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Wie hell und lieblich liegt sie hingebreitet,
die alte Bergstadt: süß und schwer erklingt
Vergangenes aus ihr, und leise gleitet
um mich das Liebeslied, das Walther singt.
Da wird zum Alpenfirn der Raum geweitet,
die Seele, abendglockenklangbeschwingt,
hebt sich hinan zu jenem letzten Glühen
im Garten, drin Laurinens Rosen blühen.

Noch eben Silber, diese sel'gen Warten,
sind sie, vom Fuß der Himmlischen gestreift,
bereits erblüht zum Rosenwundergarten,
des süßer Duft um meine Seele schweift.
Oh, daß sich seine Wunder offenbarten
mir, dir, dem Kinde, das nach ihnen greift!
Kaum denk' ich dies, so schießt ein grünes Funkeln
von dort herab, und alle Rosen dunkeln.

Der grüne Strahl! Und schon ist er verschwunden.
Wer ihn erblickt, steht an des Meeres Rand,
von dem uns klingen ahndevolle Kunden,
sein Blick berührt ein schwimmend Wunderland:
es scheint verloren, und es scheint gefunden.
Ein goldner Nachen bietet sich am Strand.
Wo blitzte her die gründemantne Kohle?
Vom Rosengarten, aus Laurins Phiole.

So schaukle vorwärts, lichtwärts, kleine Schale,
und inselwärts, getreue Schwimmerin!
Aus Zedern hebt sich eine Kathedrale:
bist du so wandelbar wie Menschensinn?
vielleicht die Hüterin vom heil'gen Grale
bald, bald die Höhle einer Tigerin,
die, sprungbereit, in deiner Tiefe kauert,
indes ihr Fell, grausamer Wollust, schauert?

Nun denn, ich sehe meine Insel schwimmen.
Land' ich auf ihr, sie lande, wo sie will!
Mich trifft ein Durcheinander vieler Stimmen,
sie rufen mich, dann wird es wieder still.
Es bringt den ersten Gruß ein Schwarm von Immen,
mein Haupt umgibt ihr raunendes Gequill.
Ich kenne ihren Stock und ihre Waben,
den heil'gen Wahnsinn, den sie in sich haben.

Mich trifft ein Stich. Es tat nicht not, du Gute,
der bittre Honig gärt mir schon im Blut:
ob es dein bißchen Gift noch mit durchflute,
es lohnt so viel kaum, als es wehe tut.
Doch nein, es wird mir eigen jetzt zumute:
ich fahre hin, ein Schwan, in sel'ger Wut.
Und lauter rufen, heißer, alle Rufer,
inbrünstig glühend spring' ich jetzt ans Ufer.

Wie fang' ich's an, dies Paradies zu schildern,
das sich den staunend offnen Sinnen bot?
Von Weihrauchdüften, süßen Lauten, Bildern,
von Farbenwundern, blendenden, umloht,
vergeh' ich fast. In Schönheit zu verwildern,
hieß diese Wildnis gleichsam ein Gebot.
Doch allem überwog das Lichte, Grüne:
für wieviel Schmerzen war es wohl die Sühne?

Doch nicht genug, daß solche Farben brannten,
mit Duft beladend wohlig kühle Luft,
vom hohen Felsen tropften Diamanten
funkelnd herunter in porphyrne Kluft.
Ein Tropfen, Regnen, Rieseln über Kanten
belebte Blatt und Halm mit Wasserduft.
Bald so, bald so vom Sonnenglanz durchschienen,
Demantenschauer wurden zu Rubinen.

Ich sage nichts vom Edelsteingeflimmer
der Vögel, nichts von ihrer Kehlen Schmelz,
doch wer hier hört' und sah, vergißt es nimmer.
Vergeblich sprech' ich von dem Blütenpelz,
der niederschwankte in den feuchten Glimmer
zur Kluft, und von des Wasserfalls Gewälz,
ob dem ein farb'ger Bogen stand und bebte,
ein Wunder, das vom Anschaun Gottes lebte.

Ich weiß es nicht, wie lang ich, hingenommen
von so viel Waldeswonne, mich vergaß.
Doch als ich zur Besinnung dann gekommen,
fand ich, daß neben mir ein Knäblein saß.
In seinen blauen Augen lag, entglommen,
mehr, als ich aus der schönen Wildnis las.
Sie wahrhaft schienen mir zwei Wunderquellen.
Ich badete, beglückt, in ihren Wellen.

»Du liebe Fackel, liebes Sternlein, Knabe«,
sprach ich, »gern treff ich dich auch hier zuerst,
denn alles, was ich je verloren habe,
ist hier, wie du mit Blicken mich belehrst,
verborgen, wie in einem heil'gen Grabe,
und führt ein Leben, das du hold verehrst.
Du sollst mich an der Hand zum Gipfel leiten,
wo unter uns sich Meer und Eiland breiten.«

Er tat's. Wer weiß, wie lange wir gestiegen!
Doch endlich sah ich, auf dem höchsten Grat,
das Eiland unter mir verbreitet liegen.
Mein Himmelsfreund und kleiner Führer trat
auf eine Klippe, so, als wollt' er fliegen,
und rief: »Willkommner, dein ist dieser Staat,
wo deine Toten, dir lebendig, hausen
in Hütten, Tempeln und verborgnen Klausen.«

Mir liegt es ob, nun, was ich sah, mit Worten
zu schildern; nüchtern mag's zunächst geschehn.
Aus Wipfeln tauchten Zinnen allerorten,
Dächer von Klöstern, Kuppeln von Moscheen.
Es blitzten bunte Fenster, erzne Pforten
und weiße Tempel zwischen stillen Seen,
und furchtbar mächtig stand im Morgenstrahle,
die fern mich schon bedroht, die Kathedrale.

Spitzbogig stand sie da, mit finstrem Mute;,
hoch thronend, gleichsam ein Gehäus' der Nacht,
das steinern, erzen, tot im Lichte ruhte.
Vergeblich brandete die grüne Pracht
des Frühlings, ob in Wonnen er verblute,
um ihren Fuß; und wie die Sonne lacht,
es wird dies finstre Antlitz nicht erhellen,
nie wird ein Lächeln seinen Mund entstellen.

Kaum aber sah das Kind mich leicht erschrocken,
so sprach es schalkhaft: »Liebster Freund, was tut's?
Hier wird darum der Freude Puls nicht stocken,
sie lebt ja von den Wellen deines Bluts.
Und Leben wirst du, wo du willst, entlocken
selbst diesem Petrusfelsen deines Guts.
Es löst dein Wort zu mystisch-süßem Rauche
den Strengen auf, mit seinem Lebenshauche.

