Karl Gutzkow
Uriel Acosta
Karl Gutzkow

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Dritter Aufzug.

Zimmer im Hause Vanderstratens zu Amsterdam. Es ist, nach Vanderstratens Geschmack mit Bildern und Statuetten geziert; diese letzten können auch auf dem Rande eines Kamins stehen.

Erster Auftritt.

Manasse sitzt allein an einem Arbeitstisch und rechnet.

Manasse. Auf Wind und Meer gebautes Glück ist schwankend!
Da schreib' ich Zahlen in den Wind, ins Meer –!
Des Buches Ordnung ist kein Steuerruder –
Die schönsten Zahlen spült die Welle fort;
Im Hafen nur, im Hafen kann man rechnen.
(Er steht auf, macht einen Gang durchs Zimmer und nimmt dann ein anderes Buch vom Tisch.)
Viel lieber les' ich hier das kleine Buch!
Die Bilder, Statuen, das neckende
Versteckte Spiel mutwilliger Gewässer,
Die Bauten, alles das steht wirr und bunt
Hier auch verrechnet in den Ankaufspreisen. –
Und viel zu hoch nach dem Tarif der Börse!
Was sprecht ihr nur vom Preise eines Bildes
Und klagt, daß sich die Künstler überschätzen?
Kann man ein Bild nach seinem Werte zahlen?
Was man an einem Bild bezahlt, ist nicht
Die Farbe, nicht die Leinwand, nicht die Zeit,
Die es gekostet, selbst der Genius nicht,
Der es geschaffen – denn er gäbe wohl
Viel lieber seine Arbeit als Geschenk –
Was man bezahlt, ist der Besitz des Bildes!
Dies heimlich stille, trauliche Gefühl.
(Er nähert sich einem Bilde zur Seite und betrachtet es, indem er die Arme über dem Rücken verschränkt.)
Das Schöne für sich selber zu genießen!
Für sich allein, gestört von keinem Auge,
Von keiner blinden Neugier angeredet,
Von keinem halben Kennerwort zerstreut!
Nur eines in der ganzen Welt, wie dies!
Hier, wo sich alles ewig wiederholt,
Ein schönes Etwas einmal nur vorhanden!
Und dieses Eine, Echte, Allbekannte,
Wie die Geliebte heilig, unentweiht,
Nur uns gehörend, uns nur hingegeben –
Da sprechen diese Menschen noch von Zahlen!
(Er geht zu dem großen Buche zurück.)
Und dennoch mahnen sie, wenn sie nicht stimmen! . . .
O schwere, schwere Sorge! . . . Wenn ich wieder –?!
(Er verfällt in trübes Sinnen.)

Zweiter Auftritt.

Judith. Manasse. Später Simon.

Judith (nachdem sie ihn beobachtet).
Ich such' Euch, Vater, und ich find' Euch nicht?
In Euerm Abschluß scheint Ihr wie verloren,
Ihr seht so trübe –

Manasse.                     Schein' ich's, bin ich's nicht?

Judith. Die Opfer haben Euch ermüdet, die
In diesen schweren Tagen Ihr gebracht?

Manasse. Man ist nur glücklich, weißt du ja an dir,
Durch fremden Schmerz –

Judith.                                       Den Ausgestoßenen,
Den alles flieht, der selbst die heil'ge Schwelle
Des Hauses seiner Mutter nicht betritt,
Ihr bergt ihn vor der Wut des Fanatismus,
Laßt ihn in unserer Villa friedlich wohnen
Und fügt Euch selbst, ihn Euern Sohn zu heißen!
Die Menschen nennen Euch den kalten Weltmann
Und hart erscheint die Seele Eures Wesens –
O, kennten sie den Kern, den weichen, edeln!

Manasse. Du hebst mich viel zu hoch, mein gutes Kind!
Daß ich Acosta schütze, thu' ich nicht
Um ihn; denn ich gestehe dir, ein Geist,
Der sich nicht fügt dem allgemeinen Wesen
Bleibt mir befremdlich und ich lieb' ihn nicht.
Dir ist er wert, du hast es laut bekannt
Mit wildester Verletzung aller Pflichten –
Ich mag die Szene mir mit Worten nicht
Erneuern –

Judith (für sich). Und ich lebe nur in ihr.

Manasse. Nach Uriels Widerruf weiß man, daß ich
Dem Unbegüterten die Hand der Tochter,
Weil sie ihn liebt, nicht weigern will – warum
Ich schwach bin, fühlst du wohl, mein Kind!

