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Zweiter Akt

Von allen Seiten hinter der Szene laute Rufe. Palast und Arena werden hell. Die Krieger drängen herein mit erhobenen Waffen. Das Tor auf der Rampe geht auf. Kreon tritt hervor.

 

Erste Szene

Kreon. Anführer. Volk.

Anführer

Herr!
Wir kamen zu der Stätte, wo die Leiche
Von Ungeziefer Leben hat.
Plötzlich weht ein Sturm,
Der Boden verfinstert sich,
Am Horizont steht eine Jungfrau
Bei dem entblößten Aas;
Wir greifen sie und ...

 

Zweite Szene

Antigone

Schweige. Ich bin da.

Kreon

Antigone!

(sie sehen sich an.)

Antigone

Ich bin gefangen. Halte nun Gericht.

Kreon

(nach einer Weile)
Du kanntest das Gesetz?

Antigone

Gilt ein Wort
So viel im falschen Maß der Zeit,
Daß sich die Toten in den Gräbern wenden:
Wer richtet ihre Schuld?

Kreon

Wer lebt, muß Richter sein.

Antigone

Doch nicht den Toten!

Kreon

Wir wissen, wer du bist.

Antigone

Sag: Ödipus.

Stimmen

(halblaut)
Ödipus! Ödipus!

Antigone

War es nicht hier, wo du den armen Blinden
Mit rohen Fäusten stießest in die Nacht?
Hat Gott dir schon verziehn? Bist du jetzt König?
Im Siegesfest bricht deine Herrschaft an??

Stimmen

(lauter)
Feindin – Verräterin!

Antigone

Es lebe dieser König,
Denn alle Edlen sind im Totenreich.
Was kannst du mehr, als durch die Gräber stampfen?
Du hast gesiegt. Töte mich!

Kreon

Noch nicht.
Unschuldig stirbt vor meinem Throne keiner.
Steh hier, Antigone, und rede
Vor allem Volk.

Antigone

Was rede ich zu euch?
Die Menge jubelt deiner Größe zu.
Ich bin zu klein.

Kreon

Bereust du das Verbrechen?

Antigone

Welches Verbrechen, Kreon?

Kreon

Deine Tat?

Antigone

Und wie, wenn ich bereute?

Kreon

Das Gesetz
Hat dir den Tod bestimmt.

Antigone

Halt ein –
Wo ist der Geist, der dies Gesetz erfindet?
Ich kenne ein Gesetz, noch ungeschrieben,
Von keinem Herold in die Welt posaunt,
So alt wie du und ich:
Es heißt die Liebe.

Kreon

Daran erkenn ich Ödipus' Geschlecht!

Antigone

Ja, Ödipus war arm und blind,
Doch seine Augen brannten in das Gute.
Das Blut von seinen Augen tropfte nieder
Auf eine Erde mörderischer Lust
Von Krieg und Lüge, Haß und Eitelkeit.
Dieser Bettler, den die Bosheit, Rache
Der unsichtbaren Menge hungern ließ –
Ist das nicht unser König?

(Tumult. Sie dringen auf sie ein.)

Antigone

(steigt auf die Stufen, streckt die Hände aus)
Hört mich an!
Sein Leib ist tot. Er liegt in seinem Grabe
Und wartet auf den toten Sohn.
Nie wird er König mehr. Kreon ist König!

(Sie weichen zurück. Sie wendet sich Kreon zu.)

Kreon

Und nie empfängt er seines Sohnes Aas.

Antigone

Ich aber wurde durch den Blinden sehend,
Sein Licht der ewigen Güte leuchtet mir.
Kreuzigt mich an euern Toren,
Zerreißt mich, zündet meine Stücke an:
Ich stehe auf im Speichel eures Maules
Und gehe wieder und begrabe ihn.

Kreon

Hänge den Mantel um die Wahrheit,
Aus seinen Löchern grinst die Falschheit.
Ich rotte deinen Hochmut aus!

Antigone

Die Pflicht des Menschen, die letzte Scham,
Das Völkerrecht
Hast du gebrochen, Totenschänder.
Das Maß ist voll. Ich fürchte dich nicht.
Was ist noch furchtbar?

Kreon

Die Macht.
Erfahre sie für deinen Frevel!

Antigone

Treib weiter, Fluch,
Streu aus den Krieg in ungeborene Zeiten.
Freue dich, weide dich an der Todesqual,
Vielfacher Mörder! Gott im Himmel lebt.

