Ludwig Habicht
Der Falschmünzer / Bestraft
Ludwig Habicht

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Bestraft.

Ich bin Ihnen wirklich dankbar für das Vertrauen, das Sie mir erweisen, aber ich kann niemals Ihre Frau werden.«

»Ach und ich glaubte schon, mir ein bißchen Ihre Zuneigung erworben zu haben, und nun ich Ihnen offen und ehrlich sage, daß ich Sie zu meiner Frau machen will, geben Sie mir einen Korb. Sie hätten es bei mir gut gehabt. Ich bin zwar nur ein einfacher Maschinenbauer, aber der Neid muß es mir lassen, daß ich mich ordentlich und tüchtig halte, und ich hätte Sie auf Händen getragen.« Der junge kräftig gebaute Mann blickte mit seinen ehrlichen offenen Augen auf das bleiche Mädchen am Fenster, das über einer Näharbeit gebückt saß und auch jetzt nicht aufzuschauen wagte. Erst als der junge Mann sich ihr näherte, treuherzig ihre Rechte ergriff und mit großer Wärme fortfuhr: »Können Sie mir wirklich nicht vertrauen? Bin ich Ihnen plötzlich zu schlecht? – O, wenn Sie wüßten, Pauline, wie lieb ich Sie hab', Sie würden gewiß nicht »nein« sagen«, erhob sie langsam das Haupt und entgegnete mit leiser, unsicherer Stimme: »Ich weiß, Sie meinen es gut mit mir, lieber Herr Bergschmidt, und weil ich Sie wirklich schätzen gelernt habe, deshalb kann ich nicht Ihre Frau werden.«

»Das ist mir zu rund! Das versteh' ich nicht!« rief der junge Maschinenbauer und blickte das geliebte Mädchen verwundert an. »Weil Sie mich schätzen, deshalb eben mögen Sie mich nicht? – Nein, nein, so müssen Sie nicht mit mir reden«, fuhr er eifrig fort, »sagen Sie mir gerad' heraus, ob Sie mir nur halb, nur den zehnten Teil so gut sind, wie ich Ihnen, und wenn dies der Fall ist, dann bin ich ja schon zufrieden und dann wollen wir ein Leben wie im Himmel miteinander führen.«

110 Die Nähterin ließ einen Augenblick ihre Arbeit in den Schoß sinken und schüttelte traurig den Kopf.

»Bin ich Ihnen zu schlecht, Pauline?« fragte der junge Mann; »Sie waren immer so freundlich und gut zu mir, da glaubte ich –«

»Nein, lieber Herr Bergschmidt, ich hab' Sie auch sehr gern«, antwortete das junge Mädchen, und eine leichte Röte schlug in ihr bleiches Antlitz, »und doch –«

»Weiter will ich ja nichts wissen«, jubelte der Maschinenbauer. »Und Ihre Mutter darf nicht um die Zukunft sorgen; ich will für zwei arbeiten und so viel Geld schaffen, daß wir ganz prächtig leben können. Hab' ich mir doch schon ein paar hundert Thaler erspart und damit einen Notgroschen. Ja, das glauben Sie wohl nicht; aber es ist doch die Wahrheit. Vor ein paar Jahren, als es in der Fabrik recht flott ging, hab' ich tüchtig darauf los geschanzt und mir immer was zurückgelegt, mochten mich auch meine Kameraden ein bißchen verspotten. Die Kneipen hab' ich niemals gern besucht, lieber zu Hause ein gutes Buch gelesen, und Sie mögen ja auch von solchen Vergnügungen nichts wissen und bleiben gern still daheim. Deshalb glaub' ich wohl, daß wir gut füreinander passen, und nun Sie mir sagen, daß Sie mich auch ein bißchen gern haben, ist ja alles gut.«

Das schlichte einfache Auftreten dieses Mannes hatte etwas Rührendes, und es fiel ihr unsagbar schwer, sein ehrliches Werben von neuem zurückzuweisen. War doch zwischen ihnen wie von selbst ein trauliches und herzliches Verhältnis entstanden. –

Sie wohnten beide in einem Hause der großen Stadt auf demselben Flur, und im Laufe der Zeit findet doch zwischen solchen Zimmernachbarn, bei aller norddeutschen Abgeschlossenheit, eine nähere Berührung statt. Man schließt sich vertraulich aneinander an, oder stößt sich feindselig ab, je nachdem.

Frau Bredow war mit ihrer Tochter vor einigen Jahren in die Residenz gezogen und lebte dort in einer der Vorstädte so still und einsam, daß sie mit niemand in Verkehr stand. Die Tochter verschaffte sich ihren Broterwerb durch Näharbeit für ein großes Magazin, und die Mutter half ihr, so gut sie es bei ihrer Kränklichkeit vermochte.

Selbst mit ihren nächsten Zimmernachbarn waren die beiden Frauen lange Zeit nicht in näheren Verkehr getreten. Sie wußten nur, daß auf dem Flur gegenüber jemand wohnte, der Pfennig 111 hieß – das hatte ihnen der Name am Klingelzuge gesagt. Aus Versehen hatte man zuweilen an ihrer Thür geklopft und nach dem Tischler Pfennig gefragt.

Der Mann mußte verheiratet sein, denn Frau Bredow hörte im Vorbeigehen zuweilen Kindergeschrei aus der Nachbarwohnung dringen, und sie war auch manchmal auf der Treppe einem jungen Manne begegnet, der sie ganz freundlich gegrüßt und dann die Pfennigsche Wohnung betreten hatte.

Beim Beginn der besseren Jahreszeit wurden dann auch die Kinder sichtbar, und es war deren schon eine hübsche Zahl, gewiß fünf oder sechs; das älteste Mädchen konnte sicher schon neun Jahre zählen, und Frau Bredow sprach gegen die Tochter ihre Verwunderung aus, daß der junge Mann, den sie kaum auf 25 Jahre geschätzt, schon eine so große Tochter habe.

