Wilhelm Hertz
Die Siegfriedsage in ihrer nordischen Gestalt
Wilhelm Hertz

Wilhelm Hertz

Die Siegfriedsage in ihrer nordischen Gestalt

Als oberster Lenker der Schlachten pflegte Odin (Wodan), der höchste der germanischen Götter, die Walküren zu entsenden, einst göttliche Wesen, nun aber sterbliche Jungfrauen mit Götterkraft geweiht, welche im goldenen Waffenschmuck durch die Lüfte reitend nach seinem Befehl Sieg oder Tod den Kämpfenden zuteilen mussten. Oft, wenn die Waffen ruhten, kamen sie in Schwangestalt zu einsamen Wassern geflogen, legten die Schwanhemden ab und badeten sich; wer sich da ihres Gewandes bemächtigte, erhielt Gewalt über sie. So erging es Brynhild, einer der schönsten dieser Schar. Ihr raubte einst, da sie kaum zwölf Winter alt war, ein junger Held das Gewand und zwang sie in seinen Dienst, so dass sie ihm in einer Fehde, wider Odins ausdrücklichen Befehl, den Sieg verlieh und seinen Feind, einen alten Günstling Odins, in den Tod sandte. Da zürnte der Gott und erklärte ihr, sie solle fortan nicht mehr der Schlachten walten, sondern einem Manne untertan werden. Aber sie erwiderte, sie werde sich keinem vermählen, die sich fürchten könne. Da stach sie Odin mit dem Schlafdorn, umschloss die Schläferin mit einer Schildburg und liess ringsherum hohe Flammen lodern.

Unterdessen erwuchs ihr von Odin bestimmter Befreier am dänischen Hof. Er war vom Heldenstamm der Wölfungen. Sein Vater, König Siegmund, war im Kampf gegen ein feindliches Geschlecht, die Söhne Hundings, gefallen, und seine Mutter Hiördis war, als sie einsam auf dem Walfeld (Kampfplatz) bei dem Toten sass, von einer zufällig landenden Wikingsschar (nordische Seehelden) nach Dänemark entführt worden. Dort hatte sie bald hernach als Kriegsgefangene den lichtäugigen Sohn geboren und Sigurd (Siegfried) genannt. Zum Erzieher gab man ihm den kunstreichen Schmied Regin; der war ein Zwerg von Wuchs, weise, grimmgemut und zauberkundig. Seit lange aber drückte ihn ein schwerer Harm; denn sein Bruder Fafnir hatte ihm seinen Anteil am Erbe ihres Vaters Hreidmar vorenthalten.

Sie waren einst drei Brüder gewesen. Otr, der dritte, war ein rüstiger Jäger und hatte die Gabe, Tiergestalt anzunehmen. Als er eines Tages in der Gestalt einer Fischotter an einem Flusse sass und blinzelnd von einem Lachs ass, den er sich eben gefangen hatte, kamen drei Götter herzu, welche ausgezogen waren, die Welt zu durchwandern, Odin, Loki und Hönir. Loki hob sofort einen Stein auf und zerschmetterte ihm den Kopf. Dann nahmen die Götter Otter und Lachs mit sich und baten im Gehöfte Hreidmars um Nachtherberge. Doch als der Alte die erschlagene Fischotter erkannte, legten er und seine Söhne Hand an die Gäste und verlangten als Lösegeld, dass sie den abgezogenen Balg innen mit Gold füllen und dann aussen völlig mit Gold bedecken sollten. Loki wurde ausgesandt, das Gold zu schaffen. Er ging nach dem Land der Schwarzelben, fing einen schatzhütenden Zwerg, Andvari geheissen, und verlangte von ihm als Lösegeld seinen ganzen Hort. Der Zwerg trug alles aus dem Steine hervor, was er hatte; nur einen kleinen Ring verbarg er in der Hand. Den bat er ihm zu lassen, weil ein Zauber darin liege, wodurch er sein Gold wieder mehren könne. Aber Loki entriss ihm den Ring. Da legte der Zwerg einen Fluch auf den Ring, dass er jeden, der ihn besitze, das Leben kosten solle. Als Loki den Hort zu den Göttern brachte, gedachte Odin, den Ring für sich zu behalten. Sie füllten nun mit dem Golde den Otterbalg, stellten ihn aufrecht und überschütteten ihn von aussen. Aber als alles Gold verbraucht war, gewahrte Hreidmar noch ein unbedecktes Barthaar, und Odin musste Andvaris Ring vom Finger ziehen, um den Vertrag nicht zu brechen. Darauf gingen die Götter mit schlimmen Weissagungen von dannen.

