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Zweites Capitel.

Dämmerungen.

Aber meine Herren, begann Pax, was ist Das? Ich erwartete Sie längst! Eine so wichtige Mission! Wo sind Ihre Aufzeichnungen! Was haben Sie für Resultate?

Schmelzing zeigte mit großer Verlegenheit auf das von ihm beschriebene Pergament und sah hülfeflehend Hackerten an, der mit aller Ruhe das Wort ergriff:

Denken Sie sich! Wir fanden ja statt nur eines zuletzt drei Kreuze erhellt, Herr Oberkommissär! Über jeder der drei Zellen wurden Dinge gesprochen, die des Anhörens werth waren.

Der Oberkommissär schien sehr erfreut.

In der einen saßen zwei griechische Damen, sagte Hackert, und ein... ein lateinischer Herr –

Ich weiß, sagte Pax lächelnd. Die eine Zelle war von dem phantastischen Pfarrer Guido Stromer besetzt, der hier jetzt in Begleitung zweier Fräuleins Wandstabler die Wildheit austobt, von der kein Mensch begreift, wie er Jahre lang auf seinem Dorfe sie hat bändigen können. Es wird nöthig sein, den Mann zu warnen.

Waren es wirklich die Wandstablers? sagte Hackert erstaunt. Ja, fragen Sie Schmelzing, dieser Herr hat sich, soweit es mit Gefahr, die Augenlieder zu verbrennen, zu hören möglich war, so in wissenschaftliche Untersuchungen über die Liebe ergangen, daß Schmelzing in seinen edelsten Grundsätzen wankend wurde und sich selbst gern ins Türkische übersetzt hätte, wenn...

Ich will nicht hoffen, unterbrach Pax, daß Sie dies Stelldichein eines unbesonnenen Mannes, den der Genuß des Residenzlebens um Vernunft und Vorsicht zu bringen scheint, gestört hat, an der Hauptstelle Acht zu geben?

Nein, fuhr Hackert als Wortführer fort, Schmelzing verachtet den sogenannten Pantheismus, den Propst Gelbsattel an Schlurck's Tische proklamirte, wenn der Champagner kam. Ich beredete ihn, weiter entfernt beim dritten Kreuze Platz zu nehmen.

Beim dritten Kreuze? rief Pax, der Bildung seines Schützlings sich freuend, aber doch betroffen. Da, wo General Voland von der Hahnenfeder saß, den man wohl erkannt hat, trotz seines Mantels, in den er sich wie in eine Kapuze hüllte...

Es war ein Franzose mit ihm! sagte Schmelzing rasch, um sich zu rechtfertigen.

Und Propst Gelbsattel, dessen helltönende Dessert-Stimme ich kenne, verlangte dem General zu Ehren Lacrymä Christi... ergänzte Hackert.

Ein Franzose, bestätigte Pax. Sollte es wirklich Sylvester Rafflard gewesen sein? Übrigens, darauf kommt wenig an. Ich hoffe, daß der Irrthum bald entdeckt wurde und – aha, da liegen Schmelzing's Scripturen. Haben Sie Acht gegeben, was besonders der Major Werdeck äußerte?

O vollkommen, sagte Hackert, die Frage entschlossen auf sich beziehend. Ich postirte mich über der mittleren Zelle, wo sich etwa fünf Gäste zu unterhalten schienen –

Sie ganz allein? Sind Das Ihre Aufzeichnungen, Hackert? Sehr unleserlich! Hackert, sehr unleserlich!

Hackert hatte seine Brieftasche hervorgezogen, in der allerlei verworrenes Durcheinander verzeichnet stand.

Die Herren sprachen sehr rasch, entschuldigte sich Schmelzing stotternd, und der Franzose wurde vollends von einem so hektischen Husten öfters unterbrochen –

Hektischen Husten? Der junge Louis Armand?

Ich meine, der Professor –

Der Professor? Welcher Professor?

An dem dritten Kreuz –

Sie haben doch nicht –

Schmelzing hat Alles, was die drei Herren unter dem dritten Kreuz über die Jesuiten und ihren zukünftigen Einfluß auf Deutschland sagten, hier aufgeschrieben...

Aber mein Gott – Wer will denn etwas von den Jesuiten wissen! Was haben Sie denn gemacht! Die fünf! Was hat denn zum Teufel der Major Werdeck gesagt? Hackert!

Erlauben Sie, Herr Oberkommissär, sagte Hackert. Bei den fünfen war ich und habe nur wenig nachgeschrieben, weil ich bessere Ohren und besseres Gedächtniß habe als Schmelzing, dem ich die drei Jesuiten ließ, als die wichtigsten.