Ein Zufall sollte den Irrtum aufklären. Als Frau Bredow eines Morgens eben mit ihrem Milchkännchen zurückkam, das die sehr bläulich schimmernde Sahne für den Morgenkaffee enthielt, wollte ihr Zimmernachbar hastig die Treppe hinunter. Er mußte die Ankommende nicht zeitig genug bemerkt haben und war einmal im Anlauf; zwar versuchte er noch im letzten Augenblick auszuweichen, aber Frau Bredow hatte dieselbe Absicht und nun prallten sie erst recht aneinander. – Das Milchkännchen lag in Scherben; sein weiß-bläulicher Inhalt färbte die Treppe.

Nun erschöpfte sich der junge Mann in den höflichsten Entschuldigungen und bot augenblicklich Ersatz an.

»Ach, unter Nachbarn darf man das nicht so genau nehmen, lieber Herr Pfennig«, erklärte die Witwe, die trotz ihrer Sparsamkeit nicht verraten wollte, daß ihr der Verlust empfindlich sei; zeigte doch der freundliche Nachbar über sein Versehen die größte Bestürzung.

Zu ihrer Verwunderung begann jetzt der junge Mann laut aufzulachen und als sie ihn darauf ganz befremdet ansah, rief er noch immer äußerst belustigt: »Nein, liebe Frau Nachbarin, bis zum Familienvater von sechs wohlgeratenen Kindern hab' ich's noch nicht gebracht. Ich wohne nur bei meinem Schwager in Schlafstelle.«

»Entschuldigen Sie«, sagte Frau Bredow mit sehr verdutztem Gesicht.

»Nein, ich hab' mich zu entschuldigen, und Sie müssen mir schon gestatten, daß ich den durch meine Unvorsichtigkeit angerichteten Schaden auf andre Weise wieder gut mache; aber jetzt muß ich 112 fort, sonst wird mir sogleich ein Abzug gemacht, denn die Fabrikordnung ist sehr streng. Guten Morgen, Frau Nachbarin« – und mit einem freundlichen Gruße war der junge Mann die Treppe hinunter und verschwunden.

Am Sonntag erschien er bei Frau Bredow und brachte ein äußerst zierliches Milchkännchen mit der besten Sahne, die er aufzutreiben vermocht. Die Witwe wollte anfangs ganz entschieden diesen Ersatz nicht annehmen, aber der junge Mann zeigte so angenehme Manieren, daß bald ihr Widerstand überwunden war.

Damit war die Bekanntschaft gemacht. Wilhelm Bergschmidt wiederholte seine Besuche, und Mutter und Tochter fanden gleiches Wohlgefallen an dem stets heiteren, aufgeweckten und für seinen Stand sehr gebildeten Menschen. Er hatte gar nichts Rohes und Wüstes an sich, war durch den Besuch von Vereinen und durch eifrige Lektüre vielseitig unterrichtet und wußte über alles höchst anregend zu plaudern.

Die völlige Einsamkeit, in der die beiden Frauen bisher gelebt, machte ihnen den Verkehr mit dem jungen Maschinenbauer besonders lieb und angenehm. In seiner Gesellschaft wurde sogar zuweilen das Theater besucht, und das Verhältnis zwischen den Nachbarn gestaltete sich im Lauf der Zeit immer freundlicher und zutraulicher. Nur der Schwager und die Schwester Wilhelm Bergschmidts hielten sich merkwürdig zurück. Man grüßte sich wohl, tauschte auch jetzt einige Worte aus, aber zu gegenseitigen Besuchen kam es nicht.

Tischler Pfennig war eine sehr in sich gekehrte Natur und besaß ein grenzenloses Mißtrauen. Vielleicht hatte er trübe Erfahrungen gemacht, jedenfalls trieb er es zu weit, wenn er stets erklärte: »Hier darf man seinen besten Freunden nicht trauen, und das Beste ist, wenn man seine Thür für jedermann zuhält.« – Er wußte freilich den beiden Frauen nichts Übles nachzusagen; sie mochten fleißig und ordentlich sein, wie man hörte, aber sie waren aus der Provinz gekommen, niemand kannte sie, und deshalb hielt er sich auch von diesen Nachbarn vorsichtig zurück, sein Schwager mochte immerhin mit größter Beredsamkeit ihr Lob singen.

Eh' es Pauline Bredow ahnte, war in ihrem Herzen eine innige Neigung für den jungen Maschinenbauer erwacht, der in seiner offenen ehrlichen Weise aus seinen Gefühlen kein Hehl machte und deutlich verriet, wie teuer ihm seine Nachbarin geworden sei, wenn er sich auch noch nicht völlig zu erklären gewagt.

113 Heut am Sonntag hatte er wieder seinen gewöhnlichen Besuch abgestattet, und da die Mutter zufällig ausgegangen war, faßte er sich ein Herz und bekannte dem geliebten Mädchen, wie es in seinem Innern aussah.

Pauline schüttelte bei der letzten Antwort des jungen Mannes traurig den Kopf. »Nein, nein, ich kann, ich darf nicht Ihre Frau werden«, entgegnete sie mit größter Entschiedenheit und hatte Mühe, die Thränen zu unterdrücken, die unaufhaltsam hervorbrechen wollten. »Ich mag Sie nicht unglücklich machen, und das würde doch geschehen.«

»Ach, so müssen Sie nicht reden!« erwiderte Wilhelm, und seine Augen ruhten voll innigster Liebe auf der feinen, zierlichen Gestalt. »Ich bin der glücklichste Mensch, wenn Sie meine Frau werden, und glauben Sie mir, Pauline, auch Sie sollen bei mir gute Tage sehen, das ist gewiß nicht ein leeres Versprechen!«

»Ich weiß, daß Sie es redlich mit mir meinen, aber eben deshalb kann ich Ihren Wunsch nicht erfüllen«, und als er sie ganz verwundert ansah und ihr von neuem widersprechen wollte, setzte sie in tiefster Bewegung hinzu: »Forschen Sie nicht weiter. Ich kann's Ihnen doch nicht bekennen, es würde mir das Herz zerreißen. – Mutter, sag' du es ihm«, wandte sie sich zu der eben eintretenden alten Frau, »warum ich nicht seine Frau werden kann«, und unter hervorstürzenden Thränen eilte sie in die Seitenkammer.

