Johann Georg Hamann
Aesthetica in nuce
Johann Georg Hamann

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Alle Farben der schönsten Welt verbleichen: so bald ihr jenes Licht, die Erstgeburt der Schöpfung, erstickt. Ist der Bauch euer Gott: so stehen selbst die Haare eures Hauptes unter seiner Vormundschaft. Jede Kreatur wird wechselsweise euer Schlachtopfer und euer Götze. – Wider ihren Willen – aber auf Hofnung – unterworfen, seufzet sie unter dem Dienst oder über die Eitelkeit; sie thut ihr Bestes eurer Tyranney zu entwischen, und sehnt sich unter den brünstigsten Umarmungen nach derjenigen Freyheit, womit die Thiere Adam huldigten, da GOTT sie zu dem Menschen brachte, daß er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch sie nennen würde, so sollten sie heißen.

Diese Analogie des Menschen zum Schöpfer ertheilt allen Kreaturen ihr Gehalt und ihr Gepräge, von dem Treue und Glauben in der ganzen Natur abhängt. Je lebhafter diese Idee, das Ebenbild des unsichtbaren GOttes– εικων θου Θεου αορατου. Koloss. I, 15. in unserm Gemüth ist; desto fähiger sind wir Seine Leutseeligkeit in den Geschöpfen zu sehen und zu schmecken, zu beschauen und mit Händen zu greifen. Jeder Eindruck der Natur in dem Menschen ist nicht nur ein Andenken, sondern ein Unterpfand der Grundwahrheit: Wer der HERR ist. Jede Gegenwürkung des Menschen in die Kreatur ist Brief und Siegel von unserm Antheil an der Göttlichen Natur– – θειας κοινωνοι φυσεως. 2. Petr. I, 4. συμμορφους της εικονος του υιου αυτου. Röm. 8, 29., und daß wir Seines GeschlechtsApostelgesch. XVII, 27. etc. sind.

O eine Muse wie das Feuer eines Goldschmieds, und wie die Seife der WäscherMaleachi III, 2. Sie wird es wagen, den natürlichen Gebrauch der Sinne von dem unnatürlichen Gebrauch der AbstractionenBacon de interpretatione Naturae & regno Hominis. Aphorism. CXXIV. Modulos ineptos mundorum & tanquam simiolas, quas in Philosophiis (in den Theorien der Wissenschaften) phantasiae hominum exstruxerunt, omnino dissipandas edicimus. Sciant itaque homines, quantum intersit inter humanae mentis Idola & diuinae mentis Ideas. Humanae mentis idola nil aliud sunt quam abstractiones ad placitum: Diuinae mentis ideae sunt vera signacula Creatoris super creaturas, prout in materia per lineas veras & exquisitas imprimuntur & terminantur. Itaque ipsissimae res sunt Veritas & Vtilitas: atque Opera ipsa pluris facienda sunt, quatenus sunt veritatis pignora, quam propter vitae commoda (um des Bauchs willen). Anderswo wiederholt er diese Erinnerung, daß man alle Werke der Natur nicht nur als beneficia vitae, sondern auch als veritatis pignora nutzen sollte. zu läutern, wodurch unsere Begriffe von den Dingen eben so sehr verstümmelt werden, als der Name des Schöpfers unterdrückt und gelästert wird. Ich rede mit euch, Griechen! weil ihr euch weiser dünkt, denn die Kammerherren mit dem gnostischen Schlüssel; – versucht es einmal die Iliade zu lesen, wenn ihr vorher durch die Abstraction die beyden Selbstlauter α und ω ausgesichtet habt, und sagt mir eure Meynung von dem Verstande und Wohlklange des Dichters.

Μηνιν· ειδε Θε· πηληι· δε· χιληος

Seht! die große und kleine Masore der Weltweisheit hat den Text der Natur, gleich einer Sündfluth, überschwemmt. Musten nicht alle ihre Schönheiten und Reichthümer zu Wasser werden? – Doch ihr thut weit größere Wunderwerke, als die Götter sich jemals belustiget– φιλοπαιγμονες γαρ κει οι Θεοι. Sokrates im Kratylus. haben, durch EichenSokrates zum Phädrus: Οι δε ω φιλε εν τω του Διος του Δωδωναιου ιερω δρυος λογους εφασαν μαντικους πρωτους γενεσθαι· τοις μεν ουν τοτε ατε ουκ ουσι σοφοις, ωσπερ υμεις οι νεοι, απεχρη δρυος δε και πετρας ακουειν υπ' ευηθειας, ει μονον αληθη λεγοιεν. Σοι δ' ισως διαφερει, τις ο λεγων και ποδαπος, ου γαρ εκεινο μονον σκοπεις, ειτε ουτως ειτε αλλως εχει. und Salzsäulen, durch petrificirte und alchymische Verwandlungen und Fabeln, das menschliche Geschlecht zu überreden – Ihr macht die Natur blind, damit sie nämlich eure Wegweiserin seyn soll! oder ihr habt euch selbst vielmehr durch den Epikurismum die Augen ausgestochen, damit man euch ja für Propheten halten möge, welche Eingebung und Auslegung aus ihren fünf Fingern saugen. – Ihr wollt herrschen über die Natur, und bindet euch selbst Hände und Füße durch den Stoicismus, um desto rührender über des Schicksals diamantene Fesseln in euren vermischten Gedichten fistuliren zu können.

