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(1840-1847)
Paris, den 12. Juni 1840
Der Ritter Spontini bombardiert in diesem Augenblick die armen Pariser mit lithographierten Briefen, um zu jedem Preis das Publikum an seine verschollene Person zu erinnern. Es liegt in diesem Augenblick ein Cirkular vor mir, das er an alle Zeitungsredaktoren schickt, und das keiner drucken will aus Pietät für den gesunden Menschenverstand und Spontini's alten Namen. Das Lächerliche grenzt hier ans Sublime. Diese peinliche Schwäche, die sich im barockesten Stil ausspricht oder vielmehr ausärgert, ist ebenso merkwürdig für den Arzt wie für den Sprachforscher. Ersterer gewahrt hier das traurige Phänomen einer Eitelkeit, die im Gemüt immer wütender auflodert, je mehr die edlern Geisteskräfte darin erlöschen; der andere aber, der Sprachforscher, sieht, welch ein ergötzlicher Jargon entsteht, wenn ein starrer Italiener, der in Frankreich notdürftig etwas Französisch gelernt hat, dieses sogenannte Italiener-Französisch während eines fündundzwanzigjährigen Aufenthalts in Berlin ausbildete, so daß das Kauderwelsch mit sarmatischen Barbarismen gar wunderlich gespickt ward. Dieses Cirkular beginnt mit den Worten: C'est très probablement une bénévole supposition ou un souhait amical jeté à loisir dans le camp des nouvellistes de Paris, que l'annonce que je viens de lire dans la »Gazette d'Etat« de Berlin et dans les »Debats« du 16. courant, que l'administration de l'académie royale de musique a arrêté de remettre en scèna la Vestale! ce dont aucuns désirs ni soucis ne m'ont un seul instant occupé après mon dernier départ de Paris! Als ob jemand in der »Staatszeitung« oder in den »Debats« aus freiem Antrieb von Herrn Spontini spräche, und als ob er nicht selbst die ganze Welt mit Briefen tribulierte, um an seine Oper zu erinnern. Das Cirkular ist vom Februar datiert, ward aber neuerdings wieder hergeschickt, weil Signor Spontini hört, daß man hier sein berühmtes Werk wieder aufführen wolle, welches nichts als eine Falle sei – eine Falle, die er benutzen will, um hierher berufen zu werden. Nachdem er nämlich gegen seine Feinde pathetisch deklamiert hat, setzt er hinzu: Et voilà justement le nouveau piège que je crois avoir deviné, et ce qui me fait un impérieux devoir de m'opposer, me trouvant absent, à la remise en scène de mes opéras sur le théâtre de l'académie royale de musique, à moins que je ne sois officiellement engagé moi-même par l'administration, sous la garantie du Ministère de l'Intérieur, à me rendre à Paris, pour aider de mes conseils créateurs les artistes (la tradition de mes opéras étant perdue), pour assister aux répétitions et contribuer au succès de la Vesale, puisque c'est d'elle qui'il s'agit. Das ist noch die einzige Stelle in diesen Spontini'schen Sümpfen, wo fester Boden; die Pfiffigkeit streckt hier ihre länglichsten Ohren hervor. Der Mann will durchaus Berlin verlassen, wo er es nicht mehr aushalten kann, seitdem die Meyerbeer'schen Opern gegeben werden, und vor einem Jahr kam er auf einige Wochen hierher und lief von Morgen bis Mitternacht zu allen Personen von Einfluß, um seine Berufung nach Paris zu betreiben. Da die meisten Leute hier ihn für längst verstorben hielten, so erschraken sie nicht wenig ob seiner plötzlichen, geisterhaften Erscheinung. Die ränkevolle Behendigkeit dieser toten Gebeine hatte in der Tat etwas Unheimliches. Herr Duponchel, der Direktor der großen Oper, ließ ihn gar nicht vor sich und rief mit Entsetzen: »Diese intrigante Mumie mag mir vom Leibe bleiben; ich habe bereits genug von den Intrigen der Lebenden zu erdulden!« Und doch hatte Herr Moritz Schlesinger, Verleger der Meyerbeer'schen Opern – denn durch diese gute ehrliche Seele ließ der Ritter seinen Besuch bei Herrn Duponchel voraus ankündigen – alle seine glaubwürdige Beredsamkeit aufgeboten, um seinen Empfohlenen im besten Lichte darzustellen. In der Wahl dieser empfehlenden Mittelsperson bekundete Herr Spontini seinen ganzen Scharfsinn. Er zeigte ihn auch bei andern Gelegenheiten; z. B. wenn er über jemand räsonnierte, so geschah es gewöhnlich bei dessen intimsten Freunden. Den französischen Schriftstellern erzählte er, daß er in Berlin einen deutschen Schriftsteller festsetzen lassen, der gegen ihn geschrieben. Bei den französischen Sängerinnen beklagte er sich über deutsche Sängerinnen, die sich nicht bei der Berliner Oper engagieren wollten, wenn man ihnen nicht kontraktlich zugestand, daß sie in keiner Spontini'schen Oper zu singen brauchten!
Aber er will durchaus hierher; er kann es nicht mehr aushalten in Berlin, wohin er, wie er behauptet, durch den Haß seiner Feinde verbannt worden, und wo man ihm dennoch keine Ruhe lasse. Dieser Tage schrieb er an die Redaktion der France musicale: seine Feinde begnügten sich nicht, daß sie ihn über den Rhein getrieben, über die Weser, über die Elbe; sie möchten ihn noch weiter verjagen, über die Weichsel, über den Niemen! Er findet große Ähnlichkeit zwischen seinem Schicksal und dem Napoleon'schen. Er dünkt sich ein Genie, wogegen sich alle musikalischen Mächte verschworen. Berlin ist sein Sankt Helena und Rellstab sein Hudson Lowe. Jetzt aber müsse man seine Gebeine nach Paris zurückkommen lassen und im Invalidenhause der Tonkunst, in der Académie royale de musique, feierlich beisetzen. –
Das Alpha und Omega aller Spontini'schen Beklagnisse ist Meyerbeer. Als mir hier in Paris der Ritter die Ehre seines Besuches schenkte, war er unerschöpflich an Geschichten, die geschwollen von Gift und Galle. Er kann die Tatsache nicht ableugnen, daß der König von Preußen unsern großen Giacomo mit Ehrenbezeigungen überhäuft und darauf bedacht ist, demselben mit hohen Ämtern und Würden zu betrauen, aber er weiß dieser königlichen Huld die schnödesten Motive anzudichten. Am Ende glaubt er selbst seine eignen Erfindungen, und mit einer Miene der tiefsten Überzeugung versicherte er mir: als er einst bei Seiner Majestät dem König gespeist, habe Allerhöchst derselbe nach der Tafel mit heiterer Offenherzigkeit gestanden, daß er den Meyerbeer um jeden Preis an Berlin fesseln wolle, damit dieser Millionär sein Vermögen nicht im Auslande verzehre. Da die Musik, die Sucht, als Opernkomponist zu glänzen, eine bekannte Schwäche des reichen Mannes sei, suche er, der König, diese schwache Seite zu benutzen, um den Ehrgeizigen durch Auszeichnungen zu ködern. – »Es ist traurig«, soll der König hinzugesetzt haben, »daß ein vaterländisches Talent, das ein so großes, fast geniales Vermögen besitzt, in Italien und Paris seinen guten preußischen harten Taler vergeuden mußte, um als Komponist gefeiert zu werden – was man für Geld haben kann, ist auch bei uns in Berlin zu haben, auch in unsern Treibhäusern wachsen Lorbeerbäume für den Narren, der sie bezahlen will, auch unsre Journalisten sind geistreich und lieben ein gutes Frühstück oder gar ein gutes Mittagessen, auch unsre Eckensteher und Saure-Gurkenhändler haben zum Beifallklatschen ebenso derbe Hände wie die Pariser Klaque – ja wenn unsre Tagediebe, statt in der Tabagie, ihre Abende im Opernhause zubrächten, um die Hugenotten zu applaudieren, würde auch ihre Ausbildung dadurch gewinnen – die niederen Klassen müßten sittlich und ästhetisch gehoben werden, und die Hauptsache ist, daß Geld unter die Leute komme, zumal in der Hauptstadt.« – Solcherweise, versicherte Spontini, habe sich Seine Majestät geäußert, um sich gleichsam zu entschuldigen, daß er ihn, den Verfasser der Vestalin, dem Meyerbeer sakrifiziere. Als ich bemerkte, daß es im Grunde sehr löblich sei, wenn ein Fürst ein solches Opfer bringe, um den Wohlstand seiner Hauptstadt zu fördern – da fiel mir Spontini in die Rede: »O, Sie irren sich, der König von Preußen protegiert die schlechte Musik nicht aus staatsökonomischen Gründen, sondern vielmehr weil er die Tonkunst haßt und wohl weiß, daß sie zugrunde gehen muß durch Beispiel und Leitung eines Mannes, der, ohne Sinn für Wahrheit und Adel, nur der rohen Menge schmeicheln will.«
Ich konnte nicht umhin, dem hämischen Italiener offen zu gestehen, daß es nicht klug von ihm sei, dem Nebenbuhler alles Verdienst abzusprechen. – »Nebenbuhler!«, rief der Wütende und wechselte zehnmal die Farbe, bis endlich die gelbe wieder die Oberhand behielt – dann aber, sich fassend, frug er mit höhnischem Zähnefletschen: »Wissen Sie ganz gewiß, daß Meyerbeer wirklich der Komponist der Musik ist, die unter seinem Namen aufgeführt wird?« Ich stutzte nicht wenig ob dieser Tollhausfrage, und mit Erstaunen hörte ich, Meyerbeer habe in Italien einigen armen Musikern ihre Kompositionen abgekauft und daraus Opern verfertigt, die aber durchgefallen seien, weil der Quark, den man ihm geliefert, gar zu miserabel war. Später habe er von einem talentvollen Abbate zu Venedig etwas Besseres erstanden, welches er dem »Crociato« einverleibte. Er besitze auch Weber's hinterlassene Manuskripte, die er der Witwe abgeschwatzt, und woraus er gewiß später schöpfen werde. Robert-le-Diable und die Hugenotten seien größtenteils die Produktion eines Franzosen, welcher Gouin heiße und herzlich gern unter Meyerbeer's Namen seine Opern zur Aufführung bringe, um nicht sein Amt eines Chef de Bureau an der Post einzubüßen, da seine Vorgesetzten gewiß seinem administrativen Eifer mißtrauen würden, wenn sie wüßten, daß er ein träumerischer Komponist; die Philister halten praktische Funktionen für unvereinbar mit artistischer Begabnis, und der Postbeamte Gouin ist klug genug, seine Autorschaft zu verschweigen und allen Weltruhm seinem ehrgeizigen Freund Meyerbeer zu überlassen. Daher die innige Verbindung beider Männer, deren Interessen sich ebenso innig ergänzen. Aber ein Vater bleibt immer Vater, und dem Freund Gouin liegt das Schicksal seiner Geisteskinder beständig am Herzen: die Details der Aufführung und des Erfolges von Robert-le-Diable und den Hugenotten nehmen seine ganze Tätigkeit in Anspruch, er wohnt jeder Probe bei, er unterhandelt beständig mit dem Operndirektor, mit den Sängern, den Tänzern, dem Chef der Klaque, den Journalisten; er läuft mit seinen Transtiefeln ohne Lederstrippen von morgens bis abends nach allen Zeitungsredaktionen, um irgendein Reklam zu Gunsten der sogenannten Meyerbeer'schen Opern anzubringen, und seine Unermüdlichkeit soll jeden in Erstaunen setzen.