Stimmen

Sie lästert. – Hört, wie sie lästert!

Kreon

Gott ist mit uns. Was nennt ihn diese Hure?

Antigone

Gott ist auch mit den Feinden –

(Tumult übertönt sie.)

Rufe

Tötet sie!

Antigone

Volk, du schreist und reißt die Augen auf.
Was soll der Popanz Ruhm und Herrlichkeit?
Weil Einer satt ist, müssen alle hungern?
Weil Einer lebt, muß alles in den Staub?

Kreon

Sie schleudert ihre Netze aus.
Geduld. Ich höre sie. Es spricht die Letzte
Vom Stamme Ödipus.

Antigone

Ich sterbe nicht!
Der Glaube meiner Taten überlebt mich.
Dich, mich und alle, die noch Feinde sind.

Kreon

Zum zweiten Male nach dem Bruder
Hat sie die Stadt verraten.

Rufe

Schlagt sie nieder!

Kreon

Steigt nicht die Scham dir in die Wangen,
Antigone, vor diesem ganzen Volk?

Antigone

Dein ist der Ruhm. So herrsche, Kreon!
In deinen Jubel
Kriecht das Gespenst aus dem Grabe.
Denke an mich!

Kreon

Eteokles starb für des Landes Ehre.

Antigone

Sie wollten beide herrschen und kamen um.

Kreon

Soll ich den Helden wie den Henker betten?

Antigone

Ehre die Toten! Einmal stirbst auch du.

Kreon

Er war der Feind.

Antigone

Alle Menschen sind Brüder.

Kreon

Nein!
Das Verbrechen fordert seine Sühne.

Antigone

Richte das Böse durch die gute Tat!

Kreon

Ich wär ein Hund und würdig für die Hütte,
Wenn ich als König auf des Thrones Säule
Das Unrecht mit dem Mitleid kröne,
Das einer Dirne ziemt. Nicht mir.
Das Urteil ist gefällt. Er bleibt liegen. –
Doppeltes Unrecht wurde begangen.
Ich nehme die Hand von diesem Blute.
Sprich du, mein Volk, was ihr geschehen soll.

Viele Rufe

Sie soll sterben.

Eine Stimme

Sie ist eine Fürstin.

Das Volk

Steinigt sie!

Kreon

Das ist des Volkes Stimme!

 

Dritte Szene

Ismene

(läuft durch die Menge zu den Stufen)
Schwester!

(zum Volke)

Schleudert die Steine –
Sie ist unschuldig! Ich habe es getan.

Kreon

Schlange!

Ismene

Mein ist die Schuld!

Kreon

Antworte:
Hast du die Tat begangen?

Ismene

Ja.

Antigone

Zu spät.

Ismene

Hört nicht auf sie!

Kreon

Stell nur die Falle auf, sie fängt euch beide!

Ismene

Jetzt in der Not bin ich bei dir.

Antigone

Ich brauche keine Hilfe.
Siehst du nicht alle, die bei mir sind?

Ismene

Ich sehe eine Meute um dich rasen.

Antigone

Du irrst. Brüder und Schwestern lauschen mir.

Ismene

Soll auch ich die Steine schleudern?
Antigone –
Reich mir die Hände, weil wir Frauen sind.

Antigone

Hier ist dein Platz nicht.

Ismene

Laß mich bei dir bleiben.

Antigone

Geh, rette dich.

Ismene

Du stößt mich fort?

Antigone

Noch ist mein Schicksal nicht zu Ende.
Du lebst. Ich muß zum Tode gehn.

Ismene

(zu Kreon)

Herr, mache das Verhängnis ungeschehen.
Du, der du König bist: hilf dieser Not.

(Kreon unbeweglich.)

Ismene

Willst du die Braut des eignen Sohnes schlachten?

Kreon

Eher die letzte Sklavin meines Herdes,
Als eine Dirne ihm.

Ismene

Tyrann!
Du reißt sie aus den Armen deines Kindes?

Kreon

Im Grab ist Hochzeit.

Ismene

(schreit auf)

Erbarme dich!

