Gerhart Hauptmann
Magnus Garbe
Gerhart Hauptmann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erster Akt

Hoher getäfelter Raum in einem Patrizierhause. Eine Staffelei mit Bildtafel darauf ist aufgestellt.

Felicia Garbe, die junge Frau des Bürgermeisters Magnus Garbe, tritt ein. Sie ist gesegneten Leibes. Monica, eine Begine, begleitet sie.

Felicia. Wieder soll ich gemalt werden, Monica?

Monica. Ja.

Felicia. Ich bin unruhig.

Monica. So sollt Ihr dem Maler nicht zu dem Bild sitzen, Frau Bürgermeisterin!

Felicia. Magnus will es. Aber sage mir doch um Gottes willen, was ist es für ein Rauch, der über den Marktplatz zieht? Oder wären es Wolken, Monica? Die Sonne ist doch heut an einem wolkenlosen Himmel aufgegangen. Welche Schatten! – Welche eilenden Schatten, Monica! Es ist sonderbar, wie du immer unter dem Schatten erbleichst. – Sollte ein Brand in der Vorstadt ausgebrochen sein?

Monica. Es ist auch mitunter etwas in der klaren Luft, was den Essenqualm in die Gassen drückt.

Felicia. Ich fürchte, der Maler wird nicht sehen. Findest du es eigentlich richtig, wenn man eine Frau malt, die gottgesegneten Leibes ist?

Monica. In der Kapelle unseres Beginenhauses ist ein Altarbild. Ihr kennt es selbst. Die heilige Jungfrau Maria besucht die heilige Elisabeth. Die heiligen Frauen sind im Hause des Zacharias beieinander. Zu der Zeit aber trägt Elisabeth, wie Ihr wißt, Johannes den Täufer unter dem Herzen.

Felicia. Versündige dich nicht, Monica! Gott kennt mein Inneres, er weiß gewiß, ich vergleiche mich mit seinen Heiligen nicht.

Monica. Die Meister der Malerei haben oft im Stande der Sünde befindliche Menschen zu Vorbildern ihrer Altartafeln genommen.

Felicia. Dann hat Gott ihren Griffel, hat Gott ihren Pinsel geführt. Ihr frommes Beginnen ist durch den Heiligen Geist durchglüht, gereinigt und ins Wunderbare verändert worden. Ich bin nur ein schlechtes, ein sündiges Weib.

Monica. Seid Ihr schon keine Himmelskönigin, ich nenne Euch wenigstens eine irdische.

Felicia. Immer sprichst du ungehörige, törichte Worte, Monica. Willst du die strafende Hand des Himmels herabfordern?

Monica. Dazu seid Ihr eine unserer heiligen Kirche zu demutsvoll ergebene Dienerin.

Felicia. Ach, könntest du Menschen auf Herz und Nieren prüfen . . . Aber sage, warum erscheint dir ein solches armes Weib als Königin, das angstvoll seine Stunde erwartet?

Monica. So mancher habe ich beigestanden und keine gefunden, die so fröhlich ihrer Stunde entgegengegangen ist.

Felicia. Bange bin ich und bin auch fröhlich. Weshalb nennst du mich Königin?

Monica. Eure Schönheit rühmt man bis an des Kaisers Hof. Ihr seid reich wie die Fugger. Magnus Garbe ist der prächtigste und mächtigste Mann in der Stadt.

Felicia. Magnus Garbe hat auch seine Schmerzen.

Maler Jan Gossaert kommt.

Jan Gossaert, etwas außer Atem. Ich habe Euch warten lassen, vergebt!

Felicia. Könnt Ihr uns denn nicht sagen, was für ein Rauch noch immer die Stadt verfinstert?

Jan Gossaert, mit geflissentlicher Eile seine Arbeit aufnehmend. Würdet Ihr nun wohl den Platz auf dem Sessel einnehmen?

Felicia, lächelnd. Er hört nicht. Das Fieber der Arbeit hat unseren Meister bereits mit allen Sinnen gefangengenommen.

Jan Gossaert. Oh, war ich zerstreut? Es ist möglich. Ich bin sehr hastig gelaufen.

Felicia. Habt Ihr Euren gewohnten Morgengang vor der Stadt durch die Gärten gemacht?

Jan Gossaert. Ihr habt recht, ich war in den Gärten und Weinbergen.

Felicia. Sind die Winzer zufrieden?

Jan Gossaert, immer zerstreut. Die Stöcke haben gut angesetzt. – Da der Pinsel in seiner Hand allzu stark zittert, legt er ihn weg. Verzeiht, meine Hand ist noch etwas unsicher!

Felicia. Meister, was ist Euch zugestoßen?

Jan Gossaert hat sich erschöpft und tief erblassend niedergelassen. Bei Gott, es ist mir nichts zugestoßen. – Außer, daß ich gedacht und gesonnen habe; was ein Fehler ist. Wer grübelt, kann nur immer zu ein und demselben Schluß kommen.–

Felicia. Zu welchem?

Jan Gossaert. Daß die Welt am hellen Tage vom Satan verfinstert ist.

Felicia. Ich habe das zuletzt von der Kanzel der Kathedralkirche herunter gehört, Meister. Ein Dominikaner von auswärts predigte. Von Euch aber war ich bisher das Loblied der Schöpfung gewohnt. Vielleicht wollt Ihr mir nun aber meine erste Frage beantworten, was es mit dem ziehenden Rauch für eine Bewandtnis hat!

Monica macht dem Maler abwehrende Zeichen.

Jan Gossaert. Nein, ich kann sie Euch nicht beantworten.

Felicia. Ihr seid übereingekommen – sogar Magnus, mein Mann, nicht ausgenommen–, mich in allerlei Sachen zu hintergehen. Ihr tut sehr unrecht, daran zu glauben, daß ein solches Versteckenspiel einem Weibe meiner Art und besonderen Umstände dienlich ist. Und endlich: allzu Offenbares verbirgt sich nicht.

Monica. Nun also: das Haus der Witwe des Magisters Johannes Textor, heißt es, soll in Brand geraten sein.

Felicia. Unser Augustiner soll für das Seelenheil des armen Magisters noch heut in der Hauskapelle Messe lesen. Glaubt Ihr übrigens, der Einzug des heiligen päpstlichen Tribunals in die Stadt könne irgend jemand verborgen bleiben? Meint Ihr, ich hörte das tägliche, ja fast stündliche Brausen unserer gewaltigen Kirchenglocken nicht, deren einige ich schon kannte, als sie der Meister Erzgießer aus dem Mantel schlug? Eine jede, die anschlägt, nenne ich ja mit Namen; Glockenspiele und Armsünderglöckchen auch.

Jan Gossaert. Also ist Euch das eine kein Geheimnis, hochmögende Frau: daß die Canes Domini die Gebeine des Magisters aus dem Grabe gewühlt, durch die Gassen geschleift und verflucht haben. Auch der rauchende Schutthaufen des Hauses ist verflucht, das er seiner Witwe und seinen Kindern als Zufluchtsort hinterließ. Sic fiat locus sanctionum et cedat in locum sterquilini et foetoris.

Der alte, würdige Diener Dominik tritt ein.

Dominik. Peter Plank ist da. Er bringt die Wiege.

Felicia. Habt Ihr etwas dawider, Meister, wenn ich die Wiege hier besichtige?

