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Dritter Akt

Das Restaurant von Bänsch. Kleineres altdeutsches Bierlokal. Täfelung. Gebeizte Tische und Stühle. Links sauberes Büfett mit Marmortafel und blankgeputzten Bierhähnen. Hinterm Büfett ein Aufbau für Liköre usw., darin ein viereckiges Klappfensterchen nach der Küche. Tür zu den Wirtschaftsräumen hinterm Büfett links. Großes Schaufenster mit sauberen Vorhängen, daneben eine Glastür auf die Straße. Rechts Tür in ein anstoßendes Zimmer. Abenddämmerung.

Liese Bänsch, hübsch und proper gekleidet, in einer weißen Schürze, kommt langsam durch die niedrige Tür hinter dem Büfett. Sie blickt flüchtig von der Häkelarbeit auf und gewahrt Arnold, der hinter seinem Glas Bier am vorderen Tisch rechts sitzt. Kopfschüttelnd häkelt sie weiter.

Arnold, sehr blaß, leise und nervös mit dem Fuß klappend, starrt lauernd zu ihr hinüber und sagt. Gut'n Abend.

Liese Bänsch seufzt ostentativ und wendet sich weg.

Arnold, mit Betonung. Gut'n Abend! Liese antwortet nicht. Na wenn Sie nicht wollen, auch gut, dann nicht. Ich reiße mich weiter nicht darum. – Fährt fort, sie stumm und fieberhaft erregt anzublicken. Warum machen Sie da so 'ne Bude auf, wenn Sie so unhöflich sind zu den Gästen?!

Liese Bänsch. Ich bin nicht unhöflich. Lassen Sie mich.

Arnold. Ich habe Ihnen gut'n Abend gesagt.

Liese Bänsch. Ich habe Ihnen darauf geantwortet.

Arnold. Das ist nicht wahr.

Liese Bänsch. So?! Also! Mich rührt das im übrigen nicht.

Pause. Arnold schießt mit einem Gummischnepper einen Papierpfeil nach Liese. Liese Bänsch zuckt hochmütig-wegwerfend die Achseln.

Arnold. Denken Sie, daß mir das Eindruck macht?

Liese Bänsch. Ich werde wohl denken, was mir beliebt.

Arnold. – Ich zahle mein Bier so gut wie die andern. Verstehen Sie mich?! Das bitt' ich mir aus. – Oder muß man hier ein Monokel tragen? – – Was verkehrt denn in Ihrem famosen Lokal? Denken Sie, daß ich da Reißaus nehme? Vor den Spießern noch lange nich.

Liese Bänsch, drohend. Na treiben Sie's bloß nicht zu bunt, Mosje!

Arnold. Aha! Das sollte bloß einem mal einfalln. Der sollte sich wundern, verstehn Se woll! Wenn er nämlich dazu überhaupt noch Zeit hat. Liese Bänsch lacht. Wenn einer mich anpackt – verstanden? –, dann knallt's.

Liese Bänsch. Arnold, ich werde Sie bald mal anzeigen, wenn Sie immer mit solchen Sachen drohn.

Arnold. Was denn? – Ich sage, wie jemand mich anpackt! – Und Ohrfeigen knallen doch außerdem auch.

Liese Bänsch. Beleidigen Sie unsere Gäste nicht!

Arnold lacht mehrmals boshaft in sich hinein, trinkt und sagt dann. Nullen! Was gehn mich die Nullen an?!

Liese Bänsch. Was sind denn Sie, wenn Sie sich so auftun? Was haben denn Sie schon geleistet, was?

Arnold. – Das verstehen Sie eben leider bloß nicht!

Liese Bänsch. Ach ja doch! Das könnte jeder sagen. Gehn Sie mal erst und machen Sie was! Und wenn Sie gezeigt haben, daß Sie was können, dann fallen Sie über die andern her.

Pause.

Arnold. Liese, hören Sie mich mal an. Ich will Ihnen das mal erklären richtig.

Liese Bänsch. Ach was denn! Sie machen ja alles schlecht. Herr Quantmeyer wäre kein richtiger Jurist, Herr Baumeister Ziehn kein richtiger Baumeister, das ist ja doch alles der reinste Stuß.

Arnold. Im Gegenteil! reinste Wahrheit ist das. Hier kann so'n Baukerl wie der sich breitmachen, und wenn er von Kunst keinen Schimmer hat. Wenn der aber unter Künstler kommt, da gilt er so viel wie'n Schustergeselle.

Liese Bänsch. Da sind Sie wohl Künstler? Mitleidig. Großer Gott!

Arnold. Auch noch bin ich Künstler. Gewiß bin ich das. Sie brauchen bloß mal in mein Atelier kommen ...

Liese Bänsch. Da werd' ich mich freilich hüten, mein Herr.

Arnold. Reisen Sie mal nach München hin, und fragen Sie rum bei den Professoren – weltberühmte Leute sind das! –, ob die wohl vor mir verfluchten Respekt haben.

Liese Bänsch. Sie nehmen den Mund voll, nicht Herr Ziehn ...

Arnold. Die haben Respekt, und die wissen, warum. Ich kann mehr wie die Kerle alle zusammen. Im kleinen Finger. Zehntausendmal mehr. Mein eigner Vater mit inbegriffen.

Liese Bänsch. Sie nehmen den Mund voll, nicht Herr Ziehn.

Wenn wirklich mit Ihnen so riesig viel los wäre, dann sähen Sie freilich anders aus.

Arnold. Wieso?

Liese Bänsch. Wieso? Na, das ist doch ganz einfach: Berühmte Maler verdienen doch Geld.

Arnold, heftig. Geld! Hab' ich denn etwa kein Geld verdient? Geld wie Mist, da fragen Sie mal. Da brauchen Sie bloß meinen Vater fragen. Gehn Sie und fragen Sie: Ehrenwort!