Auch kommt mir vor, das drohende Gebäude,
das grau und wild entsteigt dem Christusdorn,
im tiefsten Grunde hegt es doch die Freude.
Man sagt sogar, sie sei, ein goldnes Korn,
versteckt nur darum, daß man nicht vergeude
das Allerseligste in Gottes Zorn!
Gott, sagt man, ist ja selber ganz die Wonne,
sein Zorn selbst dient ihr, wie Gewölk der Sonne.«

»Mein Kind, du hast zum Gipfel mich geleitet,
von dem ein Blick das Wunderreich umschließt.
Sieh das verlaßne Boot, das draußen gleitet
und das den Pilgrim brachte, den du siehst.
Erlaube ihm, daß er nun weiterschreitet,
gelaßnen Wandels diese Welt genießt,
die ihm erschlossen hat ein grünes Blitzen
aus roter Rosen Pracht, Laurins Besitzen.«

Er sprach: »Ich füge ganz mich deinem Walten,
du bist hier Herr in jeglichem Betracht.
Dein ist die ganze Fülle der Gestalten.
Auch mich hast du, der Demiurg, gemacht.
Du kannst mich lösen, und du kannst mich halten,
gedankenschnelle dien' ich. Kaum gedacht,
ein Wunsch von dir, du gibst das kleinste Zeichen,
schon bin ich da, sei's, Steine zu erweichen.«

War's, weil ich wollte oder nicht, verschwunden
ist, der gesprochen. Doch da ward mir weh.
Es schien auch hier mich etwas zu verwunden.
Und plötzlich winkten Schleier, weiß wie Schnee.
Um Wiedersehn, um Abschied zu bekunden?
Mich rührt zu Tränen endlich das Geweh.
Wer war's, wer winkte von des Münsters Stufen?
Als Antwort hört' ich Stimmen »Mary!« rufen.

Wenn du es bist, wie soll ich dann ertragen
des einen, einz'gen Wiedersehens Schmerz?
Und ob hier tausend Sänger jubelnd schlagen,
fast tödlich schlägt in Glück und Gram mein Herz
bei deinen Schleiern, die so bettelnd klagen.
Ach, solches Winken traf, wie oft, auf Erz!
Sooft du weinend von mir gingst da drüben,
daß mich's im Wiedersehn selbst foltert hüben.

Allein nicht lange. Nein, nur auf Sekunden.
Im ganzen blieb mein Wesen heiter-groß.
Ich wußte, welcher Schatz mein, hier entbunden,
geharret hatte, welchen Wunderschoß
des Wunderkindes Wunderhand gefunden,
die selig-spielende. O sel'ges Los,
blutvolle Schattenwelten zu erwecken
noch einmal, eh wir uns zum Schlummer strecken!

»Mein Hesperus«, sang eine süße Kehle,
»umgürte dich mit morgendlichem Glanz!« –
»Mein Ariel, den schönsten der Befehle«,
gab ich zurück, »erfüll' ich gern und ganz:
der Gürtel schmückt die abendliche Seele,
wie weißen Scheitel roter Rosen Kranz,
denn Morgen, das ist Jugend, diese wieder
ist Kraft, die Schönheit ist für Haupt und Glieder.«

Ich stieg hinab an eines Bergbachs Rande.
Viel bunte Fische schnellten draus empor.
In Klarheit ruhten andre überm Sande.
Ihr Farbenspiel kam nicht auf Erden vor.
Ich war, nach kurzer Zeit, sehr nah dem Strande,
in dem ein schäumend Branden sich verlor,
so majestätisch und so still-gelassen
zugleich, wie Worte, die nur Götter fassen.

Ich stehe still, um diesem Klang zu lauschen,
in dem so unaussprechlich Tiefes quillt.
Wie lange trug ich mich, ein Lied vom Rauschen
zu singen, ob's durch Föhrenwipfel mild
hinatmet oder Fittiche sich bauschen.
Doch was es auch in meinem Leben gilt,
hier galt es mehr und tönte tiefre Märe,
als ird'schem Mysten je gelungen wäre.

Ein Rätsel war's. Solang es mich erfüllte,
vergaß ich fast, was ein Geheimnis sei:
mein ganzes Dasein war nur das Enthüllte.
Dann schwebten, wohlbekannten Ganges, zwei
Füße heran. Und eine Hand zerknüllte
ein Tränentuch. Ein Antlitz, grau wie Blei,
mit Augen, tränenregnend schwarze Schatten:
es war ein Weib und suchte seinen Gatten.

Und dieses Weib, das Mary war, so nahe,
entzog sogleich mich dem Geräusch durchaus.
Seltsam genug war das, was nun geschahe.
Sie zeigte hin nach einem goldnen Haus,
und heitrer war, sobald sie mich ersahe,
ihr Blick und Gang. Alsdann schritt sie voraus,
mir öfters winkend mit der dunklen Braue,
auf breiter Straße zu dem goldnen Baue.

Sie war gesäumt von schweigenden Zypressen,
so hoch, wie ich auf Erden keine sah:
sie mochten leichtlich hundert Ellen messen.
Doch bald war ich der goldnen Schwelle nah,
die ward von der erstiegen unterdessen,
der einst von mir so großes Weh geschah.
Ich zögerte zu folgen; doch Verzeihen
schien ihren Mund vom Grame zu befreien.

Was dann geschehen: viel muß ich verschweigen.
Wir tranken Wein und aßen weiznes Brot
in einem wunderbaren Tempelschweigen.
Ihr Lippenpaar war nie im Leben rot;
nun aber schien hinein das Blut zu steigen,
und so, als auferstehe sie vom Tod,
durchbluteten sich Antlitz, Brust und Arme.
Ich fühlte, daß zum Leben sie erwarme.

Und Mary sprach, nachdem sie mit den Lippen
sich, zuckend, lange, süß und schwer bemüht.
Nur um zu flüstern, muß sie öfters nippen
an einem Kelch, dem fremder Duft entblüht.
Sie sagt: »Wir sind hier sonderbare Sippen
auf Leuke, sind im Tode kühlgeglüht.
Doch nicht zu wörtlich nimmst du wohl das Kühlen
und auch das Glühn nicht: besser wirst du's fühlen.

