Gerhart Hauptmann
Peter Brauer
Gerhart Hauptmann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Akt

Das Gastzimmer im kleinen Gasthof Zum goldenen Lamm in einer schlesischen Kreishauptstadt. Vorn links ist die Eingangstür vom Hausflur her. Der Raum ist braun tapeziert. Ein breiter Durchgang verbindet ihn mit einem zweiten länglichen Raum nach der Tiefe zu. Dort steht eine gedeckte Wirtstafel. Hinter diesem Raum ist das Billardzimmer, von wo man die Elfenbeinbälle anschlagen hört.

Die Einrichtung des braunen vorderen Zimmers, das rechts ein Fenster hat, ist jagdmäßig. Man sieht an der Wand Geweihe, einige ausgestopfte Vögel, mehrere große Kupferstiche, die Waldlandschaften mit Rotwildrudeln sowie überhaupt weidmännische Szenen darstellen. Ein sehr langes Ledersofa steht rechts vom Durchgang an der Hinterwand, davor ein langer und schmaler Tisch, umgeben von hochlehnigen Rohrstühlen. Alles alte gebeizte Eichenmöbel. Links vom Durchgang steht der Weinschrank des Wirtes. Zwei oder drei kleinere Tische mit Stühlen sind außerdem aufgestellt. Das Ganze macht einen sauberen, beinahe wohlhabenden und jedenfalls anheimelnden Eindruck. Das Gasthaus der guten alten Zeit mit kleinen Fenstern und gebräunter, niedriger Holzdecke.

Man steigt vom Flur ins Gastzimmer zwei Stufen herab, zum Table-d'hote-Zimmer eine Stufe hinauf.

Es ist gegen elf Uhr vormittags, nicht lange nach Ostern. Draußen herrscht das bekannte Aprilwetter.

Gasthofbesitzer Krebs, über fünfzig Jahre alt, sympathisch und intelligent, steht am geöffneten Weinschrank und ordnet Rotweinflaschen. Eins seiner Beine war gebrochen und ist nach der Heilung zu kurz geblieben. Kellner Fritz trägt Rotweinflaschen zu. Er hat noch die Morgenjacke an. Übrigens ist er ein dreißigjähriger Mensch, der eher einem jungen Vikar als einem Kellner gleicht. Frau Krebs, eine schlichte bürgerliche Erscheinung, etwa sechsunddreißig Jahre alt, kommt vom Flur herein. Sie trägt ein Häubchen über dem schlichten Scheitel und ein Schlüsselbund am Gürtel.

Frau Krebs. Hellmut! – Mann, sag mal, weißt du, wo Hellmut ist?

Herr Krebs. Hinten am Billard ist er, Emilie.

Frau Krebs geht nach hinten und ruft in der Nähe des Billardzimmers nochmals. Hellmut! Hellmut tritt, ein Billardqueue in der Hand, aus dem Billardzimmer. Er ist ein hübscher, dreizehnjähriger Quartaner.

Hellmut. Und? Du wünschst, Mama?

Frau Krebs. Hellmut, du weißt, die Ferien sind bald zu Ende. Vergiß nicht, daß deine Lateinzensur gar nicht besonders ist. Denke daran, ein bißchen zu arbeiten. – Und dann kannst du mal einige Rechnungen ausschreiben.

Hellmut. Sehr gerne, Mama. Hellmut legt das Queue weg und kommt mit seiner Mama nach vorn. Karoline, ein auffällig hübsches, intelligentes Dienstmädchen, kommt adrett gekleidet, einen kleinen Wäschekorb im Arm, vom Hausflur herein.

Frau Krebs. Nun, was bringst du denn, Karoline?

Karoline markiert unterdrücktes Lachen. Ach Gott, Madam, ich habe ja vor Lachen beinahe nicht zur Treppe heruntergekonnt.

Frau Krebs. Nanu!?

Karoline. Das ist die ganze Wäsche, Madam, die mir der Herr Professor auf Numero vierzehn für die Waschfrau gegeben hat: zwei ganze Hemdkragen und ein Paar Manschetten.

Frau Krebs. Das ist für die vierzehn Tage etwas wenig, die er nun hier im Hause ist.

Herr Krebs, am Weinschrank. Wieviel Manschetten und wieviel Hemdkragen?

Frau Krebs. Einen Kragen für jede Woche, die der Professor im Hause ist. Mann.

Karoline. Ach, es ist ja zu komisch. Heute morgen komm' ich herein. Ich seh', da ist alles vollgepanscht. Er liegt im Bett, und das einzige Hemd, das er hat, ist über den Ofen zum Trocknen gehängt.

Fritz. Er wäscht seine Hemden immer selber.

Herr Krebs, beiläufig lachend. Sein Hemde! sagen wir lieber, Fritz.

Fritz. Er sagt, er hätte es sich in Italien angewöhnt, wo ihm die Wäscherinnen meist mit einem Mal Waschen seine Wäsche verdorben hätten.

Herr Krebs, gutmütig, humoristisch. Demnach scheinen sie ihm also in Italien sämtliche Hemden bis auf das letzte verdorben zu haben. Siehst du, Mama. Du willst immer nach Italien gehen. Gelt, Hellmut? Gehn wir lieber nicht nach Italien.

Frau Krebs. Ob denn das Hemd über Nacht auch richtig getrocknet ist?

Karoline. Mir schien es noch ziemlich feucht, Madam.

Frau Krebs. Was will denn der arme Mensch da heut anziehen?

Fritz. Er hat sich von mir einen Kragen geborgt.

Herr Krebs. Wo soll er den Kragen denn festknöpfen, Fritz?

Fritz lacht. Ich weiß nicht, Herr Krebs, das ist seine Sache.

Herr Krebs. Denn ich nehme doch an, daß er splitterfasernackt im Bette liegt.

Karoline. Er hat ein Katzenfell vor die Brust gebunden.

Herr Krebs. Woher weißt du denn das?

Karoline. Fritz hatte zu tun. Da hab' ich ihm doch heut morgen den Kaffee ans Bett gebracht.

Frau Krebs. Na, nun halt dich nicht weiter auf, Karoline. Karoline geht, gesittet lachend, nach hinten zu ab.

Frau Krebs. Wie denkst du's denn eigentlich bei dem Professor mit der Rechnung zu halten, Mann?

Herr Krebs, achselzuckend. Ja, Gott, was tun? Die Sache ist kitzlig.

Frau Krebs. Er hat nicht nur bei uns, sondern auch da und dort bei den Geschäftsleuten unter den Lauben eine Menge Schulden gemacht. Hat ihm nicht sogar Johann fünf oder sechs Mark borgen müssen?

Fritz. Ach Gott, Madam, nicht bloß Johann!

Frau Krebs. Na na! ich hoffe, ihr seid etwas vorsichtig. Fritz ist seine Flaschen losgeworden und entfernt sich durch die Flurtür im Eifer der Tätigkeit.

Herr Krebs. Wie man's auch macht, ist's falsch, Emilie. Ich habe mich jedenfalls aufgeschwungen, und er ist heute morgen im Besitz einer Mahnung und überdies der direkten Kündigung.

Frau Krebs. Du kannst doch nicht fremde Leute durchfüttern.

Hellmut. Er sagt doch, du sähst seiner Frau so ähnlich. Er will doch von dir ein Porträt machen, Mama.

Frau Krebs. Dummer Junge, was ist an mir abzumalen!?

Herr Krebs. Warum denn nicht?! Schließlich malt er uns alle durch die Bank auf Leinwand ab. Mit Gewalt vor die Tür setzen kann ich ihn nicht.

Frau Krebs. Du kannst ihm den Standpunkt aber doch klarmachen. Johanniterschwester Herta von Schultzen, hübsches zweiundzwanzigjähriges Mädchen, und Anneliese Krebs, Tochter der Eheleute Krebs, hübsch, siebzehnjährig, fegen Arm in Arm aus den hinteren Zimmern nach vorn. Ach, Fräulein von Schultzen!

Schwester Herta. Schwester Herta, wenn ich gefälligst bitten darf.