Liese Bänsch. Wo lassen Sie denn das viele Geld?

Arnold. Ich? Warten Sie nur, bis ich majorenn bin. Wenn einer so'n knausrigen Vater hat –? Liese, sein Sie mal bißchen anständig.

Liese Bänsch. Fritz!

Fritz fährt aus dem Schlaf. Ja!

Liese Bänsch. Fritz! Gehn Sie mal in die Küche, Fritz. Es sind neue Sektgläser angekommen, ich glaube, die Herren trinken heut Sekt.

Fritz. Jawohl! Mit Vergnügen, Fräulein Bänsch. Ab.

Liese Bänsch steht am Schenktisch, Arnold den Rücken zugewendet, löst einige Nadeln aus ihrem Haar und bindet es frisch auf.

Arnold. Das haben Sie mächtig schneidig gemacht.

Liese Bänsch. Bilden Sie sich nur ein, was Sie wollen. Plötzlich dreht sie sich herum und gewahrt Arnold, der sie über die Brille hin anglotzt. Herr Jesus, da glotzt er schon wieder so!

Arnold. Liese!

Liese Bänsch. Ich bin keine Liese für Sie.

Arnold. Ach, Lieschen, wenn Sie vernünftig sein wollten, Sie kleine, nichtsnutzige Bierhebe Sie! Mir is ja so jämmerlich scheußlich zumut.

Liese Bänsch lacht, halb belustigt, halb spöttisch.

Arnold, leidenschaftlicher. Ja, lachen Sie, wenn Sie lachen können! Lachen Sie, lachen Sie immer zu. Vielleicht bin ich auch wirklich lächerlich. Ich meine äußerlich, innerlich nicht. Denn wenn Sie mich innerlich könnten betrachten, da brenn' ich die Kerls von der Erde weg.

Liese Bänsch. Arnold, regen Sie sich nicht auf. Ich glaub's Ihnen ja, ich will's Ihn ja glauben. Aber erstens sind Sie doch viel zu jung, und zweitens – drittens – viertens – fünftens ... das ist ja doch reinster Wahnsinn, Kind! – Na höre, sei mal vernünftig, ja?! Du tust mir ja leid. Was soll ich denn machen?

Arnold, schwer ächzend. Das sitzt einem wie die Pest im Blut. –

Liese Bänsch. Dummheiten! – Steigen Sie mal auf die Bank, und geben Sie mir mal den Kübel herunter. Arnold tut es ächzend. – Ich bin doch'n Mädchen, wie viele sind. – Na hopp! Hopp! – Sie hat ihm die Hand hinaufgereicht, er ergreift sie und springt herunter. Dann hält er die Hand fest, und wie er sich beugt, um sie zu küssen, zieht Liese die Hand weg. Is nich, Goldchen! – So! – Sie kriegen noch zehne für eine, mein Schatz.

Arnold. Liese, was soll ich für Sie tun? Plündern, rauben, stehlen? Sonst was?

Liese Bänsch. Sie sollen mich freundlichst in Frieden lassen. Die Tür im Nebenraume geht. Liese Bänsch horcht, zieht sich gänzlich verändert hinter das Büfett zurück und ruft durch die Küchenklappe. Fritz! Gäste! Schnell, beeilen Sie sich! Die Tür geht wieder, man hört eine lärmende Gesellschaft in das Nebenzimmer eintreten.

Arnold. Bitte: ich wünsche noch ein Glas Bier. Ich setze mich aber ins andre Zimmer.

Liese Bänsch, mit gemachter Fremdheit. Herr Kramer, Sie sitzen doch hier ganz gut.

Arnold. Ja. Aber es zeichnet sich drin viel besser.

Liese Bänsch. Arnold, Sie wissen, es wird wieder Streit setzen. Sein Sie vernünftig, bleiben Sie hier.

Arnold. Um keinen Preis der Welt, Fräulein Bänsch.

Baumeister Ziehn tritt ein, sehr lustig.

Baumeister Ziehn. Hurra, Fräulein Lisbeth, die Bande ist da, die ganze feucht-fröhliche Brüderschaft. Was machen Sie? Wie geht's Ihnen denn? Ihr »Bräutigam« schmachtet schon allbereits. Er gewahrt Arnold. Potz Donnerwetter, entschuldigen Sie!

Liese Bänsch. Fritz! Fritz! Die Herren vom Stammtisch sind da.

Baumeister Ziehn, am Apparat eine Zigarre abknipsend. Fritz, Bier her, Bier her, in Teufels Namen! – Wie geht's dem Papa?

Liese Bänsch. Ach gar nicht besonders, wir haben heut zweimal den Arzt geholt.

Assessor Schnabel kommt herein.

Assessor Schnabel. Herr Baumeister, machen wir heut einen Skat?

Baumeister Ziehn. Ich denke, wir wollten die Gans ausknobeln und wollten dazu mal 'ne Buddel Sekt trinken?

Assessor Schnabel hebt die Arme, singt und tänzelt.

Lieschen hatte einen Piepmatz
in dem kleinen Vogelhaus.

Lassen Sie doch Ihren Freund nicht verschmachten!

Baumeister Ziehn, leise, mit Blicken auf Arnold. Freilich, 'n Gänsebein muß er auch abkriegen.

Assessor Schnabel hat Arnold bemerkt, ebenso verstohlen. Ach so! das ist ja der steinerne Gast, Raffael in der Westentasche. – Bitte um recht viel Brot, Fräulein Lieschen. Zu meiner Portion möcht' ich recht viel Brot.

Fritz ist hereingekommen und hantiert hinterm Büfett.

Liese Bänsch. Was hatten Sie denn bestellt, Herr Assessor?

