Friedrich Hebbel
Herr Haidvogel und seine Familie
Friedrich Hebbel

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Herr Haidvogel und seine Familie

1848 (1847)

»Nun, warum laßt ihr die Köpfe so hängen? Lustig, wie ich es bin!« Mit diesen Worten trat Herr Haidvogel, an einem Winterabend aus der Stadt zurückkommend, in seine enge Stube, in der seine Frau, von den beiden durch die Dunkelheit geängstigten Kindern endlich dazu gedrängt, eben die Lampe angezündet hatte. »Warum siehst du mich nicht an?« – fuhr er fort und stellte sich vor seine Frau hin, die allerdings ihr kleines, frierendes Mädchen streichelnd, keinen Blick für ihren Mann zu haben schien; – »ziehst du wieder, wie gewöhnlich, im stillen einen Vergleich zwischen mir und dem Quacksalber von Doktor, der auch einmal hinter dir herlief? Danke Gott, daß du mich statt seiner bekommen hast, denn ich lebe doch wenigstens noch. Ihn hat heute mittag der Teufel geholt, und eine halbe Stunde darauf, als ich gerade an seinem Hause vorbeikam, nagelte der Vergolder, der noch von nichts wußte, den neuen Schild mit den ellenlangen Buchstaben, das ihm die Kundschaft verdoppeln sollte, über seiner Tür fest.« – »Er ist –?« fragte die Frau, ihr Auge zum erstenmal ein wenig erhebend, während ihre Hand von dem Haupte des Kindes herabglitt. »Tot!« – versetzte Herr Haidvogel schadenfroh schnell – »so gewiß tot, als ob er einen seiner eigenen Dekokte verschluckt hätte. Ja, der wird mich mit seinen ostindischen Taschentüchern nicht mehr ärgern, die er, wenn er des Morgens hier vorüberging und mich am Fenster stehen sah, immer im Winde flattern ließ! Sicher hat er sich zu Weihnacht wieder einen neuen Rock bestellt, denn bloß meinetwegen schaffte er sich dreimal so viel Kleider an, als er brauchte. Möchte der Schneider ihn doch schon zugeschnitten haben! Die Rechnung wär' ein hübsches Christgeschenk für sein hochmütiges Weib, die es ganz zu vergessen scheint, wie gern sie, als mein Vater noch lebte, mit mir getanzt und wie oft sie mir dabei die Hand gedrückt hat.« – »Mein Gott! Achtunddreißig Jahr!« – sagte die Frau, ohne sich um ihren Mann zu bekümmern, und starrte vor sich hin. »Und auch ihr« – begann Herr Haidvogel aufs neue und wandte sich zu den Kindern – »warum hockt ihr immer in der Stube, warum springt ihr nicht herum, wenn's euch friert, warum find' ich euch nie auf der Eisbahn, wie die andern? Munter, Junge, tanz' mit der Schwester, ich will pfeifen!« – »Sie haben den ganzen Tag noch keinen Bissen gegessen« – unterbrach die Frau ihn bitter – »die paar Kartoffeln, die du zu Hause brachtest, liegen noch da, es fehlte an Holz sie zu kochen!« – »Und war da nicht zu helfen?« – erwiderte Haidvogel, indem er zugleich einen der beiden um den Tisch stehenden alten Stühle bei der Lehne packte und mit ihm so stark gegen den Boden stieß, daß er fast zerbrach – »ich sollte doch meinen!« – »So machtest du's stets« – versetzte die Frau – »und nur darum sind wir soweit heruntergekommen! Den letzten Stuhl, der noch für einen Einsprechenden übrig blieb, denn den andern füllst du aus, und den Kindern gehört ohnehin nicht mehr, als mein Schoß und deine Lende! Warum nicht auch die Bettlade! Ein Glas Wasser konnten wir längst keinem Menschen mehr anbieten, weil das Glas uns mangelt! Wenn's nach dir ginge, so würde morgen auch niemand mehr einen Sitz bei uns finden.« – »Wär' das ein Unglück?