Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Capitel.

Die Mitschuldige.

Die Sonne war eben mit reinster Klarheit untergegangen, als die Gesellschaft oben am Schlosse ankam. Die Mutter und Bartusch traten ihr entgegen und baten Alle zu einem leichten Nachtimbiß zu bleiben. Melanie unterstützte diese Bitte. Sie bedurfte eines Übergangs aus ihrer vielfachen Aufregung zu jener einfach seligen Empfindung zurück, die sie in dem Augenblicke mit überströmender Gewalt ergriffen hatte, als ihr Dankmar ein Geständniß machen wollte. Wie dringend es war, einen Entschluß zu fassen, riefen ihm die bewaffneten Organe des Landfriedens zurück, die beiden Arme der Gerechtigkeit. Der Wagen war geschlossen. Eine eiserne Stange ging quer über die hintere Thür hinweg. Die Rettung des Bildes war für den Augenblick unmöglich.

Dankmar ergab sich vorläufig mit stummer Resignation in das Unabänderliche. Die letzte Entdeckung über Hackert und das lästige Gefühl, bei alledem, daß er diesen unglücklichen Menschen nun hassen mußte, Schuld zu sein an seinem Unglück (denn Lasally behielt die Kugeln), und ihm vielleicht noch gar Unrecht zu thun, alles Das drückte ihn so, daß er wirklich der zärtlichen Blicke und zutraulichen Tröstungen Melanie's bedurfte, die ihn aufzurichten und zu ermuthigen suchte. Er begriff dabei nicht vollkommen was in ihm vorging. Und als nun gar noch die Excellenz von Harder schon im Reiseanzug vor dem Beginn des Nachtessens sich melden ließ und sein bequemer Landau vorfuhr, der ihn aufnehmen und noch heute entführen sollte, als Melanie dem Abschied von dieser ihm zum ersten male entgegentretenden Persönlichkeit eine heitere, fast ausgelassene Wendung gab, verstand er nicht das Geringste mehr von ihren Absichten.

Die Couverte des gedeckten Tisches wurden complettirt, die Zahl der Messer und Gabeln vermehrt, die nun doch noch à la fortune du pot festgehaltenen Gäste standen rings erwartungsvoll und ihren verschiedenartigen Empfindungen hingegeben sich lehnend an Möbel und Fenstersimse.... Dankmar hörte den geheimen Neckereien zwischen Melanie und dem Intendanten befremdet zu und belächelte doch wieder, bei aller innern ernsten Aufregung, die Einbildung eines alten vornehmen Herrn, der in der That zu glauben schien, er hätte auf ein solches Wesen Eindruck gemacht.... Melanie's künstliches Schmollen hielt die Excellenz für Verzweiflung über die Abreise. Lasally und auch Dankmar schüttelten den Kopf über dies Flüstern, dies Blinzeln, dies huldvolle Vertrösten auf die nun bald in der Residenz sich hoffentlich inniger anknüpfende Freundschaft.... Melanie nahm den Intendanten bei Seite, zog ihn an eine Gardine des Fensters und scherzte so drollig mit seiner Schwäche, so beflissen, so zuthunlich, daß Frau von Reichmeyer ungeduldig wurde, von Unsittlichkeit sprach und mit einem Blick auf ihren gleichfalls eifersüchtigen Gatten laut erklärte, sie fürchte, solche Grundsätze steckten an. Endlich brach die Excellenz auf und riß sich aus dem tête à tête am Fenster mit den Worten los:

Sie täuschen mich! Warten Sie, warten Sie!

Sie werden sehen, Excellenz, rief dagegen Melanie, Sie werden sehen, ich täusche nicht....

Wirklich! sagte der Intendant, Sie wollten –

Melanie rief laut:

St! Die Wette gewinnen...

Damit drängte sie den verklärt Leuchtenden förmlich aus dem Zimmer....

