Gerhart Hauptmann
Tintoretto
Gerhart Hauptmann

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Im Künstlerlexikon von Nagler beginnt die Mitteilung über Jacopo Robusti mit der Feststellung, daß dieser Maler ein großer und eigentümlicher, aber leider sehr ungleicher Meister gewesen sei. Leider sehr ungleich – das ist ein Tadel. Robusti war eine Zeitlang in der Werkstatt Tizians. Als er sich selbständig zu machen begann, sollen über der Tür seiner ärmlichen Werkstatt die Worte zu lesen gewesen sein: »Il disegno di Michelangelo e il colorito di Tiziano.« Solche Bekenntnisse oder Grundsätze oder Richtlinien zeigen das Streben des Werdenden. Zwar läßt sich unschwer in den Zeichnungen Robustis das Michelangeleske feststellen, sie enthalten sogar selbst, wie aus dessen gigantischer Hand hervorgegangen, Studien nach Michelangelos Plastiken. Aber Robusti kennt oder ahnt sich vielleicht zu jener Zeit noch nicht und noch nicht die Schöpfung, die aus ihm wie aus der Macht eines Halbgottes hervorbrechen sollte.

Er lebte beinahe das ganze Cinquecento hindurch. Man mag sich die Kräfte vorstellen, die jenes Jahrhundert gewaltig aufdringen ließ. Der Sohn eines Färbers – darum Tintoretto genannt – schien sie alle gleichsam in feuerflüssigen Magmen zu vereinen und wie der Ätna gen Himmel zu schleudern. Dieser Meister, wird gesagt, soll mit dreierlei Pinseln gemalt haben: solchen von Eisen, solchen von Silber und solchen von Gold. Man hat die Bedeutung dieser symbolischen Charakteristik seiner Kunst bisher nur in sehr banalem Sinne entziffern können.

Will man zu dem mächtigen Heiligtum des Tintoretto durchdringen, so windet man sich zunächst durch viele Winkelgäßchen, gefüllt mit kleinen Händlern und Schulmeistern. Er hat sich, sagt der eine, ohne tiefere Studien in die Praktik geworfen und die venezianische Schule zuschanden gemalt. Er hat ein schönes Talent, sagt der andere, aber ein übertriebenes Streben nach Ostentation. Der dritte sagt: Man wird ihm die Achtung trotzdem nicht versagen. Freilich, seine Richtung war unglücklich. Da aber war eine Gruppe Maler, die nannten ihn »Il furioso Tintoretto« und »Fulmine di penello«, was dem Phänomen Robusti schon näherkommt.

Mit achtundsiebzig Jahren hat der Meister noch einmal sein Selbstporträt gemalt, ein Werk, vor dem man erschüttert steht. »Jacobus Tentoretus pictor Ventius ipsius f.« ist darauf zu lesen. Wir ahnen zugleich die furchtbaren Bedingungen, wie Goethe sagt, unter denen ein solches Genie zu schaffen berufen ist.

Dieser Tintoretto, ein menschliches Urweltwesen, ist ausgehöhlt. Er hat als Medium länger als ein halbes Jahrhundert im Dienste einer gnadenlosen Naturkraft gestanden. Er ist ein Helot der Götter, ein Zwangsarbeiter des Purgatoriums. Seine beiden aufgerissenen Augen, die zwei Kratern gleichen, sind vom Sehen nach innen und außen gleichsam verkohlt. Das furchtbare Ecce homo! wäre die rechte Unterschrift. Ja, in diesem Manne hat das Feuer seiner Berufung gerast. Hier bin ich! So bin ich! Das bin ich! sagt zu uns sein Altersporträt. Kommt alle herzu, mich anzusehen!

Ich habe meine Augen in meine Augen gebohrt! Seht mich an! Ich habe nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu suchen, nichts mehr zu wollen! Selbst auf die Beantwortung einer letzten Frage verzichte ich. Ich bin und war kein Genießer, kein Tizian! Ich bin ein von der Gottheit auserlesener und verbrauchter Arbeiter! Diese sprechende, von meinem unabwendbaren Berufe zeugende Maske ist übriggeblieben. Sie ist mein Führungszeugnis vor der Menschheit und vor Gott. Ruhe habe ich nie gekannt.

Aber wir werden uns mit diesem Resultat ohne das Mirakel nicht zufriedengeben, das damit verbunden ist. Schon allein dieses Selbstbildnis hat uns der banalen Gasse so weit entrückt, daß wir ihre Akteure kaum noch mit dem schärfsten Fernrohr zu sehen vermögen. Was für Aufgaben haben sich diesem Auserwählten aufgedrängt! Was für magische Strömungen sind durch ihn hindurchgegangen! Welche Mächte schöpferischer Gestaltungen haben in ihn hinein- und aus ihm herausgedrängt! Es ginge in jeder Beziehung über Menschenkraft, diese Fragen befriedigend zu beantworten.

Man hat neuerdings – war es vielleicht Frobenius? – einen Begriff geprägt: das Bilddenken. Da man sich von irgendeiner Seite dem Unfaßbaren immer wieder nähern muß, so nenne ich Tintoretto zunächst einmal einen Bilddenker. Und ich setze eine Behauptung hinzu: Er ist vielleicht der größte Bilddenker, den die Welt jemals besessen hat. Aber freilich, er hat nicht nur in Bildern gedacht, sondern auch in Bildern gefühlt. Er hat Bilder gedichtet, Bilder gestaltet und sie vor die staunenden Augen seiner Mitmenschen gestellt. Und fragt man, in wessen Mission, so verfällt man wieder auf den Gedanken der Welt als Purgatorium. Man sieht sie gestaltet, und alles in ihr, durch Schatten und Licht, durch den olympischen Zeus und seinen Bruder, dessen schwarze Sonne im Hades leuchtet. So entsteht für uns aus Schwarz und Weiß die Gestalt, entstehen für uns auch alle Farben. Wenn ich auf die Göttersymbole der Alten zurückgreife, so stehen sie hier keineswegs außer Zusammenhang. Ist doch der große Venezianer in der antiken Welt zu Hause wie in der christlichen Welt und zeigt oftmals beide untrennbar verbunden. So ist in ihm das Ringen um den Vorrang zwischen Olymp und Hades, Paradies und Hölle, Licht und Schatten der wesentliche Teil des gewaltigen Dramas, das er zum Ausdruck bringt. So versteht sich auch die Christusgestalt, die bei ihm überall ein nur schwach verschleierter Gott, ein Erlöserkönig ist, der in die Hölle herniedergestiegen ist und sie zum Purgatorium umwandelt. Dieses Drama der selbst für einen Gott kaum löslichen Aufgabe, den Versuch der Erlösung von Hölle zu Himmel, gibt überall Tintoretto, der bildgewaltige Mann.

