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Autobiographische Plauderei

Im Kriegsjahr 1870 bin ich geboren, in Varel, einer kleinen Stadt Oldenburgs. Mein Vater war zur Zeit meiner Geburt schon sterbenskrank, und ein halbes Jahr später holte ihn der Tod. Meine Mutter aber war eine lebensstarke Frau, die sich wieder verheiratete und erst in hohem Alter starb. Drei Jahre nach meiner Geburt zogen meine Eltern aus Oldenburg fort. Mein Stiefvater wurde als Gymnasiallehrer nach Düsseldorf versetzt. Dort habe ich meine ganze Jugend verbracht und es später immer als ein Glück empfunden, daß meinem schweren Oldenburger Geblüt durch Klima und Umwelt einige Tropfen rheinischer Fröhlichkeit beigemischt wurden.

Wenn man in der damaligen Zeit als Abiturient nicht recht wußte, was man werden sollte, studierte man Jura. Das tat ich auch, auf den Universitäten München, Genf und Berlin. Als ich nach beendigtem Studium mein juristisches Rüstzeug verkaufte, freute der Antiquar sich über den sauberen Zustand der Bücher. Ihm entsprach der meines Geistes: seine Unschuld war durch juristische Kenntnisse nicht befleckt. In dem Jahr, wo ich von Rechts wegen mein Examen hätte machen sollen, gab ich meinen ersten Roman heraus.

Frisia non cantat. Die Friesen singen nicht, aber desto lieber erzählen sie. Nicht mit Musik und Liedern geben sie dem, was sie bewegt, Ausdruck, aber ihr Erleben zusammenzuballen zu lustigen, unheimlichen oder merkwürdigen Geschichten, das ist ihre Lust, und derselbe Mensch, der in nüchterner Alltagsstimmung maulfaul kaum die Zähne auseinanderbringt, verfügt oft, wenn es gilt, einen Vorgang anschaulich zu schildern, über das Pathos und die plastische Geste eines trefflichen Schauspielers. In jedem Friesen steckt etwas von einem Till Eulenspiegel und einem Spökenkieker.

Mit dieser Leidenschaft des Erzählens bin auch ich belastet und habe einen großen Teil meines Lebens damit verbracht, Geschichten zu formen und niederzuschreiben. Ich weiß nicht, ob ich ein guter Erzähler bin, aber das weiß ich in meinem Alter, daß ich nichts anderes hätte werden können. Diese Sucht war so stark, daß ich oft, ohne es meist zu merken, mitten im Tun oder Leiden mein eigener Zuschauer war und mich in manchem aufregenden Augenblick aus dem Gedanken ertappte: das müßte man aufschreiben. Dieser Zwiespalt hat meine Tatkraft oft gelähmt, mir aber noch öfter in schlimmen Stunden Trost gespendet.

Nachdem ich mich seßhaft gemacht, habe ich teils in Berlin und teils in Weimar gelebt, bin auch fleißig gereist, bis den gemächlichen Lauf meines Lebens der Krieg tief einschneidend unterbrach.

Wenn ich mich damals mit allen Kräften bemühte, als Soldat mit hinauszuziehn, so geschah das nicht allein aus patriotischer Begeisterung, sondern auch aus dem Gefühl des Künstlers, daß ich bei diesem größten Erleben meines Volkes nicht abseits stehen durfte. Da ich nicht gedient hatte und 44 Jahre alt war, wurde ich nicht genommen und schätzte mich glücklich, als Freiwilliger Krankenpfleger ausrücken zu dürfen. Dem großen Heereskörper gehörte ich als allerletztes, bescheidenstes Glied an, und ich weiß nicht, ob ich ihm überhaupt richtig angehörte. Und doch ist mir auch heute noch das wunderbar mitreißende und herzweitende Gefühl lebendig, das den bis dahin Einsamen und Einzelgänger überkam, als er zum erstenmal im Gleichmaß der Bataillone mitmarschierte und in einem größeren Ganzen aufgehen durfte. Neun Monate war ich als Freiwilliger Krankenpfleger in Flandern und wurde dann Kriegsberichterstatter, was ich bis zum Ende des Krieges blieb.

Während meines Aufenthalts in Kurland haben die Menschen dort, die ihres Deutschtums so stolz bewußten, reich gebildeten und liebenswürdigen Balten, den stärksten Eindruck auf mich gemacht. Der Krieg 1914 wurde mit ganz anderen technischen Mitteln geführt als der Feldzug hundert Jahre früher, aber Klima und Landschaft, die Weite des Landes, die undurchdringlichen Wälder, die Nähe der See waren dieselben wie damals und bedingten bis zu einem gewissen Grade die Kriegführung. Ganz unwillkürlich wurde in Zeiten der Ruhe der Blick in die Vergangenheit zurückgelenkt, und wie eine im Boden ruhende Saat erstand in mir der Plan eines Yorck-Romans. Andere Romane habe ich meist in ununterbrochener Arbeit geformt, dieser ist langsam in mir gewachsen. Da mich anfangs der Gedanke, einen historischen Roman zu schreiben, geradezu erschreckte, schob ich den Stoff oft zurück, immer wieder drängte er sich mir auf. Das Schicksal Yorcks ist das Schicksal des zur Treue geborenen Menschen, der seinen beschworenen Bund zerbrechen und abtrünnig werden muß um einer höheren Treue willen. Es ist das Schicksal Hermanns des Cheruskers, des Welfen Heinrich, das Luthers – wie mich dünkt, ein echt deutsches Schicksal.

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