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VI

In Weimar

Meine Ufer sind arm; doch höret die leisere Welle,
Führet der Strom sie vorbei, manches unsterbliche Lied.

Schiller.

Eine richtige Vorstellung vom damaligen Weimar hatte Schiller, als er seine Schritte dorthin lenkte, wohl schwerlich. Eine literarische Stadt in dem Sinne, wie ein aufstrebender Schriftsteller sie sich wünschen mochte, war Weimar nicht. Die drei literarischen Größen, Goethe, Wieland und Herder, führten im Grunde jede ein isoliertes Dasein, durch das Verständnisvolle Walten des Herzogs in ihrer Eigenart geschützt, von der Herzogin Mutter Amalia und einigen Persönlichkeiten des Hofes aufrichtig bewundert, aber in der Tiefe ihres Wirkens und Schaffens doch einsam. Wieland, ein beweglicher und gutmütiger Mann, hatte freilich viel Verkehr persönlicher Art; aber Herder lebte in strenger Zurückgezogenheit, und Goethe hatte in den letzten Jahren, bevor er nach Italien aufbrach, seinen Kreis gleichfalls auf wenige Personen beschränkt. Sieben Jahre lang hat Schiller vor den Stufen dieser uneinnehmbaren obersten Position des literarischen Deutschlands gestanden, nicht bittend, aber doch harrend, bis der Größte von jenen dreien erkannte, daß es sich zieme, Schiller an seine Seite zu ziehen, worauf dann freilich die beiden anderen in den Hintergrund treten mußten. Seinem äußeren Charakter nach war Weimar durchaus Hofstadt. Auch das war für Schiller kein günstiger Boden. Zwar hatte man ihm wohlwollend versichert, daß er es mit seinen Manieren überall wagen könne; auch vertraute er auf seinen weimarischen Ratstitel; aber er mußte sich doch sagen, daß kein einziges seiner vier Dramen ihm gerade an einem Hof besonders freudige Aufnahme verschaffen konnte. Zwar Karl August persönlich war ein Mann, der mit echter Herrschergabe jedermann gelten ließ und zu behandeln wußte; aber er war zugleich ein Monarch vom Scheitel bis zur Sohle, der seiner ganzen Umgebung den streng monarchisch-konservativen Charakter aufgeprägt hatte. Und Goethe sekundierte ihm darin vollständig. Sehr deutlich trat dies binnen kurzem beim Ausbruch der französischen Revolution hervor, als aus deutschen literarischen Kreisen so mancher zustimmende Ruf erscholl (selbst von dem alten Klopstock in Hamburg), während man sich in Weimar streng ablehnend verhielt. –

Nach alledem verlief Schillers Eintritt nicht allzu günstig. Der Herzog war augenblicklich abwesend. Zur Herzogin Amalia wurde er geladen, aber eine dauernde Beziehung spann sich nicht an; Herder empfing ihn mit kühler Höflichkeit, als einen Mann, »von dem er wußte, daß er für etwas gehalten werde«, aber ohne sich merken zu lassen, ob er etwas von seinen Schriften gelesen hätte. Wieland nahm ihn als schwäbischen Landsmann mit mehr Entgegenkommen auf und suchte ihn als Mitarbeiter für seinen »Deutschen Merkur« zu gewinnen; aber er urteilte über den »Carlos« in den Hofkreisen ungünstig und tat nichts, um Schiller mit diesen in ein engeres Verhältnis zu bringen.

In seiner eifrigen Korrespondenz mit den Dresdener Freunden läßt Schiller deutlich die wechselnden Phasen der Stimmung bei diesen Enttäuschungen erkennen. Er schwankt zwischen einem Selbstgefühl, das ihn treibt, sich ganz auf sich selbst zurückzuziehen, und dem so erklärlichen, lebhaften Wunsch, auf jene hervorragenden Personen einen guten Eindruck zu machen. Als aber die Sache völlig zur Klarheit gekommen und die Unergiebigkeit der Weimarischen Verhältnisse Schiller zweifellos geworden war, da weist er auch alles Zagen oder Klagen weit von sich und faßt sich mit männlicher Sicherheit. Er verzichtet sogar auf eine Vorstellung bei dem Herzog, der eben von einem preußischen Kommando zurückkehrte; er wollte nichts für sich erbitten. »Das Resultat aller meiner hiesigen Erfahrungen«, schreibt er an Huber, »ist, daß ich meine Armut erkenne, aber meinen Geist höher anschlage als bisher geschehen war......Ich habe viel Arbeit vor mir, um zu meinem Ziele zu gelangen, aber ich scheue sie nicht mehr. Mich dahin zu führen, soll kein Weg zu außerordentlich, zu seltsam für mich sein. Überlege einmal, m. L., ob es nicht unbegreiflich lächerlich wäre, aus einer feigen Furcht vor dem Ungewöhnlichen und einer unverzagten Unentschlossenheit sich um den höchsten Genuß eines denkenden Geistes, Größe, Hervorragung, Einfluß auf die Welt und Unsterblichkeit des Namens zu bringen. In welcher armseligen Proportion stehen die Befriedigungen irgend einer kleinen Begierde oder Leidenschaft gegen dieses richtig eingesehene und erreichbare Ziel? Das gestehe ich, Dir, daß ich in dieser Idee so befestigt, so vollständig durch meinen Verstand davon überzeugt bin, daß ich mit Gelassenheit mein Leben an ihre Ausführung zu setzen bereit wäre und alles, was mir nur so lieb oder weniger teuer als mein Leben ist.«

Von seinem Geist hatte Schiller im Vergleich zu Wieland und Herder höher denken lernen als bisher; aber zugleich fühlte er die »Armut«. Um sie zu überwinden, warf er sich jetzt in das Studium der Geschichte. Und gewiß war dies der richtige Weg. Da ihm das Schicksal keinen Lebensgang gewährt hatte, auf dem er Welt und Menschen in reichlicher Breite und Tiefe kennen lernen konnte, so war das historische Erkennen der naturgemäße Ersatz, der dem angeborenen Dramatiker die nötige Fülle des Stoffes zuführen und das nötige psychologische Urteil über ihn formen konnte. Freilich vermochte sich Schiller nicht als ein bloß Lernender in die Geschichte zu versenken. Seine äußere Lage zwang ihn beständig, zugleich aufnehmend und hervorbringend tätig zu sein und so seine Kräfte doppelt rasch zu verzehren. Angeleitet durch den im »Don Carlos« behandelten Stoff, vertiefte er sich jetzt in die Geschichte des »Abfalls der Niederlande«, und im Winter von 1787 auf 1788 reifte sein erstes und zweifellos bedeutendstes Geschichtswerk. Mit äußerster Konzentration und Anspannung arbeitete er daran; von der Geselligkeit zog er sich ganz zurück; selbst der getreue Körner mußte es in der Korrespondenz spüren, daß Schiller, ganz in der Arbeit lebend, zu freundschaftlichem Austausch weniger geneigt war. Schiller blieb ihm so treu, als es ihm nach seinem ganzen Wesen möglich war; aber die erste Stelle in seinem Innern nahm mehr und mehr das Bewußtsein des persönlichen Berufs und der daraus sich ergebenden Lebenspflichten ein; Freundschaft mußte dahinter zurücktreten, – ebenso auch die Liebe. Körner in seiner edlen Uneigennützigkeit lernte sich darein finden; er gewöhnte sich an »die aussetzenden Pulse« von Schillers Freundschaft, ja er fand sie in seinem Charakter notwendig, und darum nicht anders zu wünschen. Nicht so leicht wußte sich eine Liebende darein zu schicken. Charlotte von Kalb war fast der einzige Umgang Schillers in Weimar, nachdem er sich von der großen Gesellschaft abgewandt hatte. Schnell und leicht hatte sich das Verhältnis mit ihr wieder angesponnen; wenn auch ohne die Leidenschaft der Mannheimer Zeit, so doch in voller Ausschließlichkeit und reinem gegenseitigem Genügen. »Schon in der ersten Stunde,« schreibt Schiller, fühlte ich mich nicht anders, als hätte ich sie gestern verlassen; so einheimisch war mir alles an ihr, so schnell knüpfte sich jeder zerrissene Faden unseres Umgangs wieder an.« Und trotzdem mußte er gestehen, daß er mit jedem Fortschritt des Verkehrs neue überraschende und entzückende Erscheinungen in ihr entdeckte; so groß und reich sei ihr Geist. Herr von Kalb war von Weimar abwesend, und die ganze Weimarer Gesellschaft, an solche Verhältnisse gewöhnt, betrachtete Charlotte und Schiller als zusammengehörig; selbst zur Herzogin Amalia waren sie zusammen geladen. Auch in seiner schärfsten Arbeitszeit pflegte Schiller sie zweimal täglich zu besuchen. Der Plan eines dauernden Zusammenlebens wurde gefaßt. Wenn Schiller, wie er beabsichtigte, wieder nach Dresden zurückkehrte, würde auch Charlotte dahin ziehen; auch ihr Gemahl, der inzwischen aus dem Militärdienst geschieden war, sollte dort leben, aber die Beziehungen zwischen beiden so wenig stören, wie Herr von Stein die zwischen seiner Frau und Goethe störte. Wiederum aber war es wie in Mannheim die Frau, deren Gefühl lebhafter aufloderte, welche die Pläne leidenschaftlicher erfaßte. Schiller empfand gerade im Verfolg dieses engsten, beständigen Verkehrs, daß er auf sein Geistes- und Gemütsleben nicht wohltätig wirkte. An Charlotte waren die Jahre der Trennung nicht spurlos vorübergegangen. Schillers damaliges Sichlosreißen, ihre fortdauernd unglückliche Ehe hatten einen melancholischen Schleier über sie geworfen. Und der Schmerz hatte auf sie nicht stählend, sondern gleichsam auflösend gewirkt. Eine gewisse Haltlosigkeit und Unklarheit war über sie gekommen; wie in einem fortwährenden Dämmerlicht spielten ihre Phantasien. Es lag darin etwas äußerst Reizvolles; noch zehn Jahre später hat Goethe sich in ihre schwärmerischen Briefe mit Wohlgefallen vertieft, gewünscht, daß er nur immer »so fortlesen« könne; noch später hat sie Jean Paul gefesselt; aber auf niemanden hat sie eine dauernde Wirkung üben können, und in völliger Vereinsamung ist sie schließlich einem trüben Alter entgegengegangen. Und auch Schiller ging es so, daß, je mehr er in den klaren männlichen Entschlüssen, die wir kennen gelernt, erstarkte, er desto mehr in der Einwirkung Charlottens etwas Hemmendes und Lähmendes fühlte. Aber in Weimar war nichts vorhanden, was ihn dieser Einwirkung hätte entziehen können.