Herr von Harder nahm von Melanie's Mutter einen höchst herablassenden, zerstreuten Abschied, von den Übrigen einen höher herablassenden, verwirrten, Dankmarn aber, als ein ihm noch nicht vorgestelltes unbekanntes Wesen, ignorirte er gänzlich.

Als der Geheimrath fort war, der Landau und der Transportwagen dahinrollten, das Säbelklappern der Gendarmen verhallte und die Gäste ihre Plätze zögernd und um Entschuldigung bittend eingenommen hatten, erklärte Melanie plötzlich, daß sie morgen in aller Frühe aufbrechen und nach der Residenz zurückkehren würde.

Wie? rief man allgemein. Ist das Ernst?

Sie brachte für ihren plötzlichen Entschluß so viel wohlgeordnete, überlegte, entschiedene Gründe vor, daß man erstaunt war über eine bei ihr im Stillen gereifte Erklärung....

Wenn Melanie mit solcher Sicherheit ein Vorhaben behauptete, war ihre Mutter nicht gewohnt ihr zu widersprechen.

Wohlan! sagte sie. So reisen wir!

Reichmeyer staunte erst, erklärte aber dann auch, daß er sich überzeugt hätte, ein Ankauf der Herrschaft würde sich ihm nicht lohnen. Lasally war schon seit lange durch diesen Aufenthalt verstimmt, durch Hackert's Nähe jetzt vollends beunruhigt, und Bartusch gab den letzten Nachdruck noch dadurch, daß er sagte, die Verabredungen der Gläubiger wären geschlossen, die Verständigungen ziemlich klar erörtert, man wisse, was Jeder zu fodern hätte und wie er sich wolle befriedigen lassen... es bliebe nun nichts übrig, als die letztliche Erklärung des inzwischen in der Residenz angekommenen Prinzen Egon....

Dies leuchtete ein... Bartusch's Blinzeln auf Dankmarn verstand man nicht.

Melanie überließ Jedem sich die Gründe zurechtzulegen, die ihn bestimmen konnten, das Schloß schon jetzt zu verlassen... sie, sagte sie, würde es morgen in aller Frühe thun. Sie bat Lasally, dazu die Pferde in Bereitschaft zu halten, denn sie würde bald fahren, bald reiten. Auch Dankmarn bat sie, ihrem Beispiele zu folgen und sich eines der Pferde des Stallmeisters zu bedienen, sein Wagen könne ja, geführt von einem der Leute Lasally's, folgen....

Nicht wahr? sagte sie neckisch.

Dankmar gestand zu, was sie nur verlangte.

Die Mutter, fuhr sie fort, schließt sich uns in der Mitte in unserm neuen Coupé an. Ja, ja, wir werden bald fahren, bald reiten und uns die Rückreise nicht etwa wie einen bittern Nachgeschmack von vielen hier gehofften und nicht eingetroffenen Freuden bekommen lassen, sondern wie Etwas, das den ganzen Aufenthalt auf dem Schlosse allein aufwiegen und alles Vorangegangene übertreffen soll....

Die Einwendungen der Mutter wegen doch allzu großer Beschleunigung widerlegte sie durch ihre Bereitwilligkeit, ihr die ganze Nacht hindurch packen zu helfen. Ihr Entschluß stünde nun einmal fest und was sich nicht sogleich mitnehmen lasse, könnten die als zuverlässig erprobten Leute schon nachbringen. Auch die Nothwendigkeit, Abschied zu nehmen von Zeisels, von Sängers, von Doctor Reinick, von Bensheims, Sengebuschs und mancher andern Bekanntschaft, ließ sie nicht gelten. Allen solchen Bedenklichkeiten abzuhelfen genüge die Visitenkarte.