Ein Drama bringt Tintoretto zum Ausdruck, wurde gesagt. Es spricht sich in beinahe unübersehbaren Bildern unübersehbar aus. Man muß es in seine Elemente zerlegen, in einige seiner Elemente zerlegen, um sich so auch zuletzt dem Ganzen zu nähern. In dieser Beziehung zunächst psychologisch vorzugehen, mag dem kritischen Fachwesen des Kunsthistorikers nicht entsprechen. Da es sich aber im Werke der Kunst letzten Endes um etwas Universelles und damit Unfachliches, Unbegreifliches handelt, wird man auch diesen Weg, sich ihm anzunähern, wohl gelten lassen.

Es ist ein Haupt, in dem diese ganze Farben- und Formenwelt entstanden ist. Ein früheres Selbstporträt Robustis zeigt ihn mit leicht geneigtem Kopf und auf der Brust gekreuzten Händen im Zustand versonnener Ergebenheit. Das Haupt dieses Mannes ist das eines pflichtgetreuen Arbeiters. Ebenso: seine großen, harten Hände scheinen eher die eines Schwerarbeiters zu sein, der mit Brechstangen Blöcke wälzt, sie mit Meißeln spaltet, vielleicht auch formt, als die eines mit Pinseln und Farben hantierenden Malers. Der Künstler sieht sich und stellt sich wiederum dar als Medium. Man ginge fehl, wenn man in dieser Selbstwiedergabe nur den allgemeinen Ausdruck einer christkatholischen Devotion sehen würde. Schweift das geistige Auge von dieser auf die Selbstdarstellungen Tizians, so zeigt sich in diesen der Souverän, einer, der Leben und Kunst wie ein Doge meistert, gegen einen, der Kunst und Leben in Demut – wir dürfen es ruhig aussprechen – als ein schweres Verhängnis trägt. Es ist leicht, den somnambulen Charakter von Robustis Kunst mit dem Hinweis auf seine überall zutage tretende Meisterschaft zu bestreiten. Aber das würde nur heißen, man unterschätze das universelle Wesen eines Schöpfungsprozesses, wie er im Haupt eines Großen von diesem Format wirksam ist. Und außerdem, er ist einmalig.

Die Elemente also des ganzen Werkes finden ihre Einheit in Tintorettos Haupt, und dort sind auch die Wurzeln der Elemente.

Es fällt kein Meister vom Himmel, wird gesagt. Im Grunde aber ist keiner, der nicht vom Himmel gefallen wäre! Es ist damit keineswegs gesagt, daß er niemals ein Schüler, niemals ein Lernender, niemals als Lernender fleißig war. Als Lehrling kopierte Robusti Tizian. Es ist schon gesagt worden, daß in seinen Anfängen über der Tür seines ärmlichen Ateliers der Wahlspruch stand: »II disegno di Michelangelo e il colorito di Tiziano.« Er soll vielfältig experimentiert haben, auch mit Wachspuppen und Laternenlicht. In der Tat ist das Rembrandtsche Helldunkel vor Rembrandt in Tintorettos Bildern zu Hause und also auf ihn zurückzuführen. Er soll die venezianische Schule zuschanden gemalt haben: das müßte denn sein, weil er im umfassendsten Sinne des Wortes Venezianer war und das ganze Wesen Venedigs in seiner Kunst ausdrückte.

So vergessen wir nicht, daß die Mutter und Lehrerin des armen kleinen Färberjungen zunächst vor allem und überall Venedig gewesen ist. Von dieser Mutter wurde er ausgetragen, von ihr gesäugt, sie war ihm Erzieherin, war ihm Lehrerin. Er hatte auch später alles von ihr, soweit erkennbare Quellen in Frage kommen. Aber sie hat sich in diesem Sohn ihren höchsten, ruhmvollsten Ausdruck geschaffen, gleichsam in einem Bilder- und Seelensturm, in dessen allmächtigem Atem sie heut noch lebendig ist.

Was war, dies wäre nun ungefähr zu umreißen, Venedig? Um ein Bild zu gewinnen von dieser Stadt, muß man von ihrem Ursprung, von ihrem Werden und Wachsen, von den Quellen ihres Reichtums und ihrer Macht reden. Man muß von ihr als einem Juwel unter den Städten, als von einem Wunder aus den Tausendundeinen Nächten reden, darin, abgesehen von der italisch-griechischen Renaissance, von der christlich-römisch-griechischen Renaissance, Orient und Okzident unlöslich verbunden gewesen sind.

In dies alles wächst ungefähr die Seele eines Venezianers hinein. Sie wird davon imprägniert und penetriert, sie nimmt das Geistwesen dieses Städteschicksals an sowohl im Bewußten als Unbewußten. Und dies ist der gleichsam magische, unsichtbare Schoß, aus dem die Geburten venezianischer Kunst hervorgehen. Seelenanalyse von einer Art, die heut noch nicht vorhanden ist, könnte vielleicht die unsichtbaren Keime der grandiosen venezianischen Bildgeburten sichtbar machen. Näherliegend und leichter gangbar ist die Analyse durch die Bildgestaltungen selbst, deren Wesen ja Sichtbarmachung bedeutet. Ich zweifle nicht, daß man diese Art, sich dem Werk eines Tintoretto geistig begreifend anzunähern, im Lager der Fachgelehrten verwerfen wird. Ihr Fach ist ausschließlich die Malerei. Wenn nun aber eine geistige Konzeption durchaus nicht notwendigerweise Farbe ist, so ist hingegen doch jede Kunst, auch die der Malerei, durch und durch geistgeboren. Hier also liegt ihre Voraussetzung, und wir sind berechtigt, bei ihr zu verweilen.