Wenn die Leidenschaften Glieder der Unehre sind, hören sie deswegen auf, Waffen der Mannheit zu seyn? Versteht ihr den Buchstaben der Vernunft klüger, als jener allegorische Kämmerer der alexandrinischen Kirche den Buchstaben der Schrift, der sich selbst zum Verschnittenen machte, um des Himmelreichs willen? Die grösten Bösewichter gegen sich selbst, macht der Fürst dieses Äons zu seinen Lieblingen; – – seine Hofnarren sind die ärgsten Feinde der schönen Natur, die freylich Korybanten und Gallier zu Bauchpfaffen, aber starke Geister zu wahren Anbetern hat.

Ein Philosoph, wie Saul1 Sam. XIV, 24., stellt Mönchengesetze – – Leidenschaft allein giebt Abstractionen sowohl als Hypothesen Hände, Füße, Flügel; – Bildern und Zeichen Geist, Leben und Zunge – – Wo sind schnellere Schlüsse? Wo wird der rollende Donner der Beredsamkeit erzeugt, und sein Geselle – der einsylbichte Blitz

Brief as the lightning in the collied night,
That (in a spleen) unfolds heav'n and earth
And ere man has power to say: Behold!
The jaws of darkness do devour it up.
                Shakespeare im Midsummer-Night's Dream.

 – –

Warum soll ich Ihnen, nach Stand, Ehr und Würden unwissende Leser! Ein Wort durch unendliche umschreiben, da sie die Erscheinungen der Leidenschaften allenthalben in der menschlichen Gesellschaft, selbst beobachten können; wie alles, was noch so entfernt ist, ein Gemüth im Affect mit einer besonderen Richtung trift; wie jede einzelne Empfindung sich über den Umkreis aller äußeren Gegenstände verbreitetC'est l'effet ordinaire de notre ignorance de nous peindre tout semblable à nous et de repandre nos portraits dans toute la nature, sagt Fontenelle in der Histoire du Theatre Franç. Une grande passion est une espece d'Ame, immortelle à sa maniere et presque independante des Organes. Fontenelle in Eloge de M. du Verney.; wie wir die allgemeinsten Fälle durch eine persönliche Anwendung uns zuzueignen wissen, und jeden einheimischen Umstand zum öffentlichen Schauspiele Himmels und der Erden ausbrüten. – Jede individuelle Wahrheit wächst zur Grundfläche eines Plans, wunderbarer als jene Kuhhaut zum Gebieth eines Staats; und ein Plan, geraumer als das Hemisphär, erhält die Spitze eines Sehpuncts. – – Kurz, die Vollkommenheit der Entwürfe, die Stärke ihrer Ausführung; – die Empfängnis und Geburt neuer Ideen und neuer Ausdrücke; die Arbeit und Ruhe des Weisen, sein Trost und sein Eckel daran, liegen im fruchtbaren Schooße der Leidenschaften vor unsern Sinnen vergraben.

»Des Philologen Publicum, seine Welt von Lesern, scheint jenem Hörsaal ähnlich zu seyn, den ein einziger Platon fülltePlato enim mihi VNVS instar omnium est. Cicero in Brut.. – Antimachus fuhr getrost fort, – wie geschrieben steht:

Non missura cutem nisi plena cruoris hirudo.«

Gerade, als wenn unser Lernen ein bloßes Erinnern wäre, weist man uns immer auf die Denkmale der Alten, den Geist durch das Gedächtnis zu bilden. Warum bleibt man aber bey den durchlöcherten Brunnen der Griechen stehen, und verläst die lebendigsten Qvellen des Alterthums? Wir wissen vielleicht selbst nicht recht, was wir in den Griechen und Römern bis zur Abgötterey bewundern. Daher kommt der verfluchte WiderspruchPs. LIX, 13. in unsern symbolischen Lehrbüchern, die bis auf diesen Tag in Schaafsfell zierlich gebunden werden, aber inwendig – ja inwendig, sind sie voller Todtenbeine, voller hypo-kritischer UntugendSiehe den ganzen XI. Theil der Briefe, die neueste Litteratur betreffend, hie ein wenig, da ein wenig, eigentlich aber Seite 131..

Gleich einem Manne, der sein leiblich Angesicht im Spiegel beschaut, nachdem er sich aber beschaut hat, von Stundan davon geht und vergißt, wie er gestaltet war; eben so gehen wir mit den Alten um – Gar anders sitzt ein Maler zu seinem eignen Contrefait. – Narciß, (das Zwiebelgewächs schöner Geister) liebt sein Bild mehr als sein LebenOuid. Metamorph. Lib. III.

