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Im südlichsten Teile des von Naturschönheit erfüllten oberösterreichischen Salzkammergutes ragt über dem Markt Hallstatt und dem Hallstätter See der uralt-heilige Salzberg. In seinen Höhlen und Klüften ruht, von gebirgsbildenden Kräften emporgepreßt, das Salz jenes Urmeeres, das einst mit seichten Lagunen das Festland umgab. Seit Jahrhunderten gilt es als Menschengut und wird bergwerksmäßig gewonnen. Über dem Bergwerke liegt die Siedlung Salzberg, am Fuße des Berges kauert steingrau die Hallstatt. Von ihr zog sich um den großen See einst nur ein schmales Bergsteiglein, jetzt führt eine glatte, breite Kunststraße nach dem heute durch seine Eishöhlen berühmten Obertraun.

Die ganze Gegend ward dem Dichter dieses Büchleins lieb, Obertraun schenkte ihm 25 Sommer voll Erlebens starker natürlicher und menschlicher Eigenart. Die Entstehung der Siedlung »ob der Traun« ist geschichtswissenschaftlich nicht festgestellt, doch erfolgte sie wohl von Hallstatt aus. Das Wann und Wie steht nicht verzeichnet, es stand daher einer liebevollen Dichtung offen. Fast wie eine Persönlichkeit schuf sich der heilige Berg, dessen Salz weitum begehrt wie Gold war, das menschliche Leben auf ihm, in ihm und um ihn und regierte es. Seine geschichtlich erhobene Vergangenheit, so weit wir sie kennen, aufsteigend, versinkend und wieder erblühend, ist uns heute ein reizvolles Buch ohne viel Worte, aber voll Bildern menschlicher Arbeit und Zeugnissen einer reichen, starken und eigenartigen Kultur. Zu diesem Buche ein Blatt mehr sei diese der lieben Obertraun Im Sprachgebrauche der Einwohner weiblich: die Obertraun. und dem heiligen Salzberg gewidmete Dichtung.

*

An einem Sommertage, wie sie in manchen Sommern nur selten sind, im Sommer dieses Jahres aber zur freudigen Verwunderung aller, Pilzsucher und Regenschirmhändler ausgenommen, so häufig waren, daß man sich gar nicht erinnern konnte, dies hier auch schon früher erlebt zu haben, lag ein Mann mittleren Alters auf einem der aussichtsreichen Gipfel unseres Hochlandes. Die ganze wundersame Berg- und Talrunde, unter warmem, dunkelblauem Himmel, umgab ihn klar und fast grenzenlos. Sein Blick war zumeist nach Süd und Ost gerichtet. Da lag ihm eine ungeheure Hochfläche aus grauem Stein, mit vielen Schneeflecken, gegenüber. Sie zog weither von einem hohen, mit spitzen Gipfeln bewehrten Rande und fiel gegen Norden in Wänden und Wäldern zu dem Becken des großen Sees ab, der sich, in Licht und Schatten, tief unten weit um den Fuß des Berges wand, auf dem der Schauende lag. Im Westen, zur Rechten des Mannes, stand hochaufragend der graue, gewaltige Felsthron, von dem das ganze Bild ausging. Es war eine breitgebänderte, oben tiefgefurchte Spitze, die aus Schneegefilden wuchs und ins Blau stand. Die Schneefelder wallten in Hügeln und Mulden herab, auf denen kein Schatten ruhen blieb, als für Augenblicke der einer ziehenden Wolke; sonst schieden sich nur Sonnenlicht, gleißender Schnee oder blaßgrünes Eis in ruhigen Formen voneinander. Hinter der höchsten Spitze, von der wieder graue, scharfe oder oben abgeflachte Felsgrate nach Ost und Nord sanken, standen wieder eis- und schneegeschmückte Zinnen. Hinter diesen aber, gleichsam von anderen Ländern herkommend, schauten mächtige Eisgipfel her wie gebückte Riesen, die ein ehrwürdiges Alter und ungeheure Lasten tragen: Schnee- und Eiswächten, die ihnen die Jahrtausende auf die mächtigen Schultern gelegt haben.

Wandte der einsame Mann auf dem von jenem Gebirge weit nach Nord gerückten Gipfel das Gesicht zu Tal, so lag vor und unter ihm eine überaus liebliche Landschaft. In halber Höhe des Berges eine stattliche Siedlung wie im Schoße einer sitzenden Riesin, von unten schaute dunkeltief der schmale See herauf, der hinter sich noch ein eirundes Landbecken hat, das einst wohl auch von seinen Wassern gefüllt war. Jetzt schimmert dort Wiesengrün statt Wellenflut, nur mehr ein schmaler Fluß durchzieht das Tal und gleitet mit lichter Mündung in den blauen See. An diesem Flusse liegen, an dem untersten Hange eines hohen und steilen, über und über mit Wald bedeckten, sich weithin erstreckenden Berges, zahlreiche Häuser und Häuschen in Obsthainen und in den sanften Buchten grüner Bühel. Nahe dem See steht ein kleiner Bahnhof, zu dem von unten und obenher Gleise führen. Der Fluß ist die Traun, die kleine Ortschaft »ob der Traun« ist Obertraun.

Der Blick hinab war ein friedlicher und mit Freude sah der Mann auf dem Gipfel durch die klare Luft ins Tal. Viele Sommer schon lebte er dort unten, einfach, schlicht und weltabgeschieden unter einer treuherzigen Bevölkerung. Dankbar fühlte er dies und ließ seine Blicke liebend immer wieder über das ihm so traute Talgefild und Berggelände gleiten. Darüber sank ihm, mild von der steigenden Sonne gedrückt, das Haupt nach hinten auf den grauen Rucksack, der am Gipfelstein lehnte. Aus der tiefen Schlucht, die sich vom See in die Richtung der hohen westlichen Berghäupter zieht, tönte einschläfernd der ewige, traumvolle Sang des Gletscherstromes, der dort seinen Weg zum See findet. Um die nickenden Lider des ruhenden Wanderers gaukelten ohne Scheu zwei große, schwarz in Gelb gezeichnete Falter, die wohl die aufsteigende Luft so hoch gehoben hatte und nicht mehr zu Tal ließ; sehnten sich doch die vielen farbenprächtigen Blumen des Felsgipfels auch nach solchem Besuche. Schließlich senkte sich ein göttlicher Schlummer sacht auf die Stirne des Liegenden. Da hob sich jetzt leise neben dem Steinmanne des Gipfels eine ganz kleine Gestalt hervor, eben noch selbst wie ein Stein anzusehen, jetzt aber in menschlicher Form, zwerghaft neben dem Haupte des Schlummernden stehend. Ein felsgraues Röcklein, ein hoher und breitkrämpiger, steingrauer Spitzhut und steinfarb'ne Höslein, die unten auf schwarze, schwerderbe Bundschuhe niedergingen, kleideten ihn eintönig. Wie ein grauer Pilz ragte das Männlein neben dem Schlummernden und lächelte gutmütig auf das Menschenantlitz nieder, das wie ein kleines, furchiges Feld unter seinen Augen lag. Der Blick des winzigen Mannes, der nicht der Menschenwelt angehörte, dessen Leben mit den Bergen begann und erst mit ihnen enden kann, sank, wie es heute ja auch schon draußen, in der Menschen vielgestaltigem Treiben, dienstbare Licht- und Blitzgeister tun, tief ins Innere des schlummernden Hauptes. Aber nicht forschend und prüfend, nein, tiefgütig und spendend; liegen doch schenkendem Geiste alle Horte bereit, auch das schwebende, schwingende, Seelen durchklingende Traumgold. Jetzt saß das Männlein friedlich-klein und wie hütend neben dem Haupte des Schläfers.

Diesen aber lenkte sein Traum – –

Aufgerichtet saß er, wach und voll Jugendkraft, auf derselben uralten Zinne und sah in die Landschaft. Nicht ihrer Wunder, nicht ihres Alters bewußt, nicht seine Seele in Ruhesehnsucht mit der ihrigen tauschend, nein, nur voll kräftigen eigenen Lebens und diesem allein mit aller Macht zugewandt.

Die Landschaft selbst war nicht ganz die gleiche. Wohl all ihre großen Formen waren dieselben, aber mancherlei Kleines, voran alles menschliche Werk in ihr, war anders. Dichter war noch der schwarze, an den Bergen emporstrebende Fichtenwald, tiefer herein hingen blauweiße Eisfelder und der schöne, glänzende Seespiegel lag noch in einem viel größeren Rahmen. Im wald- und mattengrünen Schoß des Berges, auf dessen Gipfel der verwandelte Träumer saß, standen auf lichter Rodung viel braune Holzhäuser verschiedener Größe, alle jetzt durch die Entfernung klein unter ihm, und als ein weißer Streifen zog sich ein breiter Bergweg zwischen sie durch. Der junge Jäger aber, denn dies war nun der Träumer, spähte nicht um Land- und Seeschönheit ins Weite, sein Falkenaug' weilte auf einer grünhügeligen, fast baumlosen Fläche, auf der wie steinweiße Flecken weiße Rinder zerstreuten Weideganges wandelten. Auch dort standen braune Hütten und um sie gingen des Jägers Blicke. Ein Bündelchen gepflückter Blumen nahm er jetzt auf, sah die großen, weißwolligen Sterne, die ein blutroter Kranz anderer Blüten umgab, und die wie jene selbst wieder im Kreis um dicke dunkelblaue, helmförmige Blütenköpfe gebunden waren, die darüber emporstanden, – nickte wohlgefällig, band sich das kleine Bündel vorne ans offene Wams, hob den langen Speerstock vom Boden und sprang leicht in die sehnigen Knie. Noch einen Blick sandte er zu Tal, er sah seine Leute tief unten im Kar. Mit ihnen hatte er auf Gemsen gejagt und die Leute beauftragt, die erlegten Tiere einzusammeln und seiner zu harren. Er selbst war in der Wand der scharfen Rippe, die zum Gipfel führte, eben jener weißwolligen Sterne wegen emporgeklettert, hatte oben noch einiges vom Blütenreichtum des Gipfels hinzugefügt und das Ganze geordnet. Jetzt sprang er die Schrofen hinab ins trümmerreiche Kar, in dem auch noch ein mächtiger Schneeschild vom Winter her, leicht schuttüberrieselt, der Sonne standhielt. Auf dem Schnee lagen nun die erlegten Gemsen, schon weidgemäß hergerichtet, und des Jägers Gehilfen hoben die Bürden auf. Ein Tier nahm er selbst; einer der Burschen, übermütig und kraftvoll legte sich zwei der Böcke mit ihren derben, nun ineinander und an die Hörnchen geschlossenen Läufen über die Stirne. Der junge Jäger gab ihnen noch einige Anweisungen, dann sprang er, selbst leicht wie eine Gemse, den rauhen Hang abwärts, auf dem ihm die anderen gemächlicher nachfolgten. Bald hatte er, durch Wald und Büsche kommend, den schönen Almfleck erreicht, auf den er vom Gipfel geblickt hatte. Heller, jauchzender Zuruf klang ihm entgegen und er erwiderte fröhlich: »Heil Dir und frohen Tag, schöne Isa!« Er reichte der Begrüßten mit hellem Blick sein vom Wamse gelöstes Blumenbündel. »Heil und frohen Tag dem schönen Jäger,« klang es mit Lachen zurück, »wir sahen Dich schon lange. Heil Dir und Dank, freundlicher Hello!« Lachend traten sie zusammen, ein hohes, schlankes Mädchen, ums Haupt eine helle Haarkrone und goldhelles Licht in glänzenden, haselbraunen Augen. Raschher liefen zwei Mägde, grüßten und lachten dem Jäger zu und sprachen und lachten mit ihm und der Herrin. »Sechs Gemsen«, rief Hello, »bringen wir. Wie ich hörte, erwartet ihr Gäste, da braucht ihr Festbraten!« – »Ei freilich, aber« – und ein Schatten flog über das Antlitz der jungen Schönheit – »um Gäste geb' ich nichts. Mir ist die Alm hier, Glockenklang und frische Bergluft lieber, als der Metruch Ruch = Geruch. im Trinksaal und das Geschrei der trunkenen Männer.« – »Wie mir, wie mir; nichts geb' ich um süffigen Met, er macht wohl zuerst süßen, dann aber leicht auch scharfen und hässigen Mund.« – Nun kamen auch die Gesellen des Jägers und nach Lachen und Gruß zog die kleine Schar samt ihrem Führer den steilen, rötlich-steinigen Bergweg, der jetzt breit und gepflegt lief, zum größten der nun ganz stattlich aussehenden Berghäuser hinab. Es stand etwas seitwärts auf einer flachen Stufe, von der man weitum sah und auf einer Seite auch den kahlen Abfall und ein Schneefeld des hohen obersten Gebirges erblickte. Hier wurde die Jagdbeute abgegeben.

Die Tochter des Mannes, der in diesem Hause als Gebieter des ganzen Bergtales wohnte, trug oben auf der Herrenalm, der sie im Sommer vorstand, das Bündelchen der duftenden und bunten Bergblumen in ihre große, schöne Hütte und steckte es zärtlich in ein engschlündiges Krüglein. Dann trat sie noch einmal vor die Hütte und jauchzte die Kraft und Gesundheit ihrer Brust und einen heißen Druck tiefaufquellender Freude in die blaue, sonnigschwebende Mittagsluft. Es scholl glockenhell über die Breite des Berges, stieg empor und sank zu Tal, so daß auch Hello den fröhlichen Ruf noch vernahm. Er hatte seine Leute entlassen, die hier oben wohnten und ihren Hütten zustrebten. Er selbst schritt nachdenklich und langsamer als sonst den Weg abwärts und durch ein Hagtor in den unteren, hochstämmigen Wald. Von der Wache an diesem Tor war nur ein Mann anwesend, vollzählig wurde sie nur anbefohlen, wenn ein besonders zu ehrender Gast das Hochtal besuchte. Im Walde führte die Straße gleich breit bis zum See hinab. Dieser grüßte wunderbar blau durch die Buchen herauf, deren Grün die Sonne durchschien. Der Jäger, um sein Nachdenken abzuschütteln, eilte wieder rascher zu Tal und trat bald an das sonnige Seeufer. Hier führte die Straße noch immer breit und jetzt im Sommerlichte grellweiß der von hohen Gipfeln fast überwölbten Mündung des Tales zu, aus dessen Enge der Abfluß der Eisfelder mit hüpfenden Wellen zum See eilte. Der Fluß durchschnitt den grünen Anger, den er selbst einst schutthertragend geschaffen hatte, und war zugleich die Grenze des bewohnten Berg- und Talgebietes. Ferne, über dem See drüben, lag nur ein einziges, schwer sichtbares Bohlenhaus, das Haus des Jägers, der dem reichbevölkerten Berge in einem freiwilligen Dienstverhältnisse als Vorsteher der Jagd und Hege zugehörte. Der Berg, auf dem die Siedlung im Hochtale lag, war der reiche, fast heilige Hortberg, in dem die tiefen Salzlager ruhten, aus denen die Siedler da oben mit unermüdlichem Eifer die kostbare Nahrungswürze zutage förderten und weithin verfrachteten.

*

Der Jäger, der es jetzt eilig hatte, denn er strebte nach Hause und wollte unterwegs noch die Wechsel in der wildreichen Hirschau abspüren, schritt über den grünen Anger und wäre an dem weißen Steinhaus vorübergeeilt, das hier vor dem Tore der Felsenschlucht stand.

Es war ein Haus von ganz fremdartiger Bauart mit flachem Dache und einem niedlichen, spitz übergiebelten Säuleneingang. Weiter rückwärts lagen noch mehrere Bauten, aber von Holz und heimischer Art. Um das lichte Haus grünte und blühte ein Gärtchen, aus dem einige Rosenbäumchen besonders anmutig grüßten.

