Albrecht von Haller
Über den Ursprung des Übels
Albrecht von Haller

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Buch

            O Wahrheit! sage selbst, du Zeugin der Geschichte!
Wer machte Gottes Zweck und unser Glück zunichte?
Wer wars, der wider Gott die Geister aufgebracht
Und uns dem Laster hold, uns selber feind gemacht?
 

Verschieden war der Fall verschiedner Geister-Orden:
Der einen Trefflichkeit ist ihr Verderben worden,
Die Kenntnis ihres Lichts gebar ihr Finsternis,
Sie hielten ihre Kraft für von sich selbst gewiß
Und, voll von ihrem Glanz, verdrüßlich aller Schranken,
Mißkennten sie den Gott, dem sie ihn sollten danken;
Ihr allzu starker Trieb nach der Vollkommenheit
Ward endlich zum Gefühl der eignen Würdigkeit;
Ihr Stolz fing an in Haß die Furcht vor Gott zu kehren,
Als ohne den sie selbst der Wesen erste wären.
So wich ihr Schwarm von Gott, dem Ursprung seines Lichts,
Ihr Glanz, entlehnt von Gott, fiel bald ins eigne Nichts;
Nichts blieb an ihnen gut. Gott hatten sie verlassen,
Der Liebe wahren Zweck verschwuren sie zu hassen,
Des höchsten Guts Genuß war ewiglich verscherzt,
Der Sinn war mißvergnügt, des Urteils Licht geschwärzt.
In ihrem Wesen selbst, worin sie sich verstiegen,
Fand sich kein innrer Quell von stetigem Vergnügen:
Ihr Aufruhr rächte Gott, ihr Hochmut ward zur Schmach,
Das Böse war gewählt, das Übel folgte nach;
Bis daß Reu ohne Buß, Verzweiflung an dem Heile,
Und Mißgunst ohne Macht den Frevlern ward zum Teile;
Da dort die treue Schar, die niemals Gott verließ,
In seiner Gegenwart der Geister Paradies
Und Tag fund ohne Nacht, da ewig hoh und steigend
Ihr Stand der Gottheit naht und keinen Ekel zeugend
In der Begierd genießt und im Genuß begehrt
Und ihren Geist mit Licht, das Herz mit Wollust nährt.
 

