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Um Mittag war's und die Erfrischung, die der nächtliche Regen gebracht hatte, längst aus der Luft wieder hinweggesengt. Jenes Fenster der Frau Anna, das in den Garten sah, stand offen, aber die Vorhänge waren nur wenig zurückgeschlagen, so daß ein purpurnes Helldunkel in dem Zimmer schwebte, in welchem die vollen Wangen der schönen Wittwe besonders jugendlich erschienen. Sie war eben aufgestanden und saß in einem reich geschnitzten Lehnstuhl vor einem Frühstückstischchen, die Zeitung auf ihrem Schooß. Dann und wann hüpfte ein zahmer Canarienvogel auf den Rand der Lehne oder naschte von dem Backwerk. Sie gab auf das zutrauliche Geschöpf nicht Acht. Tiefsinnig starrten ihre besonders edel geschnittenen Augen durch die Oeffnung des Vorhangs auf das Stück Himmel über den letzten Baumwipfeln ihres Gartens, und schlossen sich langsam, wenn sie von der sonnigen Durchsicht zu schmerzen anfingen. Eine kleine Standuhr in schwarzem Marmorgehäuse, auf dem sich zwei silberne Eidechsen verschlungen hielten, tickte gedämpft durch die Stille, und aus der Stadt herüber hörte man das Rollen der Wagen. Um aus Träumen aufzuwecken, wie sie in der vergangenen Nacht das Lager drüben an der Wand umgaukelt hatten, war diese Umgebung allerdings nicht angethan.

Da öffnete sich die Thür, und Margot trat herein. Die besondere Gunst, deren die Alte bei allen Besuchern des Hauses genoß, hatte sie keineswegs körperlichen Reizen zu danken. Sie war sehr früh schon als eine Art Bonne zu dem Kinde gekommen, das jetzt ihre Gebieterin war. Die Jahre hatten die männliche, aber kraftvolle Häßlichkeit ihrer Züge nicht gemildert, und das Bärtchen, das sie aus ihrer Vaterstadt Genf damals nur als einen zarten Schatten mitbrachte, eine nicht unerfreuliche Folie für die vollen rothen Lippen, war mit der Zeit zu einem sehr ärgerlichen und überflüssigen Umfange herangereift. Eine schneeweiße große Haube rahmte das farblose Gesicht ein; die schwarzen Augen verrieten einen Sinn der Klugheit, Treue und Entschlossenheit.

Beim Eintritt der Alten fuhr ihre Herrin aus ihren Betrachtungen auf. Wie spät ist's, Margot? Kommst du zum Frisiren? – Ein Besuch? Ich will Niemand sehen.

Ein Mann, der eine Bestellung hat, wünscht nur auf einen Augenblick –

Ein Mann? Was bringt er?

Ich kenne ihn nicht, aber er will Niemand als Ihnen selbst sagen, was ihn herführt.

Er mag kommen.

Sie veränderte ihre Stellung nicht, und offenbar hatte sie, sobald Margot den Rücken gewandt, völlig vergessen, daß ein Fremder gemeldet worden war. Als Borromäus gleich darauf mit einer ruhigen Verbeugung zu ihr eintrat, erwiederte sie seinen Gruß mit einigem Befremden.

Auch war etwas in seiner Erscheinung, was dieses Befremden nur steigern mußte, je länger sie ihn betrachtete. Mit seinem sehr bescheidenen Anzug, der Margot berechtigt hatte, einen »Mann« anstatt eines »Herren« zu melden, stimmte der sichere, vornehme, fast feindselige Ausdruck durchaus nicht, mit welchem er die schöne Frau musterte. Wer dem kühnen, durchdringenden Blick seiner Augen folgte, der wußte, daß ihm das erste Wort nicht aus Verlegenheit versagte. Er hatte den Mund fest zugepreßt, die eine Hand in der Rocktasche, die andere mit dem Hut auf dem Rücken. So stand die untersetzte, derbe Gestalt mitten im Zimmer, für einen Mann von Welt viel zu formlos, für einen Boten zu herrisch und vordringlich, und fast war es der schönen Frau unheimlich, daß Margot sie mit ihm allein gelassen hatte.

Sie haben eine Bestellung an mich? fragte sie jetzt.

Er schien seine Musterung noch nicht beendigt zu haben, denn sie wartete vergeblich auf Antwort. Ein wenig lauter und ungeduldiger fuhr sie fort: Von wem kommen Sie, und welches Geschäft führt Sie her?

Sie erlauben wohl, daß ich mich setze, erwiederte er; was ich Ihnen zu sagen habe, wird schwerlich so rasch abzumachen sein, wie ich in unser beider Interesse allerdings wünsche. Ueberdies ist es heiß, und ich habe es Ihnen zu danken, daß ich die letzte Nacht weniger, als ich bedarf, zum Schlafen kam.

Er rollte einen großen Sessel nahe an ihr Tischchen heran und nahm ohne Umstände darauf Platz. Sie machte ein Bewegung, als wolle sie aufstehen oder ihm ferner rücken. Er schien es nicht zu bemerken.

Darf ich vor allem Andern bitten, sagte sie rasch, daß Sie mir sagen, wer Sie sind, und was Sie herführt?