Nur wenig blickte Schiller damals über das Weichbild der kleinen Residenzstadt hinaus. Nach Jena war er schon zu Anfang seines Aufenthaltes einmal für einige Tage gefahren, hatte sich an dem frischen Hauch des akademischen Lebens erquickt, das ungeschlachte Studententum mit einiger Kritik betrachtet und als wertvollen Gewinn hauptsächlich die Bekanntschaft des Professors Reinhold davongetragen, eines Schwiegersohnes von Wieland und begeisterten Bekenners und Propheten der Kantischen Philosophie. Im November sah sich der fleißige Arbeiter dann doch zu einem weiteren Ausflug veranlaßt, – nach seinem ehemaligen Asyl Bauerbach bei Meiningen. Seine alte Gönnerin Frau von Wolzogen hatte ihn herzlich aufgefordert, und so sah er wiederum die ihm einst so teure, abgeschiedene Stätte, aber »sie sagte ihm nichts mehr«; er fühlte, wie er sich seit jener Zeit innerlich verändert hatte. Auch die Jugendliebe Charlotte sah er wieder, ohne aber eine Spur der früheren Neigung wieder zu empfinden. Bald darauf heiratete sie einen jungen Adligen, wobei Schiller vorher von der Mutter um seinen Rat angegangen wurde. Mit der treuen mütterlichen Freundin kam Schiller bei diesem winterlichen Besuche zum letztenmal zusammen; 1788 starb sie in noch jungen Jahren. – Mit ihrem Sohn Wilhelm war Schiller, der in der Akademie ihm um mehrere Jahre voraus gewesen war, erst auf diesem Besuch näher bekannt geworden. Nach seinem Vorschlag entschloß er sich auf der Rückreise noch zu einem Umweg über Rudolstadt, wo der junge Wolzogen seine beiden »superklugen Cousinen«, die Töchter der Frau von Lengefeld, besuchen wollte. Und so trat nun Schiller – neunundzwanzigjährig – in den Kreis, der ihn fürs Leben festhalten sollte. Die ältere der Schwestern, Karoline, war seit einigen Jahren ohne Neigung mit einem Herrn von Beulwitz verheiratet, lebte aber oft getrennt von ihm, die jüngere, Charlotte, war unvermählt. Zum drittenmal begegnen wir diesem Namen auf Schillers Lebenswege; jetzt nicht mehr als einem Irrlicht, sondern als einem mild und stetig leuchtenden Stern. Beide Schwestern zogen Schiller schon beim ersten, in ungezwungener gedankenreicher Unterhaltung hinfließenden Beisammensein mit besonders sympathischem Zauber an. Karoline war die lebhaftere, mit mehr Selbstbewußtsein schon auftretende; Lotte, sonst meist in sanfter Stille verharrend, war an diesem Abend aufgeschlossener als sonst. Keine blendende Schönheit, noch von überraschendem Geistreichtum, war sie doch eine sehr anziehende, zart vornehme Erscheinung; dabei ganz erfüllt von den ästhetischen und literarischen Interessen der Zeit. Vor ihrer Schwester zeichnete sie eine wahrhaft unergründliche Herzensgüte aus, die ihr den Gedanken, sich selbst für andere zu opfern, als einen ganz natürlichen und sogar heiteren erscheinen ließ. Und so ist sie auch Schillern eine Gattin geworden, die nichts anderes wollte und alles dafür hingab, um ihm, dem meist Kranken und nervös Reizbaren, ein Dasein zu bereiten, bei dem sein Geist noch nach Möglichkeit ungehemmt schaffen und sich auswirken konnte. Ihre Bildung verdankten beide Schwestern wesentlich sich selber, und Lotte wohl auch dem Einfluß Karolinens. Der tüchtige Vater – fürstlich rudolstädtischer Oberforstmeister – war früh gestorben, und die Mutter stand an Begabung zu weit hinter den Töchtern zurück, um sie leiten und übersehen zu können. Sie hatte eine Hofstellung, an der sie völlig Genüge fand, und wollte auch Lotte gern eine solche verschaffen; aber sie war nicht dazu gemacht, ihre Pläne mit Energie durchzusetzen. »Chère mère«, wie sie allgemein hieß (während Karoline schlechtweg »die Frau« genannt wurde), stand mehr unter der Leitung ihrer Töchter, welche diese mit Pietät, aber doch entschiedenem Selbstbewußtsein ausübten. Überhaupt lebte in den Schwestern ein deutliches Gefühl der Überlegenheit über ihren gewöhnlichen Umgangskreis; nur wenige waren davon ausgenommen und standen in einer intimeren, ganz ausschließlich gehaltenen Geistes- und Seelengemeinschaft. Auch dabei unterschieden sich aber beide voneinander; während Karoline die Freiheit des Ausdruckes liebte, welche damals in schöngeistigen Kreisen üblich war, hielt Lotte streng auf die »Decenz«; sie wurde sogar »die kleine Decenz« genannt, und sie hat ihrerseits wieder an Schiller zu rühmen gewußt, sie habe bei ihm so viel »Feinheit« im Umgang gefunden, wie bei keinem anderen Manne sonst. Goethe war der Abgott der beiden, und auch während seiner langen Abwesenheit in Italien hielten sie treulich diesen Kultus aufrecht. Eine wichtige Rolle spielte dabei Goethes Freund, Ludwig von Knebel, der in mancherlei Dingen es Goethe nachzutun suchte und in dem maßgebenden Kreise von Weimar hochangesehen war. Er widmete besonders Lotte viel Aufmerksamkeit und schien sich später sogar Hoffnung auf ihre Hand zu machen, bis Schillers Hervortreten ihn enttäuschte. Auch Frau von Stein, damals noch Goethes intimste Freundin, die auch nach Italien hin mit ihm in engster brieflicher Verbindung stand, war eine verehrte Gönnerin beider Schwestern und aufrichtig um ihr Lebensglück besorgt. Sie hatte auch auf Schiller einen höchst anziehenden Eindruck gemacht; sonst aber wurde die Neigung zum Goetheschen Kreise ein kleiner Differenzpunkt zwischen ihm und den Lengefeldschen Schwestern. Schiller hatte die unbehaglichen Empfindungen, welche ihm die Weimarer vornehme Welt erregte, auch auf den abwesenden Goethe als den eigentlich lenkenden Geist dieses Zirkels übertragen, und er sah auch Goethes Rückkehr aus Italien ohne große Erwartungen entgegen. In Knebel glaubte er auch zu erkennen, welchen unglücklichen Stempel Goethes Art dem Weimarer geistigen Leben aufgedrückt habe. Eine stolze Verachtung aller Spekulation, mit einem bis zur Affektion getriebenen Attachement an die Natur und eine Resignation in seine fünf Sinne bezeichne Goethes ganze Sekte; da suche man lieber Kräuter oder treibe Mineralogie, als daß man sich in die Ideenwelt erhebe. Schiller erkannte scharf den Gegensatz zwischen Goethes objektiver Sinnesart und seinem eigenen Subjektivismus; aber noch wußte er nicht zu würdigen, welch' reichen Gewinn er gerade aus der andersartigen Persönlichkeit des älteren Dichters für sich schöpfen konnte.