Was wir hier atmen, das sind Mondeslüfte,
und jegliches Berühren hier ist Kuß.
Wir lieben Schmerz wie Lust, und bittre Düfte
wie süße: alles wird uns zum Genuß.
Erinnrung an der Erde harte Klüfte,
an Pein und Wirrsal, jeglicher Verdruß
wird Brot, wird Wein, von dem wir essen, trinken,
ist stille Luft, in die wir selig sinken.«

»Wie seltsam«, sprach ich, »bist du mir versöhnet,
Entfernte einst, in Wahrheit nie getrennt.
Wie alles um dich säuselt, um dich tönet!
Es scheint, daß alles dich als Herrin kennt.
Zur Jungfrau-Mutter-Königin verschönet,
die goldne Spange um die Stirn dir brennt.
Gebieterin in diesem Inselreiche
scheinst du durchaus zu sein, o Dunkle, Bleiche.«

»Ich bin's«, gab sie zur Antwort, »das Verhängnis
hat mich dazu erlesen über Nacht,
erhoben mich aus irdischer Bedrängnis
und mich zur Mutter-Königin gemacht.
Mein Schoß ist offen höherer Empfängnis,
und allgemein auf Leuke meine Macht.«
Sie winkte, und herein mit Flügelschlagen
flohn Vögel, zahm wie auf den Galapagen.

Wie sie die Vögel nannte, werd' ich wissen,
wenn ich dort oben nicht mehr bloßer Gast.
Sie glichen Blüten milchiger Narzissen,
von einem frohen Frühlingswind erfaßt.
Gehorsam schienen sie und dienstbeflissen,
auf ihren Hälsen grünlich-goldner Glast.
»Ein jeder«, sagte sie, »ist ein Gedanke
von mir und will dir dienen ohne Schranke.

Nicht wahr, es ist ein seltsames Genügen
in dir?« So spricht die dunkle Herrin weich.
»Ein Etwas atmest du in tiefen Zügen,
tief-sel'gen Kitzels. Nie ist je so reich,
was Erdenlüfte auch im Schoße trügen.
Du blickst mich an, ich bin noch immer bleich,
trotz allem aber in mir selbst glückselig.
Nicht Augenblicke noch auch Stunden zähl' ich.

Olympisch, guter Freund, ist alle Erde
hier oben, und aus ihr sind wir gemacht.
Durch Darben leidet hier kein Trieb Beschwerde,
zur Ruh' wird jeder, in uns selbst, gebracht.
Es liegt in uns das ewig-ganze ›Werde‹,
in jedem Mann und Weib, wie Tag und Nacht.
Der Zeugung ganze Macht, hier ew'ges Leben!
In jedem liegt das Nehmen und das Geben.«

Wirst du mir, Inselfürstin, prophezeien?
fragt' ich mit einem Blick. Sie nickte leis:
»Du hast des Schlafs, des Traumes kleine Weihen,
des Todes Weihen sind der größre Preis.
Doch da dir beide blühen von den zweien,
so nimm die eine jetzt.« Sie blinzte heiß
mir zu. »Du magst sie straflos voll genießen
und frei der Wonne Quellen lassen fließen.

Nun geh«, sprach sie und strich mir sanft die Locken.
»Du bist, wo du auch seist, von mir nicht weit.
Du hörst mein weißes Möwenvolk frohlocken
allüberall um dich, und stets bereit –
du brauchst mit flücht'gem Wunsche nur zu locken –
ist jeder einzelne zur Dienstbarkeit.
Schon schweben sie, rings, über allen Hügeln,
in Freude, dir zu dienen, kaum zu zügeln.

Und wie sie das verstehen, wird, ich meine,
dich wundern: ist's ein Wunder doch für sich.
Eros und Psyche stiften's im Vereine,
denn sie beherrschen alles hier durch mich.«
Ich küßte Mary und ging fort alleine.
Ich fühlte keiner Trennungswunde Stich.
Wie Falter fühlt' ich meine Brust umscherzen
Erwartungen, mit ihrem Wort im Herzen.

Kaum stand ich, ins Gebüsche eingedrungen,
auf goldnem Wege, wipfelüberdacht,
da kam, mit heitrem Ruf, durchs Grün gesprungen,
ich möchte sagen, kam herangelacht,
glückselig, in den lichten Dämmerungen,
ein Mensch, an den ich eben nicht gedacht.
Und winkend blieb er, lust'gen Blickes, stehen
und rief: »Was sagst du wohl, mich hier zu sehen?«

»Willkommen!« sprach ich, »Liebster, jeden Falles,
wie immer du hierher gefunden hast.« –
»Ich weiß es nicht, und fast vergaß ich alles,
womit ich bis zur Stunde mich befaßt«,
war seine Antwort. Ob so frohen Schalles
des eignen Worts gab mir, ergötzt, der Gast
die Hand und schloß: »Mir scheinet, ja, ich wette,
ich komme gradeswegs vom Totenbette.«

»Du warst voll Jugend«, sprach ich, »und voll Frische,
trotz deiner Jahre, als ich jüngst dich sah.
Mir schien, du setztest dich erst recht zu Tische.« –
»So schien's auch mir: allein, nun bin ich da«,
sprach er darauf. »Ich weiß das Zauberische
nicht zu enträtseln, was mit mir geschah.
So Tisch und Sessel war miteins verschwunden,
und so auch ich, bis ich mich hier gefunden.

Hier ist ein goldnes Täflein, vorzuzeigen,
ich wüßte wahrlich nicht, wer es mir gab.
Nach irgendeinem Kloster soll ich steigen,
ein Name war's, den ich vergessen hab'.« –
»Zeig her das Täflein: diese Schrift ist eigen«,
sprach ich. »Mir mindstens schweigt sie, wie das Grab.«
Und wie ich fragend kaum gen Himmel blickte,
sah ich den Boten schon, den Mary schickte.

Sein Flügelflaum berührte, blitzend-heiter,
den Scheitel mir. Da wußt' ich Weg und Ziel
des Gastes und erbot mich zum Begleiter.
Der weiße Vogel schwand als wie im Spiel.
Selbander schritten nun wir beide weiter.
Ich sprach: »Dein wartet, Freund, des Sel'gen viel.
Dir schenket sich die lieblichste der Zellen,
gelegen an der frischesten der Quellen.«

Kaum daß ich diese Worte ausgesprochen,
und schon war das Geschenk uns voll geschenkt:
ein Hüttlein war's, ein Handwerk nicht von Wochen,
von Stunden war's, aus Binsenwerk geschränkt.
»Oh«, sprach mein Freund, »mir ist der Star gestochen,
zum Nieerreichten ward ich hingelenkt:
die Hütte hier, der irdne Krug, daneben
ein Brot: hier wahrlich, Lieber, läßt sich's leben.«

Allein, es stand noch mehr in dem Gelasse:
ein Tintenfaß sowie ein Federkiel.
Da lachte breit mein Freund. Mit diesem Nasse
Zeichen zu kritzeln war sein liebstes Spiel.
Ich sprach: »In diesem freundlichen Gelasse
erwarten dich der wahren Freuden viel,
und mit den Musen selbst wirst du verkehren
so frei, als ob sie deine Schwestern wären.«

Das Auge floß dem herzlichen Gesellen,
sobald er dies Versprechen ganz begriff.
Er trank wohl kaum von den Kastal' sehen Quellen
auf Erden, ob er gleich den Becher griff,
voll heißen Durstes, oft, nach ihren Wellen.
Hier oben aber, auf dem stillen Kliff,
auf dessen Porphyr heiß die Sonne glühte,
ward sein, worum er sich umsonst einst mühte.