« – entgegnete Herr Haidvogel – »läßt sich ein Hund bei uns sehen, als wenn er etwas von uns zu fordern hat? Und trollt sich so einer nicht um so eher wieder, wenn er sich nicht breit zum Predigen niederlassen kann? Doch, gleichviel! Es gibt andere Mittel! Wir wollen uns heut abend etwas zugute tun! Es geht ein Gerücht über mich – – leider ist es falsch, du siehst – –« Er unterbrach sich, nahm den Hut, den er bisher aufbehalten hatte, ab und deutete auf eine Beule am Kopf. »Woher hast du die?« fragte die Frau und erhob sich. »Woher!« versetzte Herr Haidvogel und bedeckte sich schnell wieder. »Herausgeworfen bin ich einmal wieder beim Onkel. Alles beim alten!« – »Mensch! Mensch!« – fuhr die Frau erschreckt auf – »willst du uns noch um das Letzte bringen? Was mein Onkel uns jährlich zufließen läßt, ist ohnehin wenig genug. Aber wir erhalten es nur unter der Bedingung, daß du nie sein Haus betrittst, daß du bei Tage nicht einmal daran vorbei gehst! Und nun! – – Ich zittre! Ich zittre!« Sie preßte ihre Kinder an sich. »Ei was!« – sagte Herr Haidvogel – »mit dem Tode hat jede Dummheit ein Ende. Eine Pflicht hab' ich erfüllt, als ich hinging, eine Pflicht gegen die da und gegen dich! Ich hörte, den Alten habe der Schlag gerührt, und er sei gestorben, ohne ein Testament zu hinterlassen. Wenn das sich so verhalten hätte, würdest du doch wohl die Erbin gewesen sein, nicht wahr?« – »Aber es verhielt sich nicht so!« – versetzte die Frau – »und das konntest du wissen!« – »Das konnte ich nicht wissen!« – fuhr Herr Haidvogel gereizt auf – »es unterhielten sich zwei davon auf offener Straße, die es gar nicht sahen, daß ich in einer Ecke stand und an meinen Stiefelriemen knöpfte, die es also auf einen Spaß mit mir auch nicht abgesehen haben konnten. Als ich zum Vorschein kam, zogen sie den Hut vor mir, und der eine sprang sogar gleich herzu und hob mir den Stock auf, den ich noch überflüssigerweise zur Probe fallen ließ. Das war mir Beweis genug, und ich eilte ins Sterbehaus, um die aussichtslosen Schurken, die Köchin und den Bedienten, am Verschleppen der Sachen zu verhindern. Gleich auf der Diele kam mir auch die Köchin mit dem Silberzeug entgegen. – Wohin damit? fuhr ich die Person an. Nicht von der Stelle! Oder – Und Er da – rief ich dem Schlingel, dem Johann zu, der eben, einen Rebhuhnflügel in der Hand, aus der Küche herauf kam – warum war Er noch nicht bei mir? Hat Er den Kalender vielleicht erst verbrannt, worin der Tote die Vorschüsse notierte, die Er ihm abzuschwatzen wußte? Das wird Ihm übel bekommen!« – »Gott! Gott!« seufzte die Frau – »der ist zehn Jahre und die acht! Was wird aus den armen Kindern, wenn« – »Was würde aus ihnen« – unterbrach Herr Haidvogel sie mit Unwillen – »wenn sie einmal eine Erbschaft machten, und ihr Vater wäre weniger eifrig, ihre Rechte wahrzunehmen, als ich es bin! Diesmal freilich war ich etwas zu voreilig, denn kaum hatte ich meine letzte Drohung ausgesprochen, als der Alte erschien und zornig fragte, wer einen solchen Lärm erhöbe. Da nun die Köchin, boshaft, wie sie ist, erwiderte, daß ich ihr verböte, das Silberzeug zum Aufputzen für die bevorstehende Geburtstagsfeier des gnädigen Herrn zum Goldschmied zu bringen, und der Bediente noch ärgere Dinge hinzufügte, ereiferte er sich natürlich gewaltig, sein Gesicht wurde blau, seine Hände flogen und – – Genug, der tückische Wunsch, den er mir nachrief, daß ich auf der Treppe den Hals brechen möchte, ist nicht in Erfüllung gegangen, so gut der Johann seinen plumpen Auftrag auch ausführte, und wir wollen von dem Gerücht Vorteil ziehen, solange wir es noch können! Flink, Theodor, spring du zum Schlachter hinüber und hole einige Pfund Fleisch, und du, Auguste, lauf zum Krämer und besorge die Butter. Wenn sie uns noch nie geborgt haben, so borgen sie uns jetzt! Nicht diese Stirnfalten, Weib! Es gibt mehr Kinder, die nach sieben über die Straße geschickt werden und doch keinen Husten mit zu Hause bringen! Wasche du inzwischen die Kartoffeln ab, ich will Holz schaffen! Vater zahlt morgen, er ist beim Onkel!