Als mir Spontini diese Hypothese mitteilte, gestand ich, daß sie nicht aller Wahrscheinlichkeit ermangele, und daß, obgleich das vierschrötige Äußere, das ziegelrote Gesicht, die kurze Stirn, das schmierig schwarze Haar des erwähnten Herrn Gouin vielmehr an einen Ochsenzüchtler oder Viehmäster als an einen Tonkünstler erinnere, dennoch in seinem Benehmen manches vorkomme, das ihn in den Verdacht bringe, der Autor der Meyerbeer'schen Opern zu sein. Es passiert ihm manchmal, daß er Robert-le-Diable oder die Hugenotten »unsere Oper« nennt. Es entschlüpfen ihm Redensarten wie: »Wir haben heute eine Repetition« – »wir müssen eine Arie abkürzen«. Auch ist es sonderbar, bei keiner Vorstellung jener Opern fehlt Herr Gouin, und wird eine Bravourarie applaudiert, vergißt er sich ganz und verbeugt sich nach allen Seiten, als wolle er dem Publiko danken. Ich gestand dieses alles dem grimmigen Italiener, aber dennoch, fügte ich hinzu, trotzdem daß ich mit eignen Augen dergleichen bemerkt, halte ich Herrn Gouin nicht für den Autor der Meyerbeer'schen Opern; ich kann nicht glauben, daß Herr Gouin die Hugenotten und Robert-le-Diable geschrieben habe; ist es aber doch der Fall, so muß gewiß die Künstlereitelkeit am Ende die Oberhand gewinnen, und Herr Gouin wird öffentlich die Autorschaft jener Opern für sich vindizieren.
»Nein«, erwiderte der Italiener mit einem unheimlichen Blick, der stechend wie ein blankes Stilett, »dieser Gouin kennt zu gut seinen Meyerbeer, als daß er nicht wüßte, welche Mittel seinem schrecklichen Freunde zu Gebote stehen, um jemand zu beseitigen, der ihm gefährlich ist. Er wäre kapabel, unter dem Vorwande, sein armer Gouin sei verrückt geworden, denselben auf ewig in Charenton einsperren zu lassen. Er würde für ihn das Kostgeld der ersten Klasse von Geisteskranken bezahlen, und er ginge zweimal die Woche nach Charenton, um sich zu überzeugen, ob sein armer Freund auch gehörig bewacht werde; er gäbe den Wärtern ein liberales Trinkgeld, damit sie gut für seinen Freund sorgten, für seinen irrsinnigen Orest, als dessen Pylades er sich gebärdete, zur großen Erbauung aller Maulaffen, die seine Generosität rühmen würden. Armer Gouin! wenn er von seinen schönen Chören in Robert-le-Diable spräche, legte man ihm die Zwangsjacke an, und spräche er von seinem herrlichen Duett in den Hugenotten, so gäbe man ihm die Douche. Und der arme Schelm dürfte noch froh sein, mit dem Leben davon zu kommen. Alle, die jenem Ehrgeizling hindernd im Wege stehen, müssen weichen. Wo ist Weber? wo Bellini? Hum! Hum!«
Dieses Hum! Hum! war trotz aller unverschämten Bosheit so drollig, daß ich nicht ohne Lachen die Bemerkung machte: Aber Sie, Maestro, Sie sind noch nicht aus dem Wege geräumt, auch nicht Donizetti, oder Mendelssohn, oder Rossini, oder Halevy. – »Hum! Hum!« war die Antwort, »Hum! Hum! Halevy geniert seinen Konfrater nicht, und dieser würde ihn sogar dafür bezahlen, daß er nur existiere, als ungefährlicher Scheinrivale, und von Rossini weiß er durch seine Späher, daß derselbe keine Note mehr komponiert – auch hat Rossini's Magen schon genug gelitten, und er berührt kein Piano, um nicht Meyerbeer's Argwohn zu erregen. Hum! Hum! Aber Gottlob! nur unsre Leiber können getötet werden, nicht unsre Geisteswerke; diese werden in ewiger Frische fortblühen, während mit dem Tode jenes Cartouche der Musik auch seine Unsterblichkeit ein Ende nimmt, und seine Opern ihm folgen ins stumme Reich der Vergessenheit!«
Nur mit Mühe zügelte ich meinen Unwillen, als ich hörte, mit welcher frechen Geringschätzung der welsche Neidhart von dem großen hochgefeierten Meister sprach, welcher der Stolz Deutschlands und die Wonne des Morgenlandes ist, und gewiß als der wahre Schöpfer von Robert-le-Diable und den Hugenotten betrachtet und bewundert werden muß! Nein, so etwas Herrliches hat kein Gouin komponiert! Bei aller Verehrung für den hohen Genius, wollen freilich zuweilen dieser Meisterwerke nach dem Ableben des Meisters, aber in meiner Unterredung mit Spontini gab ich mir doch die Miene, als sei ich überzeugt von ihrer Fortdauer nach dem Tode, und um den boshaften Italiener zu ärgern, machte ich ihm im Vertrauen eine Mitteilung, woraus er ersehen konnte, wie weitsichtig Meyerbeer für das Gedeihen seiner Geisteskinder bis über das Grab hinaus gesorgt hat. Diese Fürsorge, sagte ich, ist ein psychologischer Beweis, daß nicht Herr Gouin, sondern der große Giacomo der wirkliche Vater sei. Derselbe hat nämlich in seinem Testament zu Gunsten seiner musikalischen Geisteskinder gleichsam ein Fideikommiß gestiftet, indem er jedem ein Kapital vermachte, dessen Zinsen dazu bestimmt sind, die Zukunft der armen Waisen zu sichern, so daß auch nach dem Hinscheiden des Herrn Vaters die gehörigen Popularitätsausgaben, der eventuelle Aufwand von Flitterstaat, Klaque, Zeitungslob usw., bestritten werden können. Selbst für das noch ungeborene Prophetchen soll der zärtliche Erzeuger die Summe von 150 000 Taler Preußisch Kourant ausgesetzt haben. Wahrlich, noch nie ist ein Prophet mit einem so großen Vermögen zur Welt gekommen; der Zimmermannssohn von Bethlehem und der Kameltreiber von Mekka waren nicht so begütert. Robert-le-Diable und die Hugenotten sollen minder reichlich dotiert sein; sie können vielleicht auch einige Zeit vom eignen Fette zehren, so lange für Dekorationspracht und üppige Ballettbeine gesorgt ist; später werden sie Zulage bedürfen. Für den »Crotiato« dürfte die Dotation nicht so glänzend ausfallen; mit Recht zeigt sich hier der Vater ein bißchen knickerig, und er klagt, der lockere Fant habe ihm einst in Italien zu viel gekostet; er sei ein Verschwender. Desto großmütiger bedenkt Meyerbeer seine unglückliche durchgefallene Tochter »Emma de Rosburgo«; sie soll jährlich in der Presse wieder aufgeboten werden, sie soll eine neue Ausstattung bekommen, und erscheint in einer Prachtausgabe von Satin-Belin; für verkrüppelte Wechselbälge schlägt immer am treuesten das liebende Herz der Eltern. Solcherweise sind alle Meyerbeer'schen Geisteskinder gut versorgt, ihre Zukunft ist verassekuriert für alle Zeiten. –
Der Haß verblendet selbst die Klügsten, und es ist kein Wunder, daß ein leidenschaftlicher Narr, wie Spontini, meine Worte nicht ganz bezweifelte. – Er rief aus: »O! er ist alles fähig! Unglückliche Zeit! Unglückliche Welt!«
Ich schließe hier, da ich ohnehin heute sehr tragisch gestimmt bin und trübe Todesgedanken über meinen Geist ihren Schatten werfen. Heute hat man meinen armen Sakoski begraben, den berühmten Lederkünstler – denn die Benennung Schuster ist zu gering für einen Sakoski. Alle Marchands bottiers und Fabricants de chaussures von Paris folgten seiner Leiche. Er ward achtundachtzig Jahre alt, und starb an einer Indigestion. Er lebte weise und glücklich. Wenig bekümmerte er sich um die Köpfe, aber desto mehr um die Füße seiner Zeitgenossen. Möge die Erde dich eben so wenig drücken, wie mich deine Stiefel!
