H. Clauren
Der selige Papier-Müller
H. Clauren

H. Clauren.

Der selige Papier-Müller.

Es war ein Abend, wie heute. Die Schneeflocken fielen dicht und groß, und wir saßen um den warmen Ofen und plauderten. Im Kreise guter und gebildeter Menschen spricht man über die beste Art Knackwürste zu machen, mit eben der Theilnahme, als über Göthe's Wahlverwandschaften. Ist doch eine gute Knackwurst auch eine Wahlverwandschaft. Unser Gespräch hatte uns vom Hundertsten auf das Tausendste geführt. Der gestern früh erfolgte Tod des Nachbar Papier-Müllers brachte uns auf mancherlei Bemerkungen. Der alte Forstrath nannte ihn einen Lumpenkerl, nicht etwa im Bezug auf sein Gewerbe, sondern lediglich auf sein Herz. »Solch ein Mensch,« meinte der Alte: »kann im Grabe keine Ruhe haben. Er hat die Leute gedrückt und ist ein harter Mann gewesen sein Leben lang.«

»Sey ruhig, Kind,« sagte die Forsträthin »er ist todt: und von den Todten soll man nichts, als Gutes sprechen. Das große Leichentuch, das man den Entschlummerten über den Sarg hängt, – das, mein lieber Mann, ist der wahre Mantel der christlichen Liebe. Das bedeckt den Heimgegangenen mit allen seinen Schwächen, Fehlern und Sünden. Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet.«

»Ich richte auch nicht, Mütterchen,« entgegnete der Alte, und reichte der sanften, frommen Frau die Hand: »ich denke mir nur, wenn auf meinem Herzen so viel Thränen lägen, als der Lumpenhund ausgepreßt hat, daß ich zum ewigen Schlafe nicht einschlummern könnte. Der Mensch ist auch gräßlich gestorben. Der Schmerz hat ihm alle Glieder verzerrt. Sein letztes Wort ist ein furchtbarer Fluch gewesen, und er hat sich hoch und theuer vermessen, daß er heute Abend bei der Fichten-Schonung seyn, und dem Amtmanne die Grenze zeigen wolle. Daß er an der Grenze des Lebens stand, als er dieß sagte, ahnete der Bube nicht. Drei Stunden darauf ist sein Geist von ihm geschieden.«

»Väterchen,« hob Minchen, des Forstraths Tochter, halb ernst, halb scherzend an, und warf einen bedeutenden Seitenblick auf mich: »Väterchen, sprich nicht von der Fichten-Schonung; da ist Jemand, der heute Abend noch hindurch muß.«

»O!« fiel ich der Besorgten in's Wort: »mir ist nicht bange, wenn sich auch zehn Papier-Müller in den Weg stellen, ich und mein Rappe wollen schon vorbei kommen. Erzählen Sie mir, liebster Forstrath, was ist denn das mit der Grenze für eine Geschichte.«

»Wollen Sie denn heute noch, in dem Wetter, nach Hause?« fragte die Mutter. »Es ist ja so dunkel, daß man keine Hand vor sich sehen kann. Der Weg ist verschneit, Sie finden keine Bahn, und die Nacht ist keines Menschen Freund.«

Ich konnte nicht bleiben. Mein Bruder war unwohl; er hätte sich geängstet, wenn ich ausgeblieben wäre; und ich hatte ja nur eine kleine Meile bis zur Heimath. Ich lehnte also den gastfreundlichen Antrag der Forsträthin ab, bat, meinen Rappen satteln zu lassen, und unterdessen erzählte mir der Alte in Kurzem die Grenzgeschichte.