Er fühlte das und war drum gleich zu Hause
hier oben, machte sich's sofort bequem.
»Tritt«, sprach er, »nur herein in meine Klause,
du bist willkommen, bist mir angenehm.«
Aus Tiefen drang der Brandung dumpf Gebrause,
und Marys Vögel kreisten über dem.
Am Felsen sprangen, weiß wie sie, die Schäume,
die See war grün wie maiengrüne Bäume.

»Wie lange denkst du«, fragt' ich, »hier zu wohnen?«
Er seufzte: »Recht, auch hier herrscht noch die Zeit.
Nun, was an mir liegt«, fuhr er fort, »Äonen,
denn hier ist meiner Art Genügsamkeit
genuggetan, ich frage nichts nach Thronen.
Mein Blick ist weltenweit, mein Herz befreit
und beide gleich teilhaftig auch der Enge.
Das ist's, was mich beglücket auf die Länge.«

»Ich brauche dir«, so sprach ich, »kaum zu sagen,
welch neuer Kräfte Spiel allhier dich trägt.
Dich übern Rand des Kliffs hinauszuwagen
ist hier kein Wagnis. Was die Dichtung pflegt
zu tun, auch wohl bereits in Erdentagen,
das ist Gewohnheit hier, die jeder pflegt.
Du hast wohl Fische hinter Glas gesehen
und wie sie schwebend auf und nieder gehen.

Sie können es, die Flossen kaum bewegend,
nach vorwärts hin, nach rückwärts, ohne Pfad,
in jeder Höh' beliebig still sich legend,
dem Element vermählt, dem sel'gen Bad.
Auch dir ist's nun verliehn: den Wunsch nur hegend,
bewegst du mühlos dich auf jedem Grad
der Höhn und Tiefen in der Aerosphäre,
obgleich noch dienstbar dem Gesetz der Schwere.«

Er nickte, so, als spräch' ich längst Vertrautes,
und sprach: »Erkenntnis ward mir schon zuteil.
Sie floß mir zu im Klange jedes Lautes.
Wie seltsam doch: das neugeschenkte Heil
ist ein auf altem Grunde auferbautes.« –
»Wie meinst du das?« so fragt' ich. Er drauf: »Weil
wir beide doch das neue Sein beginnen
mit unsern alten, wenn auch höh'ren Sinnen.

Denn, Gott sei Dank, ich fühle, schmecke, rieche,
die Weite loht in meiner Augen Licht.
Und gleichviel, was da fliege oder krieche
um Leukes Klippen, es entgeht ihm nicht.
Und auch mein Ohr genießt das wonnigliche
Geräusch: Musik, die voll aus allem spricht.
Musik des Meers, der Luft, der stummen Dinge:
ein Chor, in dem auch ich in Kürze singe.

O Seligkeit, wohl ist es zum Erstaunen,
beinah ist alles hier als wie bei uns.
Gerölle, Falter, wunderlichste Launen
der großen Mutter Erd' und ihres Tuns.
Offnes Geheimnis, trotzdem doch das Raunen,
dicht neben mir, des alten Rätselbrunns.
Dies sucht' ich, grade dies: für das Genommne
nur wiederum das Selig-Unvollkommne.

Und wären hier drei Sonnen, ist doch Schlummer
auch hier gewährt dem, der zu lang gewacht.
Auch wird mir niemand nehmen süßen Kummer,
der noch so glühe Himmel, nicht die Nacht.
Allein genug, ich rede wie ein Stummer.
So scheint mir denn, ich bin zum Herrn gemacht
von dem, als dessen Knecht ich einst geboren.
Doch ging davon kein Tüttelchen verloren.«

»Was denkst du nun hier hüben zu verrichten,
auf den erhaben-lichten Ort verbannt?« –
»Verbannung nennst du's, ich jedoch mitnichten:
denn grade dies umgrenzte Inselland
zwingt meine Brust zu grenzenlosem Dichten.
Mein Genius, ich spüre seine Hand,
zeigt mir auch nahes Gold genug zu schürfen.
Es schwillt mein Herz von köstlichen Entwürfen.«

»So ist es«, sagt' ich, »doch nun sei geladen»
zu dieses Augenblicks Glückseligkeit.
Die Sonne sticht. Komm mit und laß uns baden
in einer Grotte, drin Verlassenheit
beschützt die sel'gen Spiele der Najaden!«
Ein weißer Vogel rief: »Ich bin bereit.«
Man weiß ja, welche Seele ihn entsandte
und wie sein kleines Herz in Liebe brannte.

Und von dem Rand des Abgrunds traten beide,
ich und der neue, sel'ge Eremit,
ins Nichts, das ich in nichts mehr unterscheide
von höchster Wonne, himmlischem Gebiet.
Wer so wie wir schwebt, weiß nichts mehr von Neide,
ob es ihn aufwärts oder abwärts zieht.
Wir streiften bald des Meeres grüne Gärten,
und Silberschaum umrauschte unsre Fährten.

Und Marys Möwe hatte bald gefunden
das Felsentor der Grotte von Azur.
Ihr Silber war sogleich darin verschwunden.
Wir folgten ihr gleichwie an goldner Schnur.
Jäh war von oben alles Licht verschwunden,
ein blauer Himmel wogte unten nur.
Sein Blau, vergeblich ist's, von ihm zu sagen,
ihr mögt Laurin, den König, drum befragen.

Der Grottenherrscher zeigt euch wohl im Eise
der Gletscher solches niegesehne Licht.
Er führt euch wohl auf unterird'scher Reise
an Zauberseen, wo es nicht gebricht,
dies Element, das ich vergeblich preise,
weil doch das Auge, das es sah, nicht spricht.
Wir waren drin nur bis zum Kinn versunken,
zwei sel'ge Schwimmer, und doch ganz ertrunken.