Paris, den 20. April 1841
Der diesjährige Salon offenbarte nur eine buntgefärbte Ohnmacht. Fast sollte man meinen, mit dem Wiederaufblühen der bildenden Künste habe es bei uns ein Ende; es war kein neuer Frühling, sondern ein leidiger Altweibersommer. Einen freudigen Aufschwung nahm die Malerei und die Skulptur, sogar die Architektur, bald nach der Juliusrevolution; aber die Schwingen waren nur äußerlich angeheftet, und auf den forcierten Flug folgte der kläglichste Sturz. Nur die junge Schwesterkunst, die Musik, hatte sich mit ursprünglicher, eigentümlicher Kraft erhoben. Hat sie schon ihren Lichtgipfel erreicht? Wird sie sich lange darauf behaupten? Oder wird sie schnell wieder herabsinken? Das sind Fragen, die nur ein späteres Geschlecht beantworten kann. Jedenfalls hat es aber den Anschein, als ob in den Annalen der Kunst unsre heutige Gegenwart vorzugsweise als das Zeitalter der Musik eingezeichnet werden dürfte. Mit der allmählichen Vergeistigung des Menschengeschlechts halten auch die Künste ebenmäßig Schritt. In der frühesten Periode mußte notwendigerweise die Architektur alleinig hervortreten, die unbewußte rohe Größe massenhaft verherrlichend, wie wir's z. B. sehen bei den Ägyptern. Späterhin erblicken wir bei den Griechen die Blütezeit der Bildhauerkunst, und diese bekundet schon eine äußere Bewältigung der Materie; der Geist meißelte eine ahnende Sinnigkeit in den Stein. Aber der Geist fand dennoch den Stein viel zu hart für seine steigenden Offenbarungsbedürfnisse, und er wählte die Farbe, den bunten Schatten, um eine verklärte und dämmernde Welt des Liebens und Leidens darzustellen. Da entstand die große Periode der Malerei, die am Ende des Mittelalters sich glänzend entfaltete. Mit der Ausbildung des Bewußtseinlebens schwindet bei den Menschen alle plastische Begabnis, am Ende erlischt sogar der Farbensinn, der doch immer an bestimmte Zeichnung gebunden ist, und die gesteigerte Spiritualität, das abstrakte Gedankentum, greift nach Klängen und Tönen, um eine lallende Überschwenglichkeit auszudrücken, die vielleicht nichts anderes ist als die Auflösung der ganzen materiellen Welt; die Musik ist vielleicht das letzte Wort der Kunst, wie der Tod das letzte Wort des Lebens.
Ich habe diese kurze Bemerkung hier vorangestellt, um anzudeuten, weshalb die musikalische Saison mich mehr ängstigt als erfreut. Daß man hier fast in lauter Musik ersäuft, daß es in Paris fast kein einziges Haus gibt, wohin man sich wie in eine Arche retten kann vor dieser klingenden Sintflut, daß die edle Tonkunst unser ganzes Leben überschwemmt – Dies ist für mich ein bedenkliches Zeichen, und es ergreift mich darob manchmal ein Mißmut, der bis zur murrsinnigsten Ungerechtigkeit unsre großen Maëstri und Virtuosen ausartet. Unter diesen Umständen darf man keinen allzu heitren Lobgesang von mir erwarten für den Mann, den hier die schöne Welt, besonders die hysterische Damenwelt, in diesem Augenblick mit einem wahnsinnigen Enthusiasmus umjubelt, und der in der Tat einer der merkwürdigsten Repräsentanten der musikalischen Bewegung ist. Ich spreche von Franz Liszt, dem genialen Pianisten, dessen Spiel mir manchmal vorkommt wie eine melodische Agonie der Erscheinungswelt. Ja, der Geniale ist jetzt wieder hier und gibt Konzerte, die einen Zauber üben, der ans Fabelhafte grenzt. Neben ihm schwinden alle Klavierspieler – mit Ausnahme eines einzigen, des Chopin, des Raphael's des Fortepiano. In der Tat, mit Ausnahme dieses einzigen sind alle andern Klavierspieler, die wir dieses Jahr in unzähligen Konzerten hörten, eben nur Klavierspieler, sie glänzen durch die Fertigkeit, womit sie das besaitete Holz handhaben; bei Liszt hingegen denkt man nicht mehr an überwundene Schwierigkeit, das Klavier verschwindet, und es offenbart sich die Musik. In dieser Beziehung hat Liszt, seit wir ihn zum letzten Mal hörten, den wunderbarsten Fortschritt gemacht. Mit diesem Vorzug verbindet er eine Ruhe, die wir früher an ihm vermißten. Wenn er z. B. damals auf dem Pianoforte ein Gewitter spielte, sahen wir die Blitze über sein eigenes Gesicht dahinzucken, wie von Sturmwind schlotterten seine Glieder, und seine langen Haarzöpfe träuften gleichsam vom dargestellten Platzregen. Wenn er jetzt auch das stärkste Donnerwetter spielt, so ragt er doch selber darüber empor, wie der Reisende, der auf der Spitze einer Alpe steht, während es im Tal gewittert; die Wolken lagern tief unter ihm, die Blitze ringeln wie Schlangen zu seinen Füßen, das Haupt erhebt er lächelnd in den reinen Äther.
Trotz seiner Genialität begegnet Liszt einer Opposition hier in Paris,»die vielleicht eben durch seine Genialität hervorgerufen ward. Diese Eigenschaft ist in gewissen Augen ein ungeheures Verbrechen, das man nicht genug bestrafen kann. ›Dem Talent wird schon nachgerade verziehen, aber gegen das Genie ist man unerbittlich!‹ – so äußerte sich einst der selige Lord Byron, mit welchem unser Liszt viele Ähnlichkeit bietet«, lesen wir in der Augsb. Allg. Zeitung. – Der Herausgeber. die meistens aus ernstlichen Musikern besteht und seinem Nebenbuhler, dem kaiserlichen Thalberg, den Lorbeer reicht. – Liszt hat bereits zwei Konzerte gegeben, worin er, gegen allen Gebrauch, ohne Mitwirkung anderer Künstler ganz allein spielte. Er bereitet jetzt ein drittes Konzert zum Besten des Monuments von Beethoven. Dieser Komponist muß in der Tat dem Geschmack eines Liszt am meisten zusagen. Namentlich Beethoven treibt die spiritualistische Kunst bis zu jener tönenden Agonie der Erscheinungswelt, bis zu jener Vernichtung der Natur, die mich mit einem Grauen erfüllt, das ich nicht verhehlen mag, obgleich meine Freunde darüber den Kopf schütteln. Für mich ist es ein sehr bedeutungsvoller Umstand, daß Beethoven am Ende seiner Tage taub ward und sogar die unsichtbare Tonwelt keine klingende Realität mehr für ihn hatte. Seine Töne waren nur noch Erinnerungen eines Tones, Gespenster verschollener Klänge, und seine letzten Produktionen tragen an der Stirne ein unheimliches Totenmal.