Kreon

(zum Volke)

Ihr, hört das Ende dieser Frevlerin:
Draußen ist ein Grab gewölbt.
Sperrt sie in die Totenkammer
Mit der Leiche, die ihr Bruder war.
Da mag sie ihn zum zweitenmal begraben!
Sie soll verhungern. Betteln um ihr Leben.
Hier schwöre ich und halte meinen Schwur:
Wer Böses tut, soll Böses leiden,
Bis Gehorsam seine Schuld gesühnt.

(Er wendet sich. Das Tor des Palastes geht auf und schließt sich hinter ihm. Das Licht auf der Rampe erlischt.)

 

Vierte Szene

Bewegung der Menge. Sie drängen vor, um die Schwestern zu sehn.

Ein Mädchen

(neugierig)

So sehen die Töchter des Ödipus aus.

Eine Frau

Die zarten Händchen sollen mit Leichen umgehn.

Zweite Frau

Oder Brot backen. Was ist euch lieber?

Dritte Frau

Oder Töpfe leeren, Teppiche schütteln. Mit den Sklaven unter die Decke gehn.

Erstes Mädchen

Das ist besser, als Perlen tragen.

Zweites Mädchen

Das ist schöner, als Fürsten begraben.

Drittes Mädchen

Jetzt sollt ihr uns bedienen.

Ein Bürger

Wie sie stolz sind, die Puppen.

Zweiter Bürger

Sie sind schuld am Kriege!

Dritter Bürger

Sie halten mit dem Feinde.

Vierter Bürger

Sie haben gesagt: es gibt keinen Feind!

(Empörung.)

Ismene

(schreit auf)

Sie töten uns!

Ein Krieger

Reißt ihnen die Schleier ab!

Zweiter Krieger

Wir wollen sie nackt sehen.

Dritter Krieger

Sie sollen tanzen, ehe sie sterben.

Das Volk

(johlend)

Tanzen, ehe sie sterben!

Anführer

Habt ihr gehört? Ihr sollt nackt vor dem Volke tanzen!
Zieht euch aus!

(Ismene und Antigone stehn verschlungen auf den Stufen.)

Anführer

Vorwärts, ihr Dirnen!

Eine Stimme

Prügelt sie zu Tode!

Ein Krieger

Wir wollen ihr Fleisch verteilen.

(Zwei Männer springen herauf und nähern sich ihnen.)

Ein Jüngling

(stürzt mit blankem Messer dazwischen)

Zurück!
Feige Hunde, zurück!!
Wer sie berührt, den stoß ich in die Därme!

(Sie weichen verblüfft. Die Schar der Jünglinge steht schützend vor den Frauen.)

Der Jüngling

Fürstinnen! Eure Schönheit ist hoch
Über allen Zeiten.
So lange wir leben, wird
Schande euch nicht erreichen.

Eine Stimme

Wir wollen keine Fürstinnen.

Zweite Stimme

Sie beschimpfen ihr Vaterland.

Dritte Stimme

Weshalb verraten sie uns?

Viele Stimmen

Antwortet!

Antigone

(tritt einen Schritt vor. Sie steht im Halbkreis der Jünglinge.)

Bürger von Theben!
Wehe dem, der am Herzen der Menschen zweifelt,
Wenn sie Tiere sind, tief in der Unglückszeit.
Wenn ihr wüßtet, daß ich um euch weine!
In meine Arme, die alle Schmerzen gewiegt haben,
Will ich euch betten zur Ruhe, zur Hilfe.
Die Feuer flackern nicht mehr auf den Bergen.
Der Sieg ist erloschen. Die Häupter der Feinde schlagen
Mit euch an die Bahre des unermeßlichen Todes.
Gewiß hat jeder von euch einen Lieben
In dem fahlen Gebüsch der Novemberfluren.
Sein Mund, seine Stimme der modernden Grube
Weht hinüber dieser Stunde verlorenen Ton.
Sie alle, die aus der Welt gestorben,
Rufen euch Liebe und Liebe ins Herz!

Eine Stimme

Entblöße dich! Peitsche die Brust mit den Haaren.

Antigone

(entblößt Brust und Haare)

Ich hülle mich ein in die Trauer von Gottes Wesen.
Meine Haare, Asche, fallen auf meinen Leib
Am Grabe der Menschen.

Eine Frau

Gib uns zu essen!

Antigone

Frau! Du wirst ein Kind gebären.
Wann trifft die Waffe sein unschuldiges Haupt?
Wann ist die Stunde von Tod und Feindschaft?
Für welchen neuen Krieg säugst du es?