Judith.                                                                   Um mich!
Um Euer sanftes, mildes Vaterherz –
Und auch um Euch, um Euer Menschenherz!

Manasse. Da irrst du, Kind! Die Menschen hass' ich nicht –
Doch hab' ich auch den Drang nicht, sie zu lieben.
Ich lernte sie von einer Seite kennen,
Die mich gezwungen, nur mir selbst zu leben.
Du warst noch Kind, vor fünfzehn Jahren war's,
Da stand an einem Morgen an der Börse:
Manasse Vanderstraten ist gefallen!
Mit großen Lettern stand es an der Börse:
Manasse Vanderstraten ist gefallen!
Ein wenig Mitleid, manche gute Lehre,
Ein Seufzer hier, ein Achselzucken dort,
Mehr fand der Scheiternde am Ufer nicht.

Judith. Nicht meine Mutter, Vater?

Manasse.                                         Deine Mutter
Gesegnet sei ihr Angedenken! Ja!
Die gab mir Mut zu neuer Thätigkeit.
Sie sah noch einmal uns're Sonne lächeln –
Und starb im Glück – erschöpft von jener Kraft,
Die künstlich sie der Welt zur Schau getragen.
Der kalten Welt! Ha, dies Gefühl des Elends,
Daß man allein nur sich vertrauen darf,
Daß keiner für uns in die Schranken tritt.
Daß wir nur selbst, ein Weib, ein Kind vielleicht
Die Schmiede unsers Glückes sind – o sieh'!
Da hab' ich mir mein Leben in den Bann
Des eigenen Behagens eingepfercht
Und leide bitter, wenn mir so die Welt
Die wirkliche, ans stille Fenster pocht.

Simon (meldet).
De Silva schickt und meldet, daß er käme –
Im Augenblick schon dürft Ihr ihn erwarten. (Ab.)

Judith. De Silva?

Manasse.             Ja! Und Uriel?

Judith.                                           Ist drinnen,
Wie Ihr befohlen, heimlich –

Manasse.                                       Klagst du noch,
Du junge Welt, die alte ewig an?
Steht sie noch immer Euerm Glück im Wege?
De Silva bleibt Acosta hold; vermittelt
Die Sühnung mit der Synagoge, sucht
Jochais wilde Rache zu besänftigen –
Geh'! Rufe Uriel –

Judith.                           Dank, teurer Vater!
O wüßt' ich irgend eine große That!
Ich schäme mich, nur immer anzunehmen.

Manasse. Geh'! Rufe deinen Freund!

Judith.                                               Und gieb dich nicht
Für kälter aus, als deine Seele glüht!
Du liebst den schönen Schein der Kunst; warum
Den schöneren des besten Herzens nicht?
(Sie eilt nach innen.)

Manasse (ihr nachblickend und sein Hauptbuch nehmend).
»O wüßt' ich irgend eine große That!«
Die aber, die sie schmerzen würde, nimmt sie
Natürlich davon aus – De Silva kommt.

Dritter Auftritt.

Manasse. De Silva.

Manasse. Daß Ihr erscheint, ich danke Euch dafür –
Ihr wollt den Frieden meines Hauses fördern.
Nicht Klage, Silva! Auch nicht Vorwurf, Schwager!
Am wenigsten, ich bitt' Euch, Trost!

Silva.                                                         Ihr flieht
Den Schmerz beständig, wunderlicher Mann,
Und eben deshalb läßt er Euch nie los.

Manasse. Habt Ihr gesprochen mit dem Rat der Drei?

Silva. Soeben komm' ich von der Synagoge.

Manasse. Ist alles fertig für den Widerruf?
Ich wünschte, diese Dinge gingen rasch,
Damit das böse Blut sich nicht versetze,
Sich nicht noch mehr der Groll des Wahns verhärte –

Silva. Ihr scheltet Wahn, was mir der Glaube heißt.

Manasse. Auch diese Feindschaft, die mir Fallen legt,
Auch diese Rachsucht wäre Glaubenssache?
Jochais ganzer Anhang grüßt nicht mehr.
Ich hab' es auf der Börse wohl gemerkt.
Wie man die Stellen aussucht, wo man glaubt,
Daß ich am leichtesten verwundbar bin.
Wenn man den Kaufmann in die Enge treibt,
Ist er verloren –

Silva.                         Habt Geduld und hofft!