Frau Krebs. Sind Sie wieder mal hier in unserer Gegend?

Schwester Herta. Nu natürlich! Frau Krebs, man muß doch wieder mal in der alten gemittlichen Schläsing zum Rechten sehn. Aber, sag' ich Ihnen: Anneliese ist hübsch geworden! Das Mädel ist ja richtig wie eine Wachspuppe aus dem Panoptikum. Sie streichelt, mit Anneliese verschränkt, deren offenes Haar.

Anneliese. Denk mal, Herta hat dem Professor Brauer oben Medizin gebracht.

Schwester Herta. Wie das so ist: Arbeit macht das Leben süß, Faulheit stärkt die Glieder. Ohne Arbeit langweil' ich mich. Papa lebt seinen gewohnten Stiebel fort, und das ist öde, zum aus der Haut Kriechen. Lieber will ich vierzehn Tage lang im Krankenhaus Nachtlicht sein: solche Ferien sind zu geisttötend. Da hat sich Schwester Herta – wie wird sie denn nicht! – eben im Schwesternhaus gleich für besondere Fälle zur Verfügung gestellt.

Frau Krebs. Siehst du wohl, Mann, was hab' ich gesagt: der Professor ist nicht gesund! Es kann sich verschlimmern, und wir haben womöglich einen schwerkranken Menschen auf dem Hals.

Herr Krebs, zu Schwester Herta. Was fehlt ihm denn?

Schwester Herta. Pst! das ist Amtsgeheimnis! Der Professor war in der Poliklinik bei Doktor Lattenberg. Wir haben ihm im Schwesternhaus einen Verband angelegt. Den Verband sollte ich eigentlich heute nachsehen. Aber der Ehrenmann will nicht. Er glaubt wohl, daß ich zum Spaß der Lust halber komme. Er läßt mich überhaupt nicht ins Zimmer hinein.

Herr Krebs. Ihr Herr Papa ist dagegen unberufen frisch und kregel, Fräulein Herta. Ich sehe ihn jeden Morgen beim Frühschoppen.

Schwester Herta. Gott, was soll so'n alter Haudegen wie mein Herr Père anfangen, wenn er nun mal an der Majorsecke prompt gescheitert ist. Da geht er spazieren, da kehrt er da und dort mal ein, trinkt sein Glas Rotwein, kannegießert 'n bißchen herum, schwärmt von Haarwuchspomade, schimpft über schlechtes Straßenpflaster et cetera pp. und dergleichen mehr. Es ist eigentlich ein Jammer um einen Menschen, der in Gottes weiter Welt nicht weiß, was er mit sich anfangen soll. Schließlich verfällt er auf Lächerlichkeiten.

Frau Krebs. Aber Fräulein Herta, Ihr Papa!

Schwester Herta. Das ist er ja natürlich. Das leugne ich nicht. Aber deshalb: immer frisch, fromm, frei von der Leber weg. Man muß immer im Leben die Wahrheit sagen. Sie reißt, ohne die Verschränkung aufzulösen, Anneliese mit sich ans Fenster. Himmel, hast du keine Flinte! Wer war denn das?

Anneliese. Papa, der ist schon mal bei uns gewesen.

Schwester Herta. Schmachtlocken bis auf die Schultern herunter. Der Mensch ist ja schöner als schön. Da kann sich doch keiner wundern, wenn ein armes unverheiratetes Mädchenherz zittert und bebt.

Anneliese. Komm fort, Herta! Es ist ein unangenehmer Mensch. Es ist Schmolcke, Papa. Er hat Augen, die spießen einen auf wie mit Stricknadeln. Die Mädchen eilen, lachend miteinander, nach hinten zu ab.

Johann, der Hausknecht, bringt Handgepäck vom Flur herein. Er hängt einen alten sogenannten Hohenzollernmantel an die Haken rechts von der Eintrittstür. Ein großer photographischer Apparat, ein Stativ, mit Stöcken und Schirmen zusammengebunden, und eine gewaltige, alte lederne Umhängetasche werden auf ein Wandtischchen niedergelegt. Nun erscheint, von Krebs und Fritz begleitet, der Photograph Leonhard Schmolcke. Er ist ein langer, magerer, zigeunerhafter und bleicher Mensch, der mit seinem kohlrabenschwarzen, ziemlich langgewachsenen Haar, seinem die Halsgrube freilassenden Umlegekragen sowie den langen flatternden Schlipsenden einen provinziell-künstlerischen Anstrich hat. Er ist nicht über fünfunddreißig Jahre alt. Seine Bewegungen sind lebhaft und zugleich gewöhnlich und großspurig.

Schmolcke. Das verdammte Sauwetter hat mir wahrhaftig einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich habe von Berlin aus den Auftrag gekriegt, die Ruine Neuhaus zu photographieren. Als ich von Liegnitz abreiste, war der Himmel fast wolkenlos, in zwei Minuten, passen Sie auf, wird es gießen und graupeln.

Herr Krebs. Und in den nächsten fünf Minuten kommt dann die Sonne auch wieder raus.

Schmolcke. Einen Bittern zunächst!

Herr Krebs. Fritz, einen Boonekamp! – Sie kommen direkt aus Liegnitz, Herr Schmolcke?

Schmolcke. Atelier Preziosa. Wissen Sie nicht, daß ich seit Oktober ein Atelier eröffnet habe und in Liegnitz ansässig bin? Mensch! Sie haben doch meine Geschäftskarte. Ich habe doch mindestens zweitausend Karten mit »Atelier Preziosa« in der Provinz herumgeschickt.

Herr Krebs. Freilich, freilich. Ich kann mich genau erinnern.

Schmolcke. Atelier Preziosa. Ich habe schon in den ersten vier Wochen beinahe die ganze gute Kundschaft von Liegnitz in der Tasche gehabt. Hernach will ich Ihnen mal meine Bilder zeigen: den Bürgermeister! den Oberstaatsanwalt, Landräte, Schauspieler, Schulprofessoren. Dabei habe ich in der Schnellphotographie eine neue Erfindung gemacht, für die ich in diesen Tagen das Patent kriege.

Herr Krebs. Sie hatten doch mal in der Nähe von Guben 'ne Hühnerzucht?

Schmolcke. Ging nicht! Verkauft! Habe'n gutes Geschäft gemacht.

Herr Krebs, trocken. Gott sei Dank also'n Dummen gefunden.

Schmolcke. I, das will ich nicht sagen. Die Sache war gut. Der Mann kommt durch. Damals war die neue Bahnverbindung nach Breslau noch nicht. Es gibt auch jetzt neuere Brutmethoden.

Herr Krebs. Was macht Ihre Frau? Vorigen Juni, als Sie hier waren – Sie erinnern sich doch? –, hatten Sie Ihre junge Frau doch mitgebracht.

Schmolcke. Erinnern Sie mich um Gottes und Christi willen an die allergrößte Dummheit meines ganzen bisherigen Lebens nicht! Ich habe manchen Fehlschlag erlebt, aber dieser hätte mich bei einem Haar umgebracht. Nun, ich bin sie los! Gott habe sie selig. – Ich mag nichts sagen! Stellen Sie sich bloß so viel vor: im ersten Quartal unserer Ehe, hinter meinem Rücken, tausendzweihundertundsechsundneunzig und eine halbe Mark Schulden – Kleider, Stiefeletten, feinen Likör und Konfekt – gemacht – und noch was! läßt sich so einfach nicht aussprechen! – Heidi, holla! Raus! Über Hals über Kopf! Wo wär' ich denn? Ich geh' bis ans Reichsgericht. Habe natürlich einen Prozeß am Hals hängen. – Wissen Sie übrigens, ob der Landgerichtsdirektor Schorn augenblicklich zu Hause ist?

Herr Krebs. Na gewiß! Er hat wenigstens gestern abend, wie immer, hier seinen Schoppen Rotwein getrunken.

