Heinrich Heine
Schnabelewopski
Heinrich Heine

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Kapitel XIV

Diese Szene hatte mich furchtbar erschüttert. Gegen das Weib aber, das mittelbar solches Unglück verursacht, wandte sich der ganze Ungestüm meiner Empfindungen; das Herz voll Zorn und Kummer, stürmte ich nach dem Roten Ochsen.

»Ungeheur, warum hast du keine Suppe geschickt?« Dieses waren die Worte womit ich die erbleichende Wirtin anredete, als ich sie in der Küche antraf. Das Porzellan auf dem Kamine zitterte bei dem Tone meiner Stimme. Ich war so entsetzlich, wie der Mensch es nur immer sein kann, wenn er keine Suppe gegessen und sein bester Freund einen Stich in die Lunge bekommen.

»Ungeheur, warum hast du keine Suppe geschickt?« Diese Worte wiederholte ich, während das schuldbewußte Weib starr und sprachlos vor mir stand. Endlich aber, wie aus geöffneten Schleusen, stürzten aus ihren Augen die Tränen. Sie überschwemmten ihr ganzes Antlitz und tröpfelten bis in den Kanal ihres Busens. Dieser Anblick konnte jedoch meinen Zorn nicht erweichen, und mit verstärkter Bitterkeit sprach ich: »O ihr Weiber, ich weiß daß ihr weinen könnt; aber Tränen sind keine Suppe. Ihr seid erschaffen zu unserem Unheil. Eur Blick ist Lug und eur Hauch ist Trug. Wer hat zuerst vom Apfel der Sünde gegessen? Gänse haben das Kapitol gerettet, aber durch ein Weib ging Troja zugrunde. O Troja! Troja! des Priamos heilige Feste, du bist gefallen durch die Schuld eines Weibes! Wer hat den Marcus Antonius ins Verderben gestürzt? Wer verlangte den Kopf Johannis des Täufers? Wer war Ursache von Abälards Verstümmelung? Ein Weib! Die Geschichte ist voll Beispiele, wie wir durch euch zugrunde gehn. All eur Tun ist Torheit und all eur Denken ist Undank. Wir geben euch das Höchste, die heiligste Flamme des Herzens, unsere Liebe – was gebt ihr uns als Ersatz? Fleisch, schlechtes Rindfleisch, noch schlechteres Hühnerfleisch – Ungeheur, warum hast du keine Suppe geschickt!«

Vergebens begann Myfrau jetzt eine Reihe von Entschuldigungen herzustammeln und mich bei allen Seligkeiten unserer genossenen Liebe zu beschwören, ihr diesmal zu verzeihen. Sie wollte mir von nun an noch besseres Essen schicken als früher, und noch immer nur sechs Gulden die Portion anrechnen, obgleich der Groote Dohlenwirt für sein ordinäres Essen sich acht Gulden bezahlen läßt. Sie ging so weit, mir für den folgenden Tag Austerpastete zu versprechen; ja, in dem weichen Tone ihrer Stimme dufteten sogar Trüffel. Aber ich blieb standhaft, ich war entschlossen auf immer zu brechen und verließ die Küche mit den tragischen Worten: »Adieu, für dieses Leben haben wir ausgekocht!«

Im Fortgehn hörte ich etwas zu Boden fallen. War es irgendein Küchentopf oder Myfrau selber? Ich nahm mir nicht einmal die Mühe nachzusehen, und ging direkt nach der Grooten Dohlen, um sechs Portion Essen für den nächsten Tag zu bestellen.

Nach diesem wichtigsten Geschäft, eilte ich nach der Wohnung des kleinen Simson, den ich in einem sehr schlechten Zustande fand. Er lag in einem großen altfränkischen Bette, das keine Vorhänge hatte, und an dessen Ecken vier große marmorierte Holzsäulen befindlich waren, die oben einen reich vergoldeten Betthimmel trugen. Das Antlitz des Kleinen war leidend blaß, und in dem Blick, den er mir zuwarf, lag so viel Wehmut, Güte und Elend, daß ich davon bis in die Tiefe meiner Seele gerührt wurde. Der Arzt hatte ihn eben verlassen und seine Wunde für bedenklich erklärt. Van Moeulen, der allein dort geblieben, um die Nacht bei ihm zu wachen, saß vor seinem Bette und las ihm vor aus der Bibel.

