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Sechster Auftritt.

Herr Reinhart. Herr Vielwitz. Herr Jambus. Herr Sinnreich.

Herr Jambus. Das ist mir eine herzliche Freude, daß ich höre, daß Sie die Participia lieben.

Herr Sinnreich. Mir ebenfalls. Ohne Participia kann man gar nichts denken.

Herr Vielwitz. Und für einem Verse, der nicht gedacht ist, da stehe ich nicht vor auf.

Herr Reinhart lachend. O freylich! Und gedacht, das heißt wacker undeutsch geredet.

Herr Vielwitz. Ey, das macht, Sie haben sich in der deutschen Schaubühne verliebt, drum finden Sie keinen Geschmack an klugen Versen.

Herr Reinhart. So? das heißt, in der deutschen Schaubühne steht lauter dummes Zeug?

Herr Sinnreich. Nun, wer poetische Wassersuppen lesen will, der kann sie gewiß da finden.

Herr Vielwitz. Ey meine Herren, es ist mich eine rechte Freude, daß Sie auch hierinnen meiner Meynung sind. Ein einzig Stück nehme ich aus; davon ist der Verfasser mein guter Freund. Aber die andern taugen alle nichts.

Herr Jambus. Sie meynen etwa das erste Stück in einem gewissen Bande? Ja, ja! Es heißt doch aber auch zuweilen: bonus dormitat Homerus.

Herr Vielwitz. Alle Zeilen sind freylich nicht gedacht. Indessen ubi plura nitent in carmine etc. diese Regel brauche ich zwar sonst bey keinem Gedichte: aber weil dieß mein guter Freund ist!

Herr Sinnreich. Die andern sind alle unendlich unter dem!

Herr Jambus. Das Matte, das Kalte, das Unwahrscheinliche . . .

Herr Reinhart lächelnd. Das sich nicht Lesenlassende? Nicht wahr?

Herr Vielwitz. Freylich, ich weis nichts ungeschickters, als der Jean de France, der sich auf dem Theater das Kleid abzieht. Er lacht hönisch.

Herr Jambus. Und der dumme Schöps, der im Menschenfeinde die Participia lächerlich machen will!

Herr Vielwitz. Nein! ich hätte mich in einem solchen Werke doch bessere Sachen vermuthet. Da wird unsere Zeit keine Ehre von haben.

Herr Sinnreich. Sollen das Meisterstücke seyn?

Herr Reinhart. Wo hat denn der Herausgeber welche versprochen?

Herr Jambus heftig. Aber wir fordern welche!

Herr Reinhart lacht sehr. Ganz gut. Wenn er einmal für Sie ganz allein eine Schaubühne herausgeben wird: so wird er sich vielleicht auf welche befleißigen, oder sich Ihre eigene Arbeiten ausbitten, die Sie doch wohl für Meisterstücke werden gelten lassen. Es kömmt ein Diener und nimmt den Caffeetisch weg. Anjetzt aber ist seine Absicht nur gewesen, Stücke zu liefern, die nicht so sehr wider die Regeln verstießen, und den Comödianten Sachen zu liefern, die viel gesitteter und gescheidter wären, als das elende Zeug, was sie bisher fast überall gespielt haben. Das werden Sie doch den Stücken in der Schaubühne nicht absprechen können.

Herr Jambus. Sie lachen alle drey spöttisch. Sie meynen doch auch die Banise?

Herr Reinhart. Ja, ja, auch die! denn sie ist doch unendlich besser, als die alte prosaische Banise, die man gleichwohl noch immer spielt, so dumm als sie ist. Setzen Sie sich aber nur hin, und machen Sie eine bessere, wenn Ihnen diese nicht gefällt. Das wird den Herausgeber nicht verdrießen, sondern ihm eine wahre Freude seyn.

Herr Jambus lacht sehr.

Herr Reinhart. O das ist eine kluge Antwort! mich dünkt doch, es giebt keine bessere Art zu beweisen, daß eine Sache schlecht sey, als wenn man sich geschwinde hinsetzt, und was bessers macht.

