Friedrich Halm
Die Marzipan-Lise
Friedrich Halm

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»Denkt Euch nun mein Erstaunen, werte Jungfer,« fuhr Herr Steidler fort, »Als ich plötzlich den jungen hübschen Mann die dürren, krummen Knochenfinger der Alten erfassen und mit einer Andacht und Inbrunst küssen sah, als wäre sie eine kaiserliche Prinzessin und Ausbund aller Schönheit! Alle Wetter, sagte ich zu mir selbst, mit welchem Halfter sind die zwei Leute zusammengekoppelt? Und da eben der Kreuzwirt mit der dampfenden Weinsuppe, meinem Frühstück, in die Stube tritt, winke ich ihn zu mir heran und frage ihn, wer die Zwei wären? Ei, sagte der, ans Fenster tretend, das ist die Marzipan-Lise, und da ich neugierig wiederhole: die Marzipan-Lise? berichtete er, die Alte wäre die Witwe eines reichen Lebküchlers, nach dessen Tode sie jedoch sein Geschäft aufgegeben, um ein minder süßes, aber bei weitem einträglicheres zu betreiben; sie leihe nämlich auf Pfänder, drücke ihren Schuldnern wucherische Zinsen ab, verkaufe ihnen Haus und Hof und wenn die armen Leute dann ihre Hartherzigkeit verfluchten, pflegte sie zu sagen, wenn sie nur ihr Geld habe, das andere wäre ihr Marzipan, welcher Redensart sie denn auch ihren Spitznamen verdanke. Sie wäre nun an die Siebzig, besäße zwei Häuser zu Bruck, drei Häuser zu Grätz, und auch sonst noch Grundstücke, Weingärten und scheffelweise Geld, aber nicht Kind noch Kegel und kein Mensch wisse, wem nach ihrem Tode all der Reichtum zufallen werde. Und da der junge Mann, sage ich darauf, wer ist er, und macht er der Alten den Hof und will er sie etwa heiraten? Worauf der Kreuzwirt lachte und meinte, die Alte wolle der nicht, nur ihr Geld; denn er wäre armer Leute Kind und hätte sich durch Fleiß und Geschicklichkeit, vorzüglich aber durch die Gunst der Weiber emporgearbeitet, mit denen er als ein hübscher, pfiffiger Bursche gar gut umzugehen wisse, so daß er jetzt Registrant im Magistrat und sehr beliebt bei Rat und Bürgerschaft wäre; nur der Herr Lamprechter, der Kaufmann auf dem Markte, sei ihm nicht grün, weil er der Nani, seiner einzigen Tochter, nachgehe, die um seinetwillen schon frei Freier und darunter den Syndikus der Stadt abgewiesen habe. – Da ich aber meine Frage wiederhole, was denn doch wohl der Herr Registrant mit der boshaften Alten wolle, sagte der Kreuzwirt: Nun, er ist ihr Mietsmann, und seit er in ihr Haus gezogen, hätschelt und pflegt er die Alte, besorgt ihre Geschäfte, redet ihr in aller Weise zu Gehör und alles das in der Hoffnung, sie werde ihm ein tüchtig Stück Geld hinterlassen, damit er nach ihrem Tode die Lamprechter Nani heiraten könne. Es solle auch, setzte der Kreuzwirt hinzu, schon alles in Richtigkeit sein; ja der Registrant behaupte sogar, er selbst habe der Alten auf ihr Verlangen den Entwurf zu einem Testamente aufsetzen müssen, in dem sie ihn zu ihrem Universalerben erklärte; die Alte dagegen wolle es nicht Wort haben, sie lächle boshaft, wie sie pflege, wenn sie darüber zur Rede gestellt werde, und meine, es sei nicht alles Gold was glänze; es gäbe wohl noch Tauben auf dem Dache, aber darum stäken sie noch nicht am Spieße, und manche Henne auf ihrem Ei wisse nicht, was sie ausbrüte, und dergleichen Dinge mehr, so daß im Grunde doch niemand recht wisse, welchen Ausgang die Geschichte nehmen werde! – Während dieser und anderer Reden war im Gäßchen unten der Registrant seine Wege gegangen und der alte Drache in seine Höhle zurückgeschlüpft, und ich -«

