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Personen:

Friedrich Hecker
Gustav von Struve
Thomas Möglich
Franz Sigel
Weishaar
Willig

Badische Revolutionäre

Mariechen, Möglichs Geliebte

Erster Bürger (Lechli)

Zweiter Bürger (Spetzger)

Zwei Freischärler

 

Erste Szene

Konstanz. Abend.

Erster Bürger

Es wird Frühling, Nachbar.

Zweiter Bürger

Es war ein langer Winter.

Erster Bürger

Das Eis springt auf dem See und die Berge sind im Nebel. Da wird bald der Föhn kommen und den Frühling bringen. Riecht Ihr nicht schon den Frühling in der Luft?

Zweiter Bürger

Ach, wenn es doch auch in Deutschland Frühling würde.

Erster Bürger

Ihr lest wohl jetzt die Seeblätter, Nachbar.

Zweiter Bürger

Man muß sich fortbilden, man muß mit der Zeit gehen. Bei der Konkurrenz wickeln sie die Wurst in die Seeblätter ein, und seitdem laufen alle Kunden zu ihr. Mit dem hinkenden Landboten und dem Roman von der schönen Genoveva fängt man keinen mehr.

Man muß die Seeblätter lesen, wenn man für einen Mann von Kopf gelten und etwas verdienen will.

Ihr habt jetzt auch reichlich Arbeit und Verdienst, man sieht's ja, wie sie bei Euch aus und ein laufen?

Erster Bürger

Ja, ja es will alle Welt in blauen Kitteln und polnischen Schnürröcken herumlaufen. Da heißt es arbeiten. Polnischer Schnürrock, Herr Nachbar, Euer Rock ist schon sehr abgetragen. Vor drei Jahren habt Ihr ihn mir in Arbeit gegeben. Am Ellenbogen aus den Nähten gegangen. Alle Knopflöcher zerrissen und der Samtkragen, der schöne Samtkragen. Wie der vor drei Jahren einmal ausgesehen hat. Dazu die Rockschöße, Herr Nachbar, die Rockschöße. Ihr habt wohl Euren Hosenboden schonen wollen, daß Ihr immer auf den Rockschößen saßet. Oder Ihr habt Euch in Speck gesetzt. Das glänzt ja wie ein Spiegel. Der ganze Markt spiegelt sich in Eurem Rücken. Pfui, Herr Nachbar, ein Mann von Reputation. Ich will Euch zu einem polnischen Schnürrock Maß nehmen. Euer polnischer Schnürrock ist etwas wert für einen liberalen Mann. Und Ihr wollt doch den Leutnantsposten in der Bürgerwehr? Kommt zu mir auf den Abend. Dann kann ich Euch Maß nehmen.

Zweiter Bürger

Ich will's überlegen Gevatter. Ich will meine Frau fragen. Man muß so etwas reiflich überdenken.

Erster Bürger

Überlegt's Euch nur in Ruhe. Ich will Euch nicht drängen. Der Fleischermeister Untermann in der Seegasse will auch einen bestellen.

Zweiter Bürger

Der Untermann? Ich komme auf den Abend, Herr Lechli.

Erster Bürger

Auf den Abend also. Grüß Euch Gott.

Zweiter Bürger

Gehabt Euch wohl. (Ab.) Auf den Abend.

Erster Bürger

Ach ein schlimmes Jahr. Ein schlimmes Jahr. Seeblätter. Bürgerwehr. Konstitution, deutsche Republik, polnische Schnürröcke. Wer hätte so etwas früher gedacht.

Ach ein schlimmes Jahr. Man muß alle Stunde einmal nachfühlen, ob man noch seinen Kopf auf dem Leibe hat.

Zwei andere. Sie wollen aneinander vorbei. Da erkennen sie sich.

Hecker

Struve, du!

Struve

Du, Hecker. Du kommst nach Konstanz? Wir dachten, du hättest die phrygische Mütze hinter den Ofen gehangen und säßest ruhig zu Karlsruhe.