Herr Vielwitz. Wir verstehn das Theater auch ein wenig, mein Herr Reinhart.

Herr Reinhart. Nun gut. Wo sind denn die Meisterstücke, die Sie gemacht haben? Ich sehe sie doch noch nicht.

Herr Vielwitz. So müssen Sie gewiß noch nicht das Päckchen gelesen haben, was ich Ihnen gestern Abends mit gab. Ich habe freylich einige gemacht.

Herr Reinhart. Nein, ich bin heute Vormittags sehr beschäfftigt gewesen.

Herr Jambus. Und von meinen Sachen haben Sie genug gelesen?

Herr Reinhart. Ja. Nur daß ich daran gewiß eben so viel auszusetzen hätte, als Sie an der deutschen Schaubühne auszusetzen finden.

Herr Sinnreich. Und was wollten Sie wohl an meinen Stücken aussetzen?

Herr Reinhart. Fürs erste dieses, daß sie undeutsch sind.

Herr Vielwitz. Ha! ha! ha! sind Sie auch einer von die Mückensäuger, die der Grammatik zu gefallen, einen schönen Gedanken ersticken?

Herr Jambus. Ich schreibe nicht für die Leute, die erst decliniren und conjugiren lernen wollen.

Herr Reinhart. Sie schreiben aber für Ihre Leser, und denen gefällt man eben nicht mit Sprachschnitzern.

Herr Sinnreich. O ja, ich lese allemal lieber einen schönen Gedanken, als einen richtigen Ausdruck.

Herr Vielwitz. Und mir dünkt, ein Gedanken kömmt mich noch einmal so schön vor, wenn der Ausdruck wider die Grammatik läuft.

Herr Reinhart. Ich will Ihnen noch mehr sagen, der ganze Gedanke besteht oftmals nur im Schnitzer: wenn Sie die Worte recht zusammen setzen; so ist gewiß kein Gedanke mehr da.

Herr Jambus. Ach! das ist nur eine Erfindung der seichten Köpfe, die nicht die Fähigkeit haben zu denken.

Herr Reinhart lachend. Je, meynen Sie denn, daß eine so große Kunst dazu gehöre, Sprachschnitzer zu machen? Das kann ich alle Augenblicke auch; wenn das anders Witz und Hexerey heißen soll. Aber warum machen Sie es in den lateinischen Versen nicht auch so? Warum binden Sie sich da an die Grammatik?

Herr Vielwitz. O das ist was anders! Deutsch ist nicht lateinisch!

Herr Reinhart. Ja, das höre ich heute nicht zum erstenmale.

Herr Sinnreich. Die lateinische Sprache hat nun einmal ihre Regeln. Allein man müßte sehr verblendet seyn, wenn man das auch von der deutschen sagen wollte.

Herr Reinhart. Was? die deutsche Sprache hat also keine Regeln?

Herr Jambus. Nein. Man kann im Deutschen alles sagen, was man will.

Herr Reinhart. Das bestreite ich nicht; aber man kann und muß es auch mit guten deutschen Ausdrücken sagen.

Herr Vielwitz. Nein, über dem Zwange geht mancher schöne Gedanke verloren.

Herr Reinhart. Ich wollte wohl wetten, daß sich dieß unter hundertmalen nicht zweymal zutrifft. Z. E. Ich las neulich in einem Gedichte, da ein Verliebter seine Schöne um Gegenliebe ersuchet, den Ausdruck; uns wird nicht immer Frühling seyn. Ist das nicht ein bloßer Latinismus?

Herr Sinnreich. Latinismus oder nicht! der Gedanken ist doch schön.

Herr Vielwitz. Ja, er ist all artig.

Herr Reinhart. Würde er aber nicht bleiben, was er ist, wenn ich ihn nun gleich so verdeutschete: Wir werden nicht immer jung seyn?