Das Übel, dessen Macht den Himmel konnte mindern,
Fund wenig Widerstand bei Adams schwachen Kindern.
Ein steter Bilder-Kreis schwebt spielend vor dem Sinn,
Der wählt zur Gegenwart, behält und sendet hin;
Bald hatte Lust und Zier das Ernstliche verdrungen,
Der Müh und Tugend Bild schien trocken und gezwungen,
Die Seele hängte sich an Ruh und Lustbarkeit,
Der Tugend Kraft nahm ab durch die Abwesenheit;
Auch lockt der Leib zur Lust mit zärtlicher Verbindung,
Bedacht wich dem Genuß und Kenntnis der Empfindung.
Zudem, was endlich ist, kann nicht unfehlbar sein.
Das Übel schlich sich auch in uns durch Irrtum ein.
Der schwache Geist verlor der Neigungen Verwaltung,
Wir wendeten in Gift die Mittel der Erhaltung,
Die Triebe der Natur mißkennten Ziel und Maß,
Bis das, was himmlisch war, sein hoh' Geschick vergaß.
Der Schönheit Liebe trieb zu unerlaubten Lüsten,
Die Sorg um Unterhalt zu Haß und bittren Zwisten;
Der Ehre rege Sucht schwoll in den Herzen auf.
Gewissen und Vernunft hemmt zwar des Übels Lauf,
Doch ihr verhaßter Mund, voll unberedter Lehren,
Behielt allein das Recht, zu tadeln, nicht zu wehren.
Wir alle sind verderbt, der allgemeine Gift
Ist beide Welten durch den Menschen nachgeschifft.
Gold, Ehr und Wollust herrscht, soweit der Mensch gebietet,
Und alles, was ein Herz, von diesen schwanger, brütet:
Betrug mit falschem Blick, die Lust an andrer Leid,
Verachtung fremden Werts, Verleumdung, Brut vom Neid,
Verführung schwacher Zucht, der Gottesdienst des Bauches,
Fruchtloser Müßiggang, der Hunger eitlen Rauches,
Und so viel Seuchen mehr, von denen undurchwühlt
Kein Herz mehr übrigbleibt, das echte Frucht erzielt.
Verschiedene Gestalt bedeckt die Ungeheuer,
Die Kunst der Ehrbarkeit leiht manchen ihren Schleier,
Wann andrer, die die Scheu mit keiner Larve deckt,
Erborne Häßlichkeit die Augen trotzt und schreckt.
Geringer Unterscheid! der auf der Haut nur lieget,
Nicht in das Innre dringt und niemand mehr betrieget!
Noch Zeit, noch Land, noch Schwang vermag auf die Natur,
Der Quell fließt überall, der Auslauf ändert nur.
Vergebens rühmt ein Volk die Unschuld seiner Sitten,
Es ist nur jünger schlimm und minder weit geschritten:
Der Lappen ewig Eis, wo, allzu tief geneigt,
Die Sonne keinen Reiz zur Üppigkeit erzeugt,
Schließt nicht die Laster aus, sie sind, wie wir, hinlässig,Siehe Högströms Beschreibung.
Geil, eitel, geizig, träg, mißgünstig und gehässig,
Und was liegt dann daran, bei einem bittren Zwist,
Ob Fisch-Fett oder Gold des Zweispalts Ursach ist?
Wer von der Tugend weicht, entsaget seinem Glücke
Und beugt sein Engels-Recht zu eines Tiers Geschicke.
Die Pflichten sind der Weg, den Gott zur Wohlfahrt gibt,
Ein Herz, wo Laster herrscht, hat nie sich selbst geliebt.
Von außen fließt kein Trost, wann uns das Innre quälet,
Uns ekelt der Genuß, sobald die Notdurft fehlet;
Die Schätze dieser Welt sind nur des Leibes Heil;
Der wahre Mensch, der Geist, nimmt daran keinen Teil;
So bleibt der müde Geist bei falschen Gütern öde,
Der Ekel im Genuß entdeckt das innre Blöde,
Nie froh vom Itzigen, stets wechslend, keinem treu,
Erfährt der Glücklichste, wie nichtig alles sei.
Vergebens übertrifft das Schicksal unsre Bitten,
Die Welt hat Philipps Sohn und nicht die Ruh erstritten;Alexander der Große.
Ein Tor rennt nach dem Glück, kein Ziel schließt seine Bahn,
Wo er zu enden meint, fängt er von neuem an.

Doch auch das Schatten-Glück erfreut den Menschen selten,
Weil Gold und Ehre nichts als durch den Vorzug gelten;
Die Güter der Natur sind endlich und gezählt,
Die einen werden groß von dem, was andern fehlt;
Ein Sieger wird berühmt durch tausend andrer Leichen,
Und ganzer Dörfer Not macht einen ein'gen Reichen;
Der Schönen holdes Ja, die einem sich ergibt,
Verurteilt die zur Qual, die da, wo er, geliebt.
Wir streiten in der Welt um diese falschen Güter,
Der Eifer, nicht der Wert, erhitzet die Gemüter;
Wie Kinder (wer ist nicht in einem Stück ein Kind?)
Oft um ein streitig Nichts sich in den Haaren sind:
Bald dies, bald jenes siegt und trotzet mit dem Balle,
Bei keinem bleibt die Lust, und der Verdruß drückt alle.
Wir schwitzen, kümmern, flehn, verschwenden Zeit und Blut,
Was wir von Gott erpreßt, ist endlich keinem gut.