Sogleich, gnädige Frau. Der nächste Anlaß meines Besuches ist, nach einem Schlüssel zu fragen, der gestern Nacht wahrscheinlich in diesem Hause verloren worden ist; der weitere: Ihnen zu erklären, warum der Eigentümer sich nicht selber einstellt, das Verlorene wieder in Empfang zu nehmen.

Ein Schlüssel? So viel ich weiß, ist keiner gefunden worden. Aber ich will gleich meine Jungfer fragen.

Es wird vielleicht nöthig sein, auch bei dem Gärtner nachzuforschen, da es nicht unwahrscheinlich ist, daß der Schlüssel auf dem Weg vom Hause an die hintere Gartenthür verloren ging.

Er war gutmütig genug, während dieser Worte auf den Fußteppich zu blicken und ein Stück Zucker aufzunehmen, das der Vogel dorthin verschleppt hatte. Als er darauf sich wieder zu der Wittwe wandte, war auf ihrem Gesicht trotz des rothen Lichtes der Vorhänge eine durchsichtige Blässe zu bemerken.

Im Garten nachzusehen ist unnötig, sagte sie ruhig. Ich hatte gestern Abend eine kleine Gesellschaft, die aber den Garten nicht betrat, auch nicht, nachdem die Herren sich verabschiedet hatten. Meine Dienerin ließ sie alle durch die Hausthür hinaus.

Von dieser Gesellschaft rede ich nicht. Aber Sie empfingen hernach noch Besuch, der sich gegen drei Uhr durch den Garten entfernte.

Mein Herr – ich verstehe nicht – Niemand hat nach elf Uhr dies Haus betreten.

Ich habe dies nicht behauptet. Aber es wäre überflüssig, mir abzustreiten, daß Jemand um drei Uhr das Haus verließ, der vielleicht schon früher sich hier aufgehalten hatte.

Er ließ dabei einen langsamen Blick durch das Zimmer schweifen, in welchem sie sich befanden. Die Wittwe stand auf.

Es ist möglich, sagte sie mit anscheinender Gleichgültigkeit, daß einer meiner Leute, oder der Gärtner selbst irgend wen zu Nacht beherbergt hat. Ich will nachfragen lassen. Wie aber kommen Sie dazu, mit dieser Feierlichkeit bei mir einzudringen, um mir eine so unwichtige Sache mitzutheilen?

Ich sehe, daß es Zeit ist, mich Ihnen zu nennen. Sie werden den Namen Borromäus ohne Zweifel schon gehört haben.

Ich habe Verschiedene dieses Namens gekannt. Sie, mein Herr, sind mir gänzlich fremd.

So sollte er Ihnen nie von mir gesprochen haben?

Wer?

Sie sahen sich einen Augenblick fest in die Augen, als gälte es, wer den Blick am längsten ertrüge. – Gleichviel, warf Borromäus hin, sie hatten ohne Zweifel wichtigere Dinge zu reden. Es ist nachtheilig genug für mich, daß Sie mich erst heute kennen lernen, wo ich Ihnen eine Nachricht bringe, die mich ohne Zweifel wenig empfiehlt.

Er sah wohl, daß eine heftige Unruhe in ihr arbeitete. Aber sie besaß zu viel Herrschaft über sich, um ihr Spiel verloren zu geben. Ich bin bereit zu hören, sagte sie.

Nun denn, gnädige Frau, sie werden heut vergebens auf ihn warten. Mag sich dieser Schlüssel finden oder nicht, derselbe wird nie wieder um drei Uhr Morgens meine Hausthür öffnen, um den Jüngling einzulassen, den Sie längere Zeit auszuzeichnen die Güte hatten.

Sie hatte noch nicht verlernt zu erröthen. Aber sobald sie es selber empfand, daß sie im Begriff war, sich zu verrathen, war sie wieder ihrer selbst mächtig. Sie stand auf mit einer Miene, die jenes Erröthen als die Farbe des Unwillens umdeutete.

Wohin wollen Sie? fragte er, ohne seine ruhige Haltung zu ändern.

Dieses Zimmer verlassen, oder Sie nötigen, sich zu entfernen. Zu lange schon höre ich eine Sprache, auf die ich nichts zu antworten habe. Zum letzten Mal erkläre ich Ihnen, daß ich nichts von alle dem verstehe, was Sie an mich zu bringen wünschten. Suchen Sie die rechten Personen zu Ihren Nachrichten.

Hm! achselzuckte er. Sie ereifern sich sehr überflüssig. Es ließe sich, dächt' ich, gelinder behandeln.

Sie trat dicht vor seinen Sessel hin, in zitternder Bewegung. Was giebt Ihnen einen Recht, sprach sie mit entschiedener Stimme, diese Sprache gegen mich zu führen?

Es ist schade, das ich Ihnen das weitläufig erklären muß, entgegnete er. Hätte Sie Detlef mit seinem Verhältniß zu mir bekannt gemacht, so könnte ich meinen Besuch, der Ihnen lästig ist, erheblich abkürzen. Nun muß ich wohl weiter ausholen.

Ich sehe noch nicht die Notwendigkeit dazu ein. Nichts steht im Wege, daß Sie mich auf der Stelle verlassen.

