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Fortsetzung über die Erde und die Sonne.

Nachdem in der vorhergegangenen Predigt zuerst von der Erde und hernach von der Sonne, jede für sich, geredet worden ist, so wollen wir nur noch mit wenigem hören, wie sie untereinander in guter Freundschaft leben, und wie aus ihrer Liebe zu einander Tag und Nacht, Märzveilchen, Erntekränze, Wein und gefrorene Fensterscheiben entstehen.

Da die unermeßlich große Sonne in einer so unermeßlich weiten Entfernung von uns weg ist, so hat es den Sternforschern schon lange nicht mehr einleuchten wollen, daß sie unaufhörlich und je in 24 Stunden um die kleine Erde herumspringen soll in einer unbegreiflichen Kraft und Geschwindigkeit, nur damit wir in diesem kurzen Zeitraum einmal Morgen und Mittag, Abend und Nacht bekämen und wandelnde Sterne. Denn die Naturkundigen haben sich überzeugt, daß alles, was geschieht, auf eine viel einfachere und leichtere Art auch geschehen könnte. Allein ein rechtschaffener Sternseher, Kopernikus genannt, hat bewiesen, daß es nicht nur so geschehen könnte, wie die Naturforscher denken, sondern daß es wirklich so geschieht, und die göttliche Weisheit hat früher daran gedacht als die menschliche.

Der geneigte Leser wird jetzt erfahren, was Kopernikus behauptet und bewiesen hat, wird aber ersucht, zuerst alles zu lesen, ehe er den Kopf schüttelt oder gar lacht.

Erstlich sagt Kopernikus, die Sonne, ja selbst die Sterne haben gegen die Erde weiters keine Bewegung, sondern sie stehen für uns so gut als still.

Zweitens, die Erde dreht sich in 24 Stunden um sich selber um. Nämlich, man stelle sich vor, wie wenn von einem Punkt der Erdkugel durch ihr Zentrum bis zum entgegengesetzten Punkte eine lange Spindel oder Achse gezogen wäre. Diese zwei Punkte nennt man die Pole. Gleichsam um diese Achse herum dreht sich die Erde in 24 Stunden, nicht nach der Sonne, sondern gegen die Sonne, und wenn ein langer roter Faden ohne Ende, ich will sagen, am 21. März, von der Sonne herab auf die Erde reichte, mittags um 12 Uhr an einem Kirschbaum oder an einem Kruzifix auf dem Felde angeknüpft würde, so würde die Erdkugel diesen Faden in 24 Stunden einmal ganz um sich herumgezogen haben, und so jeden anderen Tag.

Auf diese einfache Weise geschieht das Nämliche, was geschehen würde, wenn die Sonne in der nämlichen Zeit einen Kreisgang von 132 Millionen Meilen rings um die feststehende Erde herum wandeln müßte. Nämlich die eine Hälfte der Erdkugel ist gegen die Sonne gekehrt und hat Tag, und eine Hälfte ist von der Sonne abgekehrt gegen die Sterne hinaus, und hat Nacht, aber nie die nämliche, sondern wie die Erdkugel sich gleichsam an ihrer Achse gegen die Sonne dreht, löst sich immer an dem einen Rand der finstern Hälfte ein wenig von der Nacht in die Dämmerung auf, bis man dort die ersten Strahlen der Sonne erblicken kann und meint, sie gehe auf, und an der anderen Seite der erleuchteten Hälfte wird's immer später und kühler, bis man die Sonne nicht mehr sieht und meint, sie sei untergegangen, und der Morgen und Mittag und Abend, das heilige Osterfest und sein Glockengeläute wandeln in 24 Stunden um die Erde herum und erscheinen nie an allen Orten zu gleicher Zeit, sondern in Wien zum Beispiel 24 Minuten früher als in Paris.