Von diesem einen Punkte abgesehen aber fühlte sich Schiller mit den Rudolstädter Schwestern ein Herz und eine Seele. Als sie zu Anfang 1788 für einige Zeit zu den Wintervergnügungen nach Weimar kamen, standen sie schon mit Schiller gegenüber der Außenwelt in einem gewissen Geheimbund, in dem sie sich das Vertrauen schenkten, rückhaltlos über andere ihre Meinungen auszutauschen. Schon damals schrieb Schiller in Lottes Stammbuch, das sie ihm zugesandt hatte, die Verse: »Ein blühend Kind, von Grazien und Scherzen umhüpft«, in denen er sie hoch über all ihre Umgebung erhebt, die ihre Reize nur von ihr empfange.

Doch hatte sein Herz damals noch nicht entschieden für Lotte gesprochen, und auch der Gedanke an eine Vermählung taucht erst in verschwommenen Umrissen auf. Beide Schwestern fesselten ihn in gleicher Weise, und in gewisser Art wirkte Karolinens geistige Reife, ihr feurig lebendiger Geist sogar stärker auf ihn ein. Dagegen hatte Lotte von Anfang an einen unauslöschlichen Eindruck erhalten, den sie als bestimmend für ihr Schicksal empfand. Die einfachen und schüchternen Billetts, die sie Schiller schreibt, lassen das doch unwillkürlich hervortreten. »Leben Sie wohl, recht wohl,« schreibt sie beim Abschied von Weimar, »und denken Sie meiner. Ich wünschte, daß es oft geschähe.« Gern übernahm sie den Auftrag, für Schiller in der Nähe von Rudolstadt eine Sommerwohnung zu mieten; er hatte sich entschlossen, dem steifen Weimarer Leben für den ganzen Sommer zu entfliehen und in möglichster Nähe der neu gewonnenen Freundinnen zu leben. Auf das bescheidene, aber lieblich gelegene Dörfchen Volkstädt fiel die Wahl. Im Mai zog Schiller dort hinaus, und bis zum August währte sein Aufenthalt. Dann aber siedelte er nach Rudolstadt über und blieb dort bis zum November. Neben eifriger und strenger Arbeit wurde dies halbe Jahr für Schiller eine Quelle reinsten und edelsten Genusses; nicht weniger aber für die Freundinnen. Noch dreißig Jahre später hat Karoline diese unvergeßliche Zeit in idealischer Verklärung geschildert: »Wie wohl war es uns, wenn wir nach einer langweiligen Kaffeevisite unserem genialen Freunde unter den schönen Bäumen des Saaleufers entgegengehen konnten! Ein Waldbach, der sich in die Saale ergießt und über den eine schmale Brücke führt, war das Ziel, wo wir ihn erwarteten. Wenn wir ihn im Schimmer der Abendröte auf uns zukommen erblickten, dann erschloß sich ein heiteres, ideales Leben unserem inneren Sinne. Hoher Ernst und anmutige, geistreiche Leichtigkeit des offenen, reinen Gemüts waren in Schillers Umgang immer lebendig, man wandelte wie zwischen den unwandelbaren Steinen des Himmels und den Blumen der Erde in seinen Gesprächen!« An dieser edlen Entfaltung von Schillers Persönlichkeit hatten freilich die Freundinnen selber gewiß großen Anteil. Unter ihrem Umgang wurde Schiller »ruhiger, klarer, seine Erscheinung wie sein Wesen anmutiger, sein Geist den phantastischen Ansichten des Lebens, die er bis dahin nicht ganz verbannen konnte, abgeneigter«. Nur äußerlichen Anteil an diesem inhaltvollen Leben nahmen die Mutter und Karolinens Gatte. Dagegen wurde Schiller durch die Schwestern in den Kreis ihrer intimen Seelenfreundschaft eingeführt, der in dem nicht allzuweit entfernten Erfurt sich zusammengefunden hatte. Dort lebte die jugendliche, geistvolle Karoline von Dacheröden mit ihrem Vater, und in engerem geistigem Verkehr mit ihr standen zwei junge Männer, Wilhelm von Humboldt und Karl von Laroche, die beide auch stille Bewerber um ihre Hand waren. Fräulein von Dacheröden wurde schnell eine verständnisvolle Vertraute von Schillers Verhältnis zu den Lengefeldschen Damen, und auch Humboldt, ihr späterer Gatte, wenn auch bei seiner großen Jugend (er zählte erst 21 Jahre) der Verkehr noch nicht die geistige Bedeutung haben konnte, die er später gewann. Als ein schützender Genius schwebte über diesem ganzen idealgesinnten Kreise ein Mann, den wir hier in ganz anderer und weit günstigerer Beleuchtung sehen als ihn uns sonst die Geschichte zeigt: der Kurmainzische Statthalter von Erfurt und Koadjutor des Erzbischofs, Karl von Dalberg. Der spätere Fürst-Primas des Rheinbundes war jedenfalls eine Persönlichkeit von geistigem und seelischem Schwung, freilich ohne die entsprechende Kraft, besonders in politischen Dingen. An Schiller hatte er schon aus der Ferne lebhaftes Interesse genommen und war hocherfreut, in dem durch Karoline, von Beulwitz ihm zugeführten Dichter nicht einen Stürmer von ungezähmter Wildheit, sondern einen Mann von gehaltenem Wesen in geistiger und gesellschaftlicher Hinsicht kennen zu lernen. Er eröffnete Schiller ernstgemeinte Aussichten auf eine günstige Stellung in seiner Umgebung, sobald er zur kurfürstlichen Würde gelangt sein werde. Diese Aussichten konnten natürlich dem Dichter und seinen Freunden ein besseres Vertrauen in die Zukunft gewähren und so auch in anderer Beziehung Schillers Chancen verbessern. Aber der »Goldschatz«, wie Dalberg nun genannt wurde, kam durch das unerwartet lange Leben seines Vorgängers erst 1802 auf den Mainzer Erzstuhl, und so wurden jene Pläne nicht verwirklicht. Immerhin gebührt ihm die Anerkennung, daß er anders als sein Mannheimer Bruder in jeder Lage so viel für Schiller getan hat, als ihm möglich war.