So findt man wahre Not, wo man Vergnügen suchet,
Der Zepter wird so oft, als wie der Pflug, verfluchet.
Die Furcht, der Seele Frost, der Flammenstrom, der Zorn,
Die Rachsucht ohne Macht, des Kummers tiefer Dorn,
Die wache Eifersucht, bemüht nach eignem Leide,
Der Brand der Ungeduld, der teure Preis der Freude,
Der Liebe Folter-Bett, der leeren Stunden Last
Fliehn von der Hütten Stroh und herrschen im Palast.
Noch stärker peitscht den Geist das zornige Gewissen;
Noch Macht, noch Haß von Gott befreit von seinen Bissen;
Sein fürchterlicher Ruf dringt in der Fürsten Saal,
In Gold und Purpur bebt Octaviens GemahlDer Kaiser Nero.
Und siehet, wo er geht, sosehr er sucht zu schlafen,
Vor ihm den offnen Schlund voll unfehlbarer Strafen.

Der Leib, das Meisterstück der körperlichen Pracht,
Folgt seinem Gaste bald und fühlt des Übels Macht.
Vollkommen hatt er einst, geschickt zu Gottes Bilde,
Die Unschuld noch zum Arzt und Einigkeit zum Schilde,
Dem Tode minder nah und vielleicht frei davon,
Nahm er teil an der Lust und nimmt itzt teil am Lohn;
Die Zeit muß seit dem Fall ihr Sandglas gäher stürzen,
Die Mordsucht grub ein Erzt, die kurze Frist zu kürzen,
Tod, Schmerz und Krankheit wird ergraben und erschifft,
Und unsre Speise macht der Überfluß zum Gift.
Der Sorgen Wurm verzehrt den Balsam unsrer Säfte,
Der Wollust gäher Brand verschwende des Leibes Kräfte,
Verwesend, abgenutzt und nur zum Leiden stark
Eilt er zur alten Ruh und sinket nach dem Sarg.
Der Geist, von allem fern, womit er sich betöret,
Sieht sich in einer Welt, wovon ihm nichts gehöret;
Nur geht mit ihm ins Reich der öden Dunkelheit
Ein unerträglich Bild der eignen Häßlichkeit.
Gold, Ehre, Wollust, Tand, wonach er sich gesehnet,
Verblendung, Selbstbetrug, worauf er sich gelehnet,
Witz, Ansehn, Wissenschaft, der Eigenliebe Spiel,
Von allem bleibt ihm nichts als des Verlusts Gefühl.
Der Taten Unterscheid ist bei ihm umgedrehet,
Er haßt, was er geliebt, und ehrt, was er verschmähet,
Und brächte, könnt es sein, jedweden Augenblick,
Worin er sich versäumt, mit Jahren Pein zurück.
Die Wahrheit, deren Kraft der Welt Gewühl verhindert,
Findt nichts, das ihr Gefühl in dieser Wüste mindert;
Ihr fressend Feur durchgräbt das Innre der Natur
Und sucht im tiefsten Mark des Übels mindste Spur.
Das Gute, das versäumt, das Böse, so begangen,
Die Mittel, die verscherzt, sind eitel Folter-Zangen,
Von steter Nachreu heiß. Er leidet ohne Frist,
Weil er gepeiniget und auch der Henker ist.
 

O selig jene Schar, die, von der Welt verachtet,
Der Dinge wahren Wert und nicht den Wahn betrachtet,
Und, treu dem innren Ruf, der sie zum Heile schreckt,
Sich ihre Pflicht zum Ziel von allen Taten steckt!
Gesetzt, daß Welt und Hohn und Armut sie mißhandeln,
Wie angenehm wird einst ihr Schicksal sich verwandeln,
Wann dort, beim reinen Licht, ihr Geist sich selbst gefällt,
Das überwundne Leid zu seiner Wollust hält
Und innig hold mit Gott, dem Urbild ihrer Gaben,
Sie Gott, das höchste Gut, in steter Nähe haben!