Hecker

In zwei Tagen bin ich hierhergereist, Tag und Nacht in den Postkutschen gelegen. Über Zürich und Basel. Hinter mir ist ein Steckbrief erlassen. Und wer mich fängt:

Struve

Der hängt dich. Aber du wirst dich nicht fangen lassen. Der Brutus, der Danton der deutschen Republik, Hecker, von einem jämmerlichen Steckbrief verfolgt. Den wollen wir morgen auf dem Marktplatz im Amtskasten aushängen lassen und dazu einen hinter den wackligen Leopold von Baden, den paralytischen Friedrich Wilhelm, den despotischen Feigling Ferdinand von Habsburg und den siebenunddreißig andern Schmeißfliegen, die sich an dem Blute teutscher Nation mästen. O Hecker, Hecker, daß du wiederkamst.

(Pause.)

Hecker

Fickler ist verhaftet!

Struve

Fickler verhaftet?

Hecker

Der schöne demokratische Mathy hat die Larve von der feilen Schranzenfratze gerissen und Fickler verhaften lassen, da er nach Konstanz wollte, um den Aufstand zu predigen.

Struve

Der schurkische Mathy. Und das Vorparlament?

Hecker

Berät über die Unsterblichkeit der Seele, über die republikanische Damenkleidung, die Befreiung der Hausknechte, einen Nationaltempel mit freier Wohnung der Abgeordneten, es läßt sich die Haare wild wachsen, teutsche Anzüge machen und es spielt abends auf Kosten der künftigen Republik seinen Tarock und raucht seine Pfeife.

Struve

Es wird Zeit, Hecker.

Hecker

Es wird Zeit, Struve. Sonst spannen sie die deutsche Freiheit auf das Prokrustesbett.

Struve

Setzen sie unter Spiritus und zeigen sie auf allen Schaubuden und Jahrmärkten als hundertköpfige Totgeburt. Und die siebenunddreißig schwachköpfigen Kronen- und Kurhutträger tanzen vor ihrem Leichnam wie weiland David vor der Bundeslade.

Hecker, verlaß die Freiheit nicht. Hecker.

Hecker

Struve, mit meinem Leben verlasse ich sie nicht. Wo sind die andern? Wo sind Willig, Bruche, Möglich. Wo sind Sigel und der alte Weishaar?

Struve

Sie revolutionieren das Land. Ich habe sie ausgeschickt, wie Christus seine Jünger aussandte. Auf den Abend sind sie zurück. Wir halten Rat. Du wirst ihm präsidieren?

Hecker

Ich werde bei euch sein. (Ab.)

Struve ( allein). Das gute Kind Hecker. Der hübsche Junge. Wie er sich schon auf den hohen Stuhl der deutschen Republik träumt. Ärgerlich, daß ihm das Volk nachläuft, daß es immer einen Abgott haben muß. Frauen und Volk, sie haben keinen Sinn für das Ewig- Abstrakte. Sie können einer Sache nicht zujubeln, wenn sie ihre Apostel nicht lieben.

Ich muß mir aus ihm eine Krücke schnitzen, ich muß auf seinem breiten Rücken in die Höhe klettern.

Er soll der Riese Christophoros sein, der das Heil der Welt durch die Fluten trägt, heißt, mit dem Unterschied, daß er nie das rettende Ufer sehen soll. Er soll Theseus sein und den Kampf mit dem Minotaurus wagen, ich bin die Schere, die den Ariadnefaden hinter ihm durchbeißt. (Ab.)

 

Zweite Szene

Abend. Eine Wirtsstube.

Möglich

Wie es draußen stürmt und wettert, Mariechen. Wie die Wolken über den See kommen. Das wilde Heer der Märznacht. Welche Traurigkeit liegt in den Wolken. Als Kind wollte ich immer mit ihnen spielen, sie fangen. Aber sie kamen nie zu mir, sie blieben immer fern, meine Mutter tröstete mich mit meinem Lämmchen, nun tröstet mich niemand mehr über ihre Traurigkeit. Ich habe einen Hirten gekannt, der ist nun schon lange tot. Wenn er auf der Bergweide lag und auf seiner Flöte spielte, dann kamen alle Wolken am Himmel herbei, sie setzten sich auf die kahlen Bergkegel in der Runde und hörten seinem Liede zu.