Drittens, sagt Kopernikus, während die Erde den Morgen und den Abend, und zu seiner Zeit das heilige Osterfest in 24 Stunden gleichsam um sich herumspinnt, bleibt sie nicht an dem nämlichen Ort im unermeßlichen Weltraum stehen, sondern sie bewegt sich unaufhörlich und mit unbegreiflicher Geschwindigkeit in einer großen Kreislinie zwischen der Sonne und den Sternen fort und kommt in 365 Tagen und ungefähr 6 Stunden um die Sonne herum und wieder auf den alten Ort.

Deswegen und weil alsdann nach 365 Tagen und ungefähr 6 Stunden alles wieder so wird und alles wieder so steht, wie es vor ebensoviel Zeit auch gestanden ist, so rechnet man 365 Tage zu einem Jahr und spart die 6 Stunden vier Jahre lang zusammen, bis sie auch 24 Stunden ausmachen, denn man darf nichts von der kostbaren Zeit verloren gehen lassen. Deswegen rechnet man je auf das vierte Jahr einen Tag mehr und nennt es das Schaltjahr.

Die Sache fängt an, dem verständigen Leser einzuleuchten, und er wäre bald bekehrt, wenn er nur auch etwas von dem Drehen und Laufen der Erdkugel verspüren könnte! Deswegen und

Viertens, sagt der Hausfreund, man kann die Bewegung eines Gefährtes, auf welchem man mitfährt, eigentlich nie an dem Gefährte selbst erkennen, sondern man erkennt sie an den Gegenständen rechts und links, an den Bäumen und Kirchtürmen, welche stehen bleiben, und an denen man nach und nach vorbeikommt. Wenn ihr auf einem sanft fahrenden Wagen oder lieber in einem Schifflein auf dem Rhein fahrt, und ihr schließt die Augen zu, oder ihr schaut eurem Kameraden, der mit euch fährt, steif auf einen Rockknopf, so merkt ihr nichts davon, daß ihr weiter kommt. Wenn ihr aber umschaut nach den Gegenständen, welche nicht selber bei euch auf dem Gefährte sind, da kommt auch das Ferne immer näher, und das Nahe und Gegenwärtige verschwindet hinter eurem Rücken, und daran erkennt ihr erst, daß ihr vorwärts kommt, also auch die Erde. An der Erde selbst und allein, was auf ihr ist, so weit man schauen kann, läßt sich ihre Bewegung nicht absehen (denn die Erde ist selbst das große Gefährt, und alles, was man auf ihr sieht, fährt selber mit), sondern man muß nach etwas schauen, das stehen bleibt und nicht mitfährt, und das sind eben nach Nro. 1 die Sonne und die Sterne, zum Beispiel der sogenannte Tierkreis. Denn zwölf große Gestirne, welche man die zwölf himmlischen Zeichen nennt, stehen am Himmel in einem hohen Kreis um die Erde herum. Sie heißen: der Widder, der Stier, die Zwillinge, der Krebs, der Löwe, die Jungfrau, die Wage, der Skorpion, der Schütz, der Steinbock, der Wassermann, die Fische.

Eins folgt auf das andere, und das letzte schließt an das erste wieder an, nämlich die Fische an den Widder. Dies ist der Tierkreis. Er stehet aber noch viel höher am Firmament als die Sonne, und sie steht, von hier aus betrachtet, immer zwischen den zwei Linien, die seinen Rand bezeichnen, und in einem Zeichen derselben. Denn ob sie gleich noch weit herwärts desselben stehet, so meint man doch wegen der sehr großen Entfernung, sie befinde sich in dem Zeichen selbst. Wenn sie aber heute in dem Zeichen des Steinbocks steht, so steht sie nach 30 Tagen nicht mehr in dem Zeichen des Steinbocks, sondern im nächsten, und je nach 30 Tagen immer in dem nächstfolgenden, und daran erkennt man, daß die Erde in ihrem Kreislauf unterdessen vorwärts gegangen sei. Es kann nicht fehlen. Zu dem allem sagt

