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2.

Im obern Wolftale liegt das vielbekannte Schwarzwaldbad Rippoldsau am Fuß des waldigen Kniebis, den die Deutschen des Mittelalters kräftiger Kniebutz nannten.

Oberhalb des Bades stund in den zwanziger Jahren noch das alte fürstenbergische Forsthaus, in welchem ein Revierförster residierte. Es war dies in jener Zeit ein alter, kränklicher Mann, namens Hug.

Bei ihm erschien bald nach dem oben erwähnten Staatsexamen eines Tages ein flotter, junger Jäger in Uniform und mit dem Hirschfänger gegürtet.

Er war über den Berg her vom unfernen Wittichen gekommen und stellte sich vor als: »Josef Anton Fürst, für Rippoldsau ernannter Forstadjunkt und Sohn seines Vaters, des Revierjägers in Wittichen.«

»Mit Schmerzen hab' ich auf Euch gewartet, junger Mann,« antwortete der alte Nimrod, den das Zipperlein seit Jahren plagte, und der herzlich froh war, einen Helfer zu bekommen.

»Das ist ein Hundedienst, jahraus jahrein auf dem Kniebis herumzustolpern und im Holzwald, im Kohl- und im Glaswald. Und dazu überall Frevler am Holz und am Harz, wahre Teufelskerle, die man nie erwischt.«

»Und die schönsten Rehböcke holen sie einem auch. Da möcht' der Teufel Förster und Jäger sein. Mich hat der Zorn umgebracht und der Schnee auf dem Kniebis mir das Zipperlein in die Beine hineingefroren, so daß ich jedenfalls nicht mehr lange mitmache.«

»Ich hab' drum schon lange meinem alten Freund, dem Oberforstrat von Koller, geschrieben, mir einen Adjunkten zu geben. Er meinte aber immer, ich könnte es noch allein machen. Aber diese Forsträte und Forstherren haben gut reden, die schmecken nur in den Wald, und wenn's nichts zum Jagen gibt, dann gehen sie wieder. Holz- und Harzfrevler fangen sie keine.«

»Als der Oberforstrat nun den letzten Sommer hier im Bade war, hab' ich ihn einigemal mitgenommen bei Regenwetter und ihm den Kniebis gezeigt und die von Frevlern angerissenen Fichten und die abgesägten Wurzelstöcke – da hat er's gesehen, daß eine jüngere Kraft nötig sei, und mir einen Adjunkten versprochen.«

»Gestern kam ein Schreiben von ihm, worin er mir einen schlauen und findigen Adjunkten anzeigt, und heute kommt Ihr. Also willkommen, Kollege, am Kniebis!«

»Ihr seid in der Gegend aufgewachsen und kennt unsere Gebirgsforste. Euer Großvater war ja vor dreißig Jahren noch selbst Jäger hier, und drum seid Ihr mir doppelt willkommen.«

»Herr Revierförster,« nahm nun der Adjunkt das Wort, »bleibet Sie nur daheim von heut an, i will alles b'sorge, i hab' junge Bein' und Courage wie der Teufel, Schieße kann i no nit am besten, aber des schadet nichts; denn wenn unsereiner einen Frevler zu gut trifft, ist er gleich maustot, und des will man ou nit. Und weil die Wilderer so viel Rehböck' g'holt haben, so ist's gut, wenn ich die anderen mit meiner Büchs' schone, bis ich ein besserer Schütz' bin.«

»Ihr g'fallt mir, Adjunkt,« entgegnete der Förster und schüttelte dem Redner freudig die Hand. »Aber einen Rat will ich Euch geben fürs ganze Leben; denkt im Dienst immer an das schöne Sprichwort: ›;Allzu scharf haut nit, und allzu spitzig sticht nit‹.«

So trat der Seppe-Toni sein erstes Amt an, und noch in seinen alten Tagen sprach er von dem weisen Rat, den ihm sein erster Revierförster gegeben hatte. –

Die größte Sorge des Forstadjunkts waren die Harzfrevler auf dem Kniebis.

Mitten auf der Höhe des gewaltigen Gebirgsstockes liegen zerstreut zwischen Wald und Matten die Hütten der Gemeinde Kniebis und weiter unten die der Holzwälderhöhe.

