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Vierter Akt

Die Schenkstube von Wermelskirch. Ein flaches, weißgetünchtes Zimmer; links eine ins Hausinnere führende Tür. Die Rückwand, von links nach rechts, bildet in der Mitte des Raumes eine Ecke und setzt sich rechtwinklig in den Hintergrund fort. So entsteht ein zweiter gangartiger Raum mit einer weit zurückgelegenen Hinterwand. Die rechte Seitenwand dieses Raumes, welche zugleich die des Vorderraumes ist, hat eine Glastür ins Freie und mehr nach vorn ein Fenster. – An der Rückwand vorn links ist das Schenksims etabliert mit vierkantigen Schnapsflaschen, dem Bierapparat, Gläsern etc. etc. Hellpolierte Kirschbaummöbel, Tische und Stühle, sind aufgestellt. Ein roter Vorhang trennt den Querraum von dem dahinter sich anschließenden Längsraum. In diesem ebenfalls viele Tische und Stühle; ganz hinten ein Billard. Öldrucke, meist Jagdszenen darstellend, sind aufgehängt. Wermelskirch, im Schlafrock und mit langer Pfeife, sitzt und spielt das Pianino, welches links an der Wand steht. Drei freiwillige Ortsfeuerwehrmänner spielen Billard. Vorn rechts brütet Hauffe über einem Schnapsglase; er ist merklich herabgekommen. Frau Wermelskirch, eine zigeunerhaft schmuddelige Alte, wäscht Gläser hinter dem Schenksims. Franziska hockt auf dem Fensterbrett rechts und spielt mit einem Kätzchen. Kellner George steht bei seinem Glas Bier vor dem Schenktisch; er trägt elegantes Frühjahrskostüm, Lackschuhe, Glacis und hat den Zylinder auf dem Kopf.

Wermelskirch spielt und singt.

Als ich einst Prinz war von Arkadien,
lebt' ich in Reichtum, Gut und Geld.

George, der die Tanzbewegungen dazu gemacht hat. Na! immer weiter im Texte.

Wermelskirch, künstlich hustend. Geht nicht! – Stockheiser! – Na, überhaupt ...! – Nochmal anfangen!

Als ich einst Prinz ...

Hustend.

Als ich einst Prinz war von Arkadien,
lebt' ich in Reich ... lebt' ich in Reich ...

I, hol's der Teufel!

George. Immer weiter im Texte! Das war doch ganz richt'ch! Das war doch ganz scheene!

Wermelskirch. Ich wer euch was husten! 's geht eben nicht mehr.

George. Das begreif ich doch nich. Das is doch die scheenste Kammermusik.

Wermelskirch. Kammerjägermusik!

George. Meinswegen ooch. Den Unterschied kenn' ich ja so genau nich. Nu, Freilein Franziska, was lachen Sie denn?

Franziska. Weil Sie so schöne Lackschuhe anhaben!

George. Nu allemal. Ich kann doch nich barfuß gehn. Geben Sie dem Manne ooch'n Glas Bier. Wie wärsch mit'n Gläschen Danziger Goldwasser, Freilein Franziska? Ei ja, meine Lackschuhe, die sind scheene. Kosten mich ooch vier harte Taler. Nu, man kann's ja haben. Man kann sich's ja leisten. Im »Schwert«, da verdient man doch wenigstens was. Freilich, wie ich im »Stern« drieben war, da hätt' ich mer freilich keene Lackschuh nich kenn beschaffen.

Wermelskirch. Gefällt's Ihnen also besser im »Schwert«?

George. Nu allemal! So'n gemietlichen Chef, wie ich'n jetzt haben tu', hab' ich nich gehabt, solange wie ich in meinen Medjeh drinne bin. Mir stehn Ihnen ja wie zwee Freinde mitnander, wie zwee Brieder, mecht'ch sprechen; zu dem kennt' ich du sagen.

Wermelskirch. Das ging nu mit Siebenhaar freilich nicht. Franziska lacht heraus.

George. Nu sehn Se's: Hochmut kommt vor dem Fall. Vierzehn Tage – drei Wochen, da is Auktion, da kann ich mer seine goldene Uhr koofen.

Wermelskirch. Kaufen Sie doch das ganze Haus.

George. Einstweilen noch nich; so was muß man abwarten, und's is ja ooch schon verkooft, außerdem prost, meine Herrn – Ihr Wohl, meine Herren! Nämlich wenn's alle is, gibt's 'n noch mehr. – Der Käufer heeßt Exner? Was? Der's gekooft hat? A wird ja bloß Brunn fillen und versenden; das Gasthaus will ä ja woll verpachten. – Ich tät's gleich pachten, wenn ich's Geld hätte.