Die kleinen weißen Wolkenkinder flogen immer um seinen Kopf. In seiner Flöte wohnten alle Toten, die der Blitz auf der Heide erschlug und die im See in der Herbstnacht ertrunken waren. Ach es war ein trauriges Lied. Und wenn es aufhörte, dann fingen alle Wolken an zu weinen und es regnete Tag und Nacht. Sind sie nicht schön, wenn der Sturm sie über den See führt und sie tief in die Wogen hängen. Gleichen sie nicht den Segeln der spanischen Flotte, da Columbus nach dem unbekannten Land fuhr? Sind sie nicht die Freiheit? Wenn ich ein König wäre, ich wollte einmal hoch oben in den Bergen eine große Harfe mit silbernen Saiten spannen lassen, daß die Wolken und die Winde mit ihr spielten, und man nicht wüßte, woher das Lied käme, das große Lied von der Freiheit. O Thekla, wie dich meine Seele liebt!

Mariechen

Thekla? Welche Thekla. Also es ist doch wahr, daß du mit des Gumperts Thekla gegangen bist.

Möglich

Sei ruhig, Mariechen. Ich parodiere den Max Piccolomini, das ist eine Rolle, die mir auf den Hals geschrieben ist.

Ich übe mich im Posieren, denn wenn ich bei der Revolution nichts ernte, werde ich Schauspieler.

Wir wollen sehen, welches Geschäft mehr einbringt.

Du kommst die Nacht wieder zu mir?

Mariechen

Nein! Wo denkst du hin? Mein guter Ruf. Es ist schon so viel herum. Vor meiner Tür haben sie Heckerling gestreut. Und das läßt sich ein anständiges Mädchen nicht bieten. Mein guter Ruf, du bedenkst meinen guten Ruf nicht.

Möglich

Deine Beine sind eine reizende Schere. Wie es meinen Lenden guttut, wenn deine Schenkel sie zwicken.

Deine amüsanten Waden sind viel mehr wert, als dein langweiliger guter Ruf. Hole der Teufel den guten Ruf. Behüte mich Gott vor meinem guten Ruf. Wollte ich mich immer nach meinem guten Ruf umsehen, ich müßte immer mit verdrehtem Kopf laufen, ich wäre immer im Schatten und käme nie in die Sonne.

Der gute Ruf verträgt sich nicht mit der Freiheit. Ein Spießbürger, der sich jeden Morgen seinen guten Ruf besieht, ob er nicht fadenscheinig geworden ist und gewendet werden muß. (Schritte.)

Mariechen

Der Vater kommt.

Möglich

Um Mitternacht sehe ich dich.

Mariechen

Ich weiß es noch nicht. (Ab.)

Möglich

Sie weiß es noch nicht. Dabei brennt sie vor Begierde. Sie kann nicht schlafen, bis es Mitternacht ist. Ach du, ich möchte von dir los, und ich muß immer wieder zu dir. Ich bin nicht dazu gemacht, allein zu schlafen.

Es gab einmal einen Frühlingsabend, einen Abend im Mai mit Mondschein und den Nachtigallen im Tal. Am Rande des Bergwaldes stand eine alte Buche, an ihrem Stamm saßen zwei Menschen, zwei Kinder und waren glücklich. Welch ein Rausch war das, Johanna, wo magst du sein, Johanna. Götter, ihr habt einen Fehler begangen. Was wäre aus mir geworden, hättet ihr mich nicht zerstört.

Struve

Ein Landpastor, ein Dorfschulmeister. Achtzig Jahre gelebt und in die Grube gefahren. Ein Leichenstein, hier ruht in Gott Thomas Möglich, geboren, gelebt, gestorben und von den Würmern gefressen, der steht dreißig Jahre, dann wirft ihn der Wind um.