Die Leute sind blutarm in dieser rauhen Waldgegend. Die Wälder ringsum gehören »der Herrschaft«, und sie selbst haben nur ihre Strohhütten und um diese herum ein wenig Gras für ihre Kühe und Ziegen.

Ihre Armut machte sie zu Harz- und Holzdieben, und ich bin der allerletzte, der ihnen deshalb zürnt oder einen Stein auf sie wirft.

Nachts, wenn die Sternlein über dem Kniebis standen, zündeten die Kniebiser im Walde Lichtlein an, jeder Mann eins, und dann zogen sie ins Dickicht wie eine Lichterprozession, suchten die angerissenen Fichten auf und leerten deren Harzkanäle mittelst Kratzeisen, oder sie rissen neue, saftreiche Bäume an, um sie fürs Harzen vorzubereiten.

Keine Sekunde aber waren sie sicher vor den Revierjägern, die mehr denn einmal die Flüchtigen anschossen.

Das so mühsam gewonnene Harz verarbeiteten sie in stillen, unbeschrieenen Stunden zu Terpentinöl, zu Wagenschmiere, zu Pech und zu Kienruß.

Wie oft hab' ich in meiner Knabenzeit die Harzer vom Kniebis in Hasle an- oder durchfahren sehen! Sie hatten Handkarren, die sie vor sich herschoben, und auf diesen in hölzernen Kübeln ihre Ware.

Ich erinnere mich besonders an einen alten, kleinen Mann; er hieß der Schmiere-Mathes und fuhr regelmäßig einigemal im Jahre bei unserem Hause vor, stellte seinen Karren da still und verhausierte seine Artikel.

Wenn er dann in seinen ledernen Kniehosen und den langen Stiefeln in meines Vaters Wirtsstube saß, erzählte er oft vom Kniebis und seinen Herrlichkeiten. Er meinte dann, dieser Berg sei der merkwürdigste in der Welt, denn an ihm entsprängen vier wilde, stolze Flüsse: die Wolf, die Kinzig, die Rench und die Murg, und aus ihm kämen vier Gesundbrunnen: Rippoldsau, Griesbach, Peterstal und Antogast. Er enthalte Silber, und sein Eisen sei flüssig und speise die genannten Gesundbrunnen. Auf ihm wachse ferner allein in Deutschland das isländische Moos, das man bei uns sonst nirgends als in den Apotheken bekomme.

Alle Potentaten, von den alten Römern an, hätten den Kniebis gekannt und dort Schanzen aufgeworfen.

Aber auch das erzählte er, der alte Harzer, daß noch nicht lange Leute droben wohnten auf der Holzwälderhöhe und in der Gemeinde Kniebis; sein Vater sei als Kind dahin gekommen, als man im vorigen Jahrhundert »Menschen hinaufgepflanzt habe.« –

Die Kniebis-Männer und -Burschen führten ihre Harzprodukte bis hinab gen Karlsruhe durch alle Städtchen und Dörfer. Und wenn sie heimkamen, so erzählte mir im Herbst 1896 noch ein alter Mann, ließen sie aus dem unfernen Bergdorf Kaltbrunn Musikanten kommen und sich in ihrem Waldwirtshaus aufspielen zum Tanz und hatten gute Tage, bis das Geld alle war. Dann ging's wieder mit den Lichtern in den Wald, und es ward neues Harz geholt von unseres Herrgotts Fichten.

Mit diesen vielgeplagten und so selten frohen Menschen sollte der Forstadjunkt Fürst sich herumschlagen bei Wind und Wetter, im Regen und Schnee.

Dazu kamen noch die Holzdiebe, welche es namentlich auf glatte, schöne Tannen abgesehen hatten, die sich gut zu Brettern und zu Schindeln verarbeiten ließen.

Die Schindeln wurden ebenfalls »verhausiert« im Kinzigtal, die Bretter aber kamen durchs Renchtal nach Straßburg. Die Liebhaber solcher Sägeklötze wohnten aber weniger auf dem Kniebis als drunten im Renchtal.

Bevor der zukünftige Teufelsteiner im Revier war, gingen die Frevler in den finstersten Nächten und beim schlechtesten Wetter an die Arbeit; denn da, wußten sie, kommt der kranke Förster nicht, und Waldhüter gab es keine, weil der Förster die Waldhut hatte, und wenn einer oder der andere existierte, so war er aus der Gegend, also Fleisch von der Harzer Fleisch, und drum nicht so gefährlich.