Minder schauerlich als die Beethoven'sche Musik war für mich der Freund Beethoven's, l'Ami de Beethoven, wie er sich hier überall produzierte, ich glaube sogar auf Visitenkarten. Eine schwarze Hopfenstange mit einer entsetzlich weißen Krawatte und einer Leichenbittermiene. War dieser Freund Beethoven's wirklich dessen Pylades? Oder gehörte er zu jenen gleichgültigen Bekannten, mit denen ein genialer Mensch zuweilen um so lieber Umgang pflegt, je unbedeutender sie sind, und je prosaischer ihr Geplapper ist, das ihm eine Erholung gewährt nach ermüdend poetischen Geistesflügen? Jedenfalls sahen wir hier eine neue Art der Ausbeutung des Genius, und die kleinen Blätter spöttelten nicht wenig über den Ami de Beethoven. »Wie konnte der große Künstler einen so unerquicklichen, geistesarmen Freund ertragen!« riefen die Franzosen, die über das monotone Geschwätz jenes langweiligen Gastes alle Geduld verloren. Sie dachten nicht daran, daß Beethoven taub war.
Die Zahl der Konzertgeber während der diesjährigen Saison war Legion, und an mittelmäßigen Pianisten fehlte es nicht, die in öffentlichen Blättern als Mirakel gepriesen wurden. Die meisten sind junge Leute, die in bescheiden eigner Person oder durch irgendeinen bescheidenen Bruder jene Lobeserhebungen in die Presse fördern. Die Selbstvergötterung dieser Art, die sogenannten Reklamen, bilden eine sehr ergötzliche Lektüre. Eine Reklame, die jüngst in der »Gazette musicale« enthalten war, meldete aus Marseille, daß der berühmte Döhler auch dort alle Herzen entzückt habe, und besonders durch seine interessante Blässe, die, eine Folge überstandener Krankheit, die Aufmerksamkeit der schönen Welt in Anspruch genommen. Der berühmte Döhler ist seitdem nach Paris zurückgekehrt und hat mehrere Konzerte gegeben; auch spielte er in dem Konzert der »Gazette musicale« des Herrn Schlesinger, der ihn mit Lorbeerkränzen aufs liberalste belohnt. Die »France musicale« preist ihn ebenfalls und mit gleicher Unparteilichkeit; diese Zeitschrift hegt einen blinden Groll gegen Liszt, und um indirekt diesen Löwen zu stacheln, lobt sie das kleine Kaninchen. Von welcher Bedeutung ist aber der wirkliche Wert des berühmten Döhler? Die einen sagen, er sei der Letzte unter den Pianisten des zweiten Rangs; andere behaupten, unter den Pianisten des dritten Ranges sei er der Erste! Er spielt in der Tat hübsch, nett und niedlich. Sein Vortrag ist allerliebst, beurkundet eine erstaunliche Fingerfertigkeit, zeugt aber weder von Kraft noch Geist. Zierliche Schwäche, elegante Ohnmacht, interessante Blässe.
Zu den diesjährigen Konzerten, die im Andenken der Kunstliebhaber forttönen, gehören die Matinéen, welche von den Herausgebern der beiden musikalischen Zeitungen ihren Abonnenten geboten wurden. Die »France musicale«, redigiert von den Brüdern Escudier, zwei liebenswürdigen, gescheiten und kunstsinnigen jungen Leuten, glänzte in ihrem Konzert durch die Mitwirkung der italienischen Sänger und des Violinspielers Vieuxtemps, der als einer der Löwen der musikalischen Saison betrachtet wurde. Ob sich unter dem zottigen Fell dieses Löwen ein wirklicher König der Bestien oder nur ein armes Grauchen verbirgt, vermag ich nicht zu entscheiden. Ehrlich gesagt, ich kann den übertriebenen Lobsprüchen, die ihm gezollt wurden, keinen Glauben schenken. Es will mich bedünken, als ob er auf der Leiter der Kunst noch nicht eine sonderliche Höhe erklommen. Vieuxtemps steht etwa auf der Mitte jener Leiter, auf deren Spitze wir einst Paganini erblickten, und auf deren letzter, unterster Sprosse unser vortrefflicher Sina steht, der berühmte Badegast von Boulogne und Eigentümer eines Autographs von Beethoven. Vielleicht steht Herr Vieuxtemps dem Herrn Sina noch viel näher als dem Nicolo Paganini.
Vieuxtemps ist ein Sohn Belgiens, wie denn überhaupt aus den Niederlanden die bedeutendsten Violinisten hervordringen. Die Geige ist ja das dortige Nationalinstrument, das von groß und klein, von Mann und Weib kultiviert wird, von jeher, wie wir auf den holländischen Bildern sehen. Der ausgezeichnete Violinist dieser Landsmannschaft ist unstreitig Bériot, der Gemahl der Malibran; ich kann mich manchmal der Vorstellung nicht erwehren, als säße in seiner Geige die Seele der verstorbenen Gattin und sänge. Nur Ernst, der poesiereiche Böhme, weiß seinem Instrument so schmelzende, so verblutend süße Klagetöne zu entlocken. – Ein Landsmann Bériot's ist Artôt, ebenfalls ein ausgezeichneter Violinist, bei dessen Spiel man aber nie an eine Seele erinnert wird; ein geschniegelter, wohlgedrechselter Gesell, dessen Vortrag glatt und glänzend, wie Wachsleinen. Haumann, der Sohn des Brüsseler Nachdruckers, treibt auf der Violine das Metier des Vaters; was er zeigt, sind reinliche Nachdrucke der vorzüglichsten Geiger, die Texte hie und da verbrämt mit überflüssigen Originalnoten und vermehrt mit brillanten Druckfehlern. – Die Gebrüder Franco-Mendez, welche auch dieses Jahr Konzerte gaben, wo sie ihr Talent als Violinspieler bewährten, stammen ganz eigentlich aus dem Lande der Treckschuiten und Quispeldorchen. Dasselbe gilt von Batta, dem Violincellisten; er ist ein geborener Holländer, kam aber früh hierher nach Paris, wo er durch seine knabenhafte Jugendlichkeit ganz besonders die Damen ergötzte. Er war ein liebes Kind und weinte auf seine Bratsche wie ein Kind. Obgleich er mittlerweile ein großer Junge geworden, so kann er doch die süße Gewohnheit des Greinens nimmermehr lassen, und als er jüngst wegen Unpäßlichkeit nicht öffentlich auftreten konnte, hieß es allgemein: durch das kindische Weinen auf dem Violoncello habe er sich endlich eine wirkliche Kinderkrankheit, ich glaube die Masern, an den Hals gespielt. Er scheint jedoch wieder ganz hergestellt zu sein, und die Zeitungen melden, daß der berühmte Batta nächsten Donnerstag eine musikalische Matinée bereite, welche das Publikum für die lange Entbehrnis seines Lieblings entschädigen werde.
Das letzte Konzert, welches Herr Maurice Schlesinger den Abonnenten seiner »Gazette musicale« gab, und das, was ich bereits angedeutet habe, zu den glänzendsten Erscheinungen der Saison gehörte, war für uns Deutsche von ganz besonderem Interesse. Auch war hier die ganze Landsmannschaft vereinigt, begierig, die Mademoiselle Löwe zu hören, die gefeierte Sängerin, die das schöne Lied von Beethoven, »Adelaide«, in deutscher Zunge sang. Die Italiener und Herr Vieuxtemps, welche ihre Mitwirkung versprochen, ließen während des Konzerts absagen, zur größten Bestürzung des Konzertgebers, welcher mit der ihm eigentümlichen Würde vors Publikum trat und erklärte, Herr Vieuxtemps wolle nicht spielen, weil er das Lokal und das Publikum als seiner nicht angemessen betrachte! Die Insolenz jenes Geigers verdient die strengste Rüge. Das Lokal des Konzerts war der Musard'sche Saal der Rue Vivienne, wo man nur während des Karnevals ein bißchen Kankan tanzt, jedoch das übrige Jahr hindurch die anständige Musik von Mozart, Giacomo Meyerbeer und Beethoven exekutiert. Den italienischen Sängern, einem Signor Rubini und Signor Lablache, verzeiht man allenfalls ihre Laune, von Nachtigallen kann man sich wohl die Prätension gefallen lassen, daß sie nur einem Publikum von Goldfasanen und Adlern singen wollen. Aber Mynheer, der flämische Storch, dürfte nicht so wählig sein und eine Gesellschaft verschmähen, worunter sich das honetteste Geflügel, Pfauen und Perlhühner die Menge, und mitunter auch die ausgezeichnetsten deutschen Schnapphähne und Mistfinken befanden. – Welcher Art war der Erfolg des Debüts der Mademoiselle Löwe? Ich will die ganze Wahrheit kurz aussprechen: sie sang vortrefflich, gefiel allen Deutschen, und machte Fiasko bei den Franzosen.