Fünftens und letztens der Kopernikus wieder, wenn gleichwohl die Achse der Erdkugel gegen die Sonne wagrecht läge, und die Erde drehte sich auch so, und sie bewegte sich wagerecht in einer vollkommen runden Zirkellinie um die Sonne, also daß die Sonne genau im Mittelpunkt des Zirkelkreises stünde, so müßte jahraus, jahrein und auf allen Orten der Erde Tag und Nacht gleich sein. Ja es müßte mitten auf der Erde rechts und links um den roten Faden ein ewiger Sommer glühen, weiterhin zu beiden Seiten am Abhang der Kugel milderte und kühlte sich die Hitze ein wenig, je schiefer die Sonnenstrahlen herabfielen, und näher gegen die Pole hin herrschte ein Winter ohne Trost und ohne Ende. Aber es ist nicht so, sagt der Sternseher. Die Achse der Erde liegt nicht wagerecht und nicht senkrecht gegen die Sonne, sondern schief in einem Winkel von 67 Graden, wer's versteht. In dieser Richtung gegen die Sonne dreht sich die Erde in 24 Stunden um, in dieser Richtung wandelt sie in einem Jahr um die Sonne ebenfalls nicht senkrecht, sondern schief.

Wenn am 21. März der geneigte Leser sich vor den Roten Adler stellt, vor das Wirtshaus, und sich mit dem Gesicht gegen Sonnenaufgang kehrt, so ist der Kreis, den am selbigen Tag der rote Faden um die Erde zieht, noch 1470 Stunden Wegs oder 735 Meilen rechts hinaus von ihm entfernt, sein Pol aber, dem er am nächsten ist, ist 1230 Stunden Wegs oder 615 Meilen von ihm entfernt links hinaus. In solchem Standpunkt steht der geneigte Leser am 21. März. Aber schon am 22. legt sich der Faden nicht mehr ganz an das bewußte Kruzifix und an seinen Anfang an, sondern er läuft etwas herwärts gegen uns daran vorbei, und so windet er sich von 24 Stunden zu 24 Stunden in einer Schraubenlinie fort und kommt immer näher gegen uns bis zum 21. Juni, und ist alsdann gleichwohl noch nicht bei uns, sondern ist uns nur ungefähr um 705 Stunden oder 352-1/2 Meilen näher gekommen. Aber vom 21. Juni an kehrt der Faden in den nämlichen Windungen wieder zurück, immer weiter von uns weg, bis er ungefähr am 21. September in gleicher Entfernung von beiden Polen wieder satt an dem Kruzifix vorbeistreift. Von dieser Zeit an wendet er sich jenseits gegen den anderen Pol immer weiter und weiter von uns weg bis ungefähr zum 21. Dezember, wo er 1440 Stunden weit rechts hinaus von uns entfernt ist, kehrt alsdann ebenso zurück und trifft am 21. Marz wieder richtig bei dem Kruzifix ein. Aber bis zu uns kommt er nie, weil wir so weit von ihm weg wohnen, hinaus gegen den Pol.

Aus dieser figürlichen Vorstellung ist nun zu erkennen, was zwar der geneigte Leser schon weiß, daß er während des Kreislaufs der Erde nicht immer in der nämlichen Richtung gegen die Sonne bleiben könne, aber die Astronomen haben daraus berechnet, in welcher schiefen Linie die Erde binnen Jahresfrist die Sonne umlaufen muß, damit diese Veränderungen und die vier Jahreszeiten zustande kommen.

Der Frühling beginnt um den 21. März, wann der rote Faden gerade auf das Kruzifix herabreicht. Die Sonne steht gleich weit von beiden Polen über der Erde. Tag und Nacht sind gleich. Die Sonne scheint immer näher zu kommen und immer höher am Himmel aufzusteigen, je mehr sich der rote Faden nähert; der Tag und die Wärme nehmen zu, die Nacht und die Kälte nehmen ab.

Der Sommer beginnt um den 21. Juni, wenn der Faden am weitesten von dem Kruzifix entfernt und am nächsten bei uns ist. Alsdann steht die Sonne am höchsten über dem Haupt des geneigten Lesers, und dieser Tag ist der längste. Sowie sich der Faden wieder hinauswindet, kommt die Sonne immer schiefer gegen uns zu stehen, und die Tage werden kürzer.

