Johann Christoph Gottsched
Die tugendhafte Charlotte
Johann Christoph Gottsched

Johann Christoph Gottsched

Die tugendhafte Charlotte

In einer der besten Städte, so in der französischen Provinz Touraine liegen, war ein junger Prinz, aus einem sehr guten Geschlecht, von Jugend auf erzogen worden. Von der guten Gestalt, Anmut und Artigkeit und andern Vollkommenheiten desselben darf man nichts mehr sagen, als daß er damals seinesgleichen nicht gehabt. In seinem fünfzehnten und sechzehnten Jahre war die Jagd sein bester Zeitvertreib; so gar, daß er Hunde, Pferde und wilde Tiere weit lieber als das schönste Weibesbild von der Welt ansah. So brachte er seine Zeit zu, bis er ungefähr eines Frauenzimmers ansichtig ward, die vormals in seinem Schlosse erzogen worden, aber nach dem Tode ihrer Mutter, nebst ihrem Vater und Bruder, in eine andre angrenzende Landschaft gewichen und daselbst völlig erwachsen war, Charlotte, so hieß diese Jungfer, hatte eine uneheliche Halbschwester, die ihr Vater überaus geliebt und an einen Küchenschreiber des oberwähnten Prinzen verheiratet hatte. Sobald ihr Vater gestorben war, fiel ihr das wenigeVermögen zu, was derselbe in der vorhin gedachten Stadt besessen, und sie begab sich nach seinem Tode wieder dahin, wo ihre Güter lagen. Es war nicht ratsam, daß sie als ein junges wohlgebildetes Frauenzimmer, welches schon imstande war zu heiraten, in einem eigenen Hause allein wohnen sollte; derowegen begab sie sich zu ihrer Schwester, der Küchenschreiberin, ins Haus, als zu welcher sie ein gutes Vertrauen hatte. Der Prinz sah nun, wie gedacht, diese wohlgestalte Brünette mit ganz andern Augen an, als er bis dahin alles andre Frauenzimmer angesehen hatte. Ihre Annehmlichkeiten schienen ihm ihren Stand zu übertreffen; denn man hätte sie eher für ein Fräulein oder eine Prinzessin als für ein Bürgerrnädchen ansehen sollen. Da er noch niemals geliebt hatte, so empfand er bei diesem Anblick ein ganz ungewöhnliches Vergnügen; und als er nachfragte, wer sie wäre, vernahm er, daß es ebendasjenige Mädchen wäre, das in seiner Kindheit mit seiner Schwester im Schlosse oftmals gespielt hätte. Er tat dieses der Prinzessin alsbald zu wissen, mit dem Ansinnen, die alte Bekanntschaft mit dieser Schönen wieder zu erneuern. Das geschah auch in der Tat. Charlotte ward zur Schwester des Prinzen gerufen und überaus wohl aufgenommen, auch gebeten, dieselbe öfters zu besuchen. Sooft also einige Lustbarkeiten bei Hofe vorgingen, sooft war Charlotte mit dabei; und je öfter sie der Prinz sah, desto mehr gefiel sie ihm: bis endlich seineLiebe in eine solche Flamme geriet, daß sie nicht anders als auf eine verboteneWeise gestillt werden konnte. Denn da diese Schöne von weit schlechterm Herkommen war, als daß er eine eheliche Zuneigung zu ihr hätte haben sollen, so ward seine Begierde allmählich ein Feuer, welches nicht anders als durch Schande und Laster auszubrechen drohte.