Jetzt traf den Jäger auch ein freundlicher Zuruf: »Oho, Hello, vorbei an uns?« Und von einem der Holzlager seitlich des Hauses schritt ein jüngerer Mann, kleiner als Hello, doch ebenmäßig gebaut und mit einem Krauskopf, der von Schwärze glänzte, zum Jäger her. Sie reichten sich die Hand, aber Hello erwiderte: »Ich hab' es eilig, ich muß noch in die Hirschau, nach den Wechseln sehen.« »Nun, ein Viertelstündchen wirst Du uns doch schenken können, der Vater tät's verübeln und gar die Julia.« – Als Hello noch zauderte, nötigte ihn der schwarzkrause Jüngling die kleine Freitreppe empor und ins Haus. Die freundliche Wohnstätte gehörte dem Salzpfleger, den das römische Kaiserreich hier eingesetzt hatte. Denn auch diese Gegenden waren, freilich mehr dem Namen und gewisser Nutznießung als dem Volkstum nach, römischer Besitz geworden, ohne Eroberung, mehr durch den Handel als durch Krieg. Hier besonders kümmerte sich Rom nur um den reichen Salzberg, den es verpachtet hatte und von dem der Salzherr überdies für die Truppen einen gebotenen Anteil unentgeltlich abgeben mußte. Die Überwachung dieser Steuer und der Verfrachtung und Versendung des Steuersalzes in die römischen Plätze und Lager hatte Valerius, der Beamte Roms, hier zu besorgen. Er war selbst ein Nordischer, der dann, kriegsgefangen, lange Jahre im römischen Heere gedient hatte und nach einer schweren Verwundung, die er weit im Osten des großen Reiches erlitten, in diese Gegend gesetzt worden war. Sein Sohn Manius und einige Knechte vom Salzberg unterstützten ihn beim Außendienste, seine Tochter Julia führte ihm das Hauswesen. Beide Kinder hatte ihm seine indessen verstorbene Gattin Tullia, eine Italikerin aus den albanischen Bergen, geboren. Nun führte Manius oder, wie er von den Einheimischen gerufen wurde, Mano den Jäger in die kleine Halle des Hauses, wo Valerius an einem hübschen Tischchen aus hiesigem Marmor saß und auf ein Wachstäfelchen schrieb. Dieses legte er nun beiseite und lud den Jäger wohlwollend ein, sich zu ihm zu setzen. Seinen Sohn wies er an, einen Trunk zu senden. Den Wein und einige Brötchen brachte die Tochter. Sie war noch sehr jung, aber doch schon von edler Haltung und hatte ein ernstes, von tiefschwarzer Haartracht umrahmtes Gesicht. Als sie den Jäger sah, wich aller Ernst aus ihren Zügen und nur Anmut und Jugend blieben zurück. Die schweren Wimpern, die sie hob, ließen Augen wie zwei dunkle Sonnen frei. Hello war allen Personen des kleinen Römerhauses ein lieber Gast und Nachbar, letzteres freilich etwas weit, über die ganze südliche Seebreite hin. Julia stellte einen kleinen Henkelkrug und zwei Becher auf das Tischchen und setzte sich auf ein Stühlchen an eines der zwei Fenster, die in den Garten sahen. Valerius war ein großer, starker Mann mit kurzem, grauem Vollbart und scharfen grauen Augen. Er fragte den jungen Jäger ums Woher, um die Jagd des Morgens, um die Herrenleute auf dem Salzberg. Von der bevorstehenden Ankunft eines Handelsverbündeten, des Erzherren aus dem Tauerngebirg', wußte er und ließ durchblicken, daß ihm der reiche, habgierige Mann, der die Kupfergruben im Salzachtale und die Goldlager im Eisgebirge besitze, keine sehr vertrauenswerte Person sei. Von ihm und seinen Leuten gab es viel unschöne Kundschaft. Auch die nördlichen Länder seien wieder voll Unruh', man wisse nie, was da für Wetter braue. Manius und Julia hörten zu und Julia stand einmal auf, um dem Vater, der zu Ende seiner Worte mit einiger Raschheit getrunken hatte, nachzuschenken. Hello trank nur ganz wenig des edlen Räterweins, den Valerius den Gästen vorsetzte, die er in seinem Hause empfing. Auch über die Andeutungen des Römers sprach er nichts mit, doch schien seine merkbare innere Versunkenheit noch etwas zuzunehmen. Als er glaubte, der freundlichen Einladung genügt zu haben, verabschiedete er sich von Valerius. Manius geleitete ihn wieder und nach kurzem Zögern kam auch Julia nach. Sie nötigte Hello noch zu einem Blick auf ihre Rosen und den kleinen Alpengarten, den sie sich mit besonderer Freude angelegt hatte. Als Hello schied, blickte sie ihm lange mit großen Traumaugen nach. Raschen Schrittes eilte er dem Walde zu, der um den breiten, dunkeltiefen Südteil des Sees herumging.

Erst gegen Abend stieg er von den Höhen der Waldung, die bis hoch hinauf unter die grauen Wände reichte, an das Ufer des Sees herab, das dem Salzberge gegenüberlag. Ein Hund schlug an und sprang ihm aus der Türe eines kleinen Blockhauses entgegen. Auf dem begrünten Strande lag ein Kahn, auf Pfählen hing ein Netz, auf der Bank vor dem Hause saß der Vater des Jägers. Den Gruß des Sohnes erwiderte er ruhig und warm und folgte bald ins Innere der Hütte. Da der Abend schön und mild war, kehrten beide nach dem kurzen Abendmahle, das sie in der Hütte eingenommen hatten, ins Freie zurück. Der Alte knüpfte noch an einem Netz herum, der Junge half mit, doch bald kamen sie in ein Gespräch über die Dinge, die dem Jüngling den Sinn umfingen. Der Vater besprach sie mit ihm und gab ihm Rat und Meinung kund, wie er es stets hielt, wenn ihn einer seiner beiden Söhne, denn Hello hatte einen etwas älteren Bruder, befragte. Der Bruder Hellos, Irmin, weilte selten unter dem Dache der heimischen Hütte. Ihn trieb ein unruhiger Geist und er zog viel in den Ländern nördlich der römischen Reichsgrenze umher. Auch der Alte war nicht in dieser Gegend geboren. Er stammte aus dem nördlichen Lande und hatte als jüngerer Mann die Tochter eines Seebauern gefreit. So nannte man die Stämme, die ihre Wohnungen auf Pfähle in die seichten Teile der großen Seen bauten, deren so viele in den Gebirgen und im ebenen Rande des Hochlandes liegen. Die stete Unruhe, die unter all den landbedürftigen, kinderreichen Völkern des Nordens herrschte, so daß sie wie treibende Eisschollen in immerwährender Bewegung waren und sich stießen, der ganze Strom zog langsam nach Süden, hatte den Stamm vertrieben und zerstreut, bei dem Oslo, so hieß der Vater Hellos, Weib und Heimat gefunden hatte. Das noch junge Weib hatte ihm die Knaben geboren, war aber dann den Beschwerden der Unrast und Not erlegen, wie sie die viele Wanderschaft, das Suchen nach neuen Wohnsitzen mit sich brachte. Oslo zog mit den zwei Knaben weiter nach Süden, er hatte sich erinnert, daß ein viel älterer Bruder von ihm auch nach Süden gezogen war und an einem See wohnen sollte, in den der seither weitbekannt gewordene Salzberg schaut. Tatsächlich fand Oslo nach mancher Irrfahrt den Bruder, der nun schon ein Greis war, hier am Salzbergsee auf herrenloser Lände hausen. Der Bruder, ein echter Nordischer, rauh, doch treuer Art, nahm ihn und die Knaben, die ihn als »Ähnl«, Großvater, ansahen, in seine Hütte auf. Der Vater der Knaben nährte das Haus mit Fischfang und einiger Jagd und auch eine Anzahl Ziegen trug das ihre bei. War der ganze herüben gelegene Seeteil und das Land um diesen auch unbesiedelt, da der Salzberg alles Volk ernährte, das auf ihm lebte und in und aus ihm schaffte und reichen Handel trieb, so erachtete sich doch der Salzherr auch als Herr des ganzen Ödlandes rings um den See. Da aber der Greis erst nachmals hier seine Hütte errichtet hatte, vorher, zu Zeiten seines langwährendkräftigen Mannesalters, als Jäger des Salzberges dem früheren Salzherren so wie nun Hello dem jetzigen verbunden war und auch recht eigentlich zur heutigen großartigen Ausbeutung des Berges durch die Auffindung der bedeutendsten, lange aber verloren gewesenen Salzquelle und des uralten, verschütteten Einganges in die reiche Unterwelt beigetragen hatte, gab ihm der Salzherr gerne das Siedlungsrecht am See und was ihm dazu an Jagd- und Fischrecht zum Lebensunterhalte notwendig war. Als ihm das Alter die beschwerliche Jagd und Hege im Hochgebirg zu verleiden begann, war er der Einladung des Salzherren, auf dem Salzberge zu bleiben, nicht gefolgt, da er es, wie er sagte, einsam haben müsse und nicht unter so viel Volk und Unruhe, gar als ein Überflüssiger, leben möchte. Nichtsdestoweniger hatte er mit eisernem Körper noch eine Zeit hindurch seinen Dienst getan, und zwar mit Erlaubnis des Salzherren unter Beihilfe des zugewanderten Bruders. Beide erzogen dann den lebhaften, frohwilligen Knaben Hello, der auch eine große Vorliebe für den Salzberg zeigte, zum Jäger. Irmin war bald hier, mithelfend, mitschaffend, bald weit im Norden unter den Stämmen des dortigen, romfreien Volkes. Allmählich besuchte er nur mehr selten das Haus am See. Als der weißhaarige Ohm, den die Buben immer noch Großvater riefen, in höchstem Alter starb, blieb sein Bruder auf dem kleinen Strandplatze als Nachfolger im Eigen und Lehen des Bruders und in der Gunst des Salzherren sitzen.

Als am Tage nach der Jagd in den Felsen des Salzberggipfels die Sonne wieder durch die Buchen schien, hatte Hello schon lange den Weg zum Salztal beschritten und erwartete oben mit dem anderen Hausgefolge des Salzherren die Ankunft des Gastes. Dreimal tönten, nach und nach je nach der Entfernung schwächer oder stärker hallend, die Rufe aus den Metallhörnern der am Wege aufgestellten Wächter den Berghang empor und endlich kündete die Wache am obersten Hagtor dreimal mit gewaltigem Stoße aus den rotleuchtenden Blechhörnern die Ankunft des Gastes. Es kamen etwa zwanzig Berittene, die jeder ein Saumtier am Zügel führten. Voran ritt auf einem starken, mit glänzendem Metallschmuck prunkhaft gezierten Reittiere der Erzherr aus den Salzachbergen. Wie der Berg, an dessen Hang er wohnte, gleich einem Schneekönig breit und hoch aufragt und in alle Ferne sichtbar ist, so war auch der Erzherr eine wuchtige, auffallende Gestalt auf seinem hohen, schweren Rosse. Ein leichter Spitzhelm mit drei bunten Pfaufedern saß auf seinem runden Haupte, das Haar schien kurz gehalten, um Wangen und Kinn zog sich ein gleichfalls kurz gehaltener Krausbart. Der kräftige Bart über seinem Munde hing in zwei starken, langen Spitzen zum Kinn herab. Dunkle, rasche Blicke zuckten wie aus Gewölk unter schwarzen Brauen voraus. Langsam ritt der Mächtige auf die versammelten Bergleute zu. Vor diesen stand jetzt Wido, der Salzherr, ein etwas älterer Mann als es der Erzherr war, in gleichfalls schöner, feierlicher Tracht. Auf dem schmalen, länglichen Haupte trug er einen ähnlichen, aber flacheren Helm, ohne viel Zierat und ohne Feder, nur in ein blankes, spitzglockiges Türmchen endigend. Am Leibe ging ein weichlederner, gelbgrüner Mantel mit breitem, reichgesticktem Saume und weiten, befransten Ärmeln herab, der, offenstehend, ein gleichfalls schönes und wertvolles, wenn auch nicht auffallendes Untergewand aus Tuch und Leder sehen ließ. Auf dieses fiel ein schöngepflegter, brauner Bart mit weißen Fäden an den Seiten brusttief herab. In der Hand trug der Bergwerksherr einen halbhohen, oben mit einem leichten Metallbeil versehenen Zierstab, während der Erzherr am breiten, gebuckelten Gürtel ein kurzes Schwert in roter Leder- und Metallscheide trug. Als der Erzherr sein Roß vor den Salzbergleuten anhielt, erhob er die schwere, reichberingte Rechte und berührte mit dem Handrücken den Stirnrand seines Helmes. Der Salzherr tat ein ähnliches und reichte dem Erzherren die Hand. Dieser stieg nun zu Boden und schritt zur Rechten des Salzherren zu den obersten Gebäuden hinan. Frauen waren bei diesem Empfange nicht zugegen, auch nicht der römische Beamte. Das Gefolge der beiden Bergherren schritt ebenfalls gemeinsam den Weg empor und während die Herren ins Haus traten, schritten die verschiedenen Bergleute und Säumer mit den Pferden zu Häusern und Schoppen, um die Frachten abzuladen und zu übernehmen. Ein leichteres Saumtier mit eigener Habe des Erzherren wurde zum obersten Berghause nachgeführt. Hello schritt, als Herr und Gast hier eingetreten waren, den Bergweg noch weiter hinan. Obwohl er wußte, daß er Isa heute nicht in ihrem Sommerheim treffen könne, freute es ihn doch, über den grünen Platz zu schreiten, auf dem die Hütte stand und wo auch jetzt die weißen Rinder weideten, die mit der schönen Herrentochter zur Alm gezogen waren. Nach kurzem Verweilen und wohligem Umblick stieg Hello noch bis über den Wald hinaus, der Wind zog ihm entgegen und es lustete den Jäger, nach Gemsen zu spüren. Für den Abend war er vom Salzherren zum Gastmahle geladen.

Im Hause des Salzherren wurde inzwischen nur ein kleiner Imbiß gereicht, der wohl dem langen Ritte des Erzherren Rechnung trug, aber im Engeren des Hauses, ohne sonstige Teilnehmer eingenommen wurde.

Am Tisch aus Zirbelholz saßen nur die beiden Bergherren und die Bewirtung leitete nicht die Tochter des Hauses, sondern nur die oberste Magd desselben. Die Mutter Isas war vor etwa Jahresfrist gestorben und ruhte im reichen Totenprunke unter dem lichten Grün des weichgewölbten Bühels, der dem Wachhaus am Eingang in die Siedlung gegenüber lag. Hüben stand eine alte mächtige Eiche, ein den Göttern geweihter Opferbaum, drüben schatteten Ahorn und Fichte mild hinter der Stätte der Toten. Die Bergherren erwarteten nach genossenem Mahle die Berichte ihrer Verwalter über Lieferung und Übernahme der mitgebrachten Erzstufen und fertiggestellten Werkzeuge und der Salzherr lobte inzwischen die schönen Geschenke, die der Erzherr ihm überreicht hatte. Ein großer, funkelnder Becher, ein prächtiger Gürtel, Armringe und schöngewundene Kleiderspangen lagen auf einem Tischchen, das vor dem Eßtische aufgestellt war. »So danke ich Dir denn, hochedler Bran Eigenname., für Deinen Besuch und für die schönen, wertvollen Geschenke. Ich bitte Dich, nachdem wir unsere Becher geleert haben werden, mein Schatzhaus zu besichtigen und Dir auszuwählen, was Dein Gemüt erfreuen könnte. Hoch lebe der Erzberg und sein Herr, den ich nun mit Freuden in meinem Hause erblicke. Mögen sich Erzberg und Salzberg wie bisher und nun um so mehr nach diesem, Deinem eigenen Besuche zu freundlichem Austausch ihrer Schätze vertragen!« Beide Männer hoben ihre Becher und senkten diese sowie ihre Häupter mit höflicher Neigung einander zu. Eben leerten sie die schlanken Trinkgefäße, als die beiden Bergverwalter eintraten, Lugaid, der Mann des Erzherren, und Rastlo, der kleine, einäugige Bergobmann des Salzherren. Trug Rastlos Antlitz mit derber Hakennase und dem starken, grauen Schnauz den Ausdruck felsentreuer Biederkeit, so erinnerte der etwas größere, dickliche Lugaid, den ein langer und breiter fuchsiger Vollbart und eine große Glatze kennzeichneten, im schnellen Blick der kleinen Augen und mit den raschwechselnden Zügen an einen wohlgezähmten und listig beweglichen Baummarder. Daß er im Freien gewöhnlich eine Mütze aus dem Felle dieses Tierchens trug, legte den Vergleich um so näher. Die Verrechnung entsprach den beiden Bergherren; der des Salzberges schlug mit seinem Messer leicht an den Trinkkrug und beauftragte die eintretende Schaffnerin, den beiden Verwaltern ebenfalls eine erfreuliche Vormittagsspende an Brot und Trank zu reichen. Sie folgten der Magd und die Bergherren begaben sich in den Schatzraum des Salzherren. Der Raum war ein helles, wohlverwahrtes Zimmer, in dem die vielen Gegenstände mit ersichtlichem Geschmacke angeordnet waren. An den Wänden Kleider, Waffen, Schilde, auf Tischchen Helme, Becher, reichgezierte metallene Spiegel, große und kleine Figuren, Götter, Menschen, Tiere darstellend, in der Mitte eine Gruppe großer Ziergefäße, meist Becken von pracht- und liebevoller Arbeit, ja einzelne von selbständiger, blühender Kunstform. Manches der kleineren bauchigen Becken war bis an den Rand mit goldenen, silbernen Münzen, Ringen und ähnlichen Kleinoden gefüllt. Der Erzherr blickte bewundernd, ja staunend und nicht ohne Begier auf den reichen Inhalt der Schatzkammer. Vom Salzherren aufgefordert, zu wählen, was ihn erfreuen möchte, bat er diesen, selbst ein kleines Geschenk zu bestimmen, und der Salzherr nahm einen der schönen grüngelben Mäntel aus weichem Gemsenfell, eine wertvolle Kappe aus Otterpelz und einen ebenso zierlichen als kräftigen Handstock von der Wand und fragte den Erzherren, ob ihm diese kleine Gegengabe, alles Werk der hiesigen Hände, einige Freude bereiten könnte. »Es sind Gegenstände des Friedens, wir sind ja keine eigentlichen Kriegsmänner, wenn auch etwas Wehr und Waffen dem Frieden nottut, sich zu schützen.« – Der Erzherr nahm die schönen Gaben dankend an; als er aber mit dem Gastfreunde aus dem Zimmer schied, umfaßte er noch einmal mit raschem Blick den ganzen wertvollen Inhalt und fühlte mit einigem Ärger, daß er auf seinem Berge gleichen, namentlich so schönen Hort nicht verwahre. Nach außen zeigte er nur ein dankendes Lächeln. Die beiden verließen das Haus und der Salzherr führte seinen Gast nun in die dunkle, geheimnisvolle Unterwelt des Berges ein, ins Reich der Arbeit und Gefahr, aus dem die Schätze des Salzberges ihren Ursprung nahmen. Die beiden Verwalter wurden mitgenommen, die Führung übernahm Rastlo, dem die oft nicht ungefährlichen Wege da unten vertraut wie seines Hauses Räume waren; die Erklärung des vielfältigen Wirkens und Gebarens in den Schächten gab der Salzherr.