Sie schreyen alle drey. Nein! nein! nein! das ist kalt, matt, frostig!

Herr Reinhart zuckt die Achseln und lacht. Da sehen Sies ja nun, daß Ihnen bloß der Sprachschnitzer gefällt; der Gedanke ist ja eben derselbe.

Herr Jambus. Bey Leibe nicht. Uns wird nicht immer Frühling seyn! das ist so malerisch, so körnicht geredet. Das andere ist lauter Wasser dagegen.

Herr Reinhart. Wahrhaftig! Mir ist Frühling; das kömmt mir eben so vor, als wenn ich mit den Epistolis obscurorum virorum sagen sollte: Habemus valde calidam Aestatem. Sie lachen alle.

Herr Sinnreich. Nun es ist mir lieb, daß wir den Herrn Vielwitz hieher bekommen haben. Wissen Sie was, Herr Jambus, wir müssen eine Gesellschaft mit einander aufrichten.

Herr Vielwitz. Von Herzen gern, da bin ich mit bey.

Herr Jambus. Und zwar eine Antigrammatikalische.

Herr Vielwitz. Ja, ja! daß wir die Leute einmal das Vorurtheil aus den Kopf bringen, daß man denken und doch rein Deutsch schreiben müsse.

Herr Sinnreich. Sie haben es getroffen.

Herr Reinhart lachend. O du arme deutsche Sprache! erzittere! dir wird nicht immer Schönheit seyn!

Herr Jambus. Nun, nun, spotten Sie nur nicht! Ihre Gedichte sollen brav herhalten, wenn Sie welche machen werden, die rein Deutsch sind.

Herr Reinhart. O das Märtyrthum würde mir eine Ehre seyn! allein es hat keine Noth. Ich treibe jetzt mein Advocatenhandwerk; weil mir ein witziger Kopf, der kein Brod hat, ein sehr elendes Geschöpf zu seyn scheint. Ich werde deswegen doch wohl wegen alter Bekanntschaft den Musen gewogen bleiben. Allein meiner Muttersprache auch. Wenn ich schlechtes und verstümmeltes Deutsch lesen will: so lese ich meine Acten und die Zeitungen! und wenn ich mir über einem Gedichte den Kopf zerbrechen will, so lese ich den Pindar und Persius selbst: und nicht ihre neuern Nachäffer.

Herr Vielwitz zu den andern. Lassen Sie ihm gehen. Den bekehren wir schon nicht! wie soll denn aber unsere neue Gesellschaft heißen?

Herr Sinnreich. Ja, einen Namen müssen wir doch haben. Wie wäre es, wenn wir uns die participialische Gesellschaft nennten?

Herr Jambus. Nein, nein! das würde nur eine einzige Eigenschaft ausdrücken: wir müssen aber auch zugleich andeuten, daß wir auf das Körnichte, und auf die Gedanken gehen.

Herr Reinhart lachend. Ey! so nennen Sie sich die denkende undeutsche Gesellschaft, oder die undeutschdenkende Gesellschaft.

Herr Vielwitz. Die Denkende? das gienge wohl hin; aber die Undeutsche, das ist nichts: denn damit gäben wir selbst zu, daß unsere Gedichte undeutsch wären.

Herr Jambus. Freylich. Er besinnt sich. Wissen Sie was, meine Herren? wir wollen uns die denkende Sprachschnitzer-Gesellschaft nennen.

Herr Sinnreich. Ja, ja: der grammatikalischen Zunft zu Trotze!

Herr Vielwitz. Gut, gut! das drückt auch zugleich aus, daß wir nicht allein die Participia; sondern auch alle andere Schnitzer in der Sprache dulden.

Herr Sinnreich. Ja: nur daß der Poet auch denke! denn denken muß er! sonst ist alles nichts.

Herr Jambus. Nun also heißen wir: die denkende Sprachschnitzer-Gesellschaft. Sie sagen alle. Ja! ja! und geben sich die Hände, umarmen sich auch. Ein jeder sagt Ihr Diener, Herr College.