»Wie überselig«, rief ich, »sind wir beide,
gewürdigt solchen urgesunden Seins,
in solchem Bade, solcher Sinnenweide,
in frischen Fluten blauen Himmelsweins
uns wälzend. Spreche niemand mehr von Leide!
Wann litt ich jemals? Nein, ich kenne keins!
In Himmeln wühl' ich, wühle in Geschmeiden,
und du: Laurinens Schatz gehört uns beiden.«

Es sprach der Freund: »O Liebster, ich verstehe,
was unaussprechlich Neues uns geschieht.
Obgleich ich dies zum erstenmal nicht sehe,
ist's dennoch neuerschlossenes Gebiet.
Ich selbst, erneut vom Scheitel bis zur Zehe,
begreife trunken, wie der Tod erzieht.
Er lehrt den Auferstandnen neu begreifen
und alter Sinne Blindheit abzustreifen.«

Er lachte laut ein hell-tritonisch Lachen,
daß wie von Muschelruf die Höhlung scholl.
Von draußen schien ein Echo zu erwachen,
allein, es schwieg nicht mehr. Dazu Geroll
von Paukenwirbeln. »Hörst du, dies sind Bakchen«,
rief ich, »Freund, dein Trompeten macht sie toll.
Es brennen hier auf dieser Inselseite,
so tags wie nachts, dem Bakchos Opferscheite.

Und du hast recht«, so sprach ich fort und streckte,
wie Schwimmer müssen, Arm' und Beine froh.
»Was immer unsre Sinne auch erweckte,
gewiß ist: keiner je beschenkte so
im Leben uns mit dem, was er entdeckte;
was je er damals bot, ich nenn' es roh,
mit dem verglichen, was sie heut an Wonnen
uns geben. Freund, wir sind der Nacht entronnen.«

Indem wir noch so hin und wider sprachen,
erklangen Stimmen, und es kam vom Meer
und glitt durchs Felsentor herein ein Nachen.
Von Jünglingsjugendblüte war er schwer.
Der vorne stand und dessen Augen brachen
fast vor Entzückungen: wer war es, wer?
Wer anders sollt' es sein als du, mein Bruder.
Willkommen, schwarzes Boot, mit goldnem Ruder.

Wie jung du warst: ich schätzte siebzehn Lenze.
Was war es für ein göttliches Getränk,
das du emporhieltst? »Bruder, ich kredenze«,
sprachst du, »in mir dem Gotte das Geschenk.«
Er trug, wie alle andern Brombeerkränze,
den Kranz! und einen Goldreif ums Gelenk.
Nie sah ich Jünglingsglieder überstrahlen,
wie seine, selbst den Glanz von goldnen Schalen.

Solch ein Gefäß trug jeder der Verzückten,
mit Purpur angefüllt fast bis zum Rand.
»Ich kenne euch sehr wohl, ihr Kranzgeschmückten«,
rief nun mein Freund. Und blauen Funkenbrand
warf er nach ihnen. »Herrlich, ihr Verrückten,
ihr Seher aus dem deutschen Griechenland
erscheinet hier bei uns zu rechter Stunde.«
Da lachten alle auf aus einem Munde.

Ich sprach: »Dacht' ich es doch, ihr wart im Leben
ja halb schon, ihr glücksel'gen Schwärmer, hier.
Ihr mögt uns nun in eure Barke heben.«
Sie riefen fröhlich: »Dazu kamen wir.«
Und es geschieht: wir glühn von neuem Leben,
begrüßen uns mit du und dein und dir.
Ein Boot voll sel'gen Jauchzens treibt im Kreise,
dazu erklingen Zithern, süß und leise.

Und meinen Bruder hielt ich lang am Herzen,
daß Jugendlust in Jugendwonne drang
und die Erinnerung vergangner Schmerzen
vom Jubelruf des Glückes widerklang.
Wir überboten uns in alten Scherzen,
nicht mehr erneut ein halb Jahrhundert lang.
Der Jugend heiße Pulse hüpften wieder
durch unsre Seelen und erneuten Glieder.

Ich sagte: »Da ihr hier seit langem wohnet,
so gebt, Halbgötter ihr, vorerst Bericht,
ob auf der Insel wer als Herrscher thronet.«
Man rief: »Du bist es selbst und weißt es nicht.
Dein Regiment wird dankbar nun belohnet,
wir segnen deine Schöpfung, dein Gedicht.«
Da blitzten liebevoll die Augen allen,
und goldne Schalen klangen an, metallen.

Ich rief: »Der Herrschaft will ich mich entschlagen,
ihr Jünglinge: denkt etwa, daß ich schlief
und daß ich nun, in meinen alten Tagen,
euch neue Untertanen einberief,
um euch nach meinem Reiche auszufragen,
das ich noch nie, so alt ich bin, durchlief.
Vielleicht auch hab' ich es dereinst durchmessen
und nur, nach langem Schlaf, darauf vergessen.«

»Nun, Lieber«, sprach mein Bruder, »du erkennest
in Leuke wohl das Eiland, dem verwandt,
das Capri heißt: und wenn du Capri nennest,
ist's unsrer Bruderliebe Jugendland.
Wenn du dies Jugendland von Leuke trennest,
bleibt hier nur leerer Fels und Wüstensand.
Jetzt aber ist's mit Leuke ganz vermählet,
so daß, wer eines wählet, beide wählet.

Dies klingt wohl dunkel, doch wie sollte einer
auf Leuke seinen Bruder nicht verstehn?
Wir landeten auf Capri einst, um reiner
ein himmlisch Leuke über uns zu sehn.
In dies erhoben nun, unendlich feiner
begabt und mit unendlichem Verstehn,
siehst du Caprea tief im Golfe liegen,
die Sphinx, die unsrer Jugend nicht geschwiegen?«

Ich sah hinab ins Einst, wie er mich lehrte.
Ich sah Caprea, wie, begreift ihr kaum.
Und als mein Blick zu Leuke wiederkehrte,
ward alles schwer von unserm Jugendtraum.
Oh, wie auf einmal uns am Herzen zehrte
das Eiland, das da unten lag im Raum
und an uns sog, als müßten wir von hinnen,
dort nochmals unser Leben zu beginnen.