*

Über Berg und Tal lag die Nacht, an der Erde ihr Dunkel, darüber die Sternenpracht. Auch das Salztal mit seinen Häusern deckte das Dunkel. Nur waren viele der Häuser und Hütten erhellt. Durch grünliche oder bläuliche Scheiben aus einer glasähnlichen Masse oder durch weiße, ganz fein geschabte Tierhäute drang das heute viel stärkere Licht des Inneren ins Dunkel heraus. Der Salzherr hatte den Abend als Fest bestimmt und dafür gesorgt, daß jeder reichlich Freikost und Trinkstoff empfing. Er selbst feierte den ihm bedeutsamen Gast im eigenen Haus. Dort waren dieser, sein Bergobmann und noch einige Mannen des Erzherren, die er selbst zu bestimmen ersucht worden war, auch der treue Rastlo und eine Anzahl der tüchtigsten Bergleute des Salzbergs geladen. Bei ihnen saß am zweiten, umfänglichen Tische auch Hello, indes der Salzherr den etwas höheren Sitz des Hauswirtes und der Erzherr den Ehrensitz zu seiner Rechten an dem nur für sie beide bestimmten Prunktische innehatten. Vor ihrem Vater stand jetzt Isa und überwachte den Dienst der Mägde. Die Tafel wurde reich beschickt; was Wirtschaft, Jagd und Fischweid an Eßkost liefern konnten, war nach aller Kunst der Zeit zubereitet und wurde vorgesetzt. Vorerst stand vor jedem Gaste nur ein kleiner Becher mit leichtestem Weine. Solange das Essen währte, wurde im Gespräch nur auf dieses Bezug genommen und man sah und hörte, daß jedermann es rühmte. Nach diesem Hauptteile des Mahles tauschten die Mägde, immer geführt von Isa, welche selbst nicht am Mahle teilnahm, die Schüsseln und es wurde nun feines Backwerk, oft in ganz lustigen Formen, Kreise, Sterne, Männlein, Weiblein, Tiere darstellend, aufgetragen, auch Waldbeeren und Honig wurden auf die Tische gestellt und wieder des leichten Weines nachgefüllt. Zugleich begann jetzt am untersten Teile des Langtisches eine sanfte, ruhige Musik zu ertönen, welche einige der jüngsten Knappen aus feinen, mit Saiten übersponnenen Metallbecken riefen, die abwechselnd durch das Spiel auf den Saiten und durch stärkeres, leichteres, rascheres oder verlangsamtes Anschlagen mit kleinen, oben kugeligen Stäbchen aus Holz, Bein oder Metall erregt wurden. Zu diesen wohllautenden und bescheidenen Klangwellen gesellte sich nun die menschliche Stimme, zuerst nur eine, bald zwei und mehr, und nach kurzem alle Stimmen der anwesenden Bergleute. Auch Hello sang in dem gedämpften, dem Raume und der Achtung vor dem festlichen Abend angepaßten Chore mit klarer Stimme seinen Anteil mit. Es waren drei Lieder, die man vortrug: ein ernstes, schweres, das dem dunklen Wesen der unterirdischen, schwach nur in Spanlicht blitzenden Stollen und Kammern, dem Schürfen und Pochen der Arbeit, dem Fall der Tropfen, dem Rauschen und Sausen in Klüften und Spalten vereinigten Ausdruck zu geben suchte und gerade in dem selbst nur mit den schwachen Leuchtmitteln jener Zeit erhellten Tafelraume zu rechter Wahrheit und Geltung kam. Darauf folgte ein Seelied, wie es zu festlicher Zeit von fackelführenden Kähnen über das nächtliche Seeweit klang, und endlich ein lustiges Jagdlied, der Jäger Heimkehr, wie es über die glockende Alm zieht und von den Schrofen oben zurückhallt. Erzherr und Hauswirt lobten und dankten und jetzt gab Isa den Mägden das Zeichen, den Festtrunk zu bringen. Mit einem prachtvollen Hochkrug erschienen zwei Mägde, andere zwei mit einem kleinen aus feiner Platte und gekreuzten Zierstäbchen gestalteten Tischchen, auf das der Weinkrug gehoben wurde. Zu ihm stellte nun die Magd zwei wertvolle Trinkbecher, indes eine andere Dienerin der Tochter des Hauses den überaus schönen Ehrenbecher übergab, den Isa füllen ließ und mit eigener Hand vor den Vater stellte. Dieser hob ihn, sich vom Sitze erhebend leicht wie zum Munde und reichte ihn dann dem Erzherren: »Heil Dir, Mächtiger, Edler; der Segen der Götter walle in Deine Lippen!« Der Erzherr, nachdem er sich gleichfalls erhoben hatte, empfing den Becher mit Würde, schwenkte ihn leicht gen den Hauswirt und zu dessen Tochter und leerte ihn dann tiefen Zuges. Auch alle anderen Geladenen hatten sich erhoben und feierten mit Zuruf und mit Trunk aus einem auch ihnen gespendeten stärkeren Borne den festlichen Augenblick. Hierauf neigte sich Isa vor Gast und Vater und verließ nach der Sitte ihres Volkes das Gastmahl. Wirt und Gast erhielten jetzt die kleineren Begleiter des Ehrenbechers gefüllt, zwei silberne Trinkschalen, jede von einem kunstvoll gebildeten Bergmännlein getragen. Die Knappen begannen wieder mit Spiel und Sang, dem Wein folgte altehrwürdiger Met in kleineren, bauchigen Krügen und in den Gesang der Bergleute fielen oft auch der Hauswirt und der vom Trunke stark erhitzte Gastfreund ein. Auch von außen scholl aus den tiefer gelegenen Häusern Gesang und Jauchzen empor, begleitet vom schweren, taktmäßigen Klatschen derber Hände, wie es das Volk der Berge noch heute von uralt her liebt. Auf ein einladendes Zeichen des Salzherren trat man auf den breiten, grüngeschmückten Söller; da leuchteten von all den Kuppen rings um den Bergschoß Freudenfeuer auf, vom Salzherren zu Ehren seines Gastes anbefohlen. Der Erzherr stimmte selbst in den Jubel der Anwesenden und der außen befindlichen Zuschauer ein und kehrte dann mit Wirt und Gästen zum Becher zurück. »Eines nur, edler Wido, vermisse ich schmerzlich,« rief er, noch beim Tische stehend, aus, »den Anblick Deiner wunderschönen Tochter, die mir wie eine Salige schien. Laß sie doch teilnehmen an unserem Abschiedstrunk, so wie sie den Eingang unseres Mahles weihte.« Der Salzherr gab nach ganz kurzem, nachdenklichem Blicke dem Wunsch des Erzherren nach und ließ gegen die Sitte der Zeit seine Tochter rufen. Alle staunten, nur Hello sah mit gefurchter Stirn in seinen mäßig benützten Trinkbecher, was niemand merkte und auch nicht hätte deuten können. Nach kurzem Erwarten trat Isa ein und fragte nach des Vaters Willen. Als sie so in Anmut und mit ruhiger Frage vor den Vater trat, bot sie wohl einer Saligen Bild. Die braunen, fragenden Augen, das natürlich-frische und doch überaus fein geschnittene Antlitz unter der bunten, schmalen Stirnbinde, die das heute ungeflochtene Goldhaar umschloß, das ihr wie ein Strahlenmantel fast bis zu den Füßen reichte, liehen ihr im eigentümlichen Halblicht des Raumes eine Erscheinung, die nicht dem Kinde eines reichen Kaufherren, eher der Tochter eines hochfürstlichen Gebieters anzugehören schien. Mit Glut und Wonne blickte Hello auf sie, aber alle Augen hingen an ihr und den beiden Bergherren. »Unser Gast wünschte Dich noch einmal zu sehen, daß Du des Abends Ende weihst, wie Du ihn eröffnet hast.« Während die Herrentochter ihrem Vater mit erstauntem Blick ins Antlitz sah, sprach der Erzherr: »Schöne Jungfrau, weih' mir den Becher, indem Du ihn mit Deinem Munde berührst, damit mein Traum in diesem Hause gesegnet sei.« Und er hielt ihr den Becher entgegen, der noch, eben gefüllt, vor ihm stand. Isa aber trat einen Schritt zurück und ohne daß ihre schöne Stirne sich furchte, aber ernsten und firnkühlen Antlitzes sprach sie zum Erzherren: »Das, mächtiger Berggebieter und meines Vaters Gast, kann ich Dir nicht erweisen. Bei Deinem Volke, weiß ich, hat solcher Brauch einen tieferen Sinn. Manche Magd wählt sich so den Herrn. Wohl gilt derlei bei uns nicht, doch schon daß eine Jungfrau beim Trunk der Männer anwesend sei, ist nicht unsere Sitte. Wir reichen nur dem Vater den gefüllten Ehrenbecher für den Gast, damit er ihn übergebe, dann ist unser Amt beim Trunk zu Ende.« – –

»Schön, schöne Isa; daß Du so stolz bist, das schmückt Dich noch mehr, aber zur Schande kann es Dir nicht gereichen, wenn Du meiner Bitte willfahrst. Und«, rief er heftiger, »wär' im Zutrunk auch der Sinn verborgen, den Du meinst – bin ich ein Knecht, an den Du Dich wegwürfest?«

»Herr und meines Vaters Gast, so kann die Rede nicht weitergehen; in unserem Volke ist solche Zwiesprach zwischen einem Manne und einer freien Jungfrau nicht gebührlich. Du mußt das ehren, was uns, nicht geehrt, in Unglimpf brächte. Meine tote Mutter, die im Hügel schläft, würde mir als strafender Geist erscheinen, wenn ich ihrer Lehren vergäße. Das Heiligste sei Dir die Scham, sie ist des Weibes Ehrenkleid, das sprach sie oft zu mir, und keinen Lufthauch dulde, der dies Kleid berührt …!« … Der Erzherr war des Weines heiß und hielt ihr nochmals und mit funkelndem Auge den Becher entgegen: »Trink!« Sie aber trat erbleichend bis an die nahe Wand zurück, nach der sie rücklings mit den Händen langte, und sprach: »Vater, schütze mich, wie Deines Amtes ist!« – Da kehrte sich des Erzherren Art und er gab der Sache eine heitere Wendung: »Wahrlich, nicht zu schützen hat Dich irgendwer,« er hatte bemerkt, daß auch die Knappen und der Jäger erregten Blickes sich erhoben hatten, »Deine Schönheit allein ist wie ein Schild aus Sonnenstrahlen. So leer' ich denn den letzten Becher ungeweiht von Deinen roten Lippen, und möge mir die Traumgöttin holder sein als Du!« – Er stürzte den Trunk hinab. Als er den Becher abstellte, war Isa aus dem Gastraum verschwunden und eine verlegene Stimmung zurückgeblieben. Nicht aber irrte sie den Erzherren. Er ergriff mit beiden Händen die Hand des Gastfreundes und schüttelte sie: »Es ist spät geworden, edler Wido; hab' Dank für dieses Abends Lust und Gaben und laß mich jetzt mein Lager finden. Was wir von unseren Geschäften noch reden wollen, sei morgen erörtert. Schlaft alle wohl«, rief er noch, wie mit freundlichstem Wunsche ringsum, auch den Knappen zu. Die Seinen schlossen sich ihm an und der Salzherr ging dem Gaste voran, ihn zur Schlafstube zu führen.

*

Des andern Morgens saßen sie beim Frühtrunke. Noch für den Vormittag hatte der Erzherr seine Abreise angekündigt. »So ist dies, teuerer Wido, mein fester Entschluß und letztes Wort. Keines von uns wird übel fahren, wenn Du zustimmst. Es hat jetzt nicht mehr Sinn, daß ich selbst mit Deiner Tochter rede. Ich bin ihr, scheint es, noch zu fremd. Du aber weißt, welchen Vorteil wir beide von unserem Handelsbunde haben, und wir könnten ihn noch sehr vermehren. Du weißt aber nun auch, daß das Volk an der Salzache mir viel näher als der weite Weg hieher, knapp an guter Straße einen neuen Salzberg angeschlagen hat. Bisher wollt' ich nicht den neuen Acker pflügen, wenn ich hier mein Korn schon in Reife fand. Bin ich Dir aber zu minder als Gatte für Deine etwas allzustolze Tochter, dann förder' ich dort den Salzbau und brauch' mein Kupfer, das ich dorthin führen kann lassen, nicht den krummen Weg zu Dir her zu säumen. Wo aber wirst Du Ersatz finden, wenn ich mein Erz Dir weigere? Wieviel Gezäh' Werkzeuge. verbraucht ein Bergmann schon an einem einzigen Tage; was wirst Du tun, wenn niemand Dir es bringt? Das überleg' Dir wohl, denn selbst das große Rom wird Dir kein Handwerkszeug schaffen, wenn mein Berg sich Dir verschließt. So wirb denn Du für mich um Deiner Tochter Hand, ich will sie zu einer reichen Herrin machen. Laß mich in Bälde Botschaft wissen, denn bei der Mondesgöttin, sie hat mir's angetan!« – Der Salzherr saß verlegen, sein Inn'res von Gedanken hin und her getrieben und aufgewühlt. »Was Du sprichst, hat Bedeutung für mich, ich will daher mit meiner Tochter reden. Doch denke nicht, daß ihr Sinn so leicht zu beugen ist. Ihre Mutter nahm ich von einem stolzen Stamme zum Weib, als mich mein Vater unseres Handels wegen viel auch nach dem Norden hinauf sandte. Und auch meinem Weibe gebot ihr Vater nicht die Wahl. Die vom Norden kommen, sind anders geartet als wir es hier sind und gar anders als Dein Volk es hält.« – »Du wirst es finden, was zu tun ist,« sprach der Erzherr hartnäckig und lieblos, »laß mich der Botschaft nicht zu lange harren!« – Er stand auf und reichte dem Salzherren die Hand. Dann trat er mit ihm außer Haus und gebot seinem Verwalter, den Aufbruch der Kupferleute anzuordnen. Mit Ehren wurden sie zum Hag geleitet, der Erzherr ritt aber ganz eilig zum See hinab, ohne sich noch einmal zum Berge zu wenden.