Hreidmar nahm all das Gold als Busse für seinen Sohn; Regin und Fafnir aber verlangten ihren Teil daran als Bruderbusse. Da ihnen der Alte den verweigerte, verschwuren sie sich gegen ihn. Fafnir ermordete den Vater im Schlaf und bemächtigte sich des Hortes; den Bruder aber, der nun seinen Anteil forderte, jagte er mit Todesdrohungen hinweg. Dann fuhr Fafnir auf die Gnitaheide, wühlte sich dort ein Bette und legte sich in Drachengestalt über den Hort.

Regin, der an den Königshof von Dänemark geflohen war, reizte nun seinen Zögling Sigurd zum Kampf mit dem Drachen. Sigurd verlangte von ihm ein Schwert, und Regin schmiedete eines. Das zerschlug aber der junge Held auf dem Amboss und ebenso ein zweites. Da liess er sich von seiner Mutter die Stücke des Schwertes Gram (Zorn) geben, das Odin einst seinem Vater Siegmund verliehen hatte; daraus schmiedete ihm Regin ein neues Schwert, dessen Schneiden wie Feuer flammten. Sigurd hielt es ins fliessende Wasser, und es zerschnitt eine dagegen schwimmende Wollflocke; dass ging er in die Schmiede und zerspaltete damit den Amboss bis auf den Grund, ohne dass es schartig wurde. Mit diesem Schwert stellte sich Sigurd in eine Grube auf dem Wege, wo der Drache zum Wasser zu kriechen pflegte, und durchstach ihn von unten. Sterbend krümmte sich Fafnir und sprach: Das klingende Gold, des glutrote Gut, dir werden die Ringe zum Mörder. – nun kam Regin herzu, schnitt dem Drachen das Herz aus und trank von seinem Blut. Dann sprach er zu Sigurd: Ich will schlafen gehen; halte du Fafnirs Herz ans Feuer; ich will es zu essen haben nach diesem Trunk. – Als der Saft aus dem Herzen schäumte, rührte Sigurd daran, um zu prüfen, ob es gar sei. Da verbrannte er sich und steckte den Finger in den Mund. Doch sobald Fafnirs Herzblut auf seine Zunge kam, verstand er die Sprache der Vögel und hörte, wie Adlerweibchen über ihm davon sprachen, dass Regin in verstelltem Schlaf mit sich Rat halte, wie er Sigurd verderbe. Da ging Sigurd hin und hieb Regin das Haupt ab. So war der Fluch an Hreidmar und seinen Söhnen erfüllt und heftete sich nun an den jungen Helden, der in des Wurmes Lager von dem Horte Besitz nahm.

Darauf ritt Sigurd weiter, südwärts gen Frankenland. Da sah er auf einem Berg ein loderndes Feuer und in dem Feuer eine Schildburg. Er ritt furchtlos hindurch und fand einen Gewappneten in tiefem Schlaf. Er zog ihm den Helm ab und sah nun, dass es ein Weib war. Ihr Ringpanzer umschloss sie so fest, als wäre er ans Fleisch gewachsen. Da ritzte er ihn mit dem Schwerte auf, und nun – da der Schlafdorn herausfiel – erwachte sie mit segnenden Worten. Lange lauschte er ihren Reden und sprach dann: Niemand lebt so weise wie du, und das schwöre ich, dass ich dich haben will; denn du bist nach meinem Sinne. – Und sie erwiderte: Sollte ich wählen unter allen Helden der Welt, so wählte ich dich. – Das befestigten sie unter sich mit heiligen Eiden, und Sigurd verlobte sich der Jungfrau mit dem kostbarsten Ring seines Hortes. Es war der Fluchring Andvaris.