« Mit diesen Worten trieb er den Knaben und das Mädchen, die sich nur zögernd zum Gehorchen anschickten, weil sie solche Botschaften nicht zum erstenmal ausrichten sollten und den Erfolg schon kannten, aus der Tür und folgte ihnen nach, während die Frau in ein Gelächter, halb der Verachtung, halb der Verzweiflung ausbrach und sich nicht von der Stelle rührte. Er tat aufs Geratewohl einen Gang durch das abgelegene Quartier, wo er wohnte und musterte manchen Zaun und manche alte Hecke, sogar hie und da einen Fensterladen, der im Winde klapperte, weil er nicht gehörig befestigt war. Aber, wenn er eben Hand anlegen wollte, schien ihm bald der Mond zu hell, bald gingen ihm zuviel Leute über die Straße, bald störte ihn ein Hund, der ihn anbellte. Endlich sagte er zu sich selbst: ich will mir die Mühe gar nicht machen, denn es ist doch immer noch sehr zweifelhaft, ob wir Fleisch und Butter erhalten, und wenn, so liefert der Stuhl Holz genug. Sogleich nahm er seine gewöhnliche stolze Haltung, deren er sich als angehender Dieb bereits abgetan hatte, wieder an und kehrte um. Kaum aber hatte er einige Schritte gemacht, als er mit dem Fuß an etwas Hartes stieß; er hob es auf und siehe da, es war ein Beutel mit Geld. Vorsichtig sah er sich nach allen Seiten um, ob ihn jemand bemerkt habe, dann steckte er den Beutel zu sich und setzte, jedoch nicht eben schneller, als vorher, seinen Weg fort. Als er zu Hause wieder anlangte, fand er seine Frau nicht mit Zurichtung eines Bratens beschäftigt, sondern mit Entkleidung ihrer Tochter. Der Knabe kam ihm entgegen und richtete ihm eine Impertinenz vom Schlachter aus; auch das Mädchen wollte sprechen, doch die Mutter unterbrach sie und sagte: »Euer Vater weiß alles, was ihr ihm melden könnt, nun zu Bett mit euch, damit ihr hinein kommt, bevor die Lampe erlischt!« »Nichts da! ihr bleibt auf!« rief Herr Haidvogel jetzt und warf den Beutel mit Geld auf den Tisch. Blanke Taler rollten, die Kinder jubelten, und die Frau sah ihren Mann mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens an. »Mensch« – sagte sie endlich langsam, und ein schlimmer Verdacht stieg in ihr auf – »woher kommt dir dies Geld?« »Wenn's nun ein Lotteriegewinn wäre« – erwiderte er – »würdest du dann endlich einräumen, daß ich recht tat, als ich die zwölf Kreuzer, die ich Montag fand, zum Kollekteur trug, statt sie zu Brot herzugeben?« – »Nein« – versetzte sie – »aber ich würde mich freuen, daß eine Schlechtigkeit ausnahmsweise einmal gute Folgen gehabt hätte. Ist es denn so?« »Laß uns weiter reden« – rief Herr Haidvogel, – »wenn wir satt sind! Dann fördert's die Verdauung. Wir leben in einer Welt, worin einem Menschen plötzlich eine Königskrone auf den Kopf fallen kann, der bis dahin kaum eine wollene Mütze besaß, sich ihn damit zu bedecken. Das sagte ich dir schon oft, erinnere dich daran und mach' Feuer, jetzt wird dir der Stuhl wohl nicht mehr zu kostbar scheinen! Ich selbst hole, was sonst nötig ist, ich muß die Hunde ärgern, die mir den Kredit versagten, sie sollen glauben, daß ich bloß ihre Gesinnungen gegen mich auf die Probe gestellt habe, und da sie von meinen guten Zeiten her wissen, wieviel ich daraufgehen lasse, wenn ich nur kann, so wird sie's verdrießen, in dieser nicht besser bestanden zu sein!