Zum Wesen Venedigs, wie es Robusti und seine Zeitgenossen erlebten, gehört vor allem Prunk, Pracht, Festivitas. Der Prunk bedeutet: Gold, Juwelen, Brokate, kostbare Pelze; die Pracht bedeutet: Paläste, Kirchen, die von San Marco an der Spitze, Entfaltungen von beinahe grenzenlosem Reichtum bei den Festen der Stadt und des Kirchenjahrs, bei den Sitzungen des Großen Rats, bei den feierlichen Banketten. Die Architektur und nicht zuletzt die Malerei selbst geben den Begriff davon. Man mag Paolo Veronese betrachten. Der Geist dieses Prunks, der Geist dieser Pracht und der Festivität, überquellender Reichtum und der Ausdruck Venedigs übertrugen sich sogar auf die an sich schlichten Legenden des Christentums, das somit zugleich venezianisch wurde. Aber von hier aus vielleicht enthob sich das Wesen des venezianischen Reichtums der bloßen Protzerei, indem sich dem Geltungsbedürfnis hohes Pathos beimischte. Es wurde das venezianische Pathos geboren, wodurch das Bedürfnis des Reichtums, mit sich zu prunken, Würde erhielt und geadelt wurde. Tintoretto schwelgt vielfach darin.

Durchaus natürlich ist es ihm nicht. Venedig ist auf Pfählen über das Wasser gebaut. Seine früheste Form waren primitive Pfahlbauten. Die Fischer und Schiffer der Steinzeit führten ein Leben der Armut und Not. Es ist von da bis zum Prunk des Dogenpalastes ein weiter Weg. Aber es ist nicht jeder ein Doge, der in Zeit und Bereich des Palastes wohnt. Und ein Blick auf das Altersbild Robustis und auf das frühere mit den gekreuzten Händen auf der Brust zeigt, daß er eher unter die Geschlechter gehört, welche die Pfahlbaudörfer schufen und in schwerer Arbeit die Pfähle des Dogenpalastes und der übrigen in die Lagunen rammten. Aber der Himmel hatte nun einmal die Caprice, seine Seele so mächtig auszugestalten, daß sie den weiten Bogen, ich möchte beinahe sagen, vom Galeerensklaven bis zum Dogen spannen konnte.

Das Pathos des Robusti verleugnet seine Abkunft nicht. Man könnte darüber viel sagen, auch daß es zur leeren Manier da und dort ausartet. Nein, es artet bei ihm nicht dahin aus; aber Bejahung und Verneinung gemeinsam führen hier auf die rechte Spur. Immer ist es das Ganze von Robustis Malerei, und auch das Pathos hat durchaus seine wertvolle Funktion. Aber soweit das Pathos des Robusti, und zwar in den antikisierenden Teilen seines Werkes, Schule macht – und es hat in der Tat Schule gemacht –, ist es oft entartet, der Leere verfallen. Die pathetisch-antikischen Konzeptionen des Meisters finden üble Nachahmer bis in die neueste Zeit.

Tintoretto hat Schule gemacht. Dieser Satz ist in einem Sinne wahr, den nur eine längere Betrachtung darlegen könnte. Wenige Maler und Künstler überhaupt haben wie er Schule gemacht. Es wird vielfach eine Verwandtschaft zwischen Michelangelo und Robusti festgestellt und erklärt, dieser erreiche die Größe des Meisters nicht. Aber ich wage die Behauptung, Michelangelo habe keine Schule gemacht. In der Bildhauerei bis ins späte Barock hinein findet er keinen Nachfolger, sondern nur Nachahmer. Einmalig stehen Michelangelo und Robusti nebeneinander. Mögen immerhin gewisse Motive Michelangelos eingegangen sein: sie sind zugleich darin aufgegangen. Tintoretto-Robusti hat Augen gehabt, und wie sollte er da nicht die Fresken der Sixtina betrachtet haben! Die erhabene Ruhe indes, die Buonarottis Seele heiligte und mit deren Grunde noch die bewegtesten seiner Gestalten erfüllt waren, kannte Robusti nicht. Michelangelo war vor allem Bildhauer. Sein schöpferischer Meißel beließ Stein als Stein; nie wurde sein Marmor zu flüchtig-dramatischer Lebenstäuschung aufgeregt. Dagegen ein Samum, ein Glutwind, ein Sturm der Gestaltung, ein wütendes Werden gleichsam war Robustis Seele. Sie schleuderte unersättlich Bildgeburten gewissermaßen chaotisch aus sich heraus. Hat das Werk Tintorettos auch als Ganzes Schule gemacht – hinter ihm liegt das des Rubens, in dem gleichsam das Werk Tizians durch Tintoretto hindurchgegangen und mit diesem in einer neuen künstlerischen Macht verbunden eine Renaissance feiert. Gewaltig genug ist diese Renaissance, aber weder ein Tizian noch ein Robusti können bewirken, daß nach ihnen ein Rubens geboren wird. Und so erstreckt sich die Schule Robustis auf viele zwar wichtige, aber kleinere Meister, die aus dem vielfältigen Ringen Robustis um das Allgemeine der Malerei sich durch Einzelheiten des Gelingens bereicherten.

Il furioso Tintoretto wurde der Meister von seinen Kollegen genannt. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, dieses »furioso« beziehe sich ebenso auf das freie Auswirken seiner Meisterschaft wie auf das zugrunde liegende Studieren und Experimentieren. Freilich ist dieses nur zu ahnen und bleibt an sich unsichtbar. Außer vielleicht, wenn Handzeichnungen des Meisters in dem, was ihm michelangelesk erscheint, Plastiken Buonarottis nachbilden oder wenn Gestalten seiner Bilder voraussetzen lassen, daß er die Stanzen Raffaels und die Sixtinische Kapelle gesehen haben wird. Jemand sprach, das Ganze seiner Bilder und seines Werkes meinend, von einer gottgewollten Unruhe. Andere reden von einem Bewegungstaumel und -rausch, und sicher ist, daß sein machtvolles, vielfach scheinbar chaotisches Leben jedes Rahmens zu spotten scheint. Dieser allgemeine Eindruck wird aber seltsamerweise durch Einzelheiten von beinahe plastischer Ruhe hervorgebracht. Und hier lassen sich die Probleme studieren, welche Tintoretto beschäftigten: so etwa im Zeichnerischen das Perspektivische, die Bewegung, der Raum; im Malerischen das Helldunkel, wiederum der Raum, die Zeichnung durch Farbe; das psycho-physiognomisch-dramatische Problem und der Ausdruck des Übernatürlichen, also des Wunders, und damit die Suggestion, an fliegende Menschen und Götterwesen zu glauben, auch jene, die Menschen, sprechen, rufen, schreien, flüstern zu hören, desgleichen ihr Beten und ihr Weinen. In der erreichten Lösung aller dieser Probleme ist Tintoretto für die späteren mehr als drei Jahrhunderte bis zu uns Vorbild geblieben.