Ein vertrauter Edelmann des Prinzen mußte dem ehrlichen Kinde den Vortrag tun, den sein Herr selbst anzubringen keine Gelegenheit finden konnte. Die tugendhafte Charlotte hörte denselben mit Zittern und Entsetzen an und gab dem verdrießlichen Boten mit der bescheidensten Miene zur Antwort, sie könnte sich's nicht einbilden, daß ein so schöner und wackerer Prinz sich die Mühe nehmen sollte, nach einem so ungestalten Mädchen zu sehen. Er hätte ja in seinem Schlosse eine solche Menge vollkommener Schönheiten, daß er es nicht nötig hätte, dergleichen anderwärts zu suchen. Sie hielt also dafür, daß er ihr diesen Antrag von sich selbst und ohne das Vorwissen seines Herrn getan hätte. Als der Prinz diese Antwort vernahm, ward seine vorige Liebe um desto heftiger, und diese spornte ihn an, keine Mühe zu sparen, bis er sein Unternehmen zum Stande gebracht hätte. Er setzte sich also hin und verfertigte ein Schreiben an seine Geliebte, darinnen er sie aufs zärtlichste bat, alles dasjenige zu glauben, was sein Bedienter ihr von seinetwegen sagen würde. Ungeachtet es ihr sehr leicht gewesen wäre, diesen Brief schriftlich zu beantworten, so war doch alles Bitten des Überbringers nicht vermögend, solches von ihr zu erlangen. Ihr Vorwand war: es schicke sich für Personen von so schlechtem Stande nicht, an Prinzen Briefe zu schreiben; und dabei ersuchte sie den Edelmann, sie nicht für so töricht anzusehen, daß sie sich einbilden sollte, der Prinz wäre ihr in der Tat so gewogen, als er sie bereden wollen. Dächte er aber, in Betrachtung ihres armseligen Zustandes, sie bloß zu seinem Vergnügen zu mißbrauchen, so betröge er sich sehr in seiner Meinung. Sie hätte nämlich ein so tugendhaftes Herz als die größte Prinzessin von der Welt und schätzte nichts so hoch als ihre Ehre und ein unbeflecktes Gewissen. Sie bäte ihn also, es ihr zu erlauben, daß sie diesen Schatz lebenslang erhalten und mit sich ins Grab nehmen möchte; denn sie wolle viel lieber sterben, als diese ihre Gedanken ändern und, ihrer Tugend zum Nachteil, der Liebe vornehmer Herren Gehör geben.

Eine so strenge Antwort konnte dem verliebten Prinzen nicht sonderlich gefallen, doch ließ seine Neigung nicht nach, und er sann auf Mittel, dieselbe zu vergnügen. Sooft man, nach Gewohnheit ihrer Kirche, in die Messe ging, fand er sich nahe bei ihrem Stuhle ein und sah sie weit eifriger an als der andächtigste Verehrer seinen Heiligen. Kaum ward sie solches inne, so änderte sie ihren Stand, ging auch gar in ganz andere und weit entlegenere Kirchen, als sie sonst gewohnt war. Nicht etwa, als wenn sie vor der Person des Prinzen einen Abscheu gehabt hätte: Nein, so närrisch war sie nicht, daß sie seine angenehme Gestalt ohne Vergnügen hätte ansehen sollen. Sie wollte nur von ihm nicht gesehen werden; und da sie unfähig war, auf eine ehrliche und eheliche Weise von ihm geliebt zu werden, so wollte sie auch auf keine andere Art, aus Torheit und Üppigkeit, seiner Zuneigung genießen. Sie entzog sich sogar den öffentlichen Lustbarkeiten des Hofes; und wenn sie gleich allezeit dazu eingeladen ward, so war sie recht sinnreich, die wahrscheinlichsten Entschuldigungen zu erfinden, womit sie ihr Außenbleiben beschönigte. Als nun der Prinz sah, daß er alle Mühe vergebens anwenden würde, wenn ihm nicht jemand zu seinemVorhaben behülflich sein möchte, machte er sich an seinen Küchenschreiber, bei welchem Charlotte im Hause war. Dieser machte sich ein Vergnügen, seinem Herrn in einer so angenehmen Sache zu dienen. Er erzählte ihm täglich, was seine Schöne zu Hause gesagt oder getan hätte, und unterhielt dadurch nicht nur seine Neigung gegen dieselbe, sondern machte ihm auch mehr und mehr Hoffnung, durch seinen Beistand die Früchte derselben zu genießen.