War dies Beginn, wonach wir nun uns sehnten
als nach des Glückes allerhöchstem Grat?
wo unsre Pulse hüpfend hofften, wähnten,
in Ahnung eines Tags und einer Tat?
In Ahnung nur, denn ob Entwürfe dehnten
die Brust zum Springen uns, fern war die Mahd.
Nicht konnte reifen solche Saat auf Erden,
sie mußte taub vom Halm geschnitten werden.

O wehe uns, so wollt' ich eben klagen.
Da senkte flatternd sich auf meinen Arm
ein Bote Marys, Silberflügel schlagen,
und ein Gedanke macht mich froh und warm.
Die heut hier Herrin ist, in alten Tagen,
auf Capri schon, betreute dich ihr Schwarm
von Boten, Tauben, liebenden Gedanken.
Noch hast du gleiche Wonnen ihr zu danken.

»Ihr Freunde, fülle jeder seine Schale:
mit Andacht führe jeder sie zum Mund
und trinke, so, als wär's aus heil'gem Grale.
Ihr gilt es, Jünglinge, die unsern Bund
in Gnaden segnet mit der Liebe Strahle.«
Da wußte jeder, wen ich meinte, und
sie tranken ernst, vergessen war das Scherzen,
und jeder hatte Marys Bild im Herzen.

Und jeder wußte, daß, die Leukes Schatten
das Leben gab, allein nur Mary war.
Sie war die Große Mutter dieser Matten
und Triften. Sie nur trug im schwarzen Haar
die Inselkrone, frei, und ohne Gatten,
als Mutter-Königin. Man fühlte klar:
uneingeschränkt-allmächtig war ihr Walten
auf Leuke, über Namen und Gestalten.

Und plötzlich, als wir alle so versunken
noch standen, deren in der blauen Nacht
gedenkend, der zu Ehren wir getrunken,
entglomm ein Punkt im fernen Grottenschacht
türkisen auf. Kaum, daß den blauen Funken
wir leuchten sahn in ungekannter Pracht,
da wußten wir, in welchem Heiligtume
wir waren; alles rief: »Die blaue Blume!«

Und alsogleich fing in uns an ein Singen
von selbst, und Klang entströmte jeder Brust.
Es war ein überweltliches Durchdringen.
Wir glichen Opfern einer Himmelslust.
Unmöglich, solche Wonnen zu bezwingen,
den Willenlosen, schmerzlich fast, bewußt;
doch selig schauernd, wissend, was beginne,
ward jeder sich der Gnadenstunde inne.

Es klang aus uns: Nur dich zu benedeien
sei auf dem Wundereiland uns Beruf.
Und, nach und nach, zu deinen höchsten Weihen
führt Tempeldienst und Klosterglockenruf.
Dein Dienst allein soll wachsen und gedeihen.
Und alles, was das blaue Wunder schuf,
hier widerfahre Andacht ihm und Pflege,
auf dieser Insel heiligem Gehege.

So ward im Innern uns ein neuer Glaube
geboren. – Ach, wie war ich glaubenslos!
Im Blumentempel eine weiße Taube
leichtflatternd schwebte, wie in seinem Schoß
geboren. Von dem goldnen Lorbeerlaube
in ihren Krallen schoß ein Glanz, so groß,
daß ich nicht leicht es fand, bei solchem Brennen
den Boten Marys wiederzuerkennen.

Wir müssen an der Träume Wahrheit glauben,
um solchem Zauber ins Gesicht zu sehn.
Jetzt drang herein vom Meer Tritonenschnauben,
und von Sirenenklängen schien's ein Wehn.
Wir sahn Delphine blitzschnell einwärts schrauben
den Leib und unter uns im Kreise gehn.
Und endlich ritt auf einem solchen Tiere
Nerites ein, der Nereus-Kinder Ziere.

Der Knabe Dämon sprach: »Ihr habt gefunden,
was uns und euch in einem Dienst vereint,
und auch in einer Welt hat's uns verbunden.
Mein Vater Nereus hat das auch gemeint,
der Meergreis läßt es euch durch mich bekunden.
Genug für heut des Segens, wie mir scheint.
Und nun besteigt die starken Wellenrosse
sogleich, ein Bein je hinter einer Flosse!«

Hei, wie wir alle aus der Höhlung glitten,
selig erblindend fast in Tagesglut.
Die Freunde riefen: »Wahrlich, gut beritten
sind wir Poeten!« – »Doch es kostet Mut«,
gab ich zurück. Wir stäubten, wie auf Schlitten,
dahin ums Inselreich auf grüner Flut.
Tollselig war die wilde Kavalkade,
vom Ufer spähte Nymphe und Najade.

Und alle Nereus-Töchter um uns tollten,
es waren ihrer fünfzig, schaumgelockt.
Sie lachten, daß die Felsen widergrollten,
sooft ein Roß den Reiter abgebockt,
dagegen sie freigebig Beifall zollten
jedwedem, der wie angegossen hockt'
im Schwanken so und so, im Flutgezische,
auf seinem Flügelroß … nein, Flügelfische.

Und viele Grotten gab es, gleich der blauen,
rings in der Küste: lachend aus und ein
ging unser Ritt, gefolgt von Meeresfrauen.
Bald schien die Kavalkade mir zu klein
jedoch, und ich begann, mich umzuschauen.
Wie, sollte etwa doch ertrunken sein
der ein und andre? Weit gefehlt: sie waren
vielleicht ertrunken, doch in Nixenhaaren.

Und die mit mir, die Rechte an der Flosse
des glatten Ungeheuers, das mich trug,
hielt gleichen Schritt mit diesem Wellenrosse.
Allmählich ward es wie ein Hochzeitsflug,
und Nereus' Tochter übte manche Posse,
bis sie dann hinter mir auf glatten Bug
sich jauchzend aufgeschwungen des Delphines,
ihn leitend nach geheimem Ziele, schien es.

Wie könnt' ich wohl von solchem Ritt erzählen
und allen sel'gen Buchten von Azur,
und welche Erdensprache sollt' ich wählen,
wenn nicht Musik, zu folgen unsrer Spur.
Die Meerfrau sprach: »Bevor wir uns vermählen,
denn wir vermählen uns mit Menschen nur,
die wir zu unsrer Wonne Kraft erhoben,
mußt du, als ihr Gefäß, dich erst erproben.«

Und unter Küsten, drauf die Griechenstädte
erglänzten, rauschten selig wir dahin.
O Syrakus, wer dich geahnet hätte!
Dich nur zu ahnen, fehlt uns heut der Sinn.
Wir wogten unter dir im Flutenbette,
die Arme ring' ich staunend zu dir hin,
du Götterstadt: denn sel'ge Götter thronen
seh' ich in dir, fast mehr, als Menschen wohnen.