Pax gerieth in den äußersten Zorn. Er lief im kleinen Zimmer auf und ab, fluchte und wetterte und erklärte, daß ihm mündliche Berichte nichts helfen könnten. Und als Hackert gar anfing, zu erklären, jene fünf hätten sich Charaden aufgegeben, sich in geisthaschenden Betrachtungen über die Blume der Weine, die sie tranken, zu überbieten gesucht, Frauentugenden analysirt, Universitätsanekdoten so breit erzählt, wie sie Melanie Schlurck immer vom Tisch des Justizraths verjagt hätten, fuhr Pax auf:

Hackert, Sie belügen mich!

Herr Oberkommissär, – ich verbitte mir, – warf sich Hackert in die Brust. Schmelzing, haben Sie nicht gehört, daß man von dem Geiste der Weine und immer über und durch die Blume sprach?

Schmelzing hatte von dem Worte Geist eine Erinnerung und behauptete, dies gefährliche Wort sehr oft gehört zu haben.

Pax fixirte Hackerten auf's Schärfste.

Ich versichre Sie, wiederholte Hackert, daß wir Beide nur gehört haben, wie man von Geistern so viel sprach, daß wir Gespensterfurcht bekamen. Was, Schmelzing? Nicht wahr? Der Geist muß regieren, sagten sie und setzten alle Könige ab. Das thaten sie. Einen Thron bauten sie von Gedanken und behingen ihn mit Spinneweben und unsichtbaren Staubfädchen. Die Armeen schafften sie ab und wollten nur noch Schilderhäuser, die nicht größer wären, als hohle Krebs- oder Nußschaalen. Polizei dürfe es gar nicht mehr geben, weil die Diebe nicht zu stehlen brauchten, da Allen Alles gehörte –

Das ist Kommunismus, sagte Pax, der sich über diese wichtige Zeitfrage zur Noth durch kleine konfiscirte Schriftchen orientirt hatte. Und Schmelzing sperrte staunend den Mund auf, froh, daß Hackert die Verantwortlichkeit dieses Dienstversehens nun allein trug.

Fahren Sie fort! sagte Pax.

Sie machten Alles gemeinschaftlich, diese fünf, zuletzt, ich versichre Sie's, zuletzt auch die Rechnung. Niemand bezahlte für sich, sondern die verschiedenen Geschmäcke wurden in einen zusammengezogen, dann mit fünf dividirt und auf jeden kam, einschließlich mehrerer Beefsteaks, ein Thaler und fünf und zwanzig Silbergroschen.

Pax stampfte mit dem Fuß auf und schleuderte Hackert's Brieftasche von sich.

Aber ich versichere Sie, Herr Oberkommissär, die Parole hieß: Geist! Hier – Hackert griff in seine Brieftasche – hier steht's ja. Der Eine sagte: Geist ist der Herrscher des Weltalls und der Meister des Teufels und die Dampfkraft in der Lokomotive: Mensch genannt. Erst greift der Mensch als Wickel-, Windel-, Fallhutkind um sich und begreift, was er faßt, begreift seine Beulen und versteht, was ihm ansteht, als Eßgegenstand. Aneignung durch den Mund ist die erste Kritik der reiferen Vernunft. Dann... Hackert improvisirte so fort... dann trennt das Kind Eins vom Andern, das Naschbare vom Unnaschbaren und theilt es und urtheilt. Über das Urtheilen machte man Wortwitze, wie ich sie bei Schlurck hörte, wenn Universitäts-Professoren gebeten waren und an einer Gänseleberpastete durch die Zunge die Urbestandtheile herausschmecken wollten. Ein berühmter Professor, den Schlurck auf Händen trug, weil er immer sagte: Alles was ist, ist vernünftig, der alte Herr nahm einmal von diesen Ur-Theilen so viel auf einmal in sich auf, daß er am folgenden Morgen an einer Indigestion verstorben war, worüber Schlurck sagte: Das erste Ist, das doch unvernünftig war! Dann hieß es unter dem mittleren Kreuz: Es gäbe einen wahren Geist und einen falschen, echte Moral und falsche und das innere Gesetz, darin fand ich Gefährliches, das innere Gesetz stünde über dem äußern. Man bezeichnete grade nicht die Polizei als die Gegnerin des inneren Gesetzes, allein sie sagten, sie wollten einen Liebesbund schließen, wo Alle sich mit geistigen Waffen schlagen sollten und in Harnisch gerathen nicht mehr aus persönlichem Interesse, nicht mehr aus persönlicher Leidenschaft, sondern nur aus Überzeugung und um des innern Denkens willen. Ich rufe Schmelzing zum Zeugen. Diese fünf Menschen waren mit der ganzen Welt zerfallen und wußten nichts zu loben, nichts, gar nichts, als höchstens des Rathskellermeisters Weinkarte.