 

Über den Salzherren kam nun ein schweres Sorgen und Brüten. Er hatte den ganzen reichen Berg und allen damit zusammenhängenden Handel von seinem Vater übernommen, der den seit langen Zeiten verlorenen Berghort mit Hilfe des alten Jägers sozusagen wieder ganz neu aufgefunden, die uralten Stollen und Gänge befahren hatte und des Berges Adern zu neuem Leben erweckte; der dann Tag und Nacht schaffte und schuf und mit langer und schwerer Lebensmühe den Berg gleichsam wieder aufrichtete, als wäre der ganze Riesenbau, vielleicht durch eines Menschen oder Volkes Schuld, eingestürzt gewesen und hätte durch bessere Menschenhand wieder erhoben werden müssen. Der heutige Salzherr hatte wohl, sobald er nur halbwegs herangewachsen war, zuerst als Knapp' zur Tiefe und dann, nachdem er das Werk von untenauf kennengelernt, als Handelsmann in die Weite fahren müssen, vom Vater gelehrt, gelenkt und beraten. Freilich, als dann der Vater hohen Alters starb, saß der Sohn, wenn auch nie müßig, so doch im wohlgeborgenen Glück und alles ging auf sicheren Wegen, wie von selbst. Jetzt plötzlich pochte Gefahr ans stille Haus. Wohl beriet sich der Salzherr mit seinem getreuen Bergobmann und dieser sann her und hin, doch derlei Denken war ihm nicht angeboren. Auch er stand der Frage, wie man den Erzherren entbehren könne, ängstlich und hilflos gegenüber. Nach langem Wägen, um nichts zu wagen, beschloß der Salzherr, mit seiner Tochter eindringlich zu reden. Alles stellte er ihr dar, wie er ohnehin keinen Sohn habe und nicht wisse, welches ihr Los und das des Berges sein werde, wenn er einmal mit Tod abginge, wer sie dann schützen, wer den Berg verwalten würde, was der Erzherr für ein reicher und mächtiger Mann sei, wohl imstande, ihr ein prächtiges Los zu bereiten und sie und den Salzberg, den er einmal als ihr Gatte gewinnen würde, zu beschützen, zu hegen und den Berg weiter auszubauen.

Isa aber stand den Wünschen des Erzherren gegenüber eiskalt vor dem Vater und rief nur das eine gekränkten Herzens zu ihm empor: »Willst Du mich der Lust des Alten opfern? Die Götter, die dies Bergheiligtum geschaffen und dem Menschen gegeben haben, werden stärker sein als Gier und Neid und den Berg und mich durch Deine Hand schützen, wenn Du nur gesonnen bist, festzustehen. Sprich mit Valerius, Rom kann uns wohl beschirmen und wird uns auch Erz und Werkzeuge zu schaffen wissen.« Der Salzherr hörte nicht gerne von Rom. Er sah den Berg als das Erbstück seines Hauses an und stand nur ungerne auf dem Boden der Tatsache, daß Rom mit Norikum eben auch den Salzberg seinem allesverschlingenden Welthunger gewonnen habe. Isa jedoch war durch die Tochter des römischen Sachwalters mit diesem und seinem Hause in ein freundliches Einvernehmen gekommen. Die weit jüngere und selbst das Leben wie ein Blümlein die Luft suchende Julia hatte die schöne, ihr heldisch erscheinende Tochter des Bergherren leidenschaftlich liebgewonnen und Isa liebte das feurige, ihr zärtlich entgegenkommende Römerkind. Sie hatte daher die feste Absicht, wenn der Vater es nicht täte, durch Julia nach dem Rat und der Hilfe des Römers zu trachten. Der Salzherr aber entließ seine Tochter voll Unmut und in quälender Unentschiedenheit. Sie zu zwingen, hatte er nach dem Volksbrauch nicht Recht und Macht, und schützend davor stand ihm auch, lebendig im Bilde Isas, die Erinnerung an sein schönes, blütenweißes, willensstarkes Weib. Ach, daß sie nicht im Grünen läge, ihr Sinn hätte gewiß den Rat gefunden, den der Augenblick verlangte.

Derselbe Tag, an dem der Salzherr vergeblich mit seiner Tochter und allen eigenen Gedanken Zwiesprache hielt, ein trüber, verhängter Sommertag, hatte sich nach einigen um die Mittagszeit eingefallenen heftigen Windstößen, die unten rasch den blauen See zu tausend weißen Wellenhügeln aufregten, zugleich aber auch der Sonne Eingang verschafften, aus der Trübe gelöst. Warm und golden lag jetzt der abendliche Schein an den Wäldern und Wänden und auch der Hauch der schwül gewesenen Luft war mild und wohlig geworden.

Oberhalb der Herrenalm weideten die Kühe durchs Grün. Langsam zog der Schall ihrer Glocken den Hütten entgegen. Eine der Mägde, die nach den Kühen gesucht hatte, folgte jetzt von oben her; sie und die andere Magd, die bei den Almhütten wartete, trieben die Rinder in den offenstehenden Einfang und begannen das Melken. Isa, die sich sonst lebhaft an allen Geschäften beteiligte, ging wohl bis zur Einfassung, sprach aber nicht wie sonst über das heimgekommene Vieh, sondern sah nur eine Weile ganz abwesend dem täglichen Bilde zu. Nach kurzem wandte sie sich wieder zu den Hütten und saß lange unter dem kleinen Vorbau der größten unter ihnen, in der sie zu hausen pflegte. Sie schaute ernst und nachsinnend auf die Berge jenseits des Sees, deren oberste Höhen noch in einem glühen Sonnenduft lagen. Die Mägde wurden mit ihrer Arbeit fertig und trieben die Kühe zu Stall. Auf dem Steinwege, der vom oberen Berggebiet Herzog, erklang jetzt das springende Herabkommen eines Menschen, Stock und Bergschuhe klirrten und Steine kollerten. Als Isa das Haupt wandte, kam Hello ums Almhaus. Sie begrüßten sich wie stets mit warmer Freundlichkeit und Hello fragte die schöne Herrentochter nach ihrem Ergehen. Als sie etwas ausweichend antwortete, trat er ihr näher und sagte: »Es ist mir sehr lieb, Isa, Dich hier zu finden: seit dem Abende, da sich Dir der Fremde in seiner Trunkenheit so zuchtlos annäherte, bedrücken mich Grimm und Sorge. Ich weiß, ich habe kein Recht, mich in Deine und Deines Vaters Hausangelegenheiten einzumengen, aber Dir und ihm mich fremd zu stellen, vermag ich auch nicht. Dich hütet und schützt wohl Dein Vater, aber auch ich blicke mit aller Teilnahme auf Dich und alles, was Deines Hauses Wohlfahrt betrifft.« – »Sprich nur, Hello, sind wir uns doch seit meiner Kindheit, auch Du warst erst ein junger Knabe, vertraut und immer habe ich Dich, den auch meine Mutter stets lobte, zu den nächsten Unsrigen gezählt. Nun schattet eine böse Wolke über mir und diesem ganzen bisher so friedlichen Berge. Könnt' ich da eines Herzens entraten, das so stark und treu wie Deines ist? Mich fordert der begehrliche Fremde, sonst weigert er uns sein Erz und alles Gerät, das wir für den Berg brauchen. Du siehst, in solcher Not, was ist ein treues Herz mir wert! Weiß ich auch nicht, wie Du mir helfen kannst, so weiß ich doch auch ebensowenig, was die Zukunft bringt; in ihrem Dunkel aber einen hellen Wächter neben mir stehen zu wissen, macht mich mutiger.« Ernsten Blickes, wie in eine bange Zukunft sah sie ins Abendgrau. Näher trat Hello und erwiderte: »Alles, was ich Dir beteuern wollte, sprichst Du aus. Willst Du mich gebrauchen zu Dienst und Treuen, mehr als irgendwer Dir leisten mag, so steh ich fest zu Dir, auf Leben und Tod.« – »Und ich sage Dir, Hello: Eher soll der Berg vergehen, ja eher soll er mit allem, was aus und in ihm ist und mit mir selbst in den See unten stürzen, als daß ich mich dem Fremden willig zeige. Ihm Weib zu sein, davor graute mir. Meiner Mutter Hilfe habe ich angefleht, da mir der Vater zage scheint, aber nur in den Bäumen über dem Bühel säuselte der Abendhauch und Nebel umzogen mich – sie hob sich nicht aus dem Totenlager. Aber stärker als je war mir ihre Seele nahe und ich weiß, sie hätte nie gebilligt, daß mein Abscheu sich in Gunst verwandle, denn unrein, fühl' ich, ist der Fremde, zuchtlos und habgierig. Morgen will ich mit Valerius sprechen, wenn der Vater es selbst zu tun mir weigert, daß uns die Hilfe Roms vor den Drohungen des Tauernhäuptlings schütze und mit dem versorge, was er uns entziehen will.«

»Tu dies, Du folgst mutig einem reinen Sinn. Und nicht vergiß, was ich in Deine Hände gelegt habe: mein Leben zu Dienst und Treuen!« – »Nicht vergess' ich's, sei bedankt und sollt' mich alles verlassen, so folge Du meinem Rufe!« – Ergriffen stand sie auf und reichte ihm die Hand und wie vor einer Hochangesehenen beugte er sich tief und innig vor ihr. Rückblickend sah er sie noch aufrecht durchs Abenddunkel leuchten, indes ihn mehr und mehr die Nacht umgab. Nur als er beim Herrenhaus vorübereilte, leuchteten spätrot die entfernten Schneefelder herein. Am See unten lief er mit Jägerschritten an den Römerbauten vorüber, Gedanken und Empfindungen trieben ihn rasch um die schwarze, anrauschende Flut herum und glühend betrat er sein Haus. Zu überwallender Freude fand er dort seinen Bruder Irmin. Sie saßen bis tief in die Nacht hinein vor der Hütte, der Vater der beiden hatte früh sein Lager aufgesucht und Hello vertraute dem Bruder, was ihm die Seele bedrängte. Irmin lauschte mit aufmerksamer Teilnahme und als sich die Brüder endlich erhoben, legte er, der den schlanken Bruder noch um Haupteslänge überragte und in mächtiger und kriegerischer Gestalt vor ihm stand, die Hände herzlich auf die Schultern des Jüngeren und sprach: »Wir sind Brüder, Hello, Dein Blut ist mein Blut. Kommt es zu Taten zwischen dem Salzherren und dem Erzschelm, so laß es mich wissen, send' mir das Wiesel, den Weidjung, der kommt überall durch. Ich gelte nicht wenig bei den Nordischen, die ja, wie Du weißt, auch die Urväter unseres Blutes sind, eines Blutes,« fügte er stolz hinzu, »das noch unvermischt in Heldenadern braust. War Isas Mutter eine der Nordischen, so werden sie mir um so williger folgen, wenn der Tochter Gefahr droht; Rom ist nicht zuverlässig, es denkt immer nur des eigenen Vorteils. Leb' wohl, ich werde früher als Du das Haus verlassen, die Zeit ist unruhig und verlangt viel von jedem. Lebe wohl!« – Die Brüder umarmten sich und Hello suchte gehobenen Sinnes sein schlichtes Lager.

*

Anderen Morgens, wie es ihr Vorsatz gewesen, besuchte Isa ganz allein, nur von einem großen, löwenfarb'nen Hunde begleitet, den römischen Pfleger. Ihr Vater, der um den Gang wußte, hatte nichts dazu und nichts dagegen gesagt, nur daß er selbst nicht bei Fremden um Rat oder Hilfe in Sachen des Berges anheischig werden wolle. Valerius, der mit Wärme und Neigung den entschlossenen Worten des jungen Mädchens zuhörte, verhieß ihr jede Hilfe, die in seiner Macht stünde. Natürlich nicht zur Abwehr der rohen Werbung, was nicht seine Sache sein könne, wohl aber zur Erreichung römischer Zufuhr an Erz und ehernem Werkzeuge, sei's von der Donau her, sei es aus den südlichen Gebirgen, wo ja doch im Tale des Ennsbaches reiche Erzstätten in römischem Besitz und Betrieb lägen. Auch denke er wohl daran, dem Erzherren gegenüber, wenn es diesen gelüsten sollte, irgendwelche Feindseligkeiten gegen den Berg zu üben, das Recht zu schützen, aus dem er hier eingesetzt sei. Nach Isas Dank und Abschiedsgruß bemächtigte sich Julia der schönen Gastin und drängte sie zärtlich zu den Rosen ins Gärtchen und dann in eine efeuübersponnene Grotte, in der ein Bänkchen stand, Julias eigenstes Reich. Hier sollte ihr Isa alles, was sich oben ereignet hatte, aufs genaueste mitteilen.

Wohl hatte man schon vor Isas Besuch einiges erfahren. Gespräch geht bergauf, bergab, aber mit ganzer weiblicher Teilnahme wollte Julia jetzt einen Blick ins Herz der Herrentochter tun. Diese erfüllte gerne den Teil von Julias Wißbegierde, der dem Erzherren galt, als aber Julia weiterdrängte, ob Isas Herz nur aus Abneigung gegen das aufdringlich-eingebildete und unzarte Wesen des Erzherren sich ihm schroff versage, oder ob es in selbsteigener Wahl schon seine Richtung genommen habe, lachte Isa hell auf und sprach: »Du kleine Neugierige! Wenn Du erst selbst lieben wirst, hütest Du wohl Dein schönes, kirschrotes Mündchen und sagst Dir nur selbst viel tausendmal: ›Ich liebe‹, den Lüften gibst Du es nicht preis.« –

Aber Julia erwiderte gekränkt: »Bin ich Dir wie die Luft? Isa, glaub' mir, ich könnte sterben für Dich!« – Mit Innigkeit legte Isa den Arm um die Schulter der ungestümen Fragerin. »Bleib mir nur gut, wie auch ich Dir's immerdar bleiben will.«

Dann sprach sie von den Dingen, die sie hergeführt hatten, ob es wohl Julias Vater gelingen werde, Erz und Werkzeug in genügender Menge für den Salzberg zu beschaffen, und wie sie sich voll Vertrauen an ihn gewendet habe und nun doch glaube, daß er als Vertreter einer so großen Macht, wie das römische Reich sie habe, den Nutzen Roms und damit auch den der Salzbergsiedlung werde wahren können. Julia stimmte ihr mit leidenschaftlicher Beteuerung bei und ging dann, sich zärtlich an ihr haltend, das ganze erste Stück des Salzbergweges mit ihr empor. Ruhig ging der große gelbe Hund hinter den Mädchen, als sei er sich seiner Begleitungstätigkeit und ihrer Bedeutung wohl bewußt.

Vom Salzberg weit abendwärts, wo ein hoher und breiter Berg sich aufwölbt, fast so hoch wie die hohe Spitze, die über dem Salzberg und all seinen Alpen ringsum leuchtet, stand des Erzherren Heim und die Siedlung seiner Untertanen. Den hohen grauen Berg deckt eine weiße Schnee- und Eiskuppe, aus der ganz kurz der Felsengiebel aufragt. Einst lagen grüne Matten voll Blumenschönheit und würziger Kräuter vor diesem Gipfel, es war eine reiche Weide, die sich dort ausdehnte. Die Hirten des Tales aber, die dort die Herden sommerten, waren von niederer, gierig- und grausamer Art und führten ein wüstes, schwelgerisches, an Mensch und Tier frevelndes Leben. Da brach einst mitten im Sommer der tiefste Winter über die hohen Matten herein, die eben in voller Blumenpracht standen. Die unhirtlichen Hüter lachten des Wetters, denn ums Weidevieh, das ja nicht ihr Eigen war, kümmerten sie sich wenig, als daß sie von den Almerzeugnissen üppig zehrten und, wenn einem Rind oder einer Anzahl fehlender Schafe nachgeforscht wurde, polternd dem ungehorsamen Vieh und den schroffen Felswänden die Schuld gaben. Sie blieben, als es schneite, in den Hütten, schlachteten sich ein Rind, zechten, spielten und johlten und höhnten die Sonne, daß sie ihrer nicht bedürften. Es schneite aber Tag und Nacht und blieb des Tages so dunkel, wie sonst nur in der Nachtzeit. Was an Schnee fiel und vom Sturme hergepeitscht wurde, war kein Schneien und Wettern mehr von gewohnter Art. Als die wüsten Hirten endlich aus ihren Hütten brachen, sanken sie gleich in mannshohen Schnee und alles Vieh, das sich noch hergedrängt und um dessen verzweifeltes Brüllen sie sich nicht gekümmert hatten, war überschneit und lag tot und starr wie verwehtes Steingeklipp. Ein Entkommen zu Tal gab es nun nicht mehr und dazu brach jetzt unter den rohen Knechten selbst Hader und Haß aus. Von Furcht und Schrecken gepeinigt, verstrickten sie sich untereinander in einen schmähenden, raufenden Knäuel, bald gellte der erste Todesschrei eines Gestochenen und nun wüteten nur mehr würgende Fäuste und bohrende Messer, bis ein ermüdeter, blutrünstiger, kreischender, beißender, geifernder und endlich zusammenbrechender Klumpen von Menschenleibern im Schnee zuckte. Der aber sank nach kurzer Unterbrechung weiter, unermüdlich, wie aus Scheffeln geschüttet, zu Boden. Als nach einer Woche die Sonne kam, deckte ein hohes, ebenes, weißleuchtendes Schneefeld die ganze Kuppe des Berges, aus der nur wie ein Helmrücken mit weißem Kamm der graue Gipfel mit seiner Schneewächte emporragte. Niemand fand mehr, wer darnach suchen wollte, die Hütten, Rind oder Mensch. Selbst die großen, gierigen Raubvögel schwebten nicht zur Schneekuppe nieder, denn der Schnee lag so tief, daß ihn keine Sonne mehr zum Weichen brachte und das Grab der Rinder und der Frevler geöffnet hätte. Im Gegenteil, der Schnee blieb lasten und Winter um Winter verstärkte ihn, bis eines Sommers durch die Klüfte und die sonnbeglühte Oberfläche grün-blaues Eis zu Tal schimmerte.

