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Vorrede

Was tu ich?! Gehe sieben Jahre zurück, sieben Jahre der Finsternis, in die nur von ferne, aber immer stärker ein Licht leuchtete, das nicht von dieser Welt ist; und wie wollte ich diese sieben Jahre zurückgehen ohne dieses Licht!

Was habe ich getan? Von Natur ein ζῷον πολεμικόν eher als πολιτικόν wurde ich eines Tages ausgehoben von der Zeit, gemustert vom Schicksal: ein gemeiner Soldat – der den Frieden will, dessen Herr den Frieden will, den wahren aber, nicht daß einer bloß sage: Friede, Friede, und es ist doch kein Friede, also zuerst die Gerechtigkeit und lieber noch die Liebe und erst dann den Frieden, ich sage aber, dessen Herr den Frieden will, denn niemals trotz allem, das von mir selber und also unrein ist, nie habe ich ohne Herrn und auf eigenen Sold gekämpft, wenn ich diesen Herrn auch erst allmählich kennenlernte und lerne. Ich bin kein Freibeuter. Streng war der Dienst, denn der Zuchtmeister war die Angst. Wunderbar und unfaßbar ist dieser Kriegsdienst. Wehrloser denn jeder andere vor dem Kampf, ja ohne Haut und mit bloßgelegten Nerven: in der Sekunde des Kampfes aber gekleidet in den lebendigen, sicheren Instinkt aus Feuer und Licht in Herz und Hirn, der Rüstung ist und Waffe zugleich, Gefühl und Gedanke und Wort: Mauer und Turm und Schiff und Roß und Wagen und Schwert und Schild und Angriff und Sturm und Sieg. Wunderbar ist dieses. Nicht wissend, was ich sagen werde, und verzagend: im Augenblick des Kampfes sage ich, was ich weiß und was ich nicht weiß, und daß ich weiß, was ich sage; und siehe, ich bin stärker als der Feind. Und wunderbar ist alles nebeneinander und nicht zu trennen; ich weiß nicht, habe ich zuerst den Gedanken und klopft dann mein Herz, oder bebt erst mein Herz, ehe der Gedanke ihm zu Hilfe kommt. Das ist der Lohn des gemeinen Soldaten.

Doch das ist nur ein Bild, das ist nicht das Ganze. Ich fing auch so an: Als ich eines Tages erwachte, dreiviertel ein Heide noch – aber schon leuchtete auch ein Licht, das nicht von dieser Welt ist – in den geheimen Kammern des Herzens noch allzusehr bauend auf die Güter der Schönheit dieser Welt, trinkend aus dem Kelche der Schönheit, aber nicht bis zum Taumel, aber fast versinkend und alles vergessend, auch mich, im Wohllaut eines Verses, die Nacht und der Traum noch schwingend im Rhythmus einer Periode, aber mein Herz ward nicht satt davon – und darum fast verzweifelt – stolz, kindlich stolz auf das Kulturerbe der Väter, der Philosophen, Musiker, Dichter, Maler, sah ich dieses Erbe in den starrenden Händen derer, die es besaßen, um zu erwerben. Und das traf wie ein Blitz, in Hirn und Herz verwundet habe ich geschrieben im Zorn, im Grimm, im Groll, und doch nicht im Haß. ich glaubte das zuweilen, aber nie habe ich mich mehr getäuscht. Denn ich bin ein Deutscher, und wie ich niemals etwas anderes sein wollte, denn ein Deutscher, so wollte ich heute, nach der Gotteslästerung von Versailles, lieber nicht sein, als nicht ein Deutscher. Oft, wenn ich eine Zeitlang Zorn mit Haß verwechselte, bin ich selber in Staunen gefallen über diese Ohnmacht, die meines Volkes Ohnmacht ist, diese natürliche, psychisch-organische, unverdienstliche, aber Gott doch wohlgefällige Ohnmacht, zu hassen. Ich habe aber zugeschlagen, gleichsam ohne Erbarmen, ich bin der letzte, der es leugnet; gegen wechselnde Feinde mit wechselnden Waffen: aber immer mit uralt ehrlichen Waffen: dem Feinde zugekehrt Gesicht und Namen, auch wenn er weder Namen hatte noch Gesicht und nur ein namenloses Ungesicht war, dem die Satire erst den Namen gab, ein leerer Schrecken, ein Greuel, eine Finsternis, eine Mückenplage, eine Pest, eine Zeitung, ein wimmelndes Gewürm in Gräbern der Toten.