Der junge Maschinenbauer starrte ihr ganz verwundert nach und blickte dann, wie um Aufschluß bittend, auf die Mutter Paulinens. Er konnte sich das Benehmen der Geliebten gar nicht erklären, es war ihm zu rätselhaft. Zuweilen hatte er sich schon mit der Hoffnung getragen, daß er ihr ebenfalls nicht gleichgültig sei, und jetzt wies sie mit allen Zeichen der Verzweiflung sein Werben zurück.

Frau Bredow stieß einen tiefen Seufzer aus und murmelte betroffen: »Ich hab' es lange geahnt, daß es so kommen würde. Ja, lieber Herr Bergschmidt«, setzte sie laut hinzu, »Pauline hat recht. Einmal würden Sie es doch erfahren und dann nur unglücklich sein.«

»Aber liebe, gute Frau Bredow, so sagen Sie mir doch, warum mich Pauline nicht mag?«

Die Mutter strich sich mit der Hand über die Stirn und ließ sich erschöpft auf einen Stuhl nieder. »Weil wir trotz alledem ehrliche Leute sind, sollen Sie alles erfahren«, begann sie nach 114 einem tiefen Atemzuge. »Meine Tochter ist schon einmal bestraft. Sie ist wegen Diebstahl angeklagt und zu vier Wochen Gefängnis verurteilt worden, aber –«

Weiter kam sie nicht. »Ach, das ist ja gar nicht möglich!« rief der junge Mann in größter Bestürzung aus. »Das werd' ich nimmermehr glauben!«

»Es ist die Wahrheit«, sagte Frau Bredow tonlos und schluchzte leise vor sich hin.

»Dann ist sie doch unschuldig! oder sie hat in frühester Jugend dies Versehen begangen, und danach frag' ich nicht weiter«, eiferte Wilhelm.

»Ja, sie ist unschuldig!« wiederholte die Mutter und erhob bei diesen Worten das gesenkte Haupt. »Sie war unschuldig an dem Verbrechen, obwohl es die Gerichte ihr nicht geglaubt und sie zu vier Wochen Gefängnis verurteilt haben.«

»So erzählen Sie, liebe Frau Bredow«, drängte der Maschinenbauer. »Es ist schon mancher mit Unrecht bestraft worden, und ehe ich glaube, daß Pauline schuldig ist, eher lasse ich mir die Hand abhauen« – und er hob mit größter Entschiedenheit seine Rechte in die Höhe.

Dies grenzenlose Vertrauen des jungen Mannes berührte doch Frau Bredow außerordentlich wohlthuend.

»Es ist eine traurige Geschichte, und ich denke nicht gern daran; die arme Pauline ist dadurch fast um jeden Lebensmut gekommen. Aber Sie sollen alles erfahren, und dann werden Sie freilich begreifen, warum meine Tochter verurteilt worden.«

Wilhelm antwortete nicht weiter; er nahm auf dem Stuhl Platz, den ihm die Witwe zuschob, und hörte in größter Spannung auf die Erzählung.

»Mein Mann hat mich sehr früh zur Witwe gemacht«, begann Frau Bredow langsam und mit zitternder Stimme, die bewies, wie schwer es ihr fiel, die traurige Vergangenheit noch einmal aufzudecken. »Ich mußte deshalb für mich und mein Kind allein sorgen. In der kleinen Stadt, in der wir damals wohnten, hatte das anfangs seine Schwierigkeiten, besonders da ich mich niemals einer rechten Gesundheit erfreuen konnte. Es wurde erst besser, als Pauline heranwuchs, die für allerhand weibliche Arbeiten ein außerordentliches Geschick hatte. Sie lernte die Schneiderei und hatte trotz ihrer großen Jugend bald eine glänzende Kundschaft. Nun hätten wir unser gutes Auskommen gehabt – da kam das Unglück.«

115 Frau Bredow schwieg; sie mußte erst ein paar Thränen trocknen, die ihr ins Auge getreten waren. Wilhelm mochte sie mit keinem Wort unterbrechen, und immer leiser, in abgebrochenen Sätzen fuhr die Witwe fort: »Eines Morgens kam Pauline von einem Geschäftsgange sehr rasch wieder nach Hause und rief mir gleich beim Eintreten in die Stube entgegen: »Sieh einmal, Mutter, was ich gefunden habe!« Sie hielt mir mit zwei Fingern ein Armband entgegen und sagte noch lachend: »Es sieht freilich nicht sauber aus, dafür lag es auch im Rinnstein.« Ich betrachtete mir das Armband näher, nachdem ich es vom Schmutz ein bißchen gereinigt, und sah gleich, daß es sehr wertvoll war. »Wo hast du das gefunden?^ fragte ich verwundert.

»Im Rinnstein, gar nicht weit von unserem Hause«, antwortete Pauline; »es guckte nur ein bißchen heraus, aber da es so blitzte, dachte ich: das mußt du doch aufheben und sehen, was es ist. Ich glaube, es ist echt, weil es gar so schwer ist.«

»Natürlich ist es echt«, erklärte ich, »und sieh nur die Steine darin, das sind Diamanten.«

»Wirklich, Mutter!« rief sie ganz erstaunt.

»Gewiß«, versicherte ich, »und die Frau, die es verloren hat, wird sich nicht wenig ängstigen. Man mag noch so reich sein, so was verliert man nicht gern. Trag es nur gleich auf die Polizei.«

»Ach, geh du lieber hin, Mutter«, bat Pauline, sie war ja erst siebzehn Jahre, und so ein junges Mädchen läuft nicht gern in solche Amtszimmer und läßt sich da von allen begaffen.

»Nun, da muß ich schon gehen«, sagte ich gutmütig und ziehe mich an, und wie ich eben fortgehen will, kommt schon ein Polizeibeamter herein, und wie er das Armband erblickt, das ruhig auf dem Tisch liegt, ruft er sogleich: »Da haben wir schon die Diebin!« und er greift mit der einen Hand nach dem Armband, mit der andern nach meiner Tochter.