Schmolcke. Schnell noch'n Bittern! und dann will ich mal – ich habe nämlich Bilder und eine Empfehlung von seinem Schwiegersohn, Regierungsrat Brausewetter, mitgebracht – . . . dann will ich mich mal zu ihm rüber verfügen.

Herr Krebs. Der Regen läßt nach! Hab' ich mir gleich gedacht.

Schmolcke. Johann, geben Sie auf die Effekten acht! Schmolcke geht schnell mit Johann durch die Flurtür ab.

Herr Krebs, zur Gattin, die sich mit Hellmut in einer Fensternische den Anschein gegeben hat, als ob sie nicht zuhöre. Du kennst doch den Mann?

Frau Krebs. Ist das nicht der, der mal in dem großen Betrugsprozeß wegen der Schwindelmedizin gegen die Kälberruhr was auf den Pelz gekriegt hat?

Herr Krebs guckt ihm zum Fenster hinaus nach. Das ist Schmolcke, ganz recht! Sieh mal die Leute! Schlachter grüßt, Gemüseweib grüßt! Droschke grüßt! Papierhändler grüßt! Apotheker grüßt! Schwupp in die Apotheke. Na ja, der Apotheker ist zum mindesten so gerissen und so verrückt, wie der Schmolcke ist.

Peter Brauer tritt langsam vom Flur her ein.

Peter Brauer. Darf ich ergebensten guten Morgen wünschen!

Hellmut. Guten Morgen, Herr Brauer.

Peter Brauer. Danke verbindlichst. Nähert sich Frau Krebs mit Respekt und Anstand. Wissen Sie eigentlich, gnädige Frau, daß Ihr Sohn ein Malertalent ersten Ranges ist?

Herr Krebs. Gut geruht?

Frau Krebs. Sie scherzen natürlich, Herr Professor.

Peter Brauer, feierlich, überzeugt. Allerersten Ranges, auf Ehrenwort. Er berechtigt geradezu zu den höchsten Hoffnungen. Nein, gnädige Frau, in solchen ernsten und wichtigen Dingen zu scherzen, wo das Wohl und Wehe eines hoffnungsvollen jungen Lebens auf dem Spiele steht, das würde in meinen Augen nicht nur Leichtsinn, sondern es würde ein Verbrechen, es würde einfach direkt unverzeihlich sein. – Ausbilden! Lassen Sie diesen Jungen ausbilden! Er wird Ihnen Ruhm und Ehre bringen. Es kann nicht ausbleiben, daß er die Welt in Staunen setzt, wenn er in gute Hände kommt.

Herr Krebs, trocken. Was hat er denn nur verbrochen, Herr Brauer?

Peter Brauer. Er hat mir ein Blatt, was er gesehen hat: dort die Tauben, wie sie am Marktbrunnen trinken . . . trinken, gen Himmel blicken, trinken – gezeigt. Primitiv, naiv: Talent ungeheuer. Ich habe unter meinen Schülern keinen, der so ungeheuer talentvoll ist.

Frau Krebs. Herr Professor, machen Sie denn da wirklich so viel daraus?

Peter Brauer. Lange noch nicht genügend, Frau Krebs! Es ist keine Kleinigkeit: ein großer Künstler mehr oder weniger in der Welt. Sehen Sie mal: die Welt ist in meinen Augen ein armes Bettelweib, der die Kunst, während sie in ihrem Elend eingeschlafen ist, Brot in die leeren Taschen tut.

Frau Krebs. Es heißt aber doch, die Kunst geht nach Brot, Herr Professor. Mein Ideal ist, wenn ich an Hellmut denke, daß er einen Beruf ergreift, wo er mal sein bestimmtes, sicheres Auskommen hat.

Herr Krebs. Das kann man nun freilich kein Ideal nennen.

Frau Krebs. Weshalb nicht, Mann?

Herr Krebs. Ein Ideal ist eben kein Ideal, wenn's nicht was Ideales ist.

Peter Brauer. Ihre Gattin hat aber in ihrer Art vollkommen recht, Herr Krebs. Frauen sind gleichzeitig ideal und praktisch. Nun, Hellmut, wir reden noch weiter darüber! – Darf ich um einen Bittern ersuchen!? Finden Sie nicht, daß die Luft heut so eigentümlich von Feuchtigkeit geschwängert ist? Er schuddert sich.

Fritz, der inzwischen beschäftigt war, besorgt den Boonekamp.

Fritz, pfiffig. Herr Brauer, wir haben heut Dielen gescheuert.

Peter Brauer trinkt den Schnaps. Nachher. Na alsdann! wie man in München sagt. Übrigens, ist der Geldbriefträger schon dagewesen?

Fritz. Jawohl. Hat aber nichts für Sie gehabt.

Peter Brauer. Es ist kaum zu glauben, was wir doch immer noch für eine schauderhaft bummlige Post haben!

Herr Krebs. Fritz, es war aber doch ein Brief angekommen für Herrn Brauer.

Fritz. So?

Herr Krebs. Suchen Sie mal im Regale nach! Ganz sicher. Möbelhandlung von Carlowitz.

Peter Brauer. Äh! Dieser Schweinhund kann warten! Da hätt' ich wahrhaftig viel zu tun, wenn ich alle die Bilder malen sollte, die der Banause für ein Lumpengeld von mir gepinxt haben will.

Fritz, der den Brief aus dem Briefregale nimmt. Hier ist der Brief!

Peter Brauer steckt den Brief ein. Schafskopf, kann lange warten! Gleich noch einen Schnaps! Ich weiß wirklich nicht, ich hab' ein so feuchtes Gefühl auf dem Rücken.

Fritz. Ich sag's ja, das kommt, weil die Gaststube heute gescheuert ist.

Frau Krebs. Fritz, die Gaststube ist heute ja gar nicht gescheuert. Fritz macht Herrn und Frau Krebs sowie Hellmut Zeichen. Hellmut platzt heraus.

Peter Brauer, väterlich jovial, indem er seine Hand auf Hellmuts Schulter legt. Nun, warum lachst du, mein braver Sohn?

Fritz, heiter, ein wenig dreist. Sag doch, Hellmut, weil heute so feuchtes Wetter ist!

Peter Brauer beugt sich über den Photographenkasten, der auf dem Tische liegt, liest von einem daran gehefteten Schildchen. Atelier Preziosa, Liegnitz. Leonhard Schmolcke, Photograph. – Dieses Großmaul ist hier? Gott soll mich bewahren!

Herr Krebs. Kennen Sie Schmolcke?

Peter Brauer. Leider! Weiter will ich nichts sagen. Übrigens ist er Luft für mich.

Herr Krebs. Schmolcke versteht aber drauf zu laufen.

Peter Brauer. Jawohl, auf dem Seil, von dem ihm doch mal der Sturz entweder rechts oder links in die Hand der Gerechtigkeit sicher ist! – Darf ich um meine Rechnung bitten?

Fritz. Herr Brauer, ich hatte gestern die dritte Wochenrechnung nach oben gebracht.

Peter Brauer. So? Gut. Ich muß sie wohl übersehen haben. Das muß man sagen: es gibt keinen zweiten Gasthof in Schlesien, gnädige Frau, wo man so gut wie hier bei Ihnen im Goldnen Lamm aufgehoben ist. Er nimmt, nicht am Stammtisch, Platz und zündet sich eine Zigarre an.

Herr Krebs nimmt unauffällig am Tische Brauers Platz. Nichts für ungut, Herr Brauer. Könnt' ich Sie wohl mal auf zwei Minuten ganz unter uns sprechen?

Frau Krebs. Komm, Hellmut! Wenn du mich brauchst, Mann, ich bin im Hof, bei der Mangel hinten. Sie geht mit Hellmut nach hinten zu ab. Jetzt sind, da auch Fritz augenblicklich im Hinterzimmer beschäftigt ist, Brauer und Krebs allein in der Stube.

Herr Krebs. Bitte, Herr Professor, erschrecken Sie nicht!

Peter Brauer, mit ruhiger Würde. Erschrecken? Mit einem gebildeten Manne zu reden ist mir unter allen Umständen immer angenehm.