Und den Einzigen, fuhr sie fort, von dem der Abschied uns schwer geworden wäre, unsern theuern Herrn Pfarrer Stromer, den haben wir ja hier und können ihm all unser Bedauern gleich ins Angesicht sagen. Ja! Lieber Pfarrer! Sie kommen gewiß recht bald zu uns! Sie müssen Domprediger werden! Schade, daß Sie keine Töchter mehr aus der Propstei heirathen können! Propst Gelbsattel hat noch ein halbes Dutzend, aber die Älteste liebt den Candidaten Oleander und die Jüngste der fünf Andern – sind es nicht soviel, Mutter? – würde noch zu alt für Sie sein, für einen Mann, der anfängt nur das Schöne zu lieben. Zum Glück besitzen Sie die beste der für Sie passenden Frauen. Aber kommen Sie! Irgend eine Kanzel findet sich schon.... Ich kenne an dreißig junge Frauen und Mädchen, die Alle nicht mehr wissen, wem sie ihre Sünden beichten sollen.... Der Eine ist zu rauh, der Andere zu sanft, der Dritte zu gelehrt, der Vierte zu oberflächlich. Und die abscheuliche Anzüglichkeit dieser Modeprediger! Dieses Schlagen auf die Kanzellehne, dieses Lärmen und Poltern über die verstockten Sünderherzen, diese düstere Lehre vom Blute Christi.... Propst Gelbsattel, der sonst so beliebte letzte Rettungsanker, ist gar nicht mehr zu verstehen seit den Revolutionen. Er weiß nicht, wohin er sich wenden soll, ob zum Volke oder zum Könige. Seine Zeit ist um, sagte er kürzlich in einem Anfalle von Wehmuth, weil er bei Hofe nicht geladen war. Vielleicht werden Sie Propst, Herr Stromer! Kommen Sie! Ich habe Verbindungen und bring' es schon dahin, daß wir Sie irgendwie den Unserigen nennen; Das bin ich Ihnen ja schuldig für den schönen Blumenstrauß, mit dem Sie mich heute wieder beglückten....

Als Stromer hocherröthend niederblickte, gedachte Dankmar der Erzählung Egon's und seiner Vermuthung, der Pfarrer hätte wol die Blumen seiner guten Frau nach einem nächtlichen Zwist als Morgenselam der Versöhnung bestimmt. Es machte ihm einen eigenen Eindruck, als er sich so im Irrthum entdeckte und der immer an sich zu denken scheinende und seiner klar bewußt bleibende Pfarrer mit gewähltem höchst sicherm Ausdruck sagte:

So schwindet denn wieder eine Freude hin, die ach! nur allzu kurz einer rosigen Wolke gleich an unserm grade nicht grauen, eher heitern und immer gleichen, aber eben in seiner unermeßlichen freundlichen Identität so lästigen Horizonte aufzog! Wir haben am Ende nichts, was uns bleibt, als Blumen, die Symbole der Begrüßung und des Abschieds. Eines und Dasselbe drückt Freude und Trauer aus. Doch ich sehe Sie morgen noch einmal und nehme einen gesammeltern Abschied und hoffentlich nicht für immer. Erblicken Sie mich auch nicht wieder als Domprediger in Ihrem Sinn, so denk' ich, einen Dom wölbt sich das Auge bald über sich her und auf der Kanzel des Herzens und in dem Beichtstuhl der Gesinnung treff' ich Sie schon noch im Leben wieder – Alle! Alle!

Damit erhob sich der sonderbare Mann, in der That nicht ohne eine gewisse Rührung zu hinterlassen. Heilig konnte Dankmar den Eindruck, den des Pfarrers Ergriffensein in ihm hervorrief, nicht gerade nennen. Die Weise eines Pietisten war Das auch nicht mehr: im Gegentheil kam ihm das Feuer seiner Augen unlauter vor, fast weltlich. Für einen weichen Anempfindler sprach er zu fest und kräftig. Er interessirte ihn, ohne ihn anzuziehen...

Alle diese Betrachtungen stellte Dankmar nur flüchtig an, denn die ganze Gesellschaft erhob sich. Der förmlich als Befehl gegebene Entschluß, sobald abzureisen, erfüllte Jeden mit seiner nächsten Aufgabe, die im Räumen und Packen bestand. Man trennte sich in der Erwartung, morgen in frühester Stunde sich zur Abreise beisammen zu finden...