Was dieses letztere Mißgeschick betrifft, so möchte ich der verehrten Sängerin zu ihrem Troste versichern, daß es eben ihre Vorzüge waren, die einem französischen Succeß im Wege standen. In der Stimme der Mademoiselle Löwe ist deutsche Seele, ein stilles Ding, das sich bis jetzt nur wenigen Franzosen offenbart hat und in Frankreich nur allmählich Eingang findet. Wäre Mademoiselle Löwe einige Dezennien später gekommen, sie hätte vielleicht größere Anerkennung gefunden. Bis jetzt aber ist die Masse des Volks noch immer dieselbe. Die Franzosen haben Geist und Passion, und beides genießen sie am liebsten in einer unruhigen, stürmischen, gehackten, aufreizenden Form. Dergleichen vermißten sie aber ganz und gar bei der deutschen Sängerin, die ihnen noch obendrein die Beethoven'sche »Adelaide« vorsang. Dieses ruhige Aufseufzen des Gemütes, diese blauäugigen, schmachtenden Waldeinsamkeitstöne, diese gesungenen Lindenblüten mit obligatem Mondschein, dieses Hinsterben in überirdischer Sehnsucht, dieses erzdeutsche Lied, fand kein Echo in französischer Brust, und ward sogar als transrhenanische Sensiblerie verspottet. Jedenfalls war Mademoiselle Löwe sehr schlecht beraten in der Wahl der Stücke, die sie vortrug. Und dann, sonderbar! es waltet ein unglücklicher Stern über den Debüts in den Schlesinger'schen Konzerten. Mancher junge Künstler weiß ein trübes Lied davon zu singen. Am traurigsten erging es dem armen Ignaz Moscheles, der vor einem Jahr aus London herüberkam nach Paris, um seinen Ruhm, der durch merkantilische Ausbeutung sehr welk geworden, ein bißchen aufzufrischen. Er spielte in einem Schlesinger'schen Konzerte, und fiel durch, jammervoll.
Obgleich Mademoiselle Löwe hier keinen Beifall fand, geschah doch alles Mögliche, um ihr ein Engagement für die Académie royale de musique auszuwirken. Der Name Meyerbeer wurde bei dieser Gelegenheit aufdringlicher in Anschlag gebracht, als es dem verehrten Meister wohl lieb sein möchte. Ist es wahr, sollte Meyerbeer seine neue Oper nicht zur Aufführung geben, im Fall man die Löwe nicht engagiert? Hat Meyerbeer wirklich die Erfüllung der Wünsche des Publikums an eine so kleinliche Bedingung geknüpft? Ist er wirklich so überbescheiden, daß er sich einbildet, der Erfolg seines neuen Werks sei abhängig von der mehr oder minder geschmeidigen Kehle einer Prima-Donna?In der Augsburger Allgemeinen Zeitung lautet der Schluß dieses Briefes, wie folgt: »Wohlunterrichtete Personen versichern mich, Meyerbeer sei ganz unschuldig an der verzögerten Aufführung seiner neuen Oper, und die Autorität seines Namens werde zuweilen ausgebeutet, um fremde Interessen zu fördern; er habe der Direktion der Académie royale de musique sein vollendetes Werk zur Verfügung angeboten, ohne in betreff der ersten Sängerin irgendeine wählige Bedingnis zu stellen.
»Obgleich, wie ich oben bemerkt habe, die verinnerlichte Tugend des deutschen Gesanges, seine süße Heimlichkeit, den Franzosen noch immer verborgen bleibt, so läßt sich doch nicht in Abrede stellen, daß die deutsche Musik bei dem französischen Volk sehr in Aufnahme, wo nicht gar zu Herrschaft kommt. Es ist dies die Sehnsucht Undinens nach einer Seele. Wird das schöne Kind durch den Gewinnst dieser Seele glücklicher sein? Darüber möchten wir nicht urteilen; wir wollten hier nur eine Tatsache aufzeichnen, die vielleicht einen Aufschluß gibt über die außerordentliche Popularität des großen Meisters, der den Robert-le-Diable und die Hugenotten geschaffen und dessen dritte Oper, der ›Prophet‹, mit einer fieberhaften Ungeduld, mit einem Herzklopfen erwartet wird, wovon man keinen Begriff hat. Man lächle nicht, wenn ich behaupte, auch in der Musik – nicht bloß in der Literatur – liege etwas, was die Nationen vermittelt. Durch ihre Universalsprache ist die Musik mehr als jede andere Kunst geeignet, sich ein Weltpublikum zu bilden.
»Jüngst sagte mir ein Franzose, durch die Meyerbeer'schen Opern sei er in die Goethe'sche Poesie eingeweiht worden, jene hätten ihm die Pforten der Goethe'schen Dichtung erschlossen. Es liegt ein tiefer Sinn in diesem Ausspruch, und er bringt mich auf den Gedanken, daß der deutschen Musik überhaupt hier in Frankreich die Sendung beschieden sein mag, als eine präludierende Ouvertüre das Verständnis unserer deutschen Literatur zu befördern.« – Der Herausgeber.
Die zahlreichen Verehrer und Bewunderer des bewunderungswürdigen Meisters sehen mit Betrübnis, wie der Hochgefeierte bei jeder neuen Produktion seines Genius sich mit der Sicherstellung des Erfolgs so unsäglich abmüht und an das winzigste Detail desselben seine besten Kräfte vergeudet. Sein zarter, schwächlicher Körperbau muß darunter leiden. Seine Nerven werden krankhaft überreizt, und bei seinem chronischen Unterleibsleiden wird er oft von der herrschenden Cholerine heimgesucht. Der Geisteshonig, der aus seinen musikalischen Meisterwerken träufelt und uns erquickt, kostete dem Meister selbst die furchtbarsten Leibesschmerzen. Als ich das letzte Mal die Ehre hatte, ihn zu sehen, erschrak ich über sein miserables Aussehen. Bei seinem Anblick dachte ich an den Diarrhöen-Gott der tartarischen Volkssage, worin schauderhaft drollig erzählt wird, wie dieser bauchgrimmige Kakadämon auf dem Jahrmarkte von Kasan einmal zu seinem eignen Gebrauche sechstausend Töpfe kaufte, so daß der Töpfer dadurch ein reicher Mann wurde. Möge der Himmel unserm hochverehrten Meister eine bessere Gesundheit schenken, und möge er selber nie vergessen, daß sein Lebensfaden sehr schlapp und die Schere der Parze desto schärfer ist. Möge er nie vergessen, welche hohe Interessen sich an seine Selbsterhaltung knüpfen. Was soll aus seinem Ruhme werden, wenn er selbst, der hochgefeierte Meister, was der Himmel noch lange verhüte, plötzlich dem Schauplatz seiner Triumphe durch den Tod entrissen würde? Wird ihn die Familie fortsetzen, diesen Ruhm, worauf ganz Deutschland stolz ist?»worauf das ganze deutsche Volk, und Herr Moritz Schlesinger insbesondere, stolz ist?« heißt es in der französischen Ausgabe. – Der Herausgeber. An materiellen Mitteln würde es der Familie gewiß nicht fehlen, wohl aber an intellektuellen Mitteln. Nur der große Giacomo selbst, der nicht bloß Generalmusikdirektor aller königlich preußischen Musikanstalten, sondern auch der Kapellenmeister des Meyerbeer'schen Ruhmes ist, nur er kann das ungeheure Orchester dieses Ruhmes dirigieren – Er nickt mit dem Haupte, und alle Posaunen der großen Journale ertönen unisono; er zwinkert mit den Augen und alle Violinen des Lobes fiedeln um die Wette; er bewegt nur leise den linken Nasenflügel, und alle Feuilleton-Flageolette flöten ihre süßesten Schmeichellaute. – Da gibt es auch unerhörte, antediluvianische Blasinstrumente, Jerichotrompeten und noch unentdeckte Windharfen, Saiteninstrumente der Zukunft, deren Anwendung die außerordentlichste Begabnis für Instrumentation bekundet. – Ja, in so hohem Grade, wie unser Meyerbeer, verstand sich noch kein Komponist auf die Instrumentation, nämlich auf die Kunst, alle möglichen Menschen als Instrumente zu gebrauchen, die kleinsten wie die größten, und durch ihr Zusammenwirken eine Übereinstimmung in der öffentlichen Anerkennung, die ans Fabelhafte grenzt, hervorzuzaubern. Das hat kein andrer jemals verstanden. Während die besten Opern von Mozart und Rossini bei der ersten Vorstellung durchfielen, und erst Jahre vergingen, ehe sie wahrhaft gewürdigt wurden, finden die Meisterwerke unsres edlen Meyerbeer bereits bei der ersten Aufführung den ungeteiltesten Beifall, und schon den andern Tag liefern sämtliche Journale die verdienten Lob- und Preisartikel. Das geschieht durch das harmonische Zusammenwirken der Instrumente; in der Melodie muß Meyerbeer den beiden genannten Meistern nachstehen, aber er überflügelt sie durch Instrumentation. Der Himmel weiß, daß er sich oft der niederträchtigsten Instrumente bedient; aber vielleicht eben durch diese bringt er die großen Effekte hervor auf die große Menge, die ihn bewundert, anbetet, verehrt und sogar achtet. – Wer kann das Gegenteil beweisen? Von allen Seiten fliegen ihm die Lorbeerkränze zu, er trägt auf dem Haupte einen ganzen Wald von Lorbeeren, er weiß sie kaum mehr zu lassen und keucht unter dieser grünen Last. Er sollte sich einen kleinen Esel anschaffen, der, hinter ihm her trottierend, ihm die schweren Kränze nachtrüge. Aber Gouin ist eifersüchtig und leidet nicht, daß ihn ein anderer begleite.