Der Forstadjunkt ging aber alsbald gerade zu diesen Zeiten auf die Suche und hatte leicht finden, weil die Lichtlein der Harzer ihm den Weg zeigten. Noch das Knistern eines Reises, auf das er trat, machte die Lichtlein erlöschen, und aus war's mit dem Erwischen.

Dazu kam, daß, wenn er sie im Glaswald suchte, sie im Kohlwald harzten, und wenn er auf den Holzwald stieg, sie die Tannen am Eichelberg holten.

So ging der Harz-, Schindeln- und Bretterdiebstahl noch einige Zeit fast so stark wie bisher.

Es kam vor, daß die Renchtäler am Abend einen Stamm holten, in der Nacht versägten und am Morgen versandten, so daß, wenn der Adiunkt ihren Spuren nachging, er so gut wie nichts mehr vorfand, wenn die Sonne aufgegangen war.

Aber das Harz konnte nicht so rasch verarbeitet werden, und der Forstadjunkt war ungemein schlau im Entdecken von Harzlagern inner- und außerhalb der Hütten auf dem Kniebis.

In den Kellern und unter den Misthaufen stöberte er zentnerweise Harz auf. Manchen Sack voll des klebrigen Stoffes jagte der Seppe-Toni von Wittichen den Waldleuten auch dadurch ab, daß er ihre Gespensterfurcht benützte und Gespenst und Teufel spielte.

Traf er nachts im Walde ein- oder das anderemal einen Trupp, der auf dem Heimweg war, so verhielt er sich mäuschenstill. Er folgte den Leuten unsichtbar und warf nur von Zeit zu Zeit kleine Steinchen in die nächtlichen Wanderer. Das wurde diesen nach einiger Zeit so unheimlich, daß sie glaubten, es sei etwas Ungerades oder der leibhaftige Gottseibeiuns in der Nähe. Wenn dann der Harzwächter noch plötzlich mit einer übermächtigen Drohstimme irgend ein Geisterwort losließ, warfen die Leute ihre Säcke ab und flohen blindlings.

Ertappte er einen oder den andern an Sonntagmorgen, wo mit Vorliebe geharzt wurde, so transportierte er ihn, mit gespanntem Hahn ihm folgend, vor die Kirche drunten unterhalb des Bades, beim »Klösterle«, und da mußte er, mit seinem Harzsack beladen, stehen bleiben, bis die Leute aus dem Gottesdienst kamen und den eigenartigen Sabbatschänder sahen.

Der Harzhandel und der Bretter- und Schindeln-Export ins Unterland kamen drum zeitweilig ins Stocken.

Beliebt war so der Forstadjunkt nicht bei den Harzern und Holzdieben, und mehr denn einmal feuerten sie nächtlicherweile auf ihn und er auf sie. Aber doch taten sie an ihm Christenpflicht, als er einst auf ihrer Höhe sich zum Sterben niedergelegt hatte.

In einer Winternacht, es lag tiefer Schnee auf dem Berg, und es schneite ununterbrochen weiter, ging er am Kniebis hinauf, um ganz oben an der württembergischen Grenze, über die oft Tannenbäume weggeschleppt wurden, zu lauern.

Je höher er kam, um so tiefer ward der Schnee. Er kämpfte mit ihm, bis er erschöpft niedersank. Leise, aber mächtig fielen immer neue Flocken auf den erschöpften Mann, der sich nimmer wehrte der Todesumarmung. Da fuhr draußen auf der Landstraße der Postschlitten vorbei auf dem Weg aus dem Renchtal nach Freudenstadt. Im Schneelichte sah der Postillon etwas Menschenähnliches noch aus dem Schnee ragen. Er hält an, eilt über das Schneefeld und findet starr und leblos den Forstmann.

Er schlägt Lärm in einer Kutte, die zum Dorf Kniebis gehört, und bald sind Mannen genug da aus der Harzerkolonie, die ihren Forstwart ins Dorfwirtshaus tragen »zum krummen Schulmeister«, der, ein hinkender Mann, zugleich Wirt und Lehrer war.