»Schnabelewopski«, seufzte der Kleine, »es ist gut, daß du kommst. Kannst zuhören, und es wird dir wohltun. Das ist ein liebes Buch. Meine Vorfahren haben es in der ganzen Welt mit sich herumgetragen, und gar viel Kummer und Unglück und Schimpf und Haß dafür erduldet, oder sich gar dafür totschlagen lassen. Jedes Blatt darin hat Tränen und Blut gekostet, es ist das aufgeschriebene Vaterland der Kinder Gottes, es ist das heilige Erbe Jehovas –«

»Rede nicht zuviel«, rief van Moeulen, »es bekömmt dir schlecht.«

»Und gar«, setzte ich hinzu, »rede nicht von Jehova, dem undankbarsten der Götter, für dessen Existenz du dich heute geschlagen –«

»O Gott!« seufzte der Kleine und Tränen fielen aus seinen Augen – »O Gott, du hilfst unseren Feinden!«

»Rede nicht so viel«, wiederholte van Moeulen. »Und du, Schnabelewopski«, flüsterte er mir zu, »entschuldige wenn ich dich langweile; der Kleine wollte durchaus, daß ich ihm die Geschichte seines Namensvetters, des Simson, vorlese – wir sind am vierzehnten Kapitel, hör zu:

›Simson ging hinab gen Thimnath, und sahe ein Weib zu Thimnath unter den Töchtern der Philister –‹«

»Nein«, rief der Kleine, mit geschlossenen Augen, »wir sind schon am sechszehnten Kapitel. Ist mir doch als lebte ich das alles mit, was du da vorliest, als hörte ich die Schafe blöken, die am Jordan weiden, als hätte ich selber den Füchsen die Schwänze angezündet und sie in die Felder der Philister gejagt, als hätte ich mit einem Eselskinnbacken tausend Philister erschlagen – Oh, die Philister! sie hatten uns unterjocht und verspottet, und ließen uns wie Schweine Zoll bezahlen, und haben mich zum Tanzsaal hinausgeschmissen, auf dem Roß, und zu Bockenheim mit Füßen getreten – hinausgeschmissen, mit Füßen getreten, auf dem Roß. O Gott, das ist nicht erlaubt!«

»Er liegt im Wundfieber und phantasiert«, bemerkte leise van Moeulen, und begann das sechszehnte Kapitel:

»Simson ging hin gen Gasa und sahe daselbst eine Hure, und lag bei ihr.

Da ward den Gasitern gesagt: Simson ist herein kommen. Und sie umgaben ihn, und ließen auf ihn lauern die ganze Nacht in der Stadt Tor, und waren die ganze Nacht stille, und sprachen: ›Harre, morgen, wenn es Licht wird, wollen wir ihn erwürgen.‹

Simson aber lag bis zu Mitternacht. Da stund er auf zu Mitternacht, und ergriff beide Türen an der Stadt Tor, samt den beiden Pfosten, und hub sie aus mit den Riegeln, und legte sie auf seine Schultern, und trug sie hinauf auf die Höhe des Berges von Hebron.

Darnach gewann er ein Weib lieb, am Bach Sorek, die hieß Delila.

Zu der kamen der Philister Fürsten hinauf, und sprachen zu ihr: ›Überrede ihn, und besiehe, worin er so große Kraft hat, und womit wir ihn übermögen, daß wir ihn binden und zwingen, so wollen wir dir geben ein jeglicher tausend und hundert Silberlinge.‹

Und Delila sprach zu Simson: ›Lieber, sage mir worinnen deine große Kraft sei, und womit man dich binden möge, damit man dich zwinge?‹

Simson sprach zu ihr: ›Wenn man mich bünde mit sieben Seilen von frischem Bast, die noch nicht verdorret waren‹: Und sie band ihn damit.

(Man hielt aber auf ihn bei ihr in der Kammer.) Und sie sprach zu ihm: ›Die Philister über dir, Simson.‹ Er aber zerriß die Seile, wie eine flächsene Schnur zerreißet, wenn sie ans Feuer reucht: und ward nicht kund wo seine Kraft wäre.«

»O dumme Philister!« rief jetzt der Kleine, und lächelte vergnügt, »wollten mich auch auf die Konstablerwacht setzen –«

Van Moeulen aber las weiter:

»Da sprach Delila zu Simson: ›Siehe du hast mich getäuschet, mir gelogen; nun, so sage mir doch, womit kann man dich binden?‹

Er antwortete ihr: ›Wenn sie mich bünden mit neuen Stricken, damit nie keine Arbeit geschehen ist; so würde ich schwach und wie ein ander Mensch.‹

Da nahm Delila neue Stricke, und band ihn damit, und sprach: ›Philister über dir, Simson‹; (man hielt aber auf ihn in der Kammer); und er zerriß sie von seinen Armen, wie einen Faden.«

»Oh, dumme Philister!« rief der Kleine im Bette.