Am Fuße dieses Berges lagen Triften und Hügel. Auf ihnen stand das Kupferdorf und zu oberst, von überhangenden Wänden wohlgeschützt, das große Haus des Erzherren. Das wertvolle Erz wurde in Stollen, die zu den Erzgängen führten, durch Feuer ausgesprengt und dann im Freien gereinigt und in Formen gegossen. Von seinem, hoch auf weißem Stein aufgeblockten Hause sah der Erzherr an klaren Tagen auch die Tauerngipfel glänzen, in denen seine Goldbergwerke lagen. Zu seinen Füßen ging es rührig her, die Erzhaufen wuchsen, wurden zu den Öfen geschleppt, es schwelte und prasselte ringsum und der Rauch zog ins Tal hinaus. Oben aber, über Rauch und Arbeit saß der Erzherr mit grübelnder Stirne in seinem Erker. Vor ihm saß Lugaid, sein Bergverwalter, und vor jedem stand ein Becher. »Du weißt nun,« schloß der Erzherr das Gespräch, »wie ich's meine, führ' es geschickt aus, denn wenn Dich der Legat festnähme, müßt' ich Dich verleugnen.« – »Laß dies nur meine Sorge sein, Herr, ein beladenes Saumtier steigt über jede Mauer und jeden Stolz. Gib mir nur genug des gelben Tauernschatzes mit, Rom gibt seinen Leuten nur, was sie brauchen; was sie wünschen, müssen sie sich selber finden!« – »Gut denn, vom Tauernhort will ich Dir reichlich anvertrauen, Dein Witz soll ihn verwenden. Reise morgen und nimm Dir ein paar Knappen mit bis zu des Römers Stadt. Zu ihm selber zieh ganz unauffällig. Gerede sollst Du nicht erwecken.« – Er leerte seinen Becher, der listäugige Marder den seinen und der Erzherr gab dem Vertrauten noch die Hand zur Verfestigung der Zwiesprach.

*

Auf dem Salzberg lag Stille und alles Geschäft ging wie vor und eh'. Die Knappen fuhren zu Berg und kehrten wieder, ihre »Schichten« Arbeitszeiten. vollendend, die regelmäßiger als die der Berge waren, welche ringsum lagen, an denen zwar manche so eben und richtig verliefen wie die grauen und gelben gleich über dem See, wo ein schütter bewaldeter Kopf mit senkrechter Stirne abfällt und Schichten und Linien trägt, wie von Kunst gebildet; andere aber waren aufgebogen und im Aufbug zersprungen und standen im Fels senkrecht wie die Rippen eines umgestürzten Schiffes auf versteinten Wellen. Wieder andere hingen über ein Tal hinaus und zogen jenseits so eben fort wie unterbrochene Balken. All das sahen die scharfen, auf alles Bergwesen achtenden Augen der Salzknappen täglich und ihre Seelen fühlten es sozusagen mit. Es umgab, so wie der stete gleiche Dienst, mildernd alles in ihnen, was etwa an Sorgen von außen kam. Sie hatten den großtuenden Erzherren längst vergessen und förderten wieder im alten Gleichmaß aus der Tiefe, was ihr und ihrer Väter Werk seit menschlichem Gedenken war. Nur der Salzherr war nicht der gleiche mehr. Ihn quälten Sorgen und Unruh', aber seiner Natur nach ließ er den Dingen ihren Lauf. Er entschloß sich zu nichts, er sprach nicht mit dem Römer, er suchte nicht die Tochter irgendwo zu bergen, beredete sie auch nicht mehr, sandte aber auch keine Botschaft zum Tauernhäuptling. Mehrmals, wenn er Hello sah, war es, als wollte er ihn ansprechen und vielleicht zu Rate ziehen, aber er unterließ es und blickte nur wie verärgert vor sich hin. Auch mit Rastlo sprach er nichts mehr über die Sache, war aber nur um so eifriger bestrebt, das Alltägliche zu tun, von Geschäften zu reden, Saumzüge abzufertigen und den Betrieb des großen Werkes stets um sich zu haben. Isa hatte ihm ihren Besuch bei Valerius und des Römers Zusagen mitgeteilt; er nickte nur, ob dankend, ob ungläubig, und blieb stumm dazu. Hello hatte von Julia erfahren, was sich zugetragen und vermied es ebenfalls, den Dingen gleichsam entgegenzugehen, die ja eines anderen Einsicht und Entschluß gestalten sollte. Doch hatte er mit dem jungen Weidknecht, den Irmin »das Wiesel« genannt, letzterzeit viel von den Gegenden im Norden gesprochen, namentlich wenn er mit ihm oben in den hohen Steinwüsten der Bergfläche wanderte, wo sie die Gemsrudel beobachteten und ihnen Salzsteine legten, um sie an bestimmte Örtlichkeiten zu bannen. Aus diesen Höhen, durch die klaren Lüfte sah man weit hinaus in die Länder. Hello sagte ihm auch und wies ihm die Richtung, daß es nicht unmöglich sei, er müsse ihn bald mit wichtiger Botschaft da- oder dorthin, aber ziemlich weit entsenden und hoffe auf seine Raschheit und Findigkeit. Dem braunen, beweglichen Burschen blitzten die Augen und er äußerte lebhafte Freude und Willigkeit.

Rascher aber als alle handelte der Erzherr. Von Tag zu Tag schwoll sein Ingrimm, wenn er vergeblich auf Nachricht von Osten her harrte, wo er so deutlich des Salzgebirges oberste Firne sah. Es war auch für seine Untertanen kein lustiger Umgang mit ihm. Endlich aber, ganz still und fast unbemerkt kam Lugaid zurück. Der Marder sah stillvergnügt drein und tat auch, als sei er gar nicht verreist gewesen. Das Saumpferd hieß er zu Stall führen und schritt gehobenen Ganges, doch ohne Hast zum Hause des Erzherren empor. Als er eintrat, lächelte er nickend und gab dem auffahrenden Gebieter rasch-behagende Antwort: »Der Legat läßt Dich grüßen und nicht – er will von nichts wissen; erhält Rom seinen vollen Teil, Steuer und Pacht wie bisher, so kümmert es ihn wenig, was die Berge untereinander treiben, wer ihr Herr oder Nichtherr ist, wenn sie nur Frucht tragen …!« Der Erzherr lauschte, nickte beifällig und lachend und war verwandelt wie Schattenseit' in Sonnenhang. Er stand auf, reichte dem Marder wieder die Hand und sprach: »Gut so; wohlzufrieden bin ich; mein Gewinn wird auch Dir zum Lohn werden. Aber rasch wollen wir fahren, der Wind ist mit uns!«

Am nächsten Tage nach dieser Unterredung im Hause des Erzherren erschien vor dem römischen Legaten der Sohn des Valerius mit der Botschaft seines Vaters. Huldreich lächelnd und äußerst aufmerksam vernahm der Legat die Nachricht von drohenden Umständen im Bereiche des großen norischen Salzlagers und die Bitte des Valerius, eine Besatzungstruppe abzuordnen, die aller Gefahr leicht vorbeugen könne. Er tat etwas nachdenklich, fragte, wie denn die Truppe unterzubringen und zu verpflegen wäre, denn er wolle kaiserliche Soldaten keinem Mangel aussetzen. Manius äußerte sich darüber klar und befriedigend und der Legat entließ ihn mit Zusagen. Sei auch augenblicklich kein Truppenteil ganz frei, denn immer wieder müsse man der Grenze bedacht sein, so hoffe er doch, allernächstens Mannschaft verfügbar zu haben. Man solle den unfreundlichen Erzhändler nur hinhalten. In der Zulieferung der notwendigen Erzmengen und Werkzeuge sehe er, der Legat, keine Schwierigkeit. Mit großer Freundlichkeit entließ er den jungen hübschen Römer und lächelte noch, als dieser das Gemach schon verlassen hatte. Die Hände aber, die er sich behaglich rieb, glänzten in der Sonne, die durchs hohe Fenster fiel, hell wie Gold – – –

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Mehr verändert als alle, auch wenn es niemand merkte, war Julia seit Isas Besuch im Rosengärtchen. Immer wieder hörte sie Isas Lachen, sie sah die schönen Zähne, die roten Lippen, die sich neckisch hoben, und vernahm ihre Rede: »Wenn Du erst selbst lieben wirst – – –« Was hatte Isa gemeint? Gestand sie damit, daß sie liebe? Und wen? – Dann wandte sich das Römermädchen wieder in sich selbst: »Wenn Du erst – –« Wer könnte das sein? Oder ist schon erfüllt, was erst sein soll? – Sie gedachte der Marmortafel im Zimmer des Vaters. In die Wand hatte er ein Abbild der Tafel einfügen lassen, die über dem Grabe ihrer im fernen Süd bestatteten Mutter stand. Des Knaben dachte sie, der die Fackel zur Erde gesenkt hielt. Und wieder an Isa: Wer ist es? Und wieder an sich: Wer könnte es sein? Und zwischen beiden, wenn sie sich und Isa dachte, stand wie ein Halbschatten ganz die gleiche Gestalt … Er, ja, er mußte es sein! … Wer sonst! … Nie hatte sie bemerkt, daß Isa und Manius ein Geheimnis verband; offen und klar wie Geschwister gaben sich beide; Manius war ganz Römer, er hatte sogar einen ganz kleinen, gegen Isa wohl nie hervorgekehrten Stolz gegen alles, was nicht Römerblut war; nein, nein, Manius nicht …! Und einer der Bergleute, Knappen, Handwerker? Nein, nein, ein Freier, ein ganz Freier, ein Stolzer, Mutiger, nicht Alltäglicher mußte es sein, wie Isa selbst es war … Und sie, Julia? Wer stünde ihr zuliebst vor Augen, wen wollte sie so, wenn sie sterben müßte, an ihrem Grabe seh'n, wie den Gott mit der gesenkten Fackel? … Immer war es die Gestalt im Halblicht, die sie sah, aus eigener Seele schöpfte und doch nicht sehen wollte, denn es war ihr außer Zweifel, daß nur Isa seiner wert sei, neben ihm stehend, sein, und ihn umfassend … So, ganz eingesponnen von Traum aus Seligkeit und Schmerz, aus Rosenlicht und Dornenstich, ging das junge Kind umher in Einsamkeit. Ihr Vater achtete es nicht, wob es doch immer so traumhaft um ihre Stirn. Manius sah gar nichts davon, er hatte stets nur Sinn für das Viele, das ihm oblag, wie jedem Siedler im Gebirg'. Gestern kam er vom Legaten zurück, stolz und erfreut von dessen freundlicher Art, wiewohl der Vater die Nachricht mit etwas ernster Stirn empfing. Das Schicksal webt, webt Licht und Schatten, Sonnenschein und Wolken …

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Totenstill lag das Gebirge, in dem der Salzberg steht, nur die Wasser rauschten und redeten auf ihren Wegen. Der volle Mond erhellte die späte Nacht. Von der Seite, von der sonst selten jemand dem Berge nahte, von der Rückseite der hohen Grate, die zu beiden Seiten des Gipfels wie geschwung'ne Mauern abfallen, wand sich fast lautlos eine starke Schar Berittener durch ein enges Waldtal empor. Die Leute waren von den Pferden abgestiegen und jeder führte sein Roß am Zügel.

Das Salztal mit seiner Siedlung lag wie ein schlafendes Kind. Nur über der Türe des Herrenhauses hing wie jede Nacht ein Licht und ein kleineres glänzte von tiefer unten, vom Platz des Wachhauses her, wo der Weg vom See herauf mündete. Oberhalb der Siedlung, wo die Almen lagen, hatte man niemals Wachen aufgestellt, ebensowenig gegen die Schlucht des Waldbaches; da wie dort schien die Gegend selbst der Siedlung Schutz zu bieten. Und doch kam diesmal die Gefahr über das Tal her, das im Rücken des Salzberges liegt.

Die Reiterschar wand sich empor und erreichte endlich die Höhenschwelle, von der sich das Gelände in breiten Stufen zum Salztale abwärts zieht. Auf dem obersten Hügel machte man kurzen Halt, dort lag unter einer riesigen bunten Wand ein tiefer muldiger Grund, aus dem der Fall eines kleinen Wassers ertönte. Man entlastete hier die Pferde alles schwereren Gepäckes und ließ auch ein Saumtier zurück, zu dem man eine Wache stellte. Um die Hufe der Pferde wurden weiche, schalldämpfende Lappen gebunden, dann zog man hinab und sammelte sich auf der letzten Stufe oberhalb der Siedlung. Hier konnte man es allerdings nicht mehr verhindern, daß die Wachhunde des Ortes wütend anschlugen, da war aber auch die heimliche Schar schon vor dem Hause des Salzherren angelangt und sperrte in geschlossener Masse den Weg nach unten ab. Als der Salzherr und seine Leute unter der Türe erschienen, hielt schon der Erzherr auf hohem Rosse vor dem beleuchteten Hauseingang, indes zugleich das Morgenlicht an die obersten Grate schlug. »Sei mir gegrüßt, edler Wido,« rief der Erzherr mit spöttisch-befriedigtem Blick; »es leidet mich, daß ich Dich stören muß, aber Du selbst hast mich ungeduldig gemacht. Kein Wörtlein Nachricht traf ein in meinem Hause. Jetzt habe ich mich selbst eingefunden und will Dir Deine Entschließungen erleichtern. Fürchte nichts Böses, ich will alles bei meinen Versprechungen belassen, nur will ich mir die Erfüllung selber beschleunigen.« Als sich inzwischen immer mehr Salzbergleute aus den Häusern drängten und auch die Hörner der Wache gellten, wandte sich der Erzherr zu den regellos anstürmenden Dorfleuten und sprach sie an. Zugleich kehrte sich der Großteil der Erzleute mit gefällten Spießen und gehobenen Bogen den Salzleuten entgegen. »Gefährdet Euch nicht, gute Leute, es wär' zu spät. Ihr hättet nicht bloß wachen sollen, wo der Berg mit der Nase hinzeigt, man kann ihm auch über den Rücken steigen. Wer sich wehrt, wird gebunden, wer sich ergibt, sei unbesorgt; ich will Euch ein guter Herr sein.« – Die Salzleute brachen in ein Wutgeheul aus und einige warfen tatsächlich Speere und entsandten Pfeile, aber es war, wie der Erzherr gesagt, zu spät. Einige Männer fielen unter der Abwehr der Erzleute, andere wurden hingeworfen und gefesselt. Zu dem Salzherren selbst trat der Erzherr und schlug ihn jetzt derb auf die Schulter: »Es gilt nur ein wenig Einsicht, dann wollen wir wieder gute Freunde sein und uns lustig vertragen, wie zu einer Hochzeit!« – Der Salzherr faßte sich und stieß empört den Tauernhäuptling zurück, aber dieser schrie nun wütend auf: »So willst Du Gewalt haben? Es sei, bindet den Mann und ich will nun sehen, wer mir hier einen friedlichen Willkomm reichen wird.« Der Salzherr wurde gebunden, der Erzherr wollte ins Haus schreiten, aber unter der Türe trat ihm mit weit gespanntem Bogen die Tochter des Salzherren entgegen: »Weiche, Räuber! Lebend bindest Du mich nicht –« Klingend schnellte die Saite und der Pfeil fuhr dem Erzherren entgegen. Da dieser aber schlimmen Gewissens war und sich wohl vorgesehen hatte, war er rasch zur Seite gebogen und der scharfe Pfeil fuhr über ihm ins Türgebälk. Sogleich hatte die Herrentochter einen neuen Pfeil bereit und der Erzherr hätte schmählich zurücktreten und Gewalt gegen das Haus anwenden müssen, um eindringen zu können. »Schöne Heldin,« rief er darum, »wahrlich, bei Fingals König Fingal, der berühmte Held der Kelten. Schild, den ich brauchen möchte, ich bewundere Dich. Aber Du hältst meinen Eintritt nicht auf. Soll ich Deines Vaters Brust als Schild verwenden oder Feuer ins Haus werfen? Senke Deinen Bogen, fürchte nichts von mir. Ich will nicht Gewalt, ich suche Gunst. Senke Deinen Bogen, zwinge mich nicht, Unheil über dieses Haus und Deinen Vater zu bringen. Willst Du Dich durchaus mir weigern, so schwör' ich Dir, ich achte Deiner Ehre, so wahr mir die meine gilt. Auch Deinen Vater will ich alsogleich wieder entfesseln lassen, wenn Du Dich des Bogens begibst.«

Leicht senkte Isa den Bogen, einen Augenblick unschlüssig, und dieses Zaudern benützte der listige Tauernhäuptling. Im Sprung schlug er ihr die Waffe zu Boden, faßte rasch ihre Hände und hielt sie nun fest, mit größerer Stärke, als sie überwinden konnte. »So,« lachte er hellauf, »mein weißer Schwan, der sich als Falk gebärden will. Nun bindet auch sie, denn über alle Gunst verlangt mich, daß ich herrsche!« – »Lügner!« rief die Gefesselte, »Lügenheld!« – Er aber schritt zur Stiege und achtete der Überlisteten nicht mehr. Es lockte ihn jetzt, die Schätze wiederzusehen, denn er besaß, wie er schon einmal gesehen, nichts Gleiches, ebenso Kunstvolles und Schönes in seiner Tauernburg.