Herr Reinhart macht einen Reverenz an sie. Ich gratulire von Herzen zu dieser neuen Societät, die den menschlichen Verstand wieder zu seiner alten Würde verhelfen wird; und empfehle mich Dero herzinniglichem Mitleiden, meine hochzuehrenden denkenden Herren Sprachschnitzler! Sie schütteln die Köpfe.

Herr Sinnreich. Bey wem versammlen wir uns denn künftig meine Herren?

Herr Vielwitz. Wollen Sie zu mich auf meiner Stube kommen; so steht Ihnen allemal ein Glas Wein und ein Stück Hamburger Rauchfleisch zu Diensten.

Herr Reinhart. Ey! die Anerbiethung nehmen Sie ja an, meine Herren. Es denkt sich noch einmal so gut, wenn man was zum Besten darbey hat.

Herr Sinnreich. Wenn es Sie so beliebt, so lasse ich mirs gefallen.

Herr Jambus. Wenn es Sie nur nicht zu beschwerlich fällt, mein Herr Vielwitz.

Herr Vielwitz. Im geringsten nicht; es soll mich eine Freude seyn.

Herr Jambus. Und da wollen wir alles, was Neues herauskömmt, vornehmen, und das Seichte, das Matte, das Niedrige, das Kriechende, das unendlich drunter seyende, u. s.  w. untersuchen.

Herr Sinnreich. Ja, ja. Damit wir uns aber nicht mit allem dem schlechten Zeuge, was die andern Scribenten schmieren, den Geschmack zu sehr verderben: so wollen wir jedesmal uns auch von unsern Arbeiten was vorlesen; und uns sonderlich bemühen, unsre Sprache mit den abgebrochenen Redensarten der Engländer zu bereichern; die von den wässerichten Dichtern insgemein Anglicismi und Barbarismi genennet werden.

Herr Jambus. Ja, und mit der Zeit können wir das, was wir uns denn vorgelesen und so gemustert und geändert haben, daß gar nichts mehr daran auszusetzen ist, als Muster der deutschen Dichtkunst in einem Bändchen drucken lassen.

Herr Vielwitz. Noch zur Zeit sehe ich nicht, daß die Welt es werth wäre, etwas von mir zu lesen. Die Zeiten müßten sich noch sehr ändern!

Herr Sinnreich. Nun? wenn kommen wir zum erstenmale zusammen, meine Herren?

Herr Jambus. Wenn es Sie beliebt, Herr Vielwitz, so können wir morgendes Tages anfangen.

Herr Vielwitz. Ja, meine Herren. Ich werde die Ehre haben Sie zu erwarten.

Herr Reinhart. Darf denn ein so unwürdiger deutscher Michel, als ich bin, zuweilen auch das Glück haben, Ihren denkenden Versammlungen bey zu wohnen.

Herr Sinnreich. Ja, ja; aber nur als ein Zuhörer.

Herr Jambus. Ja, er muß weder richten, noch was wir verurtheilen, vertheidigen. Denn er versteht das nicht, was zu einem recht schweren Verse gehört.

Herr Reinhart lächelnd. O das bescheide ich mich gar gerne! ich will mich nur ein wenig von der grammatikalischen Sucht, die mir anklebt, zu befreyen suchen.

Herr Vielwitz. Wer soll denn zuerst lesen?

Herr Sinnreich. Ich habe eine mathematische Abhandlung von der Chloris Strickzeuge unter Händen; sie ist aber noch nicht fertig. Denn sie wird sehr ironisch, und sticht im vorbeygehen mehr als zwanzig von meinen guten Freunden und Lehrern an. Auch auf meine eigene Aeltern kommen ein Paar Püffe drinnen vor.

Herr Reinhart. Ein feines Werkchen! eine mathematische Satire!

Herr Sinnreich. Ja, ein Philosoph ist mit niemanden verwandt, und niemanden verbunden. Er geht gerade durch, und sagt allen die Wahrheit. Haben Sie indessen was fertig, Herr Jambus; so können Sie anfangen.

