Heinrich Heine
Die Götter im Exil
Heinrich Heine

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Um die bestimmte Zeit befindet sich der Schiffer an dem bestimmten Orte mit seiner Barke, die anfangs von den Wellen hin und her geschaukelt wird; aber nachdem der Vollmond sich gezeigt, bemerkt der Schiffer, daß sein Fahrzeug sich minder leicht bewegt und immer tiefer in die Flut einsinkt, so daß am Ende das Wasser nur noch eine Handbreit vom Rand entfernt bleibt. Dieser Umstand belehrt ihn, daß seine Passagiere, die Seelen, jetzt an Bord sein müssen, und er stößt ab mit seiner Ladung. Er mag noch so sehr seine Augen anstrengen, doch bemerkt er im Kahne nichts als einige Nebelstreifen, die sich hin und her bewegen, aber keine bestimmte Gestalt annehmen und ineinander verquirlen. Er mag auch noch so sehr horchen, so hört er doch nichts als ein unsäglich leises Zirpen und Knistern. Nur dann und wann schießt schrillend eine Möwe über sein Haupt, oder es taucht neben ihm aus der Flut ein Fisch hervor, der ihn blöde anglotzt. Es gähnt die Nacht, und frostiger weht die Seeluft. Überall nur Wasser, Mondschein und Stille; und schweigsam, wie seine Umgebung, ist der Schiffer, der endlich an der weißen Insel anlangt und mit seinem Kahne stillhält. Auf dem Strande sieht er niemand, aber er hört eine schrille, asthmatisch keuchende und greinende Stimme, worin er die des Holländers erkennt; derselbe scheint ein Verzeichnis von lauter Eigennamen abzulesen, in einer gewissen verifizierenden, monotonen Weise; unter diesen Namen sind dem Fischer manche bekannt und gehören Personen, die in demselben Jahr verstorben. Während dem Ablesen dieses Namenverzeichnisses wird der Kahn immer leichter, und lag er eben noch so schwer im Sande des Ufers, so hebt er sich jetzt plötzlich leicht empor, sobald die Ablesung zu Ende ist; und der Schiffer, welcher daran merkt, daß seine Ladung richtig in Empfang genommen ist, fährt wieder ruhig zurück zu Weib und Kind, nach seinem lieben Hause am Siel.

So geht es jedesmal mit dem Überschiffen der Seelen nach der weißen Insel. Als einen besondern Umstand bemerkte einst der Schiffer, daß der unsichtbare Kontrolleur im Ablesen des Namenverzeichnisses plötzlich innehielt und ausrief: »Wo ist aber Pitter Jansen? Das ist nicht Pitter Jansen.« Worauf ein feines, wimmerndes Stimmchen antwortete: »Ik bin Pitter Jansens Mieke, un häb mi op mines Manns Noame inskreberen laten.« (Ich bin Pitter Jansens Mieke, und habe mich auf meines Mannes Namen einschreiben lassen.)

Ich habe mich oben vermessen, trotz der pfiffigen Vermummung die wichtige mythologische Person zu erraten, die in obiger Tradition zum Vorschein kommt. Dieses ist keine geringere als der Gott Mercurius, der ehemalige Seelenführer, Hermes Psychopompos. Ja, unter jener schäbigen Houppelande und in jener nüchternen Krämergestalt verbirgt sich der brillanteste jugendliche Heidengott, der kluge Sohn der Maja. Auf jenem dreieckigen Hütchen steckt auch nicht der geringste Federwisch, der an die Fittiche der göttlichen Kopfbedeckung erinnern könnte, und die plumpen Schuhe mit den stählernen Schnallen mahnen nicht im mindesten an beflügelte Sandalen; dieses holländisch schwerfällige Blei ist so ganz verschieden von dem beweglichen Quecksilber, dem der Gott sogar seinen Namen verliehen: aber eben der Kontrast verrät die Absicht, und der Gott wählte diese Maske, um sich desto sicherer verstellt zu halten. Vielleicht aber wählte er sie keineswegs aus willkürlicher Laune: Merkur war, wie ihr wißt, zu gleicher Zeit der Gott der Diebe und der Kaufleute, und es lag nahe, daß er bei der Wahl einer Maske, die ihn verbergen, und eines Gewerbes, das ihn ernähren könnte, auf seine Antezedentien und Talente Rücksicht nahm. Letztere waren erprobt: er war der erfindungsreichste der Olympier, er hatte die Schildkrötenlyra und das Sonnengas erfunden, er bestahl Menschen und Götter, und schon als Kind war er ein kleiner Calmonius, der seiner Wiege entschlüpfte, um ein paar Rinder zu stibitzen. Er hatte zu wählen zwischen den zwei Industrien, die im wesentlichen nicht sehr verschieden, da bei beiden die Aufgabe gestellt ist, das fremde Eigentum so wohlfeil als möglich zu erlangen: aber der pfiffige Gott bedachte, daß der Diebesstand in der öffentlichen Meinung keine so hohe Achtung genießt, wie der Handelsstand, daß jener von der Polizei verpönt, während dieser von den Gesetzen sogar privilegiert ist, daß die Kaufleute jetzt auf der Leiter der Ehre die höchste Staffel erklimmen, während die vom Diebesstand manchmal eine minder angenehme Leiter besteigen müssen, daß sie Freiheit und Leben aufs Spiel setzen, während der Kaufmann nur seine Kapitalien oder nur die seiner Freunde einbüßen kann, und der pfiffigste der Götter ward Kaufmann, und um es vollständig zu sein, ward er sogar Holländer. Seine lange Praxis als ehemaliger Psychopompos, als Schattenführer, machte ihn besonders geeignet für die Spedition der Seelen, deren Transport nach der weißen Insel, wie wir sahen, durch ihn betrieben wird.