« Jetzt setzte die Frau sich emsig in Tätigkeit, während Herr Haidvogel sein Geld wieder einstrich und ging. Er kam an einer Schenke vorbei; es war die nämliche, in der er den größten Teil seines väterlichen Erbteils mit dem Leichtsinn und der Liederlichkeit eines verhätschelten einzigen Sohns verpraßt hatte, denn er war keineswegs immer ein armer Schlucker gewesen, er hatte ein für seine Verhältnisse ganz ansehnliches Vermögen hindurchgebracht und sich eben dadurch die Verachtung des Enkels, seiner Frau aber, die aus Pflichtgefühl nicht von ihm lassen wollte, den Haß desselben zugezogen. »Da sitzen nun« – dachte er – »die meisten von denen, womit ich sonst zusammen zu sitzen pflegte, da schwatzen sie, wenn ihnen nichts Besseres einfällt, von mir, da lachen und spotten sie auf meine Kosten oder bedauern mich, wenn's gut geht, zucken die Achseln und – ich muß hinein!« Er legte die Hand auf die Tür. »Was sie sagen werden, wenn ich so plötzlich erscheine, wie sie anfangs vor mir zurückweichen, dann, sowie sie Geld sehen, mir zunicken und vertraulich näher rücken werden! Ha, ginge einer von ihnen so weit, mich um ein Darlehn anzusprechen, ich würde es hergeben, wär's auch nur, um ihnen von der Größe der Summe, die mir zu Gebote steht, einen guten Begriff beizubringen.« Er trat ein. Drinnen war eine lärmende Gesellschaft beisammen, die alten Kameraden grüßten gleich freundlich und wisperten dann miteinander, es war offenbar, daß das Gerücht von Herrn Haidvogels plötzlicher Erbschaft bereits zu ihnen gedrungen war, und daß sie es jetzt für vollkommen bestätigt hielten, selbst der Wirt war höflich. Herr Haidvogel, der in der allgemeinen Aufmerksamkeit, die er erregte und in dem Geflüster, das rings umher entstand, eine hinreichende Genugtuung für alle Entbehrungen der letztverstrichenen Jahre fand, durchschritt, um seinen Triumph vollständig zu genießen, den Saal seiner ganzen Länge nach, ehe er sich niederließ, dann setzte er sich an einen Tisch, an dem der einzige Mensch saß, den er nicht kannte und der keine Notiz von ihm nahm. Dies verdroß ihn fast, und er faßte ihn darum scharf ins Auge; es schien nach dem ledernen Gurt, den er um den Leib trug, ein reisender Viehhändler zu sein, er hatte den Kopf auf den Tisch gestützt und starrte trübsinnig vor sich hin. »Dem ist ein Ochse gefallen!« dachte Herr Haidvogel, »und nun erinnert er sich mit Verdruß der vielen Schlachter, bei denen er das Tier um leidlichen Preis hätte anbringen können. Gebührende Strafe für die übertriebene Habsucht!« Dann forderte er sich mit lauter Stimme ein Glas Wein. Der Wirt brachte es eilig in eigener Person und putzte zugleich das Licht, das etwas trüb vor dem Fremden brannte; nun erst sah man's ganz deutlich, wieviel Niedergeschlagenheit in den an sich so mannhaft trotzigen Zügen desselben lag. »Ist Euch nicht um Eure Zeche bange« – fragte Herr Haidvogel den Wirt halblaut und deutete auf den Fremden – »der scheint darüber nachzugrübeln, wie er Euch darum bringen will!« – »Das wäre noch ein Ding der Unmöglichkeit« – versetzte der Wirt lustig – »denn sie beläßt sich noch auf nichts, das Glas Bier, das er sich geben ließ, steht unberührt vor ihm.« – »Damit Ihr das nicht auch von mir sagen könnt« – sagte Herr Haidvogel – »will ich meinen Wein trinken!