Herr Jambus. Ja, ich habe eine Tragödie unter Händen, davon ist der erste Act fertig. Dergleichen muß noch nie gesehen seyn! sie besteht aus lauter epigrammatischen Gedanken, zwey und zwey Zeilen, oder selten vier Zeilen, machen allemal ein Sinngedicht aus. Jedes Stück davon hat mich wohl einen halben Tag Arbeit gekostet: und die trage ich nun zusammen, und schreibe nur die Namen drüber.

Herr Vielwitz. Sie bringen mir da auf einen Einfall. Gienge es nicht an, daß man auf eben der Art, aus dem Martial oder Ovenus eine Comödie machte? An satirischen Einfallen würde es nicht da fehlen, wenn jede Person, so oft sie den Mund aufthäte, eine stachelichte Spitzfündigkeit vorbrächte.

Herr Jambus. Warum nicht? Sie werden nur hören, daß sich mein Stück vortrefflich ausnimmt. Einige Stellen sind mir ganz besonders glücklich gerathen. Sophokles und Euripides sind lauter kaltes Wasser dagegen.

Herr Reinhart. Das glaube ich wohl! Aber welche Zuhörer werden ein so spitzfündiges Stück verstehen, wenn es aufgeführet wird?

Herr Jambus. Ich überlasse es dem poetischen Pöbel für den Pöbel zu schreiben: ich schreibe nur für die Weltweisen und Mathematicos.

Herr Reinhart. Und ich versichere Sie, daß weder Wolf noch Bülfinger, noch Euler Ihre Tragödie lesen werden.

Herr Jambus. Man weis, was man von den neuen Propheten zu halten hat. Haben Sie nicht auch was schönes fertig, Herr Vielwitz?

Herr Vielwitz. Ich habe ein Schäferspiel verfertiget, davon ich dem Herrn Reinhart gestern eine Abschrift gegeben habe. Darinn herrscht durchgehends das Schalkhafte. Er lacht innerlich. Es ist ein heilloses Ding!

Herr Sinnreich. Darf ich den Namen wissen?

Herr Vielwitz. Es heißt die Nothzüchtigung. Ein vertraktes schalkhaftes Stück!

Herr Reinhart sieht ihn von Haupt zu Füßen an. Die Nothzüchtigung? ein Schäferspiel?

Herr Jambus. Das bin ich neugierig zu hören.

Herr Vielwitz. Sie werden Ihre Lust dran hören. Es hat mich auch manche sauere Stunde gemacht.

Herr Sinnreich. Aber, um unserer neuen Collegialischen Freundschaft willen! Herr Vielwitz, brauchen Sie doch das Mich und Mir nicht immer so falsch. Die Ohren thun mir schon ganz weh!

Herr Jambus. Ja, es ist entsetzlich, Ihnen so reden zu hören.

Herr Vielwitz. Und es ist eben so entsetzlich, meine Herren, Ihr beständiges falsches Sie und Ihnen zu hören.

Herr Sinnreich lacht spöttisch. So? wir werden endlich noch von den Niedersachsen Deutsch lernen sollen!

Herr Vielwitz. Warum nicht? das Deutsche wäre eben nicht die einzige gescheide Sache, die der Herr und sein College von uns Niedersachsen zu erlernen nöthig hätte.

Herr Reinhart. Ey! meine Herren, wie ist es möglich, daß die Stifter der Sprachschnitzergesellschaft, sich über ihre Sprachschnitzer entzweyen können? Sie müssen ja zum besten der gemeinen Sache, ein jeder die Seinigen mit beytragen helfen.

Herr Sinnreich. Ich nehme mich der obersächsischen Sprachschnitzer nur an: die sollen hier allein gelten; in Niedersachsen mögen die niedersächsischen schön seyn!

Herr Jambus. Ja, aber die Niedersächsischen sind ja wider alle Vernunft.