»Lieber Mann!« ruf' ich sogleich ganz empört, »reden Sie hier nicht von Diebin! Meine Tochter hat das Armband soeben im Rinnstein gefunden!«

Da lachte der Polizeibeamte nur: »Ach, mir machen Sie keine Wippchen vor, dazu bin ich viel zu schlau! Hat nicht Ihre Tochter gestern ein Kleid zu der Gerichtsrätin von Meyerborn gebracht?«

»Ja, gewiß!« bestätigten wir beide ganz ruhig.

»Also ist der Diebstahl erwiesen!« ruft der Polizeibeamte, »dies Armband gehört der Gerichtsrätin.«

116 »Muß es deshalb meine Tochter gestohlen haben?« frage ich ruhig, denn Pauline konnte in ihrer Bestürzung kein Wort mehr hervorbringen.

»Es ist wahr«, gab die sogleich zur Antwort.

»Na, da ist ja alles erwiesen!« rief der Polizeibeamte lachend; »und kaum ist Ihre Tochter fortgewesen, hat die Gerichtsrätin ihr Armband vermißt. Weil sie aber gegen Ihre Tochter gar keinen Verdacht gehegt, hat sie erst noch einmal alles sorgfältig durchsuchen lassen und dann erst die Anzeige bei uns angebracht. Es ist also das Beste, Jungfer, Sie machen weiter keine Ausflüchte«, wandte der brutale Mensch sich zu meiner Tochter, »und kommen mit.«

»Meine Tochter hat aber vor einer Viertelstunde das Armband im Rinnstein gefunden und mir gebracht«, erklärte ich dem Manne ganz entschieden, denn mochte ein noch schlimmerer Verdacht auf meiner Tochter ruhn, ich wußte doch, daß sie die Wahrheit gesagt und nimmermehr eine schlechte Handlung begehen würde.«

Der junge Maschinenbauer nickte eifrig zustimmend mit dem Kopfe. Obwohl er sich den richtigen Zusammenhang der Sache nicht erklären konnte, war er doch von der Unschuld der Geliebten überzeugt. Trotzdem vermochte er kein Wort hervorzubringen, so tief war er von der Erzählung der Frau Bredow erschüttert worden. Solch traurige Aufschlüsse hatte er freilich nicht erwartet.

»Das Gericht war ganz der Ansicht des Polizeibeamten«, fuhr die Witwe nach einer schmerzlichen Pause fort, »Pauline mochte immer ihre Unschuld unter tausend heißen Thränen beteuern, man glaubte ihr nicht. Lagen doch zu viel Verdachtsgründe vor. – Die Gerichtsrätin bekundete, daß niemand weiter als meine Tochter ihr Putzzimmer betreten und sie bald darauf das Armband vermißt habe, genug – mein armes Kind wurde verurteilt, und nur die große Jugend Paulinens und weil sie noch nicht bestraft worden, galten als Milderungsgründe: so erkannten die Richter nur auf vier Wochen Gefängnis, wie sie sagten. – Ach, und die Ehre der Ärmsten war auf immer dahin und auch Ihnen verarg' ich es nicht, wenn Sie sich von uns zurückziehen, meine Pauline ist ja bestraft worden.«

»Ich denke nicht d'ran«, entgegnete Wilhelm mit großer Entschiedenheit, »das wär' ja eine grenzenlose Schlechtigkeit von mir, wenn ich sie jetzt verlassen wollte. Man mag sie immerhin 117 verurteilt haben, ich werde mein lebelang nicht glauben, daß Ihre Tochter eine elende Diebin ist.«

Die Mutter vermochte ihre tiefe Rührung über dies grenzenlose Vertrauen nicht zu verbergen. Sie drückte unter heißen Freudenthränen dem jungen Manne die Hand. »Das lohne Ihnen Gott!« sagte sie tief bewegt. »Sie können sich kaum denken, wie wohl es thut, wenn man endlich jemand findet, der an uns glaubt. In der kleinen Stadt waren alle überzeugt, daß Pauline wirklich die Diebin sei, und nachdem sie ihre Strafe abgebüßt, wich ihr jeder aus, wie einer Aussätzigen. Es blieb uns nichts andres übrig, als die Heimat zu verlassen und hierher in die große Stadt zu ziehen; aber immer schwebten wir in Sorge, wir könnten hier mit Leuten aus unsrer Vaterstadt zusammentreffen, die gewiß nichts Eiligeres zu thun gewußt hätten, als auch hier den guten Ruf meiner Tochter zu vernichten und sie als Diebin an den Pranger zu stellen. Deshalb haben wir uns so ängstlich zurückgehalten, und deshalb kann auch Pauline nicht Ihre Frau werden. Sie will Ihnen die Demütigung ersparen, daß doch einmal jemand auftritt und in alle Welt hinausschreit: Ihre Frau ist ja eine Bestrafte, sie hat gesessen.«

»Das sollte nur so ein Schurke wagen, der käme nicht mehr gesund aus meinen Händen!« rief der Maschinenbauer und erhob seine derben Fäuste.

»Ja, jetzt glauben Sie noch an die Unschuld meiner Tochter«, entgegnete Frau Bredow zaghaft; »aber es können doch andre Zeiten kommen, und wenn sich Leute finden, die Ihnen zuflüstern, daß es doch mit der Bestrafung seine volle Richtigkeit habe, und Ihnen ganz ausführlich beweisen, daß Pauline doch nicht unschuldig sei, dann werden Sie zuletzt schwankend und glauben wohl, ihre Verurteilung sei mit vollem Recht erfolgt.«

»Nein, denken Sie nicht so schlecht von mir«, eiferte der junge Mann, und in seinen ehrlichen blauen Augen spiegelte sich die unerschütterliche Festigkeit seines Charakters ab. »Und wenn alle Welt dasselbe schwatzt, ich werde an Paulinen nicht irre. Sie ist keine Diebin, sie kann keine Diebin sein, darauf lege ich die Hand ins Feuer.« – In seiner Aufregung hatte er, ohne alle Absicht, so laut gesprochen, daß Pauline jedes Wort hören mußte. Sie hatte, von den düsteren Erinnerungen überwältigt, sich verzweifelt in einen Winkel der Kammer gekauert und düster vor sich hingestarrt.