Was würde es Ihnen helfen? Sobald Sie sich allein sähen, würde Sie die Angst foltern, was dieser abgebrochene Besuch zu bedeuten habe, und Sie gäben Alles darum, mich zurückzurufen und mit abgenommener Maske mich auszufragen. Ich verdenke es Ihnen keinen Augenblick, daß Sie mir noch nicht trauen und für gut finden, Ihre Geheimnisse vor mir zu verschließen. Konnte ich doch auch ein Fremder sein, der durch einen bloßen Zufall zum Mitwisser geworden wäre und nun ein boshaftes Vergnügen daran fände, eine schöne Frau in Verwirrung zu bringen. Aber leider verhält sich die Sache anders. Ein Stück meines eigenen Schicksals hängt an unserem Gespräch, das mir nicht das mindeste Vergnügen macht. Und nicht zufällig bin ich zur Kenntniß der Vorgänge dieser und mancher früheren Nacht gelangt. Es hat mich eine schöne Summe Schlafs gekostet, bis ich die Ueberzeugung in die Hände bekam, daß es nicht studentische Trinkgelage waren, von denen Detlef erst gegen Morgen, nüchtern von Wein und dennoch berauscht, nach Hause kam. Wer vier lange Stunden gestern in dem Gäßchen hinter Ihrem Garten gestanden hat und mit dem Kummer eines Vaters, Bruders und Freundes das Licht in diesem Fenster anstarrte, der hat wohl ein Recht, ein wenig mehr Aufrichtigkeit hier mitzubringen und zu fordern, als sonst bei einer ersten Bekanntschaft üblich sein mag.

Sie scheinen sich nicht wenig darauf einzubilden, daß Sie sich zum Spion erniedrigt haben, sagte sie mit fester Stimme. Aber Sie sollten wissen, daß der Schein trügt. Sie möchten doch wohl ganz umsonst den Schlaf abgebrochen haben.

Wie unähnlich sind Sie Ihrem jungen Freunde! Detlef hat nicht den leisesten Versuch gemacht, mir die Wahrheit, die ich wußte, zu verbergen. Freilich kennt er mich besser und länger, als Sie mich kennen.

Er hätte –? Unmöglich! Sie betrügen mich, Sie denken mich in Ihren feinen Schlingen zu fangen.

Wozu sollte ich mir diese Mühe geben? fuhr er mit einer Art Mitleiden fort. Es bedarf keines Geständnisses von Ihnen, und nicht dazu bin ich hieher gekommen. Es thut mir sogar ein wenig leid für Sie, daß ich Ihnen eröffnen muß, die gestrige Nacht sei die letzte gewesen, wo das Lämpchen dort bis an den Morgen seine Schuldigkeit thun mußte. Sie haben es vorhin überhören wollen. Nun denn, ich wiederhole es: erwarten Sie ihn heute nicht, er wird nicht kommen.

Sind Sie beauftragt worden, mir das zu sagen?

Nein.

Nein? So ist es mir räthselhaft, was diese Worte meinen.

Sie wollen nur sagen, daß Detlef die Schwelle dieses Zimmers nicht wieder betreten wird.

Sie reden sehr bestimmt, mein Herr. Wenn es denn wahr wäre, was Sie fabeln, daß ich einen jungen Mann des Namens, den Sie genannt, bei mir empfangen hätte, wer will mich hindern, dies zu thun, wann und wie oft es mir gefällt?

Wer Sie hindern will? Bis der gesunde Geist, der von Detlef gewichen ist, zurückkehrt – werde ich es hindern.

Sie sind sehr gütig, Herr Borromäus, sehr offen und sehr eigenmächtig. Detlef ist elternlos. Wie maßen Sie sich Rechte über sein Thun und Lassen an? Wer heißt Sie sich in Verhältnisse mischen, die das Urteil der Welt bisher nicht herausgefordert haben?

Ich könnte Ihnen hierauf erwiedern, daß ich allerdings die besten und anerkanntesten Rechte auf eine solche Einmischung habe. Die vormundschaftliche Gewalt über den Knaben ist verbrieft und besiegelt mir in die Hand gegeben worden, als die Mutter starb. Aber ich bin selbst meiner Zeit ein zu ungebundener Kamerad gewesen, der seinen Vormündern so manchen Possen spielte, als daß ich jetzt diese pedantische Autorität in Anschlag bringen sollte. Was aber mehr ist, gnädige Frau, und auch in Ihren Augen mehr gelten muß: ich habe den Jungen lieb, wie mein eigen Kind, wie meinen Freund, meinen einzigen Bruder, wie eine Schwester, wenn Sie wollen. Wer ihm etwas zu Leide thut, den betrachte ich als meinen Feind, und wenn ich Gründe habe, ihn nicht von vorn herein zu hassen, so beeile ich mich doch, ihn zu warnen, daß er meinem Haß beizeiten ausweichen möge.

Ich sehe immer mehr, sagte sie rasch, daß Sie sich in der Person irren. Die Feindseligkeiten gegen Ihren Schützling, die Sie mir andichten – die Drohungen, die Sie mir entgegenschleudern –

Es steht in Ihrem Belieben, gnädige Frau, einen Scherz aus einer sehr ernsthaften Sache zu machen. Schade nur, daß es nicht lange dauern wird. Denn ich bin in allem Ernste gesonnen, mir meine einzige Lebensfreude nicht von Ihnen zu Grunde richten zu lassen.