Herr Vielwitz. Ich habe obersächsische Leute gesehen, die eben so unvernünftig gewesen, als ihre Sprachschnitzer; und nöthig hätten, ein paar Jahre nach Niedersachsen zu ziehen, um gescheide Leute zu werden.

Herr Sinnreich. Wen meynen Sie damit, Herr Vielwitz?

Herr Vielwitz. Ich nenne niemanden, und meyne mehr als einen.

Herr Jambus. Mein Herr Sie sind doch nicht etwa in die Hundstage gebohren?

Herr Vielwitz. Nein: wahrhaftig nicht! denn es ist mich noch nie eingefallen, aus lauter Epigrammatibus ein Trauerspiel, oder eine Comödie zu machen.

Herr Reinhart. Ey! meine Herren, Sie fangen an zu denken, wie ich sehe.

Herr Sinnreich. Sie haben ja wohl eine große mächtige Selbstliebe im Leibe!

Herr Vielwitz. Ich habe aber noch nie auf meinen Aeltern ein Pasquill gemachet.

Herr Sinnreich. Mein Herr, Ihr Beyfall wäre gerade der schlechteste Lohn für meine Schriften.

Herr Vielwitz. Ich bedanke mich vor Ihrer Schnitzergesellschaft! Ich mag dar nicht ein!

Herr Jambus. Das erste Gedicht so ich darinnen vorlese, soll eine Satire auf Ihnen seyn.

Herr Vielwitz. Und ich will eine Critik über Ihrer Tragödie machen, daß keiner sie mit Füssen wird treten wollen.

Herr Sinnreich. Herr! fangen Sie mit uns nicht an: wir sind fähig die größten Gelehrten lächerlich zu machen. Wir sind ohne dieß Willens, ein neues Wochenblatt anzufangen, das soll der Lustigmacher heißen: da könnten Sie eine Stelle darinnen bekommen.

Herr Vielwitz. Es müßten sehr lächerliche Leute seyn, die sich auf solche lächerliche Criticos verließen.

Herr Jambus. Ey! warum sagen Sie nicht, auf solche Criticis, das wäre ja ein schöner Niedersaxonismus gewesen. Sinnreich und Jambus lachen überlaut.

Herr Reinhart. Um des Himmels Willen! meine Herren, hören Sie auf zu denken. Dort kömmt Jungfer Lottchen.

Siebenter Auftritt.

Die Vorigen. Jungfer Lottchen.

Jungfer Lottchen. Nun? Es geht fein burschikoos auf meiner Stube zu.

Herr Vielwitz. Verzeihe Sie es Mademoiselle. Ich dachte ich wäre unter gelehrten Männern gekommen: so sehe ich wohl, daß es nichts mehr, als Studenten sind.

Herr Jambus. Ja, wir geben Lection im Lateinischen conjugiren und decliniren. Wenn Sie etwa auf der Schule damit nicht fertig geworden sind, Herr Vielwitz: so dörfen Sie es nur sagen.

Jungfer Lottchen. Ey meine Herren! In meiner Gegenwart bitte ich, sich entweder nicht zu zanken; oder einen andern Ort dazu zu erwählen, als mein Zimmer. Herr Vielwitz hat mir heute früh etwas von seinen Versen geschickt, das wollen wir durchlesen. Der Herr Jambus und Sinnreich verstehen die Poesie so wohl, daß sie entweder die Arbeit bewundern, oder tadeln können werden. Sie nimmt den Brief vom Tische und erbricht ihn.

Herr Jambus schreyt sehr. Was? ich sollte mich dahin setzen, und eines andern Dichters Arbeit anhören? Das ist mir unmöglich! Daß andere Leute mir meine Gedichte 6 Stunden lang zuhören müssen, das ist wohl meine Gewohnheit: allein so, scheide ich davon. Er läuft in den Winkel, rafft seinen Degen und Stock auf, und läuft ungestüm ab.

Achter Auftritt.