Von ganz anderer Bedeutung aber war, mit ganz anderer Spannung erwartet wurde das erste Zusammentreffen des aufstrebenden Schriftstellers mit dem geistigen Herrscher dieser ganzen Sphäre, mit Goethe. Am 7. September war Goethe zusammen mit Frau von Stein der Gast des Beulwitzschen Hauses in Rudolstadt. Man hoffte von dieser Begegnung viel für Schiller; man wußte nicht, daß nach der Stimmung, die Goethe mitbrachte, jede Hoffnung vergebens war. Als einen Antipoden, einen höchst verderblichen Gegner seiner Bestrebungen betrachtete der ältere Dichter den jüngeren. Schwer genug fiel es Goethe damals ohnehin, aus Italien zurückkehrend sich in Deutschland wieder einzubürgern. Für die geläuterte Kunstanschauung, die er von Rom zurückbrachte, fand er in der Heimat wenig Verständnis; seine »Iphigenie« hatte nicht viel Anklang gefunden; die formende und reinigende Arbeit, die er manchen älteren Werken zugewandt, wurde nicht gewürdigt. Dagegen sah er in der allgemeinen Schätzung hochgestiegen den Mann, der vorher in Weimar als Dichter maßloser Sturm- und Drang-Tragödien gar nicht ernstlich beachtet worden war; ja er fand ihn sogar im Begriff, sich in Weimar selber eine Stellung zu erobern, fand ihn selbst von seiner intimsten Freundin, von Charlotte von Stein, wohlwollend protegiert. Von Schillers reinem und hohem Streben wußte er nichts; auch der »Don Carlos« erweckte ihm kein Vertrauen; er war fest entschlossen, mit diesem Mann keine Gemeinschaft zu haben, und er hat auch das Seinige dazu getan, Schiller binnen einem halben Jahr auf gute Art aus Weimar fortzubringen. Natürlich zeigte er seine Gegnerschaft äußerlich nicht in anderer Art als in der vollendeten kühlen Gleichgültigkeit, die er so meisterhaft zu üben wußte. Daher empfing auch Schiller von dem ersten Zusammentreffen nicht eigentlich einen feindseligen, abstoßenden Eindruck, sondern einen erkältenden und enttäuschenden. Er sah nicht den Dichter, sondern den scharf beobachtenden Weltmann, der von Italien und den Italienern mit sicherem und durchdringendem Urteil redete. »Im ganzen genommen,« schrieb er darauf an Körner, »ist meine in der Tat große Idee von ihm nach dieser persönlichen Bekanntschaft nicht vermindert worden; aber ich zweifle, ob wir einander je sehr nahe rücken werden.« Diese leidlich objektive Stimmung aber schlug in eine heftige Verbitterung um, als wiederholte Zusammenkünfte immer die gleiche unnahbare Kälte auf Goethes Seite erkennen ließen. Die schlechte Behandlung, die Schiller persönlich erfuhr, ließ ihm den Charakter des Dichters, zu dessen Geist er hinaufsah, im schlimmsten Licht erscheinen. »Öfters um Goethe zu sein würde mich unglücklich machen... Er macht seine Existenz wohltätig kund, aber nur wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben; dies scheint mir eine konsequente und planmäßige Handlungsart, die ganz auf den höchsten Genuß der Eigenliebe kalkuliert ist. Ein solches Wesen sollten die Menschen nicht um sich herum aufkommen lassen. Mir ist er dadurch verhaßt, ob ich gleich seinen Geist von ganzem Herzen liebe und groß von ihm denke.« Elf Jahre später hat derselbe Schiller erklärt, daß er Goethe als Menschen am höchsten von allen Menschen, die er je kennen gelernt, schätze! Und Goethe hat in seinem Alter Tränen darüber vergossen, daß er sechs Jahre lang in der Nähe eines Mannes wie Schiller habe leben können, bevor er mit ihm in intime Beziehung getreten sei. Der spätere Beurteiler kann bei der durchgreifenden Verschiedenheit der individuellen Anlage sich nicht über das lang andauernde Fernbleiben verwundern; vielmehr muß er staunen und kann nicht genug preisen, daß schließlich dennoch ein so fester Bund, eine so vorurteilslos einander ergänzende Geistesgemeinschaft zwischen zwei »Geistesantipoden« möglich und wirklich geworden. Merkwürdig aber ist, daß schon bei jenem ersten Zusammentreffen ein Erzeugnis Schillers in Goethes Hände fiel, das diesen vielleicht günstiger hätte stimmen können. Wielands »Merkur« lag auf dem Tisch; Goethe sah hinein und erblickte »Die Götter Griechenlands«; er steckte das Heft darauf zu sich. Es war eine der wenigen poetischen Schöpfungen, die Schiller damals gelangen, eines der eindrucksvollsten und kräftigsten Erzeugnisse seiner Hinwendung zur Antike. Sollte sich Goethe davon nicht angezogen fühlen? Oberflächliche Betrachtung könnte das meinen; aber man braucht nur etwa die »Römischen Elegien« daneben zu halten, um zu erkennen, daß jenes Gedicht die Kluft zwischen den beiden Dichtern nicht schließen konnte. Die antike, naturhafte Gesinnung, nach welcher Schiller sich sehnte, besaß Goethe. Er hatte nicht den Glauben an Najaden, Oreaden und Dryaden nötig, um die Natur und die Stellung des Menschen in ihr nach antiker Weise zu empfinden; und wiederum Schiller wurde durch alle Versenkung in die antike Mythologie nicht zu dieser Empfindung geführt; gerade diese Sphäre dichterischen Lebens, die Natur-Innigkeit und -Einheit hat ihm in jeder Periode seines Schaffens gemangelt. Goethe mochte wohl, wenn er die »Götter Griechenlands« las, dabei denken: »Willst du stets ins Weite schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!« – Im allgemeinen durfte Schiller mit dem Interesse, daß diese seine bisher bedeutendste lyrische Dichtung erregte, wohl zufrieden sein. Sie fand warmes Lob, freilich auch scharfen Tadel. Letzteren wegen der angeblich unchristlichen Tendenz, z.B. bei dem Grafen Friedrich Stolberg, dem einstigen Freunde Goethes. Es wurde dabei aber übersehen, daß der moderne Gottesbegriff, unter dem der Dichter zu leiden erklärt, nicht eigentlich der christliche, sondern der deistische der englischen und französischen Freidenker ist. Und gerade die ursprüngliche Fassung, in der das Gedicht damals hervortrat, läßt das in den später unterdrückten oder geänderten Strophen aufs deutlichste erkennen.

»Freundlos, ohne Bruder, ohne Gleichen,
Keiner Göttin, keiner Ird'schen Sohn,
Herrscht ein andrer in des Äthers Reichen
Auf Saturnus' umgestürztem Thron.
Selig eh' sich Wesen um ihn freuten,
Selig im entvölkerten Gefild,
Sieht er in dem langen Strom der Zeiten
Ewig nur sein eignes Bild ....

Dessen Strahlen mich darniederschlagen,
Werk und Schöpfer des Verstandes, Dir
Nachzuringen gib mir Flügel, Wagen
Dich zu wägen, oder nimm von mir,
Nimm die ernste, strenge Göttin wieder,
Die den Spiegel blendend vor mir hält,
Ihre sanfte Schwester sende nieder,
Spare jene für die andre Welt!«