Sie widersprechen sich selbst. Sie lehnen eine Vormundschaft ab, um ein Besitzrecht dafür einzutauschen.

Und machen Sie ein solches nicht ebenfalls geltend? Giebt nicht jede Liebe dieses Recht oder doch diesen Anspruch? Nun denn, meine Liebe zu dem Jungen ist wohl die Ihrige werth.

Liebe giebt nur Rechte, wenn sie erwiedert wird.

Sie irren, gnädige Frau: die bessere Liebe giebt das bessere Recht!

Und wer entscheidet darüber, welche die bessere sei? Nicht ihr Gegenstand allein?

Wenn er noch klar genug steht, um zu erkennen, welche Liebe die uneigennützigere sei. Sonst aber nur das heilige Bewußtsein dieser Uneigennützigkeit selbst.

Und wenn nun Jeder von uns behauptete, dies Bewußtsein stärker in sich zu tragen? Fiele dann die Entscheidung nicht dennoch wieder an den Dritten zurück?

Mit Behauptungen ist hier nichts gethan. Erwiesen muß es werden. Und können Sie das, gnädige Frau? Ich denke nicht gering von Ihnen. Ich will glauben, daß Sie an nichts Anderes gedacht haben, als an Ihre Liebe, daß die Rücksicht, ob ihm dieselbe Heil oder Unheil bringen würde, nie in Ihnen aufgetaucht ist. Ich am wenigsten darf mich wundern, daß selbst eine Frau von Ihren Jahren und Ihrer Lebenserfahrung kopfüber sich in eine Leidenschaft für diesen Jüngling stürzen konnte. Auch ich bin kein Moralist, der Ihnen ein Gewissen daraus machte, in der Gesellschaft für einen Spiegel der Sitten zu gelten und nur jenes Lämpchen dort zum Zeugen zu nehmen, daß Sie sich noch jung genug fühlen, um Ihrem Herzen den Zügel schießen zu lassen.

Mein Herr –

Unterbrechen Sie mich nicht, legen Sie meine Worte nicht auf die Wage geselliger Schicklichkeit. Das Geheimniß, das wir mit einander theilen, überhebt uns dessen. Ich darf Ihnen sagen, ohne Furcht, sie zu beleidigen, daß ich Sie dennoch für zu alt halte, um einen jungen Menschen, wie Detlef, in den Jahren, wo er bessere Dinge zu thun hätte, sich ans Herz festzuklammern und ihm mit dem unbefangenen Frohsinn eines freien Gemüthes die Lust an seiner eigenen geistigen und sittlichen Entwicklung zu rauben. Und Sie wollen behaupten, dies sei uneigennützig?

Er sah sie an, als erwarte er eine bestimmte Antwort hierauf. Sie aber lag im Sessel, die kleinen Füße über einander gestreckt, die schönen Arme, von denen die weißen Aermel zurückgefallen waren, auf die beiden Lehnen des Sessels gestützt, während sie einen zierlichen Ring von der Form einer goldenen Schlange bald vom Finger streifte, bald zwischen Daumen und Zeigefinger hielt und den Himmel dadurch beschaute, bald ihn in der Hand wog, ob er nicht schwerer wiege, als die Worte, die sie mit anhören mußte. Sie schien ihre bloße Gegenwart für die beste Antwort auf die Beschuldigung zu halten, daß sie einen Jüngling, den sie liebte, unglücklich mache. In ihren nachdenklichen Zügen, die vorher von mühsam verhehlter Aufregung geflackert hatten, zuckte jetzt eine fast behagliche Schalkhaftigkeit. Sie hatte nie jünger ausgesehen, als in diesem Augenblick, wo man ihr ihre Jahre vorrechnete.

Sprechen Sie weiter, sagte sie. Es ist immerhin, wenn man auch schon eine alte Frau ist, lehrreich, einen erfahrenen Mann über Erziehung sprechen zu hören. Ich habe keine Kinder und so fehlte mir bis jetzt der Anlaß, darüber nachzudenken. Seien Sie ganz offen gegen mich und so unhöflich wie Sie wollen. Ich halte es gern dem Schmerz eines Pädagogen zu Gute, dem ein zwanzigjähriger Zögling nachgerade aus der Zucht zu wachsen droht.

Es ist unnötig, erwiederte er trocken, daß Sie Ihren Witz vor mir spielen lassen, gnädige Frau. Ich habe nie daran gezweifelt, daß Detlef mit den gewöhnlichen Netzen nicht zu fangen, geschweige zu fesseln wäre. Vor solchen ihn zu hüten, habe ich kaum der Mühe werth gehalten. Und wenn er sich in solchen ja einmal verstrickt hätte, wäre ich sicher gewesen, daß es meines Eingreifens nicht bedurft hätte, um ihn bald wieder frei zu machen. Eine Liebschaft, wie junge Leute sie in der Regel anspinnen, scheint mir sogar für die Erziehung förderlich. Wie will man lernen, sich von den Weibern zu emancipiren, wenn man ihnen fern bleibt? selbst aus den mancherlei unsauberen Tiefen, in die man bei dieser Gelegenheit Gefahr läuft zu versinken, arbeitet sich ein kräftiges Naturell an seinem eigenen Schopf wieder empor. Ich würde ruhiger geschlafen haben, wenn ich den Jungen bei irgend einer gefälligen Schönen oder im Garten eines guten unschuldigen Bürgermädchens promenirend gewußt hätte. Daß er seine Nächte in diesem Gemach zubringt, werde ich dagegen nicht dulden, es koste was es wolle.