118 Die entsetzliche Vergangenheit tauchte in all ihrer Schrecklichkeit noch einmal vor ihr auf. Sie sah sich wieder im Gefängnis – vor ihren Richtern, die all ihre Angaben, die eifrigsten Beteuerungen ihrer Unschuld einfach belächelten und nicht an ihre Unschuld glaubten. O, niemand hatte daran geglaubt, niemand – alle Welt sie für eine elende Heuchlerin gehalten, die hartnäckig an ihrer vorgebrachten Lüge festzuhalten suche . . . Welch wilde, wahnsinnige Verzweiflung hatte damals ihr junges Herz durchstürmt! – Und diese Kette, die einmal das Schicksal ihr zugeworfen, schleppte sie weiter – für sie blühte kein Glück auf der Welt – sie mußte für immer die tiefste Einsamkeit suchen, damit niemand von ihrer Schande erfuhr . . .

Ach, es war nicht genug gewesen, daß man sie verurteilt und nun jeder ihr, als einer Bestraften, verächtlich den Rücken kehrte; auch der einzige Mensch, der ihrem jungen Herzen damals teuer gewesen, hatte sie auf der Stelle verlassen und sich für immer von ihr gewandt. – Und dieser Schlag traf sie noch härter, als die grausame Verurteilung der Welt.

Wie hatte der junge Mann für sie geschwärmt, und auch Pauline war so glücklich gewesen: konnte sie doch stolz darauf sein, daß ein Gerichtsbeamter sie zu seiner Frau machen wollte – es war freilich nur ein Subalternbeamter; aber in einer kleinen Stadt ist ein Gerichts-Aktuarius schon eine Größe, und alle Jugendfreundinnen hatten die arme Nähterin schon um die Ehre beneidet, die sie bald erwarten sollte. – Da kam plötzlich aus heiterem Himmel dieser vernichtende Blitzstrahl, und der Geliebte war einer der ersten, der sogleich an die Schuld des jungen Mädchens glaubte und augenblicklich völlig mit ihr brach. Er war ganz außer sich darüber, daß er sich so bitter getäuscht und so schändlich blamiert hatte, und schrieb ihr dies in rücksichtslosester Weise, sie mit den bittersten Vorwürfen überschüttend. – Das war der schärfste Stachel, der sich tief in ihr junges Herz gedrückt und es unheilbar verwundet hatte. – Würde denn jetzt der junge Maschinenbauer besser von ihr denken? – Er mußte sich ja ebenfalls von ihr abwenden, denn er konnte ja noch weniger an ihre Unschuld glauben, war er doch in einer großen Stadt aufgewachsen, wo unwillkürlich das Mißtrauen in jedem Herzen nistet, weil überall die größte Vorsicht geboten ist. – Sie hörte nicht, was die Mutter sprach; aber sie wußte schon, was er entgegnen würde, daß auch dieser brave, redliche Mensch ihr augenblicklich den Rücken kehren müsse.

119 Und hatte Wilhelm nicht recht? War es ihm denn zu verargen, wenn er an Paulinens Unschuld nicht glaubte? – Was hatte die Mutter für andre Beweise beizubringen, als eben ihre Behauptung, daß sie unschuldig sei! –

In ihrer Verzweiflung wollte Pauline gar nicht darauf hören, was Wilhelm sagen würde. Vielleicht ging er schweigend fort, oder war schon gegangen – denn sie vernahm seine Stimme nicht. Und nun schlugen seine ersten Worte an ihr Ohr. – Er wollte sie nicht verlassen und sein Leben lang nicht glauben, daß sie eine Diebin sei. – Gab es wirklich noch jemand auf der Welt, der ihr ein solch blindes, unbedingtes Vertrauen schenken konnte?! – Ein unnennbares Glück, wie sie es seit jenem furchtbaren Schlage nicht mehr empfunden, durchwogte ihre Brust. Sie wollte aufspringen, hinauseilen und ihm danken für sein treues, unerschütterliches Festhalten an ihr – eine letzte Scheu hielt sie jedoch zurück.

Dennoch horchte sie jetzt in atemloser Spannung auf den weiteren Verlauf des Gesprächs. Wie recht hatte die Mutter mit all den Bedenken, die sie noch vorbrachte; aber als jetzt der junge Maschinenbauer noch einmal mit solcher Entschiedenheit für sie Partei nahm, konnte sie nicht länger an sich halten, sie trat in das Zimmer zurück und ihm beide Hände entgegenstreckend, sagte sie mit feuchtglänzenden Augen: »O, wie danke ich Ihnen, das vergesse ich Ihnen nie!« –

Durch den kräftig gebauten Mann ging bei dem plötzlichen Erscheinen der Geliebten eine tiefe Erschütterung. Anstatt ihre Hände zu ergreifen, drückte er sie zärtlich an sich und sagte mit leiser, sanfter Stimme: »Meine arme, gute Pauline, wie schwer hast du gelitten! Nun bist du mir erst recht teuer!«

»Und du wirst niemals an mir irre werden?« fragte sie und blickte zaghaft zu ihm auf.