Jan Gossaert. Bewahre Gott! Eine Wiege zu sehen ist immer erquicklich. Obgleich Salomo den Tod und die Toten lobt und glücklicher schätzt als die Lebenden und hinzusetzt: »Der noch nicht ist, ist besser denn alle beide, weil er des Bösen, das unter der Sonne geschieht, nicht innewird.« – Aber eine Wiege zu sehen bringt einen Hauch von Beseligung, als frühester Gedanke der Mutterliebe.

Auf einen Wink Feliciens hatte sich Dominik entfernt. Er ist nun mit Peter Plank, dem Schreiner, der eine Wiege trägt, wieder eingetreten.

Felicia. Tretet her, Peter Plank! Ich darf mich nicht rühren, dieweil ich ein Bild geworden bin. Aber Ihr auch, wie es scheint. Was gibt's mit Euch?

Dominik. Dem Meister Schreiner ist eine getigerte Dogge über den Weg gelaufen.

Felicia. Was willst du damit sagen, braver Dominik?

Dominik. Es geht das Gerücht, ein wutkranker Hund mache die Stadt unsicher.

Peter Plank. Er hing den Kopf, zog den Schwanz zwischen die Beine, trottete planlos kreuz und quer und ließ die Zunge zum Halse heraushängen.

Felicia. Ihr sagt, ein wutkranker Hund mache die Stadt unsicher?

Dominik. So geht das Gerücht.

Jan Gossaert. Es schleicht ein wutkranker Hund durch die Gassen herum?

Dominik. So redet man.

Monica. Ihr seid einem tollwutkranken Hund begegnet, Peter Plank?

Peter Plank. Und habe gesehen, wie er einem jungen Rinde mit einem Biß ein tellergroßes Stück Fleisch aus dem Schenkel gerissen hat.

Felicia. Habt Ihr es denn heute alle auf ein armes Weib abgesehen, das im Herzen fröhlich ist? Wißt, ich bin fröhlich in meinem Herzen! Ich will nichts wissen von Euren eingebildeten Schrecken. Bleibt draußen mit Eurer gottlosen Bangigkeit!

Jan Gossaert. Ich unterscheide nun weder Form noch Farbe mehr.

Monica. Ist's Mittag, oder ist's Mitternacht?

Felicia. Dominik, bringe nun die Wachskerzen! Ein Sturm erhebt sich. Am Himmel steht eine schwarze Wolkenwand.

Jan Gossaert. Scherben! Ein Fenster! – Himmel, welche rasende Staubwolke über den Marktplatz steigt!

Felicia. Wofür sind wir im Brachmond? Es ist ein Gewitter. Geh, man soll durch das Haus alle Fenster schließen, Monica!

Jan Gossaert. War das ein Blitz?

Peter Plank. Es war kein Blitz, Meister. – Jesus, Maria und Joseph! Er zittert und faltet die Hände.

Jan Gossaert. Aber nun war es einer.

Peter Plank. Jetzt ist eine mächtige Feuerkugel von der obersten Spitze am Turm der Erlöserkirche herunter das Dach entlanggerollt und auf das Rathaus übergesprungen. Ich habe gesehen, wie sie mit einer Flamme über den ganzen Himmel auseinanderging.

Felicia. Von der Erlöserkirche, wo heute das heilige Tribunal versammelt ist?

Jan Gossaert. Von der Erlöserkirche, wo heute das heilige Tribunal versammelt ist. Ich habe die Kugel auch gesehen.

Felicia. Auch Magnus Garbe ist in der Kirche.

Jan Gossaert. Ich dachte, nun würde ein wahrer Sinaidonner die Grundfesten unserer Stadt erschüttern.

Peter Plank. Es donnert nicht, und es regnet nicht.

Felicia. Es ist nichts. Ich glaube, es zieht vorüber. Zeiget mir nun endlich, was Ihr gemacht habt, Peter Plank!

Peter Plank, mit der Wiege zu Felicia tretend. Sie ist einfach, nach Eurer Weisung geraten. Es liegt nicht an mir, wenn sie für Euer Haus allzu einfach ist.

Felicia. Die Krippe des Heilands war noch einfacher.

Jan Gossaert. Es löscht nicht den Staub. Die verschmachtete Erde dürstet nach Wasser nicht anders, als die Welt nach dem Erlöser schreit. Aber der Schoß des Himmels bleibt verschlossen.

Felicia bewegt die Wiege und singt dazu leise
    Da droben auf jenem Berge,
    da wehet der Wind,
    da sitzt die Maria
    und wieget ihr Kind.
    Sie wiegt es mit ihrer schneeweißen Hand,
    dazu braucht sie kein Wiegenband.

Jan Gossaert. Was habt Ihr gesungen, himmlische Frau? Was habt Ihr gesungen, allerseligste Königin?

Felicia. Ihr sündigt, Meister.

Jan Gossaert. Es riecht nach Schwefel. Brennender Sturm deckt die Dächer ab, der leere Himmel kann nicht gebären; aber Euch, holdseligste Frau, wird inmitten der Wirrnis das holdseligste Kindlein beschert werden.

Felicia. Verzeih uns Gott, was an Euren Worten unfromm, eitel und nicht gar demütig ist. Aber möge er meine Stunde segnen! – Monica kommt wieder. Habt ihr Türen und Fenster wohl verwahrt?

Monica. Ja. – Es ist allbereits wieder heller geworden. Der Bürgermeister mit einigen Ratsherren schreitet über den Markt heran.

Felicia. Dann wollen wir alles eilig forträumen.

Felicia erhebt sich eilig, winkt dem Meister zum Abschied und entfernt sich. Dominik, der mit Monica gekommen war, hilft die Malutensilien hinaustragen. Der Maler entfernt das Bild. Es ist alles in Hast gegangen; darüber ist die Wiege vergessen worden und stehengeblieben. Magnus Garbe, der Bürgermeister, und Doktor Cornelius Anselo, der Ratsherr und Arzt, begleitet vom Ratsdiener Gößwein, treten ins Zimmer.

Garbe. Lege einstweilen alles dort auf den Tisch, braver Gößwein!

Der Ratsdiener legt einen gewaltigen Stoß Akten ab, macht seine Verbeugung und entfernt sich.

Garbe, auf die Verbeugung des Ratsdieners, ihn damit gleichsam entlassend.

Leb wohl! –

Er geht langsam umher, übergibt Dominik, der erscheint, Barett und Handschuhe, prüft ohne Eile, nachdem Dominik sich entfernt hat, ob alle Türen geschlossen sind, tritt dann ebenso dem Arzt und Ratsherrn gegenüber.

Nun sind wir allein, lieber Doktor Anselo.

Doktor Anselo nickt ernst mit dem Kopf. Beide sehen einander gerade und tief in die Augen. So ist's, Magnus Garbe, wir sind allein.