– bibit visae correptus imagine formae.
Spem sine corpore amat, corpus putat esse, quod vmbra est.
Adstupet ipse sibi, vultuque immotus eodem
Haeret vt e Pario formatum marmore signum.
Spectat humi positus geminum, sua lumina, sidus,
Et dignos Baccho, dignos & Apolline crines,
Impubesque genas & eburnea colla, decusque
Oris, & in niueo mistum candore ruborem;
Cunctaque miratur, quibus est mirabilis ipse.
– – opaca fusus in herba
Spectat inexpleto mendacem lumine formam,
Perque oculos perit ipse suos; paulumque leuatus
Ad circumstantes tendens sua brachia siluas:
»Ecquis io! siluae, crudelius, inquit, amauit?
(Scitis enim & multis latebra opportune fuistis) – – –
Et placet & video; sed quod videoque placetque
Non tamen inuenio. Tantus tenet error amantem!
Quoque magis doleam, nec nos mare separat ingens
Nec via, nec montes, nec clausis moenia portis.
Exigua prohibemur aqua – – –
Posse putes tangi. MINIMVM est quod amantibus obstat.
Quisquis es, huc exii – – –
Spem mihi nescio quam vultu promittis –
– – lacrymas quoque saepe notaui
Me lacrymante tuas, nutu quoque signa remittis –
In te ego sum. Sensi, nec me mea fallit imago –
Quod cupio, meum est: inopem me copia fecit.
O vtinam nostro secedere corpore possem!
Votum in amantem nouum – – –«
DIXIT & ad faciem rediit male sanus eandem,
Et lacrymis turbauit aquas, obscuraque moto
Reddita forma lacu est. Quam quum vidisset abire
– – clamauit: »Liceat quod tangere non est
Aspicere & misero praebere alimenta furori« –
Ille caput viridi fessum submisit in herba;
Lumina nox clausit domini mirantia formam.
Tum quoque se, postquam est inferna sede receptus,
In Stygia spectabat aqua – – –
Planxerunt Dryades; plangentibus assonat Echo,
Iamque rogum quassasque faces feretrumque parabant,
Nusquarn corpus erat. Croceum pro corpore florem
Inueniunt foliis medium cingentibus albis.
.

Das Heil kommt von den Juden – Noch hatte ich sie nicht gesehen; ich erwartete aber in ihren philosophischen Schriften gesundere Begriffe – zu eurer Beschämung – Christen! – Doch ihr fühlt den Stachel des guten Namens, davon ihr genennt seydJakob. II, 7., eben so wenig als die Ehre, die sich GOTT aus dem Eckelnamen des Menschensohns machte – – – –

Natur und Schrift also sind die Materialien des schönen, schaffenden, nachahmenden Geistes – – Bacon vergleicht die Materie der Penelope; – ihre freche Buhler sind die Weltweisen und Schriftgelehrten. Die Geschichte des Bettlers, der am Hofe zu Ithaka erschien, wißt ihr; denn hat sie nicht Homer in griechische und Pope in englische Verse übersetzt? – –

Wodurch sollen wir aber die ausgestorbene Sprache der Natur von den Todten wieder auf erwecken? – – Durch Wallfahrten nach dem glücklichen Arabien, durch Kreuzzüge nach den Morgenländern, und durch die Wiederherstellung ihrer Magie, die wir durch alte Weiberlist, weil sie die beste ist, zu unserer Beute machen müssen. – Schlagt die Augen nieder, faule Bäuche! und lest, was BaconMAGIA in eo potissimum versabatur, vt architecturas & fabricas rerum naturalium & ciuilium symbolisantes notaret – – Nec similitudines merae sunt (quales hominibus fortasse parum perspicacibus videri possint) sed plane vna eademque naturae vestigia aut signacula diversis materiis & subiectis impressa. Bacon im dritten Buch de augmentis scientiarum; wo er die Magie auch durch eine scientiam consensuum rerum vniuersalium und bey diesem Schimmer die Erscheinung der Weisen zu Bethlehem zu erklären meynt. von der Magie dichtet. – Weil euch seidene Füße in Tanzschuhen eine so beschwerliche Reise nicht tragen werden: so laßt euch einen Richtweg durch die Hyperbel zeigen –– και ετι καθ' υπερβολην οδον υμιν δεικνυμι. 1. Kor. XII. 31.

Du, der Du den Himmel zerrissest und herabfuhrst! – vor Dessen Ankunft Berge zerfließen, wie heiß Wasser vom heftigen Feuer aufseudet, damit Dein Name unter Feinden desselben, die sich gleichwol nach Ihm nennen, kund werde, und gesalbte Heyden zittern lernen vor den Wundern, die Du thust, derer man sich nicht versieht! – Laß neue Irrlichter im Morgenland aufgehen! – Laß den Vorwitz ihrer Weisen durch neue Sterne erweckt werden, uns ihre Schätze selbst ins Land zu führen – Myrrhen! Weyrauch! und ihr Gold! woran uns mehr gelegen als an ihrer Magie! – Laß Könige durch sie geäfft werden, ihre philosophische Muse gegen Kinder und Kinderlehren vergeblich schnauben; Rahel aber laß nicht vergeblich weinen! – –


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