Im warmen Bette erwacht der Seppe-Toni erstaunt wieder zum Leben auf. Seine Kniebiser erzählten ihm, was vorgegangen, und freuen sich, daß ihr guter Freund nicht im Schnee hat sterben müssen. Hatten die vom obersten Kniebis, die eigentlichen Kniebiser, dem Manne, der ihren Lebensfaden beschnitt, das Leben gerettet, so erwuchs dem starken Samson eine Delila bei ihren nächsten Nachbarn und Harzgenossen, bei den Holzwäldern.

Originell, wie er war und blieb, hat der zukünftige Teufelsteiner sich auch sein Weib gesucht.

Geht er da eines Tages, bald nach seiner Ankunft in Rippoldsau, vom Klösterle dem Bade zu. Unterwegs begegnen ihm die Schulkinder von der Holzwälderhöhe, um ins Klösterle hinab in die Schule zu wandern, Buben und Meidle untereinander.

Na, so erzählte er siebzig Jahre später selbst, faßte er ein großes, starkes Meidle ins Aug', etwa dreizehnjährig. In einer Zwillichtasche trug es seine Schulsachen auf dem Rücken und hatte zerrissene Strümpfe an.

Er fragt das Meidle, wem es gehöre, und erfährt, es sei »'s Schochenhansen Heli« und ihr Vater der Wirt »zur Holzwälderhöhe«. Die heirat' ich, beschloß der Seppe-Toni von Wittichen, sobald sie alt genug ist. Sie ist gesund, stark und nit hoffärtig, denn sie hat Löcher in den Strümpfen.

Und er hat Wort gehalten. Als die Heli (Helene) 18 Jahre alt war, am Katharinentag des Jahres 1835, ging der Forstadjunkt in grüner Gala und mit dem Hirschfänger angetan auf die Holzwälderhöhe und zum Schochenhans und hielt um die Heli an. Der Hans, ein armer Mann, und sein Weib sagten mit Vergnügen ja und auch die Heli, der es nie geträumt hätte, einen fürstlichen Jäger zu bekommen.

Am Abend war Katharinen-Tanz im Bad, und da erschien der junge, schöne Forstadjunkt mit der Holzwälderin und stellte sie als seine Verlobte vor.

Talauf, talab, waldaus und waldein redeten die Leute davon, daß die Heli vom Holzwald den Forstadjunkten bekomme. Doch sie war auch ein bildschönes, großes, schlankes Meidle mit antik gebogener Nase, blauen Augen und dunkelblonden Haaren.

Die Harzer im Holzwald und auf dem Kniebis aber hatten fortan keine schlechten Tage; denn wenn der Wächter auf ihre Höhe kam und im Wirtshause bei der Heli saß, so waren sie sicher, daß er ihnen nicht sobald einen Besuch machen werde.

Der Samson hatte seine Delila gefunden, und die Philister auf dem Kniebutz sägten indessen Tannen ab oder gingen den Fichten ans Harz.

Der Schochenhans war, wie gesagt, ein armer Mann, aber er pflanzte doch so viele Kartoffeln und so viel Hafer, um einige Schweine zu mästen. Und das kam dem Verlobten seiner Heli sehr zu statten; denn er litt, wie er später oft erzählte, in den Tagen vor der Verlobung manchmal Hunger.

Er war dienstlich verköstigt beim Revierjäger, und der bekam vom Rentamt Hasle für die Atzung des Unterjägers und Adjunkten ganze 60 Gulden jährlich, während dieser ebensoviel für Kleidung und 40 Gulden Verlöstigungszulage erhielt. Das war alles für die vielen nächtlichen Gänge auf den Kniebutz, in den Glaswald und in den Kohlwald.

Noch im Jahre 1890 schreibt der Teufelsteiner: »Damals hatten wir Jäger mit dem Federkiel keine, mit der 2 - 3 Meter langen Feuersteinflinte aber viele Arbeit und kleine Löhne.«

In seiner nächsten Nachbarschaft, im Bad Rippoldsau, sah er zur Sommerszeit zwar viele reiche Leute essen und trinken und lustig sein, aber er hatte allermeist nur das Zusehen.

Bisweilen kam aber seiner Mutter Bruder, der reiche Vogtsbur Harter aus dem Kaltbrunn, welcher im Bade mit dem Großherzog und dem Fürsten von Fürstenberg verkehrte, und dann gab's Wohl auch einen guten Tag für den Adjunkten, der um sechzig Gulden in die Kost gegeben war.