Garbe. Ihr meint, wie zwei klare Köpfe unter Rasenden. Nun, solange wir hier sind, Auge in Auge, haben wir ja, Gott sei Dank, auch zwischen sie und uns eine undurchdringliche Wand gestellt. Und, Anselo, hier muß ich reden. Dieser Blutmensch, der sich in Blut berauscht, mit dem Trieb eines Marders: dieser Mönch, dem das Fieber des Irrsinns in den Augenhöhlen glüht – will er die deutschen Städte entvölkern? Wo kommt er her? Mit welcher Vollmacht? Will man leugnen, daß Rom eine welsche Stadt, der Dominus apostolicus ein Welscher ist? Leges sacrosanctae! Was ist denn das? Will der Papst mit alten, vor mehr als dreihundert Jahren von einem Kaiser erschlichenen Gesetzen Deutschland in einen Kirchhof verwandeln? – Ecclesia non sitit sanguinem, wie es heißt. Aber wenn die Kirche kein Blut vergießt, so macht sie die Fürsten und Städte zu ihren Scharfrichtern. Unsere Gerichte, unsere Richter müssen zusehen, trotz unserer besseren Einsicht zusehen, wenn ihre blinde Glaubenswut mit blindem Wahnwitz um sich greift, in einem sogenannten Gerichtsverfahren, ohne offene Zeugen; ohne Beweise, ohne Verteidigung, wo jeder so gut wie geköpft, gehängt, ertränkt, gerädert und nach unzähligen gräßlichen Martern des peinlichen Verhörs in den Foltergewölben ermordet ist, den die Lüge eines heimlichen Denunzianten auch nur mit dem schwächsten Verdacht streift. Ich sage, wir müssen bei alledem zusehen, obgleich wir Christen und Deutsche sind, obgleich wir Bürgermeister, Senatoren, Richter und Bürger selbsterbauter, selbstgeschaffener reichsfreier Städte sind. Sie morden nicht selbst, beileibe! Wir müssen ihre Blutknechte sein, müssen sine visione auf dem Schindanger ihre Schandurteile vollstrecken. – Als heute die Verhandlung in der Erlöserkirche zu Ende war und das arme Schneiderlein – ich kenne ihn gut: er trübt kein Wässerchen –, dem man mit heuchlerischer Milde sein verstecktes Todesurteil gesprochen hatte, auf die Knie fiel und in Herzensqual laut zu Gott betete, da brach der ganze voll Menschen gepfropfte Dom in Lachen aus, daß der Schall wie Geheul der Hölle von den Gewölben aller drei Schiffe wiederkam. Ich habe da nichts von Christus gespürt, aber dafür umso mehr Gestank aus dem Rachen eines reißenden Tieres. – Und doch war an dem Körper des armen Schneiderleins, das weder lesen noch schreiben kann, so schon kein Glied mehr heil. Man hatte ihn Woche um Woche in einem stinkenden Kerker verkommen lassen und ihn von dort nur auf die Folter geführt. Er ist gestreckt, mit glühenden Zangen zerrissen, mit Schrauben und unter die Nägel getriebenen Pflöcken geschunden worden, bis er gebrüllt hat, was man ihm vorsagte: eben das, was man hören wollte und wodurch, wie diese geistlichen Folterknechte meinen, sein Abfall von der reinen Lehre der Kirche erwiesen ist. Und dabei ist die Asche des Holzstoßes vor dem Tor, auf dem vier arme Sünder verbrannt worden sind, noch nicht kalt geworden.

Doktor Anselo. Sprecht Euch aus, es tut wohl, bester Bürgermeister!

Garbe. Schweigen: ich sterbe fast daran. Ich wollte den geistlichen Bluthund nicht hereinlassen. Wir haben eigene weltliche und eigene geistliche Gerichtsbarkeit in der Stadt. Wozu haben wir unsere Türme, Mauern und Wehrgänge, wozu unsere Torwachen? Haben wir nicht Reisige und Fußknechte? Und sind wir nicht eine stolze reichsfreie Stadt? Aber unser Stolz wird mit Füßen getreten. Der erste beste hergelaufene Dominikanermönch schlägt ihn uns wie einen blutigen Lappen um den Kopf. Ja, wenn der Senat zusammenstünde . . .

Doktor Anselo. Er ist von erbärmlicher, ist von schlotternder Furcht gepackt. Alle diese stolzen Patrizier sind stumm wie Fische und gehorsam wie Hündlein geworden, denen man die Peitsche zeigt, mit der man sie eben gezüchtigt hat. Aber wenden wir uns nun von der allgemeinen Not zu dem besonderen Glück Eures Hauses! Er weist auf die Wiege.

Garbe erblickt die Wiege, erschüttert. Oh, wie kommt die Wiege hierher? – Wahrhaftig, mich schwindelt's! Ich bin erschüttert.

Doktor Anselo. Es macht sich geltend, was Ihr an diesem Morgen gesehen, geduldet und an gerechter Empörung schweigend in Euch hineingeschlungen habt. Auch mich überkommt eine bleierne Schwere.

Garbe, nach längerem Schweigen, gefaßt. Alles löst sich in mir, alles versöhnt sich in mir. Außen Verdruß, Jammer, Christenverfolgung, schmählicher Tod, und hier innen Felicia und das Glück, das ich nicht gegen eine Hütte zwischen den vier Strömen des Gartens Eden vertauschen möchte. Wie bettet doch Gott die Evasöhne wunderlich! – Er begibt sich zur Wiege und wiegt sie gedankenvoll mit dem Fuß. Sonderbar! – Beinahe unfaßlich! – Ist es zu denken, auszudenken, daß ein Mann wie dieser Paulus Gislandus, dieser Mönch, Theolog und oberste Richter des Glaubensgerichts, dieser reißende Wolf in unserer christlichen Schafherde, von einer Menschenmutter in einer solchen Wiege gewiegt worden ist? Ich glaube es nicht. Ich kann es nicht glauben!

Doktor Anselo. Magnus Garbe, entschließt Euch dazu: glaubt an die grausige Wandelbarkeit der Menschennatur! denn sonst verfallt Ihr dem Aberglauben und müßt nach dem Malleus maleficarum greifen. Und ich gebe Euch zu, daß, wenn einer Beweise für das Dasein und Wirken eines verfluchten Satans suchte, er niemand Besseren finden könnte als diesen Mann, der, mit Vollmacht von Rom, wie die Pest unsere Städte entvölkert. Um eines bitte ich Euch als Arzt, Bürgermeister Garbe, laßt Eure Frau nichts wissen und nichts erfahren von dem Wüten dieser Abgrundmächte, die jetzt unsere Stadt heimsuchen, oder möglichst wenig davon! Es könnte sonst üble Folgen haben und das neue Leben gefährden, womit der Himmel Eure bisher kinderlose Ehe krönen will.

Felicia kommt herein. Du bist da! Es ist mir ein Stein von der Brust genommen, Magnus. Sie umarmt ihn und küßt ihn.

Garbe. Das Gewitter hat dich geängstigt, Felicia. Das Gewitter ist vorübergezogen.

Felicia. Jan Gossaert und alle führten so rätselhafte Reden. Was ist geschehen? Was ist in der Erlöserkirche geschehen, Magnus?

Garbe. Nichts ist geschehen, Felicia.

Felicia. Aber sie schreien doch auf der Gasse, daß der Blitz in das Dach geschlagen hat.

Garbe. Dann hat er jedenfalls nicht gezündet, und wir in der Kirche haben überhaupt nichts gemerkt davon.

Doktor Anselo. Wir haben es überhaupt nicht blitzen gesehen.

Felicia. Und hat das Glaubensgericht heut die Barmherzigkeit Jesu Christi walten lassen, Magnus?

Garbe. Wie immer übergab es die armen Sünder mit der Bitte um Schonung dem weltlichen Arm der Gerechtigkeit.

Felicia. Hättet Ihr wohl gedacht, Doktor Anselo, daß unsere schöne, reiche, arbeitsame und blühende Stadt ein gar so abscheuliches Sodom wäre? – Aber nun will ich sehen, ob die Tafel gedeckt ist. Sie geht unruhig nach dem anstoßenden Speisezimmer.

Dominik, der eingetreten ist. Es ist angerichtet, Frau Bürgermeister.

Felicia hat sich durch diese Worte nicht aufhalten lassen. Man sieht sie im anstoßenden Raum um die reichgedeckte Tafel herumgehen.