Hier hielt der Erzähler inne, denn einer seiner Zuhörer hatte in dem Bestreben, sich leise zu erheben und seinen Stuhl recht unbemerkt zurückzuschieben, mehr Geräusch verursacht, als dies vielleicht bei minderer Vorsicht der Fall gewesen wäre. Es war der Schreiber Ferencz, der nicht wenig verwirrt schien, die allgemeine Aufmerksamkeit durch diese Störung so ausschließlich auf sich gezogen zu haben. Erst auf den wiederholten Anruf Horváths, was es gäbe, stammelte er die Entschuldigung hervor, auf dem Platze, den er bisher eingenommen, verletze das grelle Kerzenlicht seine leidenden Augen und er gedächte sich daher in die dunkleren Räume der Stube zurückzuziehen. »Seh' Er nur lieber gleich zu Bette; kranke Leute taugen nicht zu gesunden!« gab ihm Horváth rauh und hart zur Antwort, worauf aber Ferencz nach kurzem Besinnen mit unsicherer Stimme erwiderte, er wollte nichts von der anziehenden Erzählung des Herrn Steidler verlieren und daher, wenn es ihm vergönnt wäre, auf der Bank hinter dem Ofen Platz nehmen! – »Auch gut, krieche Er hinter den Ofen,« brummte Herr Horváth; gleich darauf aber Czenczis Erbleichen und Erröten, ihre besorgten Blicke, die schlecht verhehlte Unruhe gewahrend, mit der sie den Bewegungen des Schreibers folgte, rief er, mit der derben Faust auf den Tisch hinschlagend, daß Flaschen und Gläser klirrten: »Kreuz – schwere Not! Rühre dich, Mädel! Das Glas des Herrn Steidler ist leer! Schenk ein und präsentiere ihm den Kuchenteller! Donnerwetter, paß auf!« Während Czenczi zusammenfuhr und so rauher Mahnung ungewohnt, zitternd die Aufträge des Vaters erfüllte, hatte dieser, seinen Unmut unter einer scherzenden Miene verbergend, sich wieder zu seinem Gaste gewandt und ihn aufgefordert, nach dieser unliebsamen Unterbrechung den Faden seiner Erzählung wieder aufzunehmen.

»Liebenswertester Freund,« begann Herr Steidler, »ich habe Euch wohl vorausgesagt, daß an jenem Vorfall, von dem ich Euch durchaus berichten sollte, nicht eben viel Merkwürdiges wäre; Ihr habt mir aber nicht glauben wollen; erstaunt also nicht, wenn ich an den Anfang meiner Geschichte statt ihrer Fortsetzung, die Ihr erwartet und begehrt, gleich unmittelbar ihr Ende knüpfen muß. Nachdem ich nämlich auf die Art und Weise, wie ich eben berichtet, die Marzipan-Lise und ihren Mietsmann kennengelernt hatte, ging ich meinen Geschäften nach und kehrte dann in meine Heimat zurück, ohne von jenen beiden weiter zu hören, oder ihrer auch nur von ferne zu gedenken. Nach etwa sechs Wochen hatte ich wieder eine Geschäftsreise nach Bruck anzutreten und diese Gelegenheit benützte ich, einen Freund auf einem von Bruck kaum eine halbe Stunde entfernten Hammerwerke zu besuchen; dort abgestiegen, wurde ich nicht mehr fortgelassen; ich mußte bei meinem Freunde übernachten und setzte erst ziemlich spät morgens meine Reise wieder fort.

»Ich wußte, daß an jenem Tage zu Bruck der Wochenmarkt abgehalten werde und gedachte von diesem Umstande zur Besorgung mancher notwendiger Einkäufe Nutzen zu ziehen; ich war daher nicht wenig erstaunt, als ich bei meiner Ankunft zu Bruck zwar den Marktplatz mit Waren aller Art bedeckt, aber weder Käufer noch selbst Verkäufer, nur einige Kinder und alte Weiber, die Waren zu behüten, zur Stelle fand. Vor dem Kreuzwirtshause angelangt sah ich weder Hausknecht noch Kellnerin herzuspringen, noch schwenkte mir der Kreuzwirt sein grünes Samtmützlein entgegen, dagegen bemerkte ich an der Ecke des Hauses ein Knäuel von Menschen, den immer neuer Zulauf vermehrte. Dies erregte meine Neugier; ich schritt auf das Gewimmel zu und hatte kaum einige Schritte getan, als ich den Kreuzwirt erkannte, der mit zuwinkte und schrie: Hierher, nur hierher, kommt nur, Herr Steidler! – Kreuzwirt, sagte ich, als ich ihn endlich erreicht hatte, beißt Euch das Mäuslein, daß Ihr hier Maulaffen feil habt? Gibt's Feuer oder ist sonst ein Unglück geschehen? – Der aber, ganz erhitzt und verwirrt meiner Worte nicht achtend, schnaubt mir entgegen: Wollt Ihr sie sehen? Ich führe Euch hin, wenn Ihr sie sehen wollt! – Potz Hammer und Amboß! rufe ich, wer oder was ist denn zu sehen? – Was zu sehen ist? war die Antwort, nun die Marzipan-Lise, nach der Ihr letzthin fragtet! Kommt nur mit! Eben ist der Syndikus hinein und die Herren vom Rate! – Und ohne mir weiter Auskunft zu geben, faßte er mich beim Arm, rief mit barscher Stimme der vorwärtsdrängenden Menge ein: Platz da! Vorgesehen! zu, und zog mich, mit breiten Schultern und derben Fäusten mir Luft machend, in das Gäßchen hinein, dessen ich früher gedachte, und das nun mit Menschen jeden Geschlechts und Alters so vollgepfropft war, daß nirgends auch nur ein Apfel hätte zur Erde fallen können.