Als auch Dankmar unschlüssig stand und eben Hannchen Schlurck's Hand geküßt hatte, da ihm die ruhige, klare und lebensfrohe Weise der Frau, die wieder den Champagner wie gewöhnliches Getränk hatte einschenken lassen, ganz wohl gefiel, rief ihm Melanie leise zu:

Bleiben Sie doch noch!

Als Lasally noch über die morgende Equipirung sprach und nun der Knäuel der Gesellschaft wieder nicht recht auseinandergehen wollte, streifte sie an Dankmar vorbei und flüsterte die Worte:

Gehen Sie lieber! In einer Viertelstunde an der steinernen Vase im untern Garten...

Dankmar winkte ihr leise bejahend zu, sprach noch einmal laut seine Freude aus, morgen in so angenehmer unterhaltender Gesellschaft seine Rückreise antreten zu dürfen und empfahl sich.

Die noch Gebliebenen flüsterten erstaunt hinter ihm her. Er hatte das Talent gehabt, trotzdem daß er wenig sprach, sich doch immer als den Mittelpunkt des Abends zu erhalten und jedem Worte, jeder Bewegung, die von ihm ausging, die allgemeinste und seinem Zweck und Wesen nachspürende Aufmerksamkeit zu sichern. Das Gerücht, das ihn zum Prinzen Egon machte, hatte sich bis zu ihnen noch nicht verbreitet...

Es schlug vom Dorfe herauf zehn, als Dankmar an die steinerne Vase im untern Garten trat, wo er Melanien erwarten sollte. Es war dieselbe, an die er sich bei der ihn wie ein Schlag treffenden Erzählung über Hackert's Frevel hatte lehnen müssen. Wie bewegt war sein Herz! Wie flossen die wunderbarsten Erfahrungen und Eindrücke in seinem Innern zu einem Gefühle zusammen, das nicht mehr jene behagliche Sorglosigkeit über ihn ausgoß, die er in dem ersten Anfang des über ihn verhängten Misverständnisses empfand! Wie neu war das Alles und wie folgenschwer konnte es werden! Schon sah er sich als gerichtlicher Zeuge in der Nothwendigkeit, seine gegen Hackert ausgesprochene Beschuldigung zurücknehmen oder beweisen zu müssen. Eben so verwickelt konnten sich die Beziehungen zum Fürsten gestalten. Und diese bedenkliche Melanie! Was bezweckte sie? Wohin riß sie der Muth, den der von ihm doch nur wenig genährte Glaube an seine Einerleiheit mit Egon dem jungen, waghälsigen Mädchen einflößte? Scheiterte Das, was sie vielleicht unternahm... mußte er es nicht verantworten? Wie erschrak da sein rechtskundiger und bei allem Freimuth an Gesetzmäßigkeit gewöhnter Sinn!... Und doch traten alle diese Bedenklichkeiten gegen den allgewaltigen Zauber zurück, mit dem ihn Melanie in so kurzer Zeit wie seinen Bruder Siegbert umstrickt hatte. Gibt es denn auch ein wonnigeres Gefühl, als so im Fluge, ohne Anstrengung, ohne lange Werbung, von Frauen zärtliche Hingabe zu gewinnen? Noch hatte Dankmar sich keiner Gunst von Melanie rühmen können, aber er fühlte es dieser zarten Hand, wenn sie ihn flüchtig berührte, der Brust, wenn sie in seiner Nähe sich hob, dem Hauch ihres Mundes an, wenn sie ihm leise ein Wort der Vertraulichkeit zuflüsterte, daß ein excentrisches Wesen, welches vielleicht Allen gefallen wollte und Keinem sich ergab, ihm den Siegespreis der Liebe bieten könnte... Dankmar war, sonst vielgeliebt, selbst eher kalt gegen die Frauen. Sie beschäftigten ihn nie so ausschließlich, wie andere junge Männer, deren ganzes Fühlen und Denken sich nur um die Liebe spinnt... Aber Melanie's Herz... das klopfte schon dicht an seinem eigenen Herzen. Ihre Wange... er fühlte es, sie schmiegte sich schon zum Kusse seines Mundes hin... Er griff in die Luft... doch wußte er, daß diese Arme sich nicht mehr lange vergebens nach den schönsten und liebenswürdigsten Formen ausstrecken würden... So stand er, der junge leidenschaftliche Mann, den wir entschuldigen müssen, eine Weile harrend an der Marmorvase, überwältigt von Sehnsucht, zitternd auf den Triumph über ein liebendes Weib, den Fuß auf den Sockel der Vase, das Haupt in den Arm stützend und hinaufschauend in den mondscheinumflossenen Flügel des Schlosses, den Melanie bewohnte.