Doktor Anselo. Achtet auf Eure Frau, lieber Garbe!

Garbe. Ich soll auf sie achten? Inwiefern?

Doktor Anselo. Ist Euch nicht ihre Unruhe auffällig?

Dominik. Die Frau Bürgermeister wurde von dieser Ruhelosigkeit gefaßt, als der Schreiner die Wiege brachte – oder etwas später, als der Blitz in die Kirche schlug. Sie saß grade dem Maler Jan Gossaert. Plötzlich sprang sie auf und ließ ihn stehen.

Garbe. Es ist gar kein Blitz in die Kirche gefahren, Dominik.

Dominik. Dann weiß ich nicht, wodurch die Unruhe in unsere gnädige Frau gekommen ist.

Garbe. Mir erscheint sie wie immer und gar nicht unruhig.

Dominik. Sie ist aber nun eine ganze Weile ohne Rast, als ob sie etwas suchte, hin und her, hinauf und hinunter, durch alle Gemächer, Galerien und Kammern des Hauses geschritten, und zu verschiedenen Malen ist unsere liebe gnädige Frau bald nacheinander am Altar der Hauskapelle niedergekniet.

Doktor Anselo. Achtet auf Eure Frau, lieber Garbe!

Felicia kommt wieder in einer gewissen Gehobenheit. So! Nun ist mir wieder ganz frei zu Sinn. Kommt, liebe Herren, wir gehen zu Tisch!

Garbe. Kind, ist irgend etwas, was dich beunruhigt?

Felicia. Nichts, Magnus, seit du im Hause bist. – Wenn aber der Doktor sich einstweilen an den Tisch setzen will, so hätte ich noch ein ganz kleines Geheimnis mit dir. Erschrick nicht, es ist nicht der Rede wert, Magnus!

Doktor Anselo. Gut, aber ich leere Krüge und Schüsseln.

Er geht in den Speisesaal.

Felicia. Du sollst mir etwas versprechen, Magnus!

Garbe. Felicia, du beunruhigst mich.

Felicia. Liebster, du brauchst dich nicht beunruhigen. Ich habe es ganz gewiß von Gott, daß er dich nicht vor mir hinwegnehmen wird.

Garbe. Er, der uns diese Liebe ins Innere gab, er kann uns nur, wenn es einmal so weit ist, miteinander abrufen.

Felicia. Nein, Magnus, das eben ist es, ist das erste, was du mir nicht mit deinem Eide, nicht einmal vor Gott, sondern einfach nur in die Hand, bei unsrer Liebe, versprechen mußt.

Garbe. Und was, Felicia, muß ich versprechen?

Felicia. Daß du, auch wenn ich sterben sollte, weiterleben wirst.

Garbe. Wenn ich das nur vermag, Felicia!

Felicia. Man kann, was man muß. Du aber mußt es aus drei Ursachen. Ist es ein Knabe, den ich zur Welt bringe – Magnus Felix, wie er dann in der heiligen Taufe genannt werden wird –, so mußt du leben um seinetwillen. Ist es ein Mädchen, Liebster, auch dann. Hier hast du einen verschlossenen Brief, den du nur, wenn ich wirklich nicht mehr sein sollte, lesen mußt. Nie wirst du unser Kind einem Fremden anvertrauen, nie, solange es unerwachsen ist, aus deinem Hause, aus deiner Hut lassen.

Garbe. Wenn ich leben kann . . . ich verspreche es dir. Aber ich bin voll Zuversicht . . .

Felicia. Ja, Magnus, auch ich bin voll Zuversicht! Allein, sollte es dennoch anders beschlossen sein und nähme Gott auch Mutter und Kind zurück, so darfst du der Welt, dem armen Volk, dem deutschen Land und der Stadt nicht vorzeitig sterben. Sie haben dich alle nötig, Magnus! – Und endlich fürchte ich, ich möchte selbst im Himmel nicht selig sein, wenn ich deinen Tod verschuldete.

Sie verstummen in einem langen, langen Kuß.

Magnus Garbe, sich lösend. Komm! – Und nun wollen wir ruhigen Herzens und voll Vertrauen mit unsren Freunden zu Tisch gehen und dankbar die Gabe Gottes genießen.

Felicia. Nein, Magnus, nein . . . Du mußt mir nun heute die Liebe tun, hungrig und abgemüdet, wie du bist, dich heute einmal, nur heute einmal . . . dich ohne mich an den Tisch zu setzen.

Garbe. Wieso, Felicia, ohne dich?

Felicia. Trinke mit deinen Freunden Wein, feiere Feste, wie du sie feierst! Wie du sie feierst und sie verdienst.

Garbe. Du redest so sonderbar, Felicia.

Felicia. Ist dir die Wahrheit sonderbar?

Garbe. Aber es gibt für mich ohne dich keine Feste.

Felicia. Magnus, du, nur du, von allen, die ich kenne, nur du bist vom tiefen, lauteren, festlichen Gottesgeiste erfüllt. – Oh, wie bange ist mir, wie bange, wie bange! O weh, Magnus, ich bin doch nur ein schwaches . . . bin doch nur ein banges . . . banges, furchtsames . . . schwaches, angstvolles . . . ach wie ohnmächtiges Weib! – Wär' mir nur nicht so bange, Magnus!

Garbe. Um Christi willen! Was ist mit dir?

Felicia. Nichts, Magnus. Komm! – Geh mit mir in die Kapelle! – Bruder Martin wird eine Messe lesen. Beide gehen ab, aber nicht durch den Speisesaal.

Eine kurze Zeit bleibt der Raum leer. Alsdann erscheinen aus dem Speisesaal zuerst Dominik, danach Doktor Anselo.

Dominik. Es ist niemand hier.

Doktor Anselo. Die Tafel gedeckt, mit Silber und Gold belastet, dabei unsichtbare Wirte und Gäste!

Dominik. Euer Gnaden, Herr Doktor, es ist gut, daß Ihr im Hause seid.

Doktor Anselo. Ja. Eher ertrüge ich einen bethlehemitischen Kindermord, als daß ich es überlebte, wenn dieser lieben und gebenedeiten Frau ihre Kindeshoffnung fehlginge oder die Erwartung dieses Mannes getäuscht würde.

Man hört die Schelle des messelesenden Priesters.

Dominik. Euer Gnaden, das ist die Meßglocke. Unser Augustiner liest die Messe.

Beide falten die Hände, während die Schelle nochmals durch das Speisezimmer hereinklingt. Hierauf kommt die Begine Monica und nimmt die Wiege auf.

Doktor Anselo. Wann trat die Unruhe bei ihr ein, Schwester Monica?

Monica. Bald nachdem es finster geworden war. Eigentlich, wie der Meister Schreiner sagt, als der Blitz in Gestalt einer Feuerkugel über den Dachfirst der Erlöserkirche ging.

Doktor Anselo. Nehmen wir es für ein gutes Vorzeichen!

Monica. Es war wohl das Grauen, das uns unter der Wolkennacht und bei Ausbruch des trockenen Sturmes überfiel.

Doktor Anselo. Ist der Apfel reif, warum soll ihn der Sturm nicht vom Baum rütteln?

Monica. Aber es war ein böser Sturm, der mit einem Geheul wie von häßlichen, boshaften Katzen durch die Gassen fuhr.

Doktor Anselo. Es war ein sehr natürlicher Sturm.

Monica. Man ist nicht überall dieser Meinung.

Doktor Anselo. Und welcher anderen wäre man denn?

Monica. Viele sagen, er war von teuflischen Weibern mit Hilfe böser Dämonen angerichtet.