Pax durchflog, während Hackert in dieser Weise flunkerte, das Pergament Schmelzing's und dessen Abschrift. Er fand hier in der That reellere Dinge, wirkliche Namen, Zustände, Beziehungen...

Kommen Sie zum Präsidenten, sagte er endlich. Ich sehe doch, es sind wichtige Namen da genannt worden und so gewagt es sein kann, hochstehende, bei Hofe verehrte Männer, wie den General Voland von der Hahnenfeder und den Propst Gelbsattel in ihren geheimen Äußerungen zu belauschen, so weiß man doch nicht, welches Ende unsre Ministerkrisis nimmt. Der General hat es abgelehnt, mit dem Fürsten von Hohenberg ein Ministerium zu bilden. Professor Rafflard ist uns längst schon verdächtig. Der Präsident wird zornig sein, daß wir über Werdeck nichts Genaueres fischten, nichts über diesen gefährlichen Leidenfrost; ich hoffe aber, diese Notizen machen es gut. Ich nehme sie mit. Kommen Sie um zehn Uhr zum Präsidenten, Schmelzing, damit Sie Alles dechiffriren!

Schmelzing war glückselig. Er hatte unfehlbar einen Sieg über Hackert errungen, Diesem die verfehlte Expedition zugeschoben, Brauchbares durch Zufall entdeckt. Doch nahm Pax auch von Hackert, seinem jüngstgeworbenen geheimen Agenten, mit Schonung und sichtlichem Wohlwollen Abschied. Er bot beiden Schreibern Geld an, das sie nahmen. Er forderte sie streng auf, jede nähere Beziehung zur Polizei noch für einige Zeit zu verbergen, es würde bald die Zeit kommen, wo sie vorwärts rücken könnten und, wenn sie wollten, Dienstabzeichen tragen dürften. Noch diktirte er ihnen einige Namen zu den Listen verdächtiger Personen, die sie schon bei sich führten; es befand sich der eines Engländers Namens Murray darunter. Schließlich gab er ihnen verschiedene Eintrittskarten an öffentliche Orte, besonders in Ausstellungen, in Museen, Konzerte, auch eine immerwährende Gastkarte in die großen und kleinen Versammlungen des Reubundes, weniger um verdächtige, dort nicht fallende Äußerungen zu überwachen, als sich in derjenigen Gesinnung zu stärken, die allein der Stachel und Sporn wäre, ihrem Berufe mit Eifer und Hingebung zu folgen und besonders eine innere Scheu des Angebens überwinden zu lernen.

Pax verließ sie. Schmelzing war froh, so gut davongekommen zu sein und konnte nicht begreifen, wie Hackert, der doch auch gefehlt hatte, losbrach:

Die ewige Angeberei! Hol' die der Teufel! Ich hatte geglaubt, Pax würde uns da anstellen, wo man erfährt, wo heimlich gespielt, wo der beste Punsch gebraut wird und die hübschesten Mädchen ohne Erlaubniß zu lieben wagen. Das Departement der öffentlichen Tugend, dacht' ich, würde Ihnen, Schmelzing, anvertraut werden, daß auf dem Trottoir uns die elegantesten Damen im Vorübergehen zuflüsterten: Guten Tag, Schmelzing! Kennen Sie mich um Gotteswillen hier nicht, Schmelzing! Himmlischer, süßer Schmelzing, unter dessen Kontrole ich stehe, der bei mir aus- und eingehen darf, bei Tag und bei Nacht – Süßer, himmlischer Schmelzing mit der weißen Halsbinde –

Schmelzing lachte hellauf vor Wonne über diese zuletzt in die ihnen geläufige Fingersprache übergehenden Tollheiten. Er hatte seinen Hut genommen, drängte Hackerten zur Thür hinaus, schloß seinen Käfig zu und bat nur, unaufhörlich kichernd, ihn mit dem »andern Geschlecht« nicht zu furchtbar aufzuregen. Er müsse zum Präsidenten, sich sammeln...

Unten auf der Straße trennten sie sich.