Die weitere Entwickelung Schillers hat gezeigt, daß er seinem ganzen Wesen nach sich mit der durch die moderne Philosophie bestimmten Auffassung der religiösen und sittlichen Probleme verwandt fühlte und mit vollem Bewußtsein an ihrer ferneren Ausgestaltung mitarbeitete. Es war nur eine kurze Abschweifung, die ihn aus dem lebendig ergriffenen Streben der Gegenwart in die Welt der Antike führte, aber eine, die für seine innere Entwickelung von höchstem Wert war, die ihn aus dem fortwährenden Zwiespalt, in dem er Geist und Natur, Ideal und Wirklichkeit zu sehen gewohnt war, zur Ahnung einer möglichen Versöhnung und harmonischen Ineinanderbildung erhob. Im »Antikensaal zu Mannheim« war ihm zuerst diese Ahnung aufgegangen; jetzt wurde sie durch die Versenkung in die griechische Poesie gefestigt. Das umfangreichste Zeugnis dieser Entwicklungsstufe, das aber an Wert nicht die »Götter Griechenlands« erreicht, ist das Lehrgedicht »Die Künstler«, das ganz und gar dieser Periode von Schillers Schaffen angehört und sich scharf von seinen späteren, zu philosophischer Klarheit und Durchbildung gelangten ästhetischen Darlegungen unterscheidet. Ein ganzes Meer von Gedanken und Empfindungen, die aus den verschiedensten Quellen entsprungen sind, wogt in den »Künstlern« durcheinander. Der Dichter ist noch nicht Herr dieses Reichtums geworden; aber er zeigt sich von dem festen Glauben beseelt, daß es schließlich die Kunst, der Dienst des Schönen sei, wodurch all diese ideal gerichteten Anschauungen und Bestrebungen in kristallner Klarheit vereinigt werden müssen. Die größte Schwierigkeit schuf dabei die Verschmelzung historischer Darstellung mit theoretischer Betrachtung, und auch heute wird Genuß und Verständnis des Gedichts hauptsächlich durch diesen Doppelcharakter erschwert. Wenn aber der Dichter im Ausdruck seiner Ideen noch nicht die harmonische Vollendung, nach der er rang, erreicht hat, so ist ihm das um so mehr in der rein ästhetischen Formgebung gelungen. Ein Strom von Wohllaut umrauscht uns; Bilder, bald von prachtvoller Majestät, bald von gefälliger Lieblichkeit ziehen an uns vorüber. Die Rhetorik Schillers zeigt sich hier schon in edler und zugleich glänzender Haltung; seine Phantasie ist sogar reicher und mannigfaltiger als in den meisten seiner späteren Ideendichtungen. Die Leichtigkeit, mit der Reim und Rhythmus sich dem Dichter zu fügen scheinen, läßt Wielands Einfluß erkennen. Aber es war ein ernstes und zähes Streben, mit dem Schiller im Winter 1788–89 sich die Vollendung der »Künstler« abrang; viele von ihm verworfene, obgleich an sich treffliche Strophen zeugen davon –; aber die Frucht war auch der Arbeit wert; Schiller stand jetzt unbedingt auch als Lyriker in erster Reihe unter den deutschen Dichtern. Dieser Erfolg ist um so mehr zu bewundern, als ja der größere Teil seiner Zeit und Kraft damals, wie wir wissen, durch wissenschaftliche oder andere prosaische Arbeit hingenommen wurde.

Auch davon wandte er einiges auf Wielands Wunsch dem »Merkur« zu. Der umfangreichste Beitrag waren die »Briefe über Don Carlos«, in denen Schiller einigen der zahlreichen Mißverständnisse entgegentrat, welche dies verwickelte, und ja auch tatsächlich nicht einheitliche Drama erfahren hatte. Er war jetzt nicht mehr von so naivem Idealismus, daß er, wie bei den »Räubern«, selbst den scharfen Kritiker des eigenen Stückes machte. Er bemühte sich eifrig und mit dialektisch scharfer Advokatenkunst jede Zwiespältigkeit zu verdecken, jeden überraschenden Sprung in der Handlung zu motivieren. Hauptsächlich und mit Recht wandte er sich gegen die unter den empfindsamen Lesern nicht seltene Meinung, er habe das Ideal der Freundschaft in dem Verhältnis von Carlos und Posa darstellen wollen. Er zeigte schlagend, wie die persönliche Empfindung für Carlos in der Seele des Marquis doch ganz und gar der politischen Schwärmerei untergeordnet ist, wie sich der Marquis sogar nicht scheut, plötzlich seine Hoffnungen von Carlos abzuwenden und auf den König selber zu setzen. Um so schwerer hatte er es dann freilich, den plötzlichen Entschluß zur Selbstaufaufopferung zu erklären, und trotz alles Scharfsinns scheiterte er daran, wenn er auch diesen nicht aus der Liebe zu Carlos ableiten wollte. Da er selbst zugestehen mußte, daß die tatsächliche Lage der Dinge von Posa durchaus nicht dies äußerste Mittel zur Rettung seiner idealen Ziele erheischte, so versuchte er die Handlungsweise rein subjektiv aus dem Charakter des Marquis abzuleiten. Aber nicht mit überzeugender Kraft; denn der mutig vorwärtsstrebende, der Zukunft vertrauende Geist dieses Mannes neigt an sich durchaus nicht dazu, die Aufgabe, der er sich verpflichtet fühlt, einem anderen abzutreten und sich selbst resigniert ihr zu entziehen. Das von jedem Leser und bei jeder Aufführung empfundene Willkürliche und Befremdende im Handeln Posas hat auch Schillers Plaidoyer nicht zu rechtfertigen vermocht.

Unter den spärlichen Beiträgen, die der Dichter sonst noch dem »Merkur« geliefert, verdient nur die psychologische Studie »Spiel des Schicksals« besondere Würdigung. Die wichtigsten Ereignisse aus dem wechselnden Leben des uns schon bekannten württembergischen Generals Rieger sind hier unter leichter Verhüllung zu einer äußerst wirkungsvollen Skizze vereinigt. Mit großer Geschicklichkeit werden dem Leser kontrastierende Bilder in schärfstem Wechsel vorgeführt, und trotz der Knappheit der Formgebung findet der Erzähler doch immer Raum, den seelischen Zustand seines Helden unter den fürchterlichen Wechselfällen, die er erfährt, zu beleuchten. Und nachdem er alles psychologisch aufs beste erklärt zu haben scheint, entläßt er uns doch am Schluß mit einer plötzlichen, ihm selbst unerklärlich scheinenden Überraschung, ähnlich wie er seine Dramen mit einer epigrammatischen Schlußwendung zu beenden liebt. –

Gern hätte Wieland den in sprühender Schaffenslust atmenden Schriftsteller ganz für seinen »Merkur« gewonnen, um dieser etwas altersschwach gewordenen Zeitschrift neue Anziehungskraft zu geben; aber Schiller ließ sich dazu nicht bewegen. Er war durch Erfahrung gewitzigt; er vertraute sein Geschick niemandem mehr an; er gab sich in niemandes Hände; er leitete selber sein Lebensschiff. Er wußte, daß auch Wieland gleich der ganzen Weimarischen maßgebenden Gesellschaft sich doch im Grunde weit über ihn erhaben dünkte. So vermied er seinerseits alles, was ihn von jenem in Abhängigkeit bringen konnte, ohne irgend mit ihm zu brechen. Er trat zugleich mit anderen Zeitschriften, besonders kritischen, in Verbindung. Und um nun seine Unabhängigkeit, besonders auch von Goethe, unwiderleglich darzutun, unterwarf er dessen beide neueste dramatische Erzeugnisse seinem kritischen Urteil. Die Rezension der »Iphigenie« (erschienen in der »Kritischen Übersicht der neuesten schönen Literatur der Deutschen«) ist unvollendet geblieben und trotz ihres großen Umfangs im ganzen doch unbedeutend. Schiller erkennt den großen Schritt an, der den Dichter des »Götz« zur »Iphigenie« hinaufgeführt hat; aber er weiß nicht viel Eigenes darüber zu sagen. Man merkt hindurch, daß ihm die antikisierende Form und zugleich auch der ganze Charakter des nicht tragischen Dramas noch fern liegt, daß er noch keine klare Stellung dazu genommen hat. Ganz anders die Rezension des »Egmont« in der Jenaer Literaturzeitung. Hier tritt der Kritiker mit dem vollen Anspruch der Überlegenheit auf, als Sachverständiger in doppelter Hinsicht, sowohl als Historiker, der eben den Abfall der Niederlande bearbeitet, wie als erfahrener und erfolgreicher Tragödiendichter. Es ist so eine Abhandlung entstanden, die zwar nicht als unparteiische Beurteilung des Stückes gelten kann, die aber in sich selbst ihre unbestreitbare Bedeutung trägt. Daß »Egmont« keine mustergültige Tragödie sei, wird jeder zugeben, und insofern hatte Schiller leichtes Spiel. Aber er leistete mehr als eine oberflächliche Aufzählung äußerlicher Mängel; er analysierte die tragische Grundlage des Stückes in einer Art, wie es kaum jemand sonst in Deutschland damals vermocht hätte. Egmont ist kein großer Charakter, dies ist sein Hauptvorwurf und sein charakteristisches Verdikt. Heroische Hauptfiguren hatte Goethe kaum je in den Mittelpunkt seiner Dichtungen gestellt, und gewiß hängt seine Abneigung gegen sie mit der geringen Eignung für das Tragische zusammen, die er selbst an sich wahrnahm. Wirklich tragisches Geschick erfährt aber nur der heroische Charakter. Das wußte Schiller, der darum auch gewiß nicht im entferntesten begriff, wie man einen Egmont überhaupt zum Helden eines Trauerspiels wählen könne. Aber freilich – Schiller verstand auch nicht, was Goethe seinem Egmont gegeben hatte, und kam dadurch zu einem ungerechten und beschränkten Urteil. Wenn er behauptete, der Charakter des historischen Egmont sei schlimm herabgedrückt worden, indem aus dem um die seinigen besorgten Familienvater ein sorglos mit der Gefahr spielender Einzelmensch gemacht sei, so übersah er ganz, welch geniale Schöpfung dieser von aller gewöhnlichen Rücksicht und Vorsicht so ganz befreite Charakter war. Für die poetische und menschliche Schönheit, welche in dieser ganz in sich selbst ruhenden, die Welt liebenden, aber nicht überschätzenden, das Leben genießenden, aber auch es zu opfern bereitwilligen Gestalt zur Erscheinung kam, hatte der in stets mühsamem Ringen gegen die Unbilden des Lebens sich behauptende Kritiker kein Verständnis. Sonst wußte er natürlich an dem Stück auch manches zu loben, besonders die historisch und ethnographisch getreuen Volksszenen: aber auch das Lob ist mit manchem Tadel gemischt, mit der Miene der Überlegenheit gespendet, und außerdem noch durch einen schlimmen persönlichen Stich verunziert: »Wer zweifelt,« ruft Schiller aus, als er die naturwahre Zeichnung Klärchens rühmt, »daß der Verfasser in einer Manier unübertrefflich sei, in der er sein eigenes Vorbild ist!« Begreiflicherweise konnte diese Rezension Goethe nicht erfreuen, wenn er auch nach Schillers Meinung »mit Achtung von ihr gesprochen« haben soll; an den Herzog schrieb er, der historische Teil des Stückes werde darin gut zergliedert; was den poetischen angehe, so dürfe der Rezensent wohl anderen etwas übrig gelassen haben. Mit der öffentlichen Meinung aber, die am »Egmont« vielerlei auszusetzen hatte, war Schiller in ganz guter Übereinstimmung; die Rezension erhöhte jedenfalls sein kritisches Ansehen bedeutend.