Möglich

Struve, ich sollte es dir heimzahlen, daß du mich belauscht hast. Es ist schändlich von dir, den Horcher zu spielen. Aber ich will mir keine Mühe darum geben. Fahre fort, Schamgefühl, du bist der letzte unreine Geist, der noch in mir steckt, du bist das einzige Gewicht, das mich aus den olympischen Höhen der Vernunft noch auf diese gemeine Erde hinunterzieht. Satan, so sollst du mich auch ganz haben. Ich will wahrhaftig nicht lau sein, denn die Lauen wird der Herr ausspein aus seinem Munde. Was soll man tun, Struve, wenn man rührselig wird. Hast du keine Medizin gegen die Rührseligkeit. Sie muß in der Jahreszeit liegen, im Frühling werde ich immer schwermütig.

Struve

Es ist eine Modekrankheit.

Die ästhetischen Damencafés haben sie ins Land gebracht. Komm her, ich will dich unter Quarantäne stellen, ich will dich desinfizieren. Ich will dir Teil geben an meinem Feuergeist.

Möglich

Ich habe diesen Morgen geschworen, ich trinke keinen Branntwein mehr, ich entsage dem Rum, ich habe es bei meiner Seele geschworen, ich sehe kein Glas Branntwein mehr an. Ich werde also mit geschlossenen Augen trinken.

 

Dritte Szene

Dieselbe Stube. Sigel. Weishaar. Bruche. Willig. Struve. Möglich. Peter. Dann Hecker.

Möglich (singt).

Zu Konstanz auf der Brücken
Da stehen zwei und fiedeln
Da stehen zwei und fiedeln
Die ganze Nacht hindurch.

Sigel (zu Weishaar).

Fickler ist verhaftet. Das ist ein furchtbarer Schlag für die Freiheit. Damit ist das Unterland dem Aufstand verloren.

Weishaar

Aber Hecker ist uns zurückgewonnen. Wir haben einen Bannerträger für die gute Sache, um den sich jetzt das Volk sammeln wird.

Struves Gesicht ist seit Heckers Ankunft noch gelber geworden. Er wünschte ihn wahrhaftig zu allen Teufeln. Sieh ihn nur an, wie er mit den zusammengebissenen Lippen über seinen Plänen brütet.

Es ist schlimm, daß wir mit Struve, Möglich und solchem Gelichter zusammengehen müssen.

Sigel

Ein guter Feldherr braucht alles, was ihm zuläuft. Robespierre gebrauchte Danton, solange er seines Schutzes bedurfte. Als er allein stark genug war, jagte er ihn auf die Guillotine. Wir werden Struve eine Zeitlang brauchen, bis wir ihn unter die Kugeln der badischen Grenadiere jagen können.

Weishaar

Es ist nicht gut, eine große Sache mit schlechten Waffen verteidigen.

Sigel

Es ist gut, jemanden zu haben, der einen Fehlschlag vor den Augen der Nachwelt erklärlich macht.

Weishaar

Du glaubst an kein Gelingen?

Sigel

Ich will niemandem seine Zuversicht rauben.

*

Hecker (auf einem Tisch).

Täuschen wir uns nicht. Wir sind am Ende der Dinge. Das Arsenal der gesetzlichen Waffen ist ausgeräumt. Bahnten seine Schwerter uns nicht den Weg in die Freiheit, so laßt uns die roten Brandfackeln des Aufruhrs von ihrem Altar reißen. Als wir auf gesetzlichem Wege, im Sonntagsrock des Spießbürgers vor die Tyrannen Germanias traten, und so demütig um etwas Freiheit baten, um etwas Menschlichkeit, da war ein Hohnlachen ihre Antwort. Vielleicht lernt ihre Grimasse noch einmal das Zittern, wenn sie vom Fenster ihrer Paläste statt der gewohnten Bücklinge und der devotest heruntergerissenen Hüte das tausendstimmige Schreien der Not und des blutigen Aufstandes hören, wenn sie die aufgerissenen Straßen, die drohenden Barrikaden sehen müssen und ihre Soldaten, unsere Brüder, in unseren Reihen. Ihre Kronen werden auf ihrem wackligen Kahlkopf herumtanzen, wie ein Brummkreisel, wenn sie vom flammenden Horizont das Wimmern der Sturmglocken aus allen Kirchtürmen hören. Barrikaden. Barrikaden. Welch ein Wort. Welch einen Sturm der Begeisterung facht es an. Wenn das Volk auf sie die Banner der Freiheit pflanzt und sich um sie schart, sie zu verteidigen mit Blut und Gut und Leben. O. Freiheit. Freiheit.