Hauffe. Gehn S'ock zu Henscheln, der werd's Ihn schonn geben.

George. I, wissen Se was, das war' gar nich so unmeeglich.

Hauffe. Nee, nee, Sie stehn ja sehr gutt mit der Frau.

Franziska lacht heraus.

George. Nu warum ooch nich? Die Frau is gar nich so iebel, heern Se! Wersch weeß, wie's gemacht wird, kann ich Ihn sagen, dem fressen de Weiber aus der Hand.

Hauffe. Nu, wenn Sie und haben das aso weit gebracht, daß de Henscheln und tut Ihn aus der Hand fressen, da missen Sie Ihre Sache verstehn.

Fabig kommt, den Zugstrick um die Schultern. Er setzt sich bescheiden in eine Ecke.

George. Da sehn S' es, das is ja doch, was ich sage! Das kann mer so bald kee andrer nich nachmachen; wer da nich ganz uf'm Posten is, der kann Ihn die scheenste Keile besehn.

Wermelskirch. Na, 's is ja noch nicht aller Tage Abend. Siebenhaar tritt ein von links. Wo Henschel hinhaut, wächst auch kee Gras. Ergebener Diener, Herr Siebenhaar.

Siebenhaar, etwas blaß. Guten Morgen!

George. Ich wer mal'n bißchen zum Billard gehn. Er nimmt sein Bier und verschwindet in die hintere Abteilung.

Siebenhaar, sich an dem Tische nächst dem Klavier niederlassend. Sie haben doch eben gesungen, Herr Wermelskirch. Lassen Sie sich nicht stören, bitte.

Wermelskirch. – Wie? Ich? Gesungen? Das ist wohl nicht möglich! Ja, wissen Sie, ich bin tief gerührt. Wenn Sie es sagen, dann muß es wohl wahr sein. Erlauben Sie, daß ich mich zu Ihnen setze? Bring mir auch eine Grätzer, Franziska!

Siebenhaar. Na, wenn man bedenkt: vor drei, vier Jahren, damals waren Sie doch absolut stockheiser, da haben Sie sich doch sehr erholt.

Wermelskirch. Was nutzt mir das alles, Sie haben ja recht. Halbwegs hat man sich nu wieder raufgekrabbelt, aber jetzt: wer weiß, was nu wieder wird.

Franziska stellt die Grätzer vor Siebenhaar; zu Wermelskirch. Ich bringe deins auch gleich.

Siebenhaar, nachdem er getrunken. Was soll denn werden, was meinen Sie denn?

Wermelskirch. Ich kann ja nicht recht was Bestimmtes sagen, ich weiß ja nicht recht, aber sehen Sie, es juckt mich in allen Knochen. Ich glaube, wir kriegen ander Wetter. Ohne Spaß, ich habe so allerhand Merkmale, alte Komödiantenroutine. Damals wußte ich, als mir der Brunnen so guttat: hier bringen mich keine zehn Pferde weg, und richtig, keine vier Wochen vergingen, da war meine Schmiere aufgelöst. Jetzt werde ich wohl den verdammten Karren doch wieder weiterschieben müssen. Wer weiß, wohin?

Siebenhaar. Wer weiß, wohin! So geht's in der Welt. Ich, meinesteils, bin ganz froh darüber!

Wermelskirch. Sie stehen auch noch in den besten Jahren. Ein Mann wie Sie findet überall seinen Platz in der Welt. Mit mir altem Hunde ist das was ganz andres. Wenn ich mein bißchen tägliches Brot hier verliere, ich meine, wenn ich die Kündigung kriege, was bleibt mir dann übrig, möcht' ich bloß wissen? Ich müßte mir grade 'ne Drehorgel zulegen. Franziska könnte ja sammeln gehn.

Franziska. Da würde ich mich gar nicht genieren, Papa.

Wermelskirch. Das glaube ich, wenn's nämlich Dukaten schneite.

Franziska. Aber nein, Papa, wie du immer redest, du könntest doch wieder zur Bühne gehen.

Wermelskirch. Nicht mal ins Affentheater, mein Kindchen.

Siebenhaar. Hat Ihnen Herr Exner was angedeutet? Er wollte doch alles, wie er mir sagte, im großen ganzen beim alten lassen!

Wermelskirch. Zum großen ganzen gehör' ich wohl nicht!