(Erregung.)

Blondes Mädchen, du wirst einen Gatten wählen.
Er löst die Arme von deinem Schlummer.
Die Trompete tönt durch die Gassen.
Blut brennt auf den Türmen: Kampf!

(Erstaunen.)

Ihr alle, die ihr sagt: Krieg, Feind, Ehre –
Hört euer Herz, verschüttet im Staub
Geplünderter Häuser, geschändeter Tempel.
Euer Herz ist der Feind. Wir alle sind schuld!

(Ergriffenheit.)

Bürger, bevor ihr mich zertretet,
Wie euer Herr, der König, mit Recht befiehlt
Ich will euch nicht umstimmen –
Ich habe die meiste Schuld in Theben.
Ich werde Strafe erleiden. Vergebt mir im Tod!

(Beifall)

Ich klage mich an, die niederste Magd von allen,
Daß ich lebte und wußte: wir töten uns;
Daß keine Stimme von Gottes Himmel
Mich erweckte als Retterin.
Ich klage mich an, daß in meine Kissen
Nicht die Wunden eiterten hinein;
Daß ich schwebte auf blühenden Girlanden,
Solange ein Mensch noch hungrig war.
Ich klage mich an – ich habe Gutes genossen,
Doch nichts Gutes getan, sonst wären Menschen nicht feind.
Nur die Liebe des Ungeheuern Leidens
Stillt die Träne der Geknechteten.

(Die Schar der Armen drängt zu ihr.)

Der erste Arme

Fürstin, deine Worte sind Frieden. Die Kinder der Armen beten für dich.

Der zweite Arme

Du bist gut. Laß uns deine Füße küssen.

Der dritte Arme

(kniet nieder)

Du hast uns geholfen. Unser letztes Stück Brot rankt Blumen um dein Grab.

Antigone

Steht auf! Ich bin nur euresgleichen.
Ich bin Antigone –
Ein kleiner Mensch, der vor dem großen Schatten
Des Todes sinkt in seiner Ohnmacht Spur.

Ein Krieger

(roh zu den Armen)

Fort! Pack.

Antigone

Mensch, der du schreist im kalten Raume:
Wo ist dein Mitleid? Du bist ärmer
Als alle, weil du nicht mehr weinen kannst.

Stimmen

Sie schweige!

Mehr Stimmen

Sie rede!

Antigone

Freunde!
Ich stand am Abend auf den Türmen. Schwer
Donnerte aus der Ferne Kriegsvolk an,
Rüstungen, Rosse trabten. Die Nacht war hell,
Das Zelt des Himmels besät mit Schlachtgerät;
Weiße Wagen rasten den Orion hinab.
Da sah ich einen Augenblick die Wolken zerteilt,
Tückische Kometen auf die Erde rollen,
Die Elemente wirbelten, ein feuriger Orkan
Zuckte die letzte Lava der Vernichtung –
Doch prallten sie ab, denn gewaltig lebte der Mensch.
Und wieder sah ich die Meere stocken,
Geborstene Schiffe versinken, Häuser flammen –
Die irrgewordene Schar der Menschen.
Der kristallne Berg der Jahrtausende sprang auf:
Ich sah in der Mitte den Mord.
Todesangst griff um mich,
Wir könnten alle sterben an einander;
Die großen Kanäle, die wir bauten in der Wüste,
Sähen höhnisch unserm Ende zu,
Lebloser Stoff auf den Ruinen des Lebens.
Ich wollte hinausschreien und warnen: hört auf, Menschen!
Ihr irrt euch, seid betrogen.
Vereint euch, helft eurem Geiste,
Werdet Brüder –
Da sah ich den eignen Bruder die Brandfackel
Schleudern gegen die Mauern der Stadt.
Ich verhüllte mein Antlitz, stieg nieder
Und wußte, daß ich nur eine Frau bin.

Die Bürger

Sie hat recht. – Sie klagt sich an!

Die Frauen

Wenn alle sterben – wo bleiben wir dann?

Die Krieger

Genug getötet. – Gebt endlich Ruh.

Die Jünglinge

Sprich weiter, Antigone. – Rede du!