Setzen wir einmal das voran, wo die Darstellung des Lebendigen mit der größten Ruhe verbunden ist: das Porträt, zumal das Männerporträt. Hier stehen Tizian, Robusti und Rubens hinter- und nebeneinander. Aber Robusti ist auf diesem Gebiet des malerischen Ausdrucks vor- und nachher, wenn erreicht, so doch nie übertroffen worden. In manchen dieser Bildnisse, zum Beispiel dem eines Senators, zeigt sich das meisterhafte Hervortreten malerisch neuer Ausdrucksmittel. Als Bildnismaler verschwindet übrigens Tintoretto durchaus im Objekt, das an sich beherrschend wird. Er geht in seinem Modell unter, das durch dieses sein Opfer unsterblich lebendig wird. Kein Rubens, Frans Hals oder Rembrandt darf sich rühmen, dieser malerischen Gestaltungskraft im geringsten überlegen zu sein. Sie erreichen kaum die Anonymität, die hier wirksam scheint und der ähnlich ist, die unsichtbar schöpferisch in der Natur waltet. Da haben wir ein Ritratto di vecchio, ein Ritratto di ammiraglio veneziano, irgendein Ritratto virile und nun ein Ritratto di Battista Morosini von mehr als niederländischer Kraft, eine volle lebendige Gegenwart, einen Mann, dessen Art und Lebensführung man ohne Mühe erkennen kann.

Man kann niemand von Tintoretto einen Begriff geben, der seine Werke nicht kennt, geschweige jemandem, der, unsere große europäische Malerei betreffend, keine Vorbildung hat. Nur wer diesen unumgänglichen Anforderungen genügt, wird den Hinweis auf einen immerhin seltsamen Umstand verstehen, daß in der Bildnismalerei das spezifische Stilmoment eines Meisters, bei Robusti demnach das Barock, am wenigsten zum Ausdruck kommt. Bekanntlich hat Greco dieses Stilistische Robustis übernommen und in Übertreibungen sich zu eigen gemacht. Frei von diesem Stilmoment und nur der reinen Malerei huldigend, zeigt sich Robusti auch auf einem Gebiet, das die späteren Niederländer als sogenanntes Stilleben kultivierten. Es betrifft die Wiedergabe von Gegenständen, Humpen und Kesseln von Metall, leeren oder gefüllten Gläsern und Glasflaschen, hölzernen Tischen, Tischtüchern, Früchten, Blumen und was noch sonst, die ohne Eigenbewegung sind. Bei solchen verweilt der Meister mit besonderer Hingabe und schwelgt dabei ohne irgendein vorgefaßtes Formprinzip in nur sachlicher Malerei. In Rücksicht auf diesen Teil seiner Bemühungen drängt sich die Frage auf, ob nicht Robusti von hier aus eines Tages seine Ausdrucksmittel überhaupt reformiert und das festlich-prunkende, pathetisch-venezianische Barock eingeschränkt, ja zurückgedrängt haben würde, wenn er, statt etwa achtzig, einhundertfünfzig Jahre lang tätig gelebt hätte. Freilich standen dawider sein dramatisches Temperament und die Fülle der legendären Gegenstände der kämpfenden christlichen Kirche sowie der mythischen, der griechisch-römischen Götter- und Heroenwelt. Vor allem aber der Reichtum Venedigs, der seinen festlich-prunkenden Ausdruck verlangte. Man weiß, was ich meine, wenn man von hier einen Blick auf den später lebenden Rembrandt wirft, der freilich kein Venezianer war, aber doch ein ähnliches Stoffgebiet ohne barocke Pathetik bewältigte. Aber diese Frage mag müßig sein, denn das Werk Tintorettos, so wie es ist, entstand folgerichtig und notwendig.

Wir haben den Namen Rembrandt genannt. Das bringt uns auf die Probleme des Helldunkels. Und wir erkennen, wie lange vor Rembrandt Tintoretto dieses Problem gestellt und mit universeller Macht und Vielfalt bewältigt hat. Die Schuppen fallen uns von den Augen, wenn wir vor malerischen Emanationen wie La discesa di Cristo al limbo und vielen anderen, vor allem dem Abendmahl von San Giorgio Maggiore stehen.

Ich nannte das psychisch-physiognomisch-dramatische Problem. Seine Lösung ist Tintoretto natürlich. Die psychischen Kontakte der Personen gehen über das Bewegungsmoment des Barock weit hinaus. Sie sind nicht Stil, sie sind gemeingültig. Es gibt, besonders auf gewissen Abendmahlsbildern, eine Spannung, einen Sturm der Bewegung, der wohl hie und da in einem fliegenden Wesen symbolisiert, jedoch unsichtbar ist. Der Grund dieses Umstands liegt im Wunder der Kunst. Außer ihm würde man ihn vergeblich suchen. Was übrigens dem Werke Robustis den barocken Charakter gibt, liegt nicht in allen Arten seiner Figuren, wesentlich aber in denen, welche das meiste Studium und das meiste Bewußtsein zeigen. Wären sie nicht von der Hand eines solchen Meisters gebildet, so müßte man sie affektiert, ja geziert nennen. Ziererei, Affektation, Barock – das eigentliche Drama in Tintoretto, wie gesagt, enthält nichts davon. Es ist das gleiche Rätsel, das es bei dem späteren Rembrandt ist. Der unmittelbarste Ausdruck psychisch-dramatischer Kontakte sind die Hände. Tintorettos Hände und die Rembrandts späterhin lohnen ein Studium. Man sehe das Gewirr beseelter Hände auf der linken Seite des Miracolo di San Marco oder die Hand, die das Buch faßt, in La pala di San Marziale, die umleuchtete Hand Gottes in La creazione degli animali – übrigens ein Bild von erschütternder Schicksalsdüsternis und Melancholie. Man sehe die predigende Hand in L'invenzione del corpo di San Marco, die Hände Mariens, die Hände an den Abendmahlstafeln, die Hände des schlafenden Jesus in der Nacht auf dem Ölberge, man sehe die Hände seiner Porträts! Veronese, der kein Dramatiker ist, versagt bei den Händen. Tintoretto malt sprechende Hände. Man hat sich über die Sprache der Hände vielfach lustig gemacht. Hier aber zeigt sich das Wunderbare, daß sie vornehmlich dem schweigenden Bilde Sprache zu geben imstande sind.