Als ob die Herren in Donaueschingen Wind bekommen hätten von seinen Absichten aufs Schochenhansen Heli, versetzten sie ihn, damit er näher bei den Holzdieben sei, auf den Holzwald, gaben ihm eine Hütte unweit der Heli und 240 Gulden Gehalt.

Sie ahnten aber nicht, daß die Harzer mit dieser Einrichtung sehr zufrieden waren, mehr als vorher. Selten mag auch einem Beamten eine Versetzung so günstig gekommen sein, wie dem Forstadjunkten von Rippoldsau.

Zwei Jahre hauste er im Holzwald, und so oft der Samson bei der Delila weilte, telegraphierten sich die Harzer und gingen an ihre stille Arbeit.

Der alte Jäger war längst gestorben und ein neuer an seine Stelle getreten, ein böhmischer Junker von Hetzendorf, ein fescher, lustiger Herr, den ich in seinen alten Tagen noch gar wohl kannte. Er war ein vortrefflicher Gesellschafter und überließ zur Sommerszeit, wenn die Badegäste da waren, gerne seinem Adjunkten im Holzwald die ganze Jägerei.

Indes war des Adjunkten Vater, der Revierjäger in Wittichen, alt geworden und dem beschwerlichen Revier nicht mehr gewachsen. Er trat in den Ruhestand, der alte Seppe-Toni, aber den Wald verließ er nicht nur nicht, sondern zog in eine noch größere Einöde, als Wittichen war.

Ganz hinten im Wüstenbach hatte das Kloster einst eine Viehhütte, in deren Nähe einige Häuschen von Bergknappen lagen, welche die Silbergruben »Güte Gottes« und »David« bebauten.

»In der Berb« heißt dieses Wildtal. Dorthin zog der alte Jäger Fürst. Er kaufte die Viehhütte, baute sie wohnlich um, zog mit Weib, Kind und 200 Singvögeln in die Einöde, wo er noch lebte bis zum Jahre 1851 und dem Häuschen bis zur Stunde den Namen »das Jägerhaus« hinterließ, trotzdem es längst in andern Händen ist.

Ins Kloster Wittichen aber zog Seppe-Toni, der jüngere, vom Holzwald hierher transferiert. Die Harzer und die Tannenmörder am Kniebutz sahen den jovialen, lustigen Mann ungern scheiden, denn seit er bei ihnen im Holzwald wohnte, war er, wenn auch pflichtgetreu, so doch gezähmter.

Das Wort Voltaires, die Frauen seien dazu da, um die Männer zu zähmen, ging auch auf der Holzwalderhöhe in Erfüllung. –

Noch zwei bis drei Jahrzehnte nach unseres Forstadjunkts Weggang blühte auf dem Kniebis das poetische Gewerbe der mit Lichtern in den Wald ziehenden Harzer, und dann ging es – viele arme Teufel wurden anfangs der fünfziger Jahre auch auf Staatskosten nach Amerika geliefert – mehr und mehr unter und ist heute gänzlich abhanden gekommen.

Kultur und Fortschritt haben in unserer Zeit die Lehre gegeben, daß nur das Stehlen im großen sich rentiere, Geld und Ehre bringe, im kleinen aber scharf gestraft werde und zu wenig abwerfe.

Diese Lehre ist auch ins Volk gedrungen und bis auf den Kniebis und hat hier dem Harzen ein Ende gemacht. –

Sodann sind die Menschen unserer Tage bald überall zu bequem. Sie liegen zur Winterszeit lieber auf die Ofenbank und hungern, als daß sie unter nächtlichen Strapazen Harz holen und es mühsam in die Taler hinabführen und verhausieren.

Auch die Poesie schwindet mehr und mehr im Volke und so auch die von Poesie umwobene Lichterfahrt in die dunkeln Forste am und auf dem Kniebutz. Was hier noch an alten »Harzlachen« in den Fichten der Wälder existiert, haben friedliche Renchtäler heute gepachtet und harzen sie vollends zu Tod. Neue werden keine mehr aufgemacht, weil aus Amerika billigeres Harz kommt.