Frau Wermelskirch kommt in großer Aufregung an den Tisch. Herr Siebenhaar, ich muß Ihnen sagen. Sie können mir glauben, Herr Siebenhaar. Ich bin eine alte fünfzigjährige Frau, ich habe schon manches, wahrhaftig, erlebt, aber wie man uns hier so hat mitgespielt – nein, wirklich, das ist ja ... da weiß ich schon gar nicht ... das ist ja die purste, reine Gemeinheit, die purste, nichtswürdigste Bosheit ist das, die reinste Niedertracht, könn'n Sie mir glauben.

Wermelskirch. I, Mutter, fang du mir auch noch an! Mach mal und zieh dich gefälligst zurück, sei so gut, hinter deine Verschanzung!

Frau Wermelskirch. Was hat unser Fränzchen diesem nichtswürdigen Weibsbild getan?

Franziska. Ach laß doch, Mama!

Frau Wermelskirch. Im Gegenteil. Sollen wir denn auch alles ertragen? Soll man sich gar nicht dagegen wehren, wenn sie einen ums Brot bringt? Wenn sie Sachen ausstreut von unsrer Tochter? Zu Siebenhaar. Ist Ihnen das Kind je zu nahe getreten?

Wermelskirch. Mama, Mama! Jetzt komm mal, Mama! So! Ruh dich mal aus! Die Stelle ist schon ganz hübsch gegangen. Heut abend repetieren wir wieder. Er führt sie hinter das Schenksims, wo man sie noch ein Weilchen schluchzen hört.

Wermelskirch, der wieder Platz nimmt. Im Grunde genommen hat sie ja recht. Ich habe auch schon so munkeln gehört, daß Henschel die Schenkstube pachten wird. Da steckt natürlich die Frau dahinter.

Hauffe. Wer soll denn sonste dahinterstecken? Wo's bloß an Stänkerei gibt irgend im Dorfe, da braucht eens gar nich erseht weiter zu fragen. De Henscheln hat eemal a Teifel im Leibe.

Fabig. Und uf de Schenkstube spitzt se schon lange.

Siebenhaar, zu Hauffe. Hauffe, man sieht Sie ja gar nicht mehr. Wo sind Sie denn eigentlich hingeraten?

Hauffe. Wo wer ich ooch hingeraten sein? Ins Unglicke bin ich halt neingeraten, und der mich hat neingestoßen dahier, das war auch das sackermenschte Weibsbild. Nu wer denn sonste, mecht' ich bloß wissen? Mit Henscheln hab' ich doch nie nischt gehabt.

Fabig. Sei Weib hat ebens die Hosen an.

Hauffe. Ich bin er nich mehr gefirre genug. Der Jingste is man ja freilich nich mehr. Um de Schirzenbändel wer ich er auch nich mehr gehn, und das ebens will se, das muß man kenn'n. Die is aso hitzig, mecht' man sprechen ... die kriegt nie genug. – Derwegen aber: arbeiten kann ich. Die jungen Kerle, die se sich anschafft, die sein doch aso stinkmadig faul, die arbeit' ich noch dreimal in a Sack.

Siebenhaar. Der alte Henschel kann einem leid tun!

Hauffe. Is a's zufriede, was geht's mich an! Aber daß ich steif uf de Knochen bin, das sollt' a wissen, woher das kommt. Mit Faulenzen bin ich's nich geworn; und wenn a heute und hat a Kasten voll Geld dahier, a gutt Teel hab' ich'm mit erschind't.

Siebenhaar. Ich kann mich ja noch ganz gut erinnern, Sie haben doch schon bei Wilhelm Henschels Vater gedient.

Hauffe. Nu was denn sonste! 's is auch nich andersch. Und Wilhelms Ferde hab' ich gefittert bei achtzehn Jahre dahier und drieber. Hab' eingespannt und hab' ausgespannt, hab' wintersch und summersch Reesen gemacht. Bin nach Freiburg gefahren und nach Breslau gefahren, bis nuf nach Bromberg hab' ich mußt kutschen. Manch liebe Nacht hab' ich missen im Wagen schlafen. Ohren und Hände sein mer verfroren, Frostbeulen hab' ich an beeden Fießen aso groß wie Birnen. Jetze jagt er mich fort, jetze kann ich gehn.

Fabig. Das is alles bloß de Henscheln. Er selber is gutt.

Hauffe. Was hat a sich mit dem Weibe behängt! Jetze kann a sehn, wie a fertig wird. A konnte's ja kaum erwarten dahier. De Henscheln war ja kaum richtig kalt, da lief a doch schonn, mit der neuen Hochzeit machen.

Siebenhaar. Man hat sie ja eben nicht so gekannt.