»Niemals!« erklärte er in seiner festen, entschiedenen Weise, und das tief verwundete Herz des jungen Mädchens trank dies Wort mit wahrem Entzücken auf. Sie wußte jetzt, daß es jemand gab, der ihr vertraute, der an ihr nicht mehr irre wurde, wenn auch die Verleumdung wieder ihr Gift gegen sie ausspritzen sollte. – Eine unnennbare Seligkeit erfüllte ihre Brust. – Wenn sie den jungen Mann noch nicht geliebt hätte, diese Stunde würde über ihr Herz entschieden haben. Ach, alles was sie brauchte, nach dem sie heiß und glühend gelechzt, war ein Mensch, der ihr vertraute, der ihren Worten Glauben schenkte und sie nicht für eine elende 120 Verbrecherin hielt, wie es alle Welt und auch derjenige gethan, der ihr damals mit solcher Schwärmerei gehuldigt . . . Wie schwach hatte er sich in der Stunde der Prüfung gezeigt! – Nun flog ihr Herz um so inniger dem Manne zu, der ihr ohne alles Bedenken dies grenzenlose Vertrauen schenkte, dessen sie bedurfte . . . Die beiden Liebenden waren glücklich. – Bald zerfloß die düstere Vergangenheit vor ihren Blicken, und eine schönere, lachende Zukunft tauchte vor ihnen auf . . .

Auch hier sollte dem jungen Manne der Zwiespalt mit der Welt nicht erspart bleiben, der uns immer nur allzufrüh aus jedem Paradiese treibt.

Als Wilhelm Bergschmidt seinen Verwandten von seinem Glück Mitteilung machte, schüttelte der Schwager sogleich bedenklich sein Haupt: »Die Leute kennt ja hier niemand; sie sind von auswärts hergezogen, und es wäre doch notwendig, erst genaue Erkundigungen einzuziehen, was eigentlich an ihnen ist.« Aber als Wilhelm sogleich heftig und ganz entschieden solch häßliche Bedenken niederschlug, schwieg er klüglich, um mit dem Bruder seiner Frau nicht erst in erbitterten Streit zu geraten, trotzdem beschloß er, auf eigne Hand nach seinen Nachbarinnen zu forschen, und in solchen Dingen besaß Tischler Pfennig eine ungewöhnliche Zähigkeit. Er wandte sich zuerst an die Polizei, um den früheren Wohnort der Frau Bredow zu ermitteln, und als er ihn erfahren hatte, rieb er sich vergnügt die Hände. – Das traf sich gut. Dort in der kleinen Stadt hatte sich ja ein Jugendfreund als Tischler niedergelassen. Er schrieb sofort, erhielt aber keine Antwort. Ein zweiter Brief hatte ebensowenig Erfolg. Diese vergeblichen Versuche, etwas Näheres über die Braut seines Schwagers zu erfahren, weckten in dem Tischler nur noch stärker das Verlangen danach. Er mußte um jeden Preis an sein Ziel kommen. Sollte doch schon in wenigen Wochen die Hochzeit des jungen Paares sein. Die kleine Stadt, in der Frau Bredow früher gewohnt, war nicht von der Residenz allzuweit entfernt, und rasch entschlossen fuhr Pfennig eines Tagen dahin ab.

Sein erster Weg war zu dem Jugendfreunde. Der ehrliche Meister empfing seinen Kollegen mit einer gewissen Verlegenheit. Er leugnete nicht, die Briefe erhalten zu haben; aber er wich allen Fragen nach Pauline Bredow mit den Worten aus: »Ich habe die Leute nicht gekannt und weiß nichts von ihnen, deshalb hab' ich dir auch nicht erst geantwortet.« Seine Frau blinzelte ihm 121 jedoch geheimnisvoll zu, und flüsterte ihm beim Abschiede zu: »Wenden Sie sich an den Herrn Gerichtskalkulator Schmidt, da werden Sie alles hören.«

Pfennig machte sich sogleich zu dem Manne auf den Weg, und mit der Dreistigkeit des Großstädters klopfte er sogleich bei dem ihm bezeichneten Beamten an, den er auch glücklicherweise zu Hause traf.

Kalkulator Schmidt zeigte sich anfangs über diesen unerwarteten Besuch sehr verwundert und kehrte den ganzen Dünkel des Subalternen heraus; da sich der Tischler jedoch davon nicht einschüchtern ließ, wurde er bald gefügiger, und nun teilte er mit großem Eifer seine Wissenschaft mit. Er verschwieg es sogar nicht, daß er der nichtswürdigen Person eine gewisse Beachtung geschenkt und damals nicht abgeneigt gewesen sei, sie zu seiner Frau zu machen. »Aber dieser schlechte Streich zerriß das Band zwischen uns auf immer«, fuhr Herr Schmidt mit Pathos fort; »ein Gerichtsbeamter vermag ja in der Wahl seiner Gattin nicht vorsichtig genug zu sein. – Schade nur, daß meine Frau nicht da ist, die könnte Ihnen von der sauberen Person noch ausführlichere Mitteilungen machen.«

Der Tischler hatte schon genug gehört; er empfahl sich rasch mit dem besten Dank und reiste auf der Stelle zurück. Wie erstaunte er, als sein Bericht auf den Schwager ganz ohne Eindruck blieb und dieser bestimmt erklärte: »Ich weiß bereits alles. Pauline ist völlig unschuldig, sie wird meine Frau.« – Vergeblich waren alle Abmahnungen Pfennigs und seiner Ehehälfte; der junge Mann blieb hartnäckig auf seinem Kopfe, und es kam zwischen seinen Verwandten und ihm zum entschiedensten Bruch. Wilhelm zog von ihnen auf der Stelle fort und betrat ihre Schwelle nicht mehr.

Auch Frau Bredow und ihre Tochter sollten von jetzt ab nicht mehr in dem Hause, in der Nachbarschaft Ruhe haben. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, daß die junge Nähterin schon einmal gesessen habe und ein bestraftes Subjekt sei. Man wies mit Fingern auf sie; es fielen hinter ihr und der Mutter halblaute, spöttische Redensarten, und die Unglücklichen wurden plötzlich aus ihrem Frieden von neuem aufgescheucht.

Die beiden Frauen wären völlig verzweifelt, wenn sie nicht diesen treuen, redlichen Menschen gehabt hätten, der unerschütterlich an ihnen festhielt und der sich durch nichts irre machen ließ. Er riet zu einer augenblicklichen Übersiedelung in ein ganz andres Viertel, und mit der ihm eignen Umsicht wußte er diese Maßregel ins Werk zu setzen.