Die Gemälde Tintorettos sind in der Hauptsache Wandbilder. Irgendwie durchdringen einander in ihnen die griechische und die christliche Mythologie, und zwar auf venezianische Weise. In dem dritten Element, nämlich Venedig, sind die beiden anderen aufgelöst.

Das Griechische ist nicht nur dort, wo es oft im wahrsten Sinne des Wortes nackt zutage tritt, also nicht nur bei Luna und den Horen, bei den Musen, bei Merkur und den Grazien, bei Bakchos, Ariadne und Venus oder Minerva, bei der Schmiede des Vulkan, der Entstehung der Milchstraße und ähnlichem, auch nicht bei den Allegorien allein. Sondern es ist auch beim Sündenfall, bei der Umgebung Christi, ja in ihm selbst. Ebenso ist es bei den Märtyrern und Heiligen. Man sehe die Bilder um die heilige Katharina, zum Beispiel ihre Vermählung, an.

Der Jesus des Tintoretto ist niemals ein bloßer Mensch. Er tritt aus der Sphäre der Halbgötter oder Heroen nie heraus. Selbst bei der Kreuzschleppung umgibt sein Haupt ein Heiligenschein, ans Kreuz erhoben, seinen Oberleib eine Emanation von Strahlungen. Bei der Kreuzigung in der Münchener Älteren Pinakothek umkreisen ihn leuchtende Ringe und anbetende, schwebende Engel im äußersten konzentrischen Kreise. Der Jesus des Tintoretto vergißt insofern meist seine Aufgabe, bloßer leidender Mensch zu sein, als er sich überall souverän gebärdet und vielfach in dem Sinne beinahe ketzerisch, als er weniger auf der Erde schreitet als über ihr schwebt. So ist überhaupt das Gesetz der Schwere in dem Werke Robustis allenthalben fast aufgehoben, und was trotzdem an der Erde haftet, löst sozusagen ein waagerechter Sturm der Bewegungen von ihr los.

Gäbe es eine Luft, in der die Elemente Venedigs, meergeborene Herrschaft und Macht, orientalische Prunk- und Prachtliebe, wie sie in Kirchen und Palästen zum Ausdruck kommt, und anderes aufgelöst wären, mit allem Gold, allen Juwelen, allem Stolz, aller unersättlichen Wollust und souveränen Genußsucht der Lagunenstadt, so wäre dies Element eben das, worin Tintorettos Bilder leben. So ergibt sich der Schluß, daß seine Götter, seine Heroen und Heroinen, seine Madonnen, Apostel, Heiligen und Märtyrer in einem gewissen Sinne Kinder Venedigs sind, der Heiland selber nicht ausgenommen.

Als Robusti begann, war er unbegütert, will heißen: arm. Aber man sagt, er habe gesungen und etwas wie Mandoline gespielt und sei zu lustigen Streichen aufgelegt gewesen. Der Mann, dessen erschütterndes Altersporträt hier berührt worden ist – es zeigt ihn von übermenschlicher Arbeit ausgebrannt und ausgehöhlt –, ist trotzdem gewiß kein Asket gewesen. Das Ganze des Lebens, und zwar gesteigert, kochte in ihm. So ist er im Kultus der Schönheit, im Kultus der Liebe, im Kultus des Weibes, überhaupt des Eros in jeder Gestalt, hinter keinem Künstler der Renaissance, auch nicht hinter Tizian, zurückgeblieben, hinter Tizian, der ihm seinerseits in die spezifisch Robustischen Gebiete nicht folgen kann.

Mit alledem ist über das letzte Wesen dieses künstlerisch ungeheuren Phänomens noch nichts ausgesagt. Wer ihn verwildert, wirr, chaotisch, formlos nennt, der hat sich mit der vollendeten Klarheit und Kühle der durchgebildeten herrlichen Einzelheiten abzufinden. Vielfach erscheint es als Rätsel, wie dabei der Bewegungssturm dieses Riesenwerkes zustande kommt. Il furioso, meinethalben, jawohl – aber dann mag man auch die gelassene, kühle, ruhig verweilende Meisterhand in ihrer sicher geduldigen Kraft der Einzelheit nicht außer acht lassen. Tintoretto – der ganze Rembrandt steckt in ihm, wodurch Rembrandts Meisterschaft und Eigenart nicht geschmälert wird – besagt eine schier allmächtige Schöpferkraft. Seine Aufgabe war die Gestaltung der Bemalung beinahe unzähliger Wandflächen. Es scheint fast unmöglich, bei dieser Fülle und diesen Größenverhältnissen noch irgendwie intimere Wirkungen zu erzielen. Und doch sind sie da und teilen sich mit. Es ist undenkbar, genau so wie bei großer Musik, die katarakthafte Fülle der Gestaltungen und ihre Einzelreize auszusprechen. Die universelle Vielfalt ist Grenzenlosigkeit. Auf seine spielende Bewältigung gewisser Verkürzungen hinzuweisen erübrigt sich. Es fällt selbst dem Laien in die Augen. Vielleicht wurden die Maler von Deckengemälden durch die Notwendigkeit gewisser Fernwirkung darauf hingeführt. Robusti malte in seinem Alter das Abendmahl von San Giorgio Maggiore. Dieses mächtige Werk könnte von Rembrandt sein, wäre es nicht mit einer so selbstverständlichen Leichtigkeit hingeschrieben.

Ich lege nun meine Feder weg. Einer solchen Erscheinung sich anders als im einzelnen annähern zu wollen macht kleinmütig. Wäre ich Maler, würde ich es noch mehr. Allzuviel, ja fast alles hat er vorweggenommen, was Maler ihm nachmalten bis zur Gegenwart. Selbst der sogenannte Kitsch hat ihn ausgebeutet. Überaus seltsam sind seine Landschaften. Da haben wir wieder das im Anfang erwähnte Purgatorium; denn man könnte sie wohl als Hadeslandschaften ansprechen.