Assessor Schnabel. Ach so! Ein Paprikaschnitzel mit Brot. Mit kolossal viel Brot, liebes Lieschen. Ich esse nämlich gern riesig viel Brot.

Baumeister Ziehn. Da sollte man Ihnen den Brotkorb hochhängen.

von Krautheim kommt, stud. jur., bemoostes Haupt.

von Krautheim. Um Gottes willen, wo bleibt denn der Stoff, Fritz?

Fritz. Meine Herren, es ist eben frisch angesteckt.

Assessor Schnabel bemonokelt den Bierhahn. Einstweilen kommt Luft, Luft, Luft, nichts als Luft.

Arnold nimmt seinen Hut, steht auf und begibt sich ins Nebenzimmer. Ab.

von Krautheim. Nun hat sie sich wenigstens doch gereinigt. Luft ist es, doch es ist reine Luft.

Assessor Schnabel singt.

Du bist verrückt mein Kind,
du mußt nach Berlin.

Gott sei Dank, er entfleucht, er weichet von hinnen.

Fritz. Das glauben Se nicht, der geht bloß da rein, der will bloß dort sitzen, wo die Herrn sitzen.

Liese Bänsch, affektiert. Ich finde das geradezu ridikül.

Baumeister Ziehn. Quartieren wir einfach in dieses Zimmer.

von Krautheim. Das wär' ja noch schöner, erlauben Sie mal! vor jedem Pavian werden wir auskneifen!

Quantmeyer kommt, schneidiges Äußeres, Monokel.

Quantmeyer. Gut'n Abend! Wie geht's dir, mein liebes Kind? Er faßt Liesens Hände, sie wendet den Kopf ab. Der fatale Kramer is auch wieder da.

Assessor Schnabel. Und wo sich das Bengelchen sonst überall rumtreibt! Gestern morgen hab' ich ihn noch gesehn – ein Anblick für Götter, sage ich euch! – am Ringe, in einem Weiberbums, in einer ganz hundsgemeinen Verfassung. Wenn der hier fertig ist, fängt er erst an.

Quantmeyer. Schatz, sag mal, bist du wohl böse auf mich?

Liese Bänsch löst sich los, lacht, ruft durchs Küchenfenster. Ein Paprikaschnitzel für Herrn Assessor.

Assessor Schnabel. Aber Brot, viel Brot, vergessen Sie nicht. Kolossal viel Brot, ungeheuer viel. Allgemeines Gelächter.

Fritz, mit vier gefüllten Bierseideln. Meine Herren, hier ist Bier. Ab ins Nebenzimmer. Baumeister Ziehn, Assessor Schnabel und von Krautheim dem Kellner folgend. Pause.

Quantmeyer. Sag mal, Mieze, was tückschst du denn so?

Liese Bänsch. Ich? tückschen? Tücksch' ich? Ach, was du nicht sagst!

Quantmeyer. Komm, Luderchen, maul nicht! Komm, sei vernünftig. Schnell, gib mir dein kleines Fresselchen, rasch – und übermorgen besuchst du mich wieder. Übermorgen ist Sonntag, weißt du doch. Da sind meine Wirtsleute beide fort, keine Katze zu Hause, auf Ehrenwort.

Liese Bänsch, sie sträubt sich immer noch ein wenig. Sind wir verlobt oder nicht verlobt?

Quantmeyer. Gewiß doch! Wie solln wir denn nicht verlobt sein? Ich bin doch ein unabhängiger Mensch. Ich kann doch heiraten, wen ich will.

Liese Bänsch läßt sich küssen, gibt ihm einen leichten Backenstreich und entwindet sich ihm. Ach geh, dir glaub' ich schon gar nichts mehr.

Quantmeyer will ihr nach. Krabbe, was bist du denn heute so frech?

Die Glastür geht. Michaline tritt ein.

Liese Bänsch. Pst! –

Quantmeyer. Donnerwetter, was will denn die hier?

Michaline tritt tiefer in das Lokal herein und sieht sich um. Liese Bänsch ist hinter den Schanktisch getreten und beobachtet.

Quantmeyer, scheinbar harmlos, indem er seine Zigarre abknipst. Warte man, Lieschen, ich räche mich noch. Ab ins Nebenzimmer.

Liese Bänsch, nach kurzer Pause. Suchen Sie jemand, meine Dame?

Michaline. Das ist hier das Restaurant von Bänsch?

Liese Bänsch. Gewiß.

Michaline. Ich danke, dann weiß ich Bescheid, dann werden die Herrschaften sicher noch kommen. Sie will in das Nebenzimmer.

Liese Bänsch. Dort sind nur die Herren vom Stammtisch drin.

Michaline. So? Ich erwarte ein junges Ehepaar. Da werde ich mich gleich hier irgendwo hinsetzen.

Liese Bänsch. Bitte hier? Oder da? Oder hier vielleicht?

Michaline, auf der Wandbank vor dem Büfett Platz nehmend. Ich danke. Hier werd' ich mich niederlassen. – Ein kleines Glas Bier.

Liese Bänsch, zu Fritz, der gerade zurückkommt. Fritz, ein kleines Glas Bier. – Sie lehnt sich zurück, tut sehr gesetzt und ordentlich, zupft an ihrer Toilette und beobachtet Michaline mit großem Interesse, dann beginnt sie wieder. Es ist wohl recht schlechtes Wetter draußen?

Michaline, indem sie die Gummischuhe auszieht, hernach den Mantel und schließlich den Hut abnimmt. Ja. Gott sei Dank hab' ich Gummischuhe. Es sieht in den Straßen recht böse aus. Sie nimmt Platz, ordnet ihr Haar und trocknet ihr Gesicht.

Liese Bänsch. Wünschen Sie einen Kamm, meine Dame? Ich kann Ihnen dienen, bitte sehr. Sie kommt und überreicht Michaline ihren Kamm.

