Franz Grillparzer
Aesthetische Studien. - Sprachliche Studien. - Aphorismen.
Franz Grillparzer

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5. Zu den bildenden Künsten

(1820.)

Wie es mit physiognomischen Urteilen beschaffen sei, zeigt unter andern auch der kolossale Kopf eines Imperators in den Studj zu Neapel, den man gegenwärtig für einen Titus hält, und in dessen Zügen der Galeriekatalog alle Güte und Leutseligkeit sieht, die jenen Kaiser auszeichneten, indes ihn noch Stolberg im dritten Teil seiner Reise als einen Vitellius ausschilt und das Kainszeichen auf seiner Stirne unverkennbar eingebrannt findet.


(1821.)

Sollte das sogenannte griechische Profil (mit gleichlaufender Stirne und Nasenwurzel) nicht in der Plastik dadurch entstanden sein, daß, weil Statuen meistens von untenauf angesehen werden, jeder Einbug der Nasenwurzel in dieser Ansicht teils an dem Orte des Bugs einen widerlichen Schatten gegeben, teils die gebogene Nase selbst sich unangenehm verkürzt (skorziert) hätte.


(1859.)

Ein Beweis dafür, daß der besten Zeit der griechischen Plastik alles Malerische fremd war, ist wohl, daß bei allen Statuen dieser Periode der Augapfel nirgends angedeutet ist, zum Zeugnis, daß ihre Kunst nur die reine Oberfläche mit ihren Erhöhungen und Vertiefungen sich zur Aufgabe macht. Wenn dabei die nachweisbaren Statuen aus Gold und Elfenbein eine Ausnahme machten, so kommen ebenso nachweisbar diese Gebilde in der Zeit des Uebermuts der athenischen Republik vor, wo es Zweck des Staates war, der aus allen Teilen Griechenlands zusammenströmenden Menge eine hohe Idee von der Macht und dem Reichtum der Republik zu geben. Daß aber, wie man sagt, auch Marmor- und Erzbilder der besten Zeit Spuren von Bemalung zeigen, erklärt sich vielleicht so, daß sie erst in den Zeiten der verfallenden Kunst, also später, bemalt worden sind.


(1838.)

Die Maler kann man en gros in zwei Hauptrubriken teilen. Die einen betrachten die Darstellung der Natur als Hauptaufgabe, die andern jene des Gedankens. So sehr nun der eigentliche Maler beides vereinigen müßte, so ist doch nicht zu leugnen, daß, die Spaltung einmal als vorhanden zugegeben, die erstere Klasse im Vorteil ist. Denn wer die Natur nachahmt, bekommt jene Gedanken, die in der Natur selbst liegen, gratis in den Kauf mit, indes in dem Gedanken keineswegs noch die äußere Naturwahrheit mit eingeschlossen ist.


(1835.)

Die Deutschen sind in der neuesten Zeit sehr geneigt, die sogenannte erste (jugendliche) Manier großer Künstler den Werken ihrer Reife vorzuziehen. Ob ihnen dabei nicht der Verdacht kommt, daß sie vielleicht im allgemeinen knabenhafte Forderungen an die Kunst machen!


(1855.)

Eigentliche Ideenmaler sind die Kinder. Bei diesen ist ein vierbeiniger Schrägen und darauf ein paar senkrechte Striche mit einem Säbel und Federbusch ein Husar. Das drückt die Idee vollkommen aus.


(1836.)

Dieser neuern deutschen Malerschule fehlt, bei manchen Vorzügen, doch die starke Empfindung der Natur. Ueberall bloß Gedanken- und Gefühlszwecke.


(1821.)

SpethB. Speth, die Kunst in Italien, Erster Teil. München 1819. bemerkt bei der Madonna della sedia von Raphael: »Das Kind verstecke die eine Hand zu tief in den Busen der Mutter, was dem lüsternen Geist Ursache gebe, in Gedanken sich zu belustigen, welche der Seele beim Anblick eines Bildes, das das Heiligste in irdischen Gestalten zeigt, durchaus fremd sein müssen,« Elender! für Leute deinesgleichen hat Raphael nicht gemalt. Ja freilich, wer bei dem Anblick dieser Madonna an so etwas nur denken kann, hat wohl nötig, religiöse Gesinnungen auch in der Kunst zu suchen, denn Schufte brauchen Religion, damit sie im Zaume gehalten werden.

(1821.)


Ein großer Teil von dem angenehmen Eindruck, den die Gemälde der ältern Meister auf uns machen, mag wohl auch in dem Rührenden liegen, das jedes redliche Streben hat, dem der Erfolg aus Mangel der Mittel entgeht. So zieht auch das Steife in alten Gedichten und Chroniken an. Die Unbeholfenheit scheint Unschuld, und die Manier einer verflossenen Zeit wird, wenn man sie, statt mit ihrer, mit unserer Zeit vergleicht, zum Charakter, wohl gar zum Stil. Ein Chinese ist in Europa eine Sonderbarkeit, in China eine Gemeinheit.


(1836)

Wie leer ist, was Gaudy (RömerfahrtMein Römerzug, Federzeichnungen, Berlin 1836) über Michel Angelos letztes Gericht sagt. Es soll nicht in Einheit zusammengehen, zu ausgedehnt kolossal sein. Wer hieß ihn die Seitengruppen als Hauptsache betrachten? Der Welterlöser als Richter mit der entsetzlichen Gebärde der Verwerfung ist nicht nur der Mittelpunkt, er ist die Essenz des Gemäldes, das andere ist nur Staffage.



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