122 Frau Bredow und ihre Tochter bezogen eine neue Wohnung, und sie hätten wieder frei aufatmen können, wenn sie nicht beständig der Gedanke verfolgt hätte, daß sich auch hier wieder bald dieselben Gerüchte verbreiten und sie aufscheuchen würden. – Wie erschrak daher die Witwe, als eines Tages an ihrer Klingelschnur gezogen wurde und ihr Nachbar, der Tischler Pfennig, vor ihr stand. Er schien in furchtbarer Aufregung zu sein, denn ohne auf die Bestürzung der alten Frau zu achten, die schon Willens war, ihm die Thür zu weisen, trat er rasch in das Zimmer, mit den heftig hervorgestoßenen Worten: »Ich muß Ihre Tochter augenblicklich sprechen.«

Auch Pauline starrte in sprachloser Bestürzung auf den Eintretenden. Was wollte der Mann von ihr, dessen gerötetes Antlitz nichts Gutes verhieß? – Hatte er sie nicht genug verfolgt und sie um alle Ruhe gebracht, wollte er sie auch jetzt wieder aus ihrem Asyl mit seinem finsteren Haß aufscheuchen? – Ach, es war ja traurig genug, daß es so gekommen und Wilhelm um ihretwillen mit seinen nächsten Verwandten in offener Feindschaft lebte. Mit unruhig klopfendem Herzen wartete sie, was der leidenschaftliche Mensch Schlimmes gegen sie im Schilde führen werde.

»Sie wundern sich wohl nicht wenig, daß ich Sie hier aufsuche?« begann der Tischler sogleich, der sich nicht einmal die Zeit zu einem kurzen Gruß nahm. »Aber es passieren doch Geschichten in der Welt, daß einem der Verstand stille stehen möchte.«

Das junge Mädchen sah ihn nur mit ihren blauen Augen ängstlich fragend an.

»Ja, da hab' ich soeben einen Brief bekommen, der enthält Wunderdinge, und ich bin spornstreichs zu Ihnen gelaufen«, begann Pfennig von neuem und griff in seine Tasche, ein bereits recht zerknittertes Papier hervorholend: »Lesen Sie selber, Fräulein, wenn Sie die Krakelfüße entziffern können; mein Freund hat ein bißchen schlecht geschrieben.«

Zitternd, keines Wortes fähig, nahm Pauline den Brief in die Hand, während der Tischler mit aufmerksamen Blicken jede Bewegung ihres Antlitzes verfolgte und Frau Bredow ratlos und erwartungsvoll dastand, nicht wissend, was sie thun oder unterlassen sollte.

In fieberhafter Hast hatte Pauline das Schreiben überflogen, dann entfiel ihr das Papier, und mit dem Ausruf: »Großer Gott!« sank sie wie leblos, am ganzen Leibe zitternd, auf ihren Stuhl zurück.

123 »Was haben Sie mit meinem armen Kinde gemacht!?« rief Frau Bredow verzweifelt.

»Lesen Sie nur«, entgegnete der Tischler, und auf seinem finsteren Gesicht zeigte sich ein triumphierendes Lächeln, als sei er mit dem ihm gelungenen Streich recht zufrieden.

Die Mutter wagte den verhängnisvollen Brief nicht aufzuheben; Pfennig bückte sich danach, und ihr denselben überreichend, wiederholte er sehr eindringlich: »Lesen Sie nur. Sie werden auch Augen machen.« –

Zögernd griff die Witwe nach dem Papier. Die Buchstaben führten anfangs einen Tanz vor ihren Augen auf; aber allmählich vermochte sie den Brief zu entziffern:

Lieber Freund!

»Du wirst Dich gewundert haben, daß ich Dir über Frau Bredow und ihre Tochter nichts sagen mochte. Ich merkte schon, daß Du nur gekommen warst, um über die Leute Erkundigungen einzuziehen, und wozu sollte ich die alte Geschichte aufwärmen? – Was sagst Du nun dazu, wenn Du jetzt erfährst, daß sich die Sache ganz anders verhält und das junge Mädchen damals wirklich nicht das Armband gestohlen hat. – Na, das gab gestern ein Aufsehen und ein Gelärm in unserm kleinen Nest, als es plötzlich hieß, die Frau Kalkulator Schmidt ist in einem Laden attrappiert worden, wie sie eben mit einem Stück Seidenzeug verschwinden wollte. Der Kaufmann war schon fortwährend bestohlen worden und hatte längst Verdacht geschöpft und endlich den Vogel gefangen. Nun legte sich die hochnäsige Frau Kalkulator aufs Bitten, sie erbot sich gleich, das Zeug zu bezahlen, und sagte, sie hätte sich nur einen Spaß machen wollen; aber der Kaufmann nahm zum Glück den Spaß sehr übel, und die Frau Kalkulator mußte in Prison wandern. Ich denke, die ganze Stadt wird auf die Feueressen zu stehen kommen. So was hatte man hier noch gar nicht erlebt, und gestern saß alles in den Bierhäusern, um das Tagesereignis zu besprechen. Als die Nachricht von Sedan eintraf, kann's hier nicht schlimmer gewesen sein.

Der Herr Kalkulator war noch auf dem Gericht, und in seiner Abwesenheit wurde eine Haussuchung vorgenommen. O, du heiliger Krispin! was wurde da gefunden! – Diese kleine, dürre Person, die immer so fromm und zimperlich that, hat 124 ja ärger gestohlen als ein Rabe. Ein ganzes Lager von gemausten Sachen wurde da gefunden! Die hat ihre langen Finger überall gehabt und beinahe aus jedem Hause etwas fort und in ihren Fuchsbau geschleppt. Nun haben die Herren vom Gericht die saubere Person gründlich ins Gebet genommen, und da hat sie alles gestanden und auch, daß sie damals das Armband gestohlen und die kleine Bredow ganz unschuldig sei, der sie nur aus Eifersucht diesen bösen Streich gespielt habe.