Hackert war unfläthig genug, ihm fast... die Zunge nachzustrecken. Er schob die Hände in die Beinkleidertaschen, rannte die nächste rauchende Person mit einem Pardon! an, bat um Feuer! und schlenderte, wie ein Tagedieb, den lebhafteren Gassen zu. Er wollte erst Siegbert besuchen, um ihn zu warnen, führte aber diese gute Regung nicht aus, da sie ihm jetzt unnöthig schien. Nun wollt' er zu dem alten grauen Hause, das Schlurck bewohnte, wollte sich erkundigen, wie es um Bartusch stünde, wollte einmal den Versuch machen, Schlurck selbst zu begrüßen, dem er seit seiner Untersuchung in Sachen des Bildes der Fürstin Amanda von Hohenberg imponirte. Er war voll Übermuth und Trotz.

Als er nun wirklich vor dem alten, mit dem Kreuze bezeichneten Hause stand, blickte er schielend zu den Fenstern auf, hinter denen Melanie wohnte. Wie rannen da alle seine chaotischen, nicht guten, nicht völlig bösen Empfindungen in dem einen starken mächtigen Strom zusammen: Vergangenheit! Seit jener Nacht, wo ihm Melanie im Wagen versprochen hatte, Lasally von einer Untersuchung abzubringen, mit der der ergrimmte Freier ihn bedrohte, hatte er seinerseits das Versprechen geben müssen, auch nun für ewig von ihr zu lassen und ihre Bahnen nicht mehr mit seinen schreckhaften Erinnerungen an Kinderglück zu durchkreuzen. Hackert, hatte ihm Melanie damals gesagt, du weißt sehr wohl, daß ich über meine Zukunft eine ernste Betrachtung anzustellen habe und mich nicht blindlings an den ersten besten der Vielen, die mir huldigen, verschenken kann. Und Hackert schwur damals, was Melanie begehrte. Berauscht von Liebkosungen, die er ungroßmüthig ertrotzte, war er nach Hause geschwankt, hatte die Brüder Wildungen, Louise Eisold, Bartusch im frechsten Übermuthe verhöhnt, war auf den Fortunaball gerast, hatte seiner ganzen verlornen Natur den Zügel schießen lassen, bis ihn der Fluch seines Daseins, wie er sein Traumwandeln nannte, im Augenblicke der Erschöpfung strafte und ihn zum jammervollen Spott der Menschen auf's Neue mitten im Glückstaumel niederwarf. Um zu vergessen, war er den Anerbietungen des Oberkommissärs gefolgt. Die feige Verzweiflung, die ihn zuweilen erfassen konnte, hatte ihm den Muth gegeben, bis dahin Alles zu thun, was man von ihm verlangte. Nun kamen wohl schon lichtere Augenblicke über ihn. Mitten in der wüsten Lebensart, die er nun, wo er doppelt Geld hatte, am wenigsten ließ, überkam ihn wohl ein Gefühl verzweifelnder Wehmuth. Da setzte er sich in Trinkstuben hin, warf einen Papierschein auf den Tisch, nahm das Geld nicht auf, das er wieder heraus bekam: er hasse das schmuzige Metall, sagte er, es mache ihm Krämpfe in den Fingern. Er trank, kam durch die Aufregung, die der Wein mehrte, in einen Zustand verbissener Wuth, verletzte Jeden, der sich ihm nahen wollte und hatte doch meist die Kraft nicht, die Folgen, die seine entfesselte Wildheit nach sich zog, auszukämpfen. Man warf ihn da, wo er wie ein König eingetreten war, wie einen Bettler zur Thür hinaus. Und es sprang ihm Niemand bei. Es schloß sich ihm Niemand an. Niemand faßte zu seinem Wesen Vertrauen. Er konnte dann stundenlang sitzen, das Haupt aufgestemmt und ergrimmte Glossen hin- und herschleudernd. Man kannte ihn schon und belustigte sich an ihm. Seine Grundanschauung war die, Jeden für irgendwie schlecht zu halten. Wenn er ganz mit sich in Verfall gerieth, ging er vor die Thore, setzte sich an die Spielplätze der Kinder, sah deren Treiben zu und wollte sich auch schon aus Dem die Eitelkeit, die Gewaltthat, den Eigennutz früh herausmärzen. Wie Timon dann Alle verwünschend, Alle hassend, rannte er in die Felder, in die Vorstadtgassen und endete gewöhnlich damit, daß er sich zuletzt zu den Verworfensten ihres Geschlechtes flüchtete, mit diesen tobte, fluchte, philosophirte, grade als wenn er aus dem Schlamm erst heraus nach Licht und Poesie rang. In dieser Sphäre hielt man ihn für verrückt.