O Griechen, wieviel wundervolle Künste
in Erz und Marmor übte eure Hand!
Der Schönheit Glanz besiegte Fieberdünste.
Ihr teiltet mit den Himmlischen das Land.
Auf jeder Münze, die der Prägstock münzte,
der Gott, die Göttin ihren Spiegel fand.
Und hatte wer ein Weizenbrot zu zahlen,
die Gottheit blitzte auf mit sel'gen Strahlen.

Nun aber unaufhaltsam überfangen
ward meine Brust von einem jähen Gram.
Und auch der Meerfrau tiefe Seufzer drangen
zu mir. Was war's, was uns die Freude nahm?
Des Krieges Fackeln, der Medusa Schlangen,
sie wüteten auch hier, und ohne Scham
zerstampfte Menschenfuß in blindem Wüten
des Menschengeistes allerschönste Blüten.

Und Lasten schleppten nordwärts Räuberkiele
von erznen Göttern: den Olymp verstaut
im Schiffsraum und geschleppt nach jenem Ziele,
das sich um sieben Hügel auferbaut.
Zum Meeresgrunde freilich sanken viele,
und wer vom Borde träumend niederschaut,
dem wird es silbern aus dem Grunde blinken,
gestürzter Götter stillvergeßnes Winken.

Auch uns geschah's. Die Meerfrau tauchte nieder,
wo, fast verschüttet von dem Tiefensand,
Pindar-besungnen Siegers Silberglieder
aufglänzten, Silberstirn und Silberhand.
Sie kehrte kreischend aus der Tiefe wieder
und beide wir zurück zu Leukes Strand.
Denn ängstlich kreisten um uns Marys Tauben,
die Mutter schien an meine Flucht zu glauben.

Zurück, zurück an deine sichren Borde,
Leuke, Sireneneiland, Capri du!
Schon hauchen außerirdische Akkorde
uns von den steilen Küsten selig zu.
Und von Kentauren eine kleine Horde
sprengt an, bis wo wir landen, da im Nu.
Sie wechseln miteinander Griechenlaute
und mit der Nixe, die mein Rößlein kraute.

Hinweg der Spuk. Mein Bruder war gekommen,
ich nenn' ihn Hypatos. Er trat heran,
und beide wurden wir emporgenommen,
wo tiefe Stille goldne Fäden spann.
Die Hitze machte alles rings verschwommen,
Zikadenlaute schrillten dann und wann.
Es war dem Ohr dasselbige Geflimme
wie Licht dem Auge: gleichsam Lichtes Stimme.

Und weit und weit rings dehnte fort das Blaue
sich doppelt, so in Tiefen wie in Höhn.
Mein Bruder sprach: »Wohin ich immer schaue,
in uns und um uns, hier ist alles schön.«
Ein Diamantblitz kam von seiner Braue.
Und zweier Flügel brausendes Getön
schoß her, umkreiste uns mit feinem Singen,
mit einem Band uns gleichsam zu umschlingen.

Kein Zweifel, wer den Boten uns gesendet,
den dreimal-heil'gen, friedevollen Geist.
Wir wissen, was die Gnadenmutter spendet,
die ja die Mutter aller Gnaden heißt.
Auf ewig ist der Bruderzwist beendet.
Hypatos sprach: »Ich weiß, was du nicht weißt.
Du saßest auf der Insel Herrscherthrone
als erster Grieche einst, du bist Telone.

Wie hast du jetzt den Weg zurückgefunden
und mich, zugleich mit dir, ins Licht gebracht?«
Ich sprach: »Es brachen süße Liebeswunden
auf vor Laurinens Abendrosenpracht.
Da hab' ich einen Nachen losgebunden,
den Zauber trägt und Zauber überdacht,
und konnte dich hierher, von Marys Gnaden
ein Herrscher, ebenfalls zu Gaste laden.«

Im Mittag feilten immer noch die Grillen
auf unsrer nackten Felsenhöhe Glut.
Er sprach: »Sie singen hier um unsretwillen,
wie wir einst Menschen, Blut von unserm Blut.
Eh Musen waren, fühlten sie entquillen
sich selbst Gesang, und der Begeistrung Flut
entstieg so unaufhaltsam ihren Kehlen,
drin zu verbluten schienen ihre Seelen.

Da war kein Halt, kein Halten. Jedes Schweigen
war ein Verlust an seligstem Genuß.
Sie aßen, tranken nicht, um nur zu geigen
So starben sie bei sel'gem Überfluß.
Doch merkten sie es nicht, und das war eigen.
Und fortzusingen ohne Überdruß
gab ihnen Zeus mit seiner Allmacht Winke,
auf daß auch er an Tönen satt sich trinke.«

»So macht uns guten Leumund, heiße Seelen«,
sprach ich, »bei den Erlauchten, bei den Neun!«
Drauf Hypatos: »Es sollte wohl nicht fehlen,
wir haben, wie ich meine, nichts zu scheun.
Was sollten wir Begeisterten verhehlen,
was, hier auf Leukes Felsen, wohl bereun?
Im Dienst der Musen geben wir den Grillen
nichts nach, die hier im heißen Mittag schrillen.«

Wer war der Jüngling, der mich nun begrüßte?
Schon sprach er: »Midas bin ich, Marys Sproß.«
Mir war, als ob ich eine andre wüßte,
die ebenfalls ihr Leben in ihn goß,
und gleich darauf, als ob mich jene küßte,
so daß ein Zittern in die Brust mir schoß,
als dränge hier aus einer andern Sphäre
ein neues Etwas, noch voll Erdenschwere.

»Ich bin dein Sohn«, spricht Midas, »und der großen
Allmutter, die aus Isis-Brüsten stillt
mit Mohnsaft dich und mich und die aus Schößen
des Lebens, immer lebend, überquillt.
Auch deine Seele möge nicht verstoßen,
was etwa drüben mehr als hüben gilt
und etwa noch nicht ganz von Schlacken frei ist,
wenn nur ein Körnlein attisch Salz dabei ist.

Ich sah das Licht von deinem Rosengarten,
und da ich blutsverwandt bin mit Laurin,
mit gleichen Rosengärten aufzuwarten
in Makedonien wohl fähig bin,
so gib mir Bürgerrecht im Offenbarten,
ich füge mich von Herzen deinem Sinn.
Nicht ärgre dich an meinen Eselsohren,
ich bin trotzdem ein König, hochgeboren.

