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Dritter Akt

Erste Szene

Ebene in Dänemark. Lager des Fortinbras. Fortinbras. Ein junger Engländer. Hauptleute des Fortinbras in einigem Abstand. Kriegerische Musik, Trommeln, Pfeifen.

Fortinbras

zu einem der Hauptleute

Entbiete Unsren Gruß dem Dänenkönig.
Sag ihm, daß Wir bereitstehn, zu verhandeln
nach den Artikeln über Unsren Durchzug,
die Norweg, Unser Ohm, ihm vorgelegt.
Wir werden Unsre Pflicht genau beachten
und nicht vom Wege weichen, den er Uns –
das heißt: die Punktation – Uns vorschreibt. Eilt!

Der Hauptmann ab.

Erzählt noch etwas von der Farce, Herr,
die mein gerißner Ohm mit diesen Gimpeln,
den beiden Boten dieses dän'schen Geiers,
jüngst ausgeführt.

Engländer

Er hielt die Boten fest,
um sie mit dem, was sie zu hören wünschten,
auf jede Weise zu befriedigen.
Und so erfuhren sie an einem Tag,
es seien Boten unterwegs zu Euch.
Am zweiten hieß es schon, Ihr seid verhaftet.
Geschwellt von dem Erfolge ihres Auftrags,
zog die Gesandtschaft heim.

Fortinbras

Glaubt man, mit Worten Uns zurückzuhalten?
Ich zögre nicht und sprech' es offen aus:
durch Brudermord kam König Hamlet um,
zwar Unser Gegner, doch ein Held und Mann.
Und Thron und Krone sind heut usurpiert
von seinem Mörder. War ihm je ein Schein
von Recht verliehn auf eines und das andre,
der himmelschreinde Mord hat ihn verwirkt.
Wer will sich wundern, wenn dies Ärgernis –
was sag' ich: Ärgernis? –, wenn diese Greul
zur Sühne eine Welt in Waffen aufruft.
Doch nein: Wir sind die Nächsten bei der Sache.

Engländer

Ich kann, was Ihr gesagt, durchaus bestät'gen.
Es gärt im ganzen Dänenreiche. – Nur
noch eine Hoffnung hat man allgemein
im Land und hört sie äußern.

Fortinbras

Welche?

Engländer

Hamlet!

Fortinbras

Er ist ein halber Knabe und ein Schwächling,
dies dringt doch durch bei jeglichem Gerücht,
das Unser Ohr erreichte.

Engländer

Nein und ja, Herr,
Ihr sollt den jungen Mann nicht unterschätzen.

Fortinbras

Hat man mit ihm zu rechnen, mag es sein.
Wir werden dann Uns mit dem strittigen
Gebiet genügen lassen, diesen Prinzen
auf seinen angestammten Thron erheben,
wofür er dankbar sich erzeigen wird.
Sehr zweifelhaft indes ist dieses Ende,
dieweil man ganz bestimmt es mir versichert,
der Geist des Prinzen sei umnachtet, er
ein armer Irrer nur noch, weiter nichts.
Vorwärts, Wir rücken langsam, langsam weiter,
man mag Geleit Uns geben oder nicht.
Jetzt, wo dies Reich sich in sich selbst zersetzt,
wer wollte andren da den Vortritt lassen!

Ab.

Zweite Szene

Schloß zu Helsingör. König, Königin, Polonius, Ophelia, Rosenkranz und Güldenstern.

König

Und lockt ihm keine Wendung des Gesprächs
heraus, warum er so viel Unfug stiftet
und unser aller Ruhe so bedroht
durch ein Gehabe lärmiger Verrücktheit?

Rosenkranz

Er gibt es zu, er fühle sich verstört,
allein, wovon, will er durchaus nicht sagen.

Güldenstern

Auch ist er nicht geneigt, uns anzuhören,
versteckt vielmehr sich hinter list'ge Blödheit,
wenn wir zum Beichten ihn bewegen wollen
des heimlichen Beweggrunds, der ihn leitet.

Königin

Und wie empfing er euch?

Rosenkranz

Ganz wie ein Weltmann.

Güldenstern

Doch zwang er sich nur schwer zu dieser Haltung.

Rosenkranz

Geizig mit Fragen, mit der Antwort aber
um so verschwenderischer.

Königin

Ludet ihr
zu irgendeinem Zeitvertreib ihn ein?

Rosenkranz

Es traf sich grade, gnäd'ge Frau, daß wir
Schauspieler unterwegens eingeholt.
Wir sagten ihm von diesen, und es schien,
er hörte das mit einer Art von Freude.
Sie halten hier am Hof herum sich auf
und haben, wie ich glaube, schon Befehl,
zur Nacht vor ihm zu spielen.

Polonius

Ja, so ist's,
und mich ersucht' er, Eure Majestäten
zum Hören und zum Sehn des Dings zu laden.

König

Von ganzem Herzen, und es freut mich sehr,
daß er sich dahin neigt.
Ihr lieben Herrn, spornt seine Lust noch ferner,
und treibt ihn zu Ergötzlichkeiten an.

Rosenkranz

Wir wollen's, gnäd'ger Herr.

Rosenkranz und Güldenstern ab.

König

Verlaß uns, liebe Gertrud, ebenfalls.
Wir haben Hamlet heimlich herbestellt,
damit er hier Ophelien wie durch Zufall
begegnen mag. Ihr Vater und ich selbst,
wir wollen so uns stellen, daß wir, sehend,
doch ungesehn, von der Zusammenkunft
mit unbefangnem Urteil uns belehren,
ob es sein Liebeskummer ist, ob nicht,
was so ihn leiden macht.

Königin

Ich will gehorchen.
Was Euch betrifft, Ophelia, möchte doch
der heitre Anlaß der Verstörtheit Hamlets –
ich wünsch' es innigst! – Eure Schönheit sein.
Dann, darf man hoffen, wird die holde Anmut,
die Euer Wesen adelt, süßes Kind,
auf den gewohnten Weg zurück ihn bringen.

Ophelia

Ich wünsch' es, gnäd'ge Frau.

Königin ab.

Polonius

Geht hier umher, Ophelia. – Gnädigster,
laßt Platz uns nehmen. –

Zu Ophelia

Lest in diesem Buch,
so macht Ihr Eure Einsamkeit verständlich.
Viel Unfug treiben wir auf diese Art,
wir spielen Andacht, heucheln die Versenkung
in Gott und sind imstand, auf diese Weise
den leid'gen Satan selbst zu überzuckern.

König

beiseite

O allzuwahr! mit scharfer Geißel trifft
dies mein Gewissen. Die verdorbne Haut
geschminkter Huren ist so häßlich nicht,
verglichen mit der Schminke, die sie deckt,
als, mit der Schminke meines Worts verglichen,
der Aussatz meiner Tat! O schwere Last!

Polonius

Ich hör' ihn kommen, ziehn wir uns zurück.

König und Polonius ab. Hamlet tritt auf.

Ophelia

Mein Prinz, wie geht es Euch seit so viel Tagen?

Hamlet

Ich dank' Euch untertänig: wohl.

Ophelia

Mein Prinz, ich hab' von Euch noch Angedenken,
die ich schon längst begehrt zurückzugeben.
Ich bitt' Euch, nehmt sie jetzo.

Hamlet

Nein, ich nicht:
ich gab Euch niemals was.

Ophelia

Mein teurer Prinz, Ihr wißt gar wohl, Ihr tatet's
und Worte süßen Hauchs dabei, die reicher
die Dinge machten; da ihr Duft dahin,
nehmt dies zurück; dem edleren Gemüte
verarmt die Gabe mit des Gebers Güte.
Hier, gnäd'ger Herr.