 

Vorstehendes war geschrieben, als ich das Werk von Henry Thode über Tintoretto in die Hand nehmen konnte. Da ich, wie ich gestehen muß, zwar einzelnes von Tintoretto in Venedig immer wieder gesehen, aber so gut wie nichts über ihn gelesen hatte, ist es mir nicht uninteressant zu erkennen, wie nicht ganz unrichtig besonders nach der vorjährigen Ausstellung in Venedig ich das Phänomen Tintoretto aufgefaßt und beurteilt habe. Folgendermaßen wird von Thode Vasari zitiert:

»In derselben Stadt« – Venedig – »und fast zur selben Zeit (wie Battista Franco) war und lebt noch heute ein Maler genannt Jacopo Tintoretto. Derselbe erfreut sich allseitiger Begabung, ganz besonders auch in der Musik, die er auf verschiedenen Instrumenten betreibt, und ist zudem in allem seinem Tun und Wesen liebenswürdig, in der Malerei aber seltsam launenhaft, schnell entschlossen, ja der gewaltsamste Geist, den je die Malerei besessen, wie man an allen seinen Werken und an den phantastischen Kompositionen sehen kann, die er ganz anders als alle anderen Maler und abweichend von dem Hergebrachten gemacht hat; ja, er hat das Seltsame selbst noch übertroffen durch neue und wunderliche Erfindungen und absonderliche Grillen seines Geistes. Willkürlich und planlos arbeitend, hat er so gleichsam gezeigt, daß diese Kunst nur Spaß ist. Zudem hat er bloße Skizzen für vollendete Werke ausgegeben, so aus dem Groben gearbeitete Dinge, daß die Pinselstriche mehr durch Zufall und Bravour als durch Plan und Urteil hervorgebracht erscheinen. Er hat auf alle Art sich in der Malerei betätigt, in Fresko und in Öl, in Porträts und zu jedem Preise, so daß er in dieser seiner Weise den größten Teil der Gemälde, die in Venedig ausgeführt werden, geschaffen hat und noch schafft. In seiner Jugend zeigte er in vielen schönen Werken eine hohe Urteilskraft. Hätte er die große Begabung, welche die Natur ihm verliehen, erkannt und sie durch Studium und Einsicht entwickelt gleich jenen, welche dem schönen Stil ihrer Vorgänger gefolgt sind, und hätte er nicht, wie geschehen, den Weg der Routine eingeschlagen, so wäre er einer der größten Maler, die Venedig je gehabt, geworden. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß er nicht ein kühner und guter Maler und ein Mann von lebendigem, erfinderischem und edlem Geiste ist.«

Es ist sofort klar, was auch Thode feststellt, daß alle Urteilsvarianten der Kunstgeschichte auf diesen Passus bei Vasari zurückgehen. Ich darf das sagen, nicht weil ich von Seiten der Kunstgeschichte her zu Tintoretto gelangt wäre – das Gegenteil habe ich bereits festgestellt –, sondern weil er eine Musterkarte ist für die oberflächlichen und fixen Urteile, die dermaßen in der Luft herumschwirren, daß niemand, der mehrmals vor Teilen des Werkes Robustis gestanden und dann etwa da und dort obenhin Gedanken über ihn mit dem und jenem ausgetauscht hat, sie zu übersehen oder zu überhören imstande ist.

Die einleitenden Sätze dieses Abschnitts wollen somit nur sagen, daß mir das schnellfertige Urteil Vasaris sich irgendwie aus der überall gegenwärtigen Fama über den Meister fast greifbar herauskristallisiert hatte und daß dieser Kristall, wie ein solcher von Eis unter der Wirkung der Sonne, sich unter der Wirkung des Riesenwerkes von Tintoretto in nichts auflöste. Freilich geschah, was mir geschehen, den meisten Betrachtern des Werkes nicht. Wir entnehmen dem Umstand die traurige Tatsache, daß die ganze gegenwärtige Gewalt eines Genius gegen den schiefen, schielenden Blick vererbter Augenschwäche und traditionellen Dünkels, verbunden mit unzulänglicher Teilnahme, nichts vermag. Gegen diese Mächte, die irgendwie vielleicht in der Tradition des Geisteslebens möglicherweise ihre Bedeutung haben, war jedenfalls das noch absolut gegenwärtige, staunenerregende Werk Tintorettos ohnmächtig.

Es sei mir erlaubt, statt aller subjektiv-oberflächlichen Urteile, die sich wie ein verwirrender, fratzenschneidender Nebel entstellend zwischen Beschauer und Werk bewegen und erhalten wollen, die Sätze Vasaris zu glossieren.

Er sagt auf Tintoretto bezüglich: »Derselbe erfreut sich allseitiger Begabung, ganz besonders auch in der Musik . . .« Er faßt also Tintoretto als Universalgenie. Wenn es nun aber auch ganz gewiß nicht in seiner Absicht lag, so ist es für Anderswollende dennoch leicht, aus dem »ganz besonders auch in der Musik« herauszulesen, daß Vasari ihn für einen größeren Musiker als Maler hielt.

Hierdurch und durch das folgende Lob seiner Instrumentalkenntnis wurde viel Unfug angestiftet. Besonders noch durch die Wendung, hierin wäre er liebenswürdig gewesen, aber in der Malerei seltsam launenhaft.

Was auf das »seltsam launenhaft« folgt, war geeignet, ein geringschätziges Urteil zu annullieren. »Seltsam launenhaft, schnell entschlossen, ja der gewaltsamste Geist, den je die Malerei besessen«, sei Tintoretto gewesen, »wie man an allen seinen Werken und an den phantastischen Kompositionen sehen« könne, »die er ganz anders als alle anderen Maler und abweichend von dem Hergebrachten gemacht« habe. Klingt das nicht, wie wenn man möglicherweise aus Konjunkturgründen ein allerhöchstes Lob verhüllt einschmuggeln will? War damals Tizian und der ganze Maler-Olymp noch am Leben? Denn dann folgen gleich die »absonderlichen Grillen seines Geistes«. Es heißt, Tintoretto arbeite »willkürlich und planlos«, als ob seine Kunst nur Spaß sei.

Wenn er dadurch die Neider des Meisters in etwas beruhigt, so kann man das Folgende sowohl in dieser Beziehung beruhigend als auch doppelsinnig auffassen: »Zudem hat er bloße Skizzen für vollendete Werke ausgegeben, so aus dem Groben gearbeitete Dinge, daß die Pinselstriche mehr durch Zufall und Bravour als durch Plan und Urteil hervorgebracht erscheinen.« Wer ahnt in diesem Satz nicht eine damals weit voranschreitende, höchst moderne malerische Entwicklung? Sie ist in dem, was ich über gewisse Porträts und Stilleben Tintorettos angedeutet habe, vorher berührt. Zu den sogenannten bloßen Skizzen, aus dem Groben gearbeiteten Dingen mit zufälligen Pinselstrichen und Bravour gehört zum Beispiel das herrliche Altersbild des Meisters, das im Louvre hängt und von dem die Rede war.