Herr Krebs. Ich weiß aber doch nicht, lieber Herr Brauer, ob das Thema für uns beide besonders erquicklich ist. Ich denke mir aber, besser ist besser. Wir können ja ganz ruhig darüber reden. Besser geradezu als hintenherum.

Peter Brauer. Schießen Sie bitte los. Sie sehen, daß ich gänzlich zu Ihrer Verfügung bin.

Herr Krebs. Herr Professor, ich bin kein reicher Mann . . .

Peter Brauer. Ich auch nicht! Bitte ganz ohne Umschweife. Nehmen wir an, wir sind beide zwei bürgerlich unbescholtene Leute, von denen jeder sein gutes Auskommen hat.

Herr Krebs. Hm. Nun, möchten Sie nicht Ihre kleine Nota berichtigen?

Peter Brauer. Richtig! Der Kasus macht mich lachen, Herr Krebs. Erlauben Sie mir eine Gegenfrage: Haben Sie Angst, daß ich Ihnen durchbrenne? Durchbrenne wegen einer Summe von zweihundertdreißig bis ‑sechzig Mark? Gehen Sie nur ganz frei heraus mit der Sprache! Was ihr Provinzleute doch wirklich auf eine unerlaubte Weise mißtrauisch seid! Eigentlich hätt' ich das nicht erwartet von Ihnen. Nun, ich weiß Bescheid. Ich werde mich danach richten, Herr Krebs!

Herr Krebs. Herr Professor, Sie haben zu mir gesagt, das war vor acht Tagen, Fabrikbesitzer Kuhfuß hätte bei Ihnen ein Familienbild bestellt. Nun habe ich mit Herrn Kuhfuß gesprochen. Er weiß von nichts, er . . .

Peter Brauer, erregt, leise. Bitte, kein Wort weiter! Sie erhalten noch heute nachmittag Ihr Geld. Ich hätte sollen gleich von Anfang an in den Schwarzen Adler ziehen. Herr Krebs! Ein Mann! Ein Familienvater! Meine brave Frau ist die Tochter von einem Oberrechnungsrat. Er zieht einen Brief. Hier können Sie lesen, daß mein Sohn bei der Konkurrenz um den akademischen Rompreis als Sieger hervorgegangen ist. Glänzend begabt! Wird im Oktober nach Rom gehen. Herr! wollen Sie etwa behaupten, daß ich ein Zechpreller, daß ich ein Hochstapler, daß ich kein Gentleman und kein Mann von Ehre bin? Was, glauben Sie wohl, würden wohl meine Frau, mein Sohn, meine Tochter, die in den ersten Berliner Kreisen heimisch sind, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie wüßten, was ihrem ahnungslosen Papa bei seiner harmlosen Studienreise in die Provinz begegnet ist! Man soll gar nichts nach seiner Heimat fragen! Das hat man davon, wenn man im Winter heuen geht.

Herr Krebs erhebt sich, mit Achselzucken. Bedaure! Jeder sieht, wo er bleibt. Wo sollt' ich da hinkommen, wenn jeder verzehren und keiner etwas bezahlen will!? Kreistierarzt Zahn, Assessor Tschache, Major a. D. von Schultzen treten gemeinsam ein, gleichzeitig Hellmut. Moin, meine Herren.

Alle drei. Moin, Moin.

Von Schultzen. Sehen Sie mal, was ich hier in der Hand habe. Er zeigt eine Hundeleine und ein Hundehalsband. Wissen Sie, daß mein alter, braver, treuester Freund, Zimmer- und Jagdgenosse – wissen Sie, daß mein alter stichelhaariger Hühnerhund, daß mein unvergleichlicher Nimrod gestorben ist?

Herr Krebs, erschrocken. Was?

Von Schultzen. Ja, Nimrod ist tot! Nimrod kehrt nie wieder!

Hellmut. Ach! Sie kamen doch noch vorgestern mit Nimrod den Kavalierberg herunter, Herr Major.

Von Schultzen. »Ist ein Schnitter, der heißt Tod, hat Gewalt vom höchsten Gott.« Das kommt schnell, wenn es einmal kommen soll. Selbst unser Herr Kreistierarzt ist da ohnmächtig.

Zahn. Der Hund war gut seine zwölf, vierzehn Jahre alt.

Von Schultzen. Ein ideales Tier jedenfalls! Die Herren nehmen am Stammtisch Platz, nachdem sie Hüte, Mäntel usw. abgelegt haben. Moin, Herr Professor.

Peter Brauer. Gehorsamster Diener, Herr Major!

Von Schultzen. Wie sind Sie gelaunt? Wird unser Skat heute abend fortgesetzt? Sie konnten doch gestern wirklich von Glück sagen.

Tschache, zum Kreistierarzt. Professor Brauer ist wirklich ein ganz gefährlicher Skatgegner. Spielt ideal!

Von Schultzen. Einfach Matador!

Peter Brauer, schmunzelnd. Sie machen mich schamrot, meine Herren. Sie versetzen mich in Verlegenheit.

Von Schultzen. Er bringt uns in Verlegenheit, will er sagen.

Tschache. Er bringt uns in Geldverlegenheit.

Von Schultzen. Reden Sie nicht solche Sachen, Assessor: man soll den Teufel nicht an die Wand malen.

Peter Brauer. Und wo doch der Dalles, wie die Berliner, die es ja wissen müssen, sagen, der schlimmste von allen Teufeln ist.

Von Schultzen. Dalles? Pfui Spinne! Wo haben Sie denn dieses stinkige Wort aufgelesen, Professor? Das riecht ja wie eine faule Fischkiste! Er läßt sich seufzend nieder. Armer Nimrod, armer Bursche! Du fehlst mir entsetzlich! Es ist gewiß, daß du niemals auch nur halb so wie das Wort, das der Professor eben gebraucht hat, gestunken hast.

Tschache. Na, wie ist's mit dem Oyster stew, Herr Krebs?

Herr Krebs. Wenn Sie befehlen, so kann es losgehen.

Peter Brauer. Oyster stew?

Tschache. Spezialität. Sie wissen am Ende nicht, daß Herr Krebs acht Jahre lang Küchenchef auf den Schiffen des Norddeutschen Lloyd gewesen ist. Oyster stew! delikat, aber kostspielig! Machen Sie mit?

Peter Brauer. Wenn Sie meinen! ich will mich nicht ausschließen.

Von Schultzen. Wollen Sie mir die Ehre geben, meine Herren, und zum Gedächtnis meines selig entschlafenen Freundes, Kameraden usw. usw. Nimrod bei einer Flasche Bordeaux und Oyster stew meine Gäste sein? Er flüstert und macht Zeichen mit Fritz, der dann sogleich Rotwein aufträgt, mit Gläsern für alle. Herr Krebs ist hinausgegangen.

Tschache. »Rasch tritt der Tod den Menschen an.« Er schmunzelt. »Es ist ihm keine Frist gegeben.«

Von Schultzen. Sie spotten, Assessor! Ich kann Sie versichern, mein Hund war tausendmal klüger, als mancher Mensch manchmal nicht ist. Unser Herr Kreistierarzt wird das bestätigen. – Wenn Sie mir das Vergnügen machen wollen, Professor, so darf ich Sie wohl an unsern Tisch bitten.

Peter Brauer. Mit besondrem Vergnügen! Danke verbindlichst. Er verläßt seinen Tisch und nimmt an der Tafelrunde der Herren Platz.

Zahn. Nimrod hat geradezu in meine Augen hinein sein Testament gemacht.

Von Schultzen. Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen. Das Tier hat genau Bescheid gewußt. Ich habe ihm das Porträt meiner verstorbenen Frau gezeigt: sofort Geheul, daß die Wände zitterten. Meine Tochter schreibt mir, sie hat einen bösen Abszeß am Halse gehabt – meine Tochter ist Johanniterin –; ich halte ihm den Brief vor die Schnauze: geradezu steinerweichender Ausbruch von Traurigkeit. Meine Herren, Sie lachen! das sind aber Tatsachen. Fritz hat die Gläser vollgegossen. Na, jedenfalls Prosit! Sie stoßen an.