Die weiße Insel wird zuweilen auch Brea oder Britinia genannt. Denkt man vielleicht an das weiße Albion, an die Kalkfelsen der englischen Küste? Es wäre eine humoristische Idee, wenn man England als ein Totenland, als das plutonische Reich, als die Hölle bezeichnen wollte. England mag in der Tat manchem Fremden in solcher Gestalt erscheinen.

In einem Versuche über die Faustlegende habe ich den Volksglauben in bezug auf das Reich des Pluto und diesen selbst hinlänglich besprochen. Ich habe dort gezeigt, wie das alte Schattenreich eine ausgebildete Hölle und der alte finstre Beherrscher desselben ganz diabolisiert wurde. Aber nur durch den Kanzeleistil der Kirche klingen die Dinge so grell; trotz dem christlichen Anathema blieb die Position des Pluto wesentlich dieselbe. Er, der Gott der Unterwelt, und sein Bruder Neptunus, der Gott des Meeres, diese beiden sind nicht emigriert wie andre Götter, und auch nach dem Siege des Christentums blieben sie in ihren Domänen, in ihrem Elemente. Mochte man hier oben auf Erden das Tollste von ihm fabeln, der alte Pluto saß unten warm bei seiner Proserpina. Weit weniger Verunglimpfungen, als sein Bruder Pluto, hatte Neptunus zu erdulden, und weder Glockengeläute noch Orgelklänge konnten sein Ohr verletzen da unten in seinem Ozean, wo er ruhig saß bei seiner weißbusigen Frau Amphitrite und seinem feuchten Hofstaat von Nereiden und Tritonen. Nur zuweilen, wenn irgendein junger Seemann zum ersten Male die Linie passierte, tauchte er empor aus seiner Flut, in der Hand den Dreizack schwingend, das Haupt mit Schilf bekränzt, und der silberne Wellenbart herabwallend bis zum Nabel. Er erteilte alsdann dem Neophyten die schreckliche Seewassertaufe, und hielt dabei eine lange, salbungsreiche Rede, voll von derben Seemannswitzen, die er nebst der gelben Lauge des gekauten Tabaks mehr ausspuckte als sprach, zum Ergötzen seiner beteerten Zuhörer. Ein Freund, welcher mir ausführlich beschrieb, wie ein solches Wassermysterium von den Seeleuten auf den Schiffen tragiert wird, versicherte daß ebenjene Matrosen, welche am tollsten über die drollige Fastnachtsfratze des Neptuns lachten, dennoch keinen Augenblick an der Existenz eines solchen Meergottes zweifelten und manchmal in großen Gefahren zu ihm beteten.

Neptunus blieb also der Beherrscher des Wasserreichs, wie Pluto trotz seiner Diabolisierung der Fürst der Unterwelt blieb. Ihnen ging es besser als ihrem Bruder Jupiter, dem dritten Sohn des Saturn, welcher nach dem Sturz seines Vaters die Herrschaft des Himmels erlangt hatte, und sorglos als König der Welt im Olymp mit seinem glänzenden Troß von lachenden Göttern, Göttinnen und Ehrennymphen sein ambrosisches Freudenregiment führte. Als die unselige Katastrophe hereinbrach, als das Regiment des Kreuzes, des Leidens, proklamiert ward, emigrierte auch der große Kronide, und er verschwand im Tumulte der Völkerwanderung. Seine Spur ging verloren, und ich habe vergebens alte Chroniken und alte Weiber befragt, niemand wußte mir Auskunft zu geben über sein Schicksal. Ich habe in derselben Absicht viele Bibliotheken durchstöbert, wo ich mir die prachtvollsten Kodizes, geschmückt mit Gold und Edelsteinen, wahre Odalisken im Harem der Wissenschaft, zeigen ließ, und ich sage den gelehrten Eunuchen für die Unbrummigkeit und sogar Affabilität, womit sie mir jene leuchtenden Schätze erschlossen, hier öffentlich den üblichen Dank. Es scheint als hätten sich keine volkstümlichen Traditionen über einen mittelalterlichen Jupiter erhalten, und alles was ich aufgegabelt, besteht in einer Geschichte, welche mir einst mein Freund Niels Andersen erzählte.