»Vor Jahresfrist,« hob er an: »ward in der Fichtenschonung eine alte Frau ermordet. Der Mörder hatte sie mehrere Schritte weit von der Stelle, wo sie erschlagen worden, weggeschleppt, und sie hinter einem Hügel versteckt. Dieser Fleck war durch das Wühlen im Sande, und durch das verlorne Blut deutlich bezeichnet; die Greuelthat war hinter einem Gebüsch, dicht an der Straße, geschehen; das Gebüsch liegt im landesherrlichen Gebiete, jener Hügel aber, wo die Frau verscharrt war, liegt, nach des Justiz-Amtmanns Behauptung, im Besitzthum des Papier-Müllers. Dieser leugnet es und sagt: erst hinter dem Hügel geht mein Grundstück an. Noch ist die Sache unausgemacht, und es kommt hierauf viel an, indem die Frage davon abhängig ist, wer die Kosten der Untersuchung tragen soll, der Staat, als Grundherr des Platzes, wo die Mordthat geschehen, oder der Papier-Müller, als Besitzer der Stelle, wo die Erschlagene gefunden worden ist. Der ergriffene Mörder liegt unterdessen in Ketten. Heute hat die Besichtigung seyn sollen. Vor länger als vierzehn Tagen, ist der Papier-Müller vom Amte dazu vorgeladen worden; damals noch frisch und gesund, hat er entgegnet: er werde kommen aber spät, denn er habe ein unaufschiebliches Geschäft auswärts vor, von dem er erst gegen Abend zurückkehren könne. Unterdessen wirft ihn eine heftige Darmgicht auf das Krankenlager. Ungeachtet der grimmigsten Schmerzen, entsinnt er sich gestern früh des heutigen Termins, und seines alten Grolls auf den Amtmann; er ruft, dem kalten Sensenmann schon halbtodt in den Armen, mit schäumendem Munde: und wenn ihn eine Million Teufel auf dem Krankenbette fest hielten, so wolle er doch zum Termine auf dem Streitflecke erscheinen, und dem Amtmanne die Zähne weisen; und ließ ihn die Darmgicht nicht eher aufstehen, so ginge er um Mitternacht hinaus; der Amtmann müsse mit ihm auf den Mordfleck, und solle er ihn mit den Haaren hinausziehen.«

So sprach der Vater, und der Rappe trampelte vor dem Fenster, um mich in wenig Minuten über jenen Schauderplatz zu tragen.

Ich verabschiedete mich und flog mit dem Renner zum Hofe hinaus. Das Pferd sehnte sich nach der heimathlichen Krippe; ich ließ ihm den Zügel; es trat in den tiefen Schnee bis auf den ungefrornen Boden durch, es hob die Füße um so höher, setzte den Kopf wild auf die Brust, und durchbrauste so mit mir die öde Hutung, bis in die Fichten-Schonung. Hier ward der Weg enger, der Schnee tiefer, mein Rappe ungeduldiger. Er trabte unaufhaltsam fort – plötzlich stand er still. Ich schoß, mich dessen nicht versehend, dem Thiere fast über den Hals, hielt mich aber im Sattel, faßte den Zügel schärfer, und trieb das Pferd mit Wade und Sporn vorwärts. Aber der Rappe stand, wie eingewurzelt, stemmte die Vorderfüße vor, spitzte die Ohren und schnaubte.

Sollte der Papier-Müller – nur halb flog mir der Gedanke durch die Seele. – Ich stand auf dem Platze, wo die alte Frau, unter den Streichen des Mörders, ihren Geist aufgegeben hatte.

»Feige Memme!« rief ich mir leise zu, gab mit erzwungenem Muthe dem Rappen einen Lungenhieb, und setzte ihm die Sporen tiefer in die Seiten. Das wilde Thier bäumte sich hoch dem dunkeln Schneehimmel entgegen; und sprang in einem kurzen Bogensatze seitwärts. Ich legte mich auf's Schmeicheln. Ich klopfte dem schnaubenden Rappen mit zitternder Hand den Hals. Aber das Thier war schlechterdings nicht zu bewegen, nur einen Schritt vorwärts zu thun. Es mußte etwas vor ihm stehen oder liegen, und doch sah ich nichts; denn es war stockfinster. Es ward mir unheimlich zu Muthe. Ich stieg ab, führte mit der linken Hand das Pferd und hielt mit der rechten die Reitgerte vor.

Der Rappe folgte zitternd einige Schritte, dann stand er und schnarchte aus den weit aufgerissenen Nasenlöchern laut auf.

Ich starrte vor mir hin.

Mein Blick fiel auf einen schwarzen Sarg, der mitten im Wege stand.

Ich hatte noch so viel Muth, nach dem Sarge, den ich für ein bloßes Luftbild hielt, mit der Gerte zu schlagen; als aber der Schlag schauerlich hohl fiel, als der Rappe in diesem Augenblick links prellte, und nun nicht weiter zu bringen war; da sank mir das Herz. – Ich entsann mich, daß ein Fußsteig seitwärts durch die Schonung führt; ich stieg wieder auf und ritt zurück, bis ich den Eingang des Fußsteiges erreichte, der nicht in zu großer Entfernung vom Fahrwege ablief. Als ich in die Gegend des Sarges kam, ward der Rappe wieder ungewiß, aber kaum hatte er den Fleck hinter sich, so zog er im gestreckten Laufe auf Tod und Leben aus; ich ließ ihn rennen, denn mich fror, daß ich kein Glied still halten konnte.