Ich bedauere, daß die Harzer auf dem Schwarzwald aussterben: denn der alte sächsische Forst- und Wildmeister Hans von Flemming schreibt noch anno 1749 in seinem Buch »Der vollkommene Teutsche Jäger«, daß der Schwarzwald eigentlich Harzwald heißen sollte und die silva Hercynia bei den Römern »Harzwald« bedeutet habe. Ich meine, weil die Soldaten des Weltreichs, als sie das erstemal von der Donau her über den Kniebis marschierten, die ersten Harzer sahen und trafen, darum tauften sie den Wald silva Hercynia. Und richtig übersetzt schon vor Flemming der Lexikograph Adam Kirsch das lateinische silva Hercynia mit Harzwald.

Also die Harzer vor, sage ich, und in Schulen und in Reisebüchern dem Schwarzwald seinen rechten Namen gegeben, der da heißt: »Harzwald!«

Ich hoffe, daß in nicht allzufernen Zeiten die Amerikaner ihre Wälder ausgewüstet haben werden und kein Harz und kein Holz mehr nach Deutschland liefern können; dann wird man auch bei uns wieder harzen, und die braven Kniebutzer und Holzwälder werden wieder mit Lichtern in die Fichten ziehen und um Harz kämpfen mit verliebten Jägern. Und die Frau, die lobesame, wunderbare, die hochedle Poesie wird wieder ihren Einzug halten in den Wäldern an den Quellen der Kinzig. Das walte der Genius der Menschheit!

Bis dahin müssen die Kniebutzer mit Holzmachen und mit Schneeschaufeln ihr hartes Brot verdienen.

Noch bis heute sollen sie den alten Humor nicht verloren haben. Wenn sie im Winter die Heerstraße vom Schnee befreien und es schneit lange nimmer, so schaufeln sie den Schnee von den Dünen wieder in die Straße zurück, um dieser dann ihre Last aufs neue abzunehmen und so ihr täglich Brot zu verdienen.

Und als vor einigen Jahren der Staat ihnen Saatkartoffeln lieferte, haben sie dieselben vor der Saatzeit ruhig verspeist. –

Die Kniebutzer haben meine Sympathie auch deshalb, weil ich, über ihre Abstammung nachforschend, gefunden habe, daß unter den ersten Kolonisten auch Leute von Hasle und von Hofstetten waren, deren Geschlechtsnamen Schwendemann, Neumaier und Herr noch blühen sowohl auf dem Kniebis, als in und um Hasle.

Ihr eben erwähnter Humor deutet auch auf eine Herkunft aus der Gegend von Hasle. –

In Wittichen traf der Forstadjunkt im Kloster, wo er die elterliche Wohnung bezog, nur noch eine von den Nonnen seiner Knabenzeit, die Schwester Antonie Schmid, eine Kaltbrunnerin und die letzte ihrer Versammlung.

Sie übte noch, wie die Witticher Klosterfrauen von altersher, um Gottes Lohn das Amt eines Apothekers und bereitete alle Medizinen zu, welche die Aerzte der Gegend verschrieben. Und das Volk ringsum sah in ihr noch eine letzte Säule des Gotteshauses, das Jahrhunderte lang der Segen der Gegend war, auch in leiblicher Hinsicht.

Das Kloster hatte eigene Güter im Schwabenland, von wo alljährlich fruchtbeladene Wagen in die Einöde von Wittichen kamen und Brot brachten für alle, die Hunger hatten.

Die bald achtzigjährige Schwester Antonie, der Pfarrer Thoma, ein Schwarzwälder von Löffingen, seine Käuferin und der lebensfrohe Forstadjunkt waren Ende der dreißiger Jahre die einzigen Bewohner des Klosters, und einsam hallten die Schritte derselben durch die Gänge, und ungehört verhallten die Töne, die der Seppe-Toni an stillen Abenden seinem Waldhorn entlockte. Und niemand lauschte, wenn er voll Heimweh sang:

Ueber'm Berg, sagt er, steht der Mond, sagt er.
Und zur Hütten, sagt er, scheint er 'nein.
In der Hütten, sagt er, sitzt a Meidle, sagt er,
Möcht' so gern, sagt er, bei ihm sein!

Der Jäger hätte gerne, um dieser untröstlichen Einsamkeit zu entgehen, seine Heli heimgeführt, denn er hielt treu zu ihr trotz ihrer Armut. Doch er sollte eine Kaution stellen, die zwar nur 1000 Gulden betrug, aber weder von ihm, noch vom Schochenhans im Holzwald aufgebracht werden konnte.