Manasse. Geduld und Hoffnung da, wo Augenblicke
Ein ganzes Leben mir zerstören können?
Wenn mich Jochai stürzen will – dann –

Silva.                                                               Schwager!

Manasse. Genug davon! Nur Eile! Hört Ihr? Eile!
Ihr werdet mit Acosta reden – sagt,
Was er an Formeln zu beachten hat,
Damit uns nicht der ganze Schwarm der Meute,
Von Priestern aufgehetzt die Masse droht –
Ich geh' – Acosta kommt – sprecht Ihr mit ihm!
Und sagt, de Silva, wir sind unter uns,
Ihr liebt doch selbst die Priester nicht von Herzen,
Wie ist es möglich, orthodox zu sein!
Wie möglich, daß man durch Philosophie
Den alten Wust sich förmlich konstruiert
Und wieder ankommt, wo man ausgegangen!
Als Kind, ja wohl, da will ich gerne glauben,
Im Glauben wäre zweimal zwei gleich fünf;
Doch geht mit der Philosophie, wenn sie
Im Kinderglauben ein Geheimnis findet
Und, zweimal zwei sei fünf, beweisen will!
Verzeiht, ich muß mit meinen Schreibern rechnen;
Da kommt das Einmaleins mit der Vernunft
Beiläufig so in die gesunden Sinne.
(Ab nach außen.)

Silva. Mit Zahlen will er Gottes Größe messen!

Vierter Auftritt.

Uriel (von innen). De Silva.

Uriel (bleibt an der Thür stehen).
Ich bin's, de Silva! Darf sich der Verfluchte
Dem Anwalt der gerechten Seelen nah'n?

Silva. Das Heiligste, die Pflicht ist leider das,
Was wir am öftersten in uns bekämpfen
Und wider Willen thun. Acosta, ich gestehe,
Nicht gerne hab' ich Euch verurteilt.

Uriel.                                                         Wohl,
Ich weiß es! Einen Ausweg ließt Ihr offen,
Den einzigen, den ich nicht wählen durfte.

Silva. Mich rührt's, daß Ihr doch noch für Juda fühlt,
Sind mir auch Eure Gründe allzuweltlich,
Wie Judiths Liebe fast mir teuflisch scheint.
Genug! Ich soll Euch als Verwandten grüßen
Und umso lieber biet' ich meine Hand,
Als ein Talent, ein reichbegabter Geist
Für Amsterdam dadurch erhalten bleibt.

Uriel. Wo seh' ich eine Möglichkeit, de Silva?
Beglückt bin ich von eines Engels Liebe –
Doch darf ich nehmen, was ich zu behaupten
Kein einziges erlaubtes Mittel kenne?

Silva. Doch! Doch! Ich komme von dem Rat der Drei.
Die Sitzung war für Eure Sache günstig,
Den Schwiegersohn Manasses Vanderstraten
Wird man zum Akte der Versöhnung nicht
Mit allzu schwerer Prüfung vorbereiten.
Ihr seid erwartet. Schreitet unerschrocken
Hinaus auf die verbot'nen Plätze! Klopfet
Dreimal ans äuß're Thor der Synagoge
Und laßt den Schwarm des Volks Euch nicht verdrießen!
Nach kurzem Harren wird ein Diener kommen
Und Euch in Prüfungshaft zum Oberrabbi
Akiba führen – dies des Rates Vorschrift.

Uriel. Ich hör' Euch an und höre staunend wieder –
Man hat mich Euch zu grüßen aufgefordert,
Deßhalb bin ich gekommen. Wovon sprecht Ihr?

Silva. Von Euerm Widerruf.

Uriel.                                   Wovon, de Silva?

Silva. Ihr stellt Euch so befremdet und Ihr wißt doch,
Daß nur der Widerruf vom Bann befreit.

Uriel. Der Widerruf? Befremdend Wort, das bebend
Kaum über meine Lippen geht! De Silva,
Wer hat Euch denn gesagt, daß ich erwarte,
Von diesem Banne mich befreit zu seh'n?

Silva. Acosta! Sammelt, bitt' Euch, Eure Sinne!
Soll Euer Wahnwitz für Charakter gelten?
Dem Ausgestoß'nen seine Tochter geben,
Heißt selbst sich um den Namen Jude bringen.
Auch seid Ihr, wenn Ihr länger hier verweilt,
Kaum ferner sicher mehr in Amsterdam –
Die Christen schützen uns, nicht Euch.