Es mangelte nur an einer Gelegenheit, dabei der Prinz sich bequem in sein Haus begeben und seine Geliebte daselbst allein sprechen könnte. Daran konnte es aber nicht lange fehlen, weil insgemein nichts so reich an Erfindungen ist als die Liebe. Eines Tages ließ der Prinz seine beste Stallpferde aufreiten und machte sich selbst das Vergnügen, auf etlichen der mutigsten Hengste seine Geschicklichkeit in der Reitkunst zu zeigen. Er galoppierte durch die vornehmsten Gassen der Stadt, und als er vor die Tür seines Küchenschreibers kam, wußte er sein Pferd so zu regieren, daß es einen Seitensprung tat, er aber, wiewohl ganz gemächlich, in eine ziemliche Pfütze fiel und also seine Kleider mehr als seinen Körper beschädigte. Niemand wußte, daß dieses mit Fleiß geschehen war; darum lief ein jeder zu, dem Prinzen zu helfen. Er selbst stellte sich erschrockener, als er war, und als man ihm etliche Häuser in der Gegend vorschlug, wo er seiner Bequemlichkeit genießen und sich anders ankleiden könnte, wählte er das Haus seines Küchenschreibers,welches das gelegenste zu sein schien. Man führte ihn hinein, man wies ihm ein Zimmer an, und er legte sich, nach geschehener Auskleidung, in ein für ihn zubereitetes sauberes Bette. Sobald die Bedienten davongegangen waren, ihm eine reine Kleidung zu holen, rief er den Wirt und die Wirtin zu sich und fragte, wo Charlotte wäre. Es war aber fast nicht möglich, dieselbe zu finden, wiewohl man alle Winkel desHauses durchsuchte. Sobald der Prinz ins Haus gebracht worden, hatte ihr's ihr Herz schon gesagt, daß diese ganze Begebenheit ihretwegen angestellt wäre: deswegen hatte sie sich auf dem obersten Boden, an einem ganz heimlichen Orte, versteckt. Endlich fand man sie doch, und ihre Schwester ermahnte und bat sie, einem so tugendhaften und wackern Prinzen, der sie zu sprechen verlangte, ohne alles Bedenken ihre Aufwartung zu machen. «Wie, meine Schwester», versetzte Charlotte, «wollt Ihr, die ich doch für meine Mutter halte, rnir's selbst zumuten, daß ich mit einem Prinzen sprechen soll, dessen Absichten leicht zu erraten sind?» Doch ihre Schwester tat ihr soviel Versicherungen und soviel Verheißungen, sie nicht allein zu lassen, daß die unschuldige Kreatur sich endlich bereden ließ, mit ihr zu gehen. Sie trat also zum Prinzen ins Zimmer, aber mit einer Miene, die eher Mitleiden als Begierde zu erwecken geschickt war.

Als sie der Prinz vor seinem Bette sah, faßte er sie bei der Hand, die vor Schrecken bebte und ganz eiskalt war. «Charlotte », sprach er, «haltet Ihr mich denn für einen so grausamen Unmenschen, daß ich ein Frauenzimmer durch meinen Anblick ermorden werde? Warum scheut Ihr Euch vor demjenigen, der doch nur Euren Vorteil und Eure Ehre sucht? Ihr wißt, daß ich an unzähligen Orten und auf alle mögliche Weise mit Euch zu sprechen Gelegenheit gesucht habe, welches mir aber bis diese Stunde nicht möglich gewesen. Denn Ihr seid allezeit vor mir geflohen und habt mir nicht einmal in der Kirche das Vergnügen gönnen wollen, Euch zu sehen, geschweige denn, mit Euch zu reden mich Gelegenheit finden lassen. Allein seht: das alles hat doch nichts geholfen. Ich habe mich nicht zufriedengegeben, bis ich hierhergekommen bin. Ihr wißt wohl, durch was für Mittel solches geschehen. Ich habe mich in die Gefahr begeben, den Hals zu brechen, indem ich mich vom Pferde stützte, bloß in der Absicht, Euch zu sprechen. Da ich nun durch soviel Mühe endlich soweit gekommen bin, daß ich Euch hier nach Wunsch angetroffen, so laßt doch dieses alles nicht vergebens sein, sondern erlaubt es, daß ich durch meine so große Liebe gegen Euch auch die Eurige gewinnen möge ... »