Ich trage sie, weil ich verkehrt entschieden
den Sängerwettstreit Marsyas-Apoll,
und auch als Priester dessen, der, beschieden
von dir nach Leuke, nun erscheinen soll.«
Er nahte mit gesenkten Augenliden,
langsam und schwer, der Gott, des Weines voll.
Mit schwarzen Trauben tief das Haupt verhangen,
um die Gelenke klirrten goldne Spangen.

Wir bebten, ihn zu schaun. Im Schauen beben
fühlt' ich die Knie. Sein Blick war sel'ge Wut.
Auf nackte Schultern floß das Grün von Reben,
rot troff der Bartflaum ihm von Rebenflut.
Machtvolle Glieder pulsten warm von Leben.
Wie ward uns da so eigen fremd zumut,
als nun des Götterweichlings Fuß die Treppe
erstieg, als ob er eine Kugel schleppe.

Wie aber malen ihn, der, so athletisch
als aphrodisisch blühend, seinen Arm
emporhielt, mit der weichen Hand magnetisch
gefesselt an die Schale, sonnenwarm?
Wie schildern, was ihm nachdrang und frenetisch
tobte sein Lob: der Bakchen tollen Schwarm,
der, mit dem trunknen Gotte an der Spitze,
geboren schien aus Glanz der Mittagshitze?

O du, Dionysos, dich aufzusaugen,
du namenlosen Schicksals Träger, nie
satt werden sie, ermüden meine Augen!
Wie kam es doch, daß meine Seele schrie
und meine Wangen beizten salz'ge Laugen?
Und auch mein Bruder weinte: »Sieh, o sieh!
Der Wollust Herrscher und des Überflusses,
selbst übersättigt, Knecht nun des Genusses.«

Mit Inbrunst lächelnd und mit jenem Grinsen,
das bittre Ohnmacht geisterfahl bekennt,
schritt er. Die Linke hielt ein Büschel Binsen.
Wer ahnt die Lust, die Qual, die in ihm brennt?
Er trägt sie schweigend hin mit schielem Blinsen,
vereinsamt, von der Bakchen Schar getrennt.
Ihr Paukendonner klingt wie dumpfe Trauer
im Zug des Todes. Und mich fassen Schauer,

Was packt mich jäh und macht mein Herze stocken?
Mich trifft auf einmal ein vergeßner Laut.
Erzmünde hauchen durch des Gottes Locken.
Die Kathedrale, auf dem Fels erbaut,
die fast vergeßne, schwingt die mächt'gen Glocken.
Im Klange zuckt des Gottes weiße Haut.
Er blickt dorthin, von wo die Klänge fluten,
und seine Seite tropft, fängt an zu bluten.

Ein klagend Aufschaun scheinet uns zu gelten.
»Ihr wißt, die Kathedrale wartet mein.
Ich, eingekerkert in die Leidenswelten,
betrete nun dies heil'ge Grab von Stein.
Dies ist mein Los. Euch soll es nicht erkälten,
denn morgen werd' ich auferstanden sein.
Und werd' ich heute auch ans Kreuz geschlagen,
schon morgen muß ich selbst es wieder tragen.«

Wie kam es, daß ich jetzt es erst gewahrte,
des Zweigebornen buntes Luchsgespann?
Erknisternd in dem salbenduft'gen Barte,
besteigt's der Gott und zieht den Zügel an.
Die Tiere greinen, und auf einmal scharte
Bakchant, Satyr, Silen sich um und an
und nahm den Weg hinüber zu den Türmen
des Doms: sogleich begannen sie zu stürmen.

Und weit erschallt des Tales grüne Mulde:
»Lyaios, Bromios, Vater Eleleus!«
Und so, als ob der Gott nichts Stummes dulde,
schrie jedes Blatt: »Evoe, trunkner Zeus!
Kein Staubkorn, das dir nicht Verehrung schulde,
du Spender jenes seligen Gebräus,
das, Chaos schaffend und aus ihm erweckend
All-Licht, aufgärt, den Schwächling niederstreckend.

Du trägst ein schläfrig Meer in deinem Leibe,
Iakchos, aus dem sich tausendfach gebiert,
was irgend sich gebiert aus Mann und Weibe.
Wer drin nicht badet, Iakchos, der verliert,
was er besitzt. Der Zweigeborne schreibe,
von dir begeistert, welche Macht es ziert.
Wer offnen Auges sich hineinzutauchen
entschließt, er lernt sein innres Auge brauchen.

Er wird zum Seher.« – Bin ich's, der gemeinet
von diesen Rufern? Sei es, wie es sei.
Der meinen weißen Scheitel noch bescheinet,
Apoll, er hat erweckt mir dies Geschrei.
Und wenn es Wein ist, was die Traube weinet,
von Wein und Weinen weiß ich. Beiderlei
ist in dem Rausche, wenn der großen Leere
wir tief enttauchen in die bakch'schen Meere.

Und wenn sie wogen, wenn sie rollend schäumen,
Geysire schießen auf zum Himmelsrand.
Sie rauben, zischend, Paradieses Bäumen
die Frucht. Der Flut entdonnert Feuerbrand.
Furchtbarste Wahrheit glauben wir zu träumen.
Und trotzdem füllen Wunder unsre Hand,
die allersüßesten bei jedem Griffe,
und heiße Wollust trieft von jedem Riffe.

Soeben schwindet in des Münsters Höhle
das Luchsgespann, der Gott mitsamt dem Schwarm
und seinem rasend-trunkenen Gegröle.
Sogleich berührt mein Bruder meinen Arm.
»Er ist gesalbt mit einem andren Öle,
als der dort drinnen hängt in Not und Harm.
Was wird geschehn, wenn beide sich vermischen?
Schon ahn' ich Höllenbrand durchs Sparrwerk zischen.«

Ich dachte: Wenn wir davon etwas wüßten!
Schon hing ein Bote Marys mir am Mund,
und ich genoß Belehrung dieses Mysten:
»Medusas Blick versteinte diesen Bund.«
Ein Wunder zu erleben uns zu rüsten,
empfahl uns Mary. Ach, es ward uns kund,
mit einem Male, als den Dom zersprengte
ein Flügelroß und sich zum Lichte drängte.

Wie lange sahn wir Rosse nicht mehr fliegen
in unsrer ausgedörrten Menschenwelt!
Und dieses Roß, wer hätte es bestiegen
und wäre nicht im jähen Sturz zerschellt
wie Ikaros. Ich aber will's besiegen.
Wer ist der Reiter, der die Leier hält?
Ist es Apoll? Bin ich's? – Im Licht verwehen
wir schon, gleichviel, wer immer! und vergehen.

 


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