Michaline. Sie sind sehr freundlich, danke recht schön. Sie nimmt den Kamm und bemüht sich, die Frisur in Ordnung zu bringen.

Liese Bänsch steckt ihr einen Haarsträhn zurecht. Erlauben Sie, daß ich behilflich bin?

Michaline. Ich danke. Ich komme nun schon zurecht.

Liese Bänsch geht ans Büfett zurück und fährt fort, Michaline mit Interesse zu betrachten. Fritz bringt das Bier und stellt es vor Michaline hin, dann nimmt er eine Zigarrenkiste und trägt sie ins andere Zimmer. Ab. Gelächter im Nebenzimmer.

Michaline. Es geht ja da drin sehr lustig zu.

Liese Bänsch zuckt die Achsel, nicht ohne Affektation. Tja ja, das ist nu mal nicht zu ändern, das lassen sie sich nicht nehmen, die Herren. Sie kommt wieder etwas nach vorn. Sehn Sie, ich mag es ja eigentlich nicht, das laute Wesen und alles das, aber wissen Sie: Vater ist krank geworden, Mutter verträgt den Rauch nicht recht, und außerdem pflegt sie natürlich Papa. Was bleibt einem da übrig, da muß man halt einspringen.

Michaline. Gewiß, das ist ja dann Ihre Pflicht.

Liese Bänsch. Na, außerdem ist man jung, nicht wahr!? Es sind ja auch nette Herren darunter, wirklich fein gebildete, nette Herren. Man lernt ja auch dies und jen's unter Menschen.

Michaline. Gewiß! Natürlicherweise! Gewiß.

Liese Bänsch. Wissen Sie, was aber eklig ist? Plötzlich vertraulich. Wenn sie dann immer das Zanken kriegen. Erst trinken sie, und dann zanken sie sich. Himmel, da muß man sich so in acht nehmen. Da hat man einen zu freundlich begrüßt, da soll man jenem die Hand nicht geben, den dritten nicht mit dem Arme berühren – man weiß es noch gar nicht mal, daß man's getan hat! –, den vierten soll man nicht immer ansehen, den fünften soll man hinausbefördern. Man kann's doch nicht jedem recht machen, gelt? – Aber gleich, hurrr, geraten sie sich in die Haare.

Stimmen, aus dem Nebenzimmer. Liese, Liese, wo stecken Sie denn?

Liese Bänsch, zu Michaline. Ich bleibe bei Ihnen, ich geh' nicht rein. Es wird mir jetzt immer zu ungemütlich. So'n Bräutjam zwischen den andern Herren – nu sagen Sie selber! ... das geht doch nicht. Natürlich soll man da schön mit ihm tun. Nu frag' ich doch jeden ... das kann man doch nicht.

Michaline. Das darf er wohl auch nicht verlangen, Ihr Bräutjam.

Liese Bänsch. Nein, nein, das verlangt er natürlich nicht, aber wenn auch ... Sie steht wieder auf, da Fritz mit leeren Bierseideln kommt. Folgen Sie bloß meinem Rat: nur ja nicht sich mit Verehrern einlassen.

Lachmann kommt durch die Glastür, bemerkt Michaline sogleich und reicht ihr die Hand.

Lachmann, indem er seinen Überzieher und Hut aufhängt. Michaline, wir sind recht alt geworden.

Michaline, belustigt. Nanu, damit springst du mir gleich ins Gesicht?

Lachmann. Ich wenigstens. Ich. Du nicht, aber ich. Und wenigstens mit deinem Vater verglichen. – Er nimmt Platz.

Michaline. Wieso?

Lachmann. Aus Gründen! Aus Gründen! Gewiß. – Als ich damals in eure Kunstschule eintrat ... Kotzdonnerwetter! – Und dagegen heut. Da ist man sehr rückwärts avanciert!

Michaline. Wieso? Es frägt sich nur immer: Wieso?

Lachmann. – Na: – Gott und den Teufel wollte man aussöhnen! Was wollte man nicht? Und was konnte man nicht? Wie stand man da vor sich selber damals! – Und jetzt? – Heut ist man so ziemlich bankerott.

Michaline. Wieso bankerott? In bezug auf was?

Lachmann. In bezug auf manches und noch was dazu. An Illusionen, zum Beispiel.

Michaline. Hm! – – Ich denke, man lebt doch auch so ganz leidlich! – Legst du denn da so viel Wert darauf?

Lachmann. Ja. Alles andere ist zweifelhaft. Die Kraft zur Illusion, Michaline: das ist der beste Besitz in der Welt. Sobald du erst nachdenkst, wirst du das merken.

Michaline. Du meinst also eigentlich Phantasie: und ohne die kann ja ein Künstler nicht sein.

Lachmann. Ja. Phantasie und den Glauben daran. – Einen Schoppen Roten, bitte, wie gestern.

Liese Bänsch, welche den Wein schon vorbereitet und die Flasche entkorkt hat. Ich habe den Herrn gleich wiedererkannt. Sie setzt Flasche und Glas vor Lachmann hin.

Lachmann. So!? Freut mich! Wenn ich das nötige Geld hätte, so tränken wir heute Champagnerwein.

Pause.

Michaline. Du fällst ja von einem Extrem ins andre. Wie reimt sich denn das zusammen, Lachmann?

Lachmann. Gar nicht. Das ist ja der Witz von der Sache. – Mit mir ist's zu Ende, ganz einfach. Punkt! Nu kann das fidele Leben ja anfangen.

Im Nebenzimmer entsteht wiederum Gelächter und Lärm. Liese Bänsch schüttelt mißbilligend den Kopf und begibt sich hinein. Ab.

Michaline. Du bist ja so sonderbar aufgeregt.