Tschache. Gott tröste Sie, lieber Herr Major!

Alle trinken, mit Bezug auf den Wein sehr andächtig.

Peter Brauer legt ein geöffnetes Skizzenbuch vor den Major hin. Erkennen Sie das?

Von Schultzen. Donnerwetter, das bin ja doch ich und Nimrod!

Peter Brauer. Leider nur drei, vier flüchtige Skizzen auf dem Spaziergang aufgefaßt. Schade, daß ich den Hund nicht in Öl gemalt habe.

Von Schultzen. Warum haben Sie das nicht früher gesagt?

Peter Brauer. Das Tier reizte mich seiner Rasse wegen. Sie wissen, die niederländischen Maler haben mit Vorliebe Tiere gemalt.

Von Schultzen zeigt das Skizzenbuch herum. Mein Hund, wie er leibt und lebt, meine Herrschaften. Professor, Sie sind ja ein Tausendsassa!

Peter Brauer. Übrigens hab' ich das Tier dermaßen im Kopf: ich werde mal heute nachmittag aus der Erinnerung sein Porträt machen.

Von Schultzen. Um Gottes willen, können Sie das?

Peter Brauer. Ich will es jedenfalls mal versuchen.

Von Schultzen. Und darf man denn hoffen, daß das Porträt dann für Geld und gute Worte zu kaufen ist?

Zahn. Als Veterinär interessier' ich mich für Tierbilder. Sind wohl sehr teuer? Was würde das zum Beispiel kosten, wenn man, sagen wir mal, einen zweijährigen Bullen in Öl malen läßt? Es entsteht herzliches Gelächter, in das Fritz miteinstimmt.

Peter Brauer. Sagten Sie zweijährig oder dreijährig?

Zahn, da neues Gelächter entsteht. Gott, meine Herren, ich begreife Sie nicht: jedes Ding am Markt muß doch seinen Preis haben.

Tschache. Meine gute Mutter will immer ein Bildnis von meinem seligen Vater gemalt haben. Denken Sie, ein Mann in den besten Jahren, der vor acht Jahren, infolge eines Fliegenstichs, mitten aus der Karriere heraus gestorben ist. Was würde das etwa kosten, so'n Bild?

Peter Brauer. Lenbach sagt mir, er nimmt dreißigtausend Mark.

Tschache. Fritz, einen Schnaps! Meine Mutter verzichtet.

Zahn. Sie kennen Lenbach? der lebt doch in München.

Von Schultzen, mit Autorität. Doktor, Lenbach lebt in Berlin!

Peter Brauer. Ich glaube, Sie meinen den alten Adolf Menzel, Herr Major, der neulich vom Kaiser zur Exzellenz gemacht worden ist.

Von Schultzen. Richtig! Sie haben ganz recht: ich meine Menzel. Das ist doch der Menzel, der den berühmten Sturm bei Spichern, aus dem Siebziger Kriege, ich glaube im Zeughaus . . .

Peter Brauer. Sie meinen wahrscheinlich meinen jüngst verstorbenen guten Freund Geselschap, Herr Major.

Von Schultzen. Meinetwegen Geselschap! Wer soll sich denn all diese Kleckser merken.

Man hört Peitschenknall und einen Wagen vorfahren. Fritz fliegt ans Fenster, und Johann, der Hausknecht, reißt die Flurtür auf und ruft herein Schnell, Fritz, es ist der Freiherr von Dittmannsdorf! Er verschwindet hierauf, und Fritz, ihm nach, eilt ab, um den Gast zu empfangen. Die Hotelglocke geht. Die Herren am Stammtisch haben ihre Köpfe den Fenstern oder der Tür zugewendet.

Tschache. Das scheint mir der minderfreie Standesherr Traugott von Behaimb zu sein.

Zahn. Sie meinen den frischgebackenen Ehemann?

Von Schultzen. Die Gattin ist reichliche Dreißig jünger. Der junge Gatte hat einen Sohn, der bei den Gardekürassieren Rittmeister ist. Der andere hat in Südwest einen Klaps hier oben gekriegt. Er deutet mit dem Finger auf seine Stirn. Oder ist womöglich, wenn ich mich recht entsinne, am Schwarzwasserfieber drauf gegangen.

Tschache. Seine verstorbene Frau war bürgerlich.

Von Schultzen. Geborene Hahn. Hat aber mehrere große Spinnereien, Bleichereien und so weiter mitgebracht. Die jetzige ist 'ne geborene von Sandelwald und hat es bei weitem happiger sitzen: Steinkohlen, Eisenhämmer et cetera pp. und dergleichen mehr.

Zahn. Man ist doch ein elender Hungerleider!

Herr von Behaimb und Bankier Lachs treten ein. Herr von Behaimb ist eine mammuthafte Erscheinung. Haltung und Kleidung verraten den vornehmen und mehr noch den reichen Mann. Er trägt das Einglas. Seine Persönlichkeit verbindet einigermaßen den Feudalherrn mit dem Großindustriellen, dabei überwiegt eine gewisse Weichheit seines Wesens die Schneidigkeit. Johann und Fritz helfen gleichzeitig mit größter Beflissenheit dem Freiherrn aus seinem Zobelpelz. Bankier Lachs muß seinen Gehpelz allein an den Nagel hängen. Der Bankier ist eine hohe und ernste Erscheinung, dunkler, ans Spanische streifender Typ. Feines Schnurrbärtchen, bleiche Gesichtsfarbe. Seine Kleidung vom besten Schneider, sein Betragen weich, zurückhaltend, sicher.

Von Behaimb. Moin, meine Herren! Die Herren am Stammtisch erheben sich von den Sitzen.

Von Schultzen. Gehorsamer Diener, Herr von Behaimb.

Von Behaimb. Finden Sie nicht, meine Herren, daß unser Schlesien eigentlich schon mehr Sibirien ist? Ich bin nämlich en suite von Nizza mit meiner Frau durchgereist und erst gestern zu Hause angekommen. Dort haben wir bereits sechsundzwanzig Grad und mehr im Schatten gehabt. Aber bitte sich nicht zu inkommodieren. Er tupft seinen wohlfrisierten Kopf und bürstet den auf französische Art kurzgehaltenen, schon ergrauten Bart mit einem eleganten Bürstchen.

Von Schultzen. Ah! Sie waren in Nizza?

Von Behaimb. Nizza, Monte Carlo, Cannes, da herum. Meine Frau ist zart. Sie hat die Zeit von ihrem neunten bis siebzehnten Jahre Winter für Winter mit ihrer Mama in Mentone zugebracht. Unser nördliches Klima macht sie schwermütig. Fritz hat Stühle an den Stammtisch gerückt.

Von Behaimb, im Begriff, Platz zu nehmen. Gestattet? – oder stören wir Sie, meine Herren?

Von Schultzen. Aber bitte recht sehr. Nicht im allergeringsten. – Ich stelle Ihnen, wenn Sie gestatten, Akademieprofessor Peter Brauer, Assessor Tschache und den Herrn Kreistierarzt . . .

Von Behaimb reicht dem Kreistierarzt die Hand. Danke verbindlichst. Wir kennen uns schon. – Darf ich dagegen Herrn Bankier Lachs mit Ihnen bekannt machen.

Peter Brauer, sich vorstellend. Brauer!

Lachs. Lachs!

Von Schultzen. Herr Lachs. Er reicht ihm die Hand. Haute finance und Kunstmäzenas unserer Stadt, von Person bekannt, und das zwar rühmlichst. Übrigens, meine Herren, Sie fallen da mitten in einen solennen Trauerschmaus. Gleich wird Herr Krebs mit Oyster stew anrücken. Es ist keine Kleinigkeit, wenn ein alter Soldat und Witwer seinen letzten Kameraden verlieren muß.

Lachs. Sie haben Ihren Nimrod verloren?

Von Behaimb. Gott sei Dank! ich fürchtete schon, Ihrer Tochter wäre was zugestoßen.

