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Einleitung.

Der Untergang der Kultur und der Religionen der alten Welt im Christentum vollzieht sich »in, mit und unter« Herausbildung des neuen allumfassenden und allesverschlingenden Mythos vom Christ, der als Sohn Gottes aus seiner himmlischen Vorexistenz in die Welt geboren wurde, um das Reich des »Fürsten dieser Welt«, das Reich Satans oder des Teufels, das im Tode gipfelt, zu zerstören und die Menschheit durch die Aufrichtung des Reiches Gottes aus seinen Banden und vor dem nahenden Weltgericht zu erretten.

Christus und im weiteren Verlaufe Gott und der Teufel mit ihren Heerscharen stehen sich von nun an als die beiden einzigen überirdischen Mächte in der Welt gegenüber. Die gesamte übrige heidnische Götterwelt ist vor ihnen erblaßt. Der Teufel als der Gegengott ist allerdings nicht ganz so mächtig als der Gott, was ja der dem Christentum vom Judentum her überkommene Monotheismus, wenigstens in dogmatischer Hinsicht, nicht zulassen konnte, aber tatsächlich doch »unter Gottes Zulassung« der eigentliche Herr der Welt bis zum Tag des endgültigen Gerichts über ihn.

Freilich unterscheidet sich dieser christliche Mythos in wesentlichen Punkten von den alten, aus freischaffender Phantasie entstandenen und ihr zur weiteren religiösen Vertiefung überlassenen Göttermythen. Während letztere ihre Wurzeln in Naturerscheinungen und Naturvorgänge herabsenkten, deren Träger eine heroisierte Dämonenwelt wurde – bei den Griechen ein olympisches Geschlecht seliger Genießer, deren Wesen eine idealisierte, ästhetisierte und ethisierte Natürlichkeit ist –, entsprießt der christliche Mythos einem weltabgewandten, naturfeindlichen, ethisch-asketischen Dualismus, in dem der Kampf zwischen den beiden personifizierten sittlichen Prinzipien Gut und Böse zum Ausdruck kommt. Der Mensch des urchristlichen Mythos ist nicht mehr der weltselige Mensch der hellenischen Blütezeit, der heiteren und freien Gemüts Natur und Geist in eins setzt und sich einen Himmel voll von Göttern mit liebenswürdigen, bisweilen allzumenschlichen Menschlichkeiten erschafft, sondern ein von Sündenschuld geplagtes, innerlich zerrissenes Wesen. Die Materie gilt ihm als Sitz allen Übels, die entgötterte Natur und das »Fleisch« als Bereich und Angriffspunkt böser Dämonen, die Welt mit ihren Freuden als nichtig, der Leib als das Gefängnis der Seele, das Jenseits als Erlösung vom Diesseits.

Ferner gerät der neue Mythos in die Hände der Theologie und unterliegt der Dogmatisierung, wodurch er in höchstem Maße kultur- und wissenschaftsfeindlich wird. Indem er endlich in der Person Jesu von Nazareth als dem Christ vermenschlicht wird und sich in der Kirche vergeschichtlicht, organisiert er sich eine kämpfende und sich siegreich ausbreitende Glaubens- und Lebensgemeinschaft überweltlichen Charakters mit universalem Anspruch, die das ganze menschliche Leben von der Geburt an bis zum Tode beherrscht und sich schließlich sogar die Weltmacht Rom dienstbar macht. Der universale Mythos wird zur universalen Theokratie. Im Guten und vielleicht noch mehr im Bösen wirkt er sich im Verlaufe von annähernd zwei Jahrtausenden als allein maßgebender Kulturfaktor aus, bis der Mensch, die Natur und sich selbst auf Erden wiederfindend, auf seinen Trümmern das Reich einer sich ewig verjüngenden, diesseitigen idealen Menschheit aus eigener Kraft aufzurichten sich anschickt, die nunmehr wiederum Geist und Natur, Sinnlichkeit und Vernunft, in sich zu einer höheren Einheit zu erheben bestrebt ist.

Im folgenden soll die Entstehung dieses Mythos, seine mit Blut und Tränen geschriebene Geschichte und sein Zusammenbruch vor der Wissenschaft in großen Strichen gezeichnet werden als die Entwicklungsgeschichte des Teufels im besonderen und als eine Entwicklungsphase des religiösen Denkens im allgemeinen.


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