Lachmann. So? Findst du? Siehst du, sonst schlaf ich gewöhnlich. – Gott sei Dank, ich bin etwas aufgeregt, aber leider ... lange wird das nicht vorhalten. – Das Alter! Das Alter! Man stirbt sachtchen ab.

Michaline. Ich finde dich gar nicht so alt, lieber Lachmann.

Lachmann. Topp, Michaline! Dann heirate mich.

Michaline, überrascht, heiter. Na, das grade nicht! – Das will ich nicht sagen! – Dazu sind wir nun beide wirklich zu alt. – Aber siehst du: solange du so bei Humor bist, steht's wirklich durchaus noch nicht schlimm um dich.

Lachmann. Ja. Doch! Doch! Doch! – Aber lassen wir das.

Michaline. Sag mal, was hat dich denn so deprimiert, höre?

Lachmann. Nichts! Denn ich bin gar nicht deprimiert. – Ich habe nur wieder mal Rückschau gehalten und bemerkt, daß man eigentlich gar nicht mehr lebt.

Michaline. Wieso? Da frage ich wieder, wieso?

Lachmann. Der Fisch ist ans Wasser angepaßt. Was leben will, braucht seine Atmosphäre. Das ist im Geistigen ebenso. Ich bin in die falsche hineingedrückt. Ob du willst oder nicht, du mußt sie einatmen. Und siehst du, da wirst du selber erstickt. Du empfindest dich nicht mehr. Du kennst dich nicht mehr. Du weißt überhaupt von dir selber nichts mehr.

Michaline. Da bin ich doch besser dran, muß ich sagen, in meiner freiwilligen Einsamkeit.

Lachmann. Ihr seid überhaupt hier besser dran. Von dem Riesen-Philistercancan der Großstadt seht ihr hier nichts und hört ihr hier nichts. Doch ist man erst mal da hineingeraten, so wirbelt es einen durch dick und dünn. – Man will immer raus in die weite Welt. Ich wünschte, ich wäre zu Hause geblieben. – Sie ist gar nicht weit, die Welt, Michaline! Sie ist überall nicht weiter wie hier! Und hier auch nicht enger wie anderwärts. Und wem sie zu eng ist, der muß sie sich weiten: das hat hier zum Beispiel dein Vater getan. Wie gesagt: als ich hier in die Kunstschule eintrat, im Frühling, damals ...

Michaline. Es war im Herbst.

Lachmann. Mir ist da nur Frühling erinnerlich. Da trat man heraus aus dem Kleinbürgerpferch. Und da war es wirklich ... da konnte man sagen ... da tat sich die Welt auf groß und weit. Heut ist man ganz wieder hineingeraten. Häuslich und ehelich eingesargt.

Michaline. Ich sehe dich immer noch stehen, Lachmann mit deinem gelben, seidigen Haar: im Gange, du weißt ja vor Vaters Tür. Vaters Studio war damals noch oben, noch nicht in dem kleinen Flügel für sich. Weißt du's noch, oder hast du's vergessen?

Lachmann. Ich? Nein, du! So was vergißt sich nicht. Nichts hab' ich vergessen, was damals geschah. Da ist mir der kleinste Zug geblieben. Das war aber auch unsre große Zeit. – Man kann das ja nicht im entferntesten ausdrücken: das Mysterium, was sich damals vollzog. Ein geprügelter Lausbub war man gewesen, nun plötzlich empfing man den Ritterschlag.

Michaline. Das empfanden nicht alle wie du, lieber Lachmann. Sehr viele hat Vaters Wesen bedrückt.

Lachmann. Ja. Aber die waren dann auch danach. Wer hallwege etwas in sich hatte, den machte er adlig mit einem Schlag. Denn wie er die Welt der Heroen uns aufschloß ... schon daß er uns wert hielt der Nacheiferung ... und überhaupt: er ließ uns was fühlen gegenüber den Fürsten im Reiche der Kunst, als war' man mit ihnen eines Bluts. Da kam ein ganz göttlicher Stolz, Michaline. – Na also. – Prosit! – Es war einmal. Er bemerkt, daß Michaline kein Glas hat, und wendet sich an Fritz, der eben mit Sekt in das Nebenzimmer will. Ich bitte um noch ein zweites Glas. Fritz bringt es schnell, dann ab mit dem Sekt.

Michaline. Was ist dir denn nur so Besonderes passiert, Lachmann?

Lachmann gießt ein. Ich hab' deines Vaters Bild gesehn.

Michaline. So!? Kommst du von Vater?

Lachmann. Ja. Eben. Direkt.

Michaline. – Na und hat dir das solchen Eindruck gemacht?

Lachmann. So tief wie nur irgend möglich. Ja.

Michaline. Ganz ehrlich?

Lachmann. Ehrlich. Ehrlich. Gewiß.

Michaline. Und du bist nicht enttäuscht?

Lachmann. Nein. Nein. Keinesfalls. – Ich weiß, wo du hin willst. Weshalb du fragst. Aber fragmentarisch ist alle Kunst. – Was da ist, ist schön. Ergreifend und schön. – Was erstrebt ist und was man fühlt, Michaline. Der letzte Ausdruck, nach dem alles ringt ... da erkennt man erst ganz, was dein Vater ist. – Das große Mißlingen kann mehr bedeuten – am Allergrößten tritt es hervor – kann stärker ergreifen und höher hinaufführen – ins Ungeheure tiefer hinein – als je das beste Gelingen vermag.

Michaline. Wie war denn Vater sonst so gestimmt?

Lachmann. Er hat mir furchtbar die Kappe gewaschen, was übrigens leider nun zwecklos ist. Aber weißt du, wenn man die Augen so zudrückt und das wieder so über sich herrauschen läßt, da kann man sich einbilden, wenn man Lust hat, als wäre das noch erst der Frühlingsguß und als sollte man wachsen, wer weiß erst wie hoch.

