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Das letzte Haus auf der Landspitze, das schon ganz in der Nähe des Leuchtturms lag, bewohnte ein alter graubärtiger Seemann, der von den andern Seeleuten der Gegend nicht anders als der weise benannt wurde.

Er hatte sein ganzes Leben stets so klug eingerichtet, daß er jetzt, wo er bereits ein schönes Alter erreicht hatte, einesteils doch noch ein rüstiger und gesunder Mann war und andernteils auch ein gutes Stück Geld als Erspartes hinter sich liegen hatte. So konnte er sich seines Alters ruhig erfreuen.

Weib und Kind hatte er nie gehabt; seine liebste Beschäftigung und sein eigentliches Glück war immer das Denken gewesen.

Er sagte sich: entweder ist ein Weib meinem Denken förderlich, dann ist es unnötig, sie zu ehelichen, denn was ich von ihr gewinnen will, vermag ich auch so mühelos aus ihrem Gespräche zu ziehen – oder aber sie ist meinem Denken nicht förderlich, dann hieße es eine Thorheit, sie zum Weibe zu nehmen, denn sie möchte mich leicht von meinen Gedanken abbringen und mir mein Glück zerstören.

Sein Glück war es aber, an schönen Tagen, wenn das Meer ruhte, sein Boot zu besteigen und langsam hinauszufahren, ganz allein mit seinen klugen und geliebten Gedanken. Er führte weder Waren an die nächste Küste, noch warf er das Netz nach Fischen aus: er saß still am Steuer und dachte in einem fort. –

*

Da geschah es eines Tages, als die Sonne schon tiefer am Himmel stand und ihre Lichter auf den Wellen lagen, wie Goldflitter auf einem dunklen Maskenkleide, daß sich ein großer zierlicher Vogel, etwa von der Gestalt eines Reihers, vorn auf das Schiff des weisen Seemanns niedersetzte. Dieser bemerkte den Schatten, den der Vogel vor ihm auf den Boden des Schiffes warf, und sah auf.

Nach einem langen Nachsinnen, während dessen er den Vogel unverwandt betrachtet hatte, sagte der Seemann:

»Du scheinst mir ein Vogel zu sein, denn du hast zwei Beine und zwei Flügel und bist am ganzen Körper mit Federn bedeckt.«

Der Vogel erwiderte: »Deine Gedanken haben dich zu einer richtigen Erkenntnis geführt, ich bin allerdings ein Vogel und bitte dich, mich gastlich auf deinem Schiffe aufzunehmen.«

Der Seemann wunderte sich, daß der Vogel reden konnte und sprach: »Gern begrüß ich dich als meinen Gast. Ich habe bisher noch keine Gelegenheit gehabt, einen Vogel reden zu hören und vermute daher, daß ein Gespräch mit dir meinem Denken wohl förderlich sein möge. Nur mache ich dich darauf aufmerksam, daß du als ein Gast meines Schiffes dich auch der Ordnung wirst fügen müssen, die auf ihm herrscht und die ich als das Ergebnis meines vielfältigsten, Jahre, lange Jahre währenden Nachdenkens hochhalten muß.«

Der Vogel nickte mit dem Kopfe: »sprich nur,« sagte er, »was gehört zu dieser Ordnung?«

»Zu ihr gehört, daß man sich nicht auf ein Bein stelle, wie du das thust, denn wollte ich ein Gleiches versuchen, so würde ich alsbald in dem schwankenden Boote umfallen oder wohl gar über Bord in das Meer hinausstürzen. Da ich es aber nicht kann, sollst auch du es nicht thun: denn es sieht wie eine Überhebung aus.«

Der Vogel streckte geduldig das zweite Bein hervor und setzte es auf den Schiffsrand –: ›weshalb soll ich nicht auch einmal auf zwei Beinen stehn?‹