Dann ritt er auf seinem goldbeladenen Ross nach einer Königsburg am Rhein. Dort herrschte Giuki (Gibich); der hatte von seiner Gemahlin Grimhild drei Söhne, Gunnar (Gunther), Högni (Hagen) und Guttorm und eine Tochter Gudrun (die Kriemhild des Nibelungenliedes). Sigurd wurde von Giuki freundlich aufgenommen und lebte an seinem Hofe in hohen Ehren. Die alte Königin Grimhild aber war schlimmen Sinns und zauberkundig. Um den Helden und seinen Hort für ihr Haus zu gewinnen, braute sie einen Vergessenheitstrank und reichte ihn Sigurd beim Gastmahl. Während er trank, sprach sie mit Zauberworten: Dein Vater sei König Giuki, ich deine Mutter, deine Brüder Gunnar und Högni, und euresgleichen wird nicht sein auf Erden. – Von Stund an war die Liebe zu Brynhild ausgelöscht aus Sigurds Gedächtnis. Man bot ihm die schöne junge Gudrun zur Gattin an; er vermählte sich mit ihr und schwur Gunnar und Högni Waffenbrüderschaft. Da Gunnar sich gleichfalls vermählen wollte, redete ihm die alte Königin zu, mit Sigurds Hilfe um die schöne Brynhild zu werben.

Die harrte noch immer des Geliebten in ihrer flammenumloderten Burg und hatte sich auf das Drängen ihrer Verwandten dem zur Gattin verheissen, der durch das Feuer zu ihr ritte, da sie wohl wusste, dass dies keiner als Sigurd vollbringen werde. Die Helden kamen vor die Burg, und Gunnar spornte seinen Hengst gegen die Flammen; aber der scheute und wich zurück. Da lieh ihm Sigurd seinen Hengst Grani, den Grauen, der von Odins Ross abstammte und ihn schon einmal durch die Lohe getragen hatte; aber das Ross wollte niemand gehorchen als seinem Herrn. Nun brauchten Gunnar und Sigurd einen Zauber, den sie die alte Königin gelehrt hatte, und vertauschten gegenseitig die Gestalt. So ritt dann Sigurd selbst gegen das Feuer; die Erde bebte, die Flammen rasten und sausten und schlugen wider den Himmel; aber der Held ritt hindurch, und die Glut erlosch vor ihm. Erschrocken sah Brynhild den fremden Mann, der von ihr die Erfüllung ihres Gelübdes forderte. Kein Ausweg blieb ihr. Er nannte sich Gunnar, Giukis Sohn, und verlobte sich ihr, indem er ihr den Ring Andvaris, den sie von ihm erhalten, vom Finger zog und ihr dafür Gunnars Brautring ansteckte. Doch er küsste sie nicht, noch umfing er sie, sondern legte zwischen sich und sie sein scharfes Schwert. Dann ritt er zurück zu Gunnar, um wieder mit ihm die Gestalt zu vertauschen, und dieser führte nun seine Braut an den Rhein.

Als aber dort die verratene Brynhild ihren Geliebten mit einer andern vermählt fand, verzehrte sich ihre Seele in Gram und Grimm.

Sie sass einsam draussen zur Abendzeit,
Und laut mit sich selber begann sie zu sprechen:
Sigurd will ich haben oder doch sterben,
Den jungen Helden in meinem Arm.
Nun sprach ich ein Wort, das mich wieder reut:
Sein Weib ist Gudrun, und ich bin Gunnars.
Leide Nornen schufen uns langes Weh. –
Sie schritt, im Innern auf Schlimmes sinnend,
Über Eis und Schneefeld jeden Abend,
Wenn er und Gudrun zum Lager gingen:
Nun geh' ich verlassen von Lust und Liebe
Und muss mich ergetzen an grimmen Gedanken. –