Von Schultzen. Meine Tochter verbringt auf meine Veranlassung bei mir eine längere Ferienzeit, und ich habe . . . es geht ihr gut, bis auf Symptome von Überarbeitung, aber mein Nimrod ist von mir geschieden! . . . ich habe, sage ich, bei Gelegenheit der Krankheit meines Nimrod den Schwesternberuf, dem sie sich eigensinnigerweise ergeben hat, wirklich erst richtig schätzen gelernt.

Von Behaimb, da Fritz je ein Weinglas vor Lachs und Herrn von Behaimb stellt. Bitte mir zu verzeihen, wenn ich verzichten muß. Bin ärztlicherseits zur Entsagung gezwungen. Wenn Sie gestatten, nehme ich in Ihrer Gesellschaft ein Glas Mineralwasser und ein Butterbrot.

Von Schultzen. Ich hoffe nicht indiskret zu sein, wenn ich mir zu fragen erlaube, ob das Gerücht auf Wahrheit beruht, daß Sie Schloß und Domäne Penzig gekauft haben?

Von Behaimb. Vor noch nicht zwanzig Minuten ist mit Hilfe meines Herrn Anwalts und meines Herrn Bankiers der Kauf der Herrschaft perfekt geworden. Das Schloß ist nichts wert, außer daß meine Frau eine hübsche Erinnerung daran von einem Geburtstagsfest des Prinzen Max, aus ihrer frühesten Kindheit, hat. Ich will meine Oldenburger dahin legen.

Zahn. Ihr ganzes Oldenburger Gestüt, das augenblicklich in Bernsdorf ist?

Von Behaimb nickt. Der dreihundert Morgen Wiesen wegen.

Von Schultzen. Wird Ihr ältester Herr Sohn heuer in Hoppegarten wieder mitreiten? Er hat ja, wie ich in den Sportblättern las, im vorigen Jahr eminente Erfolge gehabt.

Von Behaimb. Auf Uarda. Das ist meine englische Fuchsstute, merveilleuses Pferd! Hat leider beim letzten Rennen Sehnenentzündung davongetragen, muß Frühjahrssaison im Stalle stehn. – Es ist etwas kühl hier, meine Herrschaften.

Peter Brauer. Feuchtkalt, ganz recht! Fritz, lassen Sie doch etwas stärker einheizen!

Lachs. Ich habe Sie von meinem Büro aus beobachtet, Herr Professor. Ich habe Sie bei unserem hübschen alten Neptunsbrunnen auf dem Markte zeichnen sehn.

Peter Brauer. Ich mache mit Vorliebe Architekturstudien.

Lachs. Der alte Ring mit seinen Lauben und gotischen Giebeln ist eine Sehenswürdigkeit.

Von Behaimb. Aber eine beinahe noch größere ist ein wirklicher Maler, Herr Professor, wie Sie mir glauben können – denn ich war selbst einmal Landrat hier –, auf offenem Markt, in der Nähe des Landratsamts.

Peter Brauer. Dafür bin ich auch gestern beinah arretiert worden! Die Herren brechen in herzliches Lachen aus. Ohne Spaß: ein Mann des Gesetzes in Uniform fand meine Tätigkeit verdächtig. Es half nichts, ich konnte dem braven Polizeiorgan den kulturellen und friedlichen Sinn meiner Tätigkeit nicht begreiflich machen. Ich mußte den Platz wechseln, denn ich bildete mit meiner Staffelei in seinen Augen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die letzten Worte Brauers sind von zunehmendem Gelächter begleitet worden. Hierdurch ermutigt, fährt Brauer fort. Übrigens hat sich der Mann, ohne es selbst zu wissen, ein Verdienst um die Kunst erworben. Nämlich, meine Herren, vom Marktplatz dieser guten Stadt verjagt, begab ich mich, um Ruhe zu haben, ins Freie hinaus. Da wollte aber mein gutes Geschick, daß ich in die Nähe des herrlichen altertümlichen Schlosses und Parkes Penzig geriet, und da hatte ich denn einen dermaßen anziehenden, im allerhöchsten Grade malerischen Gegenstand, daß ich darüber mein Mißgeschick gänzlich vergessen habe und einige Studien aufnehmen konnte, die so ziemlich das Beste, was ich jemals gemacht habe, geworden sind.

Von Behaimb. Penzig? Was ich eben gekauft habe, Herr Professor?

Peter Brauer. Ja! Ich höre! und gratuliere dazu.

Herr Krebs selbst, assistiert von Fritz, bringt das Oyster stew herein. Es wird auf der bloßen Tischplatte serviert.

Gleich darauf tritt mit großen Schritten und anspruchsvollen Bewegungen, im Rücken Brauers und ohne von diesem bemerkt zu werden, der Photograph Leonhard Schmolcke wiederum ein. Schmolcke nimmt an einem der Nebentischchen Platz, zieht ein gewaltiges, in Leder gebundenes, abgenutztes Notizbuch und vertieft sich in Rechnungen, dabei mit scharfen, verstohlenen Blicken den Stammtisch beobachtend.

Herr Krebs. Untertänigster Diener, Herr von Behaimb!

Von Behaimb. Guten Morgen, Herr Krebs!

Herr Krebs, immer mit dem Arrangement des Tisches beschäftigt. Das ist eine seltene und ganz besondere Ehre für mich. Zur Tafelrunde. Sollen wir nicht ein Tischtuch aufdecken?

Von Schultzen. Bewahre! Das würde gegen die Grundprinzipien unseres frugalen Frühschoppens sein.

Von Behaimb. Sie kochen noch immer selbst, Herr Krebs?

Herr Krebs. Wenn ich ganz sicher sein will, daß meine Gäste zufrieden sind.

Lachs. Wie Herr Krebs das anstellt, bleibt mir ein Rätsel; denn es kommt mir vor, besonders an Markttagen, als ob Sie gleichzeitig in der Küche und an jedem der vollbesetzten Tische zur Verfügung stehen.

Herr Krebs. Gewohnheit! Ich habe bei schlechtem Wetter zur See oft unter weit schwierigeren Umständen kochen müssen.

Von Schultzen. Ich finde, man macht uns Schlesiern ganz mit Unrecht den Vorwurf, daß wir im allgemeinen rückständig sind.

Tschache. Dieses Oyster stew ist nicht rückständig.

Peter Brauer. Menzel ist Schlesier, der Ästhetiker Kuno Fischer ist Schlesier.

Zahn. Ich habe mir sagen lassen, daß Schlesien das Hauptkontingent zu unserer Marine stellt, was doch gewiß auf Intelligenz deutet.

Von Behaimb. O ja! Es gibt allerdings in Schlesien auch ein ganz besonderes, seit Jahrhunderten sitzengebliebenes Philistertum.

Peter Brauer. Holtei war Schlesier! Eichendorff!

Lachs. Ist Ihnen Eduard Schaubert bekannt? Dieser Mann schrieb lange vor Gottfried Semper über die Polychromie der griechischen Bauten und Kunstwerke. Er hat früher als Otfried Müller in Athen gelebt, und das neue Athen, auf klassischem Boden, ist nach seinen architektonischen Plänen angelegt.

Von Behaimb. Waren Sie selbst jemals in Athen?

Peter Brauer. Nein, ich bin nur in Rom gewesen.

Von Schultzen. Tschache. Zahn. Ah, Sie waren in Rom!?

Peter Brauer, fest. Ja, ich war in Rom, obgleich meine künstlerische Neigung mehr nach den Niederlanden, den Hals und den Rembrandts und – »fern im Süd das schöne Spanien!« – auf Velasquez gerichtet ist. Schmolcke bekommt einen etwas herausfordernden Hustenanfall.

Von Behaimb, mit scharfer Wendung des Kopfes nach dem Photographen. Wer ist der Herr? Schmolcke, da alle Herren, mit Ausnahme Brauers, ihm die Gesichter zuwenden, grüßt, indem er sich halb vom Sitze erhebt. Von Behaimb, ablenkend. Ja, von was sprachen wir doch?