Du mußt nämlich wissen, daß Frau Schmidt zu jener Zeit als Kammerjungfer bei der Gerichtsrätin gedient, sie hatte sich in ihren jetzigen Mann vergafft, und um ihn der Pauline Bredow abspenstig zu machen, stahl sie das Armband, warf es heimlich in den Rinnstein, als sie sah, daß die Bredow aus dem Hause trat, und schlich davon.

Ihr böser Streich ist ihr damals richtig gelungen, bis sie endlich selber gründlich hineingefallen ist. Es hat freilich lange genug gedauert; aber das alte Sprichwort: Der Krug geht so lange zum Wasser, bis er den Henkel verliert, ist wieder einmal Wahrheit geworden.« –

Frau Bredow hatte mit immer größerer Hast gelesen; jetzt holte sie tief Atem und die Hände faltend, rief sie in frommer Inbrunst und mit Thränen in den Augen: »So hat Gott mein tägliches Gebet endlich erhört und die Unschuld meines Kindes an das Licht gebracht! – Pauline! wie konntest du so erschrecken?« wandte sie sich zu ihrer Tochter; »ich dachte, das Schlimmste sei dir begegnet.«

Diese hatte sich von ihrer ohnmächtigen Schwäche erholt; sie versuchte zu lächeln und entgegnete leise: »Das Glück hat dieselbe Gewalt wie das Unglück, wenn es plötzlich auftritt. Als ich las, daß meine Unschuld an das Licht gekommen, war es mir, als müsse ich vor Seligkeit vergehen. O, was wird Wilhelm dazu sagen! Nun sind alle Schatten verschwunden!«

»Verzeihen Sie mir«, sagte der Tischler und reichte Paulinen die Hand hin; »aber in einer großen Stadt passiert zu viel. – Sie können es mir nicht verargen, daß ich mißtrauisch war. Ich meinte es rechtschaffen mit meinem Schwager.« – Er zeigte jetzt doch eine größere Gutmütigkeit, als man bei dem sonst so finster blickenden Manne gesucht hätte. Er war sichtlich bemüht, sein früheres schroffes Auftreten auszugleichen.

125 »Sie haben nur Ihre Schuldigkeit gethan«, entgegnete Pauline freundlich, »und wir sind Ihnen zu rechtem Dank verpflichtet, denn ohne Sie würden wir noch lange nicht und vielleicht niemals diese glückliche Wendung erfahren haben, weil wir in gar keinem Verkehr mit unsrer Heimat stehen.«

»Um so besser«, rief der Tischler gutmütig lachend, »und seien Sie mir nicht böse, daß ich Ihnen so plötzlich die Nachricht brachte. Ich hatte ja nicht gedacht, daß es Sie so ergreifen würde, ich glaubte Ihnen eine rechte Freude zu machen, und bin atemlos hergestürzt. Aber sagen Sie mir nur, wie hat diese schlaue Person das alles zuwegebringen und Ihnen eine solche Suppe einbrocken können?«

»O jetzt begreife ich alles, was mir bisher selbst noch rätselhaft geblieben ist«, erwiderte Pauline. »Auguste Felsch diente bei der Gerichtsrätin als Kammerjungfer, und ich hatte schon immer gehört, daß sie gern Herrn Schmidt für sich erobern und ihn mir abspenstig machen wollte; aber daß sie zu einem solch schändlichen Mittel ihre Zuflucht nehmen würde, daran hatte ich nicht gedacht. Ihr mußte es freilich leicht werden, mich zu verderben, und sie hat ihren schlimmen Plan nur zu geschickt ausgeführt.«

»Das ist ja ein nichtswürdiges Geschöpf!« rief der ehrliche Tischler entrüstet. »Ein Glück, daß diese saubere Fliege endlich gefangen worden und, was das Merkwürdigste bleibt, daß dieser aufgeblasene Kalkulator Sie damals aufgegeben hat, weil Sie bestraft worden, und nun doch mit einer abgefeimten Diebin gründlich hineingefallen ist. Nun, der wird sich schön in die dünnen Haare kratzen!« –

Unwillkürlich hatte ein ähnlicher Gedanke das junge Mädchen heimgesucht. Wie schnöde und rücksichtslos war sie von ihrem ersten Geliebten augenblicklich verlassen worden, der wenig ahnte, daß er sich später einer Frau zugesellte, die einen ausgeprägten Diebessinn besaß.

Wirklich kamen auch Nachrichten aus der kleinen Stadt, daß Herr Kalkulator Schmidt sofort die Scheidung gegen seine Ehehälfte eingeleitet habe und seitdem eben so tief gedemütigt einhergehe, wie er vorher den Kopf hoch getragen.

Mit dieser unerwarteten Wendung des Geschickes war alles entschieden. – Wilhelm Bergschmidt führte jubelnd seine angebetete Pauline als Gattin heim, und das unerschütterliche Vertrauen, das er ihr bewiesen, war die beste Bürgschaft für ihren glücklichen Ehebund.

126 Tischler Pfennig und die Seinen zeigten jetzt für die hübsche, sanfte Schwägerin die freundschaftlichste Zuneigung, und das Verhältnis der beiden Familien wurde mit der Zeit nur immer wärmer und inniger. Der junge Maschinenbauer war überglücklich im Besitz seiner schönen, vortrefflichen Frau, und wenn Schwager Pfennig in das Lob Wilhelms ebenfalls begeistert einstimmte, dann sagte der wohl scherzend: »Aber sie ist ja bestraft!« – und dieser entgegnete regelmäßig: »Du brauchst mich nicht ewig damit zu strafen, daß ich ihr damals nicht geglaubt habe. Ich hab' ja doch erst die richtige Aufklärung gebracht.«

»Ja, du bist eine ehrliche Haut!« rief Wilhelm lachend. »Und für deine teilnehmende Sorge bleib' ich dir trotz alledem dankbar. Aber mußt du nicht selbst sagen, wie glücklich ich bin, daß ich mir gerade eine bestrafte Frau ausgesucht habe?«

Der Schwager nickte ihm eifrig zu.

In den Herzen dieser braven, redlichen Menschen ruhte jetzt der hellste Sonnenschein.

 


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