Struve

Friedrich Hecker. Du hast eine gute Lunge. Man muß dich beruhigen, sonst läuft das Volk zusammen und Konstanz würde es dir nie verzeihen, wenn du es aus seinem ruhigen Schlaf störtest.

Du wolltest uns einen Bericht geben, Bürger Hecker, und du hältst uns die Rede, die wir morgen auf dem Markt von dir erwarteten.

Wir müssen in Ruhe überdenken, was Deutschland von uns zu hoffen hat. Dürfen wir es wagen, den Aufstand zu predigen.

Sigel

Daß deiner Brust Begeisterung fremd ist, Struve, wußten wir. Aber auch die Mönchskutte kannst du beiseite lassen. Wer könnte mehr gewinnen bei einem Aufstande wie du. Weiß doch ein jeder, daß um deinen Kopf die Steckbriefe wie die Raben fliegen. Ein Löffeldiebstahl macht noch keinen Freiheitshelden. Dir steht das Gewand des Grenadiers schlecht zu Gesicht.

Weishaar

Keinen Zank weiter.

*

Willig

Was für eine Lust ist das, eine Revolution zu machen. Was für eine Freude. Man fühlt sich wie neugeboren. Das ist wahrhaftig ein anderes Vergnügen, als wenn man sich sonst im März auf seinen neuen Sommerrock freute.

Man liebäugelt mit allen Galgen. Man unterhält sich mit den Krähen und Raben auf den kahlen Landstraßen und weist einem jeden eine Provinz in seinem Leibe zu. Man weiß nicht, von was leben, und ob man morgen noch frei sein wird.

Ich habe den ganzen Winter in den Wirtsstuben gelegen, mich faul auf den Bänken geräkelt. Ich war wie ein Maulwurf, der vor Langeweile in seinen Winterschlaf gefallen ist.

Und jetzt, Gefahr an jedem Morgen, man weiß nicht kommt man noch heil zu Bette. Ich träume jede Nacht von Napoleon. Bin ich noch derselbe Willig, der ich im Jänner war. Ich war ein Schuljunge, der den Lackel fürchtet. Und jetzt bin ich ein Mann und das danke ich dir, Bruder Hecker.

Bis nach Stockach hinaufwarten sie auf uns. Sie warten auf das Fanal, das ihnen den Aufstand bringen soll.

In allen Wirtshäusern haben sie mir zugejubelt, wenn ich ihnen aus den Seeblättern vorlas. Alle Schubläden und Schränke haben sie leer gemacht für die Beute. Keiner will mehr arbeiten. Sie üben sich jeden Morgen mit ihren Sensen am Türpfosten. Noch einmal, es ist eine Lust und Freude, eine Revolution zu machen, an die reicht keine andere.

((Bericht der anderen. Heckers Rede. Möglichs Opposition: deine Freiheit ist nur eine andere Knechtschaft. Struve sucht zu dämpfen. Sigel nagelt ihn fest. Weishaar mahnt zur Ruhe: Seine Vorschläge. Aussendung.))

*

((Markt. Leute am Schaukasten. Heckers Freiheitsrede. Assignaten als Handgeld. Der Bürger in seinem neuen polnischen Schnürrock zieht mit der Löffelgarde auf. Einer kommt mit einer großen Markttasche zum Plündern.

Einer nimmt seine Frau und Tochter mit. Unter Gesang der Marseillaise Abzug der Löffelgarde. Eine alte Frau: Was will denn die Räuberbande?))

*

Zwei Freischärler. Lechli. Spetzger.

Lechli

Man würde sich unsern Aufzug gern bei Schmierenkomödianten ansehen und herzlich darüber lachen. Es ist hier wie in Schillers Räubern. Hecker unser Karl und Struve unser Spiegelberg.

Spetzger

Und die deutsche Republik ist die Amalia.