Endlich hatten wir das Haus erreicht, waren die Eingangsstufen hinangestolpert und hatten uns durch den dunklen Hausflur an der steilen, finstern Treppe vorbei durch mehrere Stuben des Erdgeschosses in ein kleines gewölbtes Gemach gedrängt, das, wie sich später auswies, die Schlafstube der Hausfrau war. Das erste, war mir hier in die Augen fiel, war die über einen Haubenstock gestülpte Drahthaube mit der feuerfarbenen Schleife; über der Lehne eines Stuhls hing das Kamelottkleid und das dazu gehörige Halbmäntelchen; die Besitzerin dieser Gewänder aber lag unfern von ihrer Bettsponde, nur notdürftig bedeckt, auf dem Boden; das dünne graue Haar hing aufgelöst um das runzlichte schwarzblaue Gesicht und den pergamentähnlichen Nacken, den scharf ins emporquellende Fleisch gedrückt das grellgelbe Halstuch umschlang, mit dem die Unglückliche nach kurzer, vergeblicher Gegenwehr erdrosselt worden war; dafür bürgten die starren blutunterlaufenen, gewaltsam aus ihren Höhlen herausgetriebenen Augen, der halboffene Mund, der sich zu einem gräßlichen Hohngelächter zu verzerren schien, und die verkrümmten Hände, die offenbar in dem vergeblichen Bestreben erstarrt waren: den erdrosselnden Knoten des gelben Halstuches zu lösen! Es war ein entsetzlicher Anblick! Als ich endlich imstande war, meine Blicke von dem furchtbaren Schauspiele abzuwenden, auf das ich lange voll Schaudern und Entrüstung hingestarrt hatte, gewahrte ich in einer Ecke des Gemachs mehrere mir bekannte, ansehnliche Bürger der Stadt um einen stattlichen Herrn versammelt, der, an dem geöffneten Schreibtisch der Ermordeten sitzend, die darin enthaltenen Papiere durchmusterte, und den mir der Kreuzwirt als den Syndikus der Stadt und einen der Freier der Lamprechter Nani zu erkennen gab. Die Herren waren, der Leiche kaum mehr eingedenk, in ein leises, aber höchst lebhaftes Gespräch verwickelt, das, allmählich lauter werdend, durch einzelne Worte erkennen ließ, daß es sich um den Nachlaß der Ermordeten handelte. Dieser Umstand hatte mich zu der Frage veranlaßt, was denn mit dem Registranten, dem Mietsmann und mutmaßlichen Erben der Toten und glücklichen Nebenbuhler des Syndikus, geworden wäre, und der Kreuzwirt teilte mir eben halblaut mit, daß derselbe, mit der Versteigerung eines in der Laming in Gant verfallenen Anwesens beauftragt, schon seit sechs Tagen abwesend wäre, als sich ein immer zunehmendes Gewirre von Stimmen im Hausflur erhob, die ärgerlich abmahnend einen ungestüm Vorwärtsdringenden zurückzuweisen bemüht schienen. Gleichwohl drang der laute Ruf: Ich muß hinein! Platz da! Ich muß sie sehen! immer näher, bis zuletzt der Schwall der Menge plötzlich sich teilte, und verstört, geisterbleich, große Schweißtropfen auf der Stirn, ein junger Mann ins Gemach stürzte, in dem ich augenblicklich den Registranten wiedererkannte, von dem wir soeben gesprochen. Bei dem Anblick der Ermordeten bebte er zurück, rang die Hände und rief einmal über das andere: O Jammer! O Entsetzen! O unglückseliger, grauenvoller Tag! – Mittlerweile war der Syndikus, der sich beim Eintritt des jungen Mannes erhoben, und ihn eine Weile von fern mit finsterem, fast feindlichem Blicke gemessen hatte, auf ihn zugeschritten und begann jetzt in langsam feierlichem Tone, in dem mir aber Hohn und Schadenfreude ganz deutlich durchzuklingen schienen: Ja! beklage Er das gräßliche Ende seiner mütterlichen Freundin! Beklage und beweine Er sie, wie wir sie beklagen und beweinen, wie bald ganz Bruck dies edle Herz, diese vielverkannte Seele, diese Mutter der Armen, diese Zuflucht der Betrübten, beklagen und beweinen wird! Denn, hört und beherzigt es, schätzbarste Anwesende, diese oft geschmähte und verleumdete, diese mit Schimpf und Hohn verfolgte, mit Spottnamen verunehrte Frau hat feurige Kohlen auf euer Haupt gesammelt und ihr ganzes, großes Vermögen ungeteilt und ausschließlich hiesiger Stadt zur Gründung eines Bürgerspitals und Waisenhauses in bester Form Rechtens letztwillig hinterlassen! – Ein Murmeln und Flüstern des Staunens zog brausend durch die Versammlung, während der junge Mann eine Weile stumm und gedankenlos den Sprechenden anstarrte; als aber hier und dort in der Menge ein: Gott segne sie, ein: Ruhe sie in Frieden! laut wurde, als die erste stumpfe und mehr neugierige als erschütterte Menge plötzlich vom Drang des Dankgefühls hingerissen wie ein Mann sich auf die Knie warf und ein Gebet für ihre ermordete Wohltäterin anstimmte, da flammte in seinem Auge die Glut des feindlichsten Hasses auf, die, als sein Blick sich abwendend wieder auf die Leiche fiel, in den Ausdruck wahnsinniger Wut sich verwandelte; er knirschte mit den Zähnen, wühlte mit den Händen in seinem Haar, dann stieß er einen Schrei aus, der halb wie Schmerzgeheul, halb wie Gelächter der Verzweiflung erklang, taumelte, verdrehte die Augen und schlug im nächsten Augenblick leblos wie ein Stück Holz neben der Leiche hin!«