Doch auch das ist nur ein Bild, es ist nicht das Ganze. Es gibt anderes noch. Ich habe nicht bloß gekämpft für einen Herrn oder eine Idee oder ein Ideal und im Grimm, weil das Erbe der Väter vor Hunden und Schweinen und allerlei Schleimgetier lag; ich habe auch gekämpft um mich und gegen die eigene drohende Verzweiflung und um die eigene Erkenntnis – es mag sein, daß es Menschen gibt, die sofort bei sich sind; ich gehöre nicht zu ihnen, ich mußte große Umwege machen, ehe ich zu mir selber kam – und daß meine Seele empor sich schwinge aus dem Meere der Schwermut, darein sie zu versinken drohte, zu den ewigen Sternen der Hoffnung, denn immer doch leuchtete ein Licht, das nicht von dieser Welt ist. Also gleichsam im Inferno, nein, oft wahrhaft im Inferno. Mit großer Ungeduld, und wenn Ungeduld Schuld ist, also in Schuld: misserrimus ego semper uror caloribus impatientiae. Im Inferno mit ausgetrockneten Augen, verbrannte dürstende Wüsten, da ihnen versagt war Salz und Wasser der Gnade: donum lacrymarum; und nur vergönnt war die einzelne Träne; aber selig ist der Mann, dem dieselbe Träne, die trüb und bleiernschwer, von der Verzweiflung erpreßt, das Auge verdunkelte, durch Gnade und himmlische Huld zur durchsichtigen Perle anbetender Freude ward; denn ein Licht leuchtete, das nicht von dieser Welt ist.

Auch das ist nur ein Bild, es ist nicht das Ganze. Da war auch die Lust am Ausdruck, dem einzigen Glück des Schriftstellers als Schriftsteller. Wäre aber nur diese Lust, sie wäre das Leben nicht und noch weniger den Kampf wert; und wäre sie auch noch so verzehrend, wie sie sein kann, so verzehrend wie ihr Gegenstück, die Qual, daß plötzlich des Schriftstellers Leidenschaft auf einen einzelnen Satz sich wirft, und siehe, er hält den Druck nicht aus. Zusammengedrückt, schwachsinnig, auf den Kopf geschlagen steht er da und jagt seinem Vater die Angst ins Hirn, daß er einem Wechselbalg zum Leben verholfen habe, bis er plötzlich wieder dasteht in seinem Heim, in seiner Familie, und ist ein schönes Kind, in selbstvergessenem Spiel mit seinen Genossen – so verzehrend diese Lust sein kann, selig ist sie nicht, und mein Herz ward nicht satt davon. Und da war noch die Aufgabe des Satirikers: der klare Spiegel zu sein einer verzerrten Welt, kein Zerrspiegel, bei Gott nicht, aber zurückwerfend den Fluch eher als den Segen, das Sichtbare mehr als das Unsichtbare, kein Zerrspiegel aber, so wenig der photographische Apparat, der etwa heute den »Obersten Rat« aufnimmt und der Menschheit dieses Planeten die Bilder schenkt, die Bilder ihrer Herren, eine schlechte Linse hat, weil sie aussehen, diese Herren, wie Karikaturen, als habe der Dämon des Grinsens aus Habsucht und Heuchelei und Grausamkeit und Dummheit Gesichter gebildet ihm zum Bilde, und als habe im Grimm über die Völker der Allmächtige selbst sein Fiat über sie gesprochen, daß sie für eine Zeitlang Werkzeuge wären, wie Würmer der Verwesung, so sie der Auflösung Europas. Aber solches Spiegels Freude kann nicht sein wie die jenes, der eine selige Welt reflektiert, der da ruht bald in sich, bald im Gegenstand, bald im Bild, bald im Hin und Her, bald im Einssein, bald im Zweisein, bald im Dreisein im endlosen Schwingen, in wachsender Fülle – des Spiegels dieser Welt, die im Bösen liegt, dieses Spiegels Freude ist anderswie ist die einsamste der Welt, denn dieser Spiegel liebt nicht die Welt, die er doch zurückstrahlen muß, sie ist ihm grauenvoll fremd, aber seine Heimat kennt er im Heimweh nur; seine Freude ist die harte des einsamen Stolzes auf seine Treue zu seiner Idee und seinem Wesen, das da ist, auch in der Hölle noch klarer Spiegel zu sein. Aber auch das ist nur ein Bild, und ein Licht leuchtet ja, das nicht von dieser Welt ist.