Im Folgenden wird den älteren Mächten, vor denen man sich ohnedies in Ehrfurcht beugt, ein Versöhnungsbrocken hingeworfen, wenn es heißt: »In seiner Jugend zeigte er in vielen schönen Werken eine hohe Urteilskraft. Hätte er die große Begabung, welche die Natur ihm verliehen, erkannt und sie durch Studium und Einsicht entwickelt gleich jenen, welche dem schönen Stil ihrer Vorgänger gefolgt sind, . . . so wäre er einer der größten Maler, die Venedig je gehabt, geworden.« Aus diesen Sätzen keimte, wuchs und wucherte der fette Irrtum von dem mit Tintoretto gegebenen sogenannten Verfall der venezianischen Malerei.

Im übrigen erreicht Vasari hier mit den Worten: »Hätte er die große Begabung, welche die Natur ihm verliehen, erkannt«, einen geradezu hohen Gipfel unverschämter Lächerlichkeit. Er kann das mit den Worten nicht wettmachen: »Damit soll aber nicht gesagt sein, daß er nicht ein kühner und guter Maler und ein Mann von lebendigem, erfinderischem und edlem Geiste ist.« Was wird wohl Tintoretto beim Hören oder Lesen eines solchen Urteils gefühlt und gedacht haben?

Und: ». . . hätte er nicht, wie geschehen, den Weg der Routine eingeschlagen . . .« Wenn wir diesen Passus aus den Expektorationen des Vasari herausnehmen, so könnte es sein, weil die unendliche Fülle der Schöpfungen Tintorettos, die Leichtigkeit seines Schaffens und die Schnelligkeit seiner Schöpferhände den Verdacht der Routine stützen könnten. Bei der Geistesverfassung und der Bedingtheit Vasaris durch äußere Umstände und Rücksichten wird er die Frage, ob hier eine Art Wunder vorliege oder nur Routine, schon der Bequemlichkeit wegen so, wie er es tat, entschieden haben.

Tintoretto also soll seine Kunst durch Routine erniedrigt haben. Es soll ihm an Plan und Urteil gefehlt haben. Im Punkt der Routine ist zu sagen, daß ein Meister, der sich Aufträgen, wie sie Venedig erteilte, gegenübersah, als Grundlage ein gleichsam summarisches handwerkliches Können gehabt haben muß. Er wird auch, was selbstverständlich ist, in seinen mit gewaltiger Arbeitskraft gewaltig zu bewältigenden Aufgaben bei der Arbeit ermüdet sein. Auch der große Homer hat, wie man weiß, mitunter geschlafen. Dann ist möglicherweise das Handwerk eine Zeitlang mechanisch weitergegangen. Die Stellen zu finden, wo es geschehen ist, wird selbst dem unbelasteten Nachprüfer vielleicht aus Mangel ausdauernder Kräfte unmöglich sein.

Überhaupt, dies ist nicht die Art, sich einem Phänomen wie dem Werk Tintorettos anzunähern. Es handelt sich dabei um ein Ganzes, und die Einheit, die es darstellt, will erkannt werden. Die Art des Erkennens ist allerdings durch die in solchen außergewöhnlichen Dingen uns innewohnenden Möglichkeiten bestimmt. Das einigende Erkenntnismoment dürfte über die Sphäre eines überzeugenden Gefühls nicht hinausgehen. Selbst die Wissenschaft, also die Kunstgeschichte, kommt über solche Gefühle kaum hinaus. Das Element, in dem sich alle Gestaltung Tintorettos einigt und löst, ist durchaus von dem unterschieden, das bei Rubens oder Rembrandt ebendiese lebendigen Funktionen hat. Jeder indessen muß Schiffbruch leiden, der aus der Sphäre der Empfindung heraustreten und reale Beweise für diesen Umstand bringen wollte. Dieses Einheitswesen hat weniger mit dem Geiste als mit der Seele an sich Ähnlichkeit. Ein solches unsichtbar-sichtbares Element liegt auch zum Beispiel großer Musik zugrunde. Einer Symphonie kommt man wohl nahe, wenn man sie Takt für Takt studiert, aber auch nur dann, wenn dies lediglich zu dem Zweck geschieht, das Ganze als Ganzes lebendig zu machen.

Nun haben wir jenen Satz des Vasari: Robusti habe geglänzt, besonders auch in der Musik. Man sagt von Rubens, daß er gern unter Musikbegleitung gemalt habe. Wüßte man etwas von Robustis Musik, ihrer Komposition und Exekution, so würde man vielleicht eine tiefe Quelle seiner Kunst entdeckt haben, die, in das malerische Werk geleitend, eine Erschließung ohnegleichen bedeuten könnte.

»Meine Bilder sollt ihr nicht beschnüffeln. Die Farben sind ungesund«, soll Rembrandt einmal gesagt haben. Und doch treibt man noch allenthalben kunstgeschichtliche Farbenschnüffelei.

Die schönsten Farben, hat Tintoretto gesagt, sind Schwarz und Weiß. Mag sein, daß ich mich freien Meditationen hingebe, wenn ich diesem Ausspruch eine hohe Bedeutung beimesse. Er führt auf das Helldunkel-Problem, das Tintoretto und Rembrandt gemeinsam ist. Ich sagte einmal, Robusti male das Purgatorium. Um zu begreifen, was ich meine, betrachte man das Bild Die heilige Magdalena in Landschaft der Scuola di San Rocco, noch besser Die heilige Maria Aegyptiaca in Landschaft ebendaselbst. Von der Bercken spricht von einem allgemeinen Kampf der Lichter und Dunkelheiten bei Tintoretto. Das ist aber der Kampf zwischen Schwarz und Weiß. Er offenbart einen Zustand, in dem der Himmel nicht Sieger und die Hölle nicht Siegerin ist, nämlich das Drama von Licht und Finsternis.