Herr Steidler, der in dem Bemühen, seinen Zuhörern die Eindrücke des vorlängst Erlebten recht anschaulich zu vergegenwärtigen, ungewöhnlich lebhaft geworden war, hielt hier inne, um sich zu sammeln und seine Erinnerungen für die Fortsetzung seiner Erzählung zu ordnen, als vom Ofen her, hinter dem schon lange schwere Atemzüge hörbar geworden, nun plötzlich ein dumpfes ängstliches Stöhnen wie das Röcheln eines Erstickenden erscholl. »Herr Jesus,« jammerte Base Margit, »es spukt!« und verbarg das Gesicht in ihrer Schürze.; Horváth war vom Stuhle aufgesprungen, Czenczi aber stürzte mit dem Angstschrei: »Um Gottes willen, was ist geschehen?« auf den Ofen zu. Noch ehe sie aber das mächtige grüne Kachelgebäude erreicht hatte, schwankte schon Ferencz, wie einer, dem die Knie brechend versagen, krampfhaft an das Gesimse des Ofens geklammert und daran sich forthelfend, hinter demselben hervor. Er war kreideweiß bis in die Lippen, seine Brust flog und arbeitete nach Luft; fieberhaftes Zittern durchlief seine Glieder und ließ seine Zähne hörbar aneinanderklappern. – Ihm sei todesübel geworden, es verlege ihm den Atem, ächzte er, aber es werde wohl vorübergehen, wenn er nur erst zu Bette wäre! – »Wasser, Wasser!« schrie Czenczi, »er stirbt! Hilfe!« und damit stürzte sie auf ihn zu und unterstützte den Schwankenden. Aber kaum, daß sie ihn berührt hatte, fühlte sie auch schon die schwere Hand des Vaters auf ihrer Schulter, die sie wie eine Flaumfeder fortdrehte, daß sie taumelnd in einer Ecke des Gemachs niedersank. – »Schickt sich das?« rief Horváth, dessen Grimm nur des zündenden Funken geharrt hatte, um aufzuflammen wie eine Pulvertonne, »ist's hier zu Lande Brauch, daß sittsame Mädchen sich nach Belieben den jungen Burschen an den Hals werfen? Gott's Donnerwetter! Ich will dich lehren, Dirne, was sich schickt!« – und damit erhob er die Hand; aber er besann sich und winkte die Base Margit heran: »Helft dem Burschen auf seine Stube,« sagte er, » und macht fort! Ich bin des Gewinsels satt und will Ruhe haben;« – Margit gehorchte und entfernte sich mit dem halbohnmächtigen Ferencz, zu dessen Wiederbelebung der eben stattgehabte Auftritt auch freilich nicht sehr geeignet war.


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