« Er tat's und zog dann eine Handvoll Taler hervor, die er hastig nach kleiner Münze zu durchsuchen begann, weniger, weil er so eifrig aufs Bezahlen erpicht war, als weil es ihn kitzelte, seinen Reichtum zu zeigen. »Ei du mein Himmel,« versetzte der Wirt abwehrend, »als ob das nicht Zeit hätte! Ihr denkt doch nicht schon wieder zu gehen? Von einem alten Freund, der sich so lange nicht mehr bei mir sehen ließ, würde mich das beleidigen, und noch mehr als das, es würde mich kränken!« – »Nun« – erwiderte Herr Haidvogel – »ich werde bleiben! Aber schickt schnell ein gutes Nachtessen zu den Meinigen hinüber! Sie wollen sich selbst was bereiten, wozu die Umstände!« – »Freilich, freilich, wozu? Ich kochte ja gern für die ganze Stadt! Was – soll's nur sein? Hier ist die Speisekarte, beliebt's Euch, auszuwählen?« – »Schickt alles, was darauf steht« – versetzte Herr Haidvogel – »dann schickt Ihr jedenfalls das rechte mit! Bildet Euch übrigens nicht ein, daß Eure Küche die meinige übertrifft. Pah! Wenn ich den Schneider, der dort in der Ecke sitzt – heda, Meister, Ihr habt nun genug genickt und am Käppel geschoben, kommt morgen früh zu mir herüber und nehmt mir Maß! – wenn ich den zuweilen durch ein Loch im Ärmel oder den Schuster durch einen zerrissenen Stiefel ärgerte, so geschah das ja bloß, weil ich meinem Magen nichts abgehen ließ, denn wenn mein Onkel auch nicht alle Tage Verlangen trug, mich zu umarmen, so fiel es ihm doch noch weniger ein, mich hungern zu lassen, und wenn er mir auch einmal in seinem bekannten Jähzorn verbot, zu ihm zu kommen, so kam er dafür reuig bei nächtlicher Weile zu mir. Betrachtet den da! Ist er magerer geworden, seit ich keine Bratwürste mehr bei Euch aß?« Hierbei klopfte er sich auf den Bauch, der allerdings trotz der nüchternen Atzung mit Kartoffeln und trockenem Brot die ehemalige Ründung bewahrt und ihm auch immer für einen Ableiter erniedrigender Gedanken über die Beschaffenheit seines Tisches gegolten hatte. »O, sicher nicht,« entgegnete der Wirt, obgleich trotz seiner Geschmeidigkeit nur mit mühsam unterdrücktem Lächeln, »was fällt Euch ein! Doch, ich will dem Kellner Auftrag geben!« Er sprang fort, um nicht zu bersten. »Ob wirklich nichts Kleines mehr darunter ist?« sagte Herr Haidvogel mit einem langen Blick auf den Fremden, der noch dasaß, wie vorhin, und dessen Unempfindlichkeit und Gleichgültigkeit gegen alles, was um ihn her vorging, ihn förmlich zu empören anfing. – »Freilich, das Bettelgesindel.« Er warf mit diesen Worten das Geld mit Geräusch auf den Tisch und schickte den Rest in der Tasche Handvoll nach Handvoll hinterdrein, fortwährend zwischen den Talern rührend und mit ihnen klappernd. Jedermann wurde aufs neue aufmerksam auf ihn, der Wirt rief dem Kellner einmal über das andere »hurtig! hurtig!« zu, zwei von den ehemaligen Kameraden, die ihr schnödes Benehmen gegen ihn in der Zwischenzeit in Vergessenheit zu bringen wünschten, stießen, scheinbar unbekümmert um ihn, aber laut genug, daß er es hören konnte, auf sein Wohl miteinander an, nur der Fremde verharrte in seiner vorigen Lage. Herr Haidvogel wollte aber durchaus auch von ihm beneidet werden, er trat ungeduldig zu ihm heran und bat um Erlaubnis, sein Licht einen Augenblick nehmen zu dürfen, weil das seinige so düster brenne und zwei überhaupt heller leuchteten, als eins. Der Fremde bewilligte es durch eine Kopfbewegung und sah nun endlich auf. Doch kaum hatte er auf den im Glanz der Lichter flimmernden und schimmernden Schatz des Herrn Haidvogel einen Blick geworfen, als er wie besessen auffuhr, den bisherigen Besitzer mit einem mächtigen Stoß beiseite schleuderte und mit einer Donnerstimme ausrief: »Des Todes ist, wer dies Geld berührt, es ist mein! Hundert Taler! Die russische Schaumünze, an der ich mein Eigentum erkenne! Und ein lederner Beutel! Zähle nach und vergleiche, wer zweifelt!