Endlich kam sie.

Unter den Blumen, den Sternen, dem Mondglanz hier in der Stille der Nacht, von keinem Zeugen gestört, als dem plätschernd herabhüpfenden Wasserfall, wollte Dankmar sie gleich mit dem Entzücken der rasch aufgeloderten Liebe begrüßen.

So dacht' er's sich, als er sie die Gartenstufen herniederschweben sah, in eine Mantille von purpurrothem mit weißem Schwan besetzten Sammt gehüllt und auf dem vollen schweren Geflecht des Haares ein weißes Schleiergewebe tragend, das hinten herabfiel fast bis in den Nacken... Doch sprach sie ihn schon aus der Ferne an, redete schon im Herabsteigen fast gleichgültig mit ihm und schnitt durch Vermeidung einer Pause und aller Feierlichkeit die förmliche Begrüßung ihres schnellgewonnenen Freundes ab, dessen Aufmerksamkeit nun sogleich von der Galanterie abgezogen und von ihrem Plane gefesselt wurde.

Endlich ein freier Augenblick! sagte sie schon auf mindestens zwölf Schritte entfernt; ein Augenblick, wo ich Ihr Vertrauen erwidern darf! Aber nur ein kurzer! Die Zeit drängt. Sie sollen sehen, daß Sie sich in dem Muthe eines närrischen Mädchens nicht irrten. Sie erhalten das Ihnen so theure Bild zurück, irgendwo auf der Reise, wo wir den Train des Herrn von Harder einholen werden. Aber die Mittel, die ich anwenden werde, es zu erobern, dürfen Sie mir nie, nie anrechnen. Versprechen Sie mir Das?

Wie Das so klang in der stillen Nacht! Wie die Büsche dabei so flüsterten! Wie so milchweiße, bläuliche Lichter über die Sprecherin glitten und Alles so magischumflossen, so bebend, so fast ohnmächtig und wie schattenhaft war!

Melanie! rief Dankmar, Sie sind ein Engel! Wenn ich nicht annehmen müßte, daß nur der Reiz des Abenteuers Ihren Geist in dieser Angelegenheit beseelt und Ihnen die Flügel des erfindenden Genius an den ebenso schönen wie schelmischen Nacken setzt... (er wollte ihn küssen; sie wehrte es) ich würde es wagen, mich Ihnen zu Füßen zu werfen und von Liebe zu sprechen...

O Sie Böser! sagte Melanie. Wenn die Gräfin d'Azimont Das hörte...

Was soll mir diese Frau! war Dankmar im Begriff auszurufen und einzugestehen, daß er selbst ja nimmermehr der Prinz wäre. Aber die Vorliebe, mit der Melanie auf diese erträumte Rivalin zurückkam, war ihm wie ein Nebel, den er zu verwehen fürchtete. Dennoch sagte er:

Melanie, ich bin nicht der Prinz, aber ich bin sein bester Freund auf der Welt. Was Sie thun, thun Sie für ihn! Sie thun es für mich; denn Niemanden kann Egon's Glück mehr am Herzen liegen als mir! Kann Egon hier Egon sein? Kann er den Muth, die Selbstüberwindung haben, sich da zu verrathen, wo man sein und seiner Mutter Andenken mit Füßen tritt? Ich bin der Theil des Prinzen, der noch Vertrauen zu den Menschen hat, der Theil, der nicht verzweifeln will, wenn er noch Geschöpfen begegnet, die in Körpern der Engel auch eine überirdische Seele tragen...