Baumeister Ziehn und Assessor Schnabel kommen herein. Sie sind angeheitert, sprechen laut und ungeniert und dann plötzlich wieder flüsternd im Tone des Geheimnisses, der aber doch so ist, daß jedermann alles hört. Gelächter im Nebenzimmer.

Baumeister Ziehn. Fritz, schnell noch 'ne Flasche Geldermann. Acht Mark die Flasche, was kann da sein? Die Sache fängt an, mich zu amüsieren.

Assessor Schnabel. 'n gottvoller Kerl, dieser Quantmeyer, was? Hat Einfälle wie so'n altes Haus.

Baumeister Ziehn, unter Lachen. Ich denke ja gleich, ich soll untern Tisch kriechen! – Flüsternd. Nehm Se sich mal in acht, Assessor, wenn Sie von alten Häusern reden, alte Schachteln vertragen das nicht. Er macht Grimassen und deutet mit den Augen auf Michaline.

Assessor Schnabel. Fritz, ist denn der Zirkus Renz wieder hier?

Fritz, mit dem Champagner beschäftigt. Wieso, Herr Assessor? Ist mir nichts bekannt.

Assessor Schnabel. Wieso, wieso? Das riecht man doch förmlich. Riechen Sie denn die Manege nicht?

Baumeister Ziehn. Es lebe die leichte Reiterei!

von Krautheim kommt, will zum Büfett und sagt im Vorübergehen zu Ziehn und Schnabel. Ist das ein Mannsbild oder ein Weibsbild?

Baumeister Ziehn. Gehn Se, untersuchen Se mal. Zu Schnabel, flüsternd. Sagen Sie mal, was ist das mit Quantmeyer? Ist der nu eigentlich auch Jurist? Man wird eigentlich gar nicht klug aus dem Menschen. Wovon lebt er denn?

Assessor Schnabel, achselzuckend. Vom Gelde doch wohl.

Baumeister Ziehn. Ja, wer gibt's ihm denn?

Assessor Schnabel. Na, er scheint doch bei Gelde, das ist doch die Hauptsache.

Baumeister Ziehn. Na und mit der Verlobung, glauben Sie das?

Assessor Schnabel. Ziehn! Sie haben entschieden 'n Schwips.

Baumeister Ziehn. Na, dann ist doch das Mädel horrende dumm! 'n bißchen dumm darf'n Mädel ja sein, aber hören Se, wenn sich eine so wegschmeißt ... Er spricht ihm etwas ins Ohr, dann lachen beide wüst und rauchen heftig. Assessor, sehn Sie sich hier mal um. Er schiebt seinen Arm in den des Assessors und führt ihn ohne Rücksicht auf Michaline und Lachmann bis dicht an deren Tisch. Ohne um Entschuldigung zu bitten, beengt er sie und zeigt mit weit ausgestreckter Rechten laut und prahlerisch Einzelheiten des Raumes. Das hab' ich gemacht, die ganze Geschichte. Die ganze Geschichte hab' ich gemacht. Täfelung und Decke, Büfett und alles. Alles selber gezeichnet, alles mein Werk. Deswegen kneip' ich auch hier so gern. Wir haben Geschmack, sehn Se, meinen Sie nicht? Verflucht geschmackvolle Kneipe das. Er läßt ihn los und zündet seine Zigarre mit einem Streichholz an, das er mit großer Umständlichkeit auf dem Tisch Lachmanns und Michalinens in Brand gerieben. Wieder kommt Gelächter aus dem Nebenzimmer. Fritz trägt den Champagner hinein, Ziehn macht eine Wendung und sagt. Er wird wohl den Jüngling noch gänzlich verrückt machen. Assessor Schnabel zuckt die Achseln. Kommen Sie man, es geht wieder los. Beide ab ins Nebenzimmer.

Michaline und Lachmann sehen einander bedeutsam an. Pause.

Lachmann, sein Zigarrenetui aus der Tasche nehmend, trocken. Diese Typen finde ich mangelhaft. – Erlaubst du, daß ich ein bißchen rauche?

Michaline, einigermaßen unruhig. Gewiß.

Lachmann. Und du?

Michaline. Nein, danke. Hier nicht.

Lachmann. Ja, ja, wir haben's hübsch weit gebracht: wir Tausendsassas von heutzutage. – Oder sag mal ... zweifelst du etwa daran?

Michaline. – Ich finde es nicht sehr gemütlich hier.

Lachmann, rauchend. Und nähmst du Flügel der Morgenröte, so entgehst du doch dieser Sorte nicht. – – Himmel, wie fing sich das alles an! – Und heut schneidet man Häcksel für diese Gesellschaft. – Kein Punkt, in dem man so denkt wie sie. Alles hüllenlos Reine wird runtergezerrt. Der schlechteste Lappen, die schmierigste Hülle, der elendeste Lumpen wird heiliggesprochen. Und unsereiner muß doch das Maul halten und rackert sich doch für die Bande ab. – Prost, Michaline, dein Vater soll leben! Und die Kunst, die die Welt erleuchtet, dazu. – Trotz alledem und trotz alledem! – Sie stoßen an. – Ja, war' ich noch fünf Jahr jünger als heut ... da hätt' ich mir sonst auch noch etwas gesichert, was mir heute leider verloren ist, und da sähe doch heut manches rosiger aus.

Michaline. Weißt du, was manchmal das Schwerste ist?

Lachmann. Was?

Michaline. Unter Freunden?

Lachmann. Was denn?

Michaline. Das: einander nicht stören in seinen Irrwegen! – Na also, nochmals: Es war einmal. Sie stößt bedeutsam mit ihm an.