Neben so vielseitiger journalistischer Tätigkeit war er aber auch eifrig mit seiner eigenen Zeitschrift, der »Thalia«, beschäftigt. Zwar an eine terminweise abgemessene Arbeit vermochte er sich auch jetzt nicht zu gewöhnen, und zu einem Erscheinen der Zeitschrift in regelmäßigen Fristen kam es daher nicht; allein es erschienen doch eine Anzahl Hefte in ziemlich schneller Folge. Hier trat nun der Sänger der »Götter Griechenlands« in schroffer Abwendung von der shakespeareschen Kunst seiner Jugenddramen als Übersetzer griechischer dramatischer Dichtungen auf. Gleich Goethe eine »Iphigenie« zu dichten, dazu fühlte sich Schiller nicht imstande; zu sehr widersprach dieser Stil der inneren Tendenz seiner Persönlichkeit; aber fest entschlossen, sich selbst an ihm zu schulen und zu läutern, wandte er sich der Nachbildung zu. Der Dichter, der im »Don Carlos« nicht vermocht hatte, die Fülle seiner Kraft seinem Willen gemäß in strenge künstlerische Form zu bannen, versenkte sich nun in das bloße Studium der Form, um erst zehn Jahre später wieder zu selbständigem dramatischem Schaffen überzugehen.

Es war die »Iphigenie in Aulis« des Euripides, die er sich wählte, obgleich er selbst urteilte, daß diese Tragödie »vielleicht nicht die tadelfreieste« des Euripides sei. Vielleicht war es gerade das Schwankende, Schillernde der Charaktere, was ihn trotz der darüber ausgesprochenen Rüge an dem Stück anzog; denn durch diese Behandlung hat der griechische Dichter die Personen aus den festgezogenen Schranken der Sage herausgehoben und in die Sphäre lebendigerer Menschlichkeit hineingestellt. An der Zeichnung der Heldin rühmt Schiller auch ausdrücklich die »Mischung von Schwäche und Stärke, von Zaghaftigkeit und Heroismus« als »ein wahres und reizendes Gemälde der Natur«. In dem Ganzen bewundert er besonders den großen, beherrschenden sittlichen Gedanken, die Aufopferung der Fürstentochter für das Glück der Nation. Daher ist es auch begreiflich, daß er den Schluß, die Erzählung von der Abweisung dieses Opfers durch die Gottheit, von der wunderbaren Rettung der Iphigenie, einfach beiseite gelassen hat. Überhaupt war es ihm nicht um eine wörtliche Übersetzung zu tun. Für diese reichten auch seine griechischen Kenntnisse nicht aus, wenn er auch den Originaltext neben der lateinischen und französischen Übersetzung vor sich hatte und sich in den Anmerkungen hie und da auf ihn bezog. Er erstrebte eine poetische Umschmelzung in deutschen Geist und Ton und wählte daher auch für den Dialog den durch Nathan, Don Carlos, Iphigenie schon eingebürgerten fünffüßigen Jambus, – und für die Chöre gereimte Strophen. Legt man nicht einen Maßstab an, nach dem er sich gar nicht zu richten strebte, so wird man diese deutsche Nachdichtung wie spätere ähnliche Arbeiten Schillers trefflich gelungen finden. Besonders die Chöre zeigen eine rhythmische Feinheit und Leichtigkeit, wie sie in Schillers Lyrik selten ist. Wie heiter fließt der Hochzeitsgesang der Thetis dahin!

Wo die Becher des Nektars erklangen,
Auf des Pelion wolkigtem Kranz,
Kamen die zierlich Gelockten und schwangen
Goldene Sohlen im flüchtigen Tanz.
Mit dem melodischen Jubel der Lieder
Feierten sie der Verbundenen Glück;
Der Berg des Centauren hallte sie wieder
Pelions Wald gab sie schmetternd zurück. –

Auf die »Iphigenie« ließ Schiller noch einige Szenen aus den »Phönicierinnen« desselben Dichters folgen. Da dieses Drama die erschütternden Ereignisse im thebanischen Königshause behandelt, so galt es hier mehr Wuchtiges und Gewaltsames in der Sprache zum Ausdruck zu bringen. Auch dies ist Schiller sehr wohl gelungen, besonders die große Eingangsrede der Jokaste ist von großartiger Haltung. Eine Erinnerung an sie mag wohl der Eröffnungsrede der »Isabella« in der »Braut von Messina« zugrunde liegen. Nur wenig Gewicht legt Schiller diesmal auf die Chöre; einen Chorgesang überging er gänzlich, andere gab er in Jamben wieder. Was ihn hauptsächlich an diesem Drama angezogen hatte, war die ergreifende Schilderung der Verbannung durch Polyneikes.

»Zum Vaterland fühlt jeder sich gezogen.
Wer anders redet, Mutter, spielt mit Worten,
Und nach der Heimat stehen die Gedanken.«

Diese Worte empfand Schiller aufs innigste noch mit. Und wenn Jokaste darauf fragt:

»Sag' ist's denn wirklich ein so großes Übel
Des Vaterlandes beraubet sein?«

so kam ihm die Antwort aus voller Seele:

»Das größte,
Und größer wahrlich, als es Worte malen!«

Er hatte seit seiner Flucht noch keine Heimat wiedergefunden, weder in Mannheim, noch in Leipzig, noch in Dresden; auch nicht in Weimar. Und so wenig er auch gewohnt war, trüben Gedanken eigenen dichterischen Ausdruck zu verleihen, so kam ihm die fremde Dichtung doch wohltuend entgegen.