Er hatte eine Besoldung von 300 Gulden und vier Klafter Holz nebst freiem Quartier; aber auf dieses Einkommen lieh ihm kein Mensch Geld, und er wollte so auch keines, denn auf einen Schuldschein hin heiraten zu können, widerstrebte ihm.

Die Schwester Antonie hielt sich in strenger Klausur, so daß der Pfarrer und der Forstadjunkt auf sich angewiesen waren und sehr bald sich anfreundeten.

Manchen Abend, wenn der Jäger aus dem Walde kam, saßen beide dem Kloster gegenüber in der ehemaligen »Schaffnei«, in welcher ein Bierwirt sich etabliert hatte, und schmiedeten Pläne für die Verheiratung des Jägers ohne Kaution.

Der Pfarrer hätte sie ihm gerne gestellt, nachdem er den Biedern erkannt hatte, aber ein Leutpriester von Wittichen war zu allen Zeiten ein armer Herr, der kaum etwas mehr hatte als sein grüner Nachbar.

Eines Abends meinte der Pastor, er habe jetzt einen Plan, den er aber dem Jäger nur teilweise verraten könne. Der Seppe-Toni, so riet er, möge die Heli einstweilen als Hauserin zu sich nehmen, er, der Pfarrer, habe ja auch eine solche, und es werde drum nicht auffallen. Für das übrige, was noch fehle zum Heiraten, wolle er dann schon sorgen.

Das war dem Jägersmann gleich recht und der Heli auch. Sie kam vom Holzwald herüber und hauste mit ihrem Seppe-Toni in des Klosters düstern Hallen.

Ahnungslos ging sie nach einiger Zeit eines schönen Sonntags im Frühjahr hinüber in die Kirche in ihrer rotbebänderten Spitzenkappe, dem grünen Fürtuch und dem schwarzen »Schobe«, an ihrer Seite in Jägeruniform ihr Bräutigam.

Nach der Predigt beginnt der Pfarrer der Gemeinde zu verkünden, für welche Toten in der kommenden Woche die heilige Messe gelesen werde, und dann fuhr er fort: »Zum heiligen Sakrament der Ehe – die Gläubigen machten wie üblich eine Kniebeugung als Zeichen der Hochachtung vor diesem Sakrament – haben sich entschlossen: »Der ledige Forstadjunkt Josef Anton Fürst von hier und die ledige Helene Schmid von Rippoldsau.«

Alle Wibervölker schauten die Heli an, die rot ward wie Zinnober, und alle Mannsleute den grünen Mann, der neben dem Bürgermeister von Kaltbrunn in dem vordersten Stuhl stund. Alles staunte, denn das ging gegen alle Bäckerregeln, daß zwei in der Kirche sind, wenn man sie von der Kanzel »herabwirft«. Der Seppe-Toni war auch peinlich berührt, aber es fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, der Streich, den der Pfarrer ihm eben gespielt, könne nur aus Freundschaft gefallen sein. Dem Vetter Bürgermeister aber flüsterte er ins Ohr: »Der Pfarrer macht heute Musik vor der Kirchweih und will mir einen Streich spielen.«

Als der Pastor aus der Kirche ins Kloster zurückkehrte, kam ihm der Forstadjunkt schon entgegen und rief: »Was habt Ihr mir für Geschichten gemacht? Die Heli sitzt in der Küche und heult und briegt, Briegen und heulen bedeuten beide schwächeres oder stärkeres Weinen. daß sie und ich heute in der Kirche in Spott und Schand' gekommen seien.«

»Das hab' ich zu eurem Heile getan,« lachte der Kirchherr von Wittichen. »Jäger, kommt nur mit zur Heli!« Unter der Türe der Küche stehend, in welcher weinend die Heli auf einem alten Stuhle saß, fuhr der Pfarrer fort: »Seit Jahr und Tag wollt ihr zwei heiraten und könnt nicht, weil die Kaution fehlt. Ich helfe euch jetzt dazu, ohne Geld. Drum hab' ich euch heute ausgerufen, und morgen schreibt der Adjunkt nach Donaueschingen, was der Pfarrer ohne sein Wissen und Willen getan habe, und daß er, der Jäger, jetzt nicht mehr ledig bleiben könne, wenn er nicht ins Gespött kommen wolle. Und ich schreibe auch hinauf, daß ich so hätte tun müssen, weil ich als Seelsorger unmöglich einen jungen Jäger und ein so junges Mädchen aus dem Holzwald länger unverheiratet in der Pfarrei dulden könne.«