Eine hohe Röthe überflog ihre Stirn. Sie bleiben mir Ihre Gründe schuldig, sagte sie mit erzwungener Fassung. Ich habe Ihnen schon zu viel zu sagen erlaubt, als daß mich Worte von Ihnen noch kränken oder auch nur treffen könnten. Gegen Ihre Handlungen werde ich mich zu wahren wissen.

Was fragen Sie nach meinen Gründen? erwiederte er. Sie wären die erste Frau, bei welcher Gründe etwas vermöchten gegen Neigungen und Bedürfnisse. Selbst wenn ich Ihren Verstand völlig überzeugt hätte, daß Sie Detlef zu seinem Unheil lieben, würde Ihr Herz sich dadurch nur einen Augenblick irre machen lassen?

Es käme auf den Versuch an.

Sie lächeln, gnädige Frau. Dieses Lächeln, das Ihnen so gut steht und dessen Macht Sie kennen, soll meinen Gründen von vorn herein die Spitze abbrechen. Einmal soll es Zeugniß dafür geben, daß Ihnen der Versuch, Ihr Herz irre zu machen, sehr thöricht vorkommt, dann aber beweisen, daß Sie noch jung und schön genug sind, um das Unheil ruhig erwarten zu können. Zufällig aber bin ich doch noch älter als Sie, und zehn Jahre machen einen Unterschied. Ich weiß aus Erfahrung, daß ein Vierziger oder eine Vierzigerin nach zehn Jahren fünfzig alt geworden ist und sich das Gefühl, die Jugend verloren zu haben, nicht mehr hinweglächeln kann.

Ehe Sie weiter reden, mein Herr, muß ich Ihnen bemerken, daß Sie sich trotz Ihrer Erfahrung über mein Alter täuschen.

Mag sein, erwiederte er gleichgültig. Einige Jahre mehr oder weniger fallen nicht ins Gewicht bei dem, was ich zu sagen habe. Glauben Sie mir indeß, daß Sie sehr mit Unrecht meine Erfahrung in diesem Falle bespötteln. Es ist nicht das erste Mal, daß ich mit ansah, wie eine Frau, welche die Mutter ihres Liebhabers hätte sein können, wenn er gewissenlos war, oder auch nur mit der Zeit die Unnatur des Bündnisses empfand, elend wurde, oder wie sie ihn elend machte, wenn er sich scheute, alte Bande der Treue zu sprengen. Im letzteren Fall sind Sie. Das Gemüth, das Sie an sich gezogen haben, ist zu ritterlich, um Ihnen abtrünnig zu werden. Wenn die Leidenschaft verlodert ist, werden Dankbarkeit und Treue sich an das Aschenhäuschen lagern und die Kohlen schüren.

Sie irren, mein Herr! Sie vergessen mich ganz. Niemand kann ferner davon sein, als ich, eine Neigung, die entflieht, festhalten zu wollen. In diesem Falle –

Haben Sie diesen Fall jemals bedacht? Kommt er Ihnen jetzt, wo Sie ihn ins Auge fassen, auch nur möglich vor? Aber wie sollte er! Habe ich Ihnen doch gleich zu Anfang zugestanden, daß Sie an nichts dachten, als an die Gegenwart Ihres Besitzes. Bestreiten Sie mir dies nicht. Darauf vor Allem beruht meine Teilnahme für Sie. Sie deuten mit Ihren Geberden an, daß Ihnen diese Teilnahme höchst gleichgültig, ja überhaupt verdächtig ist. Ich dränge sie Ihnen nicht auf. Aber sie allein ist die Ursache, weshalb ich so freundschaftlich mit der Frau spreche, die mir meinen Liebling gefährdet hat. Ich hätte Ihnen schriftlich mittheilen können, daß ich dies Verhältniß gelöst wünsche. Aber es schien mir schonender, die Lösung in Ihre eigene Hand zu legen.

In meine Hand?

In die Ihre, gnädige Frau. Wenn es wahr ist, daß Sie eine uneigennützige Liebe für Detlef hegen, nun wohl, so thun Sie den ersten Schritt, ihn frei zu geben.

Er war aufgestanden und hatte die Arme auf die Lehne seines Sessels gestützt. Sie aber lag noch wie zuvor und schien einzig auf das Hin- und Herfliegen des Kanarienvogels zu achten. Das seltsame Geschöpf! sagte sie jetzt wie für sich. Warum bleibt es nur hier im Zimmer? Draußen scheint die Sonne und das Fenster steht auf. Auch habe ich ihm die Flügel durchaus nicht gestutzt. Es kommt wohl, weil es an mich gewöhnt ist.

Oder an den Zucker auf Ihrem Tisch, warf er ruhig dazwischen. Lassen Sie ihn die Schaale leer genascht haben, und es ist die Frage, ob es ihm ferner hier gefällt.