Uriel.                                                           Ich weiß es
Und überlege längst, wodurch ich mir
Mit irgendeiner Menschenmöglichkeit
Mein unerlaubtes Dasein fristen werde;
Doch habt Ihr jemals Denker Euch genannt,
Hat je ein Glanz von oben Euch beschienen,
Wie sagt Ihr so gelassen: Widerrufe!?

Silva. Die Reue steht auch selbst dem Helden schön.

Uriel. Der Held bereut durch eine zweite That.

Silva. Den Irrtum zu bekennen schändet nicht.

Uriel. Mir selber bin ich irrend, Priestern nicht.

Silva. Der Priester nimmt die Reue nicht für sich.

Uriel. Ist sie für Gott, so weiß ich selbst den Weg.

Silva. O Uriel, das ist es, was ich tief
An Euch beklage – dies leere Pochen
Auf eine Ehre, wo nicht Ehre gilt –
Auf diese kleine Scheidemünze, die
Ihr auf das Zahlbrett Gottes werfen wollt!
Dem Himmel ist die Reue wenig wert,
Sie gilt nur für die allgemeine Ordnung.
Für die gestörte Harmonie des Ganzen
Und deren Ausdruck ist des Priesters Ohr!
Nehmt doch den ganzen Bau, nehmt doch das All'!
Was seid Ihr? Sandkorn in dem großen Ganzen.

Uriel. Mir selber bin ich eine ganze Welt.

Silva. Wenn Ihr Euch aufbläht – ja!

Uriel.                                               Das Weltall ist
Dann auch nur eine prahlerische Null.

Silva. Ihr dünkt Euch frei! Ihr pocht auf Euer Denken –
Und forsch' ich in Natur, im Wintertod,
In Frühlingsblühen und in Herbsteswelken,
Und setz' ich Gläser auf das Auge, daß
Den Wurm ich oben am Saturn erblickte –
So fühl' ich, daß wir nichts im Eig'nen sind,
Daß wir gebunden leben in dem Ganzen
Und frei nur sind in dem Notwendigen.
Ist das einmal dem Geiste aufgegangen,
So werd' ich wohl nicht gegen das, was zwar
Im Glauben uns'rer Väter schon bestand,
Was tausend Jahre fest bestand, den Witz
Der eigenen Vernunft so sehr verachten,
Daß ich nicht sagte: Es kann Irrtum sein.
Doch tausend Jahre dauert dieser Irrtum,
Hat zehnmal Tausend über Lebensschmerzen
Und Millionen übers Grab geleitet –
Hat Euer Glaube einen schon beglückt?
Die Hand aufs Herz! Acosta! Nicht einmal
Euch selbst!

Uriel.                   Wohl möglich das, de Silva – möglich!
Vielleicht ist's recht, wenn [Ihr] des Blinden Stab
Der ihn dreitausend Jahr hindurch geführt,
Sein helles, reines, sehend Auge nennt.
Der Stab, er hilft dem Blinden suchen, tasten,
Er schützt vor Unfall ihn, er ist sein Auge.
Da plötzlich fällt ein Glanz in seine Dämm'rung,
Der Blinde sieht, er sieht mit seh'ndem Auge –
Er blickt beseligt auf zum Sonnenball.
Die Sonne blendet, ungewohnt ist alles,
Er kann die Dinge, die er sieht, nicht nennen.
Er tastet an, was schädlich; ja, er strauchelt;
Das helle junge Auge hat noch nicht
Des Stabes tausendjährige Gewöhnung
Die dunkel ihre dunkle Welt begriff.
Doch darum, weil die Wahrheit nicht das Glück,
Das volle Glück des Lebens gleich gewährt,
Weil der erlöste Blinde strauchelt, fällt;
Darum soll er das ungewohnte Schauen
Ins grüne, neue, junge Leben Irrtum,
Des Sehens erste Freude Sünde nennen?
Nein! wenn mein freigeworden Auge auch
Vom Glanz des Lichtes mich so sehr noch schmerzte,
Den Schmerz der Wahrheit – widerruf' ich nicht.