Hamlet

Ha ha! Seid Ihr tugendhaft?

Ophelia

Gnäd'ger Herr?

Hamlet

Seid Ihr schön?

Ophelia

Was meint Eure Hoheit?

Hamlet

Daß, wenn Ihr tugendhaft und schön seid, Eure Tugend keinen Verkehr mit Eurer Schönheit pflegen muß.

Ophelia

Könnte Schönheit wohl besseren Umgang haben, mein Prinz, als mit der Tugend?

Hamlet

Ja freilich: denn die Macht der Schönheit wird eher die Tugend in eine Kupplerin verwandeln, als die Kraft der Tugend die Schönheit sich ähnlich machen kann. Dies war ehedem paradox, aber nun bestätigt es die Zeit. Ich liebte Euch einst.

Ophelia

In der Tat, mein Prinz, Ihr machtet's mich glauben.

Hamlet

Ihr hättet mir nicht glauben sollen: denn Tugend kann sich unserm alten Stamm nicht so einimpfen, daß wir nicht einen Beigeschmack von ihm behalten sollten. Ich liebte Euch nicht.

Ophelia

Um so mehr wurde ich betrogen.

Hamlet

Geh in ein Kloster. Warum wolltest du Sünder zur Welt bringen? Ich bin selbst leidlich tugendhaft; dennoch könnt' ich mich solcher Dinge anklagen, daß es besser wäre, meine Mutter hätte mich nicht geboren. Ich bin sehr stolz, rachsüchtig, ehrgeizig; mir stehn mehr Vergehungen zu Dienst, als ich Gedanken habe, sie zu hegen, Einbildungskraft, ihnen Gestalt zu geben, oder Zeit, sie auszuführen. Wozu sollen solche Gesellen wie ich zwischen Himmel und Erde herumkriechen? Wir sind ausgemachte Schurken, alle: trau keinem von uns! Geh deines Wegs zum Kloster! Wo ist Euer Vater?

Ophelia

Zu Hause, gnäd'ger Herr.

Hamlet

Laßt die Tür hinter ihm abschließen, damit er den Narren nirgends anders spielt als in seinem eigenen Hause. Leb wohl.

Ophelia

O hilf ihm, güt'ger Himmel.

Hamlet

Wenn du heiratest, so gebe ich dir diesen Fluch zur Aussteuer: sei so keusch wie Eis, so rein wie Schnee, du wirst der Verleumdung nicht entgehen. Geh in ein Kloster! Leb wohl! Oder willst du durchaus heiraten, nimm einen Narren; denn gescheite Männer wissen allzugut, was ihr für Ungeheuer aus ihnen macht. In ein Kloster! Geh! Und das schleunig. Leb wohl.

Ophelia

Himmlische Mächte, stellt ihn wieder her!

Hamlet

Ich weiß auch mit euren Malereien Bescheid, recht gut. Gott hat euch ein Gesicht gegeben, und ihr macht euch ein anderes! Ihr tänzelt, ihr trippelt, und ihr lispelt und gebt Gottes Kreaturen verhunzte Namen und stellt euch aus Leichtfertigkeit unwissend. Geht mir! Nichts weiter davon! Es hat mich toll gemacht. Ich sage, wir wollen nichts mehr von Heiraten wissen: wer schon verheiratet ist, alle außer einem, soll das Leben behalten; die übrigen sollen bleiben, wie sie sind. In ein Kloster! Geh!

Hamlet ab.

Ophelia

O welch ein edler Geist ist hier zerstört!
Des Hofmanns Auge, des Gelehrten Zunge,
des Kriegers Arm, des Staates Blum' und Hoffnung,
der Sitte Spiegel und der Bildung Muster,
das Merkziel der Betrachter: ganz, ganz hin!
Und ich, der Fraun Elendeste und Ärmste,
die seiner Schwüre Honig sog, ich sehe
die edle, hochgebietende Vernunft
mißtönend wie verstimmte Glocken jetzt;
dies hohe Bild, die Züge blühnder Jugend
durch Schwärmerei zerrüttet: weh mir, wehe,
daß ich sah, was ich sah, und sehe, was ich sehe.

Der König und Polonius treten wieder hervor.

König

bleich

Aus Liebe? Nein, sein Hang geht dahin nicht,
und was er sprach, obwohl ein wenig wüst,
war nicht wie Wahn. Er trägt was im Gemüt,
worüber seine Schwermut brütend sitzt;
und wie ich sorge, wird die Ausgeburt
gefährlich sein. Um dem zuvorzukommen,
hab' ich's mit schleuniger Entschließung so
mir abgefaßt: er soll in Eil' nach England,
den Rückstand des Tributes einzufordern.

Polonius

Tut nach Gefallen; aber dünkt's Euch gut,
so laßt doch seine königliche Mutter
ihn nach dem Schauspiel ganz allein ersuchen,
sein Leid ihr kundzutun; sie gehe rund
mit ihm heraus: ich will, wenn's Euch beliebt,
mich ins Bereich der Unterredung stellen.
Wenn sie es nicht herausbringt, schickt ihn dann
nach England, oder schließt ihn irgendwo
nach Eurer Weisheit ein.

König

Es muß geschehn:
Wahnsinn bei Großen darf nicht ohne Wache gehn.

Alle ab.

Dritte Szene

Ein Saal im Schlosse. Hamlet und einige Schauspieler treten auf.

Hamlet

Seid so gut und haltet die Rede, wie ich sie euch vorsagte, leicht von der Zunge weg; aber wenn ihr den Mund so voll nehmt wie viele unsrer Schauspieler, so möchte ich meine Verse ebensogern von dem Ausrufer hören. Sägt auch nicht zu viel mit den Händen durch die Luft, so – sondern behandelt alles gelinde. Denn mitten in dem Strom, Sturm und, wie ich sagen mag, Wirbelwind eurer Leidenschaft müßt ihr euch eine Mäßigung zu eigen machen, die ihr Geschmeidigkeit gibt. Oh, es ärgert mich in der Seele, wenn solch ein handfester, haarbuschiger Geselle eine Leidenschaft in Fetzen, in rechte Lumpen zerreißt, um den Gründlingen im Parterre in die Ohren zu donnern, die meistens von nichts wissen als verworrnen stummen Pantomimen und Lärm. Ich möchte solch einen Kerl für sein Bramarbasieren prügeln lassen: es übertyrannt den Tyrannen. Ich bitte euch, vermeidet das.

Erster Schauspieler

Eure Hoheit kann sich darauf verlassen.

Hamlet

Seid auch nicht allzu zahm, sondern laßt euer eignes Urteil euren Meister sein: paßt die Gebärde dem Wort, das Wort der Gebärde an; wobei ihr sonderlich darauf achten müßt, niemals die Bescheidenheit der Natur zu überschreiten. Denn alles, was so übertrieben wird, ist dem Vorhaben des Schauspieles entgegen, dessen Zweck sowohl anfangs als jetzt war und ist, der Natur gleichsam den Spiegel vorzuhalten: der Tugend ihre eignen Züge, der Schmach ihr eignes Bild und dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen. Wird dies nun übertrieben oder zu schwach vorgestellt, so kann es zwar den Unwissenden zum Lachen bringen, aber den Einsichtsvollen muß es verdrießen. Und der Tadel von einem solchen muß in eurer Schätzung ein ganzes Schauspielhaus voll von andern überwiegen. Oh, es gibt Schauspieler, die ich habe spielen sehen und von andern preisen hören, und das höchlich, die, gelinde zu sprechen, weder den Ton noch den Gang von Christen, Heiden oder Menschen hatten und so stolzierten und blökten, daß ich glaubte, irgendein Handlanger der Natur hätte Menschen gemacht, und sie wären ihm nicht geraten; so abscheulich ahmten sie die Menschheit nach.