Melanie schlug ihre mächtigen braunen Augen zu ihm empor, daß das volle Licht des Mondes in sie fiel und ihre Schimmer in jenem feuchten Glanze zitterten, der ihnen etwas Verklärtes gibt...

Sie sah ihn fragend und mit zärtlicher Innigkeit an. Melanie hatte Das erreicht, wohin vielleicht ihr Ehrgeiz dunkel tastete, vielleicht war es Zufall, daß ein Mann, der ihr ein Fürst schien, auch zugleich der erste sein mußte, dem gegenüber sie sich klein, ja demüthig vorkam – es war ihr, als wenn sie, ein bunter, flatternder, leichtsinniger Schmetterling, die Flamme gefunden hätte, die ihr gewisser Tod werden sollte, ihr Tod wenigstens für dies leichtsinnige Schmetterlingsdasein....

Melanie wehrte Dankmar's verlangenden Arm zurück, aber nur um ihn aus einiger Ferne inniger betrachten zu können. Eine Locke seines Haares, die ihm im Sturme seiner aufgeregten Sinne auf die Stirne fiel, streifte sie ruhig zurück, als hinderte sie ihr die Aussicht in sein Auge und seine Seele.

Lassen Sie! sagte sie sanft.

Melanie! rief Dankmar noch einmal mit gesteigerter Glut der Empfindung und wollte sie ansichziehen...

Seiner männlichen Kraft gelang es; aber sie wandte, in seinen Armen liegend, rücklings das Haupt und verweigerte ihm die zärtliche Berührung der Wangen, nach der er schmachtete. Sie that Dies so entschieden, daß er es ließ und sich an einem Bilde begnügte, das den Meißel des Bildhauers herausfoderte...

Gute Nacht! sagte sie, losgewunden, mit lächelnder Lieblichkeit, und auf Wiedersehen für Morgen!

Damit war sie für Dankmar fast einem Traume gleich entschwunden.

Wie er sich nun anschickte, hinunter zu wandern und durch das erste beste Seitenheck auf den großen Weg zu springen, fühlte er eine so herausfodernde, ihn riesig durchströmende Kraft in sich, daß er fast laut zu jubeln begann. Alles lachte ja in ihm. Jeder Gefahr, jedem drückenden Gedanken wurde die Volte geschlagen, jeder Bedenklichkeit die Anlehnung aus seinem Innern wegescamotirt. Ja, er hätte sich mit dem Arm gegen die Bäume stemmen und sie niederbeugen mögen! Es war ihm, wie dem biblischen Erzvater gewesen sein mochte, als er auf der Heide mit einem unsichtbaren Engel rang. Er hätte den Dämon niedergeworfen, so titanisch fühlte sich seine Muskelkraft. Er lachte über sein Abenteuer selbst. Selbst des Gefangenen im Thurme, dem er jetzt noch vor dem Gitterfenster hinauf Muth und Trost zuzusprechen beschloß, gedachte er im heitersten Humor und sagte sich:

Ich bin wahr gewesen! Ich war Dankmar Wildungen! Ich habe meine eigene Rolle gespielt und deine Fürstenkrone mir nicht aufs Haupt gesetzt. Ich! Ich fühlte den Druck ihrer Hand! Wie schlug diese warme Brust an der meinen, wie strömte das elektrische Feuer der Berührung aus ihren Adern in die meinen, und wenn ihr die Schuppen vom Auge fallen, wer weiß, ob der Wahn siegt oder die Wirklichkeit! Sie liebt nicht Das, was ich scheine, sie liebt Das, was ich bin!