Dem Schlurck'schen Hause lag ein Café gegenüber. In diesem saß er schon seit seinem Bruch mit der Familie oft Tage lang und belästigte des Justizraths Fenster durch freche Blicke. Auch heute wollte er schon in aller Frühe in das Café eintreten und den unerquicklichen Dunst und Staub, den eine Herberge am frühen Morgen darbietet, einathmen, als er Jeannetten aus dem Schlurck'schen Hause treten sah. Sie hatte einen der herbstlichen Jahreszeit entsprechenden Mantel um und sah fast ergrimmt, fast bissig, jedenfalls sehr finster aus. Trotz dieser Witterung, die er gleich spürte, wagte sich Hackert an seine Feindin, grüßte sie und stellte, die Cigarre halb aus dem Munde nehmend, mit dem Hut auf einem Ohr, sich ihr dicht in den Weg. Zwei Menschen Das, die Gott nur zu Rädern für fremden Willen geschaffen zu haben scheint, zu ohnmächtigen Werkzeugen fremder Kraft, und grade die wollen erst recht selber im Leben regieren, wollen grade im Dienen herrschen und herrschen wirklich!

Nachtvogel! war Hackert's Gruß und Tagedieb! Jeannetten's Antwort.

Blas' er seinen Qualm nicht ehrlichen Leuten in's Gesicht!

Mamsell hat Angst um ihre glatte Haut! Herbst wird's? Tragen Sie doch einen Schleier! Ihr Teint springt auf trotz Gold-Cream, der Ihnen da von der Nacht noch an der Nase glänzt!

Jeannette besann sich, ob sie so fortfahren sollte. Eine Stimme sagte ihr: Die Feinde deiner Feinde sollten deine Freunde sein! Und so begann sie:

Hackert, die Zeiten, wo Sie im Hause waren, sind nicht mehr.

Hackert war nicht sentimental. Am wenigsten liebte er die gefühlvollen Kammerzofen. Sie weinen ja? sagte er. Thränen wie Zwetschen so dick, Thränen, wie Roßäpfel von Ihrem himmlischen Herrn Lasally! Lumpenvolk!

Denken Sie doch nicht mehr an den Abend in der Fortuna, Hackert, lenkte die Kammerzofe ein. Neumann hat's bitter empfunden. Sie hatten mich durch Ihre schändliche Plauderei wegen dem falschen Prinzen um meinen Platz gebracht. Sie hätten den Zorn sehen sollen, wie Melanie nach Hause kam von Frau von Harder – gleich mir aufgesagt – Und wir wissen doch, Hackert – wir wissen doch –

Schnurr du und noch ein Spinnrad! äffte Hackert das rasche Plaudern der Zofe nach. Bist ja im Haus geblieben, edles Wesen! Der süße Bartusch und die Wassernixe, die Frau Justizräthin, warfen dich ja nicht zum Tempel hinaus, ließen dich ja bei Neumann, seinen Ohrringen und seinem Backenbart! Schlurck kann ja auch nicht den Geruch von jedem Frauenzimmer um ihn her vertragen – So sind Sie geblieben. Was stört denn nun jetzt da drinnen die schöne Landschaft?

Jeannette zog Hackerten vorwärts in eine minder belebte kleine Seitengasse. Hier begann sie eine Mittheilung über Schlurck's neuerdings erlebte Unglücksfälle. Die Verwaltung der Hohenbergischen Güter wäre ihm genommen, die Administration der städtischen Häuser wäre vom Magistrat neu untersucht worden und es hieße, sie käme auch aus Schlurck's Händen. Schlurck lasse die Flügel schrecklich hängen und gestehe ein... denken Sie sich, Hackert!... daß er alt würde! Die Justizräthin wäre wasserscheu... das wollte viel sagen... Und Bartusch...

Nun?

Heut' Morgen in aller Frühe klingelt's und in einem Fiaker bringen sie den Alten auch todtkrank und elend... Wer weiß, welche Gosse über ihn ausgeschüttet wurde!

Hackert forschte...

Es mußte zu Drommeldey geschickt werden, der gleich beim Eintreten sagte: Bartusch, Sie schauen ja aus, als hätten Sie Geister gesehen! Kurz und gut... Ich sage Ihnen Hackert, wo ist die schöne Zeit hin, als wir in Hohenberg waren! Die Lust! Die Seligkeit damals in dem Schloß!