Erster Schauspieler

Ich hoffe, wir haben das bei uns so ziemlich abgestellt.

Hamlet

Oh, stellt es ganz und gar ab! Und die bei euch den Narren spielen, laßt sie nicht mehr sagen, als in ihrer Rolle steht; denn es gibt ihrer, die selbst lachen, um einen Haufen alberne Zuschauer zum Lachen zu bringen, wenn auch zu derselben Zeit irgendein notwendiger Punkt des Stückes zu erwägen ist. Das ist schändlich und beweist einen jämmerlichen Ehrgeiz an dem Narren, der es tut. Geht, macht euch fertig.

Schauspieler ab.
Polonius, Rosenkranz und Güldenstern kommen.

Nun, Herr, will der König dies Stück Arbeit anhören?

Polonius

Ja, die Königin auch, und das sogleich.

Hamlet

Heißt die Schauspieler sich eilen.

Polonius ab.

Wollt ihr beide sie treiben helfen?

Rosenkranz und Güldenstern

Ja, gnäd'ger Herr.

Beide ab.

Hamlet

He! Horatio!

Horatio kommt.

Horatio

Hier, Prinz, zu Eurem Dienst.

Hamlet

Du bist grad ein so wackrer Mann, Horatio,
als je mein Umgang einem mich verbrüdert.

Horatio

Mein bester Prinz …

Hamlet

Nein, glaub nicht, daß ich schmeichle.
Was für Beförderung hofft' ich wohl von dir,
der keine Rent' als seinen muntern Geist,
um sich zu nähren und zu kleiden, hat?
Weswegen doch dem Armen schmeicheln?! Nein,
es beuge sich des Knies gelenke Angel,
wo Kriecherei Gewinn bringt. Hör mich an:
seit meine teure Seele Herrin war
von ihrer Wahl und Menschen unterschied,
hat sie dich auserkoren. Denn du warst,
als littst du nichts, indem du alles littest:
ein Mann, der Stöß' und Gaben vom Geschick
mit gleichem Dank genommen und gesegnet.

Horatio

Darf ich zwei Worte sagen, Prinz? –

Hamlet

Ja, sprich.
Was ist's? Du machst mich ängstlich.
Behüte! Täusch' ich etwa mich in dir?
Hat man dich etwa eingesponnen, und
du gehst auf meiner Jugendfreunde Fährte,
des lieben Rosenkranz und lieben Güldenstern?

Horatio

Fragt Euer Herz, Prinz, ob dies möglich ist.

Hamlet

Dann trittst du hoffentlich nicht zwischen mich
und meinen heut'gen Vorsatz.

Horatio

Nein, mein Prinz.

Hamlet

Da fällt mir ein, man blies mir in die Ohren,
du hättest mit der Königin verstohlen
Zwiesprach' gepflogen.

Horatio

Ihre Majestät
beschied mich zu sich, nicht verhehl' ich's Euch.
Doch Eurer Warnung eingedenk, mein Prinz,
niemals auch nur durch das geringste Zeichen
je zu verraten, was der Zufall uns
erleben ließ mit Euch auf der Terrasse,
und unser Schwur darauf schloß mir den Mund.
Nein, daher weht der Wind nicht.

Hamlet

Woher sonst?

Horatio

Mein Prinz, Prinz Hamlet, nehmt mich immerhin
für nichts als Euren treuen Schulgesellen:
allein, ich bin kein Unmann. Nicht umsonst
las ich von Alexander und von Cäsar.
Von harter Römertugend spracht Ihr oft,
ich aber, wißt Ihr wohl, war Euer Partner,
und wenn wir unsre Schwächlichkeit verwünschten,
ging ich darin Euch manches Mal voran.
Seit jener Nacht auf der Terrasse sind
Marcellus und Bernardo sowie ich
seltsam gestreift vom Schicksal. Und der Schwur,
der den Entschluß zu schweigen in uns aufrief,
noch andre Dinge regt er in uns auf.
Prinz, wir gehören Euch auf Tod und Leben!
Mehr sag' ich nicht, mein Prinz.

Hamlet

Habt ihr noch andere in eurem Bund?

Horatio

Dies wird ein Wink von Euch kundtun der Welt.

Hamlet

Ist es schon so weit?

Horatio

Ja, mein Prinz!
Wir sind das Schwert in Eurer Hand:
laßt Ihr es liegen, regt sich's nicht. Nehmt Ihr
es auf, es wird sofort ein Wald von Schwertern
dies eine, Eurer Rache dienstbar, mehr
noch Eurem Recht.

Hamlet

Schweig still, um Gottes willen!

Horatio

Hebt man uns auf, so bluten wir, Eure Hoheit
weiß nichts in solchem Fall von unsrem Anschlag.

Hamlet

Still. Dies ist Torheit, heute nichts davon.
Ich hege dich in meines Herzens Herzen,
damit genug: mag kommen, was da will.
Einstweilen höre, was sich jetzt begibt:
man spielt zur Nacht ein Schauspiel vor dem König.
Ein Auftritt kommt darin dem Umstand nah,
den ich von meines Vaters Tod dir sagte.
Ich bitt' dich, wenn du das im Gange siehst,
so achte mit der ganzen Kraft der Seele
auf meinen Ohm: wenn die verborgne Schuld
bei einer Rede nicht zum Vorschein kommt,
so ist's ein Höllengeist, den wir gesehn,
und meine Einbildungen sind so schwarz
wie Schmiedezeug Vulkans.

Horatio

Mein Prinz, ich will
an sein Gesicht mein hungrig Auge klammern,
und keine Miene, noch so leis bewegt,
soll meinem Blick entgehen.

Ein dänischer Marsch, Trompetenstoß.

Hamlet

Wähl einen Platz. Ich muß den Narren machen.

Der König, die Königin, Polonius, Rosenkranz, Güldenstern und andre.

König

Wie lebt Unser Vetter Hamlet?

Hamlet

Vortrefflich, mein Treu: von dem Chamäleonsgericht. Ich esse Luft, ich werde mit Versprechungen gestopft: Kapaunen kann man so nicht mästen.

König

Ich habe nichts mit dieser Antwort zu schaffen, Hamlet; dies sind meine Worte nicht.

Hamlet

Meine auch nicht mehr. Zu Polonius. Ihr mimtet einmal auf der Universität, Herr? Sagtet Ihr nicht so?

Polonius

Das tat ich, gnäd'ger Herr. Ich wurde für einen guten Schauspieler gehalten.

Hamlet

Und was stelltet Ihr vor?

Polonius

Ich stellte den Julius Cäsar vor: ich ward auf dem Kapitol umgebracht; Brutus brachte mich um.

Hamlet

Es war brutal von ihm, ein so kapitales Kalb umzubringen. Sind die Schauspieler fertig?

Rosenkranz

Ja, gnäd'ger Herr, sie erwarten Euren Befehl.

Königin

Komm hierher, lieber Hamlet, setz dich zu mir.

Hamlet

Nein, gute Mutter, hier ist ein stärkerer Magnet.

Polonius

zum König

Oho, hört Ihr das wohl?

Hamlet

Fräulein, soll ich in Eurem Schoße liegen?

Setzt sich zu Opheliens Füßen.

Ophelia

Nein, mein Prinz.

Hamlet

Ich meine, den Kopf auf Euren Schoß gelehnt.

Ophelia

Ja, mein Prinz.

Hamlet

Denkt Ihr, ich hätte erbauliche Dinge im Sinne?

Ophelia

Ich denke nichts.