« Der Wirt, die ganze Gesellschaft, vor allem aber Herr Haidvogel selbst, standen einen Moment, wie versteinert, der letztere faßte sich jedoch gleich wieder, weil er fühlte, daß er in den allerschnödesten Verdacht geraten werde, wenn er lange im Stillschweigen verharre, und antwortete dem Fremden, der unwillkürlich sein breites Schlachtermesser gezogen und sich mit halbem Leibe über das Geld hingelehnt hatte, kalt und spöttisch: »Ihr habt die Lumperei verloren, und ich habe sie gefunden! Könnt Ihr das nicht ruhig sagen? Da ist der Lederbeutel, den Ihr wohl noch vermißt! Eine Schaumünze! Ei, die hatte ich noch gar nicht bemerkt! Hübsch! Der Übergang über die Beresina! Ein Andenken?« Der Fremde maß Herrn Haidvogel mit einem zweideutigen Blick, und da er entdeckte, daß der Rock desselben etwas kahl war, zählte er sein Geld sorgfältig nach. Als er fand, daß an der Summe nicht das geringste fehle, reichte er ihm die Hand und sagte: »Verzeiht mir meine Heftigkeit und setzt Euch zu mir, daß wir zusammen trinken!« – »Trinkt mit wem Ihr wollt« – entgegnete Herr Haidvogel vornehm – »aber haltet Euch ein andermal auf bessere Taschen!« Stolz, wie ein Sieger den Wahlplatz, verließ er nun die Gaststube und überrannte in der Tür fast den schwer bepackten Kellner, der, bei einer so unerwarteten Wendung der Dinge vom Wirt eiligst wieder umgerufen, eben hineintrat. »Ich will's selbst mitnehmen!« rief er diesem zu und griff nach dem Eßkorb, den der verblüffte Mensch, der den Zusammenhang nicht kannte, auch ohne Widerstand fahren ließ, den der Wirt Herrn Haidvogel aber wieder entriß. »Ah, so war's gemeint,« sagte dieser, »gut, da ist hier denn auch für mein Glas Wein!« Er warf die letzten vier Groschen hin, die er besaß und die er zum Ankauf von Glanzwichse bestimmt gehabt hatte, versuchte den Wirt durch einen Puff, den er ihm im Vorbeischießen beibrachte, umzustoßen, was ihm freilich nicht gelang, und eilte fort. Leise, leise stahl er sich in sein Haus und in seine Wohnstube hinein. Seine Frau war in der Küche, wie er durch ein kleines, in der Tür angebrachtes Fenster sehen konnte, mit dem Abkochen der Kartoffeln beschäftigt, das Feuer brannte lustig auf dem Herd und die Kinder standen mit heiteren Gesichtern umher. »Ich kann's nicht ändern!« fluchte er und begann, sich schleunig zu entkleiden. Er war damit glücklich zu Ende gekommen, und stieg eben ins Bett, als seine Frau, die schon mit Ungeduld auf ihn wartete, in die Stube trat. »Mein Gott!« – rief sie, aufs höchste verwundert, aus, –»du gehst zu Bett?« – »Tu' du es auch,« entgegnete er und setzte, indem er die Decke über sich hinzog, gähnend hinzu: »Ehrlich währt am längsten!« Die Frau hatte aber noch kaum die Zeit gehabt, ihr Erstaunen durch einen unartikulierten Laut auszudrücken, als an die Tür gepocht wurde. »Riegel vor!« rief Herr Haidvogel, und als er sah, daß die Tür bereits aufging, griff er nach seinem Stock, der zu Häupten des Bettes stand. Der Kellner trat mit seiner Last herein; die Gesichter der Kinder, die sich schon verfinstert hatten, klärten sich wieder auf, denn der leckere Duft, der sich im Zimmer verbreitete, und das fröhliche Klappern der Schüsseln verkündete ihnen den Inhalt des Korbes. »Reue? Gewissensbisse?