Silva. So wandelt Euern Pfad, der Fluch folgt auf
Der Ferse. Judith wird zum zweiten mal
De Santos nicht der Lüge zeihen können.
Sie wird dem Vater nicht die Grube graben
Und mit Euch in die Wälder zieh'n! Lebt wohl!
(Zögernd.)
Bei Euerm Gleichnis von der Blindheit hab' ich
An Eure blinde Mutter denken müssen –
(Will gehen und kehrt noch einmal zurück.)
Acosta! Tief in unserm Volke wurzelt
Der Zauber der Familie! Sonst, o ja,
In alter Zeit auch riß sich mancher Zweig
Vom Stamm der Liebe los, wie Absalon
Von David – später aber, im Exil,
Da wir verfolgt, da nichts uns blieb im Elend,
Als dieser Trost, daß uns doch – Kinder lieben,
Daß uns ein – Vater doch beschützt in Not,
Ein Bruder uns doch – seinen Bruder nennt,
Da schlang sich inniger um uns dies Band
Der Ehrfurcht vor dem heil'gen Herd des Hauses.
Wir brachten Opfer uns'rer Freiheit, mieden
Das schwache Vorurteil der alten Aeltern
Und warteten, nicht bis wir mündig waren,
Um dies zu thun und das zu unterlassen.
Wir warteten bis auf den Tod der Unsern.
Dann sind wir frei, dann sei die eig'ne Meinung,
Die Fahne uns'rer Wünsche aufgesteckt –!
Sind das nur Luftgebilde Euerm Geist,
Den fremde Leiden nicht bekümmern dürfen?
Manasses Schmerz nicht, Judiths Liebe nicht? – –
O macht es mit Euch selber aus, wer siegt,
Ob Euer Herz, ob Euer freier Geist –
Ihr müßt Euch prüfen in dem Grund der Seele
Und was Euch edler dünkt, das thut. Lebt wohl!
(Er geht nach außen.)

Fünfter Auftritt.

Uriel (allein). Später Simon.

Uriel. Ob mir die Wahrheit edler als die Liebe?
Wohl kenn' ich Tausende, die jeden Wert
Der Seele, Adel der Gesinnung, ja
Das Vaterland und ihren Glauben opfern,
Um fortzuräumen, was nur irgend zwischen –
Dem ersten Kuß von einem Mund wie Judiths
Und allem läge, was sie selber ehrt.
Ich liebe Judith; doch ich müßte mich verachten,
Wenn wie ein blöder Schäfer aus der Fabel,
Wie ein bebänderter Amynt der Bühne
Ich schmachtete und so in Wachs zerflösse!
Erst glauben und dann widerrufen? Feige
Sich selber einen Meineid schwören? Nein!
Die Ueberzeugung ist des Mannes Ehre,
Ein golden Vließ, das keines Fürsten Hand
Und kein Kapitel um die Brust ihm hängt.
Die Ueberzeugung ist des Kriegers Fahne,
Mit der er fallend nie unrühmlich fällt.
Der Aermste selbst, verloren in der Masse,
Erwirbt durch Ueberzeugung sich den Adel,
Ein Wappen, das er selbst zerbricht und schändet,
Wenn er zum Lügner seiner Meinung wird.
Mag auch mir raunen eine Stimm' ins Ohr:
Das Herz ist dir gewisser als der Geist,
Die Liebe täuscht sich nicht wie der Gedanke –
Ich kann nicht anders. Ritterstolz ist das,
Was mir die Sporen in die Seite drückt
Und jede blasse Furcht zum Schweigen bringt.
Hab' ich geirrt, so irrt' ich nur der Wahrheit;
Den Priestern widerruf' ich nicht.
(Er will nach außen gehen.)

Simon. (Draußen.)                                  Hier tretet ein!
Dem Fräulein will ich's melden.

Uriel.                                                   Stimmen? Mich zu schauen
Ist jedem Frommen, jedem Heuchler Greuel –

Simon (draußen).
Hier! Hier! In diesem Saale wartet nur!

(Die Thür öffnet sich.)

Uriel (die Eintretenden erblickend).
O ew'ger Gott – was seh' ich – meine Mutter!
(Tritt bei Seite.)

Sechster Auftritt.

Esther Acosta. Ruben. Joel. Uriel. Esther ist blind und wird von Uriels beiden Brüdern geführt.

Ruben. Hie ruht Euch! Mutter! (Führt sie zum Sessel.)

Esther.                                     Ob sie kommen wird?

Joel. Ich ließ ihr unsern Namen noch verschweigen.

Esther. Daß ich sie sehen könnte –!

Uriel (läßt sich ihr zu Füßen nieder.)   Mutter!

