetzt das Häuschen im grellen Mondlicht auf der kleinen Anhöhe stehen – da – was erblickt er zwischen den Säulen der Vorhalle?

– Es lehnt dort Etwas, halb über die Stufen hingestreckt – den Oberkörper gegen die mittlere Thür gelauert – eine Mannsgestalt, das Gesicht im Schatten der breiten Hutkrämpe – und warum in der warmen Sommernacht den Mantel um die Glieder geschlagen – diesen Mantel – von lichtgrauer Farbe – heiliger Gott! – wer hütet die Thür zu dieser Stunde?

Ein zäher, kalter Nebel spann sich um die Augen des Jünglings, unwillkürlich war er einen Schritt zurückgetaumelt, er rieb sich mit der Hand Stirn und Augen, um den Nebel wegzuwischen – und jetzt riß er beide Augen so weit auf, als er konnte, und starrte mit wahnwitzig verzerrtem Munde auf die Gestalt. – Wer da? rief er mit halb erstickter Stimme, das Haar gesträubt, die Hand am Degengriff.

Keine Antwort. Aber Der im grauen Mantel schien gleichwohl für einen irdischen Anruf nicht taub zu sein, langsam zog er das eine Knie nach dem andern an sich – und nun – mit mühsamer Geberde, wie ein Schwerverwundeter, reckte er sich auf den Stufen in die Höhe – nun lehnte er sich in den Schatten zurück – nur seine untere Hälfte war deutlich im Mondlicht zu erkennen – so deutlich, daß dem Jüngling die Brust von einer Zentnerlast zu zerspringen drohte – und nun hob sich eine Hand, ein Arm bewegte sich winkend, drohend gegen ihn, der nur etwa zwanzig Schritte entfernt drüben auf dem hellen Kieswege stand, – ein Winken und Drohen – so still und feierlich, wie es der Arm keines Lebendigen –

Gespenst der Hölle! rief der Unglückliche drüben, dem dies Winken und Drohen galt – ich – ich weiche dir nicht! Was für ein Recht hast du – dich einzudrängen – diese Schwelle – hinweg von dieser Schwelle, sag' ich – oder vollende dein Werk, Phantom, komm an – wage es, blasser Spuk, dem Leben zu trotzen – ich weiß, daß du kein Recht hast – ich verachte dein Drohen – komm an! O all ihr Engel und Schutzgeister, helft mir gegen ihn!

Er hatte in der blinden Angst und Verstörung seinen Degen aus der Scheide gerissen, immer den Blick starr auf die Gestalt gerichtet – der Fuß trug ihn bewußtlos ein paar Schritte näher – er erhob den blanken Stahl – wieder ein Schritt gegen das Haus – da trat die Gestalt voll aus dem Schatten hervor, nur das Gesicht dunkel, und bewegte sich ihm entgegen, beide Arme wie beschwörend gegen den Besinnungslosen ausgestreckt – noch ein Winken und Drohen – dann ein dumpfes Stöhnen – die Gestalt im Mantel wankte ein paar Schritte zurück und stürzte strauchelnd zwischen den Säulen über die Stufen hin, wo sie mit dumpfem Hall zusammenbrach.

Im hellen Kiesweg stand der Jüngling, erstarrt wie ein Entseelter. Der Degen, von welchem Blut auf die Erde tropfte, fiel ihm aus der eiskalten Hand. Im nächsten Augenblick kniete er neben dem zusammengebrochenen Körper und schlug den Mantel zurück, den der Vermummte im Fallen über sein Gesicht geschlagen hatte: er sah in die Züge seines Vaters, die der Todeskampf verzerrte.

*

Als am anderen Morgen die Marktweiber über den Wall nach der Stadt gingen, fanden sie zu ihrem Erstaunen das sonst so wohlverschlossene Parkgitter geöffnet. Einige Polizeisoldaten, hiervon benachrichtigt, hielten es für ihre Pflicht, nachzusehen, ob etwa über Nacht ein Einbruch geschehen sei. Sie fanden den Garten und das Haus in friedlicher Ordnung! Als sie aber nach der Vorhalle kamen, lag dort der Todte, ganz wie er Nachts zusammengesunken war.

Von den Frauenzimmern, die hier gewohnt, war Nichts zu hören noch zu sehen. Man mußte durch einen Schlosser die Thüren sprengen lassen. Da fand man in dem kleinen Rococogemach, wo der Schatz aufbewahrt wurde, Alles in der alten Ordnung, nicht eine Spange oder ein Ring schien zu fehlen, auf dem Tisch aber lag ein offenes Blatt, worin die Besitzerin den Bürgermeister ersuchte, all diese kostbaren Sachen zum Besten der Stadtarmen zu verkaufen, da sie im Begriff sei, mit ihrem Bräutigam eine Reise anzutreten, und Nichts von hier mitnehmen wolle, als was sie mitgebracht habe, außer der Liebe und Treue ihres Verlobten. Zugleich bitte sie den Vater ihres Bräutigams um Verzeihung, daß sie auf seinen Segen habe verzichten müssen.

Dies Testament ließ deutlich erkennen, daß es noch vor dem letzten entsetzlichen Ereigniß abgefaßt war. Was dann sich noch zugetragen, konnte nur aus den jammervollen Spuren gemuthmaßt werden. Am Abend desselben Tages kam eines der Pferde, abgetrieben und halbgelähmt, an das Stadtthor und wurde als das Reitpferd des jungen Offiziers erkannt. Ihn selbst fand man erst zwei Tage später in einem nahen Gehölz, mit zerschmettertem Haupt unter einer Eiche liegend, seine Pistole neben ihm. Von seiner unglücklichen Braut und ihrer Dienerin, die auf dem anderen Pferde entflohen sein mußten, ist nie die geringste Kunde wieder vernommen worden.


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