 

Im römischen Hause hatte man die dröhnenden Hornzeichen der Salzbergwächter vernommen und sogleich war Valerius den Weg zum Salzberge emporgeschritten. Er konnte sich die Ursache der Notzeichen nicht erklären. An einen Überfall von der Bergseite her dachte auch er nicht, denn für ihn war stets nur der Norden das Land der Gefahr und unsicheren Zukünfte. Bald begegneten ihm einige flüchtende Salzbergleute und berichteten ihm, was sich ereignet hatte. Nach raschem Bedenken der Dinge schritt er zurück und entschloß sich, nochmals und alsogleich, seinen Sohn zum Legaten um Truppenhilfe zu senden. Er selbst wollte nächsten Tages den frechen Eroberer des Salzwerkes aufsuchen und seinen Einspruch erheben. Von den flüchtigen Leuten hatte er auch erfahren, daß Wido und dessen Tochter vom Erzherren gefangengesetzt wurden. Als er die Dinge in seinem Hause erörterte, rüstete sich Manius alsogleich für seinen Ritt zum Legaten, Julia aber eilte erregt in den abendlichen Garten und teilte dann nach einer tiefen Einkehr in sich selbst und mit festem Entschlusse ihrem Vater mit, sie wolle es mit sicherer Hoffnung versuchen, Isa aus den Händen des Räubers zu befreien. Schon dunkelte es tief herein, als sie, von ihrem Vater nicht behindert, einen dunklen Männermantel überwarf, wie ihn die Gebirgler bei Schlechtwetter tragen. Ein solcher läßt die halben Arme frei und hindert nicht bei steilem Steigen. Ihr erster Gedanke war gewesen, Hello zu benachrichtigen, doch taten das wohl ohnehin die Flüchtigen vom Berge, denn sie hatten sich, wie ihr der Vater erzählt, um das Ende des Sees gewendet und hofften wohl in Hellos Hütte Zuflucht zu finden. Er selbst war am Römerhause nicht gesehen worden. Auch wollte sie nach eigenem Willen und rasch vollbringen, was sie vorhatte. Sie eilte das Waldtal einwärts, dem Falle des Waldstromes zu. Rasch klomm sie dort die stufig ausgebrochene Wand empor, die sonst nur Jagd- oder Holzleute als kürzesten Weg zum Salzberge zu gebrauchen pflegten, denn der wilde Aufstieg war nicht ohne Gefahr. Es dunkelte schon völlig, als sie aus den Felsbändern und -bänken auf die steilen Hänge kam, die sich vom Salzberg her zu dieser Wand herabsenken. Doch war die Römertochter der Richtung kundig und ohne Furcht. Der kurze, heiße Kampf, den sie, im Gärtchen auf- und abschreitend, mit sich selbst bestanden hatte, war entschieden und der Vorsatz einer reinen, heldischen Tat stärkte die Entsagende. Rasch und wie ein Schatten huschte sie den nassen, quellenreichen Wald empor.

Auf dem Salzberge hatte sich der tückische Eroberer vollends festgesetzt. Zuerst zu Mahl und Trunk, dann saß er in der Schatzstube und vertiefte sich in den reichen Besitz, in die zahlreichen großen und kleinen Kostbarkeiten, deren er sich nun wie eines ehrlichen Erbes erfreute.

Den Salzherren vermied er zu sehen; doch hatte er nach dem Mahle der Tochter desselben die Freiheit wiedergegeben und nur einen seiner Knechte, den er meist als Leibdiener um sich hielt, ein stummes, zwergiges Geschöpf, das mit langen Armen fast den Boden berührte, beauftragt, darauf zu achten, daß sie sich nicht allzuweit vom Hause entferne und etwa im Gebirge verlöre. An Flucht dachte er keineswegs – wohin auch? Wer könnte sie schützen? Der Römer? Den ging wohl nur der Berg an. – Nachdem er sich am Anblick der Schätze erfreut hatte, betrat er, ohne sie zu fragen, Isas Gemach und begann nun schwärmend von seiner Liebe zu reden. Die Tochter des Salzherren aber erhob sich von ihrem Stuhle und trat mit verschränkten Armen vor den Tisch: »Du sprichst von Liebe und hast mich belogen? Du sprichst von Liebe und trittst in einer freien Herrentochter Gemach, ohne um Einlaß zu fragen? Wisse, daß mir die Götter Sehkraft über den Augenblick hinaus verliehen haben: Du frevelst, aber Dein Weg wird kurz sein.« – Sie stand vor ihm und sah ihn so drohend an, daß sie ihn wieder an die Saligen gemahnte, aber an den Zorn der Wetterfrauen, wenn sie das goldstrahlige Haar in dunklen Wolken verhüllen und auf Sturmrossen dem Frevler in den Bergen folgen, folgen und folgen, bis sie ihn erreicht haben, in ihre Nebel verstricken und zu Tode stürzen. Ein Grauen wie von der Eiskuppe seines Heimatberges her überlief ihn, auch dort haben die Saligen grausam grausame Taten gerichtet. Eis wie dort oben blickte aus den Weibesaugen und er sprach wie furchterkältet: »Verzeih denn, zu besserer Stunde will ich um Einlaß fragen!« – Fast unbemerkt von ihr schied er aus dem Frauengemach und sie setzte sich wieder an dem Eichentische hin und saß noch, als es schon dunkelte, regungslos ins Dunkel starrend. Ihr Inneres lauschte und sie meinte, es müsse der kommen und sie befreien, dem sie nimmer hatte Botschaft senden können, der aber doch ihrem Herzen mit dem seinen so nahe sein müsse, daß er ihren Ruf vernehmen sollte …

Ganz stille Nacht war, nur zuweilen pochte Regen an die Holzwand und die einsam Sinnende schritt jetzt zur Fensteröffnung, deren inneren Verschluß vorzuschieben, denn kalt zog der Bergwind herein. Als sie nach dem Verschlusse griff, schlug ihr ein scharfer Ton entgegen; kein Regenschlag. War Hagel im Regen? Nein – wieder – und als sie lautlos spähte, flog ein Sternchen an ihre Brust. »Hello, Hello, bist Du es?« Ganz leise rief sie es und beugte sich ins kalte Dunkel – – – – »Ich bin's, Julia! Sei lautlos, ich presse mich hier an die Wand, kannst Du das Haus verlassen?« – »Kaum, eine Kröte bewacht das Tor, die der Erzherr mir zur Wache gab. Doch wag' ich's wohl, hier hinabzugleiten, der Steinrand ist nicht weit, die Holzwand kurz. An den Steinen kann ich absteigen, Du achtest unten, daß es mich nicht überwirft.« – Die Herrentochter eilte zurück ins Gemach und schlug sich rasch in eine dunkle schützende Hülle. Furchtlos wand sie sich durchs Fenster und glitt, wie Felsgewohnte wohl vermögen, an der nicht allzuhohen Hauswand von Rand zu Rand zu Boden. Fest umfaßte das Römerkind ihre Gestalt und hielt sie aufrecht. Noch einen Augenblick lauschten sie – die Römerin drängte – Isa flüsterte: »Den Vater möcht' ich retten.« – Julia schloß ihr den Mund: »Still, still, Dir könnte mehr drohen als ihm; wie lange wird der Erzherr säumen, Dein Weigern zu zerbrechen?!« – Sie bogen sich im strömenden Schauer zu Boden und glitten ins Dunkel. Die Kröte, die als Hauswart vorne an der Türe saß, nickte im Schlaf; das Haus zu umkreisen, war ihr nicht befohlen worden.

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Die Nacht, in welcher der Erzherr den Salzberg beschlich, verbrachte Hello mit dem Wiesel in einer Höhle, die jenseits des Salzberggipfels in den Felsen lag. Er wollte andern Tags frühzeitig auf dem Grate sein, die Gemsen in den vorderen Karen zu zählen und ihre Wechsel festzustellen, denn es nahte der Herbst und sie fingen schon an, unruhig und wanderlustig zu werden.

Noch war kein Schein der kommenden Sonne über der langen Bergmauer zu merken, die hinter dem Seebecken aufragt. Noch im letzten Mondlicht kletterten Hello und sein Gesell die schwierigen Felsen zum Gipfel hinan. Wo die Grate steil zu Ende gingen, neigte sich der voransteigende Jäger vorsichtig über die scharfe Kante. Er sah gerade in die tiefe Mulde hinab, wo bei dem Brünnlein ein bewaffneter Mann lag, vor dem ein Tragtier das Gras des Grundes abweidete. Rasch zog er das Haupt zurück und spähte von unsichtbarer Stelle aus in die tieferen, gegen den Salzberg hinabführenden Bergstufen. Dort sah er nun den Zug des Erzherren wie eine langgestreckte Schlange über die lichten Weiden hinabgleiten. Er überlegte in schnellen Gedanken. Sein Herz zog ihn fast unwiderstehlich hinab, doch ein kühler Rat sagte ihm: was könne er als Einzelner für Hilfe bringen? Letzte Not drohte wohl rasch weder der Herrentochter noch ihrem Vater. Aber andere Eile sei ihm nun Pflicht! Alsogleich stieg er mit seinem Gefährten wieder zur Höhle hinab. Dort gab er ihm den Auftrag, im Rücken des Salzberges zu bleiben, den Berg zu umgehen, die oberen Teile des Gebirges zu gewinnen und erst ganz an der Höhe die obersten Kare zu queren. Von dorther solle er dann in die ihm ja wohlbekannten, schon hoch über allem Wald liegenden Steinbuckel und Gruben einlenken und erst durch die krumme Rinne absteigen, die sich steilab in die Hirschau schlängelt: »Du bist sie ja oft genug durchgestiegen, wenn ich dich oben im Tiefen Kar erwartete.«

»Ei, Herr, ich kenn' sie wohl. Und recht gut den ganzen Weg, den Du meinst.« – »Den send' ich Dich, damit Du den Salzberg vermeidest. Erst bei unserm Haus am See spring aus dem Wald. Dort sage meinem Vater, aber ihm ganz allein, wenn etwa sonst wer bei ihm wäre, daß ich wie der Blitz um Hilfe eile. Er weiß, wo ich sie holen will, und auch Du kennst die Richtung. Du leg' Dich dann auf Fürpaß, und wird es irgendwie vom Salzberg her lebendig, so führ' den Vater in die Riesenhöhle, Du weißt, wo er und der Ähnl die Bären austrieben und wo die Knochen der Riesen im Sande liegen, die Thor mit den Felsen erschlug. Dies alles tu nun, wie ich Dir gesagt, nimm Dir noch Brot und Fleisch hier mit, den größeren Teil brauch' ich, und meine Beine will ich gebrauchen wie der Hirsch auf hoher Flucht. Gott mit Dir, sei geschickt und treu!« – »Gott mit Dir, Herr! Du hast wohl das schwerere Werk.« – »Sei unbesorgt, mich hält nicht Tal noch Berg, nicht Trug noch Gewalt.« Er gab dem Wiesel die Hand und sprang die Schrofen hinab. Als das Wiesel die ihm gebotene Richtung einschlug, sah er den Jäger schon tiefunten die Schütten hinablaufen, rascher, als die Steine nachkollern konnten.

 

Schon war's späte Nacht, als der wirklich wieselschnelle Jungbursch aus dem Walde oberhalb der Hütte herabglitt. Der Alte war allein, der Anschlag des Hundes weckte ihn. Der Bursch trat ein und richtete seine Botschaft aus. Vom Alten erfuhr er, daß flüchtige Leute vom Salzberg hier gewesen seien, die ein gewaltiger Schreck ganz verschüchtert habe. Atzung für so viele hätte er nicht gehabt, er habe sie daher in seinem Kahn seeaufwärts geführt bis ans obere Ende, von wo sie zu den »Sandlhütten« trachten wollten, um dort Zuflucht zu finden. Er sei nun froh, daß Wiesel nicht in seiner Abwesenheit eingetroffen sei. Die Höhle oben sei ihm wohlbekannt, er und sein Bruder hätten dort die Bären mit Feuer ausgetrieben und zweie von ihnen erlegt, gewaltige Petze; nie mehr später habe er dort Bären getroffen und dort schon in Frieden geschlafen, wenn es ihm zu spät wurde, den »Schnecken« herabzulaufen.

Den Jungbursch hieß er, sich jetzt zur Ruhe legen, bis der Tag voll ins Tal scheine, dann wollten sie sehen, was sich etwa vom Salzberg her zeige. –

Der Tag kam, aber er schien nicht voll und sonnig ins Tal. Ein kalter Regen schauerte herab, die Luft war grau, der See lag schwarz und machte Kreise wie große Lachen. Der Alte schaffte im Haus, der Bursch brachte trotz des Schlechtwetters vor Abend noch ein Reh zur Hütte. Vom Salzberg her war niemand mehr gekommen, der Berg selbst lag im Nebel bis zum Tal herab. Schon sank wieder die Nacht auf den kleinen Strand, als der Hund anschlug und dem die Türe öffnenden Wiesel zwei Frauengestalten entgegentraten. Es war Isa mit Julia. Julia hatte gehofft, sie hieher zu Hello retten zu können, da ja das Römerhaus selbst zu nahe am Salzberg lag und da sie Hello für den sichersten Schützer Isas hielt. Nun erfuhren sie beide, was ihnen Oslo mitzuteilen für gut fand, er sprach von Hilfe durch Freunde, die Hello im Norden habe. Er behielt Isa im Hause, war weich und gut zu ihr und voll Treue für sie und ihres Vaters Schicksal. Das Wiesel mußte die Römertochter, die weinend an Isa hing, zurückgeleiten. Sie fuhren in Nacht und Regen über den stummen See.

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Desselbigen Tages früh kam Manius wieder zum Haus des Legaten und harrte auf Vorlaß, denn es ging geschäftig und unruhig zu.