Charlotte ... hatte vor dem Bette des Prinzen ihre tränenden Augen noch nicht in die Höhe geschlagen. Er hatte zwar aufgehört zu reden, sie gab ihm aber keine Antwort. Er dachte sie derowegen durch Liebkosungen zu gewinnen: und wie er sie so lange bei der Hand gehalten hatte, also zog er sie jetzo allmählich näher zu sich und bemühte sich, sie küssend zu umarmen. Allein vergebens. Sie stieß ihn mit beiden Händen von sich und sprach: «Nicht so, mein Prinz, nicht so! Was Sie suchen, das finden Sie hiernicht. Denn bin ich gleich gegen Sienur für einenErdenwurm zu achten, so liebe ich doch meine Ehre so sehr, daß ich lieber sterben als dieselbe schmälern wollte. Auch die allerempfindlichste Belustigung soll mich nicht dazu bewegen. Deswegen zittere und bebe ich eben, weil vielleicht alle, die Sie haben in dies Haus kommen sehen, an diesem meinem festen Vorsatze zweifeln werden. Da es Ihnen aber beliebt, mir die Gnade zu tun und mit mir zu sprechen, so werden Sie mir's auch vergeben, wenn ich Ihnen so antworte, wie meine Ehre es erfordert. So dumm und blind bin ich nicht, gnädigster Herr, daß ich die Schönheit und Annehmlichkeit, die Gott Ihnen verliehen hat, nicht sehen und erkennen sollte. Nein, ich halte diejenige für das glücklichste Frauenzimmer von der Welt, die einmal der Liebe eines solchen Prinzen genießen wird. Allein was ist mir damit geholfen, da dieses Glück für mich und für Personen meines Standes gewiß nicht aufgehoben ist? Wenn ich mir nur ein Verlangen danach in den Sinn kommen ließe, so beginge ich schon die allergrößte Torheit. Was kann ich mir also wohl für eine andre Ursache einbilden, die Sie bewogen hat, sich eben zu mir zu wenden, als diese: daß Dero Hofdamen, welche unfehlbar von Ihnen geliebt werden müssen, wo Sie nur Schönheit und Anmut lieben, so tugendhaft sind, daß Sie von ihnen dasjenige nicht einmal fordern, geschweige denn vermuten dürfen, wozu mein niedriger Stand Ihnen Hoffnung macht. Ich bin fest versichert: wenn Sie bei Personen meinesgleichen Ihres Wunsches teilhaftig würden, so bekämen Sie ebendadurch eine neue Materie, Ihre Gebieterin ein paar Stunden von Dero Siegen zu unterhalten, die Sie, zum Schaden solcher ohnmächtigen Kreaturen, davongetragen. Aber ich bitte Ihre Durchlauchten zu erwägen, daß ich von der Gattung gar nicht bin. Ich bin in einem Hause erzogen, wo ich gelernt habe, was die Liebe ist. Mein Vater und meine Mutter sind Dero treue Bediente gewesen. Weil mich also Gott zu keiner Prinzessin gemacht hat, daß Sie mich zu Ihrer Freundin und Gemahlin machen könnten, so ersuche ich Sie untertänigst, mich nicht unter die Zahl der armseligen Weibsbilder zu setzen, die ihre Ehre in die Schanze geschlagen. Sein Sie doch zufrieden, daß ich Sie hochschätze und von Herzen wünsche, daß Sie der glücklichstePrinz in der ganzen Christenheit sein mögen.Wollen Sie aber Personen von meinem Stande zu Ihrem Zeitvertreibe haben: O Sie werden in unsrer Stadt unzählige antreffen, die ohne Zweifel viel schöner sind als ich und sich doch bei weitem nicht so lange werden bitten lassen. Halten Sie sich an solche Buhldirnen, denen es ein Vergnügen sein wird, ihre Ehre zu verkaufen, und beunruhigen Sie diejenige nicht mehr, die mehr Sie als sich selbst liebt. Denn wenn es Gott heute gefallen sollte, entweder Ihr Leben oder das meinige zu fordern, so würde ich mich glücklich schätzen, das meinige für das Ihrige hinzugeben. Daß ich Dero Gegenwart fliehe, geschieht nicht aus Mangel der Liebe: nein, es kommt bloß daher, weil ich unser beider Gewissen gar zu sehr liebe. Ich bitte mir lebenslang Dero Gnade aus, mein Prinz, wenn Sie mich anders derselben würdigen wollen, und ich werde Gott für Dero hohes Wohlsein und Gesundheit unaufhörlich anrufen. Es ist wahr, daß die Ehre, so Sie mir jetzo angetan haben, mir unter meinesgleichen Hochachtung genug zuwege bringen wird. Allein welche Mannsperson von meinem Stande werde ich wohl künftig eines Anblickes würdigen, nachdem ich Sie, mein Prinz, gesehen habe? Dergestalt wird mein Herz in Freiheit bleiben und von keiner andem Pflicht was wissen, als die mir auferlegt, für Dero Wohlfahrt zu beten. Denn, gnädigster, Herr, dieses ist die einzige Gattung von Gehorsam, die ich Ihnen jemals leisten kann. »