Doktor Anselo. Unter teuflischen Frauen versteht Ihr sogenannte Hexen, Monica?

Monica. Und es war auch zu sehen, wie sich alles plötzlich aus heiterem, klarem Himmel und grade nur über der Erlöserkirche schwarz zusammenzog.

Doktor Anselo. Ah, Eure teuflischen Wettermacherinnen hatten es also auf das heilige Tribunal abgesehen?

Dominik. So denken fast alle. Die ganze Stadt ist voll davon. Das Volk zieht umher, von Geistlichen, ja von Ratsherren angeführt, und reißt die verrufenen Weiber aus allen Schlupfwinkeln. Sie schreien nach Rache! Alle hat eine namenlose Wut gepackt.

Monica. Jetzt heißt es, sie haben die Rechte gefunden. Das Weib des Hans Gessarts, des Baders, die vor drei Wochen das neunte Kind geboren hat, ist festgesetzt.

Doktor Anselo. Sie ist das bravste Weib innert der Stadtmauer. Sie hat bei Tausenden armer Frauen, deren Kinder und Söhne ihr jetzt mit Steinen, Knütteln und Dreschflegeln nachlaufen, unermüdlich schwere Nächte durchwacht und zahllosen Kreißenden Beistand geleistet. Ich kenne sie gut, des Baders Weib, als Arzt, der ich bin.

Dominik. Pater Gislandus soll gesagt haben, daß die Feuerkugel auf dem Dach der Erlöserkirche der Teufel selber gewesen ist.

Doktor Anselo. Pater Gislandus ist freilich ein Mann, der mit dem Fürsten der Hölle und seinen Gepflogenheiten vertraut sein muß. Aber nun laßt uns alles vergessen, was außerhalb dieser Mauern ist, und widmen wir uns allein unserer allgeliebten Bürgermeisterin!

Die Begine mit der Wiege voran, verlassen alle das Zimmer. Magnus Garbe und Jan Gossaert kommen durch das Speisezimmer nach vorn.

Garbe. Zeigt mir nun Euer Bild, guter Meister!

Jan Gossaert. Vielleicht hätte ich heut nicht malen sollen. Ich fürchte, ich habe in das himmlische Antlitz Eurer Frau heute einen schmerzhaften Zug gebracht.

Garbe. Weiber müssen viel Schmerzen leiden.

Jan Gossaert. Aber wenn Ihr es mir zu sagen erlaubt, das Antlitz der schönen, allbegehrten, allbeneideten Jungfrau Felicia Amsing war nie von einer solchen Glückseligkeit erfüllt wie das der Frau Felicia Garbe mit dem Kindlein unterm Herzen.

Garbe. Verzeiht, ich habe eine furchtbare Spannung über der Brust.

Jan Gossaert. Seid Ihr unwohl, Herr Bürgermeister?

Garbe. Nein, aber mir könnte nicht anders zumute sein, wenn ich vom Henker zum Richtplatz geführt würde.

Jan Gossaert. Ich verstehe, es herrscht ein furchtbarer Geist in der Stadt.

Garbe. Nein, Euer Wort in Ehren, die pfäffische Seuche ist es nicht. Sie läßt mich plötzlich unsäglich gleichgültig. Was mich tödlich drückt, können Worte nicht sagen. Angst! Und es gibt kein Entfliehen, was das Schlimmste ist.

Jan Gossaert. Ihr macht mich besorgt. Man ist gewohnt, in Magnus Garbe einen Mann aus Eisen zu sehen.

Garbe. Wir waren im Irrtum. Ich bin es nicht. – Nun zeiget mir wenigstens ihren Schatten, damit mein Herzschlag weniger qualvoll sei!

Jan Gossaert. Eurer Gemahlin ist doch nichts zugestoßen?

Garbe. Wir haben uns nur Lebewohl gesagt.

Jan Gossaert. Ich verstehe Euch nicht.

Garbe. Wir haben nur eben Abschied genommen.

Jan Gossaert. Eure Gattin verreist?

Garbe. Nennt's, wie Ihr wollt! Genug: sie ist von mir genommen, ist mir entzogen. Und wenn es eine Reise ist, so ist es eine, wo sie grausam verlassen über glühendes Eisen, durch brennende Wälder schreiten muß.

Jan Gossaert. Jetzt erst hab' ich Euch verstanden, Herr Bürgermeister.

Garbe. Kommt, lasset uns etwas niedersitzen! Ich hab' mit sechsundvierzig Jahren meine Augen zu der blutjungen, schönen Felicia Amsing nicht zu erheben gewagt: und grade ich habe Gnade vor ihrem Blick gefunden. Ich war nicht mehr als, mit Gottes Hilfe, ein schlichter und tätiger Mann, ohne Verwandtschaft, ohne großen Besitz, Herr eines höchst bescheidenen Guts; andre boten ihr Schönheit, Jugend und fürstliche Reichtümer. Nun, Gott weiß, ich habe meine Verdienste eines solchen Lohnes nie auch nur im entferntesten wert erachtet. Ich war und bin eines solchen Glückes ganz unwürdig. Ich wußte nicht einmal, daß es im Plane des Höchsten liegt, dem sündigen Menschen ins irdische Dasein einen solchen überirdischen Schatz anzuvertrauen, ihn so mit Segen zu überlasten. Hab' ich gesündigt, wenn ich nicht einmal um Kinder gebetet habe, aus Angst um sie? obgleich ich in meinem Alter nichts heißer ersehnte, als einen Erben, und nun gar von ihr einen Erben mit Augen zu sehen, einen Knaben, ein Mädchen, aus ihrem und meinem Blut, auf den Knien zu schaukeln. Ich betete nicht darum! Ich vermochte es nicht! Ich wollte es Gott allein überlassen. – Heut ist es gekommen, wie er es beschlossen hat.

Jan Gossaert. Und somit ist zum Baume die Frucht, zur Schale der köstliche Kern gekommen. Was wäre der Sinn einer solchen Vereinigung, einer solchen exemplarischen Ehe, die das holdseligste Weib mit dem prächtigsten Manne der Stadt verbindet, wenn nicht aus ihr der Mensch von morgen, der Christ, das Ebenbild Gottes von morgen hervorgehen sollte!

Garbe. Und doch ist mir, als hätte ich auch von Euch die Worte der Weisheit Salomonis öfter gehört, der Gestorbene sei besser daran als der Lebende und am besten, der überhaupt nicht geboren ist.

Jan Gossaert. Das Leben ist mühsam, wer wüßte das nicht! Jedoch . . .

Garbe. Nicht nur mühsam. Das Leben ist ein Krieg! Wer da hineingestoßen wird, muß jeden Fußbreit eines steilen, langen Weges durch Frost und durch Glut mit dem bloßen Schwerte erkämpfen wider unversöhnliche Feinde, zahlreich wie der Sand am Meer.

Jan Gossaert. Faßt Euch ein Herz, Herr Bürgermeister! Wo stehet Ihr, und wie stehet Ihr da in der Welt? Euer Leben ist ein Beispiel von Mut und Kraft, männlichem Willen, kerniger Tat und wohlverdientem Lohne gewesen. Es liegt im Plan der Natur: ein Weib muß gebären. Auch unsere Mütter haben die schwere Stunde durchgemacht und hernach erst das ganze Glück ihres Daseins empfunden.

Garbe ergreift bewegt des Malers Hand. Ich danke Euch, danke Euch, Jan Gossaert.