So? Ich schlief auf der Wiese unter den Fröschen... Wer freilich bei Ihnen...

Hackert!... Ich sage Ihnen, Melanie ist nicht mehr zum Erkennen –

Wie so? Sie hat ja nun doch den rechten Prinzen Egon!

Sie wissen's also auch? Alle Leute sagen's. Ich mag sie nicht fragen – sie ist mir nicht wieder grün geworden. Von Hohenberg will sie nichts wissen... immer ernst – immer nachdenklich – immer Musik jetzt und Lektüre und melancholisch...

Und nun begannen diese Menschen eine Kritik der Verhältnisse Schlurck's, des Prinzen, der bekannten Armuth des Letzteren, bis Hackert mit den Worten einfiel:

Ich sehe unsern Alten noch mit der Prise in der Hand in Lasally's Cirkus die Honneurs machen und mit ein paar alten steifen Mähren das Gnadenbrot um die Wette essen. Wie geht's denn Sr. getauften Lordschaft?

Jeannette sprach in gemessensten Ausdrücken von Lasally, seinem ehrenwerthen vielverkannten Charakter, worüber sie fast den Faden ihrer Mittheilung verlor. Dazu das Drängen in der engen Gasse, die Aufregung der Menschen, das Gewühl eines naheliegenden Frühmarktes. An einer Straßenecke lasen die Leute angeschlagen, daß Fürst Egon von Hohenberg Minister geworden. Hackert griff diese Nachricht auf.

Hören Sie doch! Prinz Egon Minister!

Jeannette verwunderte sich, hielt eine solche Beförderung für eine Degradation, einen wirklichen Beweis der Armuth des Prinzen...

O weh! sagte sie. Und heute, heute muß der Justizrath zehntausend Thaler an Lasally zahlen... Das Alles an einem Tage!

Hackert erstaunte über die Zahlung an Lasally. Er kannte Schlurck's Geldverhältnisse besser als selbst die Justizräthin. Was für zehntausend Thaler? fragte er.

Jeannette berichtete von einer schrecklichen Scene, wo Lasally sich und Allen den Tod gewünscht hätte. Er wäre ruinirt, er hätte auf diese Heirath gehofft, er hätte sich lächerlich gemacht durch seine Langmuth; er hätte den letzten Beweis seiner Geduld in der Sache gegen Hackert gegeben...

Ja, Fritz, sagte Jeannette, er will Sie doch noch an den Galgen bringen. Neumann sagt, Sie wären's auch werth... man müßte Sie eigentlich auf ein wildes Pferd binden und dann...

Doch wol das Pferd peitschen und nicht mich wieder? fiel Hackert grimmig ein. Ich rath' Euch Gutes! Ich hab' eine Wuth auf Pferde und Lasally's rath' ich die Hufeisen verkehrt anzunageln, daß ich nicht weiß, wohin er mit ihnen ausreitet – Lasally's mein' ich.

Jeannette schauderte vor dem jungen Mann, den sie jetzt bös, doch tückisch nannte. Seine Augen zuckten. Seine Gesichtsmuskeln bewegten sich krampfhaft. Jeannette sagte ihm rasch, daß Schlurck keinen Kutscher mehr halten könne und ihr selbst gerathen hätte, zu Lasally zu gehen, bei dem für Neumann zu sprechen. Lasally würde sich jetzt sehr großartig einrichten, würde Leute brauchen. Eben ginge sie zu ihm, um ihm die Dienste ihres Verlobten anzubieten... Sie wisse zwar... Damit unterbrach sie sich selbst, denn Hackert ging fast taumelnd, fast abwesend neben ihr her. Sie sprach schon nichts mehr, er schwieg. So durchschritten sie fast die ganze Stadt, zum Schrecken der Zofe, die sich in der einsamen Thorgegend vor Hackert's plötzlicher Träumerei, wahrscheinlich der Erinnerung an seinen Lasally zugefügten Frevel, fürchtete. Zuletzt standen Beide vor dem Eingang in die Reitbahn Lasally's. Hackert erschrak, als er aufblickte. Jeannette hatte längst gefürchtet, daß sich Hackert einer gefährlichen Gegend nahte. Aber er sammelte sich und murmelte zum Abschied so hin, sie würde Lasally in einer türkischen Kleidung finden, eine gelbe Meerschaumspitze im Munde, einen türkischen Fez auf dem Kopf, rothe Hosen an, gelbe Stiefeln, Schlafrock von Sammet mit Schnüren. Wie ein Pascha würde er sie empfangen und sie würde ihm die gelben Stiefeln küssen dürfen, seine Hände, seine Ohrzipfel und todt und kalt würde der Pascha sagen: Dein künftiger Mann ist ein Schafskopf, doch soll er die Stelle haben, setzen Sie sich, Fräulein! Parlez vous français?