Lachmann. Gewiß. Gewiß. Es geschieht mir auch recht. Die Zeit ist unwiederbringlich vorüber. Aber einstmals war es doch nahe dran ... und wenn du auch noch so sehr heute den Kopf schüttelst, da hätte ich bloß zu nicken gebraucht.

Hallo und Gelächter im Nebenzimmer.

Michaline wird blaß, fährt auf. Lachmann ... was? Hast du das gehört?

Lachmann. Ja. Regt dich das wirklich auf, Michaline?

Michaline. – Ich weiß wirklich selbst nicht, woran es liegt. Es hängt wohl wahrscheinlich damit zusammen, daß Arnold und Vater sehr gespannt sind und daß mich das etwas beschäftigt hat.

Lachmann. Ja, ja. Aber wie denn? Wieso denn jetzt?

Michaline. Ich weiß nicht. Möchten wir nicht lieber fortgehn? Ach so, deine Frau! Ja, dann warten wir noch. Aber wirklich, hier ist mir nicht gut zumut.

Lachmann. Achte doch auf den Pöbel nicht.

Liese Bänsch kommt aus dem Nebenzimmer.

Liese Bänsch. Ach Gott im Himmel, nein, nein, aber auch! Da trinken die Herrn so viel Champagner, und dann wissen sie gar nicht mehr, was sie tun. Es ist wirklich ein Elend, meine Herrschaften. Sie nimmt ungeniert auf einem Stuhl an Lachmanns und Michalinens Tisch Platz. Ihre große Erregung läßt erkennen, daß irgendein Vorfall ihr wirklich unangenehm gewesen ist.

Lachmann. Die Herren benehmen sich wohl nicht ganz taktvoll?

Liese Bänsch. Ach schon. Sie sind ja soweit sehr anständig, aber sehn Sie, da ist so ein junger Mensch, den machen sie immer ganz ... – sie schüttelt andeutend, wie in einer Art Besinnungslosigkeit den nach hinten übergelegten Kopf und macht dazu noch fahrige Gesten mit der Hand – ganz ... na, ich weiß nicht! –

Lachmann. Das ist wohl Ihr Bräutigam?

Liese Bänsch tut so, als ob sie fröstelte, blickt auf ihren Busen herab und zupft dort Spitzen zurecht. Ach nein, es ist nur ein dummer Mensch, der sich allerhand Albernes in den Kopf setzt. Was geht mich der dumme Junge denn an? Er soll sich doch scheren in Gottes Namen. Zu Michaline. Oder würden Sie sich das gefallen lassen, wenn einer so sitzt wie'n Marabu? Ich kann doch tun, was ich will, nicht wahr? Was geht mich denn so'n Aufpasser an! Sie steht erregt auf. Übrigens ist mein Bräutjam betrunken, und wenn er sich so betrinken will, dann kann er's gefälligst woanders tun. Sie hockt sich in die versteckteste Ecke des Büfetts. Pause.

Lachmann. Du kannst dir nicht denken, wie das einen anmutet: dein Vater in seinem Atelier und hier diese ... sagen wir: noble Gesellschaft. – Und wenn man sich dann an das Bild erinnert – das feierlich ruhige Christusbild! – und sich das hier so vorstellt in all dem Dunst mit seiner erhabenen Ruhe und Reinheit – ganz seltsam wirkt das! Ganz sonderbar. – – Ich freue mich, daß meine Hälfte nicht da ist, ich hatte geradezu Angst davor.

Michaline. – Wenn man nur wüßte, ob sie noch herkommt. Sonst würde ich vorschlagen ... fühlst du dich wohl –? –

Lachmann, der seine Zigarrentasche in den Überzieher zurücksteckt. Ja. Seit unsrem Anstoßen von vorhin. – Trotz alledem! Und trotz alledem! – Wenn zweie so sagen: es war einmal, da ist immer auch noch was übriggeblieben, und darauf stoßen wir dann noch mal an.

Im Nebenzimmer entspinnt sich nun, nach einem Lachausbruch, immer lauter werdend, folgender Wortwechsel.

Quantmeyer. Wie heißen Sie? – Was sind Sie? – Was? – Was sitzen Sie immer hier und glotzen uns an? – Und fixieren uns? – Wie? – Was? – Geniert Sie das? – Geniert Sie das, wenn ich meiner Braut einen Kuß gebe? – So! – Denken Sie, ich werde Sie fragen? – Sie! Sie! Sie! Sie – sind ja meschugge! Meschugge sind Sie! –

Stimmen der andern, durcheinander unter Gelächter. Duschen, duschen, 'ne kalte Dusche!

Quantmeyer. Kann ich nicht hier mein Strumpfband zeigen? – Meinen Sie, daß ich das nicht darf? – Gelächter.

Lachmann. Das scheint ja 'ne saubre Gesellschaft zu sein.

Quantmeyer. Meinen Sie, daß ich das nicht darf? Ich trage Damenstrumpfbänder, basta! – Und wenn es nicht meins ist, na denn eben nicht! Dann ist es am Ende gar Lieschens gewesen. Lachen.

Liese Bänsch, zu Michaline und Lachmann. Er lügt. Es ist 'ne Gemeinheit! Er lügt! Das will mein Bräutjam sein, der so lügt!

Quantmeyer. Was? – Was? – Immer vorwärts, kommen Sie nur! – Und wenn Sie zu Kalkmilch werden, mein Junge, – das verdirbt mir die Laune noch lange nicht. – So'n Kleckser! – so'n Anstreicher! – so'n Malerstift! – Ein Wort noch, dann fliegt er, verlaßt euch drauf! –

Liese Bänsch, hastig und sich im Reden überstürzend. Die Sache ist nämlich so gekommen ... Sie müssen nicht denken, meine Dame, daß ich Ihnen schuld bin an dem Skandal. Die Sache war so. Das kam nämlich so. Mein Bräutjam ist nämlich angeheitert, und da kniff er mich immer in den Arm, und nun hatten sie sich's in den Kopf gesetzt, sie wollten ihn eifersüchtig machen ...