Ich kann nicht umhin, hier ein geistreiches Wort zu erwähnen, das man dem Musiker Ferdinand Hiller zuschreibt. Als nämlich jemand denselben darüber befragte, was er von Meyerbeer's Opern halte, soll Hiller ausweichend verdrießlich geantwortet haben: »Ach, laßt uns nicht von Politik reden!«
Paris, den 7. Februar 1842
»Wir tanzen hier auf einem Vulkan« – aber wir tanzen. Was in dem Vulkan gärt, kocht und brauset, wollen wir heute nicht untersuchen, und nur wie man darauf tanzt, sei der Gegenstand unserer Betrachtung. Da müssen wir nun zunächst von der Académie royale de musique reden, wo noch immer jenes ehrwürdige Corps de Ballet existiert, das die choreographischen Überlieferungen treulich bewahrt und als die Pairie des Tanzes zu betrachten ist. Wie jene andere, die im Luxembourg residiert, zählte diese Pairie unter ihrem Personal gar viele Perücken und Mumien, über die ich mich nicht aussprechen will aus leicht begreiflicher Furcht. Das Mißgeschick des Herrn Perré, des Geranten des Siècle, der jüngst zu sechs Monaten Karzer und 10 000 Franken verurteilt worden, hat mich gewitzigt. Nur von Carlotta Grisi will ich reden, die in der respektabeln Versammlung der Rue-Lepelletier gar wunderlieblich hervorstrahlt, wie eine Apfelsine unter Kartoffeln. Nächst dem glücklichen Stoff, der den Schriften eines deutschen Autors entlehnt, war es zumeist die Carlotta Grisi, die dem Ballett: »Die Willis« unerhörte Vogue verschaffte. Aber wie köstlich tanzt sie! Wenn man sie sieht, vergißt man, daß Taglioni in Rußland und Elsler in Amerika ist, man vergißt Amerika und Rußland selbst, ja die ganze Erde, und man schwebt mit ihr empor in die hängenden Zaubergärten jenes Geisterreichs, worin sie als Königin waltet. Ja, sie hat ganz den Charakter jener Elementargeister, die wir uns immer tanzend denken, und von deren gewaltigen Tanzweisen das Volk so viel Wunderliches fabelt. In der Sage von den Willis ward jene geheimnisvolle, rasende, mitunter menschenverderbliche Tanzlust, die den Elementargeistern eigen ist, auch auf die toten Bräute übertragen; zu dem altheidnisch übermütigen Luftreiz des Nixen- und Elfentums gesellten sich noch die melancholisch wollüstigen Schauer, das dunkelsüße Grausen des mittelalterlichen Gespensterglaubens.
Entspricht die Musik dem abenteuerlichen Stoffe jenes Balletts? War Herr Adam, der die Musik geliefert, fähig, Tanzweisen zu dichten, die, wie es in der Volkssage heißt, die Bäume des Waldes zum Hüpfen und den Wasserfall zum Stillstehen zwingen? Herr Adam war, soviel ich weiß, in Norwegen, aber ich zweifle, ob ihm dort irgendein runenkundiger Zaubrer jene Strömkarlmelodie gelehrt, wovon man nur zehn Variationen aufzuspielen wagt; es gibt nämlich noch eine elfte Variation, die großes Unglück anrichten könnte – spielt man diese, so gerät die ganze Natur in Aufruhr, die Berge und Felsen fangen an zu tanzen, die Häuser tanzen, und drinnen tanzen Tisch und Stühle, der Großvater ergreift die Großmutter, der Hund ergreift die Katze zum Tanzen, selbst das Kind springt aus der Wiege und tanzt. Nein, solche gewalttätige Melodien hat Herr Adam nicht von seiner nordischen Reise heimgebracht; aber was er geliefert, ist immer ehrenwert, und er behauptet eine ausgezeichnete Stellung unter den Tondichtern der französischen Schule.
Ich kann nicht umhin hier zu erwähnen, daß die christliche Kirche, die alle Künste in ihren Schoß aufgenommen und benutzt hat, dennoch mit der Tanzkunst nichts anzufangen wußte und sie verwarf und verdammte. Die Tanzkunst erinnerte vielleicht allzusehr an den alten Tempeldienst der Heiden, sowohl der römischen Heiden als der germanischen und keltischen, deren Götter eben in jene elfenhaften Wesen übergingen, denen der Volksglaube, wie ich oben andeutete, eine wundersame Tanzsucht zuschrieb. Überhaupt ward der böse Feind am Ende als der eigentliche Schutzpatron des Tanzes betrachtet, und in seiner frevelhaften Gemeinschaft tanzten die Hexen und Hexenmeister ihre nächtlichen Reigen. Der Tanz ist verflucht, sagt ein fromm bretonisches Volkslied, seit die Tochter der Herodias vor dem argen König tanzte, der ihr zu Gefallen Johannem töten ließ. »Wenn du tanzen siehst«, fügt der Sänger hinzu, »so denke an das blutige Haupt des Täufers auf der Schüssel, und das höllische Gelüste wird deiner Seele nichts anhaben können!« Wenn man über den Tanz in der Académie royale de musique etwas tiefer nachdenkt, so erscheint er als ein Versuch, diese erzheidnische Kunst gewissermaßen zu christianisieren, und das französische Ballett riecht fast nach gallikanischer Kirche, wo nicht gar nach Jansenismus, wie alle Kunsterscheinungen des großen Zeitalters Ludwig's XIV. Das französische Ballett ist in dieser Beziehung ein wohlverwandtes Seitenstück zu der Racine'schen Tragödie und den Gärten von Le Nôtre. Es herrscht darin derselbe gerechte Zuschnitt, dasselbe Etikettenmaß, dieselbe höfische Kühle, dasselbe gezierte Sprödetun, dieselbe Keuschheit. In der Tat, die Form und das Wesen des französischen Balletts ist keusch, aber die Augen der Tänzerinnen machen zu den sittsamsten Pas einen sehr lasterhaften Kommentar, und ihr liederliches Lächeln ist in beständigem Widerspruch mit ihren Füßen. Wir sehen das Entgegengesetzte bei den sogenannten Nationaltänzen, die mir deshalb tausendmal lieber sind als die Ballette der großen Oper. Die Nationaltänze sind oft allzu sinnlich, fast schlüpfrig in ihren Formen, z. B. die indischen, aber der heilige Ernst auf den Gesichtern der Tanzenden moralisiert diesen Tanz und erhebt ihn sogar zum Kultus. Der große Vestris hat einst ein Wort gesagt, worüber bereits viel gelacht worden. In seiner pathetischen Weise sagt er nämlich zu einem seiner Jünger: »Ein großer Tänzer muß tugendhaft sein.« Sonderbar! der große Vestris liegt schon seit vierzig Jahren im Grab (er hat das Unglück des Hauses Bourbon, womit die Familie Vestris immer sehr befreundet war, nicht überleben können), und erst vorigen Dezember, als ich der Eröffnungssitzung der Kammern beiwohnte und träumerisch mich meinen Gedanken überließ, kam mir der selige Vestris in den Sinn, und wie durch Inspiration begriff ich plötzlich die Bedeutung seines tiefsinnigen Wortes: »Ein großer Tänzer muß tugendhaft sein!«
Von den diesjährigen Gesellschaftsbällen kann ich wenig berichten, da ich bis jetzt nur wenige Soiréen mit meiner Gegenwart beehrt habe. Dieses ewige Einerlei fängt nachgerade an mich zu ennuyieren, und ich begreife nicht, wie ein Mann es auf die Länge aushalten kann. Von Frauen begreife ich es sehr gut. Für diese ist der Putz, den sie auskramen können, das Wesentlichste. Die Vorbereitungen zum Ball, die Wahl der Robe, das Ankleiden, das Frisiertwerden, das Probelächeln vor dem Spiegel, kurz Flitterstaat und Gefallsucht sind ihnen die Hauptsache und gewähren ihnen die genußreichste Unterhaltung. Aber für uns Männer, die wir nur demokratisch schwarze Fräcke und Schuhe anziehen, (die entsetzlichen Schuhe!) – für uns ist eine Soirée nur eine unerschöpfliche Quelle der Langeweile, vermischt mit einigen Gläsern Mandelmilch und Himbeersaft. Von der holden Musik will ich gar nicht reden.Statt dieses Satzes heißt es in der Augsburger Allgemeinen Zeitung: »Die Musik besteht hier aus altabgeleierten Motiven von Rossini und Meyerbeer, den beiden schweigenden Meistern, die in Paris diesen Winter mehr als je besprochen wurden, nicht im Interesse der Kunst, sondern der Herren Troupenas und Schlesinger.« – Der Herausgeber. Was die Bälle der vornehmen Welt noch langweiliger macht, als sie von Gott und Rechts wegen sein dürften, ist die dort herrschende Mode, daß man nur zum Schein tanzt, daß man die vorgeschriebenen Figuren nur gehend exekutiert, daß man ganz gleichgültig, fast verdrießlich die Füße bewegt. Keiner will mehr den andern amüsieren, und dieser Egoismus beurkundet sich auch im Tanze der heutigen Gesellschaft.