Hamlet

Ein schöner Gedanke, zwischen den Beinen eines Mädchens zu liegen.

Ophelia

Was ist, mein Prinz?

Hamlet

Nichts.

Ophelia

Ihr seid aufgeräumt.

Hamlet

Wer? Ich?

Ophelia

Ja, mein Prinz.

Hamlet

Oh, ich reiße Possen wie kein andrer. Was kann ein Mensch Besseres tun als lustig sein? Denn seht nur, wie fröhlich meine Mutter aussieht, und doch starb mein Vater vor noch nicht zwei Stunden.

Ophelia
Nein, vor zweimal zwei Monaten, mein Prinz.

Hamlet

So lange schon? Ei, so mag der Teufel schwarz gehn: ich will einen Zobelpelz tragen. O Himmel! Vor zwei Monaten gestorben und noch nicht vergessen! So ist Hoffnung da, daß das Andenken eines großen Mannes sein Leben ein halbes Jahr überleben kann. Aber bei unserer lieben Frauen! Kirchen muß er stiften, sonst denkt man nicht an ihn, es geht ihm wie dem Steckenpferde, dessen Grabschrift ist:

»Denn, oh! denn, oh!
vergessen ist das Steckenpferd!«

Trompeten, hierauf die Pantomime:
Ein König und eine Königin treten auf, sehr zärtlich; die Königin umarmt ihn und er sie. Sie kniet und macht gegen ihn die Gebärden der Beteuerung. Er hebt sie auf und lehnt den Kopf an ihre Brust; er legt sich auf ein Blumenbette nieder, sie verläßt ihn, da sie ihn eingeschlafen sieht. Gleich darauf kommt ein Kerl herein, nimmt ihm die Krone ab, küßt sie, gießt Gift in die Ohren des Königs und geht ab. Die Königin kommt zurück, findet den König tot und macht
leidenschaftliche Gebärden. Der Vergifter kommt mit zwei oder drei Stummen zurück und scheint mit ihr zu wehklagen. Die Leiche wird weggebracht. Der Vergifter wirbt mit Geschenken um die Königin: Sie scheint anfangs unwillig und abgeneigt, nimmt aber zuletzt seine Liebe an. Sie gehen ab.

Ophelia

Was bedeutet dies, mein Prinz?

Hamlet

Ei, es ist eine spitzbübische Munkelei; es bedeutet Unheil.

Ophelia

Vielleicht, daß diese Vorstellung den Inhalt des Stückes anzeigt.

Der Prolog tritt auf.

Hamlet

Wir werden es von diesem Gesellen erfahren: die Schauspieler können nichts geheimhalten, sie werden alles ausplaudern.

Ophelia

Wird er uns sagen, was diese Vorstellung bedeutet?

Hamlet

Ja, oder irgendeine Vorstellung, die Ihr ihm vorstellen wollt. Schämt Euch nur nicht, ihm vorzustellen, so wird er sich nicht schämen, Euch zu sagen, was es bedeutet.

Ophelia

Ihr seid schlimm, Ihr seid schlimm; ich will das Stück anhören.

Prolog

Für uns und unsre Vorstellung
mit untertän'ger Huldigung
ersuchen wir Genehmigung.

Hamlet

Ist dies ein Prolog oder ein Denkspruch auf einem Ringe?

Ophelia

Es ist kurz, mein Prinz.

Hamlet

Wie Frauenliebe.

Ein König und eine Königin treten auf.

König

im Schauspiel

Schon dreißigmal hat den Apoll sein Wagen
um Nereus' Flut und Tellus' Rund getragen,
und zwölfmal dreißig Mond' in fremdem Glanz
vollbrachten um den Erdball ihren Tanz,
seit unsre Herzen Liebe treu durchdrungen
und Hymens Bande Hand in Hand geschlungen.

Königin

im Schauspiel

Mag Sonn' und Mond so manche Reise doch,
eh Liebe stirbt, uns zählen lassen noch.
Doch leider seid Ihr jetzt so matt von Herzen,
so fern von vor'ger Munterkeit und Scherzen,
daß Ihr mich ängstet: aber zag' ich gleich,
doch, mein Gemahl, nicht ängsten darf es Euch.
Denn Weiberfurcht hält Schritt mit ihrem Lieben;
in beiden gar nichts oder übertrieben.
Wie meine Lieb' ist, hab' ich Euch gezeigt:
Ihr seht, daß meine Furcht der Liebe gleicht.
Das Kleinste schon muß große Lieb' erschrecken
und ihre Größ' in kleinster Sorg' entdecken.

König

im Schauspiel

Ja, Lieb, ich muß dich lassen, und das bald:
mich drückt des Alters schwächende Gewalt.
Du wirst in dieser schönen Welt noch leben,
geehrt, geliebt, vielleicht wird, gleich ergeben,
ein zweiter Gatte –

Königin

im Schauspiel

O halt ein! halt ein!
Verrat nur könnte solche Liebe sein!
Beim zweiten Gatten würd' ich selbst mir fluchen;
die einen totschlug, mag den zweiten suchen.

Hamlet

Das ist Wermut.

Königin

im Schauspiel

Das, was die Bande zweiter Ehe flicht,
ist schnöde Sucht nach Vorteil, Liebe nicht.
Es tötet noch einmal den toten Gatten,
dem zweiten die Umarmung zu gestatten.

König

im Schauspiel

Ich glaub', Ihr denket jetzt, was Ihr gesprochen,
doch ein Entschluß wird oft von uns gebrochen.
Der Vorsatz ist ja der Erinnrung Knecht,
stark von Geburt, doch bald durch Zeit geschwächt:
wie herbe Früchte fest am Baume hangen,
doch leicht sich lösen, wenn sie Reif erlangen.
Notwendig ist's, daß jeder leicht vergißt
zu zahlen, was er selbst sich schuldig ist.
Wo Leidenschaft den Vorsatz hingewendet,
entgeht das Ziel uns, wann sie selber endet.
Das Ungestüm sowohl von Freud und Leid
zerstört mit sich die eigne Wirksamkeit.
Laut klagt das Leid, wo laut die Freude schwärmet,
Leid freut sich leicht, wenn Freude leicht sich härmet.
Die Welt vergeht: es ist nicht wunderbar,
daß mit dem Glück selbst Liebe wandelbar.
Denn eine Frag' ist's, die zu lösen bliebe,
ob Lieb' das Glück führt oder Glück die Liebe.
Der Große stürzt, seht seinen Günstling fliehn.
Der Arme steigt, und Feinde lieben ihn.
So weit scheint Liebe nach dem Glück zu wählen:
wer ihn nicht braucht, dem wird ein Freund nicht fehlen,
und wer in Not versucht den falschen Freund,
verwandelt ihn sogleich in einen Feind;
doch um zu enden, wo ich ausgegangen:
Will' und Geschick sind stets in Streit befangen.
Was wir ersinnen, ist des Zufalls Spiel,
nur der Gedank' ist unser, nicht sein Ziel.
So denk', dich soll kein zweiter Gatt' erwerben,
doch mag dies Denken mit dem ersten sterben.

Königin

im Schauspiel

Versag mir Nahrung, Erde! Himmel, Licht!
Gönnt, Tag und Nacht, mir Lust und Ruhe nicht!
Verzweiflung werd' aus meinem Trost und Hoffen,
nur Klausnerbuß' im Kerker steh' mir offen!
Mag alles, was der Freude Antlitz trübt,
zerstören, was mein Wunsch am meisten liebt,
und hier und dort verfolge mich Beschwerde,
wenn, einmal Witwe, jemals Weib ich werde!