Sein Vater Valerius schritt am gleichen Vormittag den Bergweg hinan zum Salztal. Er war in seiner Amtskleidung mit Helm und Schwert. Wachen traf er keine, hier und dort standen Rinder im Regen, der Berg selbst steckte im Nebel. Als Valerius sich dem Herrenhause näherte, hörte er ein trübseliges Wehgeschrei. Der Erzherr hatte Isas Flucht entdeckt und war eben daran, seinen Ingrimm an der unschuldigen Mißgestalt auszulassen, hinter deren Rücken sich Isas Flucht aus dem Herrenhause vollzogen hatte. Er schlug den Stummen wütend über Kopf und Schultern und hielt erst inne, als aus dem grauen Regen die hohe Gestalt des alten Römers zu ihm trat. Sofort änderte sich seine Miene, als er einen der Herren des Landes erkannte, und er wollte ihn mit aller Höflichkeit ins Haus nötigen. Der alte Krieger aber, der im Pfeilregen der Parther gestanden und sich über das Wesen des Erzherren, den er zwar heute zum ersten Male sah, doch längst durch Berichte, die ihm über ihn zugegangen, im klaren war, erwiderte dem schlauen Manne an Ort und Stelle. »Nicht um bei Dir einzutreten, bin ich gekommen. Auffordern will ich Dich, den Berg, der so wie das ganze Land Eigentum meines kaiserlichen Herren geworden ist, seinem rechtmäßigen Pächter, dem edlen Wido, zurückzuerstatten. Für Deine gewalttätige Unterbrechung der Pacht wird Dich die Obrigkeit zur Rechenschaft ziehen.«

Über das Antlitz des Erzherren liefen die verschiedensten Empfindungen, wie kleine Wellen im Windhauch: Erstaunen, Wut, Tücke, Furcht, Hochmut. Aus diesen allen faßte er rasch ein gelassenes, nur etwas höhnisches Aussehen zusammen: »Ich denke, Du bist ein kleiner Beamter Roms und hast Dich um das Salz, um die Einhebung der Pacht und sonstiger Gebühr zu kümmern, nicht um Personen. Dein kaiserlicher Herr, den die Himmlischen bei Glück erhalten mögen, soll um kein Salzkorn kommen, Salz und Pacht wird fließen wie bisher.«

»Ich sehe, Du bist ein Räuber, dem Kaiser wird es nicht einerlei sein, ob ein solcher oder ein vertrauenswürdiger Mann sein Pächter ist. Ich werde melden und mein Kaiser wird Dich durch seinen Statthalter richten.«

Der Erzherr, von der furchtlosen Rechtlichkeit des Römers unangenehm berührt, dabei aber sich seines Handels mit dem Legaten schadenfroh bewußt, sprach in schöngekleidetem Hohn: »Edler alter Herr, es ist mir himmelweit ferne, Dir Deine Taten vorschreiben zu wollen. Berichte Du mit Eifer, aber mir gestatte, daß ich des Ausgangs sorglos bin. Du gehst im Tale – mein Glück geht hoch, hoch oben wie auf goldenen Regenbögen, die du nicht siehst.« – Er lachte mit breitem Munde, halb furchtsam, halb roh, schloß aber seine Rede mit einer tiefen Verbeugung. Valerius hörte, bis er geendet, wandte sich gelassen und schritt im Regen zurück, als habe er einen Lustwandel getan, von Regen und Rede unberührt. Er vertraute auf die Gewalt des römischen Staates – hat es schon Einen gegeben, der ihm ungestraft trotzte? – Des anderen Morgens kam Manius nach Hause – ohne Truppe: Valerius solle Geduld haben, der Legat habe alle Truppen an die Grenze geworfen, es sei notwendig … Valerius zog grimmig die Brauen, aber er verschwieg, was er dachte.

*

Die folgenden Tage schüttelten den Erzherren mit einem unsäglichen Grimme, stärker als ein Sturm den Wald zerwühlt. Alle seine Leute, die er täglich aussandte, Isa zu suchen, denn er nahm an, sie habe sich irgendwo in die Almen zu versprengten Salzbergleuten geflüchtet oder mit ihnen in ein anderes Tal, kehrten zurück, ohne sie oder ein Zeichen ihres Weges gefunden zu haben. Als er endlich fühlte, er sei machtlos, sie wieder zu gewinnen, trat er in den düsteren Raum, den er ihrem Vater zugewiesen. Der sonst so gleichmütig-vornehme und still-zufriedene Mann saß auf einer schmucklosen Holzbank an einem kahlen Tischchen. Als der Erzherr eintrat, zog sich die Stirne des Salzherren in ungeheurem Ingrimm zusammen und seine sonst so gutmütigen Augen funkelten grün, wie die eines Raubtieres. »Wo hast Du Deine Tochter hingezaubert?« schrie der Erzherr. »Was hast Du alles mit ihr verabredet, wenn ich einmal käme und wollte sie mir holen? Der Du mich keiner Antwort gewürdigt hast! Du mußt wissen, wo sie sich verbirgt. Gib mir ihren Schlupfwinkel an oder ich will Dich peitschen lassen wie einen lügenhaften Knecht.« – Der Salzherr, totenblaß, gab kein Wort der Erwiderung, er richtete sich nur zornbebend auf, daß die Kette klirrte, die man ihm an die Hände gelegt hatte. Sein Mund öffnete und schloß sich, aber kein Laut kam von den bebenden Lippen, nur ein furchtbarer Haß drang aus all seinen Zügen. Da wurde der Erzherr von solch tierischer Wut übermächtigt, daß er den Vater des Mädchens, das er zum Weibe gefordert, beim Barte zu sich riß: »Heraus mit Dir, züchtigen will ich Dich, häßliche Fratze, die Sonne soll's sehen und all Deine Knechte – – –« Er riß den wehrlosen Mann aus der Türe – – – aber, als seien Himmel und Erde voll heulenden Sturmes und stürzten statt Schloßen Menschengestalten zu Boden, so furchtbar brach zugleich mit der wüsten Tat des Erzherren ein Toben rings um ihn los, ein Klirren, Dröhnen, schauerliches Schreien und von allen Bergseiten zurückgeworfenes wildes Jauchzen. Schwarz wurde der Platz um die Hütten und weit umher von Kriegern, von rasenden, anstürmenden, alles niederschlagenden, niedertretenden, würgenden Riesengestalten. Ein Heerzug der Nordmänner hatte den Salzberg beschlichen! Noch schleifte der Erzherr mit der Linken den wehrlosen Mann, die schwertlose Rechte hielt er abwehrend empor, da sprang aus dem Getümmel der Fremden hoch über die Arme der Vordersten Hello vor die beiden und traf mit ungeheurer Steinaxt den Schädel des Erzherren: »Räuber, Raubtier, nimm Deinen Lohn!« – So war das Ende des übermütigen, von einem falschen, frechen Glücksvertrauen betrogenen Tauernhäuptlings. – – –

Zu den Nordmännern war Hello gezogen, dem Walde zu, den ihm sein Bruder bezeichnet hatte. Kaum eines Augenblicks Dauer zu Rast und Nahrung gönnte er sich. Noch war er wohl eines Halbtags Weite von den Bergen, die er zu erreichen strebte, entfernt. Da quoll es aus den Schluchten vor ihm, glitt es von den Halden oberhalb breitströmend herab, alles wie springender, rollender Fels, wie rinnende Mur, wie ausgetretener Wildstrom, ihm entgegen – alles: Fluten und Wogen der Nordmänner!

Über die Ufer hatte der furchtbare Strom des Hasses geschlagen, den Rom durch jahrhundertelangen Angriff auf sich gezogen. Germanien drängte nach Rom, um des Untiers Kopf zu zertreten. Wie hier, so waren an hunderten von Stellen, an allen nur möglichen Lücken in der befestigten Grenzlinie die freien, aber stets von Rom bedrohten Völker des Nordens ins römische Reich gedrungen. Dem Stamme, dem Hello entgegenlief, war sein Bruder verbunden und es gelang Hello, sich in Irmins Namen zu ihm durchzufragen. Als er, wild erregt und doch fast todesmüde, an seine Brust fiel, umfing ihn dieser, selbst erregt und sturmestrunken, und hörte mit lodernden Augen Hellos Nachrichten und seine Bitte um Hilfe. Mächtig umschlang er ihn und jauchzend sagte er Hilfe zu: »Hello, die Zeit ist da, nach der ich seit Knabenjahren gedürstet, der ich als Mann geholfen, daß sie erscheine – Hello, Germanien wirft sich auf Rom! In eine neue Zeit stürzen die Tore!« – Rasch nahm der Führer eine Schar der wilden Krieger an sich: »Wir holen uns den römischen Salzberg und einen gallischen Räuber!« Tatsächlich entstammte der Erzherr einem Geschlechts römischer Gallier, das einst in die östlichen Berge gezogen war. Nach ganz kurzer Rast Hellos folgten Irmin und die germanischen Männer, die er sich gesellt hatte, der wiedergewonnenen, eilenden Hast des Jägers. –

Hatte den Erzherren der Blitz der Vergeltung getroffen, so waren aber auch dem trunkenen Hasse der durch Jahrhunderte gereizten, bedrängten, entzweiten, verhöhnten Germanen bei der Erstürmung des ihnen als Römergut geltenden Salzberges nicht nur die Knechte des Tauernherren, sondern auch als lustvoll geschlachtete, siegverheißende Opfer viele der Salzbergleute gefallen, auch alles Bauwerk mußte in Brand, Trümmern und Verwüstung dem furchtbaren Fluche, Rom anzugehören, verfallen sein. Nichts konnte Hello verwehren, auch Irmin war den entfesselten Rasenden gegenüber machtlos, nur den Vater Isas konnte Hello schützen und retten, und von den Knappen und Frauen des Salzbergs gelang manchem Häuflein eine rasch-heimliche Flucht in die Wald- und Felsenwildnisse. Auch den Berg hinab hatten die Riesen geforscht. Das römische Haus ward gebrochen, Roms Sachwalter fiel, obwohl selbst ein Nordmann, jetzt doch als römischer Krieger, an der Stätte seiner Pflicht. Manius, verwundet, verteidigte heiß seiner Schwester Leben und beide, an deren Not Hello, mühsam den Salzherren bergend, vorüberkam, konnten nur als Sklaven Irmins von diesem gerettet werden. Schwer gelang ihm die Tat, denn um Gefangene war es den Nordischen nicht zu tun: »Weiter, weiter, dem Süden zu!« Und über Hochfelde und Joche, durch die Ketten der Berge drang die Menschenflut … »Hello, Hello!« schrie es noch aus Julias Munde und angstvoll aufgerissen sahen ihre Augen zu ihm her. Aber selbst zu ihrem Beschützer, zu seinem Bruder Irmin, konnte er nicht mehr gelangen …

Die Salzbergsiedlung lag in Trümmern, ins Salzwerk sickerte Blut, das die heiligen Tiefen entweihte. Auch der Anger vor dem Tal des Gletscherstromes trug Opfer des Kampfes, zertrümmertes Bauwerk und das zertretene und hingebrochene Gärtchen des Römerkindes. – – –

Mit dem geretteten Vater Isas schritt Hello der Hütte am südlichen Seestrande zu. Der Salzherr war schwach und erschöpft von all dem Erlebten, Hello selbst ermüdet. Aber das Schicksal Isas, von dem sie beide nichts wußten, hätte ihn ohne Ruh' hingetrieben, wenn er nicht des gealterten Mannes neben ihm Rücksicht nehmen mußte. So schritten sie auf dem Pfade, der um den See führte, jetzt im Abendgrau langsam der Hütte Oslos zu. Wo eine hohe, schwarzgraue Wand von den obersten Teilen einer rauhen, zackigen Schneide senkrecht zum Seeufer absetzt, trat plötzlich um eine Fichte herum ein Mann auf den Pfad. »Wiesel!« rief Hello und der Jungbursch schritt ihm voll lebhafter Freude entgegen. Nun erfuhren die beiden Isas Rettung. »Julia! Julia!« rief Hello, fast übermannt von Schmerz über das Los der jungen, edlen Römerin. Zugleich erinnerte er sich der Pflicht gegen ihren Vater, den er fallen gesehen: »Wiesel, sobald ich Isa gesehen und unsern Salzherren geborgen weiß, bestatten wir Valerius!« – Er ließ sich nun Alles, was sich weiter begeben hatte, erzählen. Der Vater hatte, was an Zehrung und nächstem Bedarf notwendig war, aufgepackt und war mit Isa in die Höhle gewandert; Hello, wenn er wiederkehrte, und das Wiesel sollten ihnen nachfolgen und noch bergen, was von Wert sei. Es läge alles bereit. Den Kahn habe er unter Rindenhüllen im tiefsten Weidicht verborgen. Hello beschloß, des Salzherren wegen, die Nacht in der Hütte zu bleiben und frühmorgens mit ihm zur Höhle zu wandern.

Es war im ersten Grauen, als sie zu Berge stiegen. Langsam ging es die steilen, dichtwaldigen Stufen hinan, noch hörten sie ab und zu Eulenruf oder ein roter Fuchs fuhr grell ins Gehölz. An langer Schütt stiegen sie mühsam empor, an einer glattwandigen Felsklamm vorbei und über die schmale Pfadwindung des »Schnecken« zu den höheren Hängen hinan. An den weißen, turmartigen Abbruch des hohen Gipfels, der aus dem Hochtal der »Krippe« wächst, schlug das erste rosige Licht. Da überkam den Jäger die Sehnsucht. Langsam ließ er den Salzherren mit Wiesel an dem steilen, nur mehr mit Krummholz und Lärchen bewachsenen Berghang emporklimmen, er selbst eilte, als trüge er statt schwerer Last Flügel, zur Wand empor, in der er schon deutlich die Höhlentore sah. Nur ein wenig ließ er den Atem verwogen, dann trat er in die Höhle ein. Tief unter ihm, unter einer unsichtbar-hohen, finsteren Wölbung glomm ein Feuerchen. Dem Eingang zugewendet, saß Hellos Vater, auf einer mit Fellen verkleideten Felsbank lag Isa im tiefen Schlummer. Als sich der Alte erhob und mit hellem Aug' den Sohn begrüßte, erwachte auch die Herrentochter: »Hello! Hello!« rief sie und wie von einer unüberwindlichen Sturmmacht gehoben, sprang sie empor und warf die Arme um seinen Nacken. Als er jetzt die schlanke Fülle ihres jungen Lebens an seiner Brust fühlte, als sie ihm den schönen, stolzen Mund emporbot und ihre reine Seele offen im liebenden Blicke lag, da war alles Ungemach, waren Gefahr und Bangen vergessen und wie von der Sonne des neuen Tages, ob auch mitten im Höhlendunkel, glühte ihm das Herz. Ein neues, schöneres, höheres Leben wuchs vor ihm auf. – – – Das ungesprochne Selige berauschte beide, aber Isas erste Worte waren: »Was ist mit meinem Vater?« – »In wenig Augenblicken wirst Du ihn haben, er folgt mir nach.« – Kaum war es gesagt, schritten der Salzherr und das Wiesel in das Höhlenrund. Noch hing sein Kind in des Jägers Armen, als der Vater zu ihnen trat. Fast wehmütig und doch dankbar sprach er zu Hello: »Nimm sie, Du hast sie Dir verdient. Armut wird jetzt unser Teil sein.« – »Nicht Reichtum, als daß wir eben vereinigt sind,« erwiderte Hello, »aber auch nicht Armut. Nur Arbeit für ein neues Leben! Wir sind vielleicht wie vom Berge Gefallne, aber wir wollen wieder zur Höhe steigen. Der Salzberg ist tot, wir aber wollen im Tale leben, und auch seine Zeit wird wiederkehren. Es werden sich noch manche der Unsern finden, auch manches unserer Tiere, und da unten, wo einst der See bis ganz hinauf lag, da – oder dem Flusse – sollen nun an grünen Büheln unsere Hütten stehn. In diesen weitabgelegenen Winkel wird die Völkerwoge nicht schlagen, nur der Salzberg war weitbekannt. Wir wollen leben und schaffen, daß uns das Leben freut auch ohne Schätze!« – – Ernst hörte der Salzherr … aufschluchzend sank Isa an die Schulter des Mannes, der stark, mutig und schön an ihrer Seite stand.