Esther.                                                           Du?
Du bist es – Uriel – die Hand ist dein –

Uriel. Kannst du den Fluchbelad'nen noch erkennen?

Esther. Noch ist's dein Haar – dein Bart – und deine Wange –
Und Thränen auf der Wange? Ja, du bist's –
Der Fluch hat nichts an dir verändern können.

Ruben (trübe).
Wir sind um Judith hergekommen, Bruder!
Die Mutter möcht' ein Wesen, das dich liebt
Und ihre Liebe auch so kühn bekannte,
Sie möchte – ihre Tochter –

Uriel (aufstehend).               Sehen? Ruben,
O sage sehen! Sähst du sie mit Augen!

Esther. Schön soll sie sein, mein Sohn, doch schöner noch
Als ihre Reize, die verwelken werden,
Dünkt mir die Liebe, die sie dir geweiht. –
Im Unglück hat sie sich für dich bekannt –

Uriel. Ihr seid gemeldet? Längst schon wollte sie
Zu meiner Mutter – ich hab' sie verhindert!
Das Glück, sie mein zu nennen, wird uns nie.

Esther. Ich wußt' es wohl.

Uriel.                                 Wie wußtest du's?

Joel.                                                               Die Mutter
Will sagen, daß der Bann Euch trennen muß.
Vom Widerrufe hat noch nichts verlautet –

Ruben. Auch deshalb sind wir hergekommen, Bruder,
Weil wir von Amsterdam mit uns'rer Mutter
Uns nach dem Haag begeben wollten, künftig
In einem fremden Aufenthalt zu wohnen.

Uriel. Ihr nach dem Haag? Mit uns'rer blinden Mutter?

Esther. Was thut das mir? Ich denk im Haag, ich bin
In Amsterdam! Hab' ich doch hier so oft
Mich an den Tajo wieder heimgeträumt.

Uriel. Und warum diese Mühsal? Warum reisen?

Joel. Vergebung – teurer Bruder –

Esther.                                           Sagt es ihm nicht!

Ruben. Der Handel, den vom Vater wir geerbt,
War rasch emporgeblüht –

Uriel.                                         Du selbst Sensal
Und Zwischenhändler an der Börse!

Ruben.                                                     Jetzt –

Uriel. Man ist Euch feind – um mich?

Joel.                                                   Es zeigt sich so.
Weil man es fühlt, daß dich und deinen Geist
Der Bannfluch wenig drücken wird und hindern,
So läßt die Feindschaft nicht, doch irgendwo
Die Wirkung ihres Sieges zu verspüren –
Da trifft es uns!

Esther.                     Nicht mich, mein Sohn – nicht mich!

Ruben. Im alten Wirken sind wir wie gelähmt,
Man weicht uns aus, man steht uns keine Rede,
Ein jeder fürchtet sich uns nur zu grüßen;
Von Handel, von Geschäften kann dabei
Nicht ferner Gutes zu erwarten steh'n
Und so sind wir entschlossen auszuwandern.

Uriel (für sich).
O Ahasveros!

Esther.                 Gerne will ich wandern
Und ging' es, wie vor Jahren, übers Meer.
Was aber hilft es! Uriel, du kannst,
Wo Juden wohnen, keine Freistatt finden.
Und wenn ich sterbe, immer hab' ich doch
Gedacht, wenn die, die sehen können, sterben,
So bricht ihr Auge – meines, hofft' ich, würde
Dann einmal noch in alter Helle glänzen,
Noch meine Kinder seh'n – dich aber werd' ich
Mit seh'ndem Aug' im Tod vergebens suchen.
(Uriel wendet sich gerührt ab.)
Manasses schönes Kind bleibt lange aus.

Joel. Es gehen Thüren –

Ruben.                           Horcht, ein rauschend Kleid.

Siebenter Auftritt.

Judith. Die Vorigen.

Judith. Ihr habt nach mir verlangt, Ihr werten Herren?
Und jene greise, würd'ge blinde Frau? –
(Steht eine Weile sinnend.)
Acosta – das ist? – Uns're Mutter! (Küßt ihr die Hände.)

Esther.                                                   Nein!
Laß mich dir selbst die Stirne küssen, Engel!

Judith. Längst hätt' ich Euern Segen schon erfleht,
Aus Euerm Angesichte mir das Bild
Des besten Sohnes ausgefunden –

Esther.                                                   Recht!
O lob' ihn mir – ich liebe dich dafür!