Die untern Klassen, wie gerne sie auch die vornehme Welt nachäffen, haben sich dennoch nicht zu solchem selbstsüchtigen Scheintanz verstehen können; ihr Tanzen hat noch Realität, aber leider eine sehr bedauernswürdige. Ich weiß kaum, wie ich die eigentümliche Betrübnis ausdrücken soll, die mich jedesmal ergreift, wenn ich an öffentlichen Belustigungsorten, namentlich zur Karnevalszeit, das tanzende Volk betrachte. Eine kreischende, schrillende, übertriebene Musik begleitet hier einen Tanz, der mehr oder weniger an den Kankan streift. Hier höre ich die Frage: Was ist der Kankan? Heiliger Himmel, ich soll für die »Allgemeine Zeitung« eine Definition des Kankan geben! Wohlan, der Kankan ist ein Tanz, der nie in ordentlicher Gesellschaft getanzt wird, sondern nur auf gemeinen Tanzböden, wo derjenige, der ihn tanzt, oder diejenige, die ihn tanzt, unverzüglich von einem Polizeiagenten ergriffen und zur Türe hinausgeschleppt wird. Ich weiß nicht, ob diese Definition hinlänglich belehrsam, aber es ist auch gar nicht nötig, daß man in Deutschland ganz genau erfahre, was der französische Kankan ist. So viel wird schon aus jener Definition zu merken sein, daß die vom seligen Vestris angepriesene Tugend hier kein notwendiges Requisit ist, und daß das französische Volk sogar beim Tanzen von der Polizei inkommodiert wird. Ja, dieses letztere ist ein sehr sonderbarer Übelstand, und jeder denkende Fremde muß sich darüber wundern, daß in den öffentlichen Tanzsälen bei jeder Quadrille mehrere Polizeiagenten oder Kommunalgardisten stehen, die mit finster katonischer Miene die tanzende Moralität bewachen. Es ist kaum begreiflich, wie das Volk unter solcher schmählichen Kontrolle seine lachende Heiterkeit und Tanzlust behält. Dieser gallische Leichtsinn aber macht eben seine vergnügtesten Sprünge, wenn er in der Zwangsjacke steckt, und obgleich das strenge Polizeiauge es verhütet, daß der Kankan in seiner zynischen Bestimmtheit getanzt wird, so wissen doch die Tänzer durch allerlei ironische Entrechats und übertreibende Anstandsgesten ihre verpönten Gedanken zu offenbaren, und die Verschleierung erscheint alsdann noch unzüchtiger als die Nacktheit selbst. Meiner Ansicht nach ist es für die Sittlichkeit von keinem großen Nutzen, daß die Regierung mit so vielem Waffengepränge bei dem Tanze des Volks interveniert; das Verbotene reizt eben am süßesten, und die raffinierte, nicht selten geistreiche Umgehung der Zensur wirkt hier noch verderblicher als erlaubte Brutalität. Diese Bewachung der Volkslust charakterisiert übrigens den hiesigen Zustand der Dinge und zeigt, wie weit es die Franzosen in der Freiheit gebracht haben.
Es sind aber nicht bloß die geschlechtlichen Beziehungen, die auf den Pariser Bastringuen der Gegenstand ruchloser Tänze sind. Es will mich manchmal bedünken, als tanze man dort eine Verhöhnung alles dessen, was als das Edelste und Heiligste im Leben gilt, aber durch Schlauköpfe so oft ausgebeutet und durch Einfaltspinsel so oft lächerlich gemacht worden, daß das Volk nicht mehr, wie sonst, daran glauben kann. Ja, es verlor den Glauben an jenen Hochgedanken, wovon unsre politischen und literarischen Tartüffe so viel singen und sagen; und gar die Großsprechereien der Ohnmacht verleideten ihm so sehr alle idealen Dinge, daß es nichts anderes mehr darin sieht als die hohle Phrase, als die sogenannte Blague, und wie diese trostlose Anschauungsweise durch Robert Macaire repräsentiert wird, so gibt sie sich doch auch kund in dem Tanz des Volks, der als eine eigentliche Pantomime des Robert-Macairetums zu betrachten ist. Wer von letzterm einen ungefähren Begriff hat, begreift jetzt jene unaussprechlichen Tänze, welche, eine getanzte Persiflage, nicht bloß die geschlechtlichen Beziehung verspotten, sondern auch die bürgerlichen, sondern auch alles, was gut und schön ist, sondern auch jede Art von Begeisterung, die Vaterlandsliebe, die Treue, den Glauben, die Familiengefühle, den Heroismus, die Gottheit. Ich wiederhole es, mit einer unsäglichen Trauer erfüllt mich immer der Anblick des tanzenden Volks an den öffentlichen Vergnügungsorten von Paris; und gar besonders ist dies der Fall in den Karnevalstagen, wo der tolle Mummenschanz die dämonische Lust bis zum Ungeheuerlichsten steigert. Fast ein Grauen wandelte mich an, als ich einem jener bunten Nachtfeste beiwohnte, die jetzt in der Opéra comique gegeben werden, und wo, nebenbei gesagt, weit prächtiger, als auf den Bällen der großen Oper der taumelnde Spuk sich gebärdet. Hier musiziert Beelzebub mit vollem Orchester, und das freche Höllenfeuer der Gasbeleuchtung zerreißt einem die Augen. Hier ist das verlorne Tal, wovon die Amme erzählt; hier tanzen die Unholden wie bei uns in der Walpurgisnacht, und manche ist darunter, die sehr hübsch, und bei aller Verworfenheit jene Grazie, die den verteufelten Französinnen angeboren ist, nicht ganz verleugnen kann. Wenn aber gar die Galopp-Ronde erschmettert, dann erreicht der santanische Spektakel seine unsinnigste Höhe, und es ist dann, als müsse die Saaldecke platzen und die ganze Sippschaft sich plötzlich emporschwingen auf Besenstielen, Ofengabeln, Kochlöffeln – »oben hinaus, nirgends an!« – ein gefährlicher Moment für viele unserer Landsleute, die leider keine Hexenmeister sind und nicht das Sprüchlein kennen, das man herbeten muß, um nicht von dem wütenden Heer fortgerissen zu werden.
Rossini und Mendelssohn
Paris, Mitte April 1842
Als ich vorigen Sommer an einem schönen Nachmittag in Cette anlangte, sah ich, wie eben längs dem Quai, vor welchem sich das mittelländische Meer ausbreitet, die Prozession vorüberzog, und ich wieder nie diesen Anblick vergessen. Voran schritten die Brüderschaften in ihren roten, weißen oder schwarzen Gewanden, die Büßer mit übers Haupt gezogenen Kapuzen, worin zwei Löcher, woraus die Augen gespenstisch hervorlugten; in den Händen brennende Wachskerzen oder Kreuzfahnen. Dann kamen die verschiedenen Mönchsorden. Auch eine Menge Laien, Frauen und Männer, blasse gebrochene Gestalten, die gläubig einherschwankten, mit rührend kummervollem Singsang. Ich war dergleichen oft in meiner Kindheit am Rhein begegnet, und ich kann nicht lernen, daß jene Töne eine gewisse Wehmut, eine Art Heimweh in mir weckten. Was ich aber früher noch nie gesehen und was nachbarlich spanische Sitte zu sein schien, war die Truppe von Kindern, welche die Passion darstellten. Ein kleines Bübchen, kostümiert wie man den Heiland abzubilden pflegt, die Dornenkrone auf dem Haupt, dessen schönes Goldhaar traurig lang herabwallte, keuchte gebückt einher unter der Last eines ungeheuer großen Holzkreuzes; auf der Stirn grell gemalte Blutstropfen, und Wundenmale an den Händen und nackten Füßen. Zur Seite ging ihm ein ganz schwarz gekleidetes kleines Mädchen, welches, als schmerzenreiche Mutter, mehre Schwerter mit vergoldeten Heften an der Brust und fast in Tränen zerfloß – ein Bild tiefster Betrübnis. Andere kleine Knaben, die hinterdrein gingen, stellten die Apostel vor, darunter auch Judas, mit rotem Haar und einen Beutel in der Hand. Ein paar Bübchen waren auch als römische Lanzknechte behelmt und bewehrt und schwangen ihre Säbel. Mehre Kinder trugen Ordenshabit und Kirchenornat; kleine Kapuziner, kleine Jesuitchen, kleine Bischöfe mit Inful und Krummstab, allerliebste Nönnchen, gewiß keines über sechs Jahr' alt. Und sonderbar, es waren darunter auch einige Kinder als Amoretten gekleidet, mit seidenen Flügeln und goldenen Köchern, und in der unmittelbarsten Nähe des kleinen Heilands wackelten zwei noch viel kleinere, höchstens vierjährige Geschöpfchen in altfränkischer Schäfertracht, mit bebänderten Hütchen und Stäben, zum Küssen niedlich, wie Marzipanpüppchen; sie repräsentierten wahrscheinlich die Hirten, die an der Krippe des Christkindes gestanden. Sollte man es aber glauben, dieser Anblick erregte in der Seele des Zuschauers die ernsthaft andächtigen Gefühle, und daß es kleine unschuldige Kinder waren, die das größte, kolossalste Martyrtum tragierten, wirkte um so rührender! Das war keine Nachäffung im historischen Großstil, keine schiefmäulige Frommtuerei, keine Berliner Glaubenslüge: – Das war der naivste Ausdruck des tiefsinnigsten Gedankens, und die herablassend kindliche Form verhinderte eben, daß der Inhalt vernichtend auf unser Gemüt wirkte oder sich selbst vernichtete. Dieser Inhalt ist ja von so ungeheuerlicher Schmerzensgewalt und Erhabenheit, daß er die heroisch grandioseste und pathetisch ausgereckteste Darstellungsart überragt und sprengt. Deshalb haben die größten Künstler sowohl in der Malerei als in der Musik die überschwenglichen Schrecknisse der Passion mit so viel Blumen als möglich verlieblicht und den blutigen Ernst durch spielende Zärtlichkeit gemildert – und so tat auch Rossini, als er sein Stabat Mater komponierte.