Tintoretto ist gläubiger Katholik. Der tiefer empfundene Teil seines Werkes, was den sogenannten Stoff anbelangt, schließt sich um das Neue und Alte Testament und das Martyrium Jesu, des Gottessohnes, in der Welt. Nun aber, davon abgesehen, daß antike Gegenstände, vornehmlich aus dem Mythos des Griechentums, im wahren Sinne des Wortes bei ihm Fleisch geworden sind, ist alles, die Heiligengeschichte, sein Christentum überhaupt, ja Christus selbst, aus der mehr griechischen als römischen Renaissance geboren. Er gibt dieser Renaissance den neuen Ausdruck, der, wie schon bemerkt, unlöslich mit dem Geist seiner Vaterstadt verbunden und sein Ausdruck ist. Wo ist ein anderer Heiliger gleichwie Marcus in Venedig als beherrschender Stadtgott wiedergeboren? Diese Stadt hat ihr eigenes, hat ihr griechisch-römisch-orientalisches Heiden-Christentum. Es läßt sich im Werk Tintorettos überall feststellen. Bei Tintoretto, wie schon gesagt, ist Jesus, auch auf der Erde wandelnd, nur ein wenig verkleideter Gott. Man möge die sogenannte Versuchung ansehen, wo der Teufel ein verführerisch schöner, verlockender Jünglingsknabe ist.

Ich will nun auf nicht weniger hinaus als der Vermutung Ausdruck geben, es sei in Robusti ein unberührter, meinetwegen atavistischer Grund griechischen Göttererbes zurückgeblieben, irgendwie ein starker Rückstand Großgriechenlands. Dann hatte er etwa den Gegensatz von Olymp und Hades in der Brust. Der Hades-Zeus und der des Olymps waren Brüder, ausgedrückt in Schwarz und Weiß. Auch Dionysos trägt den Hades als Gloriole um sich, mitten im Licht. Die Fackeln waren dem Hades heilig. Das will so viel sagen wie jede Art die Nacht erhellenden künstlichen Lichtes. Wer wüßte nicht, daß jede Tragödie wesentlich nachtgeboren ist, auch die Jesu Christi, die Robusti überall in das Ringen von Tag und Nacht verwickelt. Vielleicht daß Robusti der Gedanke gekommen ist, die Nacht sei nicht minder wichtig als das Licht. Der Zeus des Hades und seine Macht wurden vom oberen Zeus des Olymp als furchtbar und überlegen empfunden. Wer könnte sagen, ob Schatten oder Licht wichtiger ist? Ohne Schatten, das ist gewiß, kommt keine Gestalt oder Form zustande.

Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar . . .

Mit einem Wort: es zeigt sich bei Tintoretto eine Vertrautheit und eine Liebe zur Nacht, dem Schwarz. Und eine Vertrautheit und Liebe zum Licht, dem Weiß. »Aus Schwarz und Weiß«, sagt Ernst Bertram (»Worte in meiner Werkstatt«), »baut sich das ernsteste,« – einstweilen – »wahrste Bild der Welt.«

Sollen wir schließlich noch eine allgemeine Meditation über Tintorettos Werk unternehmen, darin allerlei analytische und synthetische Gedanken und Empfindungen sich ablösen, wohl auch ineinanderflechten? Eine Beschauerin sagte, das Werk habe einen großen Klang. Es hat einen gewaltigen Klang, der gewissermaßen einer bleibt, obgleich in ihm zahllose Instrumente eines wunderbaren Riesenorchesters zusammenwirken. Wenn uns der analytische Sinn überfällt, so kommt es uns vor, als trete der Meister aus dem Musikalischen hie und da heraus. Nämlich auf die schlichte Erde, wo ihn Holz, Glas, Metall allein interessieren. Dort scheint der große Bauer Robusti nur noch er selbst, ein Gärtner, ein Landmann, ein Mann der Scholle. Venezianische Festlichkeiten und Gelage im Prunk der Loggien und Paläste als Selbstzweck wie Veronese kennt Tintoretto nicht. Seine Abendmahlsbilder sind voller Düsternisse und tragischer Unruhe. Überall ist das Schicksal des Heilands in der Welt in dem Kampf von Schwarz und Weiß, von Licht und Schatten zugleich symbolisiert. Meist an den Abendmahlstafeln oder bei der Hochzeit zu Kana sitzt Jesus im Hintergrund. Auf dem herrlichsten Bild dieser Art, dem von San Giorgio Maggiore, ist es das gleiche. Hier und auch vielfach sonst sind schwebende Wesen aus dem Hades, Engel oder Dämonen, gegenwärtig. Oder, wie bei der Taufe Christi, sind Wesen aus der jenseit-diesseitigen Schattenwelt, am Ufer gedrängt, erregte und erregende Zuschauer unter grellem, stechendem Hadeslicht. Da hätten wir wieder Zeugen von Tintorettos Gedanken der Welt als Purgatorium. Was schwebt und wandert, lebt überall durcheinander. Ebenso was Körper und was bloßer Schemen ist. Und da ist überall eine Fülle von Gestalten, die in ihrer Unabweisbarkeit fast beängstigt. Welch ein Volksgewimmel und Volksgedränge – das Paradies. Aber wenn wir uns auch nicht hinein und dazwischen wünschen, nehmen wir an der entrollten Phantasiekraft des Meisters, an der Verschwendung seiner Überrealitäten staunend teil: Hört die Flügel der Engel rauschen und sausen, die Spulen ihrer Federn klirren, sucht zu belauschen, was der Gottmensch, immer umgeben von den Hunderttausenden seiner dienenden Geister, zu seiner Umgebung sagt, fühlt den auf Erden wandernden Gott, wie er beschenkt, durchdringt, aufrüttelt und beglückt, fühlt die Wucht dieses gewaltigen Gottessturmes dieser Bilder und ihre irdisch-himmlische Unersättlichkeit! Warum soll man den Meister nicht apostrophieren?

In welcher Luft, o Gott, bist du geboren?
In welchen Räumen rollen deine Welten?
Du darfst als Geist vom höchsten Geiste gelten,
der dich zu seiner Wohnung auserkoren.

Von eignen Sonnen, die sich hell erhellten,
strahlt deine Schöpfung heiß, wie dessen Spiegel,
das niemand sah. Du brachst die sieben Siegel
und blinde Kerkermauern, die zerschellten.

Gewaltig dröhnt der Himmelspforte Riegel
und der des Abgrunds unter deinen Händen.
Vom Turm des Todes stäuben alle Ziegel.

Das All erscheint, aus irdischen Kerkerwänden
erweckt von deiner Rechten Gottesfinger,
lodernd von ungeheuren Lebensbränden.

Du, Herr des Tages und der Nacht Bezwinger!

 


 


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