Sie zuckte unwillig zusammen und stand nun ebenfalls auf. Ihr Gesicht glühte, ihr reiches blondes Haar schüttelte sie zurück, Borromäus sah, wie ihre Brust leidenschaftlich wallte. Nun trat sie ans Fenster und stand, ihm den Rücken wendend, zwischen den rothen Vorhängen. Sie dachte offenbar sich erst zu sammeln, ehe sie ihr letztes Wort sagte. Aber es half ihr nichts, daß sie sich seinem Blick entzogen hatte. Es verwirrte und bedrängte sie nur noch mehr, daß sie nicht den Muth fand, sich wieder zu ihm zu wenden. Und so klang es fast wie ein Selbstgespräch, als sie wieder zu reden begann, halblaut, hastig und ohne Verknüpfung.

Was verlangen Sie von mir? Was muthet man mir zu? Es ist nicht wahr, daß ich ihn immer festhalten würde, und könnte es mir gelingen? Braucht man mir erst zu sagen, daß ich nicht mehr jung genug bin, um ein Leben mit ihm zu theilen? Hätte ich ihn sonst nicht zu meinem Mann gemacht? Ich weiß wohl, ich gebe ihm den Rest meiner Jugend und er mir den Schaum. Wen aber kümmert's, wenn er glaubt, daß er bei dem Tausche nicht übervortheilt wird? Wer überhaupt darf sich erdreisten, das Schicksal eines Anderen eigenmächtig nach seinem Belieben in die Hand zu nehmen? Mir wirft man vor, daß ich ihm das Leben zu zerstören Willens sei, mir, die ich mit keinem Wort oder Blick mich über ihn stelle. Da Sie denn so tiefe Erfahrungen in Betreff der Frauen gemacht haben, sprach sie, sich rasch zu ihm umwendend, sollten Sie billig Waffen, daß eine ältere Frau vor dem jüngeren Manne zum Kinde, zur Sklavin, zum willenlosen Geschöpf seiner Phantasie sich demütigt, nur um ihm jeden Gedanken fern zu halten, daß sie ein reiferes Leben hinter sich habe. Und ich sollte mich zwischen ihn und seine Zukunft drängen? Sehen Sie mir ins Gesicht und wiederholen Sie, daß es wirklich diese Furcht ist, die Sie zu mir geführt hat. O ich lese etwas ganz Anderes auf Ihren Zügen: Mißgunst, Neid, Eifersucht! Sie ertragen es nicht, daß er Ihnen nicht mehr allein angehört. Ihre Tyrannei über ihn war so süß, so belohnend, Ihr Leben so ausfüllend. Nun kommen Sie unter den nichtigsten Vorwänden, den Entflohenen bei mir zu suchen, ihn von mir zurückzufordern. Aber ich gebe ihn nicht heraus und lasse es darauf ankommen, ob er freiwillig geht.

Ich hatte dies erwartet, sagte er, während sie sich wieder dem Fenster näherte. Auch ist es begreiflich, daß eine Frau, die sich um eines Mannes willen compromittirt hat, nun wenigstens etwas davon haben will. Eine besondere Hochherzigkeit, die freilich zu guter Letzt nur ihr eigener Vortheil wäre, darf man von einer solchen Frau nicht verlangen.

Sie trat rasch wieder vor ihn hin, mit einer Heftigkeit, vor der selbst seine eiserne Ruhe nicht völlig Stand hielt. Mit großen Augen funkelte sie ihn an, ihre Lippen bebten. Eine solche Frau! sprach sie, seinen wegwerfenden Ton nachahmend. Was wissen Sie von solchen Frauen, von einer, wie sie hier vor Ihnen steht? Eine Handvoll höhnischer Gemeinplätze, auf Unkosten unseres Geschlechts von einem müßigen Narren ersonnen, der vielleicht Grund hatte, sich an uns Wehrlosen zu rächen – das ist die ganze Erbweisheit, nach der ihr »die Weiber« zu messen pflegt. Mögt ihr doch! Wir geizen nicht nach der Ehre, von euch verstanden zu werden; es genügt uns, daß wir euch verstehen. Aber seltsam bleibt es doch immer, daß selbst ein so großer Menschenkenner, wie Sie, mein Herr, die Geliebte seines Freundes damit abzuurtheilen meint, wenn er sie einfach eine Frau nennt, die sich compromittirt habe. Vor wem hätte ich das gethan? Vor Detlef? Oder vor Ihnen, der Sie es noch oben begreiflich fanden, daß man Ihren Liebling liebenswürdig finden müsse? Denn wer sonst kennt das Geheimniß, das nur Sie mit schonungsloser Härte ans Licht gezerrt haben?

Lassen Sie es älter werden, und man wird es kennen.