Lachmann. Wen wollten sie eifersüchtig machen?

Liese Bänsch. Den jungen Menschen, von dem ich sprach. Ich bin schon bei seinem Vater gewesen. Was hab' ich nicht da schon alles getan? Es hilft nichts! Er kommt und sitzt in der Ecke und treibt es so lange, bis es so kommt.

Lachmann. Was treibt er denn eigentlich?

Liese Bänsch. Eigentlich gar nichts. Er sitzt eben nur und paßt immer auf. Das ist aber doch sehr unangenehm. Da kann er sich schließlich doch gar nicht wundern, wenn sie ihn systematisch hinausärgern. Quantmeyer spricht wieder. Da sehn Sie's, da fängt es schon wieder an. Ich gehe wirklich zu Vater rauf, ich weiß mir wahrhaftig keinen Rat mehr.

Quantmeyer. Wissen Sie noch, was ich eben gesagt habe? – Nicht? – Haben Sie das vergessen? Was? – Dann hören Sie noch mal Wort für Wort: – Meine Braut kann ich küssen, wie ich will – wo ich will – wann ich will. – Der Deiwel soll kommen und mich dran hindern. – So. – Nu sagen Sie noch ein Wort – und wenn es gesagt ist, liegen Sie draußen. –

Liese Bänsch. Pfui Kuckuck! Das will mein Bräutjam sein Benimmt sich so und lügt solche Sachen?

Aus einem plötzlichen Aufschreien aller Stimmen zugleich unterscheidet man folgende Worte.

Baumeister Ziehn. Halt, Bürschchen, halt, so fett speisen wir nicht.

Assessor Schnabel. Was? Was? Polizei! Ins Loch mit dem Lümmel!

von Krautheim. Wegreißen, Quantmeyer! Kurzen Prozeß.

Quantmeyer. Wagen Sie's! Wagen Sie's! Menschenskind!!

Baumeister Ziehn. Wegreißen!

Assessor Schnabel. Wegreißen! Eins, zwei, drei.

Quantmeyer. Weglegen! Hören Sie! Weglegen! Weglegen!

Baumeister Ziehn. Legen Sie weg das Ding oder nicht?

Assessor Schnabel. Seht ihr's, der Kerl ist'n Anarchist.

Es beginnt ein kurzes, stummes Ringen im Nebenzimmer.

Michaline ist in plötzlicher, unerklärlicher Angst aufgesprungen und greift nach ihren Sachen. Lachmann, ich bitte dich, komm ... komm hier fort!

Baumeister Ziehn. So, Kinder, ich hab's. Nun haben wir dich.

Assessor Schnabel. Haltet ihn! Haltet den Schurken fest! Nun stürzt Arnold, tödlich blaß, herein und zur Tür hinaus. Ziehn, Schnabel und von Krautheim verfolgen ihn mit dem Ruf Festhalten! Festhalten! Haltet ihn fest! Sie rennen hinter ihm drein auf die Straße hinaus und verschwinden. Man hört ihre Rufe und die Rufe einiger Passanten, schwächer und schwächer werdend, bis sie in der Ferne verhallen.

Michaline, wie betäubt. Arnold! War das nicht Arnold?

Lachmann. Still! Quantmeyer und der Kellner treten herein.

Quantmeyer, einen kleinen Revolver vorzeigend. Siehst du wohl, Lieschen, da hast du den Schuft! – Sieh dir mal an gefälligst das Ding! – Kostet zwar höchstens fünf, sechs Mark, hätte doch aber bös können was anrichten.

Liese Bänsch. Lassen Sie mich doch bitte in Ruh'!

Fritz. Bitt' schön gefälligst! Bitte sehr! Gäste, die einen Revolver herausziehen und neben sich legen ... neben ihr Bier ... für solche Gäste bedien' ich nicht.

Liese Bänsch. Wenn Sie nicht wollen, dann lassen Sie's bleiben.

Lachmann, zu Fritz. Hat Sie der Herr damit bedroht?

Quantmeyer mißt Lachmann mit einem Polizeiblick. Ja. – Hat er! – Der Herr! – Oder zweifeln Sie dran? – Das ist ja noch schöner, wahrhaftigen Gott! Wir werden uns wohl noch verantworten müssen.

Lachmann. Ich habe mir nur zu fragen erlaubt. – Den Kellner! Nicht Sie.

Quantmeyer. Erlaubt! Erlaubt! – Wer sind Sie? Was mischen Sie sich hier ein? – Oder sind Sie vielleicht mit dem Früchtchen verwandt? – Dann wäre ja das sozusagen ein Aufwaschen. – Der Herr! Auflachend. – Hat für heute wohl, denk' ich, genug, der Herr! – Die Lehre dürfte dem Bengel wohl sitzen. – Aber denkst du, der Feigling hat sich gewehrt ...?

Michaline, aus der Betäubung erwachend, steht auf, geht wie von Sinnen auf Quantmeyer zu. Arnold!!! – War das nicht Arnold?! –

Quantmeyer. Was? –

Liese Bänsch, den Zusammenhang ahnend, tritt blitzschnell zwischen Quantmeyer und Michaline; zu Quantmeyer. Weg! Lassen Sie unsere Gäste zufrieden ... ich rufe sonst auf der Stelle Papa.

Michaline, mit einem schmerzlich verzweifelten Schrei, wie wenn sie Arnold zurückrufen wollte, in höchster Angst nach der Tür zu. Arnold!!! – – – War das nicht Arnold?!

Lachmann, ihr nach, sie festhaltend. Nein!! – Nein, nein, Michaline! – Fasse dich! –


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