Jeannette lachte, huschte davon. Scheu entfernte sich Hackert von einem Ort, der ihn an ein Verbrechen erinnerte. Er floh fast. Als er sich in Sicherheit glaubte, sah er um sich. Er war erschöpft. Da stand ein Brunnen, der hier in der Vorstadt in ländlicher Weise mit einem Wassertroge für die Ausspannungen, die vorüberziehenden Viehheerden versehen war. Die Bäume hier und dort auf dem großen Vorstadtplatze waren entlaubt, die Luft schnitt kalt und fröstelnd genug. Herbstlich sah's auch in Hackert's Innern aus. Fehler, Irrthümer, begangene Frevel vergibt sich die Jugend sehr bald. Aber um so gewaltsamer, je weniger sie davon merkt, nagt an ihr die zu frühe Erkenntniß. Daß diese Person, diese Jeannette, nun zu einem Don Juan ging und für ihren Bräutigam um eine Anstellung bat, durchschaute er zu offen mit allen Folgen. Die verbitterte Auffassung der Menschen überzieht das ganze Leben mit aschgrauen Farben und worin anders wurzelt die verzweifelte Freudlosigkeit des verdorbenen Großstädters, seine Wuth nach Änderung seiner Lage, seine in der Gefahr dann doch wieder elende Gesinnungslosigkeit, als in diesem zeitigen Erkennen aller Endlichkeit unsrer Natur, in dem höhnischen Schlechtnehmen und Schlechtdeuten jeder fremden menschlichen Regung und Unternehmung? Hackert sah Alles vergiftet von Selbstsucht. Die Kinder auf der Straße schienen ihm schlecht, die Thiere, die Hühner, die Gänse um ihn her, die nach dem Futter aus den Kornwägen, den Resten der Pferdemahlzeiten haschten, schienen ihm bewußt erbärmlich; ja selbst dem Wasser in dem Trog, auf dessen Rande er saß die Beine baumelnd, sah er mit mistrauischer Bitterkeit nach, als wär' es das ewige Symbol der treulosesten, dahin rinnenden Flüchtigkeit. So zog er die Liste der Verdächtigen aus seiner Brusttasche und sammelte sich erst in dem Bewußtsein, in diesem Chaos doch nun auch etwas, wenigstens ein Polizeiagent zu sein.

Aus dieser gewiß wenig tröstlichen Betrachtung weckte ihn plötzlich ein lautes Wagenrasseln. Er blickte auf. Ein Lärmen, Rufen, Johlen, Peitschenknallen. Er sah einen Reisewagen, der langsam von der Gegend des Thores daherrollte und von vier Postpferden im Schritt gezogen wurde. Der Postillon blies und klatschte, wenn er absetzte, lustig mit der Peitsche. Mancher Hieb fiel auf die allzunah herandrängenden neugierigen, lachenden Menschen, die sich mehrten, je näher der Wagen in die belebten Gassen kam. Hackert stand auf, um die Ursache dieses Auflaufs kennen zu lernen. Das Blasen des Postillons, das langsame Fahren eines großen vierspännigen Reisewagens konnte allein nicht die Veranlassung dieses Lärms, dieses Drängens und Spottens sein. Er bemerkte auch bald die seltsamste Unterbrechung der gewöhnlichen langweiligen Straßenerscheinungen. Der Postillon ritt, selbst lachend, auf dem Sattelpferde, auf dem Bock saß an einer Kette ein als Kutscher gekleideter Affe, der aus einem Korbe Äpfel und Nüsse unter die Menge warf. Hinten auf dem Bocke standen zwei Mohren in rothen goldbetreßten Livréen. Im Wagenschlage waren zwei Papageyen und einige kleine Makis und Meerkatzen, die an Kettchen zum offnen Schlagfenster hinaus und hinein schlüpften, so weit sie Freiheit hatten. Ein kleiner Herr in mittleren Jahren, schwarzem Barte, hochgeröthetem Antlitz, in einem reichbesetzten Schnurrock und einem rothen Sammtbarett saß ganz allein in dem Fond des Wagens. Er schien sich theils an den Capriolen der Thiere, die ihn umgaben, zu belustigen, theils an der Neugier der Menschen, die er dadurch reizte, daß er ganz neue kleine Silberstücke zum Kutschenschlage hinauswarf. Einige zierliche Windhunde bellten gleichfalls aus dem Wagenfenster und wollten sogar nachspringen. Der sonderbare kleine Reisende hielt sie an einer grünen Leine fest und überließ das Apportiren dem Straßenvolk, dem natürlich nicht einfiel, ihm die Silbermünzen zurückzugeben. Diese tolle Karavane hielt, als sie dicht bei Hackert in der Nähe vieler Marktwagen und Wirthshausschilder stand, still. Der kleine possenhafte Herr lehnte sich aus dem Wagenschlage und fragte mit heller, schriller Stimme hinaus: Welches denn jetzt der beste Gasthof in der Residenz wäre?