Eine so tugendhafte Antwort dieses liebenswürdigen Frauenzimmers war zwar dem Prinzen nicht nach seinem Sinne, doch die beängstigte Unschuld, die ihr aus allen Mienen und Gebärden hervorleuchtete, und die holdseligen Augen, die ihr in währender Antwort ganz voller Wasser standen, ja zuweilen einige Tropfen die Wangen hinunterlaufen ließen, rührten ihm dergestalt das Herz, daß er sich nicht enthalten konnte, sie so hochzuschätzen, als sie es verdiente. Er tat zwar alles mögliche, sie zu überreden, daß er niemals eine andre als sie lieben würde, allein sie war so unbeweglich in ihrer Zucht und Schamhaftigkeit, daß eine so unanständige Liebe ihr durchaus nicht gefallen konnte. Indessen waren die Bedienten des Prinzen mit seiner Kleidung aus dem Schlosse zurückgekommen: und ob sich dieselben gleich etlichemal melden ließen, so befahl er doch allezeit, ihnen zurückzusagen, daß er schliefe. So angenehm waren ihm Charlottens Unterredungen. Diese dauerten nun so lange, bis die Zeit des Abendessens herankam, welches er auf dem Schlosse durchaus nicht versäumen durfte, weil seine Frau Mutter eine sehr ordentliche und scharfe Dame war. Also verließ der Prinz das Haus seines Küchenschreibers mit der größten Hochachtung für die Ehrbarkeit und Tugend dieses Frauenzimmers. Sie lag ihm unaufhörlich in Gedanken, und er redete mit seinem vertrauten Edelmanne fast alle Augenblicke davon.Und da derselbe, ihm zur Gesellschaft, in seiner Kammer zu schlafen pflegte, so gingen bisweilen halbe Nächte darüber hin; denn er verlangte von ihm immer neue Anschläge zu hören, wie er endlich zu seinem Zwecke gelangen könnte.