Nachdem der Seemann den Vogel wieder eine Zeit lang betrachtet und beobachtet hatte, sagte er: »Du hast zwar einen weißen Bauch wie viele andere Vögel und wie ihn von Natur auch die Menschen meistens besitzen, aber was ich bei dir sonderbar finde und keineswegs begreifen kann, ist, daß du auf dem Rücken ganz bunt, grün, rot und golden gefiedert bist, so daß die Sonne sich ordentlich zu freuen scheint, wenn sie auf deinen Flügeldecken blinkt und schillert und einen gelben Saum um deine Gestalt zieht. Die Menschen, die doch das klügste Geschlecht auf der Erde sind, pflegen sich mit einem schwarzen oder grauen oder braunen oder sonst einem schwach gefärbten Rocke zu bekleiden und die Vögel sind im allgemeinen wenigstens so gescheit, es den Menschen nachzuthun. Wenn du nun dahingegen in einem so fremdartig bunten und auffallend scheckigem Aufzuge daher kommst, so scheinst du mir damit wider die gemeine Bescheidenheit aller Kreatur gröblich zu verstoßen, und mich dünkt, du thätest besser, wenn du solcherlei thörichten und hochmütigen Firlefanz von dir legtest. Bedenke wohl, daß selbst der Vogel Strauß, mit dessen Federn doch ein so großer und schwunghafter Handel betrieben wird, nur in zwei oder drei höchst einfachen Farben umherläuft. Bedenke auch ferner, ob es wohl klug und besonnen sei, also durch sein Äußeres vor den anderen hervorzustechen und bald den Neid, bald den Spott, immer aber eine besondere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken!« –

Der Vogel riß den langen spitzen Schnabel weit auf – aber ohne ein Wort zu sagen, klappte er ihn wieder zu. Seine kleinen grauen Augen leuchteten wie vor innerem Vergnügen, er legte den Kopf etwas auf die Seite und blinzelte den alten Seemann freundlich an.

Dieser fuhr fort: »und ganz besonders verdreht erscheinen mir nun noch diese beiden langen, dünnen, gewundenen Federn, die auf deinem Kopfe hin und herschwanken, als wollten sie alles, was fest steht, verhöhnen! Diese wirst du dir jetzt zu allererst einmal schleunigst abschneiden lassen.«

»Meinst du,« fragte der Vogel. »Und was müßte ich dann wohl thun?«

»Das will ich dir sagen. Ich habe hier einen guten und nützlichen Theer, mit dem ich die Bretter meines Schiffes überziehe, damit sie nicht faulen. Mit dem will ich deine Flügel bestreichen und so ihre leuchtenden Farben auslöschen. Du hast dann die Farbe des Raben – so magst du mir dann als Gast auf meinem Schiffe bleiben, denn noch manches hätte ich mit dir zu bereden.«

Da sprach der Vogel: »habe Dank für deinen guten Willen und klugen Rat. Ich bin ein höflicher und friedsamer Vogel und würde mich gewiß gern der Ordnung fügen, die hier auf deinem Schiffe und in deinem nachdenksamen Kopfe herrscht – wenn ich es nötig hätte und darauf angewiesen wäre. Doch bedarf ich deiner Gastfreundschaft länger nicht mehr. Schon dieweil wir uns so klug miteinander besprachen – hab' ich genug gerastet und zu neuem Fluge sind meine Kräfte gesammelt. Leb' wohl.«

Und mit einem übermütigen Krählaut dehnte der bunte Vogel seine langen, schimmernden Flügel aus, schwang sich auf und flog in den blauen Abendhimmel hinaus. – –

Der Seemann war ganz verdutzt. Er wollte dem Vogel nachschauen, aber er vermochte es nicht: die Sonne blendete seine Augen. –

Da legte er den Finger an seine Nase und nachdem er heftig nachgedacht hatte, sprach er zu sich: ›merkwürdig, wie leichtfertig diese Vögel sind. – Ich denke mir aber: es wird das davon kommen, daß sie fliegen können.‹


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