Fabig. Ich kannt' se genau. Ojemersch nee. Hätt' er mich gefragt, ich hätt's 'm gesagt. Wenn er Gusteln wollte der Mutter nachschicken, da gab's gar kee besseres Mittel dafier; er mußt'r die Hanne zur Stiefmutter geben.

Hauffe. Ja, ja – nee nee, ich sag' weiter gar nischt. Da hat schon manch eener a Kopp geschittelt. Aber das kommt'm noch amal heem. Dazumal haben sich de Leute gewundert, heute traun s' 'm 's Schlimmste zu.

Siebenhaar. Das ist jedenfalls bloß Klatsch und Tratsch!

Pferdehändler Walther tritt ein, Schaftstiefel, Jagdjoppe, Mütze und Peitsche. Er setzt sich an einen der Tische und macht Zeichen zu Franziska, die ihm bald Bier bringt.

Hauffe. Das sagen Sie aso, wer weeß, ob's wahr is. Wenn aber die Toten wiederkämen und täten sprechen: de alte Henscheln kennte woll was erzählen dahier. Die konnte nich leben, die wollte nich leben. Und was 's Haupt is: die sollte nich leben.

Siebenhaar. Hauffe, nehmen Sie sich in Obacht. Wenn Henschel mal von der Sache Wind kriegt ...

Hauffe. Da brauch' ich mich gar nich in Obacht nehmen. Das sag' ich an jeden ins Gesichte. Die alte Henscheln hat missen sterben. Ob s' sie vergift't haben, das weeß ich ja nich, dabei bin ich ja nich gewest. Mit richt'gen Dingen is das nie und nimmermehr zugegangen. Die Frau war gesund, die hätte noch kenn dreißig Jahre leben!

Siebenhaar trinkt aus und steht auf.

Walther. Daß die gesund war, das kann ich bezeugen. Meine Schwester wer ich woll kenn am Ende. Die war im Wege, da mußt' se abschieben.

Siebenhaar geht ruhig hinaus.

Wermelskirch. Meine Herren, vielleicht eine Prise gefällig? Gedämpft, vertraulich. Meine Herren, Sie gehen doch, scheint mir, zu weit. Sehn Sie sich den Mann mal an. Gestern, spät am Abend, saß er noch hier. Der Mann hat so tief geseufzt, sage ich Ihnen – – – es war weiter niemand im Lokal – es ist mir ordentlich nahegegangen.

Hauffe. 's beese Gewissen plagt'n halt.

Walther. Oh, laßt mich bloß mit den Henschel zufriede. Er kommt mer schon oben zum Halse raus. Mir beede sein lange fertig mitnander.

Wermelskirch. Ach nein, Herr Siebenhaar hat schon recht, es muß einem leid tun um den Mann.

Walther. Das kann a halt'n, wie a will, meinswegen. Aber was ich von Henscheln zu denken hab' ... da braucht mir kee Mensch nischte mehr zu sagen.

Henschel und der Schmiedemeister Hildebrant treten von rechts ein. Henschel hat die kleine Bertha, sauberer gekleidet als früher, auf dem Arm. Es entsteht eine kleine Pause der Betretenheit unter den Anwesenden.

Wermelskirch. Schön willkommen, Herr Henschel!

Henschel. Guten Morgen mitnander!

Franziska. Nu, Berthel, wie geht's?

Henschel. Sprich: Sein Se bedankt! Na, kannste nich sprechen? 's geht ja, man muß ja zufriede sein. Guten Morgen, Schwager. Er reicht Walther lässig die Hand, die die dieser ebenso ergreift. Wie geht's – wie steht's?

Walther. Wie soll mir's gehn? Wenn's besser wär', schad't's nischt! Du bist ja die reene Kinderfrau.

Henschel. Ja, ja, 's is wahr, 's is bald nich andersch.

Walther. Man sieht dich ja bald nich mehr ohne das Mädel. Kannste se nich bei der Mutter lassen?

Henschel. Die muß bloß immer scheuern und schaffen. Da is'r das Dingel bloß im Wege. Er setzt sich auf die Wandbank neben dem Schenksims, unweit seines Schwagers, das Kind auf dem Schoß. Ihm gegenüber nimmt Hildebrant Platz. Wie steht's, Meester Hildebrant, was wem mer'n trinken? An Kuffe Bier hab'n mer, denk' ich, verdient. Zwee Kuffen Bier und zwee Gläsel Korn!

Hildebrant. Das Aas hat mich richtig ufgeschlagen!

Henschel. 's reene Fillen und hat solche Kräfte, und alle vier Eisen hintereinander. – Guden Morgen, Hauffe.