« – fragte Herr Haidvogel den Menschen, der den Korb stillschweigend auf den Tisch stellte – »hätt's kaum erwartet.« – »Mich schickt der Viehhändler« – entgegnete dieser – »er hat alles bezahlt!« – »Der!« – rief Herr Haidvogel – »Was untersteht der Kerl sich! Mir, der ich schon an einem Abende mehr verspielt habe, als er in einem Jahr gewinnt! Nun wohl! Ein Finderlohn! Aber wohl gemerkt, nur für die Kinder! Ich berühre nichts davon! Ehrenwort!« Der Kellner wollte sich wieder entfernen, die Frau trug ihm eine herzliche Danksagung auf. »Kein Wort von Dank!« – fuhr Herr Haidvogel dazwischen – »er hat seine Schuldigkeit getan, und kaum! Aber deinem Herrn kannst du melden, daß ich ihm mit den Schüsseln, wenn er sie etwa zurückverlangt, die Fenster einwerfen werde!« In diesem Augenblick wurde abermals gepocht. »In Europa nimmt man im Bett keine Visiten an!« rief Herr Haidvogel, aber die Tür wurde trotzdem langsam geöffnet, und mit verstörtem Gesicht trat etwas verlegen der Bediente Johann herein. »Nun, Halunke« – schrie Herr Haidvogel ihm entgegen und schwang seinen Stock – »willst du die Zahlung haben für –?« Er berührte hiebei mit einer unzweideutigen Gebärde seinen Rücken. »Herr Haidvogel« – stotterte Johann – »Sie wissen, daß ich nichts tat, als was der Herr mir befahl, dessen Brot ich aß!«– »Aß?« fragte Herr Haidvogel gespannt. »Ja,« – fuhr Johann fort – »der gnädige Herr ist am Schlag« – »Am Schlag?« – unterbrach ihn Herr Haidvogel verdrießlich und enttäuscht – »Kerl, bist du verrückt? Es war ja eine niederträchtige Lüge, mit eigenen Augen überzeugte ich mich davon!« – »Heute nachmittag, ja« – versetzte Johann – »aber jetzt nicht mehr! Leider!« – »Leider?« – rief Herr Haidvogel – »Gott Lob!« – »Freilich, Gottlob!« – entgegnete Johann geschmeidig – »denn es war nicht mehr zum Aushalten! Wenn Sie wüßten, wie oft ich Fußtritte vom Alten erhielt, weil ich eine Fürbitte für Sie einlegte. Noch dieses Loch im Kopf – –« – »Hast du vor sieben Stunden von dem Türpfosten bekommen« – unterbrach ihn Herr Haidvogel – »an den du dich stießest, als du mit mir bosseln wolltest – Was kümmert's mich noch! Hast du gehört, Frau?« – »Ist es denn wahr, Johann?« fragte sie schüchtern und schob dem Bedienten einen Stuhl hin, auf den er sich aber nicht niederließ, weil die Dame, die er schon lange nur noch über die Achsel angesehen hatte, plötzlich wieder eine Respektsperson für ihn geworden war. »Wie kannst du nur noch fragen« – eiferte Herr Haidvogel, dem dies nicht entging – »siehst du nicht, daß er mit krummem Rücken und eingeknickten Beinen vor dir steht? Aber, wie kam's denn?« – »Wahrscheinlich« – entgegnete Johann zögernd – »von dem Ärger, den –« – »Den ich ihm machte?« fragte Herr Haidvogel jubelnd – »Ja? Ist's so? Das freut mich! – das freut mich! Maß für Maß! Kerl, ich schenke dir alles, was du heute abend gestohlen hast! Verbeugst dich? Bravo! Nun, Frau, war's gut, daß ich da war? He, was sagst du?« – »Laß ihn doch zu Wort kommen« – erwiderte sie unwillig – »noch wissen wir ja von nichts!« – »Der Auftritt mit Ihnen« – begann Johann wieder – »hatte ihn in die furchtbarste Aufregung versetzt, er schäumte vor Wut –« – »Das sah ich noch!« warf Herr Haidvogel ein, »o, das sah ich!« – »Und er schrie: gleich mach' ich mein Testament, ich warte meinen Siebzigsten, Geburtstag meinte er vermutlich, nicht ab, und ich enterbe sie vollständig!