 

Schon des andern Tages stiegen Hello und das Wiesel wieder zu Tal. Als sie den Weg um die Seebucht gingen, glitt eben ein hellgoldnes Morgenlicht an die kahlen Kuppen der hohen und steilen Berge rings um den See und weit hinaus dem Flusse nach. Die gelbe Wand oder der Hirschau überflog es wie Lebenslicht, sie glänzte wie eine hohe goldne Tafel, indes die Waldung zur Linken noch im kalten Schatten lag. Die Stätte, wo der Römer gewohnt, berührte schon die wärmende Frühsonne. Sein Leichnam, vieldurchbohrt, lag an der Vorderseite des erbrochenen und verwüsteten Hauses. Er hatte sich tapfer gewehrt, zwei große Leiber nordischer Krieger lagen vor ihm, die Brust vom Schwert durchbohrt, er selbst vorgestürzt auf einem Knie, den Schild noch an der Linken. Da nicht Zeit und ruhsame Gelegenheit zu einer feierlichen Leichenverbrennung war, gruben die Männer mit Geräten, die Eigentum des Römers gewesen, ein Grab für ihn im Gärtchen seiner Tochter. Schwert und Helm legten sie an die Seiten, den Schild über seine Brust und in Erinnerung an Julia hoben sie die unbeschädigte Tafel, die das Gedenken an ihre Mutter trug, aus der Wand und stellten sie dem Toten zu Häupten. Dann schütteten sie das Grab zu und wälzten Felsentrümmer der Salzbergwand über die Stätte. Auch die beiden Nordlandskrieger legten sie in ein Grab und zerhauene Speere an ihre Seite. Die Bernsteinperlen um die gewaltigen Haarschöpfe der Nordischen blinkten noch einmal im Morgenlicht, eh' die Erde sie barg, wie einst das Meer sie unendliche Zeiten bedeckt hatte. Ernst, in schmerzlicher Erinnerung an Julia, wandte sich Hello talaufwärts. Sie schritten an steilem Wald- und Felshang empor, kamen über den »dürren« Bach, der nur nach Regengüssen, dann aber auch gewaltig zu Tal geht, und stiegen hoch über dem Sturze des Waldstromes in die ebene Lichtung, wo er aus dem Boden tritt. Dort sahen sie blauen Rauch in leichter Säule emporgehen und fanden etliche der dem Gemetzel entkommenen Salzbergleute, Frauen und Männer, unter ihnen auch Rastlo, den die Flüchtigen nahe dem Kampfplatz verwundet aufgelesen und in Treue geborgen hatten. Auch einige Haustiere waren noch zu finden gewesen. Hello teilte den Leuten die Rettung des Salzherren und Isas sowie das Schicksal der römischen Familie mit, auch den jetzigen Aufenthalt aller Geborgenen und den Entschluß, nun auf die Höhe des Salzberges emporzusteigen und in den oberen Gründen nach Leuten und etwa erhaltenem Vieh zu forschen. Einige der Männer schlossen sich an, der Sturm der Nordmänner war ja verbraust, und es gingen sogar zwei Mägde mit, die zur großen Alm des Salzherren gehört hatten. Sie alle stiegen mit Hello und dem Wiesel zur Höhe. Viele Stunden durchforschten sie die Schluchten und Waldwiesen, sandten die ihnen gewohnten und unter ihnen wohlbekannten Almrufe durch die herrlich-warme Frühherbstluft und es gelang Hello tatsächlich, noch ein ganzes Häuflein Versprengter zu sammeln und auch Kühe und Geißen aufzufinden. Die zwei Mägde und die Männer, die sich ihm angeschlossen hatten, sandte er mit den Haustieren wieder den Wald hinab ins Tälchen hinter dem Waldbach und betrat dann mit dem Wiesel und einigen der neuaufgefundenen Männer, die bei ihm blieben, das eigentliche Salztal. Erschütternd wirkte der Anblick der Brandstätten, und noch manche Leiche, die über Weg lag, bestatteten sie im nassen Grund des Berges. Das Haus des Salzherren war ganz verwüstet, alles Wertvolle verschleppt; was als Beute zu groß und schwer erschienen, war zertrümmert und zertreten. Die großen, kunstvollen Gefäße lagen, von wilden Schlägen durchlöchert und zerbeult, auf kotigem Boden. Die Leiche des Tauernhäuptlings fanden sie nicht mehr am Orte, wo Hello ihn gefällt, doch führte ein breiter, blutiger Streifen zum Uferrand des hinabtosenden Salzbergwassers, und halbbedeckt von der eiligen Flut lagen dort zwei Leichname, der des Erzherren und über ihm die Leiche des Sklaven. Sie konnten sich diese Vereinigung nicht erklären und schritten weiter. Die Steinmännlein aber, die nun wieder allein die Herren und Diener des Berges waren und all die wilden Vorgänge erschreckt belauscht hatten, waren auch Zeugen dieses Geschehens gewesen. Als der Erzherr den mißhandelten Zwerg losließ und mit Valerius sprach, war der Oftgequälte eilig entglitten und hatte sich, von niemandem gesucht, in den dichten und selten begangenen Wald hinaufgerettet, der über den grünen Büheln stand, in denen die Toten des Salztales schlummerten. Als sich das schreckliche Lärmen der Nordmänner erhob, hatte er von sicherer Höhe, hinter einem rötlichen Felsturme liegend, alles mitangesehen und sich wieder scheu in Wald und Dickicht verkrochen. Nachdem sich dann übernächsten Tages der Menschensturm gestillt und das blutige Ungewitter verzogen hatte, trieben ihn Hunger und Neugierde in die zerstörte Siedlung. Manchen Vorrat fand er noch in verlassenen Hütten, nährte sich reichlich und stopfte einen ganzen gefundenen Sack mit Speise voll. Als er aber zum Hause des Salzherren kam und hier den hingestürzten Leichnam des Erzherren fand, da stellte er den Sack mit den Lebensmitteln zur Erde und besichtigte wollüstig den Toten. Zerschlagen war der Schädel, zerrissen hing der Bart vom Munde, aber die Beine, die den Sklaven so oft getreten, streckten sich noch lang und stark des Wegs empor, auf dem der Leichnam kopfabwärts lag. Neben den Toten setzte sich nun der Mißgestaltete, voll köstlichen Lebensgefühles und schwelgenden Hasses. Nicht genug des Anblicks, wollte er den schweren Leib an der Wand des Herrenhauses aufrichten, den zertrümmerten Schädel nach unten, aber immer wieder stürzte der Leichnam zu Boden. Da stellte sich der Zwerg zwischen die Beine des Toten, hob sie wie zwei Karrenstangen und schleppte die Leiche an den Rand der Wasserschlucht. Dort warf er sie den steilen Hang hinab, und als sie oberhalb des Wasserschusses liegen blieb, stieg er zu ihr hinab und rückte und drückte sie bis ins Gerinne. Der nasse graue Boden des Hanges aber wich und der Zwerg und der Leichnam, an dem er sich nun festhielt, stürzten ins Gestein und in die gurgelnde Flut. Der Zwerg, vom Fall betäubt, ertrank auf dem Leibe des Herren, der nicht minder grausam gewesen, als jetzt sein Sklave war.

Die Männlein vom Berge sahen jetzt auch Hello und seine Begleiter und blickten ihnen nach. – – – Auf dem Wege durch den Buchenwald erörterte Hello, was er ganz kurz schon zu Isa und ihrem Vater als Aufgabe der nächsten und späteren Zeit geäußert hatte. Alle sollten sich jetzt in der großen Höhle ob der Traun einfinden, auch das Vieh sollten sie hinbringen, Gefahr von wandernden Kriegern drohe ihnen so weit abseits wohl nicht mehr, weit sichtbar und bekannt sei nur der Salzberg gewesen. Was noch an Lebensmitteln zu finden, solle noch ausgeforscht und geborgen werden. Dies, dann Wild und Fische, Honig und Beeren, bringe sie wohl über den Winter. Nächsten Jahres wollen sie dann die Taltiefe um den oberen Flußteil roden und räumen und dort an den Büheln die neue Siedlung aufrichten. Auch verhacken und verdecken wollen sie den Umkreis gut und sich für alle Fälle wehrhaft halten. Käme aber nochmals Kriegsnot, der sie nicht gewachsen wären, so stünden ihnen ja immer wieder die verborgenen Höhlen, die heimlichen, weitverzweigten Felsenburgen der Saligen und Wege der Bergmännlein, offen.

*

Längst schon hatten Hello und Wiesel, nachdem sich ihre Begleiter bei dem römischen Hause von ihnen getrennt hatten – sie wollten die Geborgenen im oberen Waldbachtal aufsuchen –, wieder den Rand der mittägigen Felswüsten und das Höhlentor erreicht. Der Abend war früh ins Tal gesunken und endlich auch auf den Bergen in die tiefe Nacht übergedunkelt.

Herüben im Salztal waren nur mehr Weg- und Felsenschein erkennbar. Schweigen und Verlassenheit lagen über der zerstörten Siedlung. Im tiefen Einschnitt zwischen der ebenfalls zerstörten Wacht, unterhalb des Hügels mit der den Göttern heiligen Eiche, die noch stand, und den hellgrünen, jetzt aber kaum durchs Dunkel schimmernden Totenbüheln, saß auf Felsstücken ein Kreis von kleinen, ganz kleinen Männern. Grau alle von Bart und Kleid, unsichtbar jedem andern Aug' als ihren eigenen an Kluft und Spaltendunkel gewohnten Schimmerblicken.

Die Nacht war noch mondlos, der Himmel übersät mit Sternen, die aber ganz winzig und wie aus unendlicher Ferne herabschauten.

Da hob sich ein leises Saitenspiel und feines Klingen im dunklen Kreis. Metallene Scheibchen und ganz zarte Glocken begleiteten das weiche Spiel einer Harfe.

Als die ersten Töne erzitterten, blitzten ringsum in der Trift außerhalb der kleinen Versammlung grüne Lichtlein auf. Sie hüpften wie im Tanzschritt, erst an Ort und Stelle, dann rückten sie näher. Der lichte Schein, der von ihnen kam, erhellte ein weniges den Ort und es wurden nun für Augen, welche die Nacht durchdringen konnten, die kleinen Gestalten der Versammelten deutlicher.

Es waren die Bergmännchen, dreimal sieben, die mit den Leuten vom Salztale in getreuer, friedlichster Eintracht und Mithilfe gelebt hatten, seit ihnen der Vater des jetzt vertriebenen Salzherren mit der Wiedereröffnung des Salzbergwerkes auch wieder die Wege zur Oberwelt erschlossen hatte. Denn nur den Horten in der Erde oder dem Mitschaffen an ihrer Verbreitung dürfen die Bergmännchen dienen. Schätze, denen der Weg zur Lichtwelt nicht oder nicht mehr offensteht, dürfen sie nicht verlassen. Sie müssen ins Dunkel zurückkehren, wenn der Hort nicht mehr zur Sonne steigt. So war denn die kleine Schar in Wehmut versammelt, um vom Erdenlichte wieder Abschied zu nehmen. In ihrer Mitte saß ihr Königlein, wie sie ein solches bei jedem Hort haben. Es trug einen kristallenen Stern auf der Vorderseite des Spitzhutes und hielt die kleine Harfe, die es spielte, auf den Knien. Mit ganz leiser, aber klarer Stimme sang es jetzt ein Abschiedslied:

»Sonne, Mond im Dunkel ruhn,
Sterne kreisen ewig-fern,
grüne Lichtlein, nahet nun,
seid uns Sonne, Mond und Stern!«

Der Schwarm der grünen Lichter näherte sich rasch von beiden Seiten. Die vordersten schwebten am Boden herein in den Steinkreis, die rückwärtsbleibenden schlossen einen breiten Ring außen herum und lauschten still, solange der Harfenspieler sang; hatte er ein Gesätzlein beendigt, so schwebten sie der Musik gemäß in schillernder Bewegung. Nur die im Kreise selbst befindlichen hüpften, aber auch unter stetem Sich-drehen, auf die Gestalten und Hüte der Sitzenden, ganz wie es zahme Vöglein tun. Der Sänger setzte fort:

»Berg mit Haupt und reichem Schoß
stieg einst aus der Meeresflut.
Ihn umrankte Menschenlos,
wähnte ihn ein ewig Gut.«

Leise wiegend drehte sich der grüne Kreis einmal rundum.

»Menschenleben flüchtig wallt,
seine Welt ist Augenblick,
unser ist nur Zwerggestalt,
doch ein langes Zeitgeschick.«

Mutig klang die Harfe, Scheiben und Glöckchen klirrten und klingelten und die Grünlichter hüpften fröhlich, einmal auf und einmal nieder und im Kreise dann.

»Riesen sind im Sturm gestürzt,
tretet nicht in Menschenblut.
Heil'ger Hort, der Brot gewürzt,
ungehoben wieder ruht.

Aus der Sonne, die uns freute,
Schaffen schön im Licht uns gab,
Dienstschaft, die uns nie gereute,
müssen wir zur Nacht hinab.«

Dumpf schallte die Harfe, kurz, hart schlugen die Glöckchen an und die kupfernen Scheibchen, die grünen Lichtlein drehten sich einmal und gemessen, hielten dann ganz still und setzten das Hüpfen aus.

»Aber was die Tiefe deckt,
wird ihr nur zu neuer Hut,
wieder wird vom Licht geweckt,
was im Kerne rein und gut.«

Freudig drehten sich die Lichter in flinken Kreisen, aber über den Ostbergen stieg jetzt ein blasser Schimmer empor, er kündigte das Nahen des Mondes.

»Alles, alles, groß und klein,
flüchtig unserm Augenschein,
einmal wird es himmlisch-rein
und beglückt ein Ew'ges sein.«

Mit raschem Schlag begleitete die Harfe das Lied, hellauf tönten die Glöckchen und die grünen Lichter wirbelten wie trunken in mehrmaligen Kreisen rundum. Dann aber spürten sie die Spitze der Mondsichel, bückten sich rasch, wurden klein und kleiner und verlöschten. Auch der Harfner schloß:

»Schwindet, Lichtlein, habet Dank!
Männlein ihr in Felsentracht,
heim ins Reich, das untersank –
unser ist des Hortes Wacht!« – –

Noch ein Harfenschlag, ein Klirren, Klingeln, und das blanke Mondlicht traf nur mehr den leeren Weg zwischen Eiche und Büheln. –

*

Auch das graue Männchen, das oben auf dem Gipfel des Salzberges den Traum des Schläfers lenkte, hörte noch den vor viel mehr als tausend Jahren erschollenen Ruf, als wäre er eben erklungen,

»Heim ins Reich, das untersank,
unser ist des Hortes Wacht – –«

jetzt neu aus der Traumtiefe des Schläfers erklingen. War auch seither längst der Bann der Zwerglein gelöst und durften sie seit langen Zeiten wieder aus den Tiefen steigen und durch Halm und Blumen huschen, sich des wiedererweckten Berges freuen und tätig an seinem Leben teilhaben, das Männlein fand jetzt seinen Wunsch erfüllt, die Seele dieses Bergfreundes mit tausend neuen Fäden an die schöne Stätte zu knüpfen, die hier in Tal und Bergen lag. Es erhob sich, winkte einem der noch immer um den Gipfel gaukelnden Falter und war entschwunden. Der Falter aber senkte sich zum Schläfer und schritt furchtlos über dessen Lider.

Der Träumer fuhr auf, rieb sich die Augen und starrte in den blauen Nachmittag.

Wo war er, was umgab ihn –?

Wohl erkannte er rasch seinen Thronsitz, aufsprang er, um sein Wachsein zu erproben, aber obwohl ihm jetzt die laute Botschaft des lebendigen Tages von überallher entgegenwallte, konnte er doch nur langsam fassen, daß unter ihm im grünen Bergesschoß lichte, schöne Häuser standen, nicht die verkohlten Hüttenreste lagen, daß muntere Menschen tätig liefen, Lasten trugen, ein schwerer Karren mühsam von einem starken Ochsenpaar zu Berg gezogen wurde und über die kleine Schlucht, wo die Eiche gestanden, die längst abgewittert war, jetzt der liebe, wohlbekannte Wachturm herschaute, an dem er frühmorgens vorbeigeschritten und den er von See und Straße her so oft gesehen und stets so gerne wiedersah. – – Fast zwei Jahrtausende, das wurde ihm nun klar, hatte er in Zeit und Land zurückgelebt, zurück auch mit der Menschenwelt dieser Stätten, an denen mancher ihm Wohlbekannte ja noch heute den Namen ähnlich trägt, wie des tiefen Traumes Menschen hießen. Er meinte nun: umfassen müsse er die liebe Landschaft und die ihr wesenseigenen Menschen, wie man ein Einzelnes umfaßt und ans Herz drückt. Innig sah er noch einmal empor und hinab. Empor zur blendendweißen, felsgezackten Firnenkrone, hinab aus den blauen, geheimnisvollen See. Dann glitt sein Auge über die Seeflut hinüber und ruhte liebevoll auf den weißen Häusern, die zahlreich und niedlich im Grünen stehen, ob dem Flusse, der hier in den See tritt. Langsam und feierlich gestimmt hob er Sack und Stab vom Felsen weg und stieg zu Tal. Er schritt dieselben Wege im Sonnenglanz des Heute, die er im Traume von den Gestalten der Vergangenheit belebt gesehen hatte.

Ein Einiges sind Zeit und Ewigkeit; was lebt, lebt ewig, denn es lebt in seinen Werken fort.

*


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