Jungfer Lottchen. Herr Reinhart. Herr Sinnreich. Herr Vielwitz.

Jungfer Lottchen. Das ist ja ein ungezogener Mensch. Mich wundert, daß nicht alle seine gute Freunde taub sind. Sie setzt sich und die andern setzen sich auch.

Herr Sinnreich. Er fühlt sich freylich, daß er ein sehr witziger Kopf ist.

Herr Reinhart. Er würde aber sehr wohl thun, wenn er nicht nur seine Stärke, sondern auch seine Schwäche fühlte.

Jungfer Lottchen giebt Reinharten den Brief. Da Herr Reinhart, thun Sie uns den Gefallen, und lesen Sie dieß laut. Ich werde wohl genug zu thun haben, daß ichs nur verstehe.

Herr Reinhart liest. »Werthgeschätzter liebster Herr Vater . . .

Herr Vielwitz springt erstaunt auf, und will ihm den Brief entreißen. Er aber versteckt ihn. Um des Himmels Willen! was haben Sie da? Geben Sie mich den Brief, wofern Sie es ein Bißchen gut mit mich meynen.

Jungfer Lottchen. Bey Leibe nicht, Herr Reinhart! sonst verlieren Sie alle meine Gunst.

Herr Reinhart weigert sich gegen Vielwitzen. Da sehen Sie es! das ist ja der ärgste Fluch den eine Schöne nur thun kann.

Herr Vielwitz ängstlich. Es ist aber ein Brief an meinem Vater . . . Es stehen da Domestiksachen innen . . . Ich bitte Sie um alles, warum man in der Welt bitten kann.

Jungfer Lottchen. Nein, nein! ich muß durchaus wissen, was darinnen steht: es werden doch solche heimliche Sachen nicht seyn, die Sie ihm von hieraus schreiben könnten. Sie sind ja nicht verheirathet, Herr Vielwitz?

Herr Vielwitz fällt vor ihr auf die Knie. Ach! Ach! ich bitte Sie auf das inständigste, Mademoiselle, lassen Sie mich den Brief wiedergeben.

Jungfer Lottchen. Gelt! Sie haben eine Liebste zu Hause gelassen? Die muß ich erfahren! Lesen Sie nur Herr Reinhart.

Herr Vielwitz springt auf, und hält Reinharten, welcher lesen will, den Mund zu. Ach allerliebstes, englisches Reinhartchen, ließ nicht!

Jungfer Lottchen. Nun so geben Sie mir den Brief wieder her. Ich will ihn sachte für mich lesen.

Herr Vielwitz sehr ängstlich. Ach! ich bin des Todes, wo Sie ihn lesen, Mademoiselle. Er windet die Hände. Was habe ich in der Eile vor einen Irrthum begangen? Da habe ich die Verse an Sie, in meines Vaters Brief eingesiegelt, und den Brief an meinem Vater, bey Sie eingeschlagen. Er wirft sich ganz matt auf den Stuhl und windet die Hände.

Jungfer Lottchen. Wenn Sie nicht so ängstlich thäten: so wäre ich nicht halb so neugierig. Geben Sie mir nur den Brief, Herr Reinhart: ich will ihn zum mindesten für mich allein lesen. Sie liest und sieht den Vielwitz dann und wann ernstlich an, und macht erstaunte Geberden. Vielwitz sitzt ganz ängstlich auf dem Stuhle. Reinhart zieht einen versiegelten Brief aus der Tasche und macht ihn auf.