Zum Ausbruch kam ihr Hass gegen Gudrun, als sie eines Tages mit ihr im Rheine badete. Sie schritt weiter hinein in den Strom und erwiderte auf Gudruns Frage: Ich will das Wasser nicht an mir leiden, das von deinen Haaren rinnt; denn mein Gatte ist ein ruhmreicher König und ritt durch das brennende Feuer, deiner aber war des Dänenkönigs Knecht. – Da zürnte Gudrun, und rief: Dir ziemt es am wenigsten, Sigurd zu lästern; denn er ist dein erster Mann. Er ritt in Gunnars Gestalt durch das brennende Feuer und nahm dir den Ring, den ich hier am Finger trage. – Als Brynhild den Ring erkannte, erbleichte sie wie eine Tote, ging heim und warf sich auf ihr Bette und lag dort tagelang regungslos wie in tiefem Schlaf. Vergebens war alles Bemühen, sie zu versöhnen. Sie forderte von Gunnar Sigurds Tod. Nach langem Schwanken willigte dieser ein, doch mehr um des Hortes als der Rache willen. Guttorm, der jüngste Bruder, der mit Sigurd keine Eide der Treue getauscht hatte, wurde zum Morde gereizt; sie brauten ihm Zaubertränke, gaben ihm Schlangen- und Wolfsfleisch zu essen, und wütend gemacht durch diese Künste erstach er den schlafenden Sigurd im Bette an Gudruns Seite, fiel aber selbst durch das Schwert Gram, das ihm der Sterbende nachwarf. Schreiend erwachte Gudrun, vom warmen Blute ihres Gatten überströmt.

Da lachte Brynhild einmal noch aus vollem Herzen, als sie von fernher Gundruns gellenden Schrei vernahm. Dann aber legte sie in feierlichem Ernst die goldene Rüstung wieder an, die sie einst als Walküre getragen, und machte sich bereit, dem toten Geliebten zu folgen. Vergebens schlang ihr Gunnar die Arme um den Hals; sie stiess ihn zurück und durchbohrte sich mit dem Schwert. Sterbend ordnete sie ihre Totenhochzeit an und bat, dass man sie mit Sigurd auf einem Scheiterhaufen verbrenne, zwischen beiden wie einst sein blankes Schwert: Zum Unheil werden noch allzu lange Männer und Weiber ins Leben geboren; doch wir beide bleiben zusammen, ich und Sigurd!

Darauf bemächtigten sich Gunnar und Högni des Hortes. Gudrun aber floh nach Dänemark, wo Sigurd aufgewachsen war, und lebte dort bis ins vierte Jahr. Dann, durch einen Zaubertrank ihrer Mutter milde gestimmt, versöhnte sie sich mit ihren Brüdern und liess sich von ihnen mit Brynhilds Bruder Atli vermählen, der sie zur Sühne für den Tod seiner Schwester forderte. Im Grunde seines Herzens war es aber Sigurds Hort allein, was er begehrte. Mit Mordgedanken lud er daher eines Tages seine Schwäger zu Gaste. Gudrun gab zwar dem Boten als Warnungszeichen Andvaris Ring mit, um den sie ein Wolfshaar geschlungen hatte. Aber die trotzigen Männer liessen sich nicht schrecken. Doch bevor sie aufbrachen, verbargen sie den Hort im Rhein. Im Hunnenland wurden sie sofort mit offener Feindschaft empfangen; Wolf und Adler freuten sich dieses Festes. Umsonst versuchte Gudrun, Frieden zu stiften; da legte sie selbst eine Rüstung an und trat mit blossem Schwert an ihrer Brüder Seite. So schritt sie vorwärts im tobenden Kampf wie der kühnste Mann und erschlug zwei Brüder Atlis. Doch die Gäste wurden von der Übermacht der Hunnen erdrückt. Als die letzten Lebenden fielen Gunnar und Högni in Atlis Gewalt. Der liess Gunnar fragen, ob er sich mit Sigurds Hort loskaufen wollte. Gunnar erwiderte, er müsse erst Högnis Herz in der Hand halten; doch als man es ihm brachte, sprach er: Nun weiss niemand vom Hort als ich und die Götter; der gewaltige Rhein soll ihn behalten! Auf diese Rede hin liess ihn Atli in den Wurmgarten werfen, wo er vom Biss der Giftschlangen starb. Gudrun verbarg ihren Grimm über der Brüder Tod hinter gelassenen Mienen und stellte sich versöhnlich gegen Atli. Aber nachts ermordete sie ihn im Schlaf, legte Feuer an das Haus und verbrannte es mit allen, die darin waren. So rächte die Schwester der Brüder Fall.