Der Herbst beginnt am 21. September. Tag und Nacht sind wieder gleich, weil die Sonne, besage des Fadens, wieder über dem Kruzifix steht. Aber je weiter er alsdann jenseits hinausläuft gegen den anderen Pol, desto tiefer stellt sich gegen uns die Sonne. Die Tage und die Wärme nehmen immer ab, die Nächte und die Kühle nehmen zu.

Der Winter beginnt, wenn am 20. Dezember der Faden am weitesten jenseits von uns entfernt ist. Der geneigte Leser verschläft alsdann die längste Nacht, und die Sonne steht so tief, daß sie ihm noch früh um 9 Uhr durch des Nachbarn Kaminhut in das Stübchen schauen kann, wenn die Fensterscheiben nicht gefroren sind.

Endlich, wenn von diesem Tage an der Faden zurückkehrt, verlängern sich auch die Tage wieder. Am 22. Februar, auf Petri Stuhlfeier, kommt schon der Storch in seine alte Heimat zurück, und ungefähr am 20. März trifft der rote Faden wieder bei dem Kruzifix ein. Dies hat noch nie falliert.

Hieraus ist zu gleicher Zeit zu erkennen, daß nie auf der ganzen Erde die nämliche Jahreszeit herrscht. Denn zu gleicher Zeit und in gleichem Maße, wie sich die Sonne von unserem Scheitelpunkt entfernt, oder wir von der Sonne, kommt sie höher über diejenigen zu stehen, welche jenseits des Kruzifixes gegen den anderen Pol hinaus wohnen, und umgekehrt ebenso.

Wenn hier die letzten Blumen verwelken und das Laub von den Bäumen fällt, fängt dort alles an zu grünen und zu blühen. Wenn wir in unserem Winter die längste Nacht verschlafen, schimmert dort der längste Sommertag, und der Hausfreund kann sich nicht genug über die göttliche Weisheit verwundern, die mit einer Sonne auf der ganzen Erde ausreicht und in die winterlichsten Landschaften noch einen lustigen Frühling und eine fröhliche Ernte bringen kann.

So viel für diesmal von der Erde. Gleichwohl, wenn ein Mensch von derselben sich aufheben und in gerader Linie langsam oder geschwind zum Abendstern aufsteigen könnte, der unter allen Sternen der nächste ist, so würde er noch merkwürdigere Dinge sehen. Der Stern würde vor seinen Augen immer größer werden, zuerst wie der Mond, bald darauf wie ein großes Rad, zuletzt wie eine unübersehbare Kugel oder Fläche. Sein Licht würde ihm immer milder erscheinen, weil es sich immer über eine größere Fläche verbreitete, ja er würde in einer gewissen Entfernung davon schon Berge und Thäler entdecken und allerlei, und zuletzt auf einer neuen Erde landen. Aber in der nämlichen Proportion müßte unter ihm die Erde immer kleiner werden und glänzender ihr Licht, weil es sich auf einen kleineren Raum zusammendrängt. In einer gewissen Entfernung hätte sie für ihn noch den Umfang wie ein großes Rad, hernach wie eine Schützenscheibe, hernach wie der Mond und endlich, wenn er gelandet wäre, würde er sie weit draußen am Himmel als einen lieblichen Stern unter den anderen erblicken und mit ihnen auf- und untergehen sehen. »Sieh dort,« würde er zu seinem ersten Bekannten sagen, mit dem er bekannt wird, »sieh jenen lieblichen Stern, dort bin ich daheim, und mein Vater und meine Mutter leben auch noch dort. Die Mutter ist eine Geborene so und so.« Es müßte ein wundersames Vergnügen sein, die Erde unter den Sternen des Himmels und ganz als ihresgleichen wandeln zu sehen, und der Hausfreund hat dem geneigten Leser diese Freude in dem Artikel von den Planeten zugedacht.

(Die Fortsetzung folgt.)


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