Hamlet

zu Ophelia

Wenn sie es nun brechen sollte –

König

im Schauspiel

's ist fest geschworen. Laß mich, Liebe, nun!
Ich werde müd und möcht' ein wenig ruhn,
die Zeit zu täuschen.

Königin

im Schauspiel

Wiege dich der Schlummer,
und nimmer komme zwischen uns ein Kummer!

Ab.

Hamlet

Gnädige Frau, wie gefällt Euch das Stück?

Königin

Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel.

Hamlet

Oh, aber sie wird ihr Wort halten!

König

Habt Ihr den Inhalt gehört? Wird es kein Ärgernis geben?

Hamlet

Nein, nein. Sie spaßen nur, vergiften im Spaß, kein Ärgernis in der Welt.

König

Wie nennt Ihr das Stück?

Hamlet

Die Mausefalle. Und wie das? Metaphorisch. Das Stück ist die Vorstellung eines in Vienna geschehenen Mordes. Gonzago ist der Name des Herzogs, seine Gemahlin Baptista; Ihr werdet gleich sehen, es ist ein spitzbübischer Handel. Aber was tut's? Eure Majestät und uns, die wir ein freies Gewissen haben, trifft es nicht. Der Aussätzige mag sich jucken, unsere Haut ist rein.

Lucianus tritt auf.

Dies ist ein gewisser Lucianus, ein Neffe des Königs.

Ophelia

Ihr übernehmt das Amt eines Chorus, gnädiger Herr.

Hamlet

O ich wollte zwischen Euch und Eurem Liebsten Dolmetscher sein, wenn ich die Marionetten nur tanzen sähe.

Ophelia

Ihr seid spitz, gnädiger Herr, Ihr seid spitz.

Hamlet

Ihr würdet zu stöhnen haben, ehe Ihr meine Spitze abstumpftet.

Ophelia

Immer noch besser und schlimmer.

Hamlet

So müßt Ihr Eure Männer nehmen. – Fang an, Mörder! Laß deine vermaledeiten Gesichter und fang an! Wohlauf:
Es brüllt um Rache das Gekrächz des Raben –

Lucianus

Gedanken schwarz, Gift wirksam, Hände fertig,
gelegne Zeit, kein Wesen gegenwärtig.
Du schnöder Trank aus mitternächt'gem Kraut,
dreimal vom Fluche Hekates betaut:
daß sich dein Zauber, deine grause Schärfe
sogleich auf dies gesunde Leben werfe!

Gießt das Gift in das Ohr des Schlafenden.

Hamlet

Er vergiftet ihn im Garten um seines Reiches willen. Sein Name ist Gonzago: die Geschichte ist vorhanden und in auserlesenem Italienisch geschrieben. Ihr werdet gleich sehen, wie der Mörder die Liebe von Gonzagos Gemahlin gewinnt.

Ophelia

Der König steht auf.

Hamlet

Wie, durch falschen Feuerlärm geschreckt?

Königin

Wie geht es meinem Gemahl?

Polonius

Macht dem Schauspiel ein Ende.

König

Leuchtet mir! Fort!

Polonius
Lichter! Lichter! Lichter!

Alle ab, außer Hamlet und Horatio.

Hamlet

Ei, der Gesunde hüpft und lacht,
dem Wunden ist's vergällt;
der eine schläft, der andre wacht,
das ist der Lauf der Welt.

Sollte nicht dies und ein Wald von Federbüschen – wenn meine sonstige Anwartschaft in die Pilze geht – nebst ein paar gepufften Rosen auf meinen geschlitzten Schuhen mir zu einem Platz in einer Schauspielergesellschaft verhelfen?

Horatio

O ja, einen halben Anteil.

Hamlet

Nein, einen ganzen.

Denn dir, mein Dämon, ist bekannt,
dem Reiche ging zugrund
ein Jupiter: nun herrschet hier
ein rechter, rechter – Affe.

Horatio

Ihr hättet reimen können.

Hamlet

O lieber Horatio, ich wette Tausende auf das Wort des Geistes. Merktest du?

Horatio

Sehr gut, mein Prinz.

Hamlet

Bei der Rede vom Vergiften?

Horatio

Ich habe ihn genau betrachtet.

Hamlet

Ha ha! – Kommt, Musik! kommt, die Flöten! –
Doch wenn der König von dem Stück nichts hält,
ei nun! vielleicht, daß es ihm nicht gefällt.

Rosenkranz und Güldenstern kommen.

Kommt, Musik!

Güldenstern

Bester gnädiger Herr, vergönnt mir ein Wort mit Euch.

Hamlet

Eine ganze Geschichte, Herr.

Güldenstern

Der König …

Hamlet

Nun, was gibt's mit ihm?

Güldenstern

Er hätt sich auf sein Zimmer begeben und ist sehr übel.

Hamlet

Vom Trinken, Herr?

Güldenstern

Nein, mein Prinz, von Galle.

Hamlet

Ihr solltet doch mehr gesunden Verstand beweisen und dies dem Arzte melden. Denn wenn ich ihm eine Reinigung zumutete, das würde ihm vielleicht noch mehr Galle machen.

Güldenstern

Bester Herr, bringt einige Ordnung in Eure Reden, und springt nicht so wild von meinem Auftrage ab.

Hamlet

Ich bin zahm, Herr, sprecht!

Güldenstern

Die Königin, Eure Mutter, hat mich in der tiefsten Bekümmernis ihres Herzens zu Euch geschickt.

Hamlet

Ihr seid willkommen.

Güldenstern

Nein, bester Herr, diese Höflichkeit ist nicht von der rechten Art. Beliebt es Euch, mir eine gesunde Antwort zu geben, so will ich den Befehl Eurer Mutter ausrichten; wo nicht, so verzeiht, ich gehe wieder, und damit ist mein Geschäft zu Ende.

Hamlet

Herr, ich kann nicht.

Güldenstern

Was, gnädiger Herr?

Hamlet

Euch eine gesunde Antwort geben. Mein Verstand ist krank. Aber, Herr, solche Antwort, als ich geben kann, ist zu Eurem Befehl; oder vielmehr, wie Ihr sagt, zu meiner Mutter Befehl; drum nichts weiter, sondern zur Sache. Meine Mutter, sagt Ihr …

Rosenkranz

Sie sagt also folgendes: Euer Betragen hat sie in Staunen und Verwunderung gesetzt.

Hamlet

O wundervoller Sohn, der seine Mutter so in Erstaunen setzen kann! Kommt kein Nachsatz, der dieser mütterlichen Verwunderung auf dem Fuße folgt? Laßt hören.

Rosenkranz

Sie wünscht, mit Euch in ihrem Zimmer zu reden, eh Ihr zu
Bette geht.

Hamlet

Wir wollen gehorchen, und wäre sie zehnmal unsere Mutter. Habt Ihr noch sonst was mit mir zu schaffen?

Rosenkranz

Gnädiger Herr, Ihr liebtet mich einst …

Hamlet

Das tu' ich noch, bei diesen beiden Diebeszangen hier!

Rosenkranz

Bester Herr, was ist die Ursache Eures Übels? Gewiß, Ihr tretet Eurer eigenen Freiheit in den Weg, wenn Ihr Eurem Freunde Euren Kummer verheimlicht.

Hamlet

Herr, es fehlt mir an Beförderung.

Rosenkranz

Wie kann das sein, da Ihr die Stimme des Königs selbst zur Nachfolge im dänischen Reiche habt?

Hamlet

Ja, Herr, aber »derweil das Gras wächst« – das Sprichwort ist ein wenig schimmlig.

Schauspieler kommen mit Flöten.