Geld wird mehr ausrichten als die Liebe, dachte dieser verschmitzte Ratgeber. Daher riet er dem verliebten Prinzen, ihr eine gute Summe anbieten zu lassen. DerVorschlag gefiel dem Prinzen zwar, es schien ihm aber sehr schwer zu sein, denselben ins Werk zu richten. Er hatte sehr wenig Geld in Händen; denn seine Frau Mutter verwaltete noch alle seine Einkünfte. Doch entzog er seinen kleinen Belustigungen, soviel er konnte, und entwendete sogar seiner strengen Aufseherin soviel, als es sich tun ließ.Er hatte endlich eine Summe von fünfhundert Talern zusammengebracht, und diese gab er seinem Vertrauten mit der inständigsten Bitte, keinen Fleiß, keine Mühe zu sparen, bis er Charlotten dadurch gewonnen hätte. Der Edelmann hatte selbst den Anschlag gegeben, also ermangelte er nicht, alle seine Künste anzuwenden. Er sprach das Frauenzimmer, sobald es sich tun ließ; er eröffnete ihr des Prinzen beständige Zuneigung; er zeigte ihr das ansehnliche Geschenk, so er ihr von seinetwegen zu überbringen hatte. Aber alles umsonst. « Mein Herr», sprach Charlotte, «ich bitte, dem Prinzen zu sagen, mein Herz sei so züchtig und ehrliebend, daß, wenn es jemals durch Versuchungen überwunden werden könnte, so müßte es allbereits durch seine Schönheit und Annehmlichkeit überwältigt worden sein. Wo aber dieselben nichts haben ausrichten können, da würden gewiß aller Welt Schätze nicht zureichen, etwas zu erlangen. Bringen Sie ihm also dieses Geschenk wieder zurück; denn eine ehrliche Armut ist mir tausendmal lieber als alle Reichtümer, die ich mir bei dem Verluste meines guten Namens erwerben könnte. »

Diese Härte ihrer unüberwindlichen Tugend brachte den Edelmann auf die Gedanken, sie durch Drohungen und Furcht zu bewegen. Er stellte ihr derowegen die Macht und Gewalt seines Prinzen vor, der sie, als eine seiner Untertanen, sich gar nicht würde widersetzen dürfen. Hierzu aber lachte sie nur und sagte: «Dadurch mögen Sie andre erschrecken, mein Herr, die den Prinzen gar nicht kennen; denn ich weiß, daß derselbe viel zu tugendhaft und ehrliebend ist, als daß dergleichen Vorstellungen von ihm herrühren sollten. ja, ich bin versichert, daß er sie ganz verwerfen wird, wenn Sie ihm was davon erzählen werden. Aber gesetzt, es verhielte sich so, wie Sie vorgeben, so ist doch keine Marter, ja kein Tod zu ersinnen, der mich auf andre Gedanken bringen soll. Denn da, wie ich bereits erwähnt habe, die Liebe gegen ilm mein Herz nicht geändert hat, so sollen hinfort alle Belohnungen und Strafen, die man mir vorhalten kann, mich keinen Fußbreit von dem Wege ablenken, den ich mir einmal erwählt habe. »

Man kann leicht denken, mit was für Verdruß der Kammerjunker des Prinzen seinem Herrn die Antwort unsrer, seiner Meinung nach, so hartnäckigten Charlotten werde hinterbracht haben. Er hielt sich's selbst für eine Schande, daß er durch alle seine Mühe ihre Halsstarrigkeit nicht überwinden können, und würde also, aus Rachgier, dem Prinzen die gewaltsamsten Mittel anzuwenden geraten haben, wenn es bloß darauf angekommen wäre. Allein zum Teil wollte derselbe von keiner unvergönnten Art, sie zu überwinden, was hören, zum Teil mußte er besorgen, daß eine solche Gewalttätigkeit viel Aufsehens machen und gar seiner strengen Frau Mutter zu Ohren kommen möchte, deren Unwillen gegen sich zu erwecken er billig ein Bedenken trug. Er unterstand sich also ferner nicht das geringste zu unternehmen, bis ihm sein verschlagener Bedienter einmal ein so leichtes Mittel vorschlug, davon er sich nichts anders einbildete, als daß es ihm unmöglich fehlschlagen könnte. Der vorhingedachte Küchenmeister sollte hier wiederum hülfreiche Hand leisten. Es hatte derselbe vor der Stadt einen Weinberg und neben demselben ein angenehmes Sornmerhaus, welches nahe an einem kleinen Lustwäldchen gelegen war. Auf Anstiften des Edelmannes nötigte er seine Ehegattin nebst ihrer Schwester, sich ein Vergnügen zu machen und der bevorstehenden Weinlese beizuwohnen, wozu dann beide gar leicht zu bereden waren. Als derTag herankam, tat derKammerjunker solches seinem Herrn zu wissen, und dieser faßte voller Freuden den Entschluß, sich mit demselben ganz allein hinauszumachen und daselbst Charlottens Liebe nach Wunsch zu genießen.