Jan Gossaert. Und nun will ich Euch sagen, mit welchem Auftrag man mich, und insonderheit, wer mich an Euch abgeordnet hat: Doktor Cornelius Anselo. Alles mit Eurer Frau steht gut. Er macht mir zur Pflicht, Eure Gedanken auf andere Dinge zu lenken und mit Euch aus dem Hause, womöglich vor das Stadttor, davonzugehen und einen langen erquickenden Gang durch die Felder zu tun.

Garbe, kurz überlegt. Ich will gehorchen, gehen wir, Meister! Beide verlassen den Raum.

Nach einiger Zeit treten langsam und im Gespräch herein: Doktor Anselo und Doktor Johannes Wyk. Dieser, Syndikus der Stadt, ist eine vornehme Erscheinung, groß, schlank, Augen und Haar von dunkler Farbe, das Gesicht vergeistigt und blaß.

Doktor Anselo. Ihr tretet zu einer schicksalsträchtigen Stunde in dieses Haus, Herr Syndikus. Frau Felicia will eines Kindleins genesen. Erschreckt Ihr? Wußtet Ihr nichts davon?

Doktor Wyk. Verzeiht, mich erschreckt jetzt beinahe das fallende Blatt! – Wir sind im Rathaus, und ich ganz besonders, wie Ihr wißt, überbürdet gewesen.

Doktor Anselo. Ja, ja, es ist ein verzweifeltes Wesen eingezogen in unsere gute reichsfreie Stadt.

Doktor Wyk. Wir sind unter uns. Ich darf Euch recht geben. – Und es ist entsetzlich, wie der Himmel sich scheinbar mit diesen Emissären und Kommissären eines hirnverbrannten Wahnes verbündet hat. Gott weiß, wie weit es dieser Paulus Gislandus mit Hilfe seiner päpstlichen Vollmacht, mit Hilfe des jede Stunde erregter werdenden Pöbels noch treibt.

Doktor Anselo. Inwiefern ist der Himmel mit ihm im Bunde?

Doktor Wyk. Obst- und Weinblüte sind erfroren. Darnach kam diese schreckliche Trockenheit. Vor den Toren lauert die Mißernte, lauert die Hungersnot. Auf den Dörfern wütet ein Viehsterben. Wir haben, wenn auch durch Eure klugen Maßnahmen eingeschränkt, in mehreren Stadtquartieren den englischen Schweiß und sogar die Pest. – Heute nun kam dieses plötzliche Ungewitter, von dem alles Volk den ersehnten Regen erwartete. Es fand sich getäuscht. Statt dessen tanzt wie zum Hohn eine Feuerkugel über den First der Erlöserkirche, in der das Glaubensgericht versammelt ist. – Augenblicklich stehen die Massen noch immer Kopf an Kopf um die Kirche herum und starren unbeweglich nach oben.

Doktor Anselo. Es scheint, der kalte Strahl hat in einer Beziehung doch gezündet.

Doktor Wyk. Er hat in erschrecklicher Weise gezündet. Er hat allen Aberglauben, allen Unflat, allen geistigen Abhub, Wegwurf und Kehricht der Stadt in Brand gesetzt. Der Pöbel ist toll! Überall sehen die Leute am hellichten Tage Gespenster. Zudem hat die Bestie Blut geleckt. Seitdem man heut das erste Opfer mit seinen durch die Folter zerquetschten Gliedmaßen auf den Holzstoß getragen hat und die Menge das Schauspiel der auf den Domplatz verpflanzten prasselnden Höllenflammen und des in Qualen sich windenden, brüllenden armen Verdammten darin genoß, ist sie auf den Geschmack gekommen. Mit dem Qualm des ersten Vivicomburiums ist der Blutrausch in alle Winkel gekrochen.

Doktor Anselo. Wahrhaftig, es war die höchste Zeit, daß sich Magnus Garbe einmal wieder in voller Größe und Breite aufrichtete und dem fremden geistlichen Unwesen Halt gebot.

Doktor Wyk. Unser mannhafter Bürgermeister hat damit ohne Zweifel die edelste und die bei weitem kühnste Tat seines Lebens getan. Die Frage ist, ob ihm dabei die alte Umsicht und behutsame Klugheit zur Seite gestanden. Sein Appell war gewaltig, sein Wort überzeugend und hinreißend, dennoch: wer weiß, ob sein gerechter Anspruch im Namen der Stadt durchdringen wird und was er dabei auf die Karte setzte?

Doktor Anselo. Jedenfalls müßt Ihr als Doktor beider Rechte, Herr Syndikus Wyk, diesen Anspruch für billig halten. Die Stadt hat ihre ordentliche weltliche sowie auch geistliche Gerichtsbarkeit. Es ist nur billig, daß sie Einblick in die Akten, in den Prozeßgang des ambulanten fremden Gerichts verlangt, das heißt, eine klare Urteilsbegründung. Wenn sie ohne das Henkerdienste tut, eigene Bürger in Menge hinrichtet, Glieder der Stadtgemeinde, Kinder, Weiber und Greise auf den Schindacker schleift, nur weil der Wahnwitz, der Wink eines hergelaufenen blinden Zeloten von einem Mönch es so will, so verdient ihre Obrigkeit, daß man sie selbst auf das Rad flechte.

Doktor Wyk. Es liegt am Tage für jeden Verständigen. Was aber nutzt der gerechteste Anspruch, wenn geistliche Willkür sich im Besitz unumschränkter Herrschaft befindet?

Doktor Anselo. Aber die Bürgerschaft liebt auch Magnus Garbe abgöttisch. Er hat reich und arm hinter sich. Glaubt Ihr nicht, eine Kraftprobe könne zu seinen Gunsten ausfallen?

Doktor Wyk. Die Bürgerschaft liebt Garbe abgöttisch. Jedermann weiß, was er für die Stadt geleistet hat. Er ist ein Mann, wie er kaum einmal alle hundert Jahre geboren wird. Beinahe die Hälfte des Vermögens, das ihm mit seiner Gattin zugeflossen ist, kommt den Armen der Stadt und sonst dem gemeinen Nutzen zugute. Vergesset aber nicht, daß ein solcher Mensch auch Neider hat, versteckte, die ihren Augenblick abwarten! Übrigens muß ich den Bürgermeister selbst sprechen.

Doktor Anselo. Das kann nicht sein, da er nicht im Hause ist. Er ist mit Jan Gossaert vor die Stadt gegangen.

Doktor Wyk. Man bedarf seiner dringend auf der Ratsstube. Nach dem, was geschehen ist, erscheint mir seine Sorglosigkeit wunderlich.

Doktor Anselo. Seit seines Weibes Stunde sich ankündigte, scheint ihm die übrige Welt aus dem Gedächtnis rein ausgetilgt. Seht den gedeckten Tisch! Weder Speise noch Trank sind berührt worden.

Doktor Wyk. Ich habe den Ratsdiener Gößwein mitgebracht, der uns treu ergeben ist. Man muß auch berittene Ratsdiener nach ihm ausschicken. Der Unfug wächst. In einzelnen Stadtteilen schreitet der Pöbel unter dem Vorgeben, die schuldigen Wettermacher zu suchen, bereits zur Plünderung. Es sind Fleischer- und Bäckerläden gestürmt worden. Obrist Kilian mit den Stadtsoldaten harrt vor dem Rathause. Er wartet auf Bürgermeister Garbes Befehl. Unter eigener Verantwortung will er nicht eingreifen.

Dominik erscheint in der Tür, ein wenig hinter ihm der Ratsdiener Gößwein.