Jungfer Lottchen. Nun das hätte ich mir von Ihnen nicht vermuthet, Herr Vielwitz. Für alle Höflichkeit und Ehre, die Ihnen in unserm Hause wiederfahren ist; ja ich sage mehr: für alles das Gute, was der alte Herr Reinhart, wie ich gewisse Proben davon habe, mit Ihnen noch im Sinne gehabt hat, dafür schreiben Sie Ihrem Vater so verächtlich von ihm? Gesetzt, daß er auch so wenig Vernunft und Witz hätte, als Sie schreiben: so hat er doch ein redliches Herz, und dieß macht allemal ein besser Glück in der Welt, als der größte Witz; wenn er mit einem bösartigen, hochmüthigen und undankbaren Herzen verknüpft ist. Was meine Wenigkeit anlanget: so versichere ich Sie, daß, wenn ich Ihnen zu dumm bin, Sie mir hergegen so klug noch nicht sind, daß ichs nicht schon vor 14 Tagen gesehen hätte, daß Sie ein Geck sind. Was diesen jungen Herren Reinhart betrifft . . .

Herr Reinhart. Wie? was? Stehe ich auch darinnen?

Jungfer Lottchen. O ja! der Herr Vater wird es Ihnen schon zu lesen geben. Zum Vielwitz. Was ihn belanget! so versichere ich Sie, daß seine empfindlichste Rache an Ihnen, der Verlust seiner Freundschaft ist, die er Ihnen bisher ohnedieß nur aus Ehrfurcht gegen seinen Vater bewiesen hat. Die witzigen Köpfe hier in der Stadt, von denen Sie, ehe Sie sie noch gekannt, so verächtlich geurtheilet haben, die werden sich unfehlbar selbst rächen, und Ihnen gleiches mit gleichem vergelten.

Herr Sinnreich hitzig. Was? was? hat er von den witzigen Köpfen allhier auch Übels geredet?

Jungfer Lottchen. O ja! Er schildert sie so schön ab, daß er ihnen endlich keine bessre Benennung zu geben weis, als daß sie dumme Jungen sind.

Herr Sinnreich zum Vielwitz. Warten Sie, Sind Sie der Haare? das will ich dem Jambus sagen! Wir wollen eine Satire auf Ihnen machen, die sich gewaschen haben soll. Er läuft in die Ecke, nimmt seinen Hut und Degen und geht zornig ab.

Jungfer Lottchen. Ich will hinunter gehen, und dem alten Herrn Reinhart doch zeigen, was für einen schönen Gast er hier im Hause hat. Sie will gehen.

Herr Reinhart. Ey, warten Sie noch ein wenig. Hier ist noch ein andrer Misverstand vorgegangen. Die Verse die Sie haben kriegen sollen, die sind hier an mich eingesiegelt. Lesen Sie sie doch. Er giebt sie ihr.

Jungfer Lottchen. Ach! ich habe viel zu wenig Verstand dazu. Sie schmeißt sie dem Vielwitz vor die Füße, und geht zornig ab.

Neunter Auftritt.

Herr Vielwitz. Herr Reinhart.

Herr Vielwitz sehr erschrocken. Was? Sie haben die Verse an der Jungfer, in Ihrem Umschlage?

Herr Reinhart. Ja, da sind sie. Er giebt sie ihm.

Herr Vielwitz schlägt die Hände zusammen. Nun bin ich verlohren! das ist wieder ein neues Unglück vor mir.

Herr Reinhart. Wie so?

Herr Vielwitz. Ach! so habe ich meinem Vater das verwünschte Schäferspiel eingesiegelt! Was wird der Mann von mir denken? Er enterbt mich gewiß: denn er ist ein sehr hitziger Mann. Ich bin des Todes!

Herr Reinhart. Ich wollte gern ein Mitleiden mit Ihnen haben: allein es ist mir allemal eine Freude, wenn die Thorheit und Bosheit in ihre eigene Falle fällt.

Herr Vielwitz. Ich muß den Augenblick der Post eine Staffette nachschicken, und versuchen, ob ich meinen Brief wieder bekommen kann. Mein Diener aber soll mir noch heute die Post bestellen. Ich will stehendes Fußes von einer Akademie fort, wo mir alles so verkehrt geht. Er geht ab.

Herr Reinhart. Und ich will die schöne Lobschrift lesen, die Sie mir gemacht haben: damit ich Ihnen desto herzlicher zu Ihrer Abreise Glück wünschen könnte. Er geht ab.


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