Das ist noch nicht das Ganze. Als ob ich alles wüßte, und wenn ich alles wüßte, als ob ich alles sagen könnte, wie es war und wie es ist. Das Ganze weiß doch nur Gott, und wenn es um das Ganze geht, dann habe ich alle Schriftstellerei vergessen, dann bin ich auf den Knien und rede nicht mehr und schreibe noch weniger. Denn immer leuchtete doch ein Licht, das nicht von dieser Welt ist. Und nur darum handelt es sich.

Litera scripta manet. Es ist besser, nun, da für mich ein Augenblick der Wandlung und der transzendenten Sicherheit gekommen ist, da vieles ferner und anderes näher ist, vieles vergangener und gleichsam mitten auf rascher Flucht in die Vergessenheit, anderes gegenwärtiger und wieder anderes zukünftiger, denn wunderbar ist die Perspektive der Zeit – es ist besser, daß ich offen für die Sätze meiner zeitlichen Vergangenheit stehe oder offen gegen sie, wenn es not tut, als daß eines Tages ein Buchstabe sich erhebe gegen seines Herren Geist, der nach Wahrheit dürstete auf jeder Straße, in jedem Winkel, wo immer er war, und niemals einen Irrtum verweilen hieß deshalb, weil er so schön [oder gar bloß bequem war] – und liebte doch und liebt noch die Schönheit, die Wahrheit aber mehr – nie das Streben höher pries, als das Ziel, das Suchen als das Finden. Es ist besser, daß ich in einer Stunde der getroffenen Entscheidung selber veröffentliche, was nun doch einmal geschrieben und zerstreut gedruckt wurde, als daß es im geheimen lauere auf einen Überfall, besser, daß der Autor einen Irrtum, wenn es also sein muß, preisgebe, als daß ein ungesühnter Irrtum den Autor überfalle.

 

Die Aufsätze und Glossen, die nun folgen, sind zum größeren Teil, aus menschlichen und unmenschlichen Gründen von nur sehr wenigen beachtet, im »Brenner« erschienen. Was dort, weil der Brenner während des Krieges seit 1915 nicht mehr erscheinen konnte, nicht veröffentlicht wurde, aber dazu gehört, wird hier gedruckt, wie es geschrieben wurde, ohne inhaltliche Änderungen. Nicht sehr vieles hätte ich heute zu ändern. In ästhetischen Dingen weniger als nichts, aber auch in ethischen nicht vieles; der subjektive Maßstab alles Ethischen ist der »Charakter«, und nach ihm habe ich in jenen Zeiten mit Leidenschaft gesucht. Die einzige wesentliche und prinzipielle Wandlung – von Zweifel zu Gewißheit – habe ich in religiös-theologischen Fragen deutlich anzugeben. Ist etwas in diesem Buch, das Zweifel ausdrückt an der Autorität der katholischen Kirche in allen Fragen der Lehre und Sitten oder ihren dogmatischen Sätzen in Wort oder Geist entgegen ist, so ist es wie nicht geschrieben; wenn es aber doch geschrieben worden ist – litera scripte manet –, so ist es zurückgenommen nicht nur, sondern widerrufen, ohne Vorbehalt, ohne Schikane, einfach und einfältig, wie Ja ja ist und Nein nein. Und selbstverständlich gilt dies nicht nur für die hier gesammelten Aufsätze, sondern für alles, was von mir geschrieben wurde. Aber selbst in dieser wichtigsten Frage wird nicht allzuvieles falsch sein, denn ich bin auf dem Wege gewesen, langsam aber hartnäckig, und mit Hilfe von oben – in alle Nacht leuchtete doch immer ein Licht, das nicht von dieser Welt ist.

November 1921


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