Diese Vorstädter wußten wohl Antwort zu geben, aber sie nannten ein Dutzend Könige und Länder durcheinander. Hackert sah auf dem Kutschenschlage in der Ferne ein adliges Wappen und die Buchstaben O. v. D.

Der Wirrwarr der Thiere, die Mohren und die jubelnde Straßenjugend zogen ihn an, er trat näher und fragte nach des Herrn Begehr.

Welches ist jetzt das erste Hotel der Stadt? sagte mit sonderbarem fremden Accent der kleine breitschultrige Cavalier.

Die Stadt London! antwortete Hackert mit mehr Ehrerbietung, als ihm sonst eigen war.

Also wie vor funfzehn Jahren! Und der zweitbeste? Doch nicht die goldne Eule?

Jetzt die Stadt Rom! sagte Hackert.

C'est la même chose! Also ist Stadt Rom das beste Hotel; denn, mein Herr, das eine ist wirklich gut und das andre bemüht sich nur, den guten Ruf aufrecht zu erhalten. Alte Wände, neue Tapeten. Ich ziehe die goldne Eule vor. Ich danke Ihnen! Schwager, also in die Stadt Rom!

Damit fuhr der Wagen des sonderbaren Dialektikers vorüber und jetzt so schnell, so im verhängten Galopp, daß die Menschenmenge nicht mehr folgen und ihm nur ein lautes Halloh nachschreien konnte. Man zeigte sich lachend die Äpfel, die Nüsse, die kleinen Silbermünzen, die man erobert hatte und zerstreute sich in der Voraussetzung, man würde an den Straßenecken bald die Ankündigung eines angekommenen berühmten Taschenspielers oder einer Menagerie oder einer Kunstreitergesellschaft lesen.

Lieber O. v. D.! sagte sich Hackert, als er allein zur innern Stadt zurückschlenderte, du bist bei allem Witz ein Narr und deine Thiere, die wie Menschen gekleidet sind, haben so viel Verwandtschaft mit dir selbst, daß ich auch ein Narr wäre, wenn ich mich noch länger hier an Lasally's Reitbahn um drei todte Pferde ängstigen wollte.

Die Tollheit eines Andern hatte Hackert's Grübelei geheilt. Und es war die höchste Zeit, daß er sich auf dem Profoßamte sehen ließ. Im Vorübergehen an der Stadt London fragte er, ob nicht ein Reisender mit Mohren und Affen eben angekommen wäre? Er fragte grade deshalb dort, weil er sich sagte, die Menschen wären ja alle inconsequent und führten in jeder folgenden Minute grade Das aus, was sie sich in der vorhergegangenen widerrathen hätten. Um so mehr war er überrascht, daß in der Stadt London Niemand etwas von einem solchen Fremden wußte, in der Stadt Rom ihm aber unter Lachen und Verwundern wirklich gesagt werden konnte, der angekommene vornehme Sonderling hieße ganz einfach: Baron Otto von Dystra, kurländischer Gutsbesitzer.

Doch einmal Einer, der Consequenz hat! sagte sich Hackert erstaunt und verwünschte die dumme neugierige Stadtjugend, die an dem Portal der Stadt Rom sich anhäufte, um die Affen, die Papageyen, die Windspiele und die beiden Mohren zu sehen, die schon unter der Kellnerschaft hin und her liefen und von der Lebendigkeit ihres Herrn selbst Trepp auf Trepp ab eskamotirt schienen.

Aber Koketterie konnte Hackert dem neuen Ankömmling doch anhängen. Er will Aufsehen machen, der Hanswurst! sagte er sich und behielt als unverbesserlicher Misanthrop Recht. Mit schlottrigem Gang, einen Gassenhauer pfeifend, wandte er sich dann dem Profoßhause zu.


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