O die Flöten! Laßt mich eine sehen. – Um Euch insbesondre zu sprechen: – nimmt Güldenstern beiseite – weswegen geht Ihr um mich herum, um meine Witterung zu bekommen, als wolltet Ihr mich in ein Netz treiben?

Güldenstern

O gnädiger Herr, wenn meine Ergebenheit allzu kühn ist, so ist meine Liebe ungesittet.

Hamlet

Das versteh' ich nicht recht. Wollt Ihr auf dieser Flöte spielen?

Güldenstern

Gnädiger Herr, ich kann nicht.

Hamlet

Ich bitte Euch!

Güldenstern

Glaubt mir, ich kann nicht.

Hamlet

Ich ersuche Euch darum.

Güldenstern

Ich weiß keinen einzigen Griff, gnädiger Herr.

Hamlet

Es ist so leicht wie lügen. Regiert diese Windlöcher mit Euren Fingern und der Klappe, gebt der Flöte mit Eurem Munde Odem, und sie wird die beredteste Musik sprechen. Seht Ihr, dies sind die Griffe.

Güldenstern

Aber die habe ich eben nicht in meiner Gewalt, um irgendeine Harmonie hervorzubringen. Ich besitze die Kunst nicht.

Hamlet

Nun seht Ihr, welch ein nichtswürdiges Ding Ihr aus mir macht? Ihr wollt auf mir spielen; Ihr wollt tun, als kenntet Ihr meine Griffe; Ihr wollt in das Herz meines Geheimnisses dringen, Ihr wollt mich von meiner tiefsten Note bis zum Gipfel meiner Stimme hinauf prüfen: und in dem kleinen Instrument hier ist viel Musik, eine vortreffliche Stimme, dennoch könnt Ihr es nicht zum Sprechen bringen. Wetter! denkt Ihr, daß ich leichter zu spielen bin als eine Flöte? Nennt mich was für ein Instrument Ihr wollt, Ihr könnt mich zwar verstimmen, aber nicht auf mir spielen.

Polonius kommt.

Gott grüß' Euch, Herr.

Polonius

Gnädiger Herr, die Königin wünscht Euch zu sprechen, und das sogleich.

Hamlet

Seht Ihr die Wolke dort, beinah in Gestalt eines Kamels?

Polonius

Beim Himmel, sie sieht auch wirklich aus wie ein Kamel.

Hamlet

Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel.

Polonius

Sie hat einen Rücken wie ein Wiesel.

Hamlet

Oder wie ein Walfisch?

Polonius

Ganz wie ein Walfisch.

Hamlet

Nun, so will ich zu meiner Mutter kommen, im Augenblick. Sie narren mich, daß mir die Geduld beinahe reißt. – Ich komme im Augenblick.

Polonius

Das will ich ihr sagen.

Ab.

Hamlet

»Im Augenblick« ist leicht gesagt. Laßt mich, Freunde.

Rosenkranz, Güldenstern, Horatio und die andern ab.

Nun ist die wahre Spukezeit der Nacht,
wo Grüfte gähnen und die Hölle selbst
Pest haucht in diese Welt. Nun tränk' ich wohl
heiß Blut und täte finstre Dinge, die der Tag
mit Schaudern sah'. Still! jetzt zu meiner Mutter.
O Herz, vergiß nicht die Natur! Nie dränge
sich Neros Seel' in diesen festen Busen!
Grausam, nicht unnatürlich laß mich sein;
nur reden will ich Dolche, keine brauchen.
Hierin seid Heuchler, Zung' und du, Gemüt:
wie hart mit ihr auch eure Rede schmäle,
nie willige drein, sie zu versiegeln, Seele!

Ab.

Vierte Szene

Ein Zimmer im Schlosse. Der König, Rosenkranz und Güldenstern treten auf.

König

Ich mag ihn nicht, auch steht's um Uns nicht sicher,
wenn frei sein Wahnsinn schwärmt. Drum macht euch fertig:
ich stelle schleunig eure Vollmacht aus,
und er soll dann mit euch nach England hin.
Die Pflichten Unsrer Würde dulden nicht
Gefahr so nah, als sie Uns stündlich droht
durch seine Grillen.

Güldenstern

Wir wollen uns bereiten.
Es ist gewissenhafte, heil'ge Furcht,
die vielen, vielen Seelen zu erhalten,
die Eure Majestät belebt und nährt.

Rosenkranz

Schon das besondre einzle Leben muß
mit aller Kraft und Rüstung des Gemüts
vor Schaden sich bewahren; doch, viel mehr
der Geist, an dessen Heil das Leben vieler
beruht und hängt. Der Majestät Verscheiden
stirbt nicht allein, es zieht gleich einem Strudel
das Nahe mit. Sie ist ein mächtig Rad,
befestigt auf des höchsten Berges Gipfel,
an dessen Riesenspeichen tausend Dinge
gekittet und gefugt sind; wenn es fällt,
so teilt die kleinste Zutat und Umgebung
den ungeheuren Sturz. Kein König seufzte je
allein und ohn' ein allgemeines Weh.

König

Ich bitte, rüstet euch zur schnellen Reise:
wir müssen diese Furcht in Fesseln legen,
die auf zu freien Füßen jetzo geht.

Rosenkranz und Güldenstern

Wir wollen eilen.

Beide ab. Polonius kommt.

Polonius

Mein Fürst, er geht in seiner Mutter Zimmer.
Ich will mich hinter die Tapete stellen,
den Hergang anzuhören; seid gewiß,
sie schilt ihn tüchtig aus, und wie Ihr sagtet –
und weislich war's gesagt –, es schickt sich wohl,
daß noch ein andrer Zeug' als eine Mutter,
die von Natur parteiisch, ihr Gespräch
im stillen anhört. Lebet wohl, mein Fürst,
eh Ihr zu Bett geht, Sprech' ich vor bei Euch
und meld' Euch, was ich weiß.

König

Dank, lieber Herr.

Polonius ab.

O meine Tat ist faul, sie stinkt zum Himmel!
Sie trägt den ersten, ältesten der Flüche:
Mord eines Bruders! – Beten kann ich nicht,
ist gleich die Neigung dringend wie der Wille:
die stärkre Schuld besiegt den starken Vorsatz,
und wie ein Mann, dem zwei Geschäft' obliegen,
steh' ich in Zweifel, was ich erst soll tun,
und lasse beides. Wie? wär' diese Hand
auch um und um in Bruderblut getaucht:
gibt es nicht Regen g'nug im milden Himmel,
sie weiß wie Schnee zu waschen? Wozu dient
die Gnad', als vor der Sünde Stirn zu treten?
Und hat Gebet nicht die zwiefache Kraft,
dem Falle vorzubeugen und Verzeihung
Gefallnen auszuwirken? Gut, ich will
emporschaun: mein Verbrechen ist geschehn.
Doch oh, welch eine Wendung des Gebets
ziemt meinem Fall? Vergib mir meinen schnöden Mord?
Dies kann nicht sein; mir bleibt ja stets noch alles,
was mich zum Mord getrieben: meine Krone,
mein eigner Ehrgeiz, meine Königin.
Wird da verziehn, wo Missetat besteht?
In dem korrupten Treiben dieser Welt
kann die vergold'te Hand der Missetat
das Recht wegstoßen, und ein schnöder Preis
erkauft oft das Gesetz. Nicht so dort oben!
Da gilt kein Kunstgriff, da erscheint die Handlung
in ihrer wahren Art, und wir sind selbst
genötigt, unsern Fehlern in die Zähne
ein Zeugnis abzulegen. Nun, was bleibt?
Sehn, was die Reue kann. Was kann sie nicht?
Doch wenn man nicht bereuen kann, was kann sie?
O Jammerstand! O Busen, schwarz wie Tod!
O Seele, die, sich frei zu machen ringend,
noch mehr verstrickt wird. – Engel, helft! versucht!
Beugt euch, ihr starren Knie! Gestähltes Herz,
sei weich wie Sehnen neugeborner Kinder!
Vielleicht wird alles gut.