Die Maulesel wurden fertiggehalten, um zu bestimmter Zeit heimlich davonzureiten. Allein von ungefähr trug sich's zu, daß die Fürstun im Schlosse ein gewisses Vergnügen machte, wobei sie alle ihre Kinder zugegen haben wollte. Dadurch ward der Prinz wider seinen Willen so lange aufgehalten, bis die abgeredte Stunde verlaufen war. Der Küchenschreiber, dem draußen die Zeit lang werden möchte, suchte sich indessen mehr und mehr aufzuhalten. Seine Frau hatte sich zu Hause krank anstellen müssen, so daß sie den Augenblick, als man schon aufsitzen wollen, ihm Nachricht geben lassen, daß sie unmöglich würde mitfahren können. Dergestalt war er mit Charlotten ganz allein draußen, und es fehlte an nichts als an der Ankunft des Prinzen. Doch als es Abend werden wollte und derselbe sich nicht einfand, sprach der Küchenschreiber zu seiner Gefährtin: «Wir werden uns wohl wieder in die Stadt begeben können.» – «Wer hindert uns daran?» versetzte Charlotte. «Ich dachte, der Prinz würde etwa herauskommen», erwiderte der erste, «weil er mir's versprochen hatte.» – «Auf den dürft Ihr nicht länger warten, mein Bruder», gab sie zur Antwort, «denn ich weiß gewiß, daß er heute nicht kommen wird.» Das glaubte der Küchenschreiber, und also fuhren sie zurück.

Kaum waren sie zu Hause angelangt, als Charlotte ihn seiner Gottlosigkeit halber auf das schärfste zur Rede setzte. Sie verwies ihm sein boshaftes Gemüt, welches sich, um eines schnöden Gewinstes willen, zu einer so niederträchtigen Kuppelei hätte gebrauchen lassen, zumal sie versichert wäre, daß alles auf sein und des Kammerjunkers Angeben, ohne die Schuld des Prinzen, wäre angestellt worden. ja von Stund an räumte sie sein Haus, als in welchem sich ihre Tugend hinfüro nicht sicher sah. Sie tat ihrem Bruder den ganzen Handel zu wissen, welcher auch kommen und sie mit sich in seine Provinz nehmen mußte. So war aber demPrinzen auch der letzte Anschlag mißlungen; und ob es ihn wohl anfänglich sehr schmerzte, so daß er sie auch vor ihrer Abreise in einer Gesellschaft noch einmal deswegen zur Rede setzte und es ihr verwies, daß sie ihren Schwestermann verlassen wollte, so gab er sich doch endlich zufrieden und beschloß, einer so tugendhaften Person nicht ferner nachzustellen.

Alle diese Proben einer so beständigen Zucht und Ehrbarkeit waren indessen einem von den Hofbedienten des Prinzen bekannt geworden und hatten ihm so wohl gefallen, daß er in kurzer Zeit diese tugendhafte Charlotte heiratete. Ungeachtet sie wider ihren Freier nichts einzuwenden hatte, so wollte sie doch ihr Wort nicht ohne des Prinzen Erlaubnis von sich geben. Diese war nun leicht zu erhalten; und durch diese Heirat geriet sie in den glücklichsten Ehstand, den sie sich hätte wünschen können, zumal sie darinnen von dem Prinzen eine besondre Gnade und vielfältige Zeichen einer fürstlichen Wohlgewogenheit lebenslang genossen.