Dies, dächte ich, wäre meine Sorge. Es ist wenigstens Ein Vortheil meiner sechsunddreißig Jahre, daß Niemand mehr berufen ist, für meine Aufführung einzustehen, als ich selbst. Und wenn ich nun mich compromittiren wollte, wer hätte Einspruch zu thun? Was hat mir die Gesellschaft bisher gegeben, daß ich ihr Urtheil schonen, ihre Gesetze unbedingt für die höchsten achten müsse? Welche Pflichten verletze ich, wenn ich endlich, ehe es allzu spät ist, mein Recht an ein eigenes Glück, an ein Leben, das den Namen verdient, geltend mache? Wer entschädigte mich, wenn ich thöricht genug wäre, das erste wahrhafte Gut, das mir der Himmel gönnen wollte, von mir zu stoßen, weil es zu spät sei, es mir für immer anzueignen? Entschädigt mich die Gesellschaft und der gute Ruf, den mir dieses selbstzerstörende Heldentum eintragen würde? Oder soll mir das Bewußtsein jener Hochherzigkeit, die Sie mir aufreden möchten, ein Ersatz sein, wenn ich von neuem einsam und unglücklich mein Leben hinschleppe? Sie sagen, meine Jugend sei vorüber. Sie täuschen sich. Ich habe sie nie besessen, ehe ich Detlef besaß. Zurückgedrängt in einen armen Winkel meiner Brust hat sie lange Jahre auf den Tag der Befreiung gewartet. Wenn das Gefühl, Pflichten zu erfüllen, ein Herz befreien könnte, so hätte ich es erfahren müssen. Es war umsonst, alle Opfer haben die Last von meiner Seele nicht hinwegwälzen können. Und nun, da ich endlich aufathme und ein erstes und letztes Glück in meinem Arm halte, fordern Sie mit dem kalten Ton der üblichen Weltklugheit, daß es mir irgend wichtig sein soll, ob ich mich compromittire oder nicht?

Er sah sie nicht an, während sie sprach, als fürchte er, daß ihre Augen ihn mehr überreden möchten, als ihre Worte. Doch schon ihre Stimme verrieth ihm, daß diese Augen in Thränen standen. Frau Anna, sagte er und blickte ernsthaft auf das Polster seines Sessels, es ist nicht vorsichtig von Ihnen, daß Sie mich zum Vertrauten machen. Je liebenswürdiger Sie mir dabei erscheinen, desto verlorener ist Ihre Sache.

Ihre spöttischen Komplimente, mein Herr, machen die Ihrige nur gehässiger.

Ich meine es in allem Ernst, wie ich es sage, fuhr er fort. Hätte ich, wie ich fast dachte, eine Madame Warens in Ihnen gefunden, so könnte noch davon die Rede sein, Detlef sich selbst und Ihnen zu überlassen. Ueber kurz oder lang bräche das Verhältniß durch seine eigene Hohlheit und Lüge zusammen. Nun aber sehe ich immer klarer, daß in den nächsten zehn Jahren dies unselige Band sich nicht von selber lösen wird. Und so bestehe ich darauf, es zu zerreißen.

Sie haben mir vorgeworfen, gnädige Frau, daß ich aus Eifersucht Ihr Glück Ihnen mißgönnte. Es mag so etwas mit im Spiele sein. Aber damit Sie nun auch mein Recht auf Detlef nicht geringer anschlagen, als ich das Ihrige, will ich Geständniß mit Geständniß aufwiegen.

Wie Sie mich da sehen, werden Sie nichts mehr an mir finden, was mich Ihrem Geschlechte gefährlich machen könnte. Dennoch stand ich einst in dem Rufe, ein arger Tugendfeind zu sein. Es ist freilich an dreißig Jahre her. Und wie es so geht, dieser Ruf selbst half mir dazu, ihm Ehre zu machen. Da sah ich eines Tages ein Mädchen, dessen stiller Blick mich zum ersten Mal aus der Fassung brachte. Ich will kurz sein. Ich wurde ein anderer Mensch; aber leider war mein Ruf hartnäckiger als ich und wollte sich nicht mit mir zugleich ändern. Als die Eltern meiner Verlobten Genaueres von meiner Vergangenheit erfuhren, wiesen sie mich höflichst an die Frauen und Mädchen, die ältere Rechte auf mich hätten. Das Aergste war, daß sie selbst nicht an mir verzweifelte: welcher Arzt gäbe seinen Kranken, der alle Hoffnung auf ihn setzt, leichtsinnig auf? Aber sie war mehrere Jahre später, als ein Anderer den Segen der Eltern davontrug, ergeben genug, einzuwilligen, und ich am wenigsten durfte es ihr verdenken. Darauf fuhr ich in der Welt herum und dünkte mir mit Gott und Menschen unversöhnlich zerfallen zu sein. Ich war wohlhabend und ohne Familie. Mein Streben ging dahin, in möglichst kurzer Zeit den letzten Pfennig zu verschleudern und dann – meine Pistolen reisten immer mit mir.

Eines Tages, als ich aus einer Spielgesellschaft nach Hause kam, wo ich durch einen großen Gewinn meinem Ziele wieder ferner gerückt worden war, finde ich einen Brief von unbekannter Hand auf meinem Zimmer. Ein Arzt schrieb mir im Auftrage jener Frau, daß sie mich bitten lasse, zu ihr zu reisen. Ich erfuhr jetzt erst, ihr Mann sei vor einem Monat aus Kummer über den Verlust seines Vermögens gestorben und sie selbst dem Tode nahe. So fand ich sie denn auch, sie hatte nur noch wenige Tage zu leben. An ihrem Bette saß ihr achtjähriger Knabe; sie übergab ihn mir, sie hatte das Vertrauen zu mir, daß ihn Niemand mehr lieben würde, als ich, und auch mein Gespräch mit Ihnen, gnädige Frau, hat mich nicht überzeugt, daß jenes Vertrauen irrig gewesen wäre. Zwölf Jahre habe ich dieses Erbe besessen und verwaltet. Ich wußte seitdem, wozu ich auf der Welt war. Meine Pistolen liegen im Schrank bei einem vergilbten Kartenspiel. Wollen Sie mir Beides wieder in die Hand drängen? Dahin soll es nicht kommen.