Und in diesem Hoffen und Entzücken, das seine Adern schwellte, seine Sehnen stärkte, konnte ihm zuletzt auch nichts Willkommneres geschehen, als der plötzliche Anblick Hackert's... Er war es, der hinter den Büschen rauschte... Das schleichende Rascheln um Dankmarn her verrieth ihn schon längst... Er sah ihn jetzt am Fuße des Weges sich ducken und lauern... ob auf ihn, ob auf Die, an denen er sich auf dem Schlosse so teuflisch gerächt hatte... er wußte es nicht, mußte aber annehmen, daß er auf ein neues Verbrechen sann; denn an dem Rauschen hörte er, daß es war, als streifte er mit einer langen Stange an dem Laube der hohen Hecken. Bald sahe er deutlicher; Hackert hielt eine Leiter in der Hand, die er in dem Augenblicke fallen ließ, als er Den, der noch so spät den Schloßweg herunterkam, erkannte.

Elender Hallunke! rief Dankmar zornentbrannt schon von Ferne. Mörder! Dieb!

Wie Hackert – er war es wirklich – diesen zornigen Anruf hörte, sprang er ins Gebüsch.

Er mochte sich diese Begrüßung nicht haben träumen lassen.

Dankmar in einer Stimmung, als müßte er die längst ihn schon quälende Spannung und Ungewißheit über Hackert durch irgend eine Probe seiner männlichen Kraft und wäre sie mit der Faust endlich lösen, rief:

Steh, Bube! Steh!

Aber Hackert entrann und als ihm Dankmar noch nachrief: Eine Kugel in dein Ohr, Mörder! Wo ist mein Pferd, Gauner?... war er plötzlich ganz verschwunden.

Dankmar fühlte sich in einer Stimmung, als hätte ihm Liebe und Wein die Zunge gelöst und zum Redner gemacht, dem Worte nur ein dürftiger Nothbehelf für Thaten sind. Er schickte Hackerten die tollsten Shakspeare'schen Flüche und lange, kunstvolle Verwünschungen nach, bis er zuletzt über sich selbst lachte und im steten Hinblick auf die Stelle, wo Hackert verschwunden war, fast über die Leiter stolperte, die quer im Wege lag.

Was hat er mit dieser Leiter gewollt? sagte er sich, und darüber sinnend, fiel ihm der Thurm ins Auge, der nun dicht in der Nähe stand. Der Gedanke, mit kurzem Proceß seinen theuern neuen Freund, den gefangenen jungen Fürsten, zu befreien, ergriff ihn so lockend, wie der Kitzel zu dem fröhlichsten Abenteuer.

Nun sind wir einmal im Zuge! sagte er sich, lud die schwere, irgendwo aus einem Bauerhofe entwandte Leiter, an der er mit Vergnügen bemerkte, daß sie für das Thurmfenster lang genug sein mußte, sich auf und schleppte sie an dem einen Ende auf dem Rücken, an dem andern hinter sich her im Grase zu dem kleinen Hügel hin, wo der Thurm völlig unbewacht in der Stille der Nacht wie eine friedliche Warte und Einsiedelei lag. Die Eisenstäbe oben aus der Mauer auszuwühlen, war schwer und doch vielleicht bei der Schadhaftigkeit und Zerbröckelung des Kalkes nicht unmöglich, wenn nur Egon die Messer und Gabeln von ihrem Mittagessen zurückbehalten hatte.

Sorgfältig schaute sich Dankmar um. Hackert war verschwunden, Alles still. Nur Käfer summten im Grase und dann und wann platzte ein humoristischer Froschruf auf vom Felde her, wo es moorige Stellen gab.... Dankmar war so guter Laune, daß er sich zu seinem Unternehmen erst noch eine Cigarre anzündete.

Die Leiter, aufgerichtet an dem Thurm, reichte vollkommen an das vergitterte Fenster, das zu Egon's Gewahrsam gehörte. Vorsichtig kletterte er, noch einmal sich mit Behutsamkeit umblickend, die Sprossen hinauf. Leider sah er schon auf halber Länge, daß die Eisenstäbe dick waren, und als er über sich hinaufgriff, fühlte er wol auch, wie fest sie saßen....