Zieht sich zurück und kniet nieder. Hamlet kommt.

Hamlet

Jetzt könnt' ich's tun, bequem; er ist im Beten;
jetzt will ich's tun – und so geht er gen Himmel,
und so bin ich gerächt? Das hieß': ein Bube
ermordet meinen Vater, und dafür
send' ich, sein einz'ger Sohn, denselben Buben
gen Himmel.
Ei, das war' Sold und Löhnung, Rache nicht.
Er überfiel in Wüstheit meinen Vater,
voll Speis', in seiner Sünden Maienblüte.
Wie seine Rechnung steht, weiß nur der Himmel,
allein, nach unsrer Denkart und Vermutung
ergeht's ihm schlimm; und bin ich dann gerächt,
wenn ich in seiner Heiligung ihn fasse,
bereitet und geschickt zum Übergang?
Nein.
Hinein, du Schwert! sei schrecklicher gezückt!
Wenn er berauscht ist, schlafend, in der Wut,
in seines Betts blutschänderischen Freuden,
beim Würfeln, Fluchen oder anderm Tun,
das keine Spur des Heiles an sich hat:
dann stoß ihn nieder, daß gen Himmel er
die Fersen bäumen mag und seine Seele
so schwarz und so verdammt sei wie die Hölle,
wohin er fährt! Die Mutter wartet mein:
dies soll nur Frist den siechen Tagen sein.

Ab. Der König steht auf und tritt vor.

König

Die Worte fliegen auf, der Sinn hat keine Schwingen:
Wort ohne Sinn kann nie zum Himmel dringen.

Ab.

Fünfte Szene

Zimmer der Königin. Die Königin und Polonius treten auf.

Polonius

Er kommt sogleich: setzt ihm mit Nachdruck zu,
sagt ihm, daß er zu wilde Streiche macht,
um sie zu dulden, und daß Eure Hoheit
allein bisher ihn vor des Königs Zorn
beschirmt. Ich will indes mich hier verbergen.
Ich bitt' Euch, schont ihn nicht.

Hamlet

hinter der Szene

Mutter, Mutter, Mutter!

Königin

Verlaßt Euch drauf,
sorgt meinetwegen nicht. Zieht Euch zurück,
ich hör' ihn kommen.

Polonius verbirgt sich. Hamlet kommt.

Hamlet

Nun, Mutter, sagt, was gibt's?

Königin

Hamlet, dein Vater ist von dir beleidigt.

Hamlet

Mutter, mein Vater ist von Euch beleidigt!

Königin

Kommt, kommt! Ihr sprecht mit einer losen Zunge.

Hamlet

Geht, geht! Ihr fragt mit einer bösen Zunge!

Königin

Was soll das, Hamlet?

Hamlet

Nun, was gibt es hier?

Königin

Habt Ihr mich ganz vergessen?

Hamlet

Nein, beim Kreuz!
Ihr seid die Königin, Weib Eures Mannesbruders
und – wär' es doch nicht so! – seid meine Mutter.

Königin

Gut, andre sollen zur Vernunft Euch bringen.

Hamlet

Kommt, setzt Euch nieder; Ihr sollt nicht vom Platz,
nicht gehn, bis ich Euch einen Spiegel zeige,
worin Ihr Euer Innerstes erblickt.

Königin

Was willst du tun? Du willst mich doch nicht morden
He, Hilfe! Hilfe!

Polonius

hinter der Tapete

Hilfe! he! herbei!

Hamlet

Wie? was? eine Ratte?

Er zieht.

Tot! ich wett' ein Goldstück, tot!

Er tut einen Stoß durch die Tapete.

Polonius

hinter der Tapete

Oh, ich bin umgebracht!

Fällt und stirbt.

Königin

Weh mir! was tatest du?

Hamlet

Fürwahr, ich weiß es nicht: ist es der König?

Zieht den Polonius hinter der Tapete hervor.

Königin

Oh, welche rasche, blut'ge Tat ist dies!

Hamlet

Ja, gute Mutter, eine blut'ge Tat,
so schlimm beinah als einen König töten
und in die Eh' mit seinem Bruder treten.

Königin

Als einen König töten!

Hamlet

Ja, so sagt' ich.

Zu Polonius

Du kläglicher, vorwitziger Narr, fahr wohl!
Ich nahm dich für 'nen Höhern: nimm dein Los.
Du siehst, zu viel Geschäftigkeit ist mißlich. –
Ringt nicht die Hände so! still! setzt Euch nieder,
laßt Euer Herz mich ringen, denn das will ich,
wenn es durchdringlich ist, wenn nicht so ganz
verdammte Angewöhnung es gestählt,
daß es verschanzt ist gegen die Vernunft.

Königin

Was tat ich, daß du gegen mich die Zunge
so toben lassen darfst?

Hamlet

Solch eine Tat,
die alle Huld der Sittsamkeit entstellt,
die Tugend Heuchler schilt, die Rose wegnimmt
von unschuldvoller Liebe schöner Stirn
und Beulen hinsetzt; Ehgelübde falsch
wie Spielereide macht; oh, eine Tat,
die aus dem Körper des Vertrages ganz
die innre Seele reißet und die süße
Religion zum Wortgepränge macht.
Des Himmels Antlitz glüht, ja, diese Feste,
dies Weltgebäu, mit trauerndem Gesicht,
als nahte sich der Jüngste Tag, gedenkt
trübsinnig dieser Tat.

Königin

Weh! welche Tat
brüllt denn so laut und donnert im Verkünden?

Hamlet

Seht dies Gemälde an und dann hier dies.
Auf jeglichem der eine von zwei Brüdern
im Bildnis dargestellt. Zum ersten hier:
Schaut, welche Anmut wohnt in diesen Brau'n!
Apollos Locken, Jovis hohe Stirn,
ein Aug' wie Mars, zum Drohn und zum Gebieten,
des Götterherolds Stellung, wann er eben
sich niederschwingt auf himmelnahe Höhn;
in Wahrheit, ein Verein und eine Bildung,
auf die sein Siegel jeder Gott gedrückt,
der Welt Gewähr für einen Mann zu leisten:
dies war Euer Gatte. – Seht nur her, was folgt:
hier ist Euer Gatte, gleich der brand'gen Ähre
verderblich seinem Bruder. Habt Ihr Augen
Die Weide dieses schönen Bergs verlaßt Ihr,
und mästet Euch im Sumpf? Ha, habt Ihr Augen?
Nennt es nicht Liebe! Denn in Eurem Alter
ist der Tumult im Blute zahm; es schleicht
und wartet auf das Urteil: und welch Urteil
ging' wohl von dem zu dem? Sinn habt Ihr sicher,
sonst könnte keine Regung in Euch sein:
doch sicher ist der Sinn vom Schlag gelähmt,
denn Wahnwitz würde hier nicht irren; nie
hat so den Sinn Verrücktheit unterjocht,
daß nicht ein wenig Wahl ihm blieb, genug
für solchen Unterschied. Was für ein Teufel
hat bei der Blindekuh Euch so betört?
Sehn ohne Fühlen, Fühlen ohne Sehn,
Ohr ohne Hand und Aug', Geruch ohn' alles,
ja nur ein Teilchen eines echten Sinns
tappt nimmermehr so zu.
Scham, wo ist dein Erröten? Wilde Hölle,
empörst du dich in der Matrone Gliedern,
so sei die Keuschheit der entflammten Jugend
wie Wachs und schmelz' in ihrem Feuer hin;
ruf keine Schande aus, wenn heißes Blut
zum Angriff stürmet: da der Frost ja selbst
nicht minder kräftig brennt und die Vernunft
den Willen kuppelt.