Dominik, merkbar ängstlich. Vergeben uns Ihro Gnaden, wenn wir ungerufen eintreten! Aber es ist ein Auflauf vor dem Haustore.

Gößwein. Euer Gnaden, Herr Syndikus, man hat uns in das Haus treten sehen.

Doktor Anselo. Leute sind hier vor dem Tor? Was wollen sie denn?

Dominik. Das frag' ich mich auch. Wer es nur wüßte, Herr Doktor! Ich trat unter sie, als es noch nicht ein so großer Haufe war. Da sprang einer vor, dessen Auge wie Pech und Schwefel leuchtete, und hielt mir mit dem Gekreisch »Schlachte ein Huhn! Schlachte ein Huhn!« die geballte Faust vors Gesicht.

Doktor Anselo, der sich verfärbt. Die Dominikaner sind gute Lehrmeister.

Doktor Wyk. Wißt Ihr, was es mit diesem »Schlachte ein Huhn! Schlachte ein Huhn!« auf sich hat?

Doktor Anselo. Oh, leider, ich weiß es. Es ist der Ruf, womit der rasend gemachte Mob Sektierer in Frankreich verfolgt, die es für Sünde halten, Tiere zu töten und Fleisch zu essen.

Doktor Wyk. Aber das ist ein ganz neues Geschrei in unserer Stadt.

Doktor Anselo. Das fremde Gericht hat es mitgebracht. Sicher gehört es zum sacro arsenale. Und was hast du dem Schreier geantwortet, Dominik?

Dominik, brüsk. Nichts. Denn ich habe niemals ein Tier geschlachtet und seit dreißig Jahren kein Fleisch gegessen.

Doktor Anselo. Dann hattest du reichlich Grund zu schweigen, wenn es so ist.

Dominik, trotzig. Ich verberge es vor niemandem, Herr Doktor. Mein Gewissen ist rein. Keine Furcht kann mich zwingen, Gott und mein Seelenheil zu verleugnen.

Doktor Anselo. Schweig, du bist ebenfalls närrisch geworden, braver Dominik! Du bist nicht gefragt, und du brauchst nicht zu antworten.

Monica kommt in Unruhe.

Monica. Peter Plank, der Schreiner, ist wieder da. Er will den Herrn sprechen.

Doktor Anselo, zu Dominik. Führe du Peter Plank herein! Zu Monica. Ihr aber gehört in die Wochenstube.

Dominik geht ab.

Monica. Ja, aber es ist eine Menschenmenge, die immer wächst und immer lauter ruft, vor dem Haus.

Doktor Anselo. Laß sie wachsen, und laß sie rufen! Du bist Begine, bist Pflegerin, der das Wohl und Wehe der Frau Bürgermeisterin anbefohlen ist. Die müßigen Leute auf dem Markt haben begreiflicherweise mehr als sonst im Hause des Bürgermeisters ab- und zulaufen sehen, noch eben den Herrn Syndikus und den Ratsdiener, und so sind denn die Nichtstuer stutzig geworden. Sorget mir, daß die Frau Bürgermeisterin von alledem mit keiner Silbe behelligt wird!

Monica. Augenblicklich spricht sie im Traume.

Dominik bringt Peter Plank herein.

Doktor Anselo. Deine Knie schlottern ja, Peter Plank!

Peter Plank. Vielleicht, weil ich wie um mein Leben gelaufen bin.

Doktor Anselo. Wer ist Euch denn auf den Fersen, Meister?

Peter Plank. Kann's nicht sagen. Wußte nur, daß ich laufen müßte, als raste der Tod auf einem galoppierenden Gaule hinter mir drein.

Doktor Anselo. Ist es richtig: Ihr sucht den Bürgermeister?

Peter Plank. Wo ist Magnus Garbe? Ist er nicht hier?

Doktor Anselo. Nein! Aber ich bin hier, und hier ist der Herr Syndikus, wie Ihr wißt, beide Ratsherren und Amtspersonen.

Peter Plank stößt hervor. Wißt Ihr, daß die Frau Hans Meulins, die Knochenbrüche und allerlei Krankheiten heilt und einen Theriakhandel betreibt, vom Pöbel ausgehoben, zum Stockhaus geschleppt, auf die Bank gestreckt, von Meister Adam, dem Nachrichter, mit Stroh gebrannt und vom Pater Dominikaner stehenden Fußes peinlich verhört worden ist?

Doktor Anselo. Das wäre ein Rechtsbruch sondergleichen. Es kann nicht sein, wir glauben es nicht.

Peter Plank. Es ist so wahr wie das Vaterunser.

Doktor Anselo. Ihr erfuhrt es – von wem?

Peter Plank. Vom Meister Adam, dem Nachrichter selbst, der meiner verstorbenen Frau Stiefbruder ist.

Doktor Anselo. Ihr wißt es aus seinem eigenen Munde?

Peter Plank. Wär's nur das, es bedeutete nichts. Ich hätte mir nicht das Herz aus dem Leibe gerannt. Es ist mehr, Ihr Herren, es läßt sich nicht aussprechen!

Doktor Anselo. Verschnaufet Euch, Meister, sammelt Euch, und dann erzählet getrost, was es ist! – Nun also?

Peter Plank. Es ist nicht zu glauben. Ihr glaubt es mir nicht. Wolltet Ihr doch schon das nicht glauben, daß die Dorothea Meulin peinlich auf dem Stockhaus verhört worden ist.

Doktor Wyk. Redet, macht's kurz! Von jetzt ab wollen wir glauben. Es scheint, Ihr kommet auf ein Gerücht zurück, das auch bereits an meine Ohren geschlagen ist. Ist es das, so könnte man sagen, daß etwa ein Erdbeben weniger schrecklich wäre; wäre nämlich das Gerücht nicht allzu toll, allzu lächerlich, stünde die Lüge ihm nicht wie ein klaffendes Mal auf die Stirn gezeichnet.

Doktor Anselo. Ihr erschreckt mich ein wenig, Herr Syndikus.

Peter Plank. Wenn Ihr es wißt, so brauch' ich nicht reden.

Doktor Anselo. Verliert keine Zeit, wenn Unheil droht und mit Hilfe Gottes noch zu vermeiden ist!

Peter Plank. Und überhaupt, ich kann nur vor Euch sprechen.

Doktor Anselo. Ihr hört es! An deine Pflicht, Monica, bleib in der Nähe, Dominik!

Dominik und Monica ab.

Peter Plank. Es wird mir nicht leicht, Ihr Herren. Saget mir erst, ob es richtig ist: ist die Dorothea Meulin vordem eine Zeitlang Schaffnerin und Beschließerin hier im Amsingschen Hause gewesen? Ich meine, als der verstorbene Senator Amsing noch von hier aus täglich aufs Rathaus ging?

Doktor Anselo. Ja, sie war im Amsingschen Hause vor länger als zwanzig Jahren Beschließerin.

Peter Plank. Und ist später nicht mehr im Hause gewesen?

Doktor Anselo. Längst nicht mehr, nachdem aus der schönen Felicia Amsing, die an der braven Dorothea Meulin, wie ich weiß, mit kindlicher Treue hing, Felicia Garbe geworden war und die Amsings im Dome bestattet waren.

Peter Plank. Nun, hätte ihr doch der Teufel, mit dem sie buhlte, den Hals gebrochen, statt daß er ihr, dieser verdammten Vettel, ein so verfluchtes Zeugnis wider die Bürgermeisterin aus dem Halse stieß! Ein Pöbelgeschrei erhebt sich und verstummt wieder. Das ist es, was die Meulin auf der Folter geschrien hat, was jeder weiß und was das Volk vor Bürgermeister Garbes Schwelle zusammentreibt.