Ich habe soeben Niels Andersen genannt, und die liebe drollige Figur steigt wieder lebendig in meiner Erinnerung herauf. Ich will ihm hier einige Zeilen widmen. Ich gebe gern meine Quellen an, und ich erörtere ihre Eigenschaften, damit der geneigte Leser selbst beurteile, inwieweit sie sein Vertrauen verdienen. Also einige Worte über meine Quelle.

Niels Andersen, geboren zu Drontheim in Norwegen, war einer der größten Walfischjäger, die ich kennenlernte. Ich bin ihm sehr verpflichtet. Ihm verdanke ich alle meine Kenntnisse in bezug auf den Walfischfang. Er machte mich bekannt mit allen Finten, die das kluge Tier anwendet, um dem Jäger zu entrinnen; er vertraute mir die Kriegslisten, womit man seine Finten vereitelt. Er lehrte mich die Handgriffe beim Schwingen der Harpune, zeigte mir wie man mit dem Knie des rechten Beines sich gegen den Vorderrand des Kahnes stemmen muß, wenn man die Harpune nach dem Walfisch wirft, und wie man mit dem linken Bein einen gesalzenen Fußtritt dem Matrosen versetzt, der das Seil, das an der Harpune befestigt ist, nicht schnell genug nachschießen ließ. Ihm verdanke ich alles, und wenn ich kein großer Walfischjäger geworden, so liegt die Schuld weder an Niels Andersen noch an mir, sondern an meinem bösen Schicksal, das mir nicht vergönnte, auf meinen Lebensfahrten irgendeinen Walfisch anzutreffen, mit welchem ich einen würdigen Kampf bestehen konnte. Ich begegnete nur gewöhnlichen Stockfischen und lausigen Heringen. Was hilft die beste Harpune gegen einen Hering? Jetzt muß ich allen Jagdhoffnungen entsagen, meiner gesteiften Beine wegen. Als ich Niels Andersen zu Ritzebüttel bei Cuxhaven kennenlernte, war er ebenfalls nicht mehr gut auf den Füßen, da am Senegal ein junger Haifisch, der vielleicht sein rechtes Bein für ein Zuckerstängelchen ansah, ihm dasselbe abbiß, und der arme Niels seitdem auf einem Stelzfuß herumhumpeln mußte. Sein größtes Vergnügen war damals, auf einer hohen Tonne zu sitzen, und auf dem Bauche derselben mit seinem hölzernen Beine zu trommeln. Ich half ihm oft die Tonne erklettern, aber ich wollte ihm manchmal nicht wieder hinunterhelfen, ehe er mir eine seiner wunderlichen Fischersagen erzählte.

Wie Muhamet Eben Mansur seine Lieder immer mit einem Lob des Pferdes anfing, so begann Niels Andersen alle seine Geschichten mit einer Apologie des Walfisches. Auch die Legende, die wir ihm hier nacherzählen, ermangelt nicht einer solchen Lobspende. Der Walfisch, sagte Niels Andersen, sei nicht bloß das größte, sondern auch das schönste Tier. Aus den zwei Naslöchern auf seinem Kopfe sprängen zwei kolossale Wasserstrahlen, die ihm das Ansehen eines wunderbaren Springbrunnens gäben, und gar besonders des Nachts im Mondschein einen magischen Effekt hervorbrächten. Dabei sei er gutmütig, friedliebig, und habe viel Sinn für stilles Familienleben. Es gewähre einen rührenden Anblick, wenn Vater Walfisch mit den Seinen auf einer ungeheuern Eisscholle sich hingelagert, und jung und alt sich um ihn her in Liebesspielen und harmlosen Neckereien überböten. Manchmal springen sie alle auf einmal ins Wasser, um zwischen den großen Eisblöcken Blindekuh zu spielen. Die Sittenreinheit und die Keuschheit der Walfische wird weit mehr gefördert durch das Eiswasser, worin sie beständig mit den Flossen herumschwänzeln, als durch moralische Prinzipien. Es sei auch leider nicht zu leugnen, daß sie keinen religiösen Sinn haben, daß sie ganz ohne Religion sind –

»Ich glaube, das ist ein Irrtum« – unterbrach ich meinen Freund – »ich habe jüngst den Bericht eines holländischen Missionärs gelesen, worin dieser die Herrlichkeit der Schöpfung beschreibt, die sich in den hohen Polargegenden offenbare, wenn des Morgens die Sonne aufgegangen, und das Tageslicht die abenteuerlichen, riesenhaften Eismassen bestrahlt. Diese, sagte er, welche alsdann an diamantne Märchenschlösser erinnern, geben von Gottes Allmacht ein so imposantes Zeugnis, daß nicht bloß der Mensch, sondern sogar die rohe Fischkreatur, von solchem Anblick ergriffen, den Schöpfer anbete – mit seinen eigenen Augen, versichert der Domine, habe er mehre Walfische gesehen, die an einer Eiswand gelehnt, dort aufrecht standen und sich mit dem Oberteil auf und nieder bewegten, wie Betende.«


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