»Und dann hab' ich noch einen persönlichen Grund, warum ich will, daß es zur Hochzeit komme. Ich werde auf den ersten Mai versetzt, möchte aber noch bei eurer Hochzeit sein und euer junges Glück sehen.«

Der Seppe-Toni strahlte bei diesen Worten, und die Heli hatte zu weinen aufgehört und schaute versöhnt den Pfarrer an, besonders als er hinzufügte: »Wenn mein Plan nicht obsiegt, so mache ich Schulden und leg' euch die Kaution geschenkt auf den Tisch. So gewiß bin ich meiner Sache!«

Jetzt nahm der Jäger den Hut vom Kopf, schwang ihn in die Höhe und tanzte in der Küche, und die Heli lächelte.

Es ward dem Plane des Pfarrers gemäß gehandelt, und bald kam vom Oberforstrat von Koller der Bescheid, »weil mancher auch mit Wenigem bei Genügsamkeit sein Lebensglück finden könne, werde dem Forstadjunkten Fürst von und zu Wittichen der erbetene Heiratskonsens in Gnaden bewilligt.«

Jetzt kehrte Freude ein im stillen Klösterlein. Der Jäger aber sang auf seinen Waldgängen, daß es schallte, und seinem Waldhorn entlockte er die schmetterndsten Jubeltöne. Er sang auch jenes alte Lied:

Es wollte vor Zeiten ein Jäger frei'n
Und zog in den grünen Wald hinein.
Trara, trara!
Er lockt' das hohe und niedere Wild,
Die Männchen und Weibchen im grünen Gefild:
»Ihr lieben Gesellen, ach, ratet mir fein.
Wie muß mein Betragen im Ehestand sein?«

Der Jäger trieb auch einen Dachs aus dem Bau:
»Wie leb' ich zufrieden mit meiner Frau?«
Da gähnte der Dachs und strich sich den Wanst:
»Ach, schlafe, so lang' und so fest du kannst.
Denn nur, wenn man weder hört noch sieht.
Hat man vor Weibern Ruh' und Fried'.«
Trara, trara, hallo, hallo!

Am 22. April 1839 ward Hochzeit gehalten im Waldkirchlein zu Wittichen und draußen im Vortal in der Linde. Der angesehenste Gast beim Mahle war damals wohl der Onkel des Jägers, der Vogtsbur und Bürgermeister Harter von Kaltbrunn, dessen Leben ich ein andermal erzählen will und der damals auf der Höhe seiner Bauerngröße stund.

Bald nach der Hochzeit wurde der Adjunkt zum Beiförster ernannt und mit 400 Gulden Besoldung begnadigt. Er hatte bisher das Revier seines Vaters verwaltet und gehofft, Revierjäger zu werden. Zur Begründung dieser Hoffnung hatte er nach Donaueschingen berichtet, »er sei des Dafürhaltens, daß die Bäume unter ihm gerade so gut wachsen würden, wie unter einem Revierförster. Er gebe überhaupt nicht viel auf studierte Leute.«

Als diese Hoffnung zu Schanden wurde, war er aber nichts weniger als unglücklich, denn er glaubte, mit 400 Gulden, freiem Quartier und Holz flott leben zu können. Es sollte aber anders kommen, wie fast jedesmal, so oft Menschen sich eine goldene Zukunft träumen.

Tagsüber im Wald, abends in der Schaffnei beim Pfarrer, so gingen in ländlicher Urstille dem Jäger zwei Jahre nach der Hochzeit vorüber. Da ward der Forstsitz von Wittichen verlegt und mit ihm der Beiförster in eine menschenleere Einöde versetzt, eine starke Stunde vom Kloster weg auf einsame Höhe.

Hier wurde unser Seppe-Toni zum Fürsten vom Teufelstein, und hier hat er während mehr als eines halben Jahrhunderts jene wunderbare Originalität entwickelt, um derentwillen er nicht unbeschrieen versinken darf in die herkömmliche Vergessenheit.


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