Letzteres, das Stabat von Rossini, war die hervorragende Merkwürdigkeit der hingeschiedenen Saison, die Besprechung desselben ist noch immer an der Tagesordnung, und eben die Rügen, die von norddeutschem Standpunkt aus gegen den großen Meister laut werden, beurkunden recht schlagend die Ursprünglichkeit und Tiefe seines Genius. Die Behandlung sei zu weltlich, zu sinnlich, zu spielend für den geistlichen Stoff, sie sei zu leicht, zu angenehm, zu unterhaltend – so stöhnen die Klagen einiger schweren, langweiligen Kritikaster, die, wenn auch nicht absichtlich eine übertriebene Spiritualität erheucheln, doch jedenfalls von der heiligen Musik sehr beschränkte, sehr irrige Begriffe sich angequält. Wie bei den Malern, so herrscht auch bei den Musikern eine ganz falsche Ansicht über die Behandlung christlicher Stoffe. Jene glauben, das wahrhaft Christliche müsse in subtilen magern Konturen und so abgehärmt und farblos als möglich dargestellt werden; die Zeichnungen von Overbeck sind in dieser Beziehung ihr Ideal. Um diese Verblendung durch eine Tatsache zu widersprechen, mache ich nur auf die Heiligenbilder der spanischen Schule aufmerksam; hier ist das Volle der Kontouren und der Farbe vorherrschend, und es wird doch niemand leugnen, daß diese spanischen Gemälde das ungeschwächteste Christentum atmen und ihre Schöpfer gewiß nicht minder glaubenstrunken waren, als die berühmten Meister, die in Rom zum Katholizismus übergegangen sind, um mit unmittelbarer Inbrunst malen zu können. Nicht die äußere Dürre und Blässe ist ein Kennzeichen des wahrhaft Christlichen in der Kunst, sondern eine gewisse innere Überschwenglichkeit, die weder angetauft noch einstudiert werden kann in der Musik wie in der Malerei, und so finde ich auch das Stabat von Rossini wahrhaft christlicher als den Paulus, das Oratorium von Felix Mendelssohn-Bartholdy, das von den Gegnern Rossini's als ein Muster der Christentümlichkeit gerühmt wird.
Der Himmel bewahre mich, gegen einen so verdienstvollen Meister, wie der Verfasser des Paulus, hierdurch einen Tadel aussprechen zu wollen, und am allerwenigsten wird es dem Schreiber dieser Blätter in den Sinn kommen, an der Christlichkeit des erwähnten Oratoriums zu mäkeln, weil Felix Mendelssohn-Bartholdy von Geburt ein Jude ist. Aber ich kann doch nicht unterlassen, darauf hinzudeuten, daß in dem Alter, wo Herr Mendelssohn in Berlin das Christentum anfing (er wurde nämlich erst in seinem dreizehnten Jahr getauft), Rossini es bereits verlassen und sich ganz in die Weltlichkeit der Opernmusik gestürzt hatte. Jetzt, wo er diese wieder verließ und sich zurückträumte in seine katholischen Jugenderinnerungen, in die Zeiten, wo er im Dom zu Pesaro als Chorschüler mitsang, oder als Akoluth bei der Messe fungierte – jetzt, wo die alten Orgeltöne wieder in seinem Gedächtnis aufrauschten und er die Feder ergriff, um ein Stabat zu schreiben, da brauchte er wahrlich den Geist des Christentums nicht erst wissenschaftlich zu konstruieren, noch viel weniger Händel oder Sebastian Bach sklavisch zu kopieren; er brauchte nur die frühesten Kindheitsklänge wieder aus seinem Gemüt hervorzurufen, und, wunderbar! so ernsthaft, so schmerzentief auch diese Klänge ertönen, so gewaltig sie auch das Gewaltigste ausseufzen und ausbluten, so behielten sie doch etwas Kindheitliches und mahnten mich an die Darstellung der Passion durch Kinder, die ich in Cette gesehen. Ja, an diese kleine fromme Mummerei mußte ich unwillkürlich denken, als ich der Aufführung des Stabat von Rossini zum erstenmal beiwohnte: das ungeheure erhabene Martyrium ward hier dargestellt, aber in den naivsten Jugendlauten, die furchtbaren Klagen der Mater Dolorosa ertönten, aber wie aus unschuldig kleiner Mädchenkehle, neben den Flören der schwärzesten Trauer rauschten die Flügel aller Amoretten der Anmut, die Schrecknisse des Kreuztodes waren gemildert wie von tändelndem Schäferspiel, und das Gefühl der Unendlichkeit umwogte und umschloß das Ganze wie der blaue Himmel, der auf die Prozession von Cette herableuchtete, wie das blaue Meer, an dessen Ufer sie singend und klingend dahinzog! Das ist die ewige Holdseligkeit des Rossini, seine unverwüstliche Milde, die kein Impresario und kein Marchand-de-Musique zugrunde ärgern konnte oder auch nur zu trüben vermochte! Wie schnöde, wie abgefeimt tückisch ihm auch oftmals mitgespielt wurde im Leben, so finden wir doch in seinen musikalischen Produkten nicht eine Spur von Galle. Gleich jener Quelle Arethusa, die ihre ursprüngliche Süßigkeit bewahrte, obgleich sie die bittern Gewässer des Meeres durchzogen, so behielt auch das Herz Rossini's seine melodische Lieblichkeit und Süße, obgleich es aus allen Wermutskelchen dieser Welt hinlänglich gekostet.
Wie gesagt, das Stabat des großen Maestro war dieses Jahr die vorherrschende musikalische Begebenheit. Über die erste tonangebende Exekution brauche ich nichts zu melden; genug, die Italiener sangen. Der Saal der italienischen Oper schien der Vorhof des Himmels; dort schluchzten heilige Nachtigallen und flossen die fashionabelsten Tränen. Auch die »France musicale« gab in ihren Konzerten den größten Teil des Stabat, und, wie sich von selbst versteht, mit ungeheurem Beifall. In diesen Konzerten hörten wir auch den Paulus des Herrn Felix Mendelssohn-Bartholdy, der durch diese Nachbarschaft eben unsre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm und die Vergleichung mit Rossini von selber hervorrief. Bei dem großen Publikum gereichte diese Vergleichung keineswegs zum Vorteil unseres jungen Landsmannes; es ist auch, als vergliche man die Apennine Italiens mit dem Templower Berg bei Berlin. Aber der Templower Berg hat darum nicht weniger Verdienste, und den Respekt der großen Menge erwirbt er sich schon dadurch, daß er ein Kreuz auf seinem Gipfel trägt. »Unter diesem Zeichen wirst du fliegen.« Freilich nicht in Frankreich, dem Lande der Ungläubigkeit, wo Herr Mendelssohn immer Fiasko gemacht hat. Er war das geopferte Lamm der Saison, während Rossini der musikalische Löwe war, dessen süßes Gebrüll noch immer forttönt. Es heißt hier, Herr Felix Mendelssohn werde dieser Tage persönlich nach Paris kommen. So viel ist gewiß, durch hohe Verwendung und diplomatische Bemühungen ist Herr Leon Pillet dahin gebracht worden, sein Libretto von Herrn Scribe anfertigen zu lassen, das Herr Mendelssohn für die große Oper komponieren soll. Wird unser junger Landsmann sich diesem Geschäft mit Glück unterziehen? Ich weiß nicht. Seine künstlerische Begabnis ist groß; doch hat sie sehr bedenkliche Grenzen und Lücken. Ich finde in talentlicher Beziehung eine große Ähnlichkeit zwischen Herrn Felix Mendelssohn und der Mademoiselle Rachel Felix, der tragischen Künstlerin. Eigentümlich ist beiden ein großer strenger, sehr ernsthafter Ernst, ein entschiedenes, beinahe zudringliches Anlehnen an klassische Muster, die feinste, geistreichste Berechnung, Verstandesschärfe, und endlich der gänzliche Mangel an Naivität. Gibt es aber in der Kunst eine geniale Ursprünglichkeit ohne Naivität? Bis jetzt ist dieser Fall noch nicht vorgekommen.