Indessen ist die Welt, die Gott zu seinem Ruhm
Und unserm Glücke schuf, des Übels Eigentum:
In allen Arten ist das Los des Guten kleiner,
Wo tausend gehn zur Qual, entrinnt zur Wohlfahrt einer,
Und für ein zeitlich Glück, das keiner rein genießt,
Folgt ein unendlich Weh, das keine Ruh beschließt.
O Gott voll Gnad und Recht, darf ein Geschöpfe fragen:
Wie kann mit deiner Huld sich unsre Qual vertragen?
Vergnügt, o Vater, dich der Kinder Ungemach?
War deine Lieb erschöpft? ist dann die Allmacht schwach?
Und konnte keine Welt des Übels ganz entbehren,
Wie ließest du nicht eh ein ewig Unding währen?

Verborgen sind, o Gott! die Wege deiner Huld,
Was in uns Blindheit ist, ist in dir keine Schuld.
Vielleicht, daß dermaleinst die Wahrheit, die ihn peinigt,
Den umgegoßnen Geist durch lange Qualen reinigt
Und, nun dem Laster feind, durch dessen Frucht gelehrt,
Der Willen, umgewandt, sich ganz zum Guten kehrt;
Daß Gott die späte Reu sich endlich läßt gefallen,
Uns alle zu sich zieht und alles wird in allen.
Dann seine Güte nimmt, auch wann sein Mund uns droht,
Noch Maß, noch Schranken an und hasset unsern Tod.
Vielleicht ersetzt das Glück vollkommener Erwählten
Den minder tiefen Grad der Schmerzen der Gequälten;
Vielleicht ist unsre Welt, die wie ein Körnlein Sand
Im Meer der Himmel schwimmt, des Übels Vaterland!
Die Sterne sind vielleicht ein Sitz verklärter Geister,
Wie hier das Laster herrscht, ist dort die Tugend Meister,
Und dieses Punkt der Welt von mindrer Trefflichkeit
Dient in dem großen All zu der Vollkommenheit;
Und wir, die wir die Welt im kleinsten Teile kennen,
Urteilen auf ein Stück, das wir vom Abhang trennen.

Dann Gott hat uns geliebt. Wem ist der Leib bewußt?
Sagt an, was fehlt daran zur Nutzbarkeit und Lust?
Seht den Zusammenhang, die Eintracht in den Kräften,
Wie jedes Glied sich schickt zu menschlichen Geschäften,
Wie jeder Teil für sich und auch für andre sorgt,
Das Herz vom Hirn den Geist, dies Blut von jenem borgt;
Wie im bequemsten Raum sich alles schicken müssen,
Wie aus dem ersten Zweck noch andre Nutzen fließen,
Der Kreis-Lauf uns belebt und auch vor Fäulung schützt,
Der ausgebrauchte Teil von uns sich selbst verschwitzt,
Und unser ganzer Bau ein stetes Muster scheinet
Von höchster Wissenschaft, mit höchster Huld vereinet!
Soll Gott, der diesen Leib, der Maden Speis und Wirt,
So väterlich versorgt, so prächtig ausgeziert,
Soll Gott den Menschen selbst, die Seele nicht mehr schätzen?
Dem Leib sein Wohl zum Ziel, dem Geist sein Elend setzen?
Nein, deine Huld, o Gott, ist allzu offenbar!
Die ganze Schöpfung legt dein liebend Wesen dar:
Die Huld, die Raben nährt, wird Menschen nicht verstoßen,
Im Kleinen ist er groß, unendlich groß im Großen.

Wer zweifelt dann daran? Ein undankbarer Knecht!
Drum werde, was du willst, dein Wollen ist gerecht!
Noch Unrecht, noch Versehn kann vom Allweisen kommen,
Du bist an Macht, an Gnad, an Weisheit ja vollkommen!
Wann unser Geist gestärkt dereinst dein Licht verträgt
Und uns des Schicksals Buch sich vor die Augen legt;
Wann du der Taten Grund uns würdigest zu lehren,
Dann werden alle dich, o Vater! recht verehren
Und kündig deines Rats, den blinde Spötter schmähn,
In der Gerechtigkeit nur Gnad und Weisheit sehn!


 << zurück