Die Mitteilung hat beide Ratsherren sprachlos gemacht. Mit einem Ruck kehren sie sich einander zu und blicken jeder dem andern in die Augen.

Doktor Wyk, nach längerem Stillschweigen, gesammelt. Schnell kommt die römische Antwort auf Garbes deutsche Mannestat.

Doktor Anselo. Aber auch der Senat wird antworten. Nein! Ich bestreite das! So weit sind wir nicht! So weit sind wir noch nicht unter die Füße getreten. Dem Blinden vom Mutterleibe an müßten bei einem solchen Verbrechen die Augen aufgehen. Der Satan selbst erscheint weiß wie Schnee, verglichen mit dem bloßen Gedanken einer solchen ungeheuren Schandbubentat! Geschweige, daß Gott solche Büberei sollte zulassen.

Doktor Wyk. Und doch – wiegen wir uns nicht in Sicherheit! Haben wir nicht erlebt: ein Romanist macht das Unmögliche möglich! Betrachtet den Markt! Die Köpfe schieben sich dicht durcheinander. Von der Erlöserkirche hinunter bis zum Mariendom, vom Amsinghaus bis zum Rathaus hinüber . . . saget mir, ob durch die dichtgestauten Massen auch nur ein Apfel zur Erde kann!

Doktor Anselo, am Fenster. Ein Jahr ist es her: der Markt stand ebenso Kopf an Kopf gedrängt. So huldigte man unserm Bürgermeister. Die geistlichen Brüderschaften mit Kreuzen, die Zünfte in endlosem Zuge zogen mit ihren Bannern heran, die Fenster klirrten vom brausenden Festjubel zu Magnus Garbes fünfzigstem Jahrestag. – Heut wollen sie ihm womöglich sein Weib aufs Rad flechten.

Peter Plank. Um Christi willen, tretet vom Fenster zurück, Doktor Anselo!

Doktor Anselo. Warum? Was hätte ich Übles verschuldet?

Peter Plank. Man kennt Euch als einen gelehrten Mann. Ihr heilt Kranke, Ihr habt Sieche gesund gemacht. Das genügt, Euch als Magier zu verdächtigen.

Aufschrei von unten. Es fliegt ein Stein durchs Fenster, das Anselo ein wenig geöffnet hatte.

Doktor Wyk. Lebt wohl, ich sehe, der hohe Rat versammelt sich! Ich erkannte Eberhart Kribbe, den Baumeister. Auch Langermann und Lüdger Tombrink, der Aldermann, schlüpften in das Rathaus hinein. Wir haben noch Freunde. Nun heißt es, Garbe suchen und auffinden. Er geht schnell ab.

Doktor Anselo hat den Stein aufgehoben und betrachtet ihn. Ihr hattet recht, und es geschah mir recht. Der Wohltäter darf sich noch weniger als der Übeltäter hervorwagen. Ich habe vielleicht den zerbrochenen Arm geleimt, der diesen Kiesel nach mir geschleudert hat. Nun, ich will mir das Kleinod aufheben. Es ist so gut ein ewiges Symbol, wie das Kreuz eines ist. Schnell! Sagt, wenn Ihr's wißt, was die arme Dorothea, die Meulin, gestanden hat!

Peter Plank. Sie wär' Dienstmagd im Amsingschen Hause gewesen. Hat sie der Pater Gisland gefragt, ob sie da unrechte Sachen verricht't oder solche bei andern gesehen habe. Da sie nun schwieg, hat Meister Adam einen schmerzhaften Griff mit der glühenden Zange, ich glaub', an die linke Brust, getan. Hat die Dorothea Meulin gleich laut aufgeschrien und sich verschworen, sie wollt' ein Bekenntnis tun. Die jetzige Bürgermeisterin sei damals bei sechs Jahr alt gewesen. Habe ein kristallenes Büchslein mit einer grünen oder sonstwie Salben gehabt und sich öfters des Abends damit gesalbt. Nachdem sei des Nachts das Bette immer leer gewesen. Hätte auch ein graues Pulver, nicht anders als Asche oder Staub, zuweilen mit zwei Fingerlein aus dem Fenster gestreut. Immer habe sich bald darnach ein greuliches Unwetter über der Stadt zusammengezogen.

Man hört den durchdringenden Schall des Klopfers an der Haustür.

Doktor Anselo. Oh, du arme Felicia! Das ward dir nicht an der goldenen Wiege der Amsings gesungen. Hättest du doch solch ein Pülverlein, mit Blitz und Donner in dieses Geschmeiß herabzuwettern!

Glocken läuten.

Recht so! Damit auch ja der Sudel nicht abstehe, werden die Glockentürme in Schwung gebracht. Die müssen erst recht in den Unfug hineinheulen. Nur schnell einen Mesnerjungen an jeden Glockenstrang: gleich hat man die Stimme Gottes von oben, die allen Widerstand der Vernunft gar hinwegfegt.

Dominik kommt in höchster Aufregung herein.

Dominik. Es sind Mönche mit Häschern und Gerichtsdienern. Sie haben sich einen Weg durch die Menge gemacht. Der Pöbel schreit, man soll sie einlassen.

Doktor Anselo. Wer kann hier noch beten: »Vergib ihnen, Herr, denn sie wissen nicht, was sie tun«?

Peter Plank. Gebet mich nicht preis, verratet mich nicht! Man hängt sich ohnehin schon mit allerlei Verleumdungen an mich.

Doktor Anselo. Deswegen seid ganz ruhig, Meister! Und nun lasset uns dieser mißleiteten Rotte furchtlos in Christi Namen entgegengehen! Er schreitet mutig zur Tür hinaus, gefolgt von Dominik.

Peter Plank ist schlotternd im Zimmer geblieben und beobachtet durch das Fenster. Der Lärm nimmt zu. Plötzlich kommt ein Dominikanerpater hereingestrichen. Weiße Kutte. Sein Gesicht ist ein mit wächserner Haut überzogener Totenkopf. Er streckt ein Kruzifix mit beiden Händen zum Schutz vor sich aus. So entfernt er sich durch das Speisezimmer. Ein zweiter, ähnlicher folgt, Weihwasser um sich sprengend. Er sowie ein dritter, der nach ihm erscheint, entfernen sich wie der erste. Peter Plank hat sich geduckt und ist nicht entdeckt worden. Nun dringt erschrecktes Hausgesinde ein. Eine alte Schaffnerin und zwei junge Mägde.

Die Schaffnerin, betend. Heiliger Georgius, erbarme dich unser! Heiliger Blasius, erbarme dich unser! Heiliger Vitus, heiliger Pantaleon, bittet für uns! Heiliger Christophorus, bitte für uns! Heiliger Dionysius, erbarme dich unser!

Erste Magd. Was ist, was gibt's? Es laufen fremde Leute von unten nach oben und wieder von den Bodenkammern bis zum Keller durchs ganze Haus!

Die Schaffnerin. Heiliger Cyriacus und Achatius, bittet für uns! Wir sind nie mit unrechten Dingen umgegangen. Tragen keine Male am Leib, machen nicht, daß die Kühe Blut statt Milch geben, kein Unwetter, keinen Hagelschlag, keine Trockenheit, keine Mißernten. Heiliger Eustachius, bitt für uns! Heiliger Ägidius, bitt für uns! Heilige Margarete, heilige Katharine und Barbara, bittet für uns! Schaffnerin, Mägde und Peter Plank sind niedergekniet.

 


 << zurück weiter >>