Lachs. Über zwei der größten Themen der Weltgeschichte: Rom und Griechenland.

Von Schultzen hebt sein Glas gegen von Behaimb. Gestatten Sie, daß ich auf Penzig anstoße!

Von Behaimb. Ich danke verbindlichst. Apropos, Herr Professor, Penzig! – Sie waren in Rom, nicht in Griechenland! – Richtig! Sie sagten, Sie hätten von Penzig, Schloß und Park, gewisse Ansichten aufgenommen. Ich würde ganz gern meiner Frau einen Spaß machen. Könnte man eins dieser Bilder sehen?

Peter Brauer. Ich würde, wenn es nicht anmaßlich wäre, Exzellenz, mir mit größtem Vergnügen die Ehre geben, Ihrer Exzellenz, der gnädigsten Frau, diese bescheidenen Veduten zu widmen.

Von Behaimb. Wo denken Sie hin! Bin äußerst verbunden, Herr Professor. Übrigens einen Anspruch auf den Exzellenztitel haben wir, meine Frau und ich, leider nicht. – Nein! Aber auch Raffael, der Fürst der Maler, hat seine Kunstwerke nicht umsonst gemalt. Vielleicht könnten wir uns darüber einigen?

Peter Brauer, erbleichend. Ganz wie Sie belieben. Ich stehe zu Diensten. Fritz . . .! Er erhebt sich. Doch da müßt' ich wohl allerdings selber gehen.

Von Behaimb. Um Gottes willen, es eilt nicht, Verehrter. Etwas fällt zur Erde und rollt über den Fußboden.

Von Schultzen. Meine Herren, war das der Knopf meiner Krawattennadel? Verzeihung! oder ist mir sonstwo ein Knopf abgeplatzt?

Wiederum fällt etwas zur Erde.

Tschache. Noch einer! Ich untersuche mich auch eben.

Zahn. Ich bin komplett! Es war mir aber, als wäre was auf die Erde gefallen.

Von Schultzen. Zweimal! Das zweite Ding ist durchs ganze Zimmer gerollt.

Von Behaimb. Meine Herren, es gibt doch keine Knopfepidemien. Glauben Sie denn, daß jemand ohne Grund auf einmal sämtliche Knöpfe seines Anzugs verlieren wird?

Peter Brauer, dem beim Aufstehen die Knöpfe von der Weste gesprungen sind, erbleichend und mit schwankender Fassung, aber mit entschlossenem Versuch zum Humor. Es hat seine Gründe, Herr von Behaimb. Künstler auf Reisen . . . von jeher . . .

Fritz, der die Knöpfe gefunden hat, reicht sie dem Professor. Sind das Ihre Knöpfe, Herr Professor?

Peter Brauer, gezwungen unbefangen. Kann möglich sein, daß es meine sind. Die Herren brechen in lebhaftes Gelächter aus. Peter Brauer, indem er wieder Platz nimmt und seine Verlegenheit durch einige Schlucke aus seinem Glas maskiert. Ich werde zu dick. Meine brave Frau kocht mir zu fette Suppen. Nun, ich habe den Feldzug siebzig mitgemacht, und bei dieser Gelegenheit habe ich, obgleich ich keinen Menschen darum gebeten hatte, einen bleiernen Knopf geschenkt bekommen, ein kleines Malheur, das mir noch jetzt irgendwo zwischen den Rippen sitzt. Lieber will ich ein Dutzend verlieren, als noch einen zweiten von dieser Sorte geschenkt bekommen.

Von Schultzen. Was, wir sind alte Kriegskameraden?

Peter Brauer. Ich kann mich rühmen, ich habe die deutsche Einheit bei Spichern und vor Paris miterkämpft.

Von Schultzen. Sie haben den Siebziger Feldzug als Offizier mitgemacht?

Peter Brauer. Landwehrunteroffizier. Später wurde ich Feldwebel.

Von Schultzen. Haben wir außer uns beiden noch einen alten Siebziger Kameraden unter uns?

Von Behaimb. Ich bin leider nicht vor dem Feinde gewesen. Habe dagegen eine im höchsten Grade müßige Zeit als Adjutant des Festungskommandanten von Spandau zugebracht. – Apropos, Herr Professor, ich betrachte es eigentlich als Fügung des Schicksals, daß ich mit Ihnen zusammengetroffen bin. Wir sind nämlich für halb zwei Uhr auf das Katasteramt bestellt und wußten, offen gestanden, nicht recht, was mit der Zwischenzeit anfangen. Auf diese Weise habe ich den Vorzug Ihrer Bekanntschaft gehabt. Ich möchte mir eine Frage erlauben. Aber bitte mir zu verzeihen, wenn ich mich ungeschickt ausdrücken sollte! Wissen Sie zum Beispiel auch mit Wandmalereien Bescheid?

Peter Brauer. Ich denke doch. Ich habe al fresco gemalt und außerdem bereits als Schüler meines unvergeßlichen Lehrers Löwekuhl bei den Wandmalereien im Meißner Schlosse mitgeholfen.

Von Behaimb. Im Park zu Penzig ist nämlich ein kleiner Gartentempel, der meiner Frau aus ihrer Kindheit besonders in Erinnerung geblieben ist. Das Ding ist verfallen, aber ich will es erneuern lassen. Ich würde viel darum geben, wenn ich es etwa zu Mitte Juli, zum Geburtstage meiner Frau, innen mit gefälligen Malereien geschmückt und überhaupt möglichst wieder instand gesetzt sehen könnte. Ähnlich so, wie es gewesen ist.

Peter Brauer, erbleichend, aber doch beherrscht. Ist es das Tempelchen mit der Äolsharfe?

Von Behaimb nickt. Die ebenfalls durch eine neue ersetzt werden muß.

Peter Brauer. Es ist ein kleiner Schinkelscher Kuppelbau. Das Dach ist mit einer Urne gekrönt, aus der Flammen lodern. Wissen Sie, daß ich mir gestern nicht versagen konnte, in den Park einzudringen und um dieses wahre Juwel der Architektur vier-, fünfmal herumzugehen?

Lachs. Es wimmelt dort alles von Himmelschlüsseln.

Tschache, lachend. Was, Sie interessieren sich auch für Himmelschlüssel?

Lachs, lachend. Im Frühjahr mitunter.

Tschache. Ich glaubte, Sie hätten als Bankier nur mit Schlüsseln zu feuersicheren Schränken zu tun?

Von Behaimb, zu Brauer. Kurz: würde Zeit und Neigung es Ihnen gestatten, sich der Renovation des Tempelchens anzunehmen, womöglich die Kuppel selbst auszumalen? Oder mir einen Wink zu geben, wie die stilgerechte Ausschmückung des kleinen Raumes zu bewerkstelligen ist?

Peter Brauer erhebt sich, wird sehr bleich, starrt blöde um sich. Verzeihung. – Ich leide mitunter an Herzklopfen.

Von Behaimb. Nur keine Ausflüchte. Die Sache scheint nicht nach Ihrem Geschmack zu sein.

Peter Brauer. Ganz im Gegenteil, ich . . . ich . . . ich begrüße sie, Herr von Behaimb. Ich bitte mich nicht mißzuverstehen. Ich bin durchaus zu Ihrer Verfügung, vorausgesetzt . . . vorausgesetzt, daß mir vollkommen freie Hand bei der Arbeit gelassen wird.

Von Behaimb. Dann möchte ich Sie am liebsten bitten – vielleicht interessiert es auch Herrn Lachs, seine Schneeglöckchen wiederzusehen –, mit mir in meinen Wagen zu steigen und an Ort und Stelle Genaueres zu verabreden.

Peter Brauer. Ich stehe zu Diensten. Ich bin bereit.

Schmolcke, dessen Unruhe sich gesteigert hat, laut. Entschuldigen Sie, Herr Brauer, kennen Sie mich?

Peter Brauer, abweisend. Ich kann mich im Augenblick nicht erinnern.

Schmolcke. Sie haben vor sechs oder sieben Jahren Kreideporträts nach Photographie, das Stück zu zehn Mark, wenn Sie sich vielleicht erinnern können, für mein Geschäft gemacht.