Königin

O Hamlet, sprich nicht mehr!
Du kehrst die Augen recht ins Innre mir,
da seh' ich Flecke, tief und schwarz gefärbt,
die nicht von Farbe lassen.

Hamlet

Nein, zu leben
im Schweiß und Brodem eines eklen Betts,
gebrüht in Fäulnis; buhlend und sich paarend
über dem garst'gen Nest …

Königin

O sprich nicht mehr!
Die Worte dringen mir ins Ohr wie Dolche.
Nicht weiter, lieber Hamlet!

Hamlet

Ein Mörder und ein Schalk! Ein Knecht, nicht wert.
das Zehntel eines Zwanzigteils von ihm,
der Eu'r Gemahl war! ein Hanswurst von König,
ein Beutelschneider von Gewalt und Reich,
der weg vom Sims mir meine Krone stahl
und in die Tasche steckte.

Königin

Halt inne!

Der Geist kommt.

Hamlet

Ein geflickter Lumpenkönig! –
Schirmt mich und schwingt die Flügel über mir,
ihr Himmelsscharen! – Was will dein hohes Bild?

Königin

Weh mir! Er ist verrückt!

Hamlet

Kommt Ihr nicht, Euren trägen Sohn zu schelten,
der Zeit und Leidenschaft versäumt zur großen
Vollführung Eures furchtbaren Gebots?

Geist

Halt ein! Entsetzen liegt auf deiner Mutter;
tritt zwischen sie und ihre Seel' im Kampf,
sprich mit ihr, Hamlet!

Hamlet

Wie ist Euch, Mutter?

Königin

Ach, wie ist Euch denn,
daß Ihr die Blicke heftet auf das Leere
und redet mit der körperlosen Luft?
Dämonisch flackern Eure starren Augen,
und wie ein schlafend Heer beim Waffenlärm
sträubt Euer liegend Haar sich wie lebendig
empor und steht zu Berg. Oh, lieber Sohn,
gieß auf die wilden Gluten deines Unmuts
abkühlende Geduld! Wo schaust du hin?

Hamlet

Auf ihn! auf ihn! Seht Ihr, wie blaß er starrt?
Sein Anblick, seine Sache würde Steinen
Vernunft einpredigen. – Sieh nicht auf mich,
damit nicht deine bittende Gebärde
zu meiner Mutter Schutz den strengen Willen
verwandle und den Blutdurst meiner Rache
mit Tränen lösche.

Königin

Zu wem denn sprecht Ihr da?

Hamlet

Zu ihm, zu ihm!

Königin

Zu wem?

Hamlet

Seht Ihr dort nichts?

Königin

Nein, nichts als uns.

Hamlet

Ha, seht nur hin! Seht, wie es weg sich stiehlt!
Mein Vater in leibhaftiger Gestalt,
seht, wie er eben jetzt zur Tür hinausgeht!

Geist verschwindet.

Königin

Dies ist bloß Eures Hirnes Ausgeburt;
dergleichen wesenlose Schöpfungen
erzeugt Verzückung allzuoft.

Hamlet

Verzückung?
Mein Puls hält ordentlich, wie Eurer, Takt,
spielt ebenso gesunde Melodien;
es ist kein Wahnwitz, was ich vorgebracht.
Bringt mich zur Prüfung, und ich wiederhole
die Sach' Euch Wort für Wort, wovon der Wahnwitz
abspringen würde. Mutter, um Eu'r Heil!
Legt nicht die Schmeichelsalb' auf Eure Seele,
daß nur mein Wahnwitz spricht, nicht Eu'r Vergehn;
sie wird den bösen Fleck nur leicht verharschen,
indes Verderbnis, heimlich untergrabend,
von innen angreift. Beichtet vor dem Himmel,
bereuet, was geschehn, und meidet Künft'ges,
düngt nicht das Unkraut, daß es mehr noch wuchre.
Vergebt mir diese meine Tugend: denn
in dieser feisten, engebrüst'gen Zeit
muß Tugend selbst Verzeihung flehn vom Laster,
ja kriechen, daß sie nur ihm wohltun dürfe.

Königin

Oh, Hamlet, du zerspaltest mir das Herz.

Hamlet

O werft den schlechtern Teil davon hinweg,
und lebt so reiner mit der andern Hälfte!
Gut' Nacht! Doch meidet meines Oheims Bett!
Nehmt eine Tugend an, die Ihr nicht habt.
Der Teufel Angewöhnung, der des Bösen
Gefühl verschlingt, ist hierin Engel doch:
er gibt der Übung schöner, guter Taten
nicht minder eine Kleidung oder Tracht,
die gut sich anlegt. Seid zur Nacht enthaltsam,
und das wird eine Art von Leichtigkeit
der folgenden Enthaltung leihn; denn Übung kann
fast das Gepräge der Natur verändern;
sie zähmt den Teufel oder stößt ihn aus
mit wunderbarer Macht. Nochmals, schlaft wohl!
Und Euren Segen bitt' ich, wann Ihr selbst
nach Segen erst verlangt. – Für diesen Herrn
tut es mir leid. Der Himmel hat gewollt,
um mich durch dies und dies durch mich zu strafen,
daß ich ihm Diener muß und Geißel sein.
Ich will ihn schon besorgen und den Tod,
den ich ihm gab, vertreten. Schlaft denn wohl!
Zur Grausamkeit zwingt bloße Liebe mich;
schlimm fängt es an, und Schlimmres nahet sich.
Ein Wort noch, gute Mutter!

Königin

Was soll ich tun?

Hamlet
Durchaus nicht das, was ich Euch heiße tun.
Laßt den gedunsnen König Euch ins Bett
von neuem locken, in die Wangen Euch
mutwillig kneifen, Euch sein Mäuschen nennen;
und für ein paar verbuhlte Küss', ein Spielen
in Eurem Nacken mit verdammten Fingern
bringt diesen ganzen Handel an den Tag,
daß ich in keiner wahren Tollheit bin,
nur toll aus List. Gut wär's, ihr ließt's ihn wissen.
Denn welche Königin, schön, keusch und klug,
verhehlte einem Kanker, einem Molch
so teure Dinge wohl? Wer täte das?
Nein, trotz Erkenntnis und Verschwiegenheit,
löst auf dem Dach des Korbes Deckel, laßt
die Vögel fliegen, und wie jener Affe
kriecht in den Korb, um Proben anzustellen,
und brecht Euch selbst den Hals.

Königin

Sei du gewiß: wenn Worte Atem sind
und Atem Leben ist, hab' ich kein Leben,
das auszuatmen, was du mir gesagt.

Hamlet

Ich soll nach England; wißt Ihr's?
Man siegelt meine Briefe; meine Schulgesellen,
die beiden, denen ich wie Nattern traue,
sie bringen die Bestellung hin; sie müssen
den Weg mir bahnen und zur Schurkerei,
Herolden gleich, mich führen. Sei es drum! –
Ich will den Wanst ins nächste Zimmer schleppen.
Nun, Mutter, gute Nacht! – Der Ratsherr da
ist jetzt sehr still, geheim und ernst fürwahr,
der sonst ein schelm'scher alter Schwätzer war.
Kommt, Herr, ich muß mit Euch ein Ende machen. –
Gute Nacht, Mutter! –

Sie gehen von verschiedenen Seiten ab.
Hamlet schleift den Polonius hinaus.


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