« – »Es war also noch nicht geschehen« – versetzte Herr Haidvogel – »wie ihr Hunde ausgebracht hattet! Niederträchtig! Das gab meinem Kredit den Todesstoß!« – »Wir sagten« – erwiderte Johann kleinlaut – »was wir hörten und glaubten! Hätten wir das Gegenteil gewußt – –« »So hättet ihr« – unterbrach die Frau ihn bitter – »meinen Theodor zur Kirschenzeit zuweilen in den Garten gelassen, wenn der Onkel abwesend war, und er darum bat, weil die roten Beeren ihn so lockten!« – »Gewiß!« – entgegnete Johann mit einem dummen Gesicht – »das hätten wir getan!« – »Weiter!« drängte Herr Haidvogel. »O« – sagte Johann – »es ist gleich aus! Ich mußte zum Advokaten springen, und als ich zurückkam, lag er schon sprachlos da. Dann – genug, es ist vorbei!« – »Für ihn!« – versetzte Herr Haidvogel – »und für uns fängt's an. Hast du Geld bei dir? – »Zu Befehl!« entgegnete Johann und griff dienstfertig in die Tasche. »So bezahl' dem Menschen da, der Maulaffen an der Tür feil hält, das Essen! Heda, Kellner, dem Viehhändler seinen Taler, oder sind's zwei? zurückgebracht und über alles, was du hier gehört hast, auf deine gewöhnliche Weise reinen Mund gehalten! Ah, sieh! hättest du deine Mütze gleich beim Eintritt abgezogen, wie sich's gebührt, so könntest du sie jetzt wieder aufsetzen! Nun mußt du's freilich umgekehrt machen! Gute Nacht!« Der Kellner ging, auch Johann schickte sich zum Fortgehen an, vorher aber sagte er noch, die Köchin habe sich ins Bett gelegt und stelle sich krank, es sei aber nicht wahr, ihr fehle nichts, dann entfernte er sich. »Nun Frau« – rief Herr Haidvogel und zog sich an – »kann ich mein väterliches Haus jetzt wieder kaufen, von dem ich den Kindern einst, als wir mit ihnen daran vorbeigingen, zu deinem Verdruß weismachte, es sei noch mein, und ich hätte nur den Türschlüssel verloren, sonst würde ich sie hineinführen? Kann ich –« »Nichts kannst du« – versetzte die Frau, die inzwischen ihr dünnes Umschlagetuch umgenommen und sich zum Fortgehen angeschickt hatte – »nichts ohne mich, ohne meine Einwilligung kommt kein Pfenning in deine Hände, und ich werde dafür sorgen, daß das Jammerleben, das jetzt zu Ende ist, nicht wieder anfangen kann!« – »Wie? Was?« rief Herr Haidvogel mit offenem Munde, und war so überrascht, daß er den schon halb angezogenen Rock ganz anzuziehen vergaß und mit dem possierlich an der rechten Seite seines Leibes niederbaumelnden Kleidungsstück wie eine Vogelscheuche dastand. »Gewiß« – fuhr die Frau im bestimmtesten Ton fort – »du sollst mir tun, was dir gefällt, wenn dir mittags jemals wieder ein guter Braten auf dem Tisch fehlt, und wenn du des Abends wieder kalte Kartoffeln essen mußt!« – »Pah« – erwiderte Herr Haidvogel giftig – »wenn man nicht selbst Bankerott macht, so tun's andere, und man verliert sein Geld. Das ist das beste!« – »Darauf lass' ich's ankommen!« versetzte die Frau und ging. »Schöne Aussichten!« rief Herr Haidvogel und wandelte einige Male stillschweigend die Stube auf und ab. »Schmeckts?« rief er dann den Kindern zu, die sich längst über das Essen hergemacht hatten und setzte sich zu ihnen. »Galle macht Appetit! Ein neuer Beweis dafür!« murmelte er nach einer kleinen Pause der Untätigkeit und griff auch seinerseits zu. »Was ist's auch weiter?« – monologisierte er nun kauend fort – »ich bedinge mir ein Monatliches, das taten andere auch, und ehe sie's ins Wochenblatt setzen läßt, daß sie für meine Schulden nicht haftet, kann ich genug auf ihren Namen zusammenborgen! Heisa! Lustig! Was für Not?«