Antigone

Ich gab den Bruder der Erde wieder
Und feire mit euch Auferstehung.
Jetzt sind wir Brüder in Schmerzen!
Jetzt weiß ich: Frauen können unsterblich sein,
Wenn sie die sinnlosen Wege der Menschen
Mit dem Krug der Liebe begießen;
Wenn aus Tränen ihrer Armut
Die Hilfe sprießt;
Wenn die Tat des lebendigen Herzens
Umstürzt Mauern der Feindschaft.

Das Volk

Es lebe Antigone!

Antigone

Brüder!
Ich rede zu euch Witwen und Waisen,
Die ihr heimkehrt in die einsamen Hütten,
Wo die Seufzer der Erschlagenen
Von den feuchten Steinen des Herdes
Schrecken in euren Abendtraum:
Wollt ihr, daß eure Kinder,
Überschrien von dem Ruhm des Schlachtrufs,
Euer elendes Schicksal teilen?

Das Volk

Nein!

Antigone

Geht hin. Folgt meinem Beispiel.
Geburt und Tod ist Versöhnung!

Rufe

Sie soll nicht sterben!

Viele Rufe

Sie soll leben!

Das Volk

Kreon!

 

Fünfte Szene

Kreon

(steht plötzlich hell beleuchtet vor der Rampe des Schlosses)

Was lärmt ihr?

Das Volk

Antigone soll leben!

Kreon

(tritt einen Schritt vor)

Ich höre viele Stimmen statt einer;
Wär es eine, ich ließ sie peitschen,
Bis das Blut ihr aus der Zunge spränge.
Ihr Schweine da unten:
Was fällt euch ein, mich auszugrunzen?

Das Volk

Sie ist unschuldig.

Kreon

Seit wann?

Ein alter Mann

Sie hat die Schuld des Bruders gesühnt.
Richte sie nicht!

Kreon

Ihr Greise, euer Grab steht offen.
Legt euch hinein!

Eine Frau

Sie ist eine Frau wie wir. Sie ist keine Dirne.

Kreon

Ich sperr euch in die Häuser
Und laß euch hungern.
Gesindel! Huren wollt ihr alle,
Männer regieren mit dem schwangern Bauch.
Treibt Unzucht in den eignen Betten,
Nicht hier vor eures Königs Haus.

(Dumpfe Empörung wächst.)

Chor der Armen

(leiser Gesang)

Friede allen Nöten.
Friede allem Leid.
Schon auf Morgenröten
Grüßt die neue Zeit.

Kreon

Von heute ab ist der Tribut verdoppelt.
Arbeitet, wenn ihr fressen wollt.

(Er erblickt Antigone.)

Was stehst du noch und gaffst?
Packt sie! Führt sie hin, wo ich befohlen.

Antigone

(steht allein auf den Stufen ihm gegenüber)

Töte mich, töte mich immerzu!
Die Wahrheit wird kommen,
Zerschlagen deine Macht.

Kreon

Fort, daß ich sie nicht sehe.
Ich schlage sie tot!
Ich jage sie selber den Schatten nach,
Die kläglich im Abgrund heulen.

Antigone

Deine Macht ist vorbei. Deine Welt ist nicht mehr.
Aus der Tiefe des Felsens hab ich dein Volk gehauen.
Jetzt ist es mein Volk!
Zum letztenmal die Knechtschaft:
Wir fürchten sie nicht!

Kreon

Lebendig ins Grab mit ihr!
Wer ihr zu essen bringt, teilt ihr Schicksal.
Drei Tage vergehn,
Dann nagt sie Steine.
Packt sie an!

(Stille.)

Antigone

Faßt keiner mich an? Menschen –:
Ich habe euer Herz erweicht.
Ich will für euch hungern. Ich will für euch bluten.
So glaube ich, daß Gutes geschehen kann!
Die Ströme brechen auf. Die Liebe hat gesiegt.
Gott ist uns gnädig.

Kreon

(brüllend)
Wer widersetzt sich dem Befehl?
Wollt ihr euch rühren!

(Keiner rührt sich.)

Kreon

(zieht die Peitsche hervor, schwingt sie, streckt den Arm mit ihr aus)

Reiterei!!

(Trompetensignal hinter der Szene. Krieger zu Pferde jagen von allen Seiten in die Arena, reiten das schreiende Volk nieder. Ein Anführer sprengt bis vor die Stufen, reißt Antigone auf, wirft sie rücklings übers Pferd, jagt mit ihr durch die Mitte hinaus. Ihre Haare schleifen am Boden. Todesschreie. – Dunkelheit.)


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