Das Fenster stand auf. Der volle Mondenschein fiel in die dunkle Kammer, die er schon von unten als die rechte erkannte.

Egon! rief er bis hinauf und lauschte.

Keine Antwort.

Er stieg höher und blickte in das offene Fenster.

Wie groß war sein Erstaunen, als er drinnen nirgend eine Spur des Prinzen entdeckte! Vielleicht hätte er versteckt in einem Winkel schlafen können... er spähte... er übersah das ganze kleine Gemach. Er rief einige male mit unterdrückter Stimme:

Egon! Egon!

Es gab keine Antwort.

Um ganz sicher zu sein, zog er... die Cigarre war in der Aufregung weggeworfen... noch sein Streichfeuerzeug und machte mit mehren zusammengehaltenen Zündhölzchen, um die Wirkung des Scheines zu verstärken, Licht...

Der hellere Glanz bestätigte ihm nur, was er schon im Mondenscheine gesehen hatte. Der Gefangene war entweder schon befreit oder von selbst entflohen.

Die Empfindungen, mit denen Dankmar nun die Leiter hinabstieg, waren getheilt. Ehe er jedoch nicht alle Umstände genau kannte, wagte er kaum ein Urtheil zu fällen. Wenn ihn Egon schon in der Krone aufgesucht hätte? Beim Schließer nebenan wagte er nicht zu klopfen und anzufragen. Da im Anbau der Wohnung war Alles so still, so finster und schläfrig. War Egon entflohen, warum die Häscher wecken? Auch drüben im Amthause sah man kein Lichtchen mehr. Im Dorfe nichts als Anzeichen des tiefsten Schlafes aller seiner Bewohner. Selbst in der Krone, zu der er langsam und nachdenklich schritt, hatte er Mühe, die Leute, die ihn erwarteten und im Erwarten eingeschlafen waren, zu wecken. Als er hörte, daß Niemand, auch nicht Einer, nach ihm gefragt hatte und somit der Gefangene ihm fast spurlos verschwunden war (denn morgen in der Frühe hatte er wol keine Zeit mehr, ihm nachzuspähen), überkamen ihn die sonderbarsten und quälendsten Zweifel. Es war ihm fast, als wenn sein Fuß nicht mehr die Erde berührte, als wenn er mit seinen guten Absichten, mit all seiner Liebe und Aufopferung, wie ein Getäuschter, in der Luft schwebte und wahrhaft komisch erschien er sich, wenn er an seine Figur auf der Leiter dachte, wie er einen Gefangenen befreien wollte, der ihm vielleicht, es war ihm Dies ein höhnischer Gedanke, ein tolles Märchen aufgeheftet und zu einer Posse misbraucht hatte! Die Einsamkeit der Nacht, die Qual der Schlaflosigkeit mehrte den lästigen Reichthum der Vorstellungen, die er sich über dies plötzliche Verschwinden machen mußte. Er sah sich mitten im Zuge von Dingen, die ihm plötzlich nun wie die Neckereien eines bösen Geistes vorkamen... und wenn ihm nicht Eines sicher geblieben wäre, das Gefühl, mitten in diesem Spuk doch ein wahrhaft Wirkliches gehabt zu haben... das warme Klopfen eines schönen Mädchenherzens an seiner von Lust und Liebe erfüllten Brust... er würde wie in einem Chaos der unleidlichsten und leersten Eindrücke rathlos umhergetaumelt sein.

An diese eine unleugbare und nicht mehr in Trug zerrinnende Thatsache hielt sich denn auch Dankmar. Sie gab ihm Besinnung, Ruhe, Gefühl der Sicherheit, Behaglichkeit und Schlaf.

Er schloß aber doch die Augen viel zu spät für die frühe Stunde, in welcher er Befehl gegeben hatte, ihn am nächsten Morgen zu wecken.


 << zurück weiter >>