Judith. Noch werden all' ihn einst bewundern, Mutter!
Bis dahin hat er uns.

Esther.                             O klingt das süß!
Ein Schimmer nur von dir ins dunkle Auge!
Und nun, wenn mich der Tod ereilen wird,
Darf ich ihn nicht einmal an dich vererben!

Judith. Nicht an sein Weib?

Esther.                                 Sein Weib? Wirst du sein Weib?
Betrübe deine Eltern nicht, mein Kind!
Flieh nicht mit ihm! Dein Vater hat nur dich!
Nur eine einz'ge Tochter hat Manasse.

Judith. Versteh' ich? Uriel? Du wolltest – nicht? –
(Sie blickt ihn lange mit zitternder Verzweiflung an.)
                                                                        Verzeihe, Himmel!
Daß ich geglaubt, es würde diese Erde
Für so viel Liebe schon beglücken können!
(Sie sinkt zu den Füßen Esthers nieder.)

Uriel (kämpft mit sich. Er blickt die Gruppe der Mutter, der Geliebten, seiner Brüder, die trauernd hinter dem Sessel der Mutter stehen, mit Rührung an. Für sich).
O sprachst du wahr, de Silva! Ja, es wurzelt
In unserm Volke tief die Familie! (Wild auffahrend.)
Was schweigt Ihr? Redet! Foltert mich nicht so!

Judith. Mutter, wir werden nicht geliebt!

Uriel.                                                         Ein Pfeil steckt mir
Im Herzen – schreien möcht' ich wie ein Tier –
O seht mich nicht so bittend an! Die Thränen,
Die Ihr vergießt in Euerm herbsten Leid,
Sind Freude gegen meine – trocknen Augen.
Ihr schweigt? Ihr blickt mich seufzend an? Erwartet
Von mir die eine That, die schmerzlichste?
Dem Herzen soll ich opfern meinen Geist,
Der Liebe meine heil'ge Ueberzeugung?
Du Stolz, was bäumst du dich so wild empor?
Ha, borstig Ungetüm! fletsch' nicht die Zähne,
Sei Wurm! Mensch, Tier, duck' unter – unter – unter.
Gebt Rettung vor dem stummen Blick der Liebe!
(Geht rückwärts schreitend.)
Wer schützt mich vor den stummen Augen? Schließt
Die Augen! Blinde Mutter, schließ' die Augen –
(Er reißt sich mit gewaltigem Entschlusse los.)
Die Augen –! Ich thu's – ich thu's – ich thu's –

(Rückwärts schwankt er an die Thür nach außen. Die Seinigen mächtig erregt.)

Judith. Er geht um seine Mutter.

Esther.                                       Nein! Er geht
Um dich!

Joel.               O segne Gott den Augenblick!
Er widerruft –

Esther.                   O, laß mich! Laß mich, Kind –
Ich muß ihn küssen – Uriel, mein Sohn!
Laß mich zu ihm! Wo bist du – Uriel –?
Wer hat den Mut, sich seinen Feind zu nennen?
Wer rühmt sich edlern Sinnes? Kommt! O kommt!
Wir wollen rufen auf der lauten Gasse:
Das ist ein Sohn, der seine Mutter liebt!

(Folgt Uriel rasch. Joel und Ruben führen sie.)

Judith (allein am Fenster).
Er ist im Hof – im Mantel kaum verhüllt,
Mit bloßem Haupte stürmt er wild dahin –
Er stutzt – o Gott – er wendet seinen Fuß. –
Er zögert – diese Straße dort – links oder – rechts?
Er geht – er geht den Weg zur Synagoge!
(Sie entfernt sich vom Fenster.)
So plötzlich das? Und doch vielleicht – um mich?
So plötzlich und vielleicht zu rasch – o Himmel,
Wenn er's bereute! – Faßt es mich nicht bleiern?
Ist denn das Weib des Mannes ew'ger Fluch,
Seit Anbeginn der Welt ihn schon verkleinernd?
Sein Blick war matt wie eines Sterbenden –
Kalt seine Hand, die Kniee zitterten –
(stürzt ans Fenster und ruft hinaus)
Laß ab! Laß ab, Acosta – thu' es nicht! – – Zu spät.
Verhängnis, strafe gnädig unsere Schuld!
(Sie sinkt in einen Sessel.)

Der Vorhang fällt.


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