Hauffe. – Morgen! –

Henschel. – – – A is a bissel brummig. Lassen mer'n zufriede.

Fabig. Herr Henschel, koofen Se mir was ab. A Nadelbichsel vielleicht fier de Frau, a hibsch Kämmel vielleicht, ins Haar zu stecken! Die Anwesenden lachen. Der Schorsch, der Kellner, hat auch eens gekooft.

Henschel, der gutmütig mitlacht. Oh, laß du mich mit dem Krame in Frieden! Zu Wermelskirch. Geben S'n ock ooch ane Kuffe Bier! – A putziges Männel, wo is'n der her?

Hildebrant. Das is doch, denk' ich, der Fabig von Quolsdorf. 's nischnitzigste Luder im ganzen Kreese.

Henschel. Da hätt' ich ja auch a klee Pflänzel von Quolsdorf.

Fabig, zu Bertha. Mir sein doch ooch gute Bekannte, nich wahr?

Bertha, zu Fabig. Zuckernissel will ich doch haben!

Fabig. Nee ... die weeß schonn, wer ich bin. Ich will amal suchen, ob ich was finde!

Bertha. Draußen, im Wagen!

Fabig. Nee, hier, in der Tasche. Er gibt dem Kinde Zuckerzeug. Nu siehste's, Mädel, du kommst aus a Wirtshäusern eemal nich raus. Dazumal nahm dich der Großvater mit, heute mußte mit Henschel Wilhelm rumziehn.

Henschel. Sprich: Kimmer du dich um dei altes Gelumpe. Fier mich is gesorgt. Immer mach und sag's'n!

George kommt lebhaft aus dem Billardzimmer.

George, ohne Henschel zu bemerken. Das hätt' ich doch nimmermehr nich gegloobt, der Kerl frißt je Glos wie nischt Guts, wahrhaft'ch. Immer ran an de Kreide, Freilein Franziska; eene Lage Bier, mir sind fünf Mann!

Franziska hat Bertha auf den Arm genommen. Sie geht mit dem Kinde hinter das Schenksims. Berthchen erlaubt's nicht, ich kann jetzt nicht.

George. Weeß Gott, Meester Henschel, da sind Sie ja ooch!

Henschel, ohne George zu beachten, zu Hildebrant. Sollst leben, Hildebrant! Sie stoßen an und trinken.

Fabig, zu George, welcher ein wenig betreten an einem dei Tische seine Zigarre ansteckt. Sag'n S' ock, Herr Schorsch, Sie kenn'n woll hexen?

George. Nu allemal! Weshalb meen Se denn?

Fabig. Sie waren ja verschwunden vorhin wie a Licht.

George. Nu eben, was soll man sich denn erst einlassen, ich begeh' mich mit Siebenhaar eemal nich.

Fabig, mit Ohrfeigengeste. De Leute sagen, 's hätt' eingeschlagen. Im Vorübergehen zu Hauffe. Du hast woll's Große Los gewonnen?

Hauffe. Mogote, verfluchter.

Lachen.

Fabig. Ja, ja, ich bin auch eener.

Henschel. Is wahr, du bist jetze bei Nentwichen unten?

Hauffe. – Was geht'n das dich an?

Henschel, lachend und gleichmütig. Nu seht ock den widerborschtigen Kerl! Er sticht wie a Igel, wo man 'n tut anfassen.

Walther. Na, nu werscht woll du bald hier unser Wirt sein?

Henschel, nachdem er ihn kurz befremdet angesehen. – Dadavon is mir nischt nich bekannt!

Walther. Ich dachte. Ich weeß nich, wer mir's gleich sagte.

Henschel, nach einem Trunk, gleichgültig. Der dir das sagte, der muß geträumt haben.

Pause.

Hildebrant. In dem Hause kommt alles jetze untereinander. Wer weeß, wies werd! Und aso viel sag' ich: nach Siebenhaarn werd ihr alle noch seufzen!

Henschel, zu Hauffe. Du kennt'st amal rieber nach Landshut fahren. Dort hab' ich zwee neue Kutschferde zu stehn. Hätt'st mer se kenn'n amal runterreiten.

Hauffe. Ich wer der was sch...en, wer ich der was!

Henschel, lachend, doch gleichmütig. Jetze kannst aber sitzen, biste werscht schwarz wern. Ich kimmere mich nich mehr aso viel um dich.

Hauffe. Du hast auch vor deiner Tiere zu kehrn!

Henschel. 's is gutt, 's is gutt, wir lassen's gutt sein!