Schillers eigene dichterische Tätigkeit, die er freilich dieses Namens gar nicht würdigen wollte, erstreckte sich damals besonders auf den Roman »Der Geisterseher«. Wir haben schon früher dieses, in Sachsen bereits begonnenen Romans gedacht, dessen erster Teil endlich im Jahre 1789 seinen Abschluß fand. Bei diesem ersten Teil ist es dann geblieben. Man kann aus diesem einzigen Roman Schillers kaum einen Schluß darauf ziehen, was er auf diesem Gebiet wohl hätte leisten können und was er überhaupt für Anforderungen hier stellte. Denn er hatte dies Werk hauptsächlich aus äußeren Rücksichten begonnen, um für die »Thalia« einen fesselnden Lesestoff zu gewinnen, und erst das große Aufsehen, das die ersten Lieferungen machten, veranlaßte ihn allmählich, mehr mit künstlerischem Bewußtsein und innerer Anteilnahme die Arbeit weiterzuführen. Es sind zwei Hauptmotive, die sich in dem Roman verbinden; das erste, das ihm den Namen gegeben, ist das des abenteuernden Zauberkünstlers, welches durch Cagliostro damals sensationelle Berühmtheit gewonnen hatte und das auch Goethe in seinem »Groß-Kophta« verwertete. Das andere ist das schon aus »Don Carlos« wohlbekannte des mit List und Gewalt herrschenden und tötenden kirchlichen Fanatismus, wofür wohl auch Vorarbeiten des einst in Bauerbach entworfenen »Imhof« benutzt wurden. Indem beide miteinander verwebt wurden, ergab sich der interessante und spannende Vorwurf, daß ein begabter, aber leicht bestimmbarer Prinz eines souveränen Hauses aus politischen Gründen mit den Mitteln magischer Verblendung für die katholische Kirche gewonnen werden soll. Religionswechsel waren damals im württembergischen Fürstenhause nicht selten und für den schwäbischen Dichter ein Gegenstand von unmittelbarem Interesse. Im ersten Buch überwiegt die sensationelle Darstellung des zauberischen Spukes, der aber zunächst auf das Gemüt des Prinzen noch nicht die gewünschte Wirkung tut; dann werden wir auf eine psychologisch und ästhetisch höhere Stufe gehoben; in geschickt behandelter Briefform werden weit angelegte Intrigen dargestellt, die richtiger auf die Sinnesart der Hauptperson berechnet sind; nur der Schluß ist überhastet, um trotz der fragmentarischen Form den Leser doch einigermaßen befriedigt entlassen zu können. Ein höchst interessanter Abschnitt aus dem vierten Briefe dieses zweiten Buches ist von Schiller in den späteren Ausgaben unterdrückt worden; mit Recht, wenn man die Ökonomie des Ganzen ins Auge faßt – an und für sich aber sehr bedauerlicherweise, – ein philosophisches Gespräch, in welchem der Prinz den Verlust der ihm überlieferten und anerzogenen religiös-sittlichen Überzeugungen bekennt und dadurch gleichsam die Bahn für den neuen Glauben, der ihm aufgedrungen werden soll, freimacht. Die skeptischen Ansichten, die der Prinz hier entwickelt, sind wie eine Widerlegung der »Theosophie des Julius«, und es fehlt der »Raphael«, der das Zerstörte auf neuer Grundlage aufbauen könnte. Das Gespräch ist ein charakteristisches Zeugnis der Negation, bei welcher Schiller selbst nach so vielen Enttäuschungen und Erschütterungen angelangt war, und aus der ihn erst die damalige Einwirkung Kants wieder befreit hat.

In der Schilderung äußeren Lebens liefert der »Geisterseher« den ersten glänzenden Beweis für die erweiterte Weltkenntnis und die lebendige Anschauung, welche Schiller aus bloßem Bücherstudium zu gewinnen und mit denen er die Beschränktheit seiner Lebensverhältnisse zu überwinden wußte. Wie packend ist hier das Leben auf dem Markusplatz, auf den Kanälen und Inseln dargestellt! Und diese Gabe hat seitdem sich dem kümmerlich zwischen Mittel- und Süddeutschland zeitlebens eingeengten Dichter niemals versagt; sie hat ihn die schroffen Gestade des Vierwaldstädter Sees ebenso eindrucksvoll zeichnen lassen wie die öden Flächen am See Belosero. Und sie hat aus dem »Geisterseher« eine der Dichtungen geformt, die den wunderbaren Reiz Venedigs von Shakespeares Zeiten bis auf die Gegenwart in immer neuen Tönen und Bildern festgehalten und verkündigt haben. Eines der verbreitetsten Werke Schillers wurde dieser Roman auf jede erlaubte oder unerlaubte buchhändlerische Weise; auch durch allerlei Nachahmungen und Fortsetzungen.

Wahrhaft staunen müssen wir, wenn wir diese Vielfältigkeit und Vielseitigkeit der Arbeiten Schillers während der zwei Weimarer Jahre betrachten! Und noch mehr, wenn wir bedenken, daß alles dies doch nur nebensächliche Beschäftigung für ihn war, da er seine Hauptarbeit ja der Geschichte zugewendet hatte. Auf die idyllischen Dresdener Freundschaftsjahre war jetzt wahrlich eine Zeit scharfer, aufs äußerste anspannender Anstrengung gefolgt! Und auch auf dem historischen Gebiet beschränkte sich Schiller nicht auf sein Hauptwerk; daneben gab er noch aus Erwerbsrücksichten eine »Geschichte der merkwürdigsten Rebellionen und Verschwörungen« heraus, die ihm freilich nur wenig Mühe kostete; denn es war nur eine Sammlung von Übersetzungen, die ihm von Mitarbeitern geliefert wurde und die er nur einleitete und redigierte; Freund Huber und der Schwager Reinwald unterstützten ihn dabei. Schiller hatte jetzt gelernt, wie er seinen schriftstellerischen Weg machen mußte. Er hatte sich überzeugt, daß er um der äußeren Existenz willen auch manches auf sich zu nehmen hatte, wozu ihn der Geist nicht trieb. Aber er unterschied scharf zwischen solchen Dingen und seinen wesentlichen Aufgaben; er wandte auf sie möglichst wenig Mühe und Zeit, – und so unermüdlich gewissenhaft er in den Werken war, die aus dem Bewußtsein seines inneren Berufes entsprangen, so rein äußerlich, mit wegwerfender Eilfertigkeit behandelte er, was nur äußerlichen Wert hatte.

Seine volle Kraft ließ er dem »Abfall der Niederlande« zugute kommen. Dies Erstlingswerk von Schillers historischen Arbeiten ist zweifellos auch das wertvollste, weil er ihm ebenso sehr gewissenhafte Arbeit als innere Anteilnahme gewidmet hat. Das Werk erhebt sich auf dem Grunde durchaus solider Quellenstudien. Freilich hat Schiller nicht Archive durchforscht; aber er ist bis auf die ältesten darstellenden Quellen zurückgegangen, und er hat, was an authentischem Material, besonders Briefwechseln, veröffentlicht war, gewissenhaft benutzt. Dadurch ist die Darstellung wohl etwas ungleichartig geworden; sie gibt für manche Persönlichkeiten, z. B. den Präsidenten Viglius, viel Detail, während über andere, z. B. den Kardinal Granvella, mehr nur allgemeine Urteile und Schilderungen geboten werden; allein solchen aus der Ungleichheit der Quellen sich ergebenden Mängeln entgeht auch eine archivalische Darstellung nicht. Was die kritische Behandlung des Materials betrifft, so verfügte Schiller natürlich über keine diplomatische oder philologische Kritik, – auch nicht in dem Maß, als es damals schon möglich gewesen wäre; um so reichlicher dagegen fließt bei ihm der Strom psychologischer Kritik. Er ist sich beständig dessen bewußt, daß die historische Darstellung nicht die bloße Reproduktion, sondern die psychologische Durchdringung und dementsprechende Organisierung des vorliegenden Materials erheischt. Und indem auch der Leser herangezogen wird, an diesem Prozeß teilzunehmen, so entsteht eine Darstellung, deren Gedankengang uns lebhaft ergreift und ununterbrochen festhält.