»Delila aber sprach zu ihm: ›Noch hast du mich getäuschet, und mir gelogen. Lieber, sage mir doch, womit kann man dich binden?‹ Er antwortete ihr: ›Wenn du sieben Locken meines Hauptes flöchtest mit einem Flechtbande, und heftetest sie mit einem Nagel ein.‹

Und sie sprach zu ihm – ›Philister über dir, Simson.‹ Er aber wachte auf von seinem Schlaf, und zog die geflochtenen Locken mit Nagel und Flechtband heraus.«

Der Kleine lachte: »Das war auf der Eschenheimer Gasse.« van Moeulen aber fuhr fort:

»Da sprach sie zu ihm: ›Wie kannst du sagen, du habest mich lieb, so dein Herz doch nicht mit mir ist? Dreimal hast du mich getäuschet, und mir nicht gesaget, worinnen deine große Kraft sei.‹

Da sie ihn aber trieb mit ihren Worten alle Tage, und zerplagte ihn, ward seine Seele matt bis an den Tod.

Und sagte ihr sein ganzes Herz, und sprach zu ihr: ›Es ist nie kein Schermesser auf mein Haupt kommen, denn ich bin ein Verlobter Gottes von Mutterleib an. Wenn du mich beschörest, so wiche meine Kraft von mir, daß ich schwach würde, und wie alle andre Menschen.‹

Da nun Delila sahe, daß er ihr alle sein Herz offenbaret hatte, sandte sie hin, und ließ der Philister Fürsten rufen, und sagen: ›Kommet noch einmal herauf, denn er hat mir alle sein Herz offenbaret.‹ Da kamen der Philister Fürsten zu ihr herauf, und brachten das Geld mit sich in ihrer Hand.

Und sie ließ ihn entschlafen auf ihrem Schoß, und rief einem, der ihm die sieben Locken seines Hauptes abschöre. Und sie fing an ihn zu zwingen. Da war seine Kraft von ihm gewichen.

Und sie sprach zu ihm: ›Philister über dir, Simson.‹ Da er nun von seinem Schlaf erwachte, gedachte er: ich will ausgehen wie ich mehrmals getan habe, ich will mich ausreißen, und wußte nicht, daß der Herr von ihm gewichen war.

Aber die Philister griffen ihn, und stachen ihm die Augen aus, und führten ihn hinab gen Gasa, und bunden ihn mit zwo ehernen Ketten, und er mußte mahlen im Gefängnis.«

»O Gott! Gott!« wimmerte und weinte beständig der Kranke. »Sei still«, sagte van Moeulen, und las weiter:

»Aber das Haar seines Hauptes fing wieder an zu wachsen, wo es beschoren war.

Da aber der Philister Fürsten sich versammleten, ihrem Gott Dagon ein groß Opfer zu tun, und sich zu freuen, sprachen sie: ›Unser Gott hat uns unsern Feind Simson in unsere Hände gegeben.‹

Desselbigengleichen als ihn das Volk sahe, lobeten sie ihren Gott; denn sie sprachen: ›Unser Gott hat uns unsern Feind in unsere Hände gegeben, der unser Land verderbete, und unserer viele erschlug.‹

Da nun ihr Herz guter Dinge war, sprachen sie: ›Lasset Simson holen, daß er vor uns spiele.‹ Da holeten sie Simson aus dem Gefängnis, und er spielete vor ihnen, und sie stelleten ihn zwischen zwo Säulen.

Simson aber sprach zu dem Knaben, der ihn bei der Hand leitete: ›Laß mich, daß ich die Säulen taste, auf welchen das Haus stehet, daß ich mich daran lehne.‹

Das Haus aber war voll Männer und Weiber. Es waren auch der Philister Fürsten alle da, und auf dem Dach bei dreitausend, Mann und Weib, die da zusahen wie Simson spielete.

Simson aber rief den Herren an, und sprach: ›Herr, Herr, gedenke mein, und stärke mich doch, Gott, diesmal, daß ich für meine beide Augen mich einst räche an den Philistern.‹

Und er fassete die zwo Mittelsäulen, auf welchen das Haus gesetzet war, und darauf sich hielt, eine in seine rechte, und die andere in seine linke Hand.

Und sprach: ›Meine Seele sterbe mit den Philistern‹; und neigte sich kräftiglich. Da fiel das Haus auf die Fürsten, und auf alles Volk, das drinnen war, daß der Toten mehr waren, die in seinem Tode sturben, denn die bei seinem Leben sturben.«

Bei dieser Stelle öffnete der kleine Simson seine Augen, geisterhaft weit; hob sich krampfhaft in die Höhe; ergriff, mit seinen dünnen Ärmchen, die beiden Säulen, die zu Füßen seines Bettes; rüttelte daran, während er zornig stammelte: »Es sterbe meine Seele mit den Philistern.« Aber die starken Bettsäulen blieben unbeweglich, ermattet und wehmütig lächelnd fiel der Kleine zurück auf seine Kissen, und aus seiner Wunde, deren Verband sich verschoben, quoll ein roter Blutstrom.


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