Peter Brauer. Dessen kann ich mich nicht erinnern.

Schmolcke. Doch, doch! Wir haben damals noch wegen dem Porträt des Streckenwärters Griegoleit, das nicht ähnlich war und das mir zurückgewiesen wurde, Krach gehabt.

Peter Brauer. Mein Herr, es scheint, daß Sie mich verwechseln!

Schmolcke. Peter Brauer verwechseln? Person und Namen? das geht wohl nicht! Damals wohnten Sie noch Breslau, Kupferschmiedestraße, vierter Stock, Hinterhaus. Es war das Gebäude, in dem später die Treppe von oben, bis unten zusammenfiel und die Frau eines Käsehändlers und der kleine Junge aus dem Pommerschen Laden nebenan erschlagen wurden.

Peter Brauer. Was wünschen Sie eigentlich, sagen Sie mal?

Schmolcke. Gott, wir sind doch Kollegen, was soll ich sonst wünschen?

Peter Brauer. Soviel ich an Ihrem Guckkasten sehe, sind Sie doch Photograph. Ich bin Kunstmaler!

Schmolcke. Ich habe mit Pinseln und Ölfarbe mindestens ebensoviel als Sie zu tun gehabt.

Peter Brauer, kurz abgewendet. Was mir durchaus höchst gleichgültig ist.

Schmolcke. Ich habe mit Palette und Pinseln hantiert . . .

Peter Brauer. Hantieren Sie: aber ich bin nicht Ihr Pinsel! Unterdrücktes Gelächter am Stammtisch. Es entsteht eine kleine abwartende Stille.

Schmolcke. Aha! Man spielt sich auf! Man erinnert sich nicht! Man will auf den Photographen herabblicken. Ich habe vielleicht augenblicklich bereits die größte Erfindung des Jahrhunderts gemacht. Ich bin der farbigen Photographie auf die Schliche gekommen. Außerdem ist es noch sehr die Frage, wer von uns beiden bessere Ölbilder liefert.

Peter Brauer. Sie liefern! Ein Künstler liefert nicht!

Schmolcke. Wissen Sie denn, daß ich dem Geheimnis, nach dem die Alten ihre Farben mischten, auf die Spur gekommen bin?

Peter Brauer. Nein! Ist mir noch nicht bekannt geworden.

Schmolcke. Nach welchem Verfahren reiben Sie Ihre Farben ein?

Peter Brauer. Wollen Sie mich vielleicht examinieren?

Schmolcke. Kaufen Sie fertige Farben in Tuben, oder reiben Sie selbst Ihre Farben ein, und machen Sie das mit Öl oder mit Eidotter?

Peter Brauer. Mit Eidotter! Das heißt, ich nehme vielmehr dazu einen gelben, noch nassen, eben ausgeschlüpften Gockelhahn!

Der Stammtisch bricht in unaufhaltsames Gelächter aus. Brauer wischt sich den Schweiß von der Stirn.

Tschache. Dies war also endlich einmal eine veritable Kunstdebatte, wie sie am Stammtisch im Goldenen Lamm sonst nicht üblich ist.

Von Schultzen. O bitte: Siegesallee! Erinnern Sie sich an die große Siegesallee-Diskussion, die wir am dritten Mai vor zwei Jahren mit dem liberalen Stadtbaurat aus Breslau hatten? Heute treten wir allerdings mehr in die Intimitäten der Gilde ein.

Schmolcke. Gut, Sie stellen sich, als ob ich Ihnen ganz fremd wäre. Sie haben wohl Ihre Gründe dafür? Ganz wie Sie wollen, mir liegt nichts daran. Höchstens könnten Sie mir gelegentlich schriftlich zwei Fragen beantworten: wann Sie in Rom waren und wann Sie Professor geworden sind. Es eilt nicht! Es hat Zeit! Ich frage nur beiläufig.

Peter Brauer. Bitte, meine Herren, lassen Sie uns unsere Unterhaltung fortsetzen. Es ist mir unendlich, peinlich, daß ich Anlaß – bitte einen anderen Gast, Herr Krebs! –, daß ich der Anlaß für die ungehobelten, sinnlosen Angriffe dieses fliegenden Photographen geworden bin und daß wir hier diese Störung erleiden.

Schmolcke ist aufgesprungen, hat eine Mappe mit großen Photographien geöffnet, nähert sich damit dem Stammtisch und legt, ohne daß es jemand verhindern kann, jedem der Herren eine von seinen Photographien vor. Was heißt fliegend? Sie sind auch fliegend! Gute Photographien sind besser wie schlechte Bilder. Das Stück zwei Mark: Landschaften! Häusliche Aufnahmen! Sportbilder! Das ist Rittmeister Schenk auf seiner Rappstute Lucia von Lammermoor. Das ist ein Verein. Das sind Herrenhausmitglieder, die seinerzeit der Herzog von Trachenberg einlud . . .zu von Behaimb – ich weiß sehr wohl, daß Sie erbliches Herrenhausmitglied sind, Herr von Behaimb.

Von Behaimb, abweisend. Bedaure! Interessiert mich nicht!

Schmolcke. Ich bin mit den meisten der Herren bekannt. Bitte die Herren, wollen die Herren sich die Bilder durchsehen? Er geht zurück an seinen Tisch und nimmt Hut und Radmantel vom Haken. Bitte ganz ohne Umstände. Sie werden finden: die Photographie ist inzwischen zu einer wirklichen Kunst geworden. Bitte, es hat Zeit. Ich muß leider fort. Ich habe auf dem Gericht zu tun. Im Begriff zu gehen, wendet er sich nochmals. Wie wollen Sie es denn anfangen, eine Kuppel und runde Wände auszumalen, wenn Sie in bezug auf die neuesten Errungenschaften der Technik nicht auf dem laufenden sind?

Peter Brauer. Herr! Bin ich vielleicht nicht auf dem laufenden!?

Schmolcke. Nein! Weil Sie in der Chemie nicht bewandert sind.

Von Schultzen schlägt auf den Tisch und springt auf, krebsrot im Gesicht. Donnerwetter, Herr! jetzt reißt's mir die Strippe. Bespritzen Sie doch, in drei Deibels Namen, Ihre Wände mit Chemikalien oder mit was Sie sonst wollen nach Herzenslust! Bloß uns nicht! Wir sind nicht Ihre Wand! Ich bitte, uns nicht als Wand zu betrachten!

Schmolcke erbleicht, will parieren, duckt sich aber, Krebs bugsiert ihn mit sanfter Gewalt zur Tür hinaus.

Von Schultzen. Bitte sehr um Verzeihung, Herr von Behaimb! – Fritz, befreien Sie uns von diesen Papierfetzen! Fritz räumt die Photographien weg und legt sie auf Schmolckes verlassenen Tisch. Ich bin nämlich zu wenig kunstverständig! – Der Ton dieser Leute paßt mir nicht.

Von Behaimb erhebt sich. Meine Herren, Herr Lachs, wir müssen jetzt aufbrechen! Diese armen Hungerleider von herumziehenden Photographen sind hierherum eine üble Landplage. Man weiß manchmal nicht, wie man sich ihrer erwehren soll.

Von Schultzen. Ich kenne kein Mitleid mit solchen Leuten.

Von Behaimb. Also, werter Professor: Sie kommen mit?

Peter Brauer, nach peinlicher Spannung erlöst. Eine Fahrt nach Penzig: gern einverstanden.

Von Behaimb. Adieu, meine Herren! leben Sie wohl, Herr Krebs!

Von Behaimb läßt Brauer vorangehen, der Mantel und Kalabreser genommen hat, Lachs folgt. Alle drei mit Krebs und Fritz ab, die den Herrschaften bis zum Wagen das Geleit geben.

Tschache. Da hat ja unser sogenannter Professor einen recht gediegenen Fang gemacht.

Von Schultzen. Wieso denn Fang?

Tschache. Lediglich gleichnisweise.

 


 << zurück weiter >>