Lechli

Mit dem Unterschied daß Amalia eine Jungfer war, und die deutsche Republik ist ein Frauenzimmer das auf allen Märkten feilgeboten wird. Aber es will niemand darauf anpreisen. Denn man sieht ihre Knochen durch ihre Lumpen. Und die Blinden, die meinen, sie hätte weiche Lenden, spießen sich an ihren Hüften auf.

*

Erster

Wo kommst du her, Kamerad.

Zweiter

Aus Schievelbein in Pommern. Und wo bist du her?

Erster

Aus dem Straßengraben zwischen Katholisch und Evangelisch.

Zweiter

Hast du denn keinen Vater?

Erster

Im Gegenteil. Viele. Meine Mutter hatte den Beruf, Väter zu machen. Wer weiß, wer weiß, das Bein hier hat vielleicht ein Prinz gemacht, und das ein Nachtwächter, den Arm ein Republikaner und den ein Jesuit, das Ohr ein Türke und das ... ach, was soll ich mich um meinen Stammbaum quälen. Das gäbe eine kosmopolitische Ahnenprobe. Ich könnte mich auf allen Jahrmärkten als das berühmte mixtum compositum oder perpetuum mobile sehen lassen.

Zweiter

Du bist wohl weit in der Welt herumgekommen.

Erster

Ja weiter, als bis hinter Euren Gartenzaun.

Mit fünf Jahren in Hamburg wegen Notzucht zum Tode verurteilt, entlief ich den Schergen, als sie mich zur schönen Aussicht vom Galgen einluden. Ich kroch zwischen ihren Beinen in die Freiheit. Dann schloß ich mich einer Expedition zur Entdeckung des magnetischen Nordpols an, befreite Franklin aus den Händen der Südseeinsulaner, was mir den Orden des goldenen Vließes eintrug, und kehrte auf dem Äquator nach Hause zurück.

Hier lebte ich einige Jahre ehrlich von Wegelagern, Pferdedieben, Brandstiften, Kinder- und Engelmachen. Bis eines Tages die Gesandtschaft des Großchans von China, von der Moldau und der Walachei mich an seinen Hof berief, wo der Posten des Großsiegelbewahrers frei geworden war.

Ich folgte dem Rufe, wobei ich die nordöstliche Landdurchfahrt und die vier Phasen des Mondes entdeckte. Ich reiste danach vier Jahre, zwei Tage und drei Minuten durch die Wüste Sahara, kam an den gläsernen Berg, zu den Sirenen, den Cotophargen, den Feuerländern, durch das rote Meer, endlich an den Thron des Großchans, dieser war inzwischen gestorben, der heilige Geist, der für ihn lange regiert hatte setzte mich zum Erben ein. Ich heiratete seine trostlose Witwe, die Jungfrau Maria und lebte dort zehn Jahre herrlich und in Freuden. Aber auf die Dauer war auch das nichts. Denn es ist dort zu finster. Am Tage ist es Nacht und in der Nacht ist es Tag. In der Nacht scheint die Sonne und am Tage der Mond. Kurz, ich packte meine Sachen, und kam noch zur rechten Zeit, um bei Hohenlohe Handgeld zu nehmen.

Zweiter

Was es nicht alles gibt auf der Welt. Davon hat uns unser Lehrer gar nichts erzählt.

Erster

Ja, wie sagt doch Hamlet so schön im vierten Akt, dritte Szene, siebenter Aufzug, »Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen sich euer Schullehrer nichts träumen läßt«.

Zweiter

Ein kurioser Hammel, unsere Hammel reden nicht.

Erster

Kamerad, du gefällst mir. Es wird morgen wohl eine Bataille geben, es haben um Mitternacht sieben Nordlichter auf der Erde getanzt. Als ich sie sah, rief ich Heureka, denn der Lehrsatz des Pythagoras war bewiesen.

Zweiter

Nordlichter, in Schievelbein nimmt mein Vater Schweinetalg zum Lichtziehen.

Erster

Ja und der Eskimo nimmt Lebertran. Die Bibel fängt von hinten an. Aber deine Klugheit gefällt mir, es wäre schade, wenn die Nachwelt um deinen Kopf käme. Ich will dich kugelfest machen, Kamerad!


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