An innerer Wärme kann es der Erzählung selbstredend nicht fehlen, da der Gegenstand des Autors höchste Ideale zu verfechten Gelegenheit gab. Die Freiheit der Selbstbestimmung, vor allem des geistigen Lebens wird auch hier gepriesen; die Verwerflichkeit und Nichtigkeit jedes hemmenden Druckes verkündigt. Gleich die Einleitung hat dieses Thema mit klangvollem Griffe angeschlagen: »Groß und beruhigend ist der Gedanke, daß gegen die trotzigen Anmaßungen der Fürstengewalt endlich noch eine Hilfe vorhanden ist, daß ihre berechnendsten Pläne an der menschlichen Freiheit zu Schanden werden, daß ein herzhafter Widerstand auch den gestreckten Arm eines Despoten beugen, heldenmütige Beharrung seine schrecklichen Hilfsquellen endlich erschöpfen kann.« Auf die Unparteilichkeit der Erzählung selbst aber haben diese Empfindungen viel weniger störend gewirkt, als man hätte fürchten können. Eine Schmähschrift gegen Philipp II., ein Panegyrikus auf die Niederländer ist Schillers Geschichte durchaus nicht. Der Grund dafür liegt darin, daß seine idealistische Schwärmerei wirklich echt war, daß sie ihm nicht als Vorwand diente, irgend welche Partei und ihre Bestrebungen zu verherrlichen. Was er verehrte, lag außer und über der Wirklichkeit (»Freiheit ist nur in dem Reich der Träume, und das Schöne blüht nur im Gesang«); und irgend welche vollgültige Vertreter seiner Ideale vermochte er in der empirischen Welt nirgends zu erkennen. Er verherrlicht das Walten des Geschickes, des Weltgerichts, aber nicht seine Werkzeuge; in den rebellierenden Niederländern deckt er die verschiedenartigsten, egoistischen, auch kleinlichen Motive mit unbarmherziger Schärfe auf. Seine Absicht, uns durchaus auf den Boden der Wirklichkeit zu stellen, uns mit allen natürlichen und historischen Bedingungen bekannt zu machen, läßt schon die sehr ausführliche Übersicht des früheren Zustandes der Niederlande und des spanischen Reiches deutlich erkennen. Von allen Seiten wird hier die Weltlage beleuchtet; selbst einen Überblick über das Tridentinische Konzil, der in späteren Ausgaben weggelassen ist, hat Schiller gegeben, um die kirchlichen Verhältnisse nach allen Richtungen hin klarzustellen. Wenn er weiter den Beginn der Unruhen darstellt, so idealisiert er weder den sich in der Maskerade der » gueux« gefallenden Adel noch den bilderstürmenden und kirchenzerstörenden Pöbel. Auf den phrasenhaften Führer der Gueusen, Brederode, ergießt er herben Spott; im Benehmen des glänzenden, unbeliebten Egmont weist er den Anteil, den Eitelkeit und Selbstverblendung daran haben, mit großer Schärfe nach, und charakteristisch ist, daß am meisten Anerkennung dem nüchternen, streng politischen Kopf, Wilhelm von Oranien, gezollt wird. Hätte Schiller seine Geschichte weiter in die Zeiten des eigentlichen Kampfes hineingeführt, so würde er gewiß manche Episode feurigen Opfermuts mit Wärme geschildert haben; im ganzen aber wäre er sicherlich der realpolitischen Betrachtungs- und Darstellungsweise treu geblieben.

Ein Werk wie dieses, das so glänzende schriftstellerische Vorzüge mit so viel politischer Einsicht verband, besaß die deutsche Literatur bisher noch nicht, und das wurde auch nach dem Erscheinen sogleich allgemein anerkannt. Der Erfolg war groß, der materielle wie der moralische. Schiller gelangte jetzt endlich dazu, seine äußeren Verhältnisse zu ordnen; er konnte alten Verbindlichkeiten gerecht werden und zwischen seinen Bedürfnissen und seinen Mitteln das langvermißte Gleichgewicht herstellen. Aber auch eine öffentliche, amtliche Stellung sollte dies Werk ihm erwerben. Nur auf die freie Entwickelung seines Geisteslebens bedacht, hatte Schiller nach einer solchen in den letzten Jahren nicht eigentlich gestrebt; allmählich aber erschien sie ihm doch wünschenswert, um seine bürgerliche Existenz zu festigen. Sicherlich wirkte hierbei auch der Gedanke an die ihm so teuer gewordene Lengefeldsche Familie mit. Ohne schon entschieden als Werber aufzutreten, ohne vielleicht schon auch selbst innerlich entschieden zu sein, wünschte er doch seine Stellung so zu gestalten, daß er sich nicht zu scheuen brauchte, Wünsche zu hegen und auszusprechen. Und zugleich waren auch die beiden Schwestern selber, besonders die unternehmende Karoline, für Schiller tätig. Wie man Dalberg für ihn interessiert hatte, so interessierte man für ihn auch den Herzog, der schon einmal ja dem Dichter seine Gnade bewiesen hatte. Auch Dalberg, der selbst augenblicklich nichts tun konnte, scheint bei Karl August für Schiller eingetreten zu sein. Notwendig war freilich auch Goethe zu gewinnen, dessen Gesinnung mir schon kennen. Aber Goethe konnte mit einer Anstellung, die Schiller aus Weimar entfernte und dem Weimarischen Staat keine Last auflegte, nur einverstanden sein. Es reifte der Plan, dem Verfasser des »Abfalls der Niederlande« eine besoldete, außerordentliche Professur für Geschichte in Jena zu übertragen. Schiller wurde daraufhin »sondiert« und erklärte sich bereit. Goethe setzte danach den offiziellen Vorschlag auf, in welchem er die Erwartung aussprach, daß Schiller sich in dem Fach der Geschichte »festsetzen« werde, und besonders darauf hinwies, daß »diese Acquisition ohne Aufwand« zu machen sei. Dieser letzte Umstand wurde auch in dem Weimarischen Antrag an die übrigen fürstlichen Schutzherren der Universität gebührend hervorgehoben. Noch ehe die Ernennung erfolgt war, bereute Schiller seine Zustimmung; man habe ihn übertölpelt, klagte er. Diese Anstellung werde ihm eine Menge Zeit ohne genügendes Äquivalent rauben und ihn in seiner schriftstellerischen Arbeit aufs lästigste hemmen. Man wollte ihn beruhigen, indem man nach der harmlosen Auffassung der Zeit ihm unnütze wissenschaftliche Gewissenhaftigkeit auszureden suchte. Goethe sagte mit Herablassung: »Docendo discitur«, und Körner schrieb, Schiller werde sich doch nicht um der Collegia willen mit Quellenstudien abplagen. Aber das alles zugegeben, mußte Schiller sich doch sagen, daß er nun aufhörte, ein freier Schriftsteller zu sein. »Ich denke nun bald in Staats- und Adreßkalendern als etwas Öffentliches zu prangen,« schrieb er ironisch. Das Selbstherrliche in seinem Wesen regte sich noch einmal heftig auf; der akademische Beruf erschien ihm im schlimmsten Licht. Daß er für schweres Geld sich die Magisterwürde erst erkaufen mußte, schien ihm schon erbärmlich. Seine schöne Unabhängigkeit solle ihm »ein heilloses Katheder« ersetzen? Unter »das Volk« von Professoren solle er, in das er doch nicht passe!

Indessen, die Sache war einmal im Gange, und Schillers klarer Verstand sah ihre Vorteile zu deutlich ein, um zurückzutreten. »Eine gewisse Rechtlichkeit und bürgerliche Verbindung« fand er in dieser Anstellung; er sah in ihr die erleichternde Brücke zu einer späteren besseren Vokation, die er besonders von Dalberg erwartete, wenn dieser einmal Kurfürst geworden. So trafen denn das Magisterdiplom und das Ernennungsdekret ordnungsmäßig ein; das letztere bezeichnete ihn als Professor der Philosophie, da die Geschichtsprofessur in Jena schon besetzt war. Der Abschied von Weimar fiel ihm nicht schwer; auch nicht der von Charlotte von Kalb. Aber herzlich beklagte er, daß er in Jena nur schwer Gelegenheit haben werde, die Lengefeldschen Schwestern zu sehen, die nach Weimar doch öfters zu kommen pflegten. Die ersten Ferien gelobte er ihnen und sich selber in Rudolstadt zuzubringen. Im Mai 1789, als das Sommer-Semester in Jena schon begonnen hatte, siedelte er endlich dorthin über. Und so war Schiller, der Theologie hatte studieren wollen, der zuerst Jurisprudenz und dann Medizin studiert hatte, endlich ein Professor der Philosophie geworden, der Geschichte vortragen sollte.


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