Ich werde noch einen Versuch machen, fuhr er fort, um Detlef selbst zu überzeugen, daß es zu seinem Besten gereicht, Sie nicht wiederzusehen. Wie ich ihn kenne, werde ich diesmal wenig über ihn vermögen. Man hat in seinen Jahren überspannte Begriffe von dem, was man den Frauen, und zu geringe von dem, was man sich selber schuldig ist. Auch würde es nichts helfen, wenn ich ihn in eine andere Universitätsstadt brächte. Was hinderte Sie, ihm nachzureisen, oder ihn, mich zu verlassen? Bei Seiner leidenschaftlichen Natur wäre ein solches Gewaltmittel das allerverkehrteste. Und darum sage ich noch einmal, es liegt in Ihrer Hand, gnädige Frau, uns alle drei wieder in das gesunde Verhältniß zurückzuführen. Sie sind unabhängig. Nichts steht im Wege, daß sie diese Stadt auf einige Zeit verlassen. Mit wie anderen Gefühlen werden Sie sich jetzt von ihm trennen, freiwillig und nur sein Bestes vor Augen habend, als wenn Sie in späteren Jahren durch den rasch wachsenden Unterschied des Alters von ihm geschieden würden!

Er schwieg und erwartete ihre Antwort. Sie lag wieder in ihrem Sessel, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, und regte sich nicht; indem sie die Augen geschlossen hielt, schien sie das Bild des Jünglings vor ihre Seele zu rufen, um sich zu fragen, ob es möglich sei, auf ihn zu verzichten. Der Vogel war in seinen Käfig zurückgeflogen und schmetterte, auf der Stange sitzend, heftig seine eintönigen Triller. Da trat Margot herein, einen Brief in der Hand, den sie ihrer Herrin stillschweigend in den Schooß legte. Die Alte warf einen Blick auf Borromäus, der ihm andeuten sollte, daß er seinen Besuch aufs Eiligste enden möge, da wichtigere Dinge die schöne Frau abriefen. Ihre gute Absicht schlug fehl. Borromäus hatte die Aufschrift des Briefes erkannt und deutete mit einer gebieterischen Handbewegung der treuen Dienerin an, daß sie sich zu entfernen habe. Sobald sie hinaus war, trat er in großer Bewegung an das Tischchen der schönen Frau.

Sie haben nicht nöthig, das Blatt vor mir zu verbergen, sagte er lebhaft. Es kommt von ihm, ich weiß es. Ich habe ihm das Wort abgenommen, nicht eher auszugehen, als bis ich zurückkäme. Er weiß nicht bestimmt, daß ich zu Ihnen ging. Er wird Sie vor mir warnen wollen. Aber ich beschwöre Sie, lassen Sie das verliebte Geschwätz, das er in seiner Kopflosigkeit aufs Papier geworfen haben mag, nicht Herr werden über die Stimme der Vernunft, die schon in Ihnen zu reden begann. Geben Sie –

Das Wort versagte ihm plötzlich, denn ihr Gesicht, das jetzt zu ihm emporsah, über und über glühend und leuchtend, die Augen, die durch die zerdrückten Thränen ihn anglänzten, die hastige Geberde des Entzückens, mit der sie den Brief in ihrem Busen verbarg – das Alles sagte ihm hinlänglich, daß jede Frucht dieser Stunde vernichtet sei – sie sprang auf und ging, als wäre sie allein im Zimmer, mit halb schwebenden Schritten umher; sie trat vor den Spiegel und lachte hinein wie ein Kind, ihr Morgenhäubchen war ihr auf den Nacken herabgeglitten, die Flechten auf der einen Seite völlig gelöst, sie schien es auch im Spiegel nicht zu bemerken.

Sind Sie noch hier? sagte sie endlich fast verwundert, als eine unmutige Bewegung des Mannes sie an ihn erinnerte. Haben Sie mir noch etwas zu sagen? Ich bitte sehr, daß Sie dann eine andere Zeit dazu wählen. Ich bin im Augenblick beschäftigt, wie Sie sehen, ich bedaure wirklich –

Ich gehe, sagte er mit scharfem Ton. Ich habe schon zu lange gestört und konnte doch wissen, daß es vergebens sei. Sollten Sie, was ich kaum glaube, noch im Laufe dieses Tages eine Nachwirkung unseres Gesprächs verspüren, so bitte ich, es mich schriftlich wissen zu lassen. Es könnte doch noch auf meine Entschließungen von Einfluß sein. Was aber nun auch kommen mag, das Zeugniß werden Sie mir hoffentlich geben, daß ich mich nicht übereilt habe, die Lösung des Wirrsals in meine Hand zunehmen. Leben Sie wohl!

Er verneigte sich und ging. Als sie sich allein sah, zog sie mit zitternder Hand den Brief wieder hervor, drückte ihn an die Lippen, las ihn von Neuem, und Margot, die besorgt wegen des seltsamen Besuchs ins Zimmer stürzte, fand sie in Thränen aufgelöst, in denen die Beklommenheit dieser Stunde und die Seligkeit des ihr neu versicherten Glückes sich zugleich Luft machten.

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