Mein Bruder, der Landrath, war noch wach. Ich erzählte ihm mein Abenteuer.

Er lachte mir in's Gesicht. Ich betheuerte ihm, was ich gesehen und gehört hatte, bei meiner Ehre.

»Nun so will ich Dich doch zum Lügner machen,« erwiederte er: »ich gebe dir meine beiden Landreiter mit. Findet ihr den Sarg, so zahle ich diesen für ihre Mühe zwei Thaler; findet ihr ihn nicht, so ist es billig, daß du den Leuten die Mühe auf gleiche Weise lohnest.«

Mit dem Handel war ich gern zufrieden. Ich ließ den Rappen wieder satteln. Die Landreiter begleiteten mich auf ihren Kleppern. Wir kamen der Fichten-Schonung näher. Mein Pferd ging ruhig. Wir kamen auf den Angstfleck – der Sarg war verschwunden; ich um zwei Thaler ärmer, und mein Bruder lachte, als ich nach Hause kam, mich ohne alle Schonung aus.

Ich schlief kaum eine Stunde. Der schwarze Sarg stand immer vor mir; ich hörte den dumpfen Schlag meiner Gerte; ich fühlte das bange Zittern des geängsteten Pferdes unter mir; ich roch den Firniß des verwünschten Todtenhauses.

Daß meine Sinne mich nicht getäuscht hatten, wußte ich ganz gewiß. Ich hatte nie an Erscheinungen geglaubt. Jetzt war ich kleinmüthig. Der Sarg auf dem Mordplatze – galt er mir? galt er der Erschlagenen? dem Mörder oder dem gestern Verschiedenen?

Den folgenden Morgen war mein erstes Geschäft wieder nach der Schonung zu reiten. Wohl sah ich die Spuren meines Pferdes, das auf der Stelle, wo der Sarg gestanden, den Schnee quer über dem ganzen Wege zusammengetrampelt hatte. Allein weiter fand ich nichts. Ich eilte zum Forstrath, um ihm meine Geschichte zu erzählen.

»Sieh, Mutter,« hob der Alte an. »das ist der Nachbar Papier-Müller. Sagte ich nicht gestern, der Mensch kann keine Ruhe im Grabe haben? Wahrhaftig, er hat uns alle im Leben zu bitter gekränkt und geärgert, und immer blieb er ohne Strafe; nun hat er seinen Lohn!«

Die Alte faltete die Hände, und sprach: segnet und fluchet nicht! Wer bist du, daß du, wie Paulus sagt, den fremden Knecht richtest? Er steht oder fällt seinem Herrn. Er mag aber wohl aufgerichtet werden, denn Gott kann ihn aufrichten.«

»Den nicht, Mutter,« fiel der Forstrath der Rechtgläubigen in das Wort, »den wird Gott nicht aufrichten; den hat der Teufel in seinen Klauen. Du hörst ja! das ist sein Sarg gewesen.«

»Warlich,« versetzte Minchen so ernst und feierlich, als ich das Mädchen nie gesehen hatte: »wahrlich, das ist sein Sarg gewesen.«

»Kind, was weißt Du denn davon? fragte die Mutter betroffen, und mir schlug das Blut in allen Pulsen, denn, war Minchens Muthwille gebeugt, dann mußte etwas an der Sache seyn.

Sie hob den kleinen Lockenkopf von der Arbeit in die Höhe, und schaute bedeutend umher; wir drängten uns um ihren Arbeittisch.

»Martin,« begann sie: – »Sie kennen den Knecht des Papier-Müllers, – Martin also holt mit dem Schlitten, gestern Abend den Sarg seines Herrn aus der Stadt. Schlecht gepackt, rutscht der Sarg langsam vom Schlitten hinten herab, und Martin fährt sorglos weiter. Sie kommen des Weges, erkranken sammt Ihrem Rappen an einem tüchtigen Manschetten-Fieber, und drücken sich seitwärts. Martin, schlafend heimgekehrt, bemerkt jetzt erst seinen Verlust, kehrt um und holt den Sarg; und nun ist natürlich die Erscheinung verschwunden, als Sie den Muth haben, mit zwei bewaffneten Landreitern das Luftbild, die frischgeöhlte Todtenkammer wieder aufzusuchen. Eben erzählte mir unser Hausmädchen Martins gestriges Abenteuer. Das, mein lieber Freund, ist die ganze Geschichte.« Sie brach nun in ein lautes Lachen aus, und ich war vierzehn Tage lang das Stichblatt der umliegenden Gegend.