Hauffe. Du hast Unflat genug im eegnen Hause.

Henschel. – Hauffe, ich sag' dersch, ich tu's nich gerne. Aber wenn de dahier an'n Krakeel willst anfangen, da sag' ich dersch bloß: da schmeiß' ich dich naus.

Wermelskirch. Pst, Friede, Herrschaften! Friede! Friede!

Hauffe. Du bist hier nich Wirt! Du kannst mich nich nausschmeißen. Du hast hier nich mehr zu sagen wie ich. Ich lass' mir von dir's Maul nich verbieten. Von dir nich und von deim Weibe nich, do meegt ihr schonn aushecken, was ihr wollt, ihr beede mitnander, dei Weib und du, das ficht mich ooch nich aso viel an!

Henschel, ohne sichtbare Aufregung, erfaßt Hauffe vorn an der Brust, steht auf, schiebt den nutzlos Widerstrebenden rückwärts zur Tür, wendet sich selbst kurz vorher, drückt mit der Linken die Klinke der Glastür hinunter und setzt Hauffe hinaus; gesprochen wird dabei folgendes.

Hauffe. Ich sag' dersch: laß los; laß los, sag' ich bloß!

Wermelskirch. Herr Henschel, das geht nicht, das kann ich nicht zugeben.

Henschel. Ich hab' dersch gesagt. Jetze is nischt zu machen!

Hauffe. Was? willst du mich wirgen? Sollst loslassen, sag' ich! Du bist hier nich Wirt.

Frau Wermelskirch, über das Schenksims. Was soll denn das heißen? Das geht doch nicht, Ludwig! Das darfst du dir doch nicht gefallen lassen!

Fabig, während Henschel mit Hauffe schon nahe der Tür im Seitenraum ist. Das lassen Se gutt sein, da is nischt zu machen. Der Mann, der is wie a Anthelet. Der beißt in de Tischkante beißt a nein und hebt a Tisch mit a Zähn'n in de Heeh', da fällt auch noch nich a Schnapsgläsel um. Den braucht's bloß einfallen, kann ich Ihn sagen, da liegen mir alle mitnander draußen.

Hauffe ist hinausgeworfen, Henschel kommt zurück.

Henschel, sich bei allgemeiner Stille niedersetzend. A läßt eemal keene Ruhe, der Kropp.

Erster Feuerwehrmann, welcher, aus dem Billardzimmer hereingekommen, am Schenksims einen Schnaps getrunken hat. Ich mechte bezahln! 's is besser, man geht. Uf de Letzte fliegt man sonste auch noch naus.

Wermelskirch. I, noch'n Glas Bier! Das fehlte noch grade. Am Ende bin ich doch einstweilen noch da!

Walther. Wenn du's aso machst, Henschel Wilhelm, wenn de werscht hinterm Schenksims stehn und werscht hier statts Wermelskirchen der Wirt sein, das kann ich der sagen: viel Gäste werschte aso nich erhalten.

Henschel. Uf solche Gäste kommt's auch nich an.

Walther. Aussuchen werschte se halt nich kenn'n. Hauffe zahlt auch nich mit falschem Gelde.

Henschel. Vor mir mag a zahln, mit was a will! Aber jetze sag' ich dersch noch amal: komm mer nich wieder mit der Geschichte. Ich iebernehme die Wirtschaft nich. Wenn ich se tät' iebernehmen dahier: ich mißt's doch am allererschten wissen. Nu also! Koof ich amal an Wirtschaft, da wer ich der's sagen. Hernach kannste mer auch an'n Rat geben; und wenn dersch nich paßt und du kommst nich zu mir, nu jemersch, da mußte's halt bleibenlassen, Schwager.

Der Feuerwehrmann, heftig die Türe zuschlagend, ab.

Walther. Man mechte woll auch gehn ...! Er macht Anstalten zu zahlen.

Wermelskirch. Herr Henschel, das ist doch aber nicht recht, Sie treiben mir ja meine Gäste fort!

Henschel. Nu aber, ihr Leute! Jetzt sagt mir amal, wenn der jetze fortlooft, was geht'n das mich an? Vor mir kann a hocken bis morgen frieh!

Walther steckt das Geld wieder ein, in steigender Heftigkeit. Du hast hier keen'n Menschen nauszuschmeißen. Du bist hier der Wirt nich!

Henschel. – Weeßt du etwa noch was?

Walther. Man weeß gar manches, man schweigt bloß lieber. Beese Geschichten! Wermelskirch weeß das am allerbesten.

Wermelskirch. Wieso denn ich? Aber hören Sie mal an ...

Henschel, gesammelt und fest. Was wissen Sie, hä? Immer raus mit der Sprache! – Der eene weeß das, und der andre weeß jenes. Damit wissen se beede an'n Dreck.

Pause.

Walther, in veränderter Tonart. Wenn du bloß und wärscht noch der alte wie frieher; aber wer weeß, was in dich gefahren is. Dazumal hast du doch dagestanden: de Leute kamen von weit und breit und holten bei Henschel Wilhelm Rat. Und was der sagte, das war, mecht' ma sprechen, wie a Gesetze, das stand, kann man sagen. Wie Amen in der Kirche war das. Jetze is gar kee Auskommen mehr mit dir.

Henschel. Immer weiter im Texte.

Walther. Nu ebens, das werscht du woll selber merken. Frieher, da hatt'st du bloß Freinde, heute, da kommt kee Mensch mehr zu dir, und wenn se und wollten auch zu dir kommen, da bleiben se wegen dem Weibe weg. Zwanzig Jahre hat euch der Hauffe gedient, uf eemal paßt a dem Weib nich mehr, und du, du nimmst'n bei der Krawatte und schmeißt'n naus! Was is denn das? Die braucht bloß winken, da springst du auch schonn, statts daß du und nimmst der an'n ticht'gen Strick und treibst'r die Mucken grindlich aus.

Henschel. Wenn de nich stille bist, jetzt, uf der Stelle – da nehm' ich dich ooch noch bei der Krawatte.

George, zu Henschel. Meister Henschel, nur bloßig nich hinreißen lassen. Sehn Se, der Mann versteht's halt nich besser. Schnell ab ins Billardzimmer.

Walther. Jaja, das gloob' ich! Das bist du imstande; wenn eener kommt und sagt der de Wahrheit, der fliegt an de Wand. Aber so a Kerl, so a windiges Luder wie der Schorsch, der kann dich beilegen, Tag und Nacht. Dei Weib und der um die Wette dahier. Du willst belogen sein, da laß dich beliegen! Aber wenn de noch Augen im Koppe hast, da sperr se amal uf und sieh amal um dich, da sieh der den Kerl amal ord'ntlich an. Die betriegen dich ja am lichten Tage!

Henschel will auf ihn los, bezähmt sich. Was hast du gesagt, hä –? Nischte! 's is gutt.

Pause.

Fabig. 's richtige Aprilwetter is das heute; bald scheint die Sonne, bald graupelt's wieder.

Hauffes Stimme, von außen. Dir wer ich's heemzahlen, paß amal uf! Laß ock du's gutt sein! Wir sprechen uns wieder, uf'm Gerichte sprechen mir uns.

Walther trinkt aus und steht auf. Hadje, nischt fier ungutt.

Henschel legt seine linke Hand um Walthers Handgelenk. Dableiben! Verstanden?!

Walther. Was soll ich denn noch?

Henschel. Das werd sich schonn finden. Du bleibst, sag' ich bloß. Zu Franziska. Geh hinunter, mei Weib soll kommen. Franziska ab.

Wermelskirch. Aber lieber Herr Henschel, um Himmels willen, machen Sie hier doch keinen Skandal. Ich kriege die Polizei auf den Hals, ich ...

Henschel, in furchtbar ausbrechender Wutraserei, blaurot im Gesicht. Eher schlag' ich euch alle tot –!! Oder Hanne muß kommen, hierher uf der Stelle.

Walther, in fassungsloser Bestürzung. Willem, Willem, mach keene Tummheeten. Ich wollte ja gar nischt weiter gesagt haben. Wahrhaftig nich! – Und de Leute reden ja lauter Liegen.

Hildebrant. Willem, du bist ja a guter Kerl! Komm du ock wieder zu Verstande! Wie siehst denn du aus, hä? Sei ock verninftig! Du hast ja gebrillt! – Was hat's denn mit dir? – Das haben se geheert im ganzen Hause.

Henschel. Das soll jetzt heern meinswegen, wer will; aber du bleibst hier, und Hanne kommt her.

Walther. Was wer ich ooch hierbleiben? Ich weeß nich, zu was! Deine Sachen, die gehn mich nischte nich an. Ich meng' mich nich nein, ich will mich nich neinmengen.

Henschel. Hätt'st der das eher ieberlegt!

Walther. Was mir sonste noch haben, das kommt vors Gerichte; da wern mer ja sehen, wer recht behält. Ich wer zu mein'n Gelde schonn kommen dahier. Vielleicht ieberlegt sich's dei Weib doch a bissel, ob sie und tut an'n falschen Eid leisten. Das andere geht mich nischt nich an. Ich sag' dersch, laß los, ich hab' keene Zeit. Ich muß nach Hartau, ich kann nich mehr warten.

Siebenhaar kommt wieder.

Siebenhaar. Was ist denn passiert?

Wermelskirch. Ja, mein Gott, ich weiß nicht! Ich weiß gar nicht, was Herr Henschel will.

Henschel, fortgesetzt Walthers Gelenk umklammert haltend. Hanne soll kommen, weiter nischt.

Frau Wermelskirch, zu Siebenhaar. Die Leute trinken ganz ruhig ihr Bier, da kommt Herr Henschel und fängt hier Streit an, als ob er hier Herr im Hause wäre.

Siebenhaar, abwehrend. Pst, pst, schon gut. Zu Henschel. Henschel, was ist Ihnen denn begegnet?

Henschel. Herr Siebenhaar, ich kann nich dafier. Ich kann nich dafier, daß das aso kommt. Da meegen Se denken, was Se wolln. Ich kann nich dafier, Herr Siebenhaar.

Siebenhaar. Aber Henschel, was glauben Sie denn von mir, ich kenne Sie doch als ruhigen Mann.

Henschel. Ich bin schonn bei Ihren Herrn Vater gewest, und wenn's ooch zehntausendmal aso aussieht: ich kann nischt dafier, wie das aso kommt. Ich weeß selber nich, was ich verbrochen hab'! Ich bin niemals nich keen Krakeeler gewest. Aber jetze is 's aso geworn. Se kratzen und beißen mich alle mitnander. Der Mann hat Dinge gesagt uf mei Weib, die soll a beweisen, sonst: gnade Gott!

Siebenhaar. Ach lassen Sie doch die Leute schwatzen!

Henschel. Beweise! Beweise! Sonst gnade Gott!

Walther. – Ich kann's beweisen, ich wersch beweisen. Da wern er nich viele sein in der Stube, die das nich wissen aso gutt wie ich. Dei Weib is eemal uf schlechten Wegen. Ich kann nischt dafier, ich hätt's nich gesagt, aber soll ich mich etwa lassen von dir ins Gesicht schlagen? Ich bin kee Liegner, ich red' immer die Wahrheet. Frag du meinswegen, wen de willst! Frag a Herr Siebenhaar ufs Gewissen. Die Sperlinge schrein's ja von allen Dächern und noch ganz andre Sachen dazu.

Siebenhaar. Überlegen Sie sich, was Sie reden, Walther!

Walther. A zwingt mich dazu, a soll mich losgeben. Weshalb soll ich denn leiden fer andre Menschen?! Sie wissen ja alles aso gutt wie ich. Wie haben Sie mit Henscheln frieher gestanden, da er und hatte de erschte Frau noch! Denken Sie etwa, man weeß das nich? Sie betreten ja seine Stube nich mehr.

Siebenhaar. Was wir beide haben, das sind Privatsachen. Ich verbitte mir jede Einmischung.

Walther. Aber wenn erseht die Frau stirbt und is ganz gesund, und acht Wochen darnach stirbt Gustel auch noch, da sein das, denk' ich, schonn mehr wie Privatsachen.

Henschel. Was? – Hanne soll kommen!

Frau Henschel tritt schnell und plötzlich ein, wie sie von der Arbeit kommt, sie trocknet sich die Hände.

Frau Henschel. Was brillst'n aso?

Henschel. – 's is gutt, daß de da bist! – Der Mann hier sagt ...

Frau Henschel will fort. Verknuchte Tummheet!

Henschel. Hier sollste bleiben!

Frau Henschel. – Ihr seid woll besoffen alle mitnander? Was fällt euch denn ein? Denkt ihr, ich wer euch an'n Affen abgeben? Sie will fort.

Henschel. – Hanne, ich rat' dersch. Der Mann hier sagt ...

Frau Henschel. Oh, vor mir mag er sagen, was er will.

Henschel. ... daß du mich hinten und vorne betriegst.

Frau Henschel. Was? Was? Was? Was?

Henschel. Ja? Darf a das ooch sagen? – Und daß mir ... mei Weib ...

Frau Henschel. – Ich? Liegen verdammte! Sie schlägt sich die Schürze vor die Augen und rennt fort. Ab.

Henschel. Daß ich ... mei Weib ... daß wir mitnander ... daß unser Gustel ... 's is gutt! 's is gutt! Er läßt Walthers Hand los und läßt röchelnd den Kopf